REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

200 Auswanderern, solange diese Passagiere sind, sondern erst, wenn die in Kanada Ansiedler, Kolonen geworden sind". 308 Die Reichspost (14.8.1913) behauptete, dass ein Großteil der illegalen Auswanderung aus Österreich direkt von der vom Handelsministerium begünstigten CPR organisiert wurde. "Dieser Massenexport Stellungspflichtiger (wurde) durch die im größten Stil betriebene Auswanderungspropaganda der Canadian=Pacific erst in ein förmliches System gebracht (...) und (hat) Formen angenommen (...), die selbst unseren sehr nachsichtigen Behörden zu arg geworden sind". Nach Meinung der Reichspost war es nur richtig, dass im Gegenzug "das Kriegsministerium sich zur Herausgabe eines energischen Erlasses gegen das die Monarchie schädigende Treiben der Auswandererhyänen genötigt (sah)"; und dass "Kriegsministerium und Militärbehörden, das Ministerium des Inneren, die Wiener Sicherheitsbehörden, die Triester Behörden (und) den galizischen Statthalter" ein koordiniertes Vorgehen gegen das Schlepperunwesen einleiteten. Gegen diese Zusammenarbeit der Kriegs- und Innenressorts zur Bekämpfung der illegalen - und wie vermutet wurde auch der völlig freizügigen - Migration stellten sich Liberale, Christlichsoziale und Sozialdemokraten. Der international anerkannte Migrationsexperte 309 und Vertreter der liberalen Sozialpolitischen Partei, Eugen von Philippovich schrieb in der ebenso liberalen "Neue Freie Presse" (7.XI.1913), dass die Regierung mit den Kanadiern Bedingungen ausgehandelt hätte, die weltweit vorbildlich waren. In der Tat hatte die CPR Zugeständnissen und Gegenleistungen für ihre privilegierte Stellung in Triest zugestimmt, die Österreich auf Anhieb fast auf das Niveau des Musterauswanderungslandes Italien gehievt hätte. Diese Regelung stellte in der Tat eine bahnbrechende Neuerung dar, nämlich: die Realisierung der Ansätze eines liberalen Migrationskonzeptes, das sowohl die wirtschaftlichen Interessen der Industrie, sozialen Bedürfnisse der Migranten wie auch die Sicherheitsbedenken des Militärs mitberücksichtigte. Im Abkommen mit dem CPR hatte die Regierung Österreichs zum ersten Mal den Versuch gewagt, eine gesellschaftlich umfassende Wanderungsgestaltung zu entwerfen. Sein Scheitern verbitterte die sozialdenkenden Liberalen wie die liberaldenkenden Sozialdemokraten gleichermaßen. 308 Der Massenexport von Stellungspflichtigen. Verunglückte Beschönigungsversuche, Reichspost, 14.8.1913, in: SoWiDok der Arbeiterkammer Wien, Nr. 380. 309 Philippovich war, gemeinsam mit Dr. Franz Ritter von Srbik und Dr. Leopold Caro führender Kapazität im Bereich der Migrationsforschung und -politik in Österreich. vgl. Mises 1926.

201 "Die Bedingungen, unter welchen der Canadian die Beförderungserlaubnis erteilt wurde, sind die denkbar günstigsten und enthalten nicht nur Kontroll- und Schutzregeln, sondern auch Bestimmungen, welche der Förderung des Handels mit Kanada dienen. Ihr Inhalt ist in Kürze der folgende: Schiffe höchster Klasse, Schnelligkeit nach zwei Jahren 14 Meilen in der Stunde. Strenge Kontrollbestimmungen für die Behandlung der Auswanderer im Austrittshafen, während der Seefahrt im Ankunftshafen (auch ausgedehnt auf Liverpool und Antwerpen). Kostenlose Mitnahme eines Auswanderungskommissärs, wenn mehr als 50 Mann befördert werden. Auf dem Schiff ärztliche Fürsorge und sprachliche Vermittler. Eigene Räume für Familien, Bäder, Rückbeförderung von Militärpflichtigen und Mittellosen um 4 Kronen per Tag nach Triest. Kostenfreie Mitnahme von Mustersendungen bis zum Gewicht von zehn Tonnen. Bevorzugte Beförderung österreichischer Waren. Expreßdienst von allen Niederlassungen nach Kanada und den Vereinigten Staaten. Förderung des Absatzes österreichischer Waren. (...) Einrichtung eines Arbeitsvermittlungsamtes auf Kosten der Gesellschaft in Kanada, Beratung und Schutz der Auswanderer bei Landreisen. Unterstützung österreichischer Inspektionsreisen. Eventuelle Vermehrung der Fahrten von Triest auf Wunsch der Regierung". (Philippovich 1913, 2) Von Philippovich stellte diese vorbildlichen Bedingungen die Praxis der vom Innen- und Kriegsministerium bevorzugten Pool-Reedereien gegenüber. Er betonte, dass abgesehen von der Tatsache, dass bisher keine tatsächlichen Einzelfälle von Menschenschmuggel durch die CPR nachgewiesen werden konnten, die Schlepperei in der Regel von allen Reedereien gewerbsmäßig betrieben wurde. Was den liberalen Sozialreformer am meisten empörte, ist die Tatsache, dass just in dem Moment, wo das Handelsministerium ansetzte, eine im Interessen der Migranten wie der österreichischen Wirtschaft ausgerichtete Wanderungsstrategie zu entwickeln, ausländische Kapitalkreise und die inländischen Medien auf einmal die Schlepperei als Tagesthema entdecken. "Wenn der Leiter der größten deutschen Schiffsgesellschaft unserer Regierung erklären darf, dass ein Verzicht auf die Beförderung von Wehrpflichtigen nicht möglich ist, solange solche Vorschriften nicht von allen konzessionierten Gesellschaften befolgt werden, also indirekt eingesteht, dass die mit seiner Gesellschaft arbeitenden Agenten und die deutschen Kontrollstationen tatsächlich unsere gesetzlichen Vorschriften verletzen, so ist das sehr

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Auswanderern, solange diese Passagiere sind, sondern erst, wenn die in Kanada Ansiedler,<br />

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Die Reichspost (14.8.1913) behauptete, dass ein Großteil der illegalen Auswanderung aus<br />

Österreich direkt von der vom Handelsministerium begünstigten CPR organisiert wurde.<br />

"Dieser Massenexport Stellungspflichtiger (wurde) durch die im größten Stil betriebene<br />

Auswanderungspropaganda der Canadian=Pacific erst in ein förmliches System gebracht (...)<br />

und (hat) Formen angenommen (...), die selbst unseren sehr nachsichtigen Behörden zu arg<br />

geworden sind". Nach Meinung der Reichspost war es nur richtig, dass im Gegenzug "das<br />

Kriegsministerium sich zur Herausgabe eines energischen Erlasses gegen das die Monarchie<br />

schädigende Treiben der Auswandererhyänen genötigt (sah)"; und dass "Kriegsministerium<br />

und Militärbehörden, das Ministerium des Inneren, die Wiener Sicherheitsbehörden, die<br />

Triester Behörden (und) den galizischen Statthalter" ein koordiniertes Vorgehen gegen das<br />

Schlepperunwesen einleiteten.<br />

Gegen diese Zusammenarbeit der Kriegs- und Innenressorts zur Bekämpfung der illegalen -<br />

und wie vermutet wurde auch der völlig freizügigen - Migration stellten sich Liberale,<br />

Christlichsoziale und Sozialdemokraten. Der international anerkannte Migrationsexperte 309<br />

und Vertreter der liberalen Sozialpolitischen Partei, Eugen von Philippovich schrieb in der<br />

ebenso liberalen "Neue Freie Presse" (7.XI.1913), dass die Regierung mit den Kanadiern<br />

Bedingungen ausgehandelt hätte, die weltweit vorbildlich waren. In der Tat hatte die CPR<br />

Zugeständnissen und Gegenleistungen für ihre privilegierte Stellung in Triest zugestimmt, die<br />

Österreich auf Anhieb fast auf das Niveau des Musterauswanderungslandes Italien gehievt<br />

hätte. Diese Regelung stellte in der Tat eine bahnbrechende Neuerung dar, nämlich: die<br />

Realisierung der Ansätze eines liberalen Migrationskonzeptes, das sowohl die<br />

wirtschaftlichen Interessen der Industrie, sozialen Bedürfnisse der Migranten wie auch die<br />

Sicherheitsbedenken des Militärs mitberücksichtigte. Im Abkommen mit dem CPR hatte die<br />

Regierung Österreichs zum ersten Mal den Versuch gewagt, eine gesellschaftlich umfassende<br />

Wanderungsgestaltung zu entwerfen. Sein Scheitern verbitterte die sozialdenkenden<br />

Liberalen wie die liberaldenkenden Sozialdemokraten gleichermaßen.<br />

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Der Massenexport von Stellungspflichtigen. Verunglückte Beschönigungsversuche, Reichspost, 14.8.1913, in: SoWiDok<br />

der Arbeiterkammer Wien, Nr. 380.<br />

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Philippovich war, gemeinsam mit Dr. Franz Ritter von Srbik und Dr. Leopold Caro führender Kapazität im Bereich der<br />

Migrationsforschung und -politik in Österreich. vgl. Mises 1926.

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