REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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28 II. VOM NEOABSOLUTISMUS ZUM WELTKRIEG (1848-1914) A. Die Wandlung der Ausländerfrage 1848 reichte das Habsburger Reich von Lemberg bis Mailand und von Cattaro bis Karlsbad. Österreich teilte Außengrenzen mit mehr Staaten als heute die Europäische Union. Freundschaftliche Abkommen im Ausländerbereich gab es zwischen „Österreich und den deutschen Bundesstaaten, dem päpstlichen Stuhle, Sardinien, Toscana, Modena, Parma, Rußland und Crakau‟ (von Püttlingen 1842, 285), nicht aber mit der glänzenden Pforte (Türkei), Serbien, Montenegro, die Schweiz oder Piemont. Die Einwanderungsfrage bezog sich vorwiegend auf ausländische Offiziere, Geistliche, Händler, Investoren, Handwerker und akademisch beziehungsweise professionell hoch qualifizierte Spezialisten wie Notare, Apotheker, Ärzte und Rechtsanwälte. In all diesen Fällen ging es vor allem um die Anerkennung der fachlichen Eignung. Eine Sondergruppe stellten die vorwiegend aus dem osmanischen Reich stammenden jüdischen 20 und moslemischen Ausländer dar. Mit Ausnahme der Angehörigen dieser zwei Religionsgemeinschaften waren Ausländer in allen wichtigen wirtschaftlichen Bereichen den Inländern gleichgestellt. In rechtlichen Belangen gab es einige Benachteiligungen, die aber der europäischen Norm entsprachen (von Püttlingen 1842). Mit dem Beginn der industriellen Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die fremdstaatliche Einwanderung zahlenmäßig und politisch durch die Binnenwanderung allmählich verdrängt. Die aus den nicht deutschsprachigen Reichsratsländern der Monarchie stammenden Migranten dominierten in der publizistischen wie behördlichen Diskussion. Staatsfremde Zuwanderung fand in der Presse, im internen staatlichen Schriftverkehr und in der Sekundärliteratur kaum Erwähnung. Die Auseinanderentwicklung der zwei Migrationformen - Binnenwanderung und Einwanderung - wurde in der vorliegenden Studie thematisch getrennt behandelt. Die in dieser Studie aus forschungstechnischen Gründen vollzogene Trennung zwischen Staats- beziehungsweise Reichsfremden einerseits und die 20 Vgl. John/Lichtblau 1990, 33: „Nach dem Frieden von Passarowitz (1719) zwischen Österreich und der Türkei durften sich türkische Juden in Wien niederlassen, es waren zumeist sefardische Juden. (..) Nur Juden aus der Türkei und den (ca. 4.000) Tolerierten war es (bis 1848, E.S.) gestattet, sich dauernd in Wien aufzuhalten, alle anderen mussten eine Leibmut (Bolentaxe) zahlen.‟

29 Zuwanderung der Cisleithanier und Transleithanier andererseits ist allerdings für die Zeit der Monarchie problematisch. Vor allem bei den Italienern - vorwiegend in Wien und Vorarlberg - kann zu dieser Zeit kaum zwischen Inländern und Ausländern differenziert werden. Obwohl diese ethnische Zusammenlegung über staatsbürgerliche Grenzen hinweg auch für die Deutschen, Polen und Juden in Österreich zutrifft, war die Einwanderung aus den deutschen Bundesstaaten beziehungsweise dem Deutschen Reich und Russischpolen in der Regel eine eher individuelle Erscheinung 21 . Die Italiener hingegen migrierten in vielen Fällen in Arbeiterpartien, die in den Grenzregionen zwischen Cisleithanien und dem Königreich Italien unabhängig der Staatsbürgerschaft zusammengestellt wurden (Mataja 1898). Im Folgenden werden schwerpunktmäßig die zwei wichtigsten Ausländergruppen der Monarchie - die Reichsdeutschen und Reichsitaliener - untersucht. Kleinere Ausländergruppen, wie etwa die Schweizer, Russischpolen oder Reichsserben werden nur dann berücksichtigt, wenn sie im Zusammenhang mit den allgemeinen Ausländerbestimmungen oder öffentlichen Einwanderungsdebatte von Bedeutung sind. Herbei gibt es eine wesentliche Ausnahme. Die Frage, die der sonst vorherrschende Aufteilung von Inländern und Ausländern widerspricht aber dennoch von besonderer Relevanz ist, stellt die Bekämpfung der Menschenschlepperei vom Balkan über Salzburg und Tirol nach Deutschland und in die Schweiz dar. Da der Menschenhandel ein durchgehender Schwerpunkt der Migrationsdiskussion ist, werden seine Wurzeln in der Monarchie besonders genau aufgearbeitet. Schließlich wird auf einen Aspekt der Migrationskontrolle eingegangen, der bereits in der Monarchie eingeführt wurde und bis in die Gegenwart im Raum des ehemaligen Cisleithaniens von Bedeutung ist: die Bekämpfung der Zigeunerplage. Die Benachteiligung von Handelsreisenden, mit romani Abstammung wurde in internen Weisungen des K.k. Handelsministerium eingehend behandelt. Der Versuch, die finanzielle Lage dieser Volksgruppe zu unterminieren, um sie dadurch aus dem Land verdrängen zu können, kann als erstes Beispiel, wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen ethnisch abzuwickeln, gesehen werden. Diese Ethnisierung der Politik stellt insofern eine Neuerung für Österreich dar, da dies einerseits seit Verabschiedung des Staatsgrundgesetzes von 1867 nicht mehr zulässig war. Die Diskriminierung und Verfolgung der Juden und Roma im 18. Jahrhundert fand vor der Entwicklung des Ideals der Nationalstaatlichkeit statt und 21 1910 waren 39% aller Einwanderer aus Russland in den freien Berufen und lediglich 33% in der Industrie beschäftigt. Bei den Reichsdeutschen war das Verhältnis 31% zu 43% und bei den Reichsitaliener 14% zu 49% (Volkszählung 1913, 28).

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Zuwanderung der Cisleithanier und Transleithanier andererseits ist allerdings für die Zeit der<br />

Monarchie problematisch. Vor allem bei den Italienern - vorwiegend in Wien und Vorarlberg<br />

- kann zu dieser Zeit kaum zwischen Inländern und Ausländern differenziert werden. Obwohl<br />

diese ethnische Zusammenlegung über staatsbürgerliche Grenzen hinweg auch für die<br />

Deutschen, Polen und Juden in Österreich zutrifft, war die Einwanderung aus den deutschen<br />

Bundesstaaten beziehungsweise dem Deutschen Reich und Russischpolen in der Regel eine<br />

eher individuelle Erscheinung 21 . Die Italiener hingegen migrierten in vielen Fällen in<br />

Arbeiterpartien, die in den Grenzregionen zwischen Cisleithanien und dem Königreich Italien<br />

unabhängig der Staatsbürgerschaft zusammengestellt wurden (Mataja 1898).<br />

Im Folgenden werden schwerpunktmäßig die zwei wichtigsten Ausländergruppen der<br />

Monarchie - die Reichsdeutschen und Reichsitaliener - untersucht. Kleinere<br />

Ausländergruppen, wie etwa die Schweizer, Russischpolen oder Reichsserben werden nur<br />

dann berücksichtigt, wenn sie im Zusammenhang mit den allgemeinen<br />

Ausländerbestimmungen oder öffentlichen Einwanderungsdebatte von Bedeutung sind.<br />

Herbei gibt es eine wesentliche Ausnahme. Die Frage, die der sonst vorherrschende<br />

Aufteilung von Inländern und Ausländern widerspricht aber dennoch von besonderer<br />

Relevanz ist, stellt die Bekämpfung der Menschenschlepperei vom Balkan über Salzburg und<br />

Tirol nach Deutschland und in die Schweiz dar. Da der Menschenhandel ein durchgehender<br />

Schwerpunkt der Migrationsdiskussion ist, werden seine Wurzeln in der Monarchie<br />

besonders genau aufgearbeitet. Schließlich wird auf einen Aspekt der Migrationskontrolle<br />

eingegangen, der bereits in der Monarchie eingeführt wurde und bis in die Gegenwart im<br />

Raum des ehemaligen Cisleithaniens von Bedeutung ist: die Bekämpfung der Zigeunerplage.<br />

Die Benachteiligung von Handelsreisenden, mit romani Abstammung wurde in internen<br />

Weisungen des K.k. Handelsministerium eingehend behandelt. Der Versuch, die finanzielle<br />

Lage dieser Volksgruppe zu unterminieren, um sie dadurch aus dem Land verdrängen zu<br />

können, kann als erstes Beispiel, wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen<br />

ethnisch abzuwickeln, gesehen werden. Diese Ethnisierung der Politik stellt insofern eine<br />

Neuerung für Österreich dar, da dies einerseits seit Verabschiedung des Staatsgrundgesetzes<br />

von 1867 nicht mehr zulässig war. Die Diskriminierung und Verfolgung der Juden und Roma<br />

im 18. Jahrhundert fand vor der Entwicklung des Ideals der Nationalstaatlichkeit statt und<br />

21 1910 waren 39% aller Einwanderer aus Russland in den freien Berufen und lediglich 33% in der Industrie beschäftigt. Bei<br />

den Reichsdeutschen war das Verhältnis 31% zu 43% und bei den Reichsitaliener 14% zu 49% (Volkszählung 1913, 28).

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