REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

202 merkwürdig. Dass die übrigen konzessionierten Schiffahrtsgesellschaften in großem Maße wehrpflichtige Personen befördern, hat seinen Grund darin, dass man sich in Oesterreich nie um die Organisation der Auswanderungsagenturen gekümmert hat". (Philippovich 1913, 2) Die zu dieser Zeit noch marxistisch ausgerichteten Migrationsexperten der österreichischen Sozialdemokratie hielten sich in ihrer Ausdrucksweise nicht an die von Philippovich gepflegten Mäßigung. So schrieb Hermann Diamand (Lemberg) in "Der Kampf" am 1. Mai 1914 über die Zusammenarbeit zwischen dem Pool, dem österreichischen Kriegsministerium und den ihnen befreundeten Medien folgende Polemik. "Die Beziehungen des Chefs der Hapag (Hamburg-Amerikalinie) Ballin zum deutschen Hof und zur deutschen Regierung scheinen ihn um den Rest des Respektes und der Scheu vor der Autorität der Regierenden gebracht zu haben. Ohne jede Aengstlichkeit lässt er seine Intrigen spielen. Die österreichischen Ministerien werden gegeneinander ausgespielt, das Kriegsministerium stellt sich an die Spitze der Feinde der Poolgegner, das Handelsministerium wird sein vornehmstes Angriffsobjekt und in der Wahl der Waffen lässt man sich nicht durch den in diesen Kreisen herkömmlichen Brauch beschränken. Die militärische Presse, besonders Danzers 'Armeezeitung', spricht ganz offen die Verdächtigung aus, dass Bestechungen die Stellung des Handelsministeriums bestimmend beeinflusst hätten. Die 'Reichspost' stellt sich mit ihren zahlreichen Beziehungen in den Dienst des Pools, sie trägt die Danzerschen Verdächtigungen in die weiten Kreise der sich an den militärischen Presseorganen nicht erbauenden Bevölkerung. Diese Mine war trefflich gelegt, sie war die Opfer, die die Grünhuts 310 erheischt haben, wert". Gemeinsam mit dem zweiten sozialdemokratischen Wanderungsexperten Julius Fischer erkennt Diamand im Abkommen zwischen dem Handelsministerium und der "Canadian Pacific Railway” keine sozialpolitischen Vorteile. Ganz im Sinne eines radikalen Bekenntnisses zur Freizügigkeit wird eine "Nationalisierung der Auswanderung" grundsätzlich abgelehnt. Die sozialdemokratischen Migrationsexperten erkennen in dem Handelskriege der großen Reedereien dieser Zeit zwar den Versuch, das Transportwesen weltweit zu monopolisieren, lehnen aber im klassischen marxistischen Sinn eine 310 Arthur Grünhut, belieferte sowohl den Kriegsministerium wie den Zeitungen „Danzers Armee Zeitung‟ und „Reichspost‟ mit Falschmeldungen über die Schleppertätigkeit des CPR.

203 Interessenüberschneidung zwischen den in Österreich tätigen Transportunternehmen und der auswandernden Bevölkerung ab. In diesem Punkt unterscheiden sie sich deutlich von der liberalen Position eines von Philippovichs, obwohl sich im folgenden Diamand-Zitat leichte Annäherungen in Bezug auf eine gerechte, sozialabgestimmte Wanderungspolitik heraushören lassen. "Man berechnet in österreichischen Interessenskreisen, dass mit dem Transport der österreichischen und ungarischen Auswanderer durch ausländische Unternehmer der Handelsmarine beider Staaten jährlich zirka 40 Millionen Kronen entgehen: eine sehr bedeutsame Ziffer, wenn dagegengehalten wird, dass zum Beispiel 1906 das Betriebsergebnis des Oesterreichischen Lloyd nur 7.23 Millionen, dasjenigen der Austro-Americana nur 4.34 Millionen Kronen erreichte. (...)" Diamand führt fort, dass im Gegensatz zu Italien eine Nationalisierung der Auswanderung "wegen der geographischen Lage (...) durchaus erkünstelt und eine unerträgliche Belastung der Auswanderer (wäre). Unsere grössten Auswanderungsgebiete liegen nun einmal im Attraktionskreise der Nordsee; sollte man da wohl den galizischen Auswanderer der Austro- Americana zuliebe zumuten, den viel längeren Weg nach Triest zu nehmen, um nach eventuell bedeutender Wartezeit dann die Ueberfahrt in 17 bis 20 Tagen statt in 6 bis 9 zu machen? Eine solche Politik wäre nicht nur im höchsten Grade antisozial, sondern auch von vornherein des Misserfolges sicher. Dies zeigte deutlich das klägliche Misslingen des Versuchs der ungarischen Regierung, die Auswanderung ihres Landes für die Cunard-, respektive Adria-Gesellschaft und die Route Fiume-New York zu monopolisieren; trotzdem mit aller erdenklichen Brutalität für die Erreichung dieses Zieles gearbeitet wurde, gingen über Fiume im Jahre 1905 nur 30 Prozent, 1907 gar nur 16 Prozent der ungarischen Auswanderer. (...) Glaubt die Regierung diese (südlichen) Häfen und die heimische Schiffahrt dennoch unterstützen zu sollen, so möge sie es durch Schaffung eines musterhaften Auswanderungsdienstes und hervorragender Wohlfahrtseinrichtungen tun. Alles weitere, besonders jede Art von 'wohlgemeinter Ueberredung' und patriotischer Zwänge, hat füglich zu unterbleiben". 311 311 Fischer 1909, 89-90.

203<br />

Interessenüberschneidung zwischen den in Österreich tätigen Transportunternehmen und der<br />

auswandernden Bevölkerung ab. In diesem Punkt unterscheiden sie sich deutlich von der<br />

liberalen Position eines von Philippovichs, obwohl sich im folgenden Diamand-Zitat leichte<br />

Annäherungen in Bezug auf eine gerechte, sozialabgestimmte Wanderungspolitik<br />

heraushören lassen.<br />

"Man berechnet in österreichischen Interessenskreisen, dass mit dem Transport der<br />

österreichischen und ungarischen Auswanderer durch ausländische Unternehmer der<br />

Handelsmarine beider Staaten jährlich zirka 40 Millionen Kronen entgehen: eine sehr<br />

bedeutsame Ziffer, wenn dagegengehalten wird, dass zum Beispiel 1906 das Betriebsergebnis<br />

des Oesterreichischen Lloyd nur 7.23 Millionen, dasjenigen der Austro-Americana nur 4.34<br />

Millionen Kronen erreichte. (...)"<br />

Diamand führt fort, dass im Gegensatz zu Italien eine Nationalisierung der Auswanderung<br />

"wegen der geographischen Lage (...) durchaus erkünstelt und eine unerträgliche Belastung<br />

der Auswanderer (wäre). Unsere grössten Auswanderungsgebiete liegen nun einmal im<br />

Attraktionskreise der Nordsee; sollte man da wohl den galizischen Auswanderer der Austro-<br />

Americana zuliebe zumuten, den viel längeren Weg nach Triest zu nehmen, um nach<br />

eventuell bedeutender Wartezeit dann die Ueberfahrt in 17 bis 20 Tagen statt in 6 bis 9 zu<br />

machen? Eine solche Politik wäre nicht nur im höchsten Grade antisozial, sondern auch von<br />

vornherein des Misserfolges sicher. Dies zeigte deutlich das klägliche Misslingen des<br />

Versuchs der ungarischen Regierung, die Auswanderung ihres Landes für die Cunard-,<br />

respektive Adria-Gesellschaft und die Route Fiume-New York zu monopolisieren; trotzdem<br />

mit aller erdenklichen Brutalität für die Erreichung dieses Zieles gearbeitet wurde, gingen<br />

über Fiume im Jahre 1905 nur 30 Prozent, 1907 gar nur 16 Prozent der ungarischen<br />

Auswanderer. (...) Glaubt die Regierung diese (südlichen) Häfen und die heimische Schiffahrt<br />

dennoch unterstützen zu sollen, so möge sie es durch Schaffung eines musterhaften<br />

Auswanderungsdienstes und hervorragender Wohlfahrtseinrichtungen tun. Alles weitere,<br />

besonders jede Art von 'wohlgemeinter Ueberredung' und patriotischer Zwänge, hat füglich<br />

zu unterbleiben". 311<br />

311 Fischer 1909, 89-90.

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