REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

220 militärischen Auseinandersetzungen am Balkan war die Motivation, vor dem Kriegsdienst zu flüchten, sicherlich höher als in Friedenszeiten. Rein logistisch waren die Ausreiserouten jedoch kaum passierbar. Auch das Risiko für diejenigen - Stellungsflüchtlinge wie Agenten - die von den Behörden gestellt wurden, war beträchtlich höher. Die zwischen 1907 und 1913 florierende Auswanderergrenzstation Buchs kehrte zum ursprünglichen Dasein eines "ganz kleinen Grenznest(s)" zurück. Die wenigen illegalen Auswanderer, die den Weg durch Österreich wagten, mussten Vorarlberg und somit Buchs meiden und alternative Wege über Deutschland nach Übersee suchen. Obwohl dieser wichtigste Verkehrsweg blockiert war, ging die Wanderungszogwirkung nach Übersee nicht sofort zurück. Ein Beispiel dafür, dass die österreichischen und ungarischen Behörden durchaus berechtigte Gründe hatten, sich weiterhin um den "pull effect” aus Amerika zu sorgen, zeigt folgendes Rundschreiben der k.k. Statthalterei für Tirol und Vorarlberg (XI No. 3080/1) vom 25. August 1914, das ein Monat nach Verhängung des oben erwähnten ungarischen Auswanderungsverbotes anläßlich der Kriegserklärung mit Serbien ausgeschickt wurde. "Am 25. Oktober 1913 fand in New-Orleans die konstituierende Versammlung der amerikanischen Kolonialisationsgesellschaft 'Mississippi Valley Immigration Association' statt. Zwecke der Gesellschaft ist: (...) 2. Einflußnahme auf die verschiedenen Dampferlinien zur Einführung eines direkten Passagier-Dienstes nach New-Orleans. 3) Propaganda in Europa, zur Heranziehung von Einwanderern, welche über ein kleines Kapital verfügen, um als Farmer bei der Hebung der Agrikultur im Süden mitwirken könnten. Behufs Organisierung der Propaganda in Europa beabsichtigt die Gesellschaft an die Regierungen der Südstaaten mit dem Ersuchen heranzutreten, dass sie staatliche Agenten nach einzelnen europäischen Ländern entsenden. (...) Diese neue Kolonisationsgesellschaft ist als ein seriöses Unternehmen anzusehen (...). Infolge Erlasses des k.k. Ministeriums des Innern vom 14. Juli 1914, Zl 24 193 wird hievon mit dem Auftrage vertraulich in Kenntnis gesetzt, einer eventuellen Betätigung der 330 Landesarchiv Vorarlberg, Bezirksamt und Bezirkshauptmannschaft Feldkirch, Rep. 14/24, 1914-1918, Karton: 568: „Auswanderergrenzkontrolle, Verhütung von Wehrpflichtverletzungen durch Grenzüberschreitungen von Ungarn‟,

221 vorerwähnten Agenten oder anderer im Interesse der genannten Gesellschaft wirkende inländische Auswanderungsunternehmungen mit der gebotenen Strenge entgegenzutreten und über positive Wahrnehmungen zu berichten." 331 Diese heute als absurd anmutende Warnung an die westlichen Grenzstationen des Kaiserreiches wird nur dann verständlich, wenn man die Situation in New Orleans zu dieser Zeit kennt. Bereits vor dem amerikanischen Bürgerkrieg, aber um so entschlossener danach haben die Südstaaten der USA versucht, die Vormachtstellung New Yorks als Einwanderungszentrum strittig zu machen. Begünstigt durch den Bau des Eriekanals 1825, des Eisenbahnbaus in den Westen und die Eröffnung einer Bundeseinwanderungskommission bei Castle Garden 1847 (später bei Ellis Island), strahlte New York eine unheimliche Anziehung auf den Auswanderer in Mitteleuropa aus. Die Versuche der im Bürgerkrieg geschlagenen Südstaaten während der 1860er und 1870er Jahre in New Orleans ein Gegenstück zur Einwanderungsmetropole des Nordosten zu schaffen, scheiterte sowohl an Finanzierungsschwierigkeiten wie an mangelnder Unterstützung der Bundeseinwanderungsbehörden in Washington. Die Verwirklichung eines Ellis Island des Südens konnte nach den Verschärfungen im Immigrationssystem Ende des 19. Jahrhunderts dann doch im Angriff genommen werden. 1907 erhielt New Orleans, ähnlich wie New York 60 Jahre zuvor einen Bundeskommissär für Einwanderungsfragen. 1913 wurde das dem Vorbild Ellis Island nachempfundene Einwandererdepot am Mississippi endlich fertig gebaut und die ersten Immigranten abgefertigt. Durch einen Vertrag mit der Norddeutschen Lloyd in der zweiten Hälfte des gleichen Jahres wurde eine Direktverbindung zwischen Bremen und New Orleans hergestellt. Somit konnten die Einwanderungsagenten und Werbebüros der Südstaaten ihre Arbeit mit den "Reisebüros" der deutschen Reederei koordinieren und ausbauen. Just in dem Moment als New Orleans ansetzte, die Einwanderungsströme aus Italien, Rußland, Ungarn und Österreich in großem Stil in den Süden der Vereinigten Staaten zu lenken, brach der Erste Weltkrieg aus. Obwohl die riesigen Dampfer - mit ihren für das Rundschreiben k.k. Statthalterei für Tirol und Vorarlberg, 14.8.1914 (AIS: XXI/29/1914). 331 Landesarchiv Vorarlberg, Bezirksamt und Bezirkshauptmannschaft Feldkirch, Rep. 14/24, 1914-1918, Karton: 568: „Mississippi Valley Immigration Associaltion‟, Rundschreiben k.k. Statthalterei für Tirol und Vorarlberg, 25.8.1914 (AIS: XXI/29/1914).

221<br />

vorerwähnten Agenten oder anderer im Interesse der genannten Gesellschaft wirkende<br />

inländische Auswanderungsunternehmungen mit der gebotenen Strenge entgegenzutreten und<br />

über positive Wahrnehmungen zu berichten." 331<br />

Diese heute als absurd anmutende Warnung an die westlichen Grenzstationen des<br />

Kaiserreiches wird nur dann verständlich, wenn man die Situation in New Orleans zu dieser<br />

Zeit kennt. Bereits vor dem amerikanischen Bürgerkrieg, aber um so entschlossener danach<br />

haben die Südstaaten der USA versucht, die Vormachtstellung New Yorks als<br />

Einwanderungszentrum strittig zu machen. Begünstigt durch den Bau des Eriekanals 1825,<br />

des Eisenbahnbaus in den Westen und die Eröffnung einer Bundeseinwanderungskommission<br />

bei Castle Garden 1847 (später bei Ellis Island), strahlte New York eine unheimliche<br />

Anziehung auf den Auswanderer in Mitteleuropa aus. Die Versuche der im Bürgerkrieg<br />

geschlagenen Südstaaten während der 1860er und 1870er Jahre in New Orleans ein<br />

Gegenstück zur Einwanderungsmetropole des Nordosten zu schaffen, scheiterte sowohl an<br />

Finanzierungsschwierigkeiten wie an mangelnder Unterstützung der<br />

Bundeseinwanderungsbehörden in Washington.<br />

Die Verwirklichung eines Ellis Island des Südens konnte nach den Verschärfungen im<br />

Immigrationssystem Ende des 19. Jahrhunderts dann doch im Angriff genommen werden.<br />

1907 erhielt New Orleans, ähnlich wie New York 60 Jahre zuvor einen Bundeskommissär für<br />

Einwanderungsfragen. 1913 wurde das dem Vorbild Ellis Island nachempfundene<br />

Einwandererdepot am Mississippi endlich fertig gebaut und die ersten Immigranten<br />

abgefertigt. Durch einen Vertrag mit der Norddeutschen Lloyd in der zweiten Hälfte des<br />

gleichen Jahres wurde eine Direktverbindung zwischen Bremen und New Orleans hergestellt.<br />

Somit konnten die Einwanderungsagenten und Werbebüros der Südstaaten ihre Arbeit mit<br />

den "Reisebüros" der deutschen Reederei koordinieren und ausbauen.<br />

Just in dem Moment als New Orleans ansetzte, die Einwanderungsströme aus Italien,<br />

Rußland, Ungarn und Österreich in großem Stil in den Süden der Vereinigten Staaten zu<br />

lenken, brach der Erste Weltkrieg aus. Obwohl die riesigen Dampfer - mit ihren für das<br />

Rundschreiben k.k. Statthalterei für Tirol und Vorarlberg, 14.8.1914 (AIS: XXI/29/1914).<br />

331 Landesarchiv Vorarlberg, Bezirksamt und Bezirkshauptmannschaft Feldkirch, Rep. 14/24, 1914-1918, Karton: 568:<br />

„Mississippi Valley Immigration Associaltion‟, Rundschreiben k.k. Statthalterei für Tirol und Vorarlberg, 25.8.1914 (AIS:<br />

XXI/29/1914).

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