REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER
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302 Der zu dieser Zeit noch vorherrschende Visumzwang machte bald deutlich, dass diese Außengrenzen zweischneidig waren. Auf der Plusseite betonten sie den Hoheitsraum der neuen Staatsnationen und boten dadurch erstmals internationale Anerkennung. Auf der Minusseite durchtrennten sie sowohl die Siedlungsgebiete der Deutschösterreicher, Westungarn und Slowenen wie auch die über die Jahrhunderte gewachsenen Arbeitsmärkte dieser Volksgruppen. Nachdem man die wirtschaftliche Konversionskrise am Ende des Ersten Weltkrieges überstanden hatte, wurde deutlich, dass die neuen Nationalregierungen Schritte setzen mussten, um die traditionelle Arbeitsmigration - über die neuentstandenen Staatsgrenzen hinweg - wieder anzukurbeln. In Rahmen von bilateralen und multilateralen Abkommen wurde dieses Vorhaben zwischen 1920 und 1922 realisiert. Bereits ab der Stabilisierungskrise 1922/1923 begannen die östlichen Nachbarländer Österreichs arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu setzen, um staatsfremde Arbeitnehmer aus dem Land zu schaffen. Besonders hart betroffen von dieser Verdrängungspolitik waren die Deutschösterreicher, die traditionellerweise in den Ländern der ehemaligen Monarchie sowohl als Facharbeiter wie als Führungskräfte Beschäftigung gefunden hatten. In Gegenzug gab die österreichische Bundesregierung dem Drängen der Gewerkschaften und Arbeiterkammer nach und begrenzte schrittweise den Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt durch eine Verschärfung der Visumerteilung. Das Prinzip des Inländerschutzes 438 wurde in den Rang eines staatspolitischen Dogmas erhoben. Die restriktive Ausländerpolitik Österreichs ist lediglich als Reaktion auf Sachzwänge von Außen zurückzuführen. So lautete die offizielle Diktion des Sozialministeriums und heimischen Arbeitnehmerorganisationen in dieser Zeit. In Wirklichkeit begannen sämtliche Staatsvölker der ehemaligen Donaumonarchie ungefähr gleichzeitig mit der sozialchauvinistischen motivierten Ausgrenzung staatsfremder zugewanderen Minderheiten, Saisoniers und Grenzgänger. Angehörige anderer Volksgruppen - seien es Deutsche in der Slowakei oder 438 Das Konzept Inländerschutz wurde - neben anderen Bereichen der Schutzbedürftigkeit, wie etwa Jugendschutz, Lehrlingsschutz, Mieterschutz - in den Förderungskatalog der AK und Freien Gewerkschaften aufgenommen. Die amtliche Geschichte des Inländerschutzes lautet etwas anderes als der in dieser Studie wiedergegebene: „INLÄNDERSCHUTZ: Der Inländerschutz war ein notwendiges Übel, dessen Einrichtung aber immer unvermeidlicher wurde, je länger die Arbeitslosigkeit anstieg und je ärger es das Ausland mit der Behinderung des freien Wirtschaftsverkehrs gegenüber Österreich trieb. Schon Anfang 1923 erwog man in Österreich diesen Gedanken, als man hörte, daß die Nachbarstaaten selber noch viel schärfere derartige Verfügungen getroffen hatten. Damals machte jedoch die Arbeiterkammer in eingehenden Beratungen im Ministerium des Innern auch auf die ernsten Bedenken aufmerksam, die solchen die Freizügigkeit der Arbeiter empfindlich störenden Maßnahmen entgegenstehen. Aber die Unternehmer nützten diesen vorläufigen Verzicht der Arbeiter und Angestellten des Inlandes auf Schutz ihrer Arbeitskraft alsbald zu ihrem privaten Vorteil aus und zogen als echt „nationale‟ Patrioten zu Lohndrückerzwecken italienische Bauarbeiter, tschechische Schneider usw. heran.‟ (Gewerkschaftskommission 1926, 88)
303 Italiener in Vorarlberg - wurden als willkommene Feindbilder und Sündenböcke sehr früh (1921/1922) entdeckt, um parteipolitische Agenden zu fördern und von dem Versagen der eigenen nationalen Sozialpolitik abzulenken. Die Einwanderungspolitik der Deutschen in Österreich unterschied sich zwischen 1921 und 1925 nur in ihrer technischen Anwendung von jener der Slowaken, Tschechen, Südslawen, Reichsdeutschen und Italiener. Während sich Belgrad, Berlin, Bratislava, 439 Prag und Rom rasch auf den Betrieb als geeigneten Ort der Ausgrenzung konzentrierten, setzte Wien auf die Visumerteilung und öffentliche Arbeitslosenvermittlung 440 . Als sich die Kontrolle der Ausländerbeschäftigung - vermittelt über die Einwanderungspolitik - als wenig effektiv und teilweise kontraproduktiv erwies, griff auch Österreich auf die bereits in den Nachbarländern praktizierte staatliche Kontrolle der Beschäftigungspolitik zurück. Die alte Forderung der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung nach Gleichheit und Schutz für alle Arbeitnehmer eines Arbeitsmarktes wurde somit bereits Mitte der 20er Jahre endgültig ad acta gelegt. Diese Politik der gegenseitig sich abschottendenen Beschäftigungsräume wurde in den Jahren des Ständestaates, Nationalsozialismus und der österreichischen Neutralität fortgesetzt. Mit dem Beitritt zur Europäischen Union (EU) wurde diese Logik lediglich auf den wesentlich größeren Abschottungsraum des Binnenmarktes, beziehungsweise Schengens, ausgedehnt. 439 Als ehemalige Kolonie von Ungarn hÄtte die Slowakei eigentlich eine Geschichte mit den Magyaren und nicht mit den Deutschen gehabt. Überraschend ist, daß die ausländerfeindliche Welle in der Tschechoslowakei von Bratislava und nicht von Prag ausgegangen ist. Hauptopfer der österreichischen Gegenmaßnahmen im Sommer 1922 waren jedoch die Tschechen, da die Slowaken hauptsächlich im bevorzugten, vom Inländerschutz geschützten Bereich der Landwirtschaft arbeiteten. Die gezielte Benachteiligung von Tschechen als Volksgruppe bei den öffentlichen Arbeitsnachweisen und IBK wurde nicht als Verstoß gegen den Staatsvertrag von St. Germain gewertet. Diese Einschätzung wird durch folgende Stellungnahme belegt. Eine diesbezügliche, an die österreichische Gewerkschaftskommission gerichtete vertrauliche „Mitteilung (wurde) noch zum Anlass (genommen), vorläufig wenigstens mit möglichst Bevorzugung der österreichischen Arbeitslosen bei der inländischen öffentlichen Arbeitsvermittlungen zu reagieren. Den Oesterreichern sind hiebei deutsche Reichsangehörige gleichzustellen. Eine Verletzung des Friedensvertrags ist hierdurch nicht gegeben.‟ (MfSVer,1922,61,21391) 440 Die Einrichtung der öffentlichen, von den Zünften und Arbeitgeber unabhängigen Arbeitsnachweise waren - wie oben dargestellt - ein Produkt des Linksliberalismus (Kathedersozialisten oder Fabianer). SDAP und die Freien Gewerkschaften hatte diese Einrichtung zuerst bekämpft, dann versucht die Drittelparität durchzusetzen. Die Christlichsozialen und Sozialdemokraten einigten sich noch im Weltkrieg unter Sozialminister Mataja auf die Einrichtung des ersten paritätischen Arbeitsnachweis, in der Bauindustrie. Eine der Hauptaufgaben der bereits in November 1918 paritätisch reformierten Arbeitsnachweisen war der Inländerschutz.
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Der zu dieser Zeit noch vorherrschende Visumzwang machte bald deutlich, dass diese<br />
Außengrenzen zweischneidig waren. Auf der Plusseite betonten sie den Hoheitsraum der<br />
neuen Staatsnationen und boten dadurch erstmals internationale Anerkennung. Auf der<br />
Minusseite durchtrennten sie sowohl die Siedlungsgebiete der Deutschösterreicher,<br />
Westungarn und Slowenen wie auch die über die Jahrhunderte gewachsenen Arbeitsmärkte<br />
dieser Volksgruppen. Nachdem man die wirtschaftliche Konversionskrise am Ende des Ersten<br />
Weltkrieges überstanden hatte, wurde deutlich, dass die neuen Nationalregierungen Schritte<br />
setzen mussten, um die traditionelle Arbeitsmigration - über die neuentstandenen<br />
Staatsgrenzen hinweg - wieder anzukurbeln. In Rahmen von bilateralen und multilateralen<br />
Abkommen wurde dieses Vorhaben zwischen 1920 und 1922 realisiert. Bereits ab der<br />
Stabilisierungskrise 1922/1923 begannen die östlichen Nachbarländer Österreichs<br />
arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu setzen, um staatsfremde Arbeitnehmer aus dem Land<br />
zu schaffen. Besonders hart betroffen von dieser Verdrängungspolitik waren die<br />
Deutschösterreicher, die traditionellerweise in den Ländern der ehemaligen Monarchie<br />
sowohl als Facharbeiter wie als Führungskräfte Beschäftigung gefunden hatten. In Gegenzug<br />
gab die österreichische Bundesregierung dem Drängen der Gewerkschaften und<br />
Arbeiterkammer nach und begrenzte schrittweise den Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt<br />
durch eine Verschärfung der Visumerteilung. Das Prinzip des Inländerschutzes 438 wurde in<br />
den Rang eines staatspolitischen Dogmas erhoben. Die restriktive Ausländerpolitik<br />
Österreichs ist lediglich als Reaktion auf Sachzwänge von Außen zurückzuführen.<br />
So lautete die offizielle Diktion des Sozialministeriums und heimischen<br />
Arbeitnehmerorganisationen in dieser Zeit. In Wirklichkeit begannen sämtliche Staatsvölker<br />
der ehemaligen Donaumonarchie ungefähr gleichzeitig mit der sozialchauvinistischen<br />
motivierten Ausgrenzung staatsfremder zugewanderen Minderheiten, Saisoniers und<br />
Grenzgänger. Angehörige anderer Volksgruppen - seien es Deutsche in der Slowakei oder<br />
438 Das Konzept Inländerschutz wurde - neben anderen Bereichen der Schutzbedürftigkeit, wie etwa Jugendschutz,<br />
Lehrlingsschutz, Mieterschutz - in den Förderungskatalog der AK und Freien Gewerkschaften aufgenommen. Die amtliche<br />
Geschichte des Inländerschutzes lautet etwas anderes als der in dieser Studie wiedergegebene: „INLÄ<strong>NDER</strong>SCHUTZ: Der<br />
Inländerschutz war ein notwendiges Übel, dessen Einrichtung aber immer unvermeidlicher wurde, je länger die<br />
Arbeitslosigkeit anstieg und je ärger es das Ausland mit der Behinderung des freien Wirtschaftsverkehrs gegenüber<br />
Österreich trieb. Schon Anfang 1923 erwog man in Österreich diesen Gedanken, als man hörte, daß die Nachbarstaaten<br />
selber noch viel schärfere derartige Verfügungen getroffen hatten. Damals machte jedoch die Arbeiterkammer in<br />
eingehenden Beratungen im Ministerium des Innern auch auf die ernsten Bedenken aufmerksam, die solchen die<br />
Freizügigkeit der Arbeiter empfindlich störenden Maßnahmen entgegenstehen. Aber die Unternehmer nützten diesen<br />
vorläufigen Verzicht der Arbeiter und Angestellten des Inlandes auf Schutz ihrer Arbeitskraft alsbald zu ihrem privaten<br />
Vorteil aus und zogen als echt „nationale‟ Patrioten zu Lohndrückerzwecken italienische Bauarbeiter, tschechische<br />
Schneider usw. heran.‟ (Gewerkschaftskommission 1926, 88)