REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

226 "Allerdings darf nicht außer acht gelassen werden, dass diese (Wandergewerbescheine, E.S.) auf Grund von Lizenzen und daher behördl. Aut. Gewerbeausübungen für Zigeuner eine der wenigen Möglichkeiten redlichen Broterwerbes bedeuten." (MföA,1914,2463,9130) An dem Entzug der Möglichkeiten eines redlichen Broterwerbs scheint es jedoch dem Innenministerium und den Landesregierungen Oberösterreichs und Salzburgs gelegen gewesen zu sein. Im Vergleich zu den Sicherheitsbedenken der österreichischen Gemeinden scheinen die übergeordneten Grundrechte der Gewerbe- und Bewegungsfreiheit und das freisinnige Prinzip der Gleichbehandlung aller Staatsangehörigen zweitrangig gewesen zu sein. Knapp zwei Wochen nach dem Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand (28.06.1914) teilte das Handelsministerium dem Ministerium des Inneren mit, dass es nun doch bereit sei, "soferne es dem k.k./. als wünschenswert erscheinen sollte, zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens dadurch beizutragen, dass es an die untenstehenden Gewerbebehörden eine Weisung des Inhaltes erlässt, bei Ausstellung und Verlängerung von Lizenzen für die im Umherziehen betriebenen gewerblichen Verrichtungen an Zigeuner mit der größten Rigorosität vorzugehen (...)" sei. Die "Erteilung eines Hauerierpasses an Zigeuner (war nun) beinahe aus dem Bereich der Möglichkeit" gerückt worden. (MföA,1914,2463,9130) Roma wurde es somit indirekt verboten, die Berufe, die sie traditionell am besten beherrschten, auszuüben. Sie konnten nun ohne weiteres jederzeit aufgegriffen und wegen Erwerbslosigkeit aus jeder beliebigen fremden Gemeinde in ihre Heimatgemeinde in den Nordosten Cisleithaniens, nach Ungarn oder ins Ausland abgeschoben werden. Der a priori Ausschluß einer Volksgruppe aus der gewerblichen Arbeit stellt einen Präzedenzfall dar, der (womöglich) Anfang der Ersten Republik Schule machte. Zum ersten Mal seit 1867 standen bei einer arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Entscheidung ethnische Gesichtspunkte im Vordergrund. Die Migrationsfrage wurde somit reethnisiert. (sei es) gelungen, eine ganze Reihe von Zigeunerfamilien zur seßhaften Lebensweise zu bringen und dort anzusiedeln. Dieselben gehen einem regelmäßigen Erwerbe als Taglöhner und Feldarbeiter nach und werden vielfach auch bei öffentlichen Bau- und Regulierungsarabeiten beschäftigt, wobei die Gemeindevorsteher auf den regelmäßigen Schulbesuch der Kinder hinwirken. Das Dpt. 7 glaubt daher, daß es nicht zweckmäßig wäre, besondere Weisungen an die Gewerbebehörde in Bezug auf die Ausstellung von Gewerbescheinen an Zigeuner zu erlassen (...). Da auch das Dpt. 6 gegen eine solche Maßnahme in Bezug auf die Ausstellung von Hausierpässen sich ausgesprochen hat, würden nur die vom Dpt. 9 beabsichtigten Weisungen bezgl. Die Ausstellung und Verlängerung von Lizenzen für die im Umherziehen betriebenen gewerblichen Verrichtungen erübrigen. (MföA,1914,2463,9130).

2. ethnische Aspekte der Kriegsdiktatur 336 227 Dass diese Verschärfung, die immerhin seit 1907 debattiert wurde, in den Tagen unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs dann doch rasch durchgesetzt werden konnte, scheint kein Zufall gewesen zu sein. Xenophobie, Fremdenfeindlichkeit und Patriotismus wurden in den Wochen bis zum Angriff auf Serbien bewußt geschürt, um die Volksmeinung für den Krieg zu gewinnen. Ein wesentlich wichtigeres Indiz für den Zusammenhang zwischen Militarismus und ethnischer Unterdrückung bieten jedoch die Zigeunererlässe von 1916. Am 22. Mai 1916 teilte der Königliche Ungarische Minister des Inneren seinem Amtskollegen in Wien mit, dass es den Romaungarn bis Kriegsende verboten sei, sich innerhalb Transleithaniens frei zu bewegen. "Die Hemmung der Wanderzigeuner verursacht schon seit langem den Regierungen Sorgen. Die jetzigen außerordentlichen Zeiten einerseits dringen unaufschiebbar darauf, dass die von den herumziehenden Wanderzigeunern im gesteigerten Maße drohende Gefahr abgewendet werde, andererseits bieten die Ausnahmegesetze eine Rechtsbasis zu mehreren solchen Verfügungen, welche ansonsten kaum getroffen werden könnten. Aus den erwähnten Gründen habe ich - mit Ermächtigung des Gesamtministeriums - den in Abschrift angeschlossenen Erlaß hinausgegeben und so verfügt, dass die Vorführung der Wanderzigeuner im ganzen Lande zwischen 5. und 15. Juni l.J. erfolge." (MföA,1916,2463,45294) Hierauf wurde österreichischerseits auch ein Zigeunererlaß erarbeitet, der sich im wesentlichen mit den Bestimmungen des ungarischen Vorbildes deckte. "Seit Maria Theresia wird versucht, durch polizeiliche Maßnahmen der Zigeunerplage Herr zu werden. Diesen Zweck verfolgt auch der in Abschrift beiliegende Erlaß des ungarischen 336 Nach Wank wurde der Kriegsausbruch nur instrumentalisiert, um eine von den rechten Eliten langst angestrebte Wiedereinführung des Neoabsolutismus zu ermöglichen. Diese Bestrebungen wurden von Kaiser Franz-Joseph frustriert. „Even with the emperor still alive, the ruling elite saw the war as a means to create a „new order‟ in a neoabsolutist sense, although that was by no means the sole cause of the war. The emergency measures enacted by the Austrian government at the outbreak of the war - suspension of the constitution, military jurisdiction over all political „crimes‟, and censorship - were more drastic than those enacted in any other belligerent state. (...) Plans for a far-reaching constitutional change along authoritarian lines restoring the hegemony of the traditional elite and the German-Austrian bourgeoisie set in motion after the death of Emperor Franz Joseph in November 1916 foundered as a result of military reverses. Efforts to achieve that end continued after the war in the neoconservative and fascist movements of the first Austrian republic.‟ (Wank 1988, 307)

2. ethnische Aspekte der Kriegsdiktatur 336<br />

227<br />

Dass diese Verschärfung, die immerhin seit 1907 debattiert wurde, in den Tagen unmittelbar<br />

vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs dann doch rasch durchgesetzt werden konnte, scheint<br />

kein Zufall gewesen zu sein. Xenophobie, Fremdenfeindlichkeit und Patriotismus wurden in<br />

den Wochen bis zum Angriff auf Serbien bewußt geschürt, um die Volksmeinung für den<br />

Krieg zu gewinnen. Ein wesentlich wichtigeres Indiz für den Zusammenhang zwischen<br />

Militarismus und ethnischer Unterdrückung bieten jedoch die Zigeunererlässe von 1916. Am<br />

22. Mai 1916 teilte der Königliche Ungarische Minister des Inneren seinem Amtskollegen in<br />

Wien mit, dass es den Romaungarn bis Kriegsende verboten sei, sich innerhalb<br />

Transleithaniens frei zu bewegen.<br />

"Die Hemmung der Wanderzigeuner verursacht schon seit langem den Regierungen Sorgen.<br />

Die jetzigen außerordentlichen Zeiten einerseits dringen unaufschiebbar darauf, dass die von<br />

den herumziehenden Wanderzigeunern im gesteigerten Maße drohende Gefahr abgewendet<br />

werde, andererseits bieten die Ausnahmegesetze eine Rechtsbasis zu mehreren solchen<br />

Verfügungen, welche ansonsten kaum getroffen werden könnten. Aus den erwähnten<br />

Gründen habe ich - mit Ermächtigung des Gesamtministeriums - den in Abschrift<br />

angeschlossenen Erlaß hinausgegeben und so verfügt, dass die Vorführung der<br />

Wanderzigeuner im ganzen Lande zwischen 5. und 15. Juni l.J. erfolge."<br />

(MföA,1916,2463,45294)<br />

Hierauf wurde österreichischerseits auch ein Zigeunererlaß erarbeitet, der sich im<br />

wesentlichen mit den Bestimmungen des ungarischen Vorbildes deckte.<br />

"Seit Maria Theresia wird versucht, durch polizeiliche Maßnahmen der Zigeunerplage Herr<br />

zu werden. Diesen Zweck verfolgt auch der in Abschrift beiliegende Erlaß des ungarischen<br />

336 Nach Wank wurde der Kriegsausbruch nur instrumentalisiert, um eine von den rechten Eliten langst angestrebte<br />

Wiedereinführung des Neoabsolutismus zu ermöglichen. Diese Bestrebungen wurden von Kaiser Franz-Joseph frustriert.<br />

„Even with the emperor still alive, the ruling elite saw the war as a means to create a „new order‟ in a neoabsolutist sense,<br />

although that was by no means the sole cause of the war. The emergency measures enacted by the Austrian government at<br />

the outbreak of the war - suspension of the constitution, military jurisdiction over all political „crimes‟, and censorship -<br />

were more drastic than those enacted in any other belligerent state. (...) Plans for a far-reaching constitutional change along<br />

authoritarian lines restoring the hegemony of the traditional elite and the German-Austrian bourgeoisie set in motion after<br />

the death of Emperor Franz Joseph in November 1916 foundered as a result of military reverses. Efforts to achieve that end<br />

continued after the war in the neoconservative and fascist movements of the first Austrian republic.‟ (Wank 1988, 307)

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