REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

278 welschtiroler Zuwanderer wohnhaft waren. Somit sahen sich die Heeresverwaltung, Innenministerium und deutschösterreichischen Gemeindebehörden mit einem für sie anfangs kaum durchdringlichen Geflecht von ethnischen und familiären Beziehungen, das auf sie nur als Verschwörung wirken konnte, konfrontiert. Eine in Jänner 1917 fertiggestellte Gesamtliste der unverläßlichen Elemente (Sonderbericht) im Kanton Sankt Gallen, Liechtenstein und Vorarlberg macht deutlich, dass in allen drei Gebieten die vor langer Zeit zugewanderten Welschtiroler und Reichstiroler, italienischen Südtirolflüchtlinge und konspirativ agierenden Agenten des Königreichs Italien vom Verfasser als eine Einheit gesehen werden. Da in diesem Teil des Forschungsberichts nicht im Detail auf die Zuwanderung von Welschtirolern eingegangen werden kann, soll hier stellvertretend die Einleitung des Sonderberichts über die Nachrichtenvermittlung im Grenzverkehr, k.k. Zensurstelle Feldkirch ausführlich zitiert werden. "Längere Beobachtungen der letzten Zeit haben ergeben, dass zwischen den Italienerkolonien der schweizerisch-österreichischen Grenze einerseits und zwischen diesen und zahlreichen Orten im Bereiche der Südwestfront / enges Kriegsgebiet / andererseits, sehr starke Nachrichtenvermittlung besteht. Besonders viele Südtiroler halten sich in Liechtenstein, Feldkirch, Lustenau, Dornbirn, Bregenz, St. Margarethen, u. auch in St. Gallen auf, wo auch viele Triestiner und verdächtige Reichsitaliener sich befinden, die teilweise im Dienste der italienischen Spionage stehen. Desgleichen in den Schweizer-Bodenseeorten. Es ist erwiesen, dass in all den genannten Orten sich auch Angehörige von solchen Oesterreichern italienischer Zunge befinden, die teils als politisch verdächtig in Oesterreich interniert sind, oder als desertionsverdächtig und fast sichere Ueberläufer in russischer Kriegsgefangenschaft leben. Diese Feststellung wurde durch Ueberprufung der Post dieser Orte, anhand der einschlägigen Deserteursverzeichnisse und Listen über verdächtige Italiener, sowie des 'Bollettino', gemacht. Somit befinden sich in diesen Kolonien beiderseits der Grenze sehr viele unzuverlässige Elemente, die untereinander die regsten Beziehungen unterhalten. Die verwandtschaftlichen Beziehungen dieser Italiener reichen vielfach nach Italien, was durch Vermittlungsbriefe festgestellt wurde. Besonders die in Liechtenstein ansässigen Italiener spielten bis vor Kurzem in der Nachrichtenvermittlung zwischen der Schweiz und Vorarlberg und im weiteren Sinne zwischen Italien und dem Bereiche der Südwestfront eine Rolle. (...)

279 In Liechtenstein halten sich in den dortigen Spinnereien und Fabriken, besonders in Schaan, Vaduz, Flums, sehr viele Italiener auf, besonders weiblichen Geschlechts, die starke Korrespondenz mit Tirol und der Schweiz unterhalten und sich fast durchwegs mit Briefvermittlung zwischen Italien/Profughi und okkupiert/befassten. (...) In Vorarlberg halten sich sehr viele Italiener auf, die abgesehen von den Italienerkolonien, meist erst während des Krieges hergekommen sind und die sich in den Strickereiorten Hard, Fussach, Lustenau, Dornbirn, Kennelbach, Bregenzerwald etc. aufhielten. Es sind sowohl Arbeiter, als auch Staatsangestellte aller Kategorien." (BH/Feldkirch,1917,614,2209) Für die Ausländerpolitik in Dornbirn hat diese pauschale Verdächtigung alles Nichtdeutschen gravierende Folgen. Die Unschuldsvermutung wurde auf den Kopf gestellt. In einer Art Beweislastumkehr mussten alle italienischsprachigen Einwohner der Stadt unter Beweis stellen, dass sie nicht Irredentisten waren. Neben den oben dargestellten Briefzensurpraktiken gegenüber Nichtdeutschsprachigen beeinträchtigte die Zugehörigkeit zur italienischer Nation auch die Chancen Arbeit zu finden, vor allem bei den Frauen. "Nach einem Berichte der Bezirkshauptmannschaft Bregenz sind in diesem Bezirke durch Betriebseinstellungen und Beschränkungen insbesondere in der Textilindustrie zahlreiche Arbeiterinnen brotlos geworden und würden voraussichtlich in kürzester Zeit der öffentlichen Mildtätigkeit zur Last fallen, wenn sich nicht für viele dieser Arbeitslosen Gelegenheit gefunden hätte, in der benachbarten Schweiz in Arbeitsstellen unterzukommen. Das k.u.k. Landesverteidigungs-Kommando hat aus diesem Anlasse gestattet, dass auch den Arbeiterinnen italienischer Nationalität der einmalige Grenzübertritt nach der Schweiz unter den obenangegebenen Umständen zu gestatten ist, wenn sie nachweisbar in der Schweiz Arbeitsgelegenheit finden und schon vor Ausbruch des italienischen Krieges in Vorarlberg Aufenthalt und Beschäftigung hatten. Die diesbezüglichen Gesuche sind auf das Zutreffen der erwähnten Voraussetzungen genauestens zu prüfen. Evakuierten und Flüchtlingen aus Südtirol ist der Grenzübertritt jedenfalls zu verweigern." (BH/Feldkirch,1915,569,4938/2prs) Für Italiener mit cisleithanischer Staatsangehörigkeit war eine direkte politische Verfolgung nicht zwingend. Nach der Bestandsaufnahme der Feldkircher Zensurstelle waren jedoch

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In Liechtenstein halten sich in den dortigen Spinnereien und Fabriken, besonders in Schaan,<br />

Vaduz, Flums, sehr viele Italiener auf, besonders weiblichen Geschlechts, die starke<br />

Korrespondenz mit Tirol und der Schweiz unterhalten und sich fast durchwegs mit<br />

Briefvermittlung zwischen Italien/Profughi und okkupiert/befassten. (...) In Vorarlberg halten<br />

sich sehr viele Italiener auf, die abgesehen von den Italienerkolonien, meist erst während des<br />

Krieges hergekommen sind und die sich in den Strickereiorten Hard, Fussach, Lustenau,<br />

Dornbirn, Kennelbach, Bregenzerwald etc. aufhielten. Es sind sowohl Arbeiter, als auch<br />

Staatsangestellte aller Kategorien." (BH/Feldkirch,1917,614,2209)<br />

Für die Ausländerpolitik in Dornbirn hat diese pauschale Verdächtigung alles Nichtdeutschen<br />

gravierende Folgen. Die Unschuldsvermutung wurde auf den Kopf gestellt. In einer Art<br />

Beweislastumkehr mussten alle italienischsprachigen Einwohner der Stadt unter Beweis<br />

stellen, dass sie nicht Irredentisten waren. Neben den oben dargestellten Briefzensurpraktiken<br />

gegenüber Nichtdeutschsprachigen beeinträchtigte die Zugehörigkeit zur italienischer Nation<br />

auch die Chancen Arbeit zu finden, vor allem bei den Frauen.<br />

"Nach einem Berichte der Bezirkshauptmannschaft Bregenz sind in diesem Bezirke durch<br />

Betriebseinstellungen und Beschränkungen insbesondere in der Textilindustrie zahlreiche<br />

Arbeiterinnen brotlos geworden und würden voraussichtlich in kürzester Zeit der öffentlichen<br />

Mildtätigkeit zur Last fallen, wenn sich nicht für viele dieser Arbeitslosen Gelegenheit<br />

gefunden hätte, in der benachbarten Schweiz in Arbeitsstellen unterzukommen. Das k.u.k.<br />

Landesverteidigungs-Kommando hat aus diesem Anlasse gestattet, dass auch den<br />

Arbeiterinnen italienischer Nationalität der einmalige Grenzübertritt nach der Schweiz unter<br />

den obenangegebenen Umständen zu gestatten ist, wenn sie nachweisbar in der Schweiz<br />

Arbeitsgelegenheit finden und schon vor Ausbruch des italienischen Krieges in Vorarlberg<br />

Aufenthalt und Beschäftigung hatten. Die diesbezüglichen Gesuche sind auf das Zutreffen der<br />

erwähnten Voraussetzungen genauestens zu prüfen. Evakuierten und Flüchtlingen aus<br />

Südtirol ist der Grenzübertritt jedenfalls zu verweigern." (BH/Feldkirch,1915,569,4938/2prs)<br />

Für Italiener mit cisleithanischer Staatsangehörigkeit war eine direkte politische Verfolgung<br />

nicht zwingend. Nach der Bestandsaufnahme der Feldkircher Zensurstelle waren jedoch

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