REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

228 Ministeriums des Inneren. In Ungarn war und ist die Zigeunerfrage von größerer Bedeutung als in Österreich, weil von ungefähr 200.000 in unserer Monarchie lebenden Zigeunern kaum 10% auf Oesterreich entfallen und überdies ein beträchtlicher Teil der im diesseitigen Staatsgebiete lebenden Zigeuner - so insbesonders in Mähren - sich ansässig gemacht hat, somit das Wandern ohne ordentlichen Wohnsitz zu haben, aufgegeben hat. Das es aber in Oesterreich noch immer Wanderzigeuner gibt und überdies auch Zigeunerbanden aus Nachbarländern insbesondere aus Ungarn herüberkommen, bemüht sich die österreichische Regierung (k.k. Ministerium des Inneren) durch Maßnahmen polizeilicher Natur diese Plage einzudämmen. Dieser Zweck wird jetzt durch die beabsichtigte Erlassung einer Verordnung nach dem beiliegenden Entwurfe verfolgt. Die Verordnung soll auf Grund der Kaiserlichen Verordnung von 10. Oktober 1914, R.G.Bl. Nr. 274, erlassen werden, ist also eine vorübergehende Maßnahme (für die Dauer der durch den Krieg verursachten außerordentlichen Verhältnisse) gedacht." Nach der cisleithanischen Verordnung über Maßnahmen zur Bekämpfung des Zigeunerwesens wurde am 20. Oktober 1916 eine Romaerfassungsaktion des Innenministeriums in ganz Österreich durchgeführt. Roma, die versuchten sich der Erfassung zu entziehen wurden mit einer Geldstrafe von bis zu fünftausend Kronen und mit Arrest von bis zu sechs Monaten bestraft (§13). Ab 1. November wurde den Roma das Herumziehen im Lande verboten. Diese Behandlung einer zu dieser Zeit noch als österreichisch eingestuften Minderheit nahm der romani Bevölkerung fast alle ihnen durch das Staatsgrundgesetz garantierten Grundrechte weg. Mit Ausnahme der physischen Vernichtung beinhaltet die Zigeunerpolitik des Ersten Weltkrieges sämtliche diktatorische Aspekte der Romaverfolgung des Zweiten Weltkriegs. Nach §7 der Verordnung wurden alle Roma über 14 Jahren zu Zwangsarbeit verpflichtet. Sämtliche "im Umherziehen betriebenen Gewerbetätigkeit" war für Roma gänzlich verboten. Nach §8 durften Mitglieder der romani Volksgruppe die zugewiesene Arbeitsgemeinde beziehungsweise Heimatgemeinde ohne Bewilligung der politischen Bezirks- oder zuständigen Polizeibehörde nicht verlassen. Alle Roma über 14 Jahre wurden mit einem eigenen Ausweis (§5) ausgestattet, "der seinen Familienname und Vorname, Vorname des Vater, Vornamen und Mädchenname der Mutter, Geburtszeit und Geburtsort, Heimatzuständigkeit, Religion, Stand (ledig, verheiratet oder verwitwet),

229 Beschäftigung, Personenbeschreibung, eigenhändige Unterschrift und Fingerabdruck zu erhalten hat 337 ." (MföA,1916,2463,45294) Ein Indiz dafür, dass die Zigeunererlässe Österreichs und Ungarns nicht genau eingehalten werden konnten ist in einem Runderlaß der K.k. Statthalterei in Böhmen zu erkennen. Hiernach waren die Behörden noch im Juli 1918 mit dem bestimmungslosen Herumziehen der Roma konfrontiert. Hierbei dürfte es sich sowohl um Staatsangehörige, wie um Staatsfremde beziehungsweise Reichsfremde gehandelt haben 338 . "Der Uebertritt von einem Lande in das andere ist bei nichtheimatberechtigten Zigeunern schon von der Grenzbezirkshauptmannschaft zu verhindern. Bei männlichen Personen landsturmpflichtigen Alters ist stets genau die Stellungs- und bezw. Musterungspflicht auf Grund der in ihren Händen befindlichen Ausweispapiers sicherzustellen, bei dem geringsten Zweifel sind sie stets der nächsten politischen oder Militärbehörde anzuzeigen oder vorzuführen. Zigeuner ohne Reiseausweis und ohne Erwerb sind wegen Landstreicherei anzuzeigen bezw. als erwerbslos abzuschieben." (MföA,1918,2463,2642) 3. Fortsetzung der Zwangsarbeiterdebatte Böhmen, Mähren und Bukowina stellten die Zentren der Romazwangsansiedlung innerhalb Cisleithanien dar. Es ist anzunehmen, dass die ehemaligen cisleithanischen Roma mit Heimatberechtigung in diesen Teilen der Monarchie nach dem Ersten Weltkrieg nicht die Möglichkeit bekamen für die deutschösterreichische Staatsangehörigkeit zu optieren. Sie konnten nun - befanden sie sich in Deutschösterreich - als erwerbslose Ausländer problemlos ausgewiesen werden. Somit wurde Österreich das Problem der Zigeunerplage 1918/19 vorübergehend los. Deutschungarn gehörte zu den Hauptsiedlungsgebieten der Roma Transleithaniens. Als die westlichen Randgebiete Ungarns im Rahmen des Friedensvertrags von Trianon 1921 an Österreich abgetreten werden mussten, erbte der vorwiegend deutsche 337 Inwiefern Erfassung, Zwangsarbeit und Abschaffung des Rechtes auf freie Bewegung bei romani Österreichern im Ersten Weltkrieg das Verhalten der ostmärkischen Behörden im Deutschen Reich präjudiziert hat, kann derzeit nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Ein kausaler Zusammenhang zwischen den beiden Weltkriegen ist jedoch nicht auszuschließen, da die allgemeine österreichische Zigeunerpolitik in der gleichgeschalteten Exekutive im Dritten Reich fortwirkte (Thurner 1983, 31-36). 338 In den Zigeunerplage Akten wird nur in den seltensten Fällen zwischen inländischen und ausländischen Roma unterschieden. Da man dieser Minderheit - teils offen, teils versteckt - nicht den gleichen staatsgrundgesetzlichen Schutz zubilligte wie den anderen Volksgruppen der Monarchie, konnten romani Inländer in vielen Fällen weniger Rechte für sich in Anspruch nehmen als nichtromani Ausländer. Bereits in der Monarchie waren sie also teilweise Ausländer im eigenen Land.

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Beschäftigung, Personenbeschreibung, eigenhändige Unterschrift und Fingerabdruck zu<br />

erhalten hat 337 ." (MföA,1916,2463,45294)<br />

Ein Indiz dafür, dass die Zigeunererlässe Österreichs und Ungarns nicht genau eingehalten<br />

werden konnten ist in einem Runderlaß der K.k. Statthalterei in Böhmen zu erkennen.<br />

Hiernach waren die Behörden noch im Juli 1918 mit dem bestimmungslosen Herumziehen der<br />

Roma konfrontiert. Hierbei dürfte es sich sowohl um Staatsangehörige, wie um Staatsfremde<br />

beziehungsweise Reichsfremde gehandelt haben 338 .<br />

"Der Uebertritt von einem Lande in das andere ist bei nichtheimatberechtigten Zigeunern<br />

schon von der Grenzbezirkshauptmannschaft zu verhindern. Bei männlichen Personen<br />

landsturmpflichtigen Alters ist stets genau die Stellungs- und bezw. Musterungspflicht auf<br />

Grund der in ihren Händen befindlichen Ausweispapiers sicherzustellen, bei dem geringsten<br />

Zweifel sind sie stets der nächsten politischen oder Militärbehörde anzuzeigen oder<br />

vorzuführen. Zigeuner ohne Reiseausweis und ohne Erwerb sind wegen Landstreicherei<br />

anzuzeigen bezw. als erwerbslos abzuschieben." (MföA,1918,2463,2642)<br />

3. Fortsetzung der Zwangsarbeiterdebatte<br />

Böhmen, Mähren und Bukowina stellten die Zentren der Romazwangsansiedlung innerhalb<br />

Cisleithanien dar. Es ist anzunehmen, dass die ehemaligen cisleithanischen Roma mit<br />

Heimatberechtigung in diesen Teilen der Monarchie nach dem Ersten Weltkrieg nicht die<br />

Möglichkeit bekamen für die deutschösterreichische Staatsangehörigkeit zu optieren. Sie<br />

konnten nun - befanden sie sich in Deutschösterreich - als erwerbslose Ausländer problemlos<br />

ausgewiesen werden. Somit wurde Österreich das Problem der Zigeunerplage 1918/19<br />

vorübergehend los. Deutschungarn gehörte zu den Hauptsiedlungsgebieten der Roma<br />

Transleithaniens. Als die westlichen Randgebiete Ungarns im Rahmen des Friedensvertrags<br />

von Trianon 1921 an Österreich abgetreten werden mussten, erbte der vorwiegend deutsche<br />

337 Inwiefern Erfassung, Zwangsarbeit und Abschaffung des Rechtes auf freie Bewegung bei romani Österreichern im Ersten<br />

Weltkrieg das Verhalten der ostmärkischen Behörden im Deutschen Reich präjudiziert hat, kann derzeit nicht mit Sicherheit<br />

festgestellt werden. Ein kausaler Zusammenhang zwischen den beiden Weltkriegen ist jedoch nicht auszuschließen, da die<br />

allgemeine österreichische Zigeunerpolitik in der gleichgeschalteten Exekutive im Dritten Reich fortwirkte (Thurner 1983,<br />

31-36).<br />

338 In den Zigeunerplage Akten wird nur in den seltensten Fällen zwischen inländischen und ausländischen Roma<br />

unterschieden. Da man dieser Minderheit - teils offen, teils versteckt - nicht den gleichen staatsgrundgesetzlichen Schutz<br />

zubilligte wie den anderen Volksgruppen der Monarchie, konnten romani Inländer in vielen Fällen weniger Rechte für sich<br />

in Anspruch nehmen als nichtromani Ausländer. Bereits in der Monarchie waren sie also teilweise Ausländer im eigenen<br />

Land.

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