14.02.2013 Aufrufe

REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN
  • Keine Tags gefunden...

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

293<br />

sinnentstellend übersetzt. Dies stellt die zweite Verletzung des Vertrags von St. Germain dar.<br />

Der Begriff race wurde, neben langue einführt, um Gruppen zu bevorzugen, die nicht<br />

hauptsächlich oder ausschließlich wegen ihrer Umgangssprache benachteiligt wurden.<br />

Hierbei wurde während der Verhandlungen wiederholt auf die jüdischen Bevölkerungen<br />

Ostmittel- und Südosteuropas Bezug genommen. 422 Dass man bei der Anwendung des<br />

Staatsvertrags und seiner Umsetzung durch die Vollzugsanweisung vom 20. August 1920,<br />

race statt nach seiner eigentlichen Bedeutung (Nationalität oder Volksgruppe), mit Rasse<br />

übersetzen ließ, wurde sowohl von den traditionell antisemitischen Parteien -<br />

Christlichsozialen und Deutschnationalen 423 - wie von der bis dorthin internationalistisch<br />

geltenden SDAP 424 mitgetragen.<br />

Die Anwendung der Vollzugsanweisung in Vorarlberg verdeutlicht die bereits in der<br />

einschlägigen historischen Forschung zur österreichischen Option gemachten Feststellungen<br />

über die antisemitische Natur der Option (Besenböck 1992; Stourzh 1994; Mussak 1995,<br />

Grandner 1995). Stellt man nämlich den Umgang der österreichischen Behörden mit den<br />

unterschiedlichen Volksgruppen einander gegenüber, so wird die Intention der<br />

Rassenbestimmung eindeutig. Die tschechische Volksgruppe in Wien und Niederösterreich<br />

und die italienischen Volksgruppe in Tirol und Vorarlberg wurden nämlich von den<br />

zuständigen Einbürgerungsstellen äußerst entgegenkommend behandelt. Ihr Verhalten in<br />

bezug auf die jüdischen Bewerber aus Galizien oder Ungarn war genau umgekehrt. Dies lässt<br />

sich anhand der Auswertung von Rudigier für Bludenz genau belegen.<br />

Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse, Religion oder Sprachgruppe gefährdet sein könnten. Hierbei verwendete er den<br />

Begriff race in dem damals im englischen Sprachraum üblichen ethnischen Sinn (the English race), ähnlich wie den Begriff<br />

Nationalität (Deutsche in Österreich) in der Habsburger Monarchie verwendet wurde. (Stourzh 1994, 79). Wilson hatte<br />

niemals beabsichtigt, daß die Einführung des Begriffs race in dem Staatsvertrag zu seiner Anwendung im rassistischen,<br />

biologistischen Sinne der deutschnationalen Antisemiten Verwendung finden sollte.<br />

422 Bezeichnenderweise steht im ursprünglichen Verhandlungsentwurf der österreichischen Delegation statt Rasse,<br />

Volksstamm als Übersetzung von race. (Grandner 1995, 69). Dies deutet darauf hin, daß man in Wien sehr wohl im klaren<br />

war, was die Amerikaner mit der Option intendierten.<br />

423 Die Deutschnationalen vertraten bereits zu dieser Zeit Vorformen des nationalsozialistischen Konzepts der<br />

Minderwertigkeit von Juden und Slawen. Die Christlichsozialen nährten sich erstmals - wenn nicht in der Theorie so in der<br />

Praxis - diese Position mit ihrer Unterstützung der Vollzugsanweisung an. Bis dorthin war die katholische Antisemitismus<br />

nämlich betont antibiologistisch. Juden die sich zum Christentum bekehren ließen sollten als gleichwertig geachtet werden.<br />

Den weitesten ideologischen Weg müßten jedoch die Sozialdemokraten bewältigen. Mit ihrer Zustimmung zur<br />

Vollzugsanweisung bewegten sie sich vom deutschnationalen Konsens weg und bis hin in gefährlicher Nähe des Rassismus.<br />

Dieser gewaltige Rechtsruck in der Praxis wurde in der austromarxistischen Theorie jedoch nie nachvollzogen.<br />

424 „Unterstaatssekretär Dr. Wilhelm Ellenbogen, für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten, (sozialdemokratisch)<br />

stellte hiezu den Antrag nach den Worten „Rasse und Sprach‟ den Artikel 80 des Staatsvertrages von St. Germain zu zitieren.<br />

Der Kabinettsrat gab noch in seiner Sitzung vom 17. August für die Erlassung der Vollzugsanweisung in der von Dr.<br />

Ellenbogen vorgeschlagenen Fassung seine Zustimmung.‟ (Mussak 1995, 285)

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!