REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

9). So waren die wesentlichen Bestandteile der restriktiven Ausländerpolitik der Ersten 18 Republik - Deutschnationalismus und demokratisch-soziale Klassenharmonie - theoretisch und teilweise sogar in der praktischen Anwendung bis zum Ersten Weltkrieg voll entwickelt. Die einschneidenden interethnischen Ereignisse dieser Periode, wie etwa die von Preußen durchgesetzte (1866-1871) kleindeutsche Lösung, der Ausgleich mit den Magyaren in Ungarn (1867) oder der sich zuspitzende ethnische Konflikte zwischen Deutschen und Tschechen (ab 1897) hat die Tendenz zur Nationalisierung (Löw 1984) der Sozialpolitik und somit der Zuwanderungsdebatte nur beschleunigt. 2. Internationalismus und Krieg (1914-1918) Der Internationalismus der europäischen Arbeiterbewegung war bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs stark unterminiert. Auf dem Stuttgarter Kongress der weltweiten Sozialdemokratie (1907) wurden gegen den Widerstand der britischen (australischen), amerikanischen und niederländischen Delegation die Prinzipien der absoluten Gleichheit aller Arbeitnehmer und der revolutionären Notwendigkeit offener Grenzen kodifiziert. Diese wurden jedoch nur punktuell von den Mitgliedsparteien umgesetzt (Seidel 1985) und von den Gewerkschaften in der Regel völlig ignoriert, wenn nicht direkt bekämpft (Fuchs 1993). Bereits drei Jahre vor dem Stuttgarter Kongress hatten die US-amerikanische wie die reichsdeutsche Arbeiterbewegung jeweils eine richtungweisende Entscheidung im kolonialen Bereich getroffen 8 , die deutlich machten, dass die Sozialdemokratie bei der Umsetzung des Prinzips der Solidarität in den Kolonien nicht gewillt war, sich an die von ihnen formell propagierten marxistischen Grundsätze des Internationalismus zu halten. Mit dem Ausbruch des Weltkrieges unterstützten die meisten sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften die Mobilisierung der kriegführenden Länder. Dies war auch in Österreich-Ungarn der Fall. Während des Ersten Weltkriegs wurden hunderttausende Ausländer - Flüchtlinge, Kriegsgefangene und Internierte - in der Industrie und Landwirtschaft zwangsbeschäftigt. Der Cisleithanien bis etwa 2005 wieder zusammengehören. Das transleithanische Kernland, Ungarn, tritt ohne seine ehemaligen Besitztümer im heutigen Kroatien, Rumänien und der Slowakei bei. 8 Vgl. Sensenig 1990a, 75: 'Die deutschen sozialdemokratischen Parlamentsabgeordneten enthielten sich 1904 der Stimme bei der Abstimmung über die Unterstützung der kaiserlichen Ausrottungspolitik in Namibia. Es handelte sich hier um die Kriegsfinanzierung gegen die Völker der Bondelzwarts und Hereros. So verstieß die deutsche Sozialdemokratie lang vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs gegen den internationalistischen Grundsatz: Diesem System keinen Mann und keinen Groschen (Mitschien 1981, 30). Die US-Gewerkschaften vereitelten die Organisierung der philippinischen Zigarrenarbeiter im gleichen Jahr - 1904 - weil sie befürchteten, daß die neuen Gewerkschaften die philippinische Befreiungsbewegung unterstützen würden. Der Leiter der AFL, Samuel Gompers, war ursprünglich Leiter der Tabakarbeitergewerkschaft Nordamerikas und glühender Antiimperialist (Foner 1955, 437).‟

Versuch, dem Vorbild des Deutschen Reichs nachzuahmen und Zwangsarbeiter aus den besetzten Gebieten Russischpolens und Montenegros für den Dienst in Österreich anzuwerben, schlug fehl (MdI,1916,XIII/VI,33576). Die Lage der unfreien ausländischen 19 Arbeitnehmer in Österreich war jedoch im Ersten Weltkrieg nicht wesentlich schlechter als die vieler einheimischer Arbeiter. Ein Großteil der männlichen Arbeiter in den kriegswichtigen Betrieben wurden nämlich in Landsturmarbeiterabteilungen auch als Zwangsarbeiter eingesetzt (Aggermann 1927). In vielen Fällen, vor allem bei der Streikwelle in der Schwerindustrie ab 1917 (MföA,1918,720,31183), verhielten sich in- und ausländische Arbeiter miteinander solidarisch. 3. ‘Soziale Demokratie in einem Land’ (1918-1934) Die Ausländerpolitik der Ersten Republik ist von zwei sich teilweise widersprechende Bestrebungen der Bundesregierung gekennzeichnet. Im Sinne einer Nationalisierung des Arbeitsmarktes versuchte man bereits ab 1921-22 die „Arbeitslosen fremder (insbesondere tschechischer) Staatsangehörigkeit‟ zu Gunsten der Vermittlung von „österreichische(r) bezw. Reichsdeutsche(r) Staatsangehörigen‟ (sic!) abzubauen (MfSVer,1922,61,21391). Die Einführung des Inländerprimats (oder des Prinzips „last hired, first fired‟ bei Staatsfremden) bezog sich in dieser ersten Nachkriegsphase eindeutig auf das Kriterium Nation beziehungsweise Zugehörigkeit zum deutschen Volk. Bereits 1923 sah man sich jedoch gezwungen einen Paradigmawechsel in der Ausländerpolitik vorzunehmen. Die durch die Wirtschaftskrise im Deutschen Reich vom Arbeitsmarkt verdrängten Arbeitnehmer strömten in großer Zahl über die Grenze nach Österreich. Beim besten (gesamtdeutschen) Willen konnte man diese Arbeitsuchenden mit der einheimischen Bevölkerung nicht gleichstellen. Auf Drängen der an das Deutsche Reich angrenzenden westösterreichischen Bundesländer Salzburg, Tirol und Vorarlberg (MfSVer,1923,61,15375) wurde die Gleichstellung von Reichsdeutschen und Österreichern in der Praxis aufgehoben. Die sozialpolitischen Bedürfnisse des Landes hatten nun Vorrang vor der „Schicksalsgemeinschaft mit dem schwer geprüften deutschen Volke‟. Das 1925 verabschiedete Inlandarbeiterschutzgesetz verfestigte die Deethnisierung der Ausländerpolitik. 9 Diese Ambivalenz in der Haltung der Bundesregierung würde sich bis zum Anschluss fortsetzen. 9 Mit Beginn der Verhandlungen 1926 über eine „Vereinbarung zwischen dem Deutschen Reich und der Republik Österreich über Fragen des Arbeitsmarktes‟ in April 1926, wurde die Ausländerfrage reethnisiert. Ab diesem Zeitpunkt

Versuch, dem Vorbild des Deutschen Reichs nachzuahmen und Zwangsarbeiter aus den<br />

besetzten Gebieten Russischpolens und Montenegros für den Dienst in Österreich<br />

anzuwerben, schlug fehl (MdI,1916,XIII/VI,33576). Die Lage der unfreien ausländischen<br />

19<br />

Arbeitnehmer in Österreich war jedoch im Ersten Weltkrieg nicht wesentlich schlechter als<br />

die vieler einheimischer Arbeiter. Ein Großteil der männlichen Arbeiter in den<br />

kriegswichtigen Betrieben wurden nämlich in Landsturmarbeiterabteilungen auch als<br />

Zwangsarbeiter eingesetzt (Aggermann 1927). In vielen Fällen, vor allem bei der Streikwelle<br />

in der Schwerindustrie ab 1917 (MföA,1918,720,31183), verhielten sich in- und ausländische<br />

Arbeiter miteinander solidarisch.<br />

3. ‘Soziale Demokratie in einem Land’ (1918-1934)<br />

Die Ausländerpolitik der Ersten Republik ist von zwei sich teilweise widersprechende<br />

Bestrebungen der Bundesregierung gekennzeichnet. Im Sinne einer Nationalisierung des<br />

Arbeitsmarktes versuchte man bereits ab 1921-22 die „Arbeitslosen fremder (insbesondere<br />

tschechischer) Staatsangehörigkeit‟ zu Gunsten der Vermittlung von „österreichische(r) bezw.<br />

Reichsdeutsche(r) Staatsangehörigen‟ (sic!) abzubauen (MfSVer,1922,61,21391). Die<br />

Einführung des Inländerprimats (oder des Prinzips „last hired, first fired‟ bei Staatsfremden)<br />

bezog sich in dieser ersten Nachkriegsphase eindeutig auf das Kriterium Nation<br />

beziehungsweise Zugehörigkeit zum deutschen Volk. Bereits 1923 sah man sich jedoch<br />

gezwungen einen Paradigmawechsel in der Ausländerpolitik vorzunehmen. Die durch die<br />

Wirtschaftskrise im Deutschen Reich vom Arbeitsmarkt verdrängten Arbeitnehmer strömten<br />

in großer Zahl über die Grenze nach Österreich. Beim besten (gesamtdeutschen) Willen<br />

konnte man diese Arbeitsuchenden mit der einheimischen Bevölkerung nicht gleichstellen.<br />

Auf Drängen der an das Deutsche Reich angrenzenden westösterreichischen Bundesländer<br />

Salzburg, Tirol und Vorarlberg (MfSVer,1923,61,15375) wurde die Gleichstellung von<br />

Reichsdeutschen und Österreichern in der Praxis aufgehoben. Die sozialpolitischen<br />

Bedürfnisse des Landes hatten nun Vorrang vor der „Schicksalsgemeinschaft mit dem schwer<br />

geprüften deutschen Volke‟. Das 1925 verabschiedete Inlandarbeiterschutzgesetz verfestigte<br />

die Deethnisierung der Ausländerpolitik. 9 Diese Ambivalenz in der Haltung der<br />

Bundesregierung würde sich bis zum Anschluss fortsetzen.<br />

9 Mit Beginn der Verhandlungen 1926 über eine „Vereinbarung zwischen dem Deutschen Reich und der Republik<br />

Österreich über Fragen des Arbeitsmarktes‟ in April 1926, wurde die Ausländerfrage reethnisiert. Ab diesem Zeitpunkt

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