REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

204 Im konkreten Fall der Nationalisierung der Migrationspolitik durch das Abkommen zwischen "Canadian Pacific Railway" und Österreich Anfang 1913 erkennen die Sozialdemokraten den "musterhaften Auswanderungsdienste und hervorragende Wohlfahrtseinrichtungen" nicht, die nach dem Liberalen von Philippovich so "denkbar günstig" wären. Nach Diamand wollte das Handelsministerium ursprünglich mit Hilfe von CPR innerhalb der Transportindustrie lediglich Zweispalt säen, "um ihr fein ausgeklügeltes Polizeisystem zur Unterbindung der Freizügigkeit und der Auswanderungsfreiheit durchzuführen." Danach sollte CPR fallengelassen werden und eine neue Vereinbarung mit dem Pool angestrebt werden. Im Gegensatz zu den bürgerlich-liberalen Migrationsforschern, die immerhin einen möglichen, wenn zu dieser späten Zeit kaum realistischen Ausgleich in der Wanderungspolitik anstreben, erwarten die Sozialdemokraten keine ausgewogenen Vorschläge vom "Klassenstaat". Das Schlimmste wird erwartet und auch angenommen. "Grundlage des Planes der österreichischen Regierung bildet die Organisation der Schiffahrtsgesellschaften, somit der Pool. Der mit Hilfe der C.P.R. bekämpfte und dann durch innere Schwierigkeiten zerschlagene Pool wurde der Gegenstand der Fürsorge des Handelsministeriums, die Beteiligung am österreichischen Auswanderergeschäft abhängig gemacht von der Zugehörigkeit zum Pool. (...) (D)er Kampfplan der Canadian war auf die Kampfgenossenschaft (mit) der österreichischen Staatsverwaltung gegründet, deren Vertragstreue in den Interessen der Bevölkerung schien." 312 Diese Naivität bezüglich der Beweggründe des österreichischen Staates ließen den Nordamerikaner - so Diamand - im Streit des Handelsministeriums mit dem Pool leicht als Spielball mißbrauchen. Am Ende einigte man sich dann doch mit den "rücksichts- und skrupellosen" Norddeutschen, die "Österreich sehr gründlich zu kennen" schienen. "Die Austro-Americana, eine Poolgesellschaft, erhält das Monopol des Schiffskartenverkaufs, sie verschliesst die Karten für alle Poolmitgleider. Wer dem Pool nicht angehört, kann in Österreich keine Karten verkaufen; hingegen gestattet der Pool österreichischen Beamten in allen europäischen Häfen, seine Schiffe nach Auswandern zu fahnden, welche die Erlaubnis auszuwandern nicht erhalten haben, weil sie das Landsturmalter noch nicht erreicht haben. (...) Die ganze Polizeihetze gegen die Auswanderer spitzt sich darauf zu, sie dem Pool

205 zuzutreiben und von jeder Konkurrenzunternehmung fernzuhalten. Die polnische Emigrationsgesellschaft fordert die Auswanderer öffentlich auf, diejenigen Bezirkshauptleute namhaft zu machen, welche die Ausfolgung eines Reisepasses von dem Kauf der Schiffskarte bei dem von ihnen bezeichneten Agenten abhängig machen und die einzigen kartenverkaufenden Agenten sind die Büros der Austro-Americana. Der Vertrag zwischen Regierung und Pool hat eine Endosmose zur Folge, der Pool hat auf seinen Schiffen die Aufgabe der Polizei übernommen, er lässt keinen im vorlandsturmpflichtigen Alter stehenden Oesterreicher über See, sobald es die österreichische Regierung verlangt und die Regierungsorgane haben die Rolle der Auswanderer zuführenden Agenten übernommen. Privatpersonen ist dieser Beruf jetzt untersagt worden." Ob diese aus dem Jahr 1913 stammende Abmachung tatsächlich besser als die gescheiterte Nationalisierung der Migrationagenturen in Ungarn funktioniert hätte, kann angesichts der Tatsache, dass der Erste Weltkrieg sich kurz darauf angekündigt hat, kaum beurteilen lassen. Der galizische Sozialdemokrat Diamand zweifelte daran, dass das Handelsministerium tatsächlich geschickt genug gewesen wäre, die großen Reedereien tatsächlich zur Einhaltung des Abkommens zu verpflichten. "Wenn das Handelsministerium glauben will, dass es Einfluss auf den Pool gewonnen hat, dann kann man nur mit einem polnischen Sprichwort antworten: Der Kosak nahm den Tartaren gefangen; aber der Tatar hält ihn am Kragen fest". 313 Nimmt man die Überlappungsbereiche der von den liberalen und sozialdemokratischen Migrationsexperten gemachten Analyse als annähernd wahrheitsgetreue Wiedergabe des politischen Entscheidungsprozesses an, so scheinen folgende Feststellungen als legitim: 1) trotz des Vorhandenseins zahlreicher sowohl wissenschaftlich wie politisch motivierter Reformvorschläge, hat der österreichischen Staat keine ernsthaften Versuche unternommen, die soziale Komponente der Wanderungspolitik zu berücksichtigen. 312 Diamand 1909, 357 und 362. 313 Diamand 1909, 363.

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"Canadian Pacific Railway" und Österreich Anfang 1913 erkennen die Sozialdemokraten den<br />

"musterhaften Auswanderungsdienste und hervorragende Wohlfahrtseinrichtungen" nicht, die<br />

nach dem Liberalen von Philippovich so "denkbar günstig" wären. Nach Diamand wollte das<br />

Handelsministerium ursprünglich mit Hilfe von CPR innerhalb der Transportindustrie<br />

lediglich Zweispalt säen, "um ihr fein ausgeklügeltes Polizeisystem zur Unterbindung der<br />

Freizügigkeit und der Auswanderungsfreiheit durchzuführen." Danach sollte CPR<br />

fallengelassen werden und eine neue Vereinbarung mit dem Pool angestrebt werden. Im<br />

Gegensatz zu den bürgerlich-liberalen Migrationsforschern, die immerhin einen möglichen,<br />

wenn zu dieser späten Zeit kaum realistischen Ausgleich in der Wanderungspolitik anstreben,<br />

erwarten die Sozialdemokraten keine ausgewogenen Vorschläge vom "Klassenstaat". Das<br />

Schlimmste wird erwartet und auch angenommen.<br />

"Grundlage des Planes der österreichischen Regierung bildet die Organisation der<br />

Schiffahrtsgesellschaften, somit der Pool. Der mit Hilfe der C.P.R. bekämpfte und dann durch<br />

innere Schwierigkeiten zerschlagene Pool wurde der Gegenstand der Fürsorge des<br />

Handelsministeriums, die Beteiligung am österreichischen Auswanderergeschäft abhängig<br />

gemacht von der Zugehörigkeit zum Pool. (...) (D)er Kampfplan der Canadian war auf die<br />

Kampfgenossenschaft (mit) der österreichischen Staatsverwaltung gegründet, deren<br />

Vertragstreue in den Interessen der Bevölkerung schien." 312<br />

Diese Naivität bezüglich der Beweggründe des österreichischen Staates ließen den<br />

Nordamerikaner - so Diamand - im Streit des Handelsministeriums mit dem Pool leicht als<br />

Spielball mißbrauchen. Am Ende einigte man sich dann doch mit den "rücksichts- und<br />

skrupellosen" Norddeutschen, die "Österreich sehr gründlich zu kennen" schienen.<br />

"Die Austro-Americana, eine Poolgesellschaft, erhält das Monopol des Schiffskartenverkaufs,<br />

sie verschliesst die Karten für alle Poolmitgleider. Wer dem Pool nicht angehört, kann in<br />

Österreich keine Karten verkaufen; hingegen gestattet der Pool österreichischen Beamten in<br />

allen europäischen Häfen, seine Schiffe nach Auswandern zu fahnden, welche die Erlaubnis<br />

auszuwandern nicht erhalten haben, weil sie das Landsturmalter noch nicht erreicht haben.<br />

(...) Die ganze Polizeihetze gegen die Auswanderer spitzt sich darauf zu, sie dem Pool

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