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REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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294<br />

Nach Mussak kann die Gesamtsumme der Optionsanträge erst dann relativ genau<br />

hochgerechnet werden, nachdem die damals nicht ausgewerteten Rohdaten der Option und<br />

Nachkriegsvolkszählungen vollständig aufgearbeitet werden. Um für die Zwecke dieser<br />

Studie eine ausreichende ungefähre Rahmenordnung festzustellen, reichen jedoch die<br />

zeitgenössischen und modernen ungenauen Abgaben. Mussak zitiert Quellen, die allerdings<br />

alle schlecht belegbar sind, die die Zahl der betroffenen Bewerber (mit Angehörigen) mit<br />

mindestens etwa 200.000 und höchstens 350.000 beziffern. Die positiv erledigten Fälle, vor<br />

allem bei den galizischen Juden, dürften viel niedriger liegen. (1995, 416-426). Nach<br />

Besenböck könnte die Gesamtzahl bei über einer halben Million liegen. So wurde von dem<br />

im Jahr 1922 für die Option zuständigen Innenminister Leopold Waber behauptet, "dass in<br />

Österreich 180.000 Optionsgesuche für mindestens 540.000 Personen eingebracht wurden,<br />

bei deren Erledigung die Behörde mit größter Liberalität vorgegangen ist." (Besenböck 1992,<br />

130). Auch die untere Schätzung von etwa 200.000 betroffenen Personen zeigt, dass die<br />

Einbürgerung gewaltige politische und gesellschaftliche Sprengkraft in sich bürgte. 200.000<br />

neue Bürger bedeuteten mit der Zeit genauso viele potentielle Wähler. Viele dieser<br />

Exausländer brachten auch handwerkliche oder sonstige Fachkenntnisse mit sich und stellten<br />

somit ein wirtschaftliches Konkurrenzpotential dar. Für die Deutschnationalen waren sie<br />

weder als Wähler noch als Finanziers interessant. Es war kaum vorstellbar, dass dieser Partei<br />

nach ihren fremdenfeindlichen Kampagnen in den letzten Jahren Juden, Tschechen oder<br />

Italiener in großer Zahlen zuströmen würden. Die Christlichsozialen konnten höchstens mit<br />

Teilen der - aus der Tschechoslowakei und Italien stammenden - wertkonservativen<br />

mittelständischen katholischen Zuwanderer rechnen. 425 Die Sozialdemokraten würden, dies<br />

war zu dieser Zeit allen Beteiligten klar, bei der Option das große Los ziehen. Da sie auf<br />

keinen Fall auf diese sicheren Wählerschichten bei den Wiener Tschechen - aber auch<br />

westösterreichischen Italiener - verzichten wollten waren sie offensichtlich bereit, die<br />

klassenspezifisch eher heterogenen Ostjuden zu opfern. Diese opportunistischen Haltung<br />

verstärkend wirkte die Tatsache, dass die jüdischen Galizier und Ungarn keine Schutzmacht<br />

hatten. Von der neuen polnischen Regierung war nicht zu befürchten, dass sie versuchen<br />

würden Österreich zu erpressen, um die Lage ihrer ehemaligen nichtkatholischen Landsleute<br />

425 Bereits vor der Jahrhundertwende, zur Zeit des christlichsozialen Bürgermeisters Karl Lueger, hat es sich gezeigt, daß<br />

weder die tschechischen Sozialdemokraten noch die bürgerlichen Nationalisten wirklich in der Lage waren das bürgerlichkatholische<br />

Lager politisch wirksam zu begegnen. (Glettler 1972, 316). So wäre es zu erwarten, daß nichtproletarischen bzw.<br />

nichtmarxistischen tschechischen Schichten mittelfristig den deutschnationalen Christlichsozialen zufallen könnten.

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