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REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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262<br />

IV. ÜBERGÄNGE <strong>UND</strong> KONTINUITÄTEN<br />

Das Jahr 1918 wird gern als Ende einer Epoche gesehen. In der Ausländerpolitik<br />

kennzeichnet es eher eine Fortsetzung von Tendenzen, die sich bereits 20 Jahre vorher<br />

abgezeichnet haben. Um die Zusammenhänge zwischen den Friedenszeiten der Monarchie<br />

und dem Ersten Weltkrieg einerseits und den darauffolgenden Zeitabschnitten andererseits<br />

sichtbar zu machen, wurden zwei Fallbeispiele ausgesucht, die viele Komponenten der<br />

allgemeinen Entwicklung der österreichischen Ausländerpolitik in sich vereinen. Sie werden<br />

im folgenden vorgestellt. In den Umbruchsjahren 1918 bis 1925 wurden drei wichtige<br />

ausländerpolitische Maßnahmen gesetzt, die nicht nur für die damalige Zeit indikativ waren,<br />

sondern auch die Klammer um die drei Staatsformen Monarchie, Republik und Diktatur<br />

deutlich machen. Die Ausländerpolitik dieser drei Staatsformen wird anhand der zwei<br />

Fallbeispiele untersucht.<br />

Nach dem Auseinanderbrechen des Vielvölkerstaates gingen die cisleithanischen<br />

Nachfolgerstaaten daran, ihre politischen Systeme und Arbeitsmärkte ethnisch voneinander<br />

abzugrenzen. Diese Ethnisierungsbestrebungen erreichten mit der Verlautbarung der<br />

Vollzugsanweisung von 20. August 1920 zur österreichischen Option ihren logischen<br />

Hohepunkt. Hiernach wurde Österreich nach sprachlichen und rassischen (sic!)<br />

Gesichtspunkten zu einem deutschen Staat erklärt. Anwerber um die österreichischen<br />

Staatsbürgerschaft nach dem Optionsrecht mussten selber beweisen, dass sie "nach Rasse und<br />

Sprache zur deutschen Mehrheit der Bevölkerung Österreichs" (Grandner 1985, 75) gehörten.<br />

Diese Beweislastumkehr sollte dafür Sorge tragen, dass die Optionsbestimmungen, um den<br />

sozialdemokratischen 373 Landeshauptmann von Niederösterreich Albert Sever zu zitieren,<br />

"auf die sogenannten Ostjuden und auf die vor dem Kriege in Ungarn ansässig gewesenen<br />

Israeliten keine Anwendung finden kann." (Grandner 1985, 75) Somit wurde die Strategie der<br />

373 Hier sollte vorausgeschickt werden, daß obwohl einige Sozialdemokraten wie Sever nach dem Ersten Weltkrieg offen<br />

antisemitisch und rassistisch agierten, nicht daraus geschlossen werden sollte, daß die SDAP als Partei oder gar die<br />

Sozialdemokratie als Bewegung zu dieser Zeit antisemitisch oder rassistisch war. Viele Politiker agierten gegen ihr<br />

internationalistisches, freidenkerisches oder freisinniges Gewissen in der Frage Minderheiten- und Ausländerpolitik, da für<br />

sie andere Fragen - wie etwa allgemeine sozialpolitische Reformen oder betriebliche Mitbestimmung - wichtiger waren, und<br />

sie nicht auf allen Fronten kämpfen konnten oder wollten. Eine der Aufgabe dieses Abschnittes wird es sein, festzustellen,<br />

wo die sozialdemokratischen und liberalen Reformpolitiker bewußt antirassistisch agierten und wo sie den rassistischen und<br />

antisemitischen Druck von rechts (Deutschnationale, Christlichsoziale) nachgaben. Als Arbeitsthese wird von der Annahme<br />

ausgegangen, daß die Politik der Ersten Republik nur dort ausländer- und minderheitenfreundlich war, wo die betroffenen<br />

Gruppen (v.a. Tschechen, Italiener, Juden) konflikt- und politikfähig waren; d.h. in der Lage waren, innerhalb des<br />

politischen Systems eigene Eliten mit Hausmacht (ethnic clout) zu bilden. Der Elitenbildungsansatz wird auch für die<br />

Zweite Republik erkenntnisleitend sein.

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