REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER
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286 Zuwanderergruppen, die Tschechen und Italiener 403 , stammten aus Gebieten, die nun zu Ländern gehörten, die sich politisch und wirtschaftlich in einer stärkeren Positionen als Österreich befanden. 404 Neben ihren neuen Schutzmächten wurden die Neoausländer in Österreich auch indirekt aufgrund der Befürchtungen der Regierung, wegen Menschenrechtsverletzungen international angeprangert zu werden, gedeckt. 405 Schließlich war ein Großteil der Tschechen und Italiener Arbeitnehmer und somit potentielle Wähler der Sozialdemokraten. Da die Mehrzahl der ethnisch fremden Ausländer kein Heimatrecht in Deutschösterreich besassen, weil sie in ihrem Wohnorte als potentielle Wohltätigkeitsempfänger angesehen wurden, wurde es der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs (SDAP) zu einem Anliegen, die Staatsbürgerschaftsfrage von der Zuständigkeit zu einer Gemeinde im Inland zu entkoppeln (Mussak 1995, 18). "In Hinblick auf die schon für Jänner 1919 geplanten Wahlen zur Konstituierenden Nationalversammlung musste also der Sozialdemokratischen Partei an einem einfachen Verfahren des Staatsbürgerschaftserwerbs gelegen sein. "So wie die Verhältnisse gegenwärtig in den meisten Gemeinden liegen" meinten Heinrich Schneidmald und Hubert Schnopfl protestierend in einem Brief an Staatskanzler Renner, "wird es gerade jenen Personen unmöglich sein, die Zusicherung der Aufnahme in den Heimatverband zu erhalten, an deren Einbürgerung wir ein Interesse haben." (Grandner 1995, 63) 406 Bei der Ausgrenzung aus dem Nationalverband der Deutschen in Österreich ging es zu dieser Zeit ausschließlich um den sogenannten Ostjuden. Das deutschnationale Lager wollten um jeden Preis die jüdischen Zuwanderer und Flüchtlinge in Wien und Umgebung an der Einbürgerung verhindern 407 . So wurde unter Mitwirkung der Sozialdemokraten, Christlichsozialen und Liberalen - unter anderem des liberalen jüdischen Abgeordneten Julius 403 Ab November 1918 gehören Reichsitaliener, Welschtiroler, wie auch die Italiener den anderen ehemaligen Reichsratsländern zu einer Gruppe. 404 Daß die Tschechoslowakei und Italien ein Faustpfand in Form der deutschen Minderheiten in ihrem Gebiet hatten, wurde von der deutschösterreichischen Nationalführung durchaus erkannt. Staatskanzler Karl Renner wies beispielsweise daraufhin, daß eine minderheitenfeindliche Regelung in Deutschösterreich zu Vergeltungsmaßnahmen führen mußte. „Vertreter der deutschen Minorität im ostmährisch-schlesischen Industriegebiet beispielsweise hatten scharf (...) protestiert, weil sie (in den deutschnationalen Bestimmungen, E.S.) die schwerste Gefährdung ihrer nationalen, politischen und wirtschaftlichen Existenz erblickten.‟ (Grandner 1995, 66) 405 In Bezug auf dem zu dieser Zeit diskutierten Staatsbürgerschaftsgesetz bekleidete Renner diese Befürchtungen in für die Zeit typischen antisemitischen Manier. „Die ganze Presse der Welt, insbesondere des Westens sei von Journalisten beherrscht, die zum größten Teil Juden sind, meinte Staatskanzler Renner, und die ausländische Presse sei in der Frage der Behandlung der Juden als Staatsbürger äußerst empfindlich. Ein solches Gesetz (Staatsbürgerschaftsgesetzentwurf, E.S.) wäre nun schlimmer als das Staatsbürgerrecht in Russland und die Bestimmungen in Rumänien.‟ (Grandner 1995, 66) 406 Hervorhebung im Original
287 Ofner 408 - bei der Einbürgerung ein Zweiklassensystem eingeführt. Galizische Nichtheimatberechtigten mussten, um als Staatsbürger zu gelten und somit bei den bevorstehenden Nationalversammlungswahlen wählen zu dürfen, sich nach dem altösterreichischen Recht bewerben. 409 Neoausländer aus allen anderen Teilen Excisleithaniens konnten die neue Staatsbürgerschaft erwerben, indem sie einen ordentlichen Wohnsitz in Österreich nachweisen konnten und eine Erklärung abgaben, getreue Staatsbürger der neuen deutschen Republik sein zu wollen. 410 Langansässige und assimilationswillige Altausländer - vorwiegend aus dem Königreich Italien, dem Deutschen Reich und dem ehemaligen Russischen Reich - gehörten zu der bevorzugten zweiten Gruppe und wurden somit den ehemaligen, vorwiegend jüdischen Inländern aus Galizien 411 vorgereiht. Für die Italiener in Vorarlberg bedeutete dies, dass sowohl der aus den italienischen Gebieten Cisleithaniens (Görz, Istrien, Trentino, Triest) stammende Teil der Bevölkerung wie auch die aus dem Königreich stammenden Altausländer sich per einfacher schriftlicher Erklärung zum österreichischen Staat bekennen konnten, ohne dass sie ihre italienische Ethnizität formell aufgeben mussten. Somit wurden sie im Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen am 407 Hierbei ging es vordergründig, um die nach August 1914 angekommenen jüdischen Neoausländer. 408 Daß jüdische Vertreter des österreichischen Deutschliberalismus, wie Julius Ofner, und deklariert antirassistischen Sozialdemokraten wie Wilhelm Ellenbogen bei diesem Kuhhandel mitmachten, zeigt wie überwältigend der rassistische Konsens bei der Frage der Ostjuden zu dieser Zeit bereits war. Nach Besenböck war Ofner sonst eine der wenigen Stimmen in der Ersten Republik, die ständig gegen den amtlichen Rassismus Stellung bezog. Ofner schrieb später in bezug auf die Option: „Der Senat hat es zuwege gebracht, in den Artikel (80, St. Germain, E.S.) Antisemitismus hineinzudeuten, aus dem Wort Rasse den Gegensatz zwischen Ariern und Semiten zu lesen und den Juden allgemein das Recht auf Option nach Artikel 80 abzusperren.‟ (Ofner in NFP 12.08.21, zitiert nach Besenböck 1992, 145) Ellenbogen war nach Löw einer der wenigen Deutschen Sozialdemokraten in Österreich, der nicht nationalistisch bzw. rassistisch eingestellt war. Gemeinsam mit dem Führer der südslawischen Sozialdemokraten, dem Triestiner Slowenen Etbin Kristan, setzte sich Ellenbogen als einziger führender Deutscher gegen das nationalistische - und später rassistische bzw. faschistische - Prinzip der Territorialität von Nationen, Völker und Rassen ein. Kristan argumentierte, daß die Schaffung nationaler Territorien die Reibungsflächen zwischen den Nationalitäten nur wenig mildern würde, da jede geschaffene Formation zwangsläufig Minderheiten einschließen müßte, die wiederum diskriminiert würden. Ellenbogen ging sogar weiter, indem er aufzeigte, daß man durch Ausrufung von geschlossenen ethnischen Territorien dem Mehrheitsvolk „ein Recht auf unbeschränkte Unterdrückung einer anderen Nation‟ zugestehen mußte (Löw 1984, 39). Genau dies ist in Deutschösterreich nach 1918 eingetreten, ironischerweise mit der anfänglichen Duldung von Ofner und Ellenbogen; Vgl. auch Lehmann 1932. Die Tragik der österreichischen Minderheitenpolitik scheint zu sein, daß in entschiedenen Momenten auch die Gegner des Rassismus und Freunde der Multikulturalität gegen ihr Gewissen handeln. 409 D.h. zehn Jahre in Deutschösterreich wohnhaft sein und die Zusicherung der Verleihung der Heimatzuständigkeit von einer in Deutschösterreich gelegenen Gemeinde. 410 Ein ursprünglich auf Betreiben der Deutschnationalen inkludiertes Zwangsbekenntnis zur deutschen Nation wurde auf Druck des SDAP eliminiert. Sie befürchteten mit Recht dadurch ihre tschechische Wählerschaft teilweise zu verlieren (Grandner 1995, 64). 411 Aus heute unerklärlichen Gründen (Mussak 1995, 20) wurden auch Heimatberechtigte aus den südslawischen Teilen Cisleithaniens benachteiligt und gehörten mit Galizien in die erste Gruppe. Wie hoch die italienische Auswanderung aus Istrien nach Deutschösterreich zu diesem genauen Zeitpunkt war, ist nicht genau feststellbar, sie dürfte aber nicht ins Gewicht gefallen sein. Die Inkludierung dieser Gebiete aus antisemitischen Gründen ist auch unwahrscheinlich, da nach der Volkszählung von 1910 der jüdische Bevölkerungsanteil in diesen adriatischen Regionen - mit Ausnahme von Dubrovnik -
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Arbeiterpartei Deutschösterreichs (SDAP) zu einem Anliegen, die Staatsbürgerschaftsfrage<br />
von der Zuständigkeit zu einer Gemeinde im Inland zu entkoppeln (Mussak 1995, 18).<br />
"In Hinblick auf die schon für Jänner 1919 geplanten Wahlen zur Konstituierenden<br />
Nationalversammlung musste also der Sozialdemokratischen Partei an einem einfachen<br />
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in den meisten Gemeinden liegen" meinten Heinrich Schneidmald und Hubert Schnopfl<br />
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unmöglich sein, die Zusicherung der Aufnahme in den Heimatverband zu erhalten, an deren<br />
Einbürgerung wir ein Interesse haben." (Grandner 1995, 63) 406<br />
Bei der Ausgrenzung aus dem Nationalverband der Deutschen in Österreich ging es zu dieser<br />
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Christlichsozialen und Liberalen - unter anderem des liberalen jüdischen Abgeordneten Julius<br />
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Ab November 1918 gehören Reichsitaliener, Welschtiroler, wie auch die Italiener den anderen ehemaligen<br />
Reichsratsländern zu einer Gruppe.<br />
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von der deutschösterreichischen Nationalführung durchaus erkannt. Staatskanzler Karl Renner wies beispielsweise<br />
daraufhin, daß eine minderheitenfeindliche Regelung in Deutschösterreich zu Vergeltungsmaßnahmen führen mußte.<br />
„Vertreter der deutschen Minorität im ostmährisch-schlesischen Industriegebiet beispielsweise hatten scharf (...) protestiert,<br />
weil sie (in den deutschnationalen Bestimmungen, E.S.) die schwerste Gefährdung ihrer nationalen, politischen und<br />
wirtschaftlichen Existenz erblickten.‟ (Grandner 1995, 66)<br />
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In Bezug auf dem zu dieser Zeit diskutierten Staatsbürgerschaftsgesetz bekleidete Renner diese Befürchtungen in für die<br />
Zeit typischen antisemitischen Manier. „Die ganze Presse der Welt, insbesondere des Westens sei von Journalisten<br />
beherrscht, die zum größten Teil Juden sind, meinte Staatskanzler Renner, und die ausländische Presse sei in der Frage der<br />
Behandlung der Juden als Staatsbürger äußerst empfindlich. Ein solches Gesetz (Staatsbürgerschaftsgesetzentwurf, E.S.)<br />
wäre nun schlimmer als das Staatsbürgerrecht in Russland und die Bestimmungen in Rumänien.‟ (Grandner 1995, 66)<br />
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