REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER
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186 Ob Biankini mit seiner Annahme recht hatte, dass die kroatischen Stellungsflüchtlinge deswegen auswanderten, um vor allem dem dreijährigen Militärdienst auszuweichen, steht zur Debatte. Für die Behörden vor Ort wie auch für die zeitgenössische Migrationsforschung scheint die illegale Auswanderung und die Bedienung von Schleppernetzwerken viel eher mit einem Bündel von Motiven zu erklären sein. Wegen solch klassischer Verdrängungsmomente (push effect) wie "Phylloxera (Blattläuse), Dürre, Mißernte" 279 ; "großer Latifundienbesitz, Mangel an lohnenden Arbeitsgelegenheiten, geringe Entwicklung der heimischen Industrie" 280 ; "Unterakkumulation von Kapital" 281 ; "Schuldenlast, drohender Steuerexekutor" 282 ; finanzielle Schwierigkeiten, wegen der Abtragung der Entlastungsschulden bei der Grundentlastung (nach 1848), Zerstörung der ländlichen Kreditorganisation durch die Stillegung der Waisenkassen, Mangel an Betriebskapital, geringer Landbesitz, finanzielle Abhängigkeit von Großbauern und Wucherer, Verlust des Schutzes durch den Grundherrn 283 ; "die Zunahme von Kleinstbetrieben bis zu fünf Joch, (...) bei gleichzeitigem Rückgang der Mittelbetriebe" 284 ; Verlust der "meisten Formen der traditionellen Saisonarbeit" 285 oder die drohende Ausweisung als Nichtheimatberechtigte aus dem Wohnort in ihre entfernten "Heimatgemeinden" 286 , dies alles trug dazu bei, das Leben in den traditionellen österreichisch-ungarischen Auswanderungsgebieten immer unerträglicher zu machen. Warum "verleiteten" diese krisenhaften Umstände viele Bewohner zur Auswanderung als "einzigen Ausweg aus der sie umgebenden und bedrohenden Hölle" 287 und andere nicht? Nach Maldwyn Allen Jones (1992, 91) waren es nicht Verdrängungsfaktoren (push), die bei der Entscheidung zur Auswanderung den Ausschlag gaben, sonst wären die Regionen mit der höchsten Armut auch diejenigen mit den höchsten Auswanderungsraten. Diese geringe Bedeutung der push-Faktoren entspricht auch der Erfahrung in Österreich. "Als Hauptursache für die Auswanderung nennt der Untergespan (Komitat Nyitra, E.S.) den Mangel an Arbeit und unzureichenden Lebensunterhalt und verweist in diesem 279 Biankini 1908/3115. 280 Deák 1987, 25. 281 Bauer 1914, 325. 282 Diamand 1914, 361 283 Stölzl 1971, 31. 284 John/Lichtblau 1990, 92. 285 Penz 1995, 150 286 Rudigier 1995
187 Zusammenhang auf die Rückständigkeit des Gebietes in der industriellen Produktion und des Verkehrs und auf die Verminderung der Einwohnerzahlen, die durch den natürlichen Bevölkerungszuwachs nicht ausgeglichen wurden. Der Untergespan sah also die Hauptursachen der Auswanderung in der wirtschaftlich schlechten Situation, musste jedoch gleichzeitig zugeben, dass gerade in den zwei wirtschaftlich ärmsten Bezirken Privigye und Zsámbokrét (Priedvica und Zabokreky nad Nitrou im Bezirk Topolcany), 'wo die Not im höchsten Grad herrscht', überhaupt keine Auswanderung zu verzeichnen war". 288 Zur Frage, warum aus manchen Gegenden ausgewandert wurde, bzw. warum manche Bevölkerungsgruppen besonders stark bei der Auswanderung vertreten sind und andere nicht, gesellt sich in Österreich auch die Überlegung, weshalb sich die Binnenwanderung in den industriellen und landwirtschaftlichen Zuwanderungszentren auf bestimmte Herkunftsregionen der Monarchie konzentriert. Kurz gefragt, warum migrieren viele nach Wien oder Vorarlberg und andere nach Pittsburg oder Cleveland? Auf diese Frage hatten zahlreiche Behörden eine einfache Erklärung: die Reedereien und die ihnen zuarbeitenden Schlepperbanden verleiteten die naive Bevölkerung zu einer ungewissen Zukunft in Übersee und entzogen der heimischen Landwirtschaft und Industrie dadurch für die wirtschaftliche Fortentwicklung notwendigen Arbeitskräfte. Schuld daran sei die "Wanderlust" und der jeweilige "Nationalcharakter" der Auswanderergruppen; "Amerika gilt für sie noch immer als das gelobte Land, in dem sich ein wahres Schlaraffenleben führen lasse" argumentiert beispielsweise ein Kolumnist in der "Österreichs Illustrierte Zeitung" (16.1.1910). Gleichermaßen wurden die Verlockungen durch die Auswanderungsagenturen genannt. 289 "(A)uf einer Enquete in Prag 1912 wurde den Auswanderern sogar 'Geldgier, Abenteuerlust, mangelnde Heimatliebe und Selbstbewußtsein, Familienunglück, das Streben sich dem Militärdienst zu entziehen' vorgeworfen." 290 Beschimpfungen der Auswanderer sind für die Auswanderungsdebatte in von dieser Erscheinung besonders betroffenen Regionen nicht unüblich und wiederholen sich bis heute. Ähnlich polemische Behauptungen über die Migrationsmotive von Vorarlberger 287 Diamand 1914, 361 288 Glettler 1980, 348. 289 zitiet nach Deák 1987, 27. 290 Der Auswanderer, Oktober 1910, zitiert nach Deák 1987, 27.
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zahlreiche Behörden eine einfache Erklärung: die Reedereien und die ihnen zuarbeitenden<br />
Schlepperbanden verleiteten die naive Bevölkerung zu einer ungewissen Zukunft in Übersee<br />
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Fortentwicklung notwendigen Arbeitskräfte. Schuld daran sei die "Wanderlust" und der<br />
jeweilige "Nationalcharakter" der Auswanderergruppen; "Amerika gilt für sie noch immer als<br />
das gelobte Land, in dem sich ein wahres Schlaraffenleben führen lasse" argumentiert<br />
beispielsweise ein Kolumnist in der "Österreichs Illustrierte Zeitung" (16.1.1910).<br />
Gleichermaßen wurden die Verlockungen durch die Auswanderungsagenturen genannt. 289<br />
"(A)uf einer Enquete in Prag 1912 wurde den Auswanderern sogar 'Geldgier, Abenteuerlust,<br />
mangelnde Heimatliebe und Selbstbewußtsein, Familienunglück, das Streben sich dem<br />
Militärdienst zu entziehen' vorgeworfen." 290<br />
Beschimpfungen der Auswanderer sind für die Auswanderungsdebatte in von dieser<br />
Erscheinung besonders betroffenen Regionen nicht unüblich und wiederholen sich bis heute.<br />
Ähnlich polemische Behauptungen über die Migrationsmotive von Vorarlberger<br />
287 Diamand 1914, 361<br />
288 Glettler 1980, 348.<br />
289 zitiet nach Deák 1987, 27.<br />
290 Der Auswanderer, Oktober 1910, zitiert nach Deák 1987, 27.