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REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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287<br />

Ofner 408 - bei der Einbürgerung ein Zweiklassensystem eingeführt. Galizische<br />

Nichtheimatberechtigten mussten, um als Staatsbürger zu gelten und somit bei den<br />

bevorstehenden Nationalversammlungswahlen wählen zu dürfen, sich nach dem<br />

altösterreichischen Recht bewerben. 409 Neoausländer aus allen anderen Teilen<br />

Excisleithaniens konnten die neue Staatsbürgerschaft erwerben, indem sie einen ordentlichen<br />

Wohnsitz in Österreich nachweisen konnten und eine Erklärung abgaben, getreue<br />

Staatsbürger der neuen deutschen Republik sein zu wollen. 410 Langansässige und<br />

assimilationswillige Altausländer - vorwiegend aus dem Königreich Italien, dem Deutschen<br />

Reich und dem ehemaligen Russischen Reich - gehörten zu der bevorzugten zweiten Gruppe<br />

und wurden somit den ehemaligen, vorwiegend jüdischen Inländern aus Galizien 411<br />

vorgereiht.<br />

Für die Italiener in Vorarlberg bedeutete dies, dass sowohl der aus den italienischen Gebieten<br />

Cisleithaniens (Görz, Istrien, Trentino, Triest) stammende Teil der Bevölkerung wie auch die<br />

aus dem Königreich stammenden Altausländer sich per einfacher schriftlicher Erklärung zum<br />

österreichischen Staat bekennen konnten, ohne dass sie ihre italienische Ethnizität formell<br />

aufgeben mussten. Somit wurden sie im Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen am<br />

407<br />

Hierbei ging es vordergründig, um die nach August 1914 angekommenen jüdischen Neoausländer.<br />

408<br />

Daß jüdische Vertreter des österreichischen Deutschliberalismus, wie Julius Ofner, und deklariert antirassistischen<br />

Sozialdemokraten wie Wilhelm Ellenbogen bei diesem Kuhhandel mitmachten, zeigt wie überwältigend der rassistische<br />

Konsens bei der Frage der Ostjuden zu dieser Zeit bereits war. Nach Besenböck war Ofner sonst eine der wenigen Stimmen<br />

in der Ersten Republik, die ständig gegen den amtlichen Rassismus Stellung bezog. Ofner schrieb später in bezug auf die<br />

Option: „Der Senat hat es zuwege gebracht, in den Artikel (80, St. Germain, E.S.) Antisemitismus hineinzudeuten, aus dem<br />

Wort Rasse den Gegensatz zwischen Ariern und Semiten zu lesen und den Juden allgemein das Recht auf Option nach<br />

Artikel 80 abzusperren.‟ (Ofner in NFP 12.08.21, zitiert nach Besenböck 1992, 145) Ellenbogen war nach Löw einer der<br />

wenigen Deutschen Sozialdemokraten in Österreich, der nicht nationalistisch bzw. rassistisch eingestellt war. Gemeinsam<br />

mit dem Führer der südslawischen Sozialdemokraten, dem Triestiner Slowenen Etbin Kristan, setzte sich Ellenbogen als<br />

einziger führender Deutscher gegen das nationalistische - und später rassistische bzw. faschistische - Prinzip der<br />

Territorialität von Nationen, Völker und Rassen ein. Kristan argumentierte, daß die Schaffung nationaler Territorien die<br />

Reibungsflächen zwischen den Nationalitäten nur wenig mildern würde, da jede geschaffene Formation zwangsläufig<br />

Minderheiten einschließen müßte, die wiederum diskriminiert würden. Ellenbogen ging sogar weiter, indem er aufzeigte, daß<br />

man durch Ausrufung von geschlossenen ethnischen Territorien dem Mehrheitsvolk „ein Recht auf unbeschränkte<br />

Unterdrückung einer anderen Nation‟ zugestehen mußte (Löw 1984, 39). Genau dies ist in Deutschösterreich nach 1918<br />

eingetreten, ironischerweise mit der anfänglichen Duldung von Ofner und Ellenbogen; Vgl. auch Lehmann 1932. Die Tragik<br />

der österreichischen Minderheitenpolitik scheint zu sein, daß in entschiedenen Momenten auch die Gegner des Rassismus<br />

und Freunde der Multikulturalität gegen ihr Gewissen handeln.<br />

409<br />

D.h. zehn Jahre in Deutschösterreich wohnhaft sein und die Zusicherung der Verleihung der Heimatzuständigkeit von<br />

einer in Deutschösterreich gelegenen Gemeinde.<br />

410<br />

Ein ursprünglich auf Betreiben der Deutschnationalen inkludiertes Zwangsbekenntnis zur deutschen Nation wurde auf<br />

Druck des SDAP eliminiert. Sie befürchteten mit Recht dadurch ihre tschechische Wählerschaft teilweise zu verlieren<br />

(Grandner 1995, 64).<br />

411<br />

Aus heute unerklärlichen Gründen (Mussak 1995, 20) wurden auch Heimatberechtigte aus den südslawischen Teilen<br />

Cisleithaniens benachteiligt und gehörten mit Galizien in die erste Gruppe. Wie hoch die italienische Auswanderung aus<br />

Istrien nach Deutschösterreich zu diesem genauen Zeitpunkt war, ist nicht genau feststellbar, sie dürfte aber nicht ins<br />

Gewicht gefallen sein. Die Inkludierung dieser Gebiete aus antisemitischen Gründen ist auch unwahrscheinlich, da nach der<br />

Volkszählung von 1910 der jüdische Bevölkerungsanteil in diesen adriatischen Regionen - mit Ausnahme von Dubrovnik -

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