REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

178 warten. Sollte jedoch ein Krieg ausbrechen, dann werden den Deserteuren die in der alten Heimat verbliebenen Vermögenswerte zugunsten des Staates konfisziert." 263 Die illegale Auswanderung aus den kroatischen Kolonien Österreichs und Ungarns war bei der Mehrheit der Betroffenen sicherlich nicht pazifistisch motiviert. Auch die Tätigkeit der professionellen Wanderungsagenten war bei der Entscheidung dieser Emigranten nicht ausschlaggebend, wie weiter unten gezeigt wird. Eine Stellungnahme des Wiener Innenministeriums aus dem Jänner 1914 verdeutlicht, dass diese unbefugte Bewegung vor allem in Zusammenhang mit der massiven allgemeinen, jedoch vollkommen legalen Emigrationswelle der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg zu sehen ist. "Das unbefugte Verlassen des Staatsgebietes durch wehrpflichtige Personen hat in den letzten Jahren eine bedenkliche Steigerung erfahren. Die statistischen Daten über die Durchführung der Militärstellung zeigen in dieser Richtung mitunter sehr ungünstige Ergebnisse. (...) (N)eben unlauteren Motiven, neben beabsichtigter Stellungsflucht und Pflichtvergessenheit, neben den betrügerischen Vorspiegelungen einer gewissenlosen Auswanderungspropaganda über die Erwerbsverhältnisse in fremden Ländern, (waren) gerade in den letzten Jahren auch sehr ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse für das Anwachsen der Auswanderung mitbestimmend (...)". 264 Die kroatische Auswanderung nach Übersee hat in den Jahren der massiven Schleppertätigkeit einen vorher unbekannten Höhepunkt erreicht. Zwischen 1900 und 1914 sind circa eine Halbe Million Kroaten in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Über 10% davon sind mehrmals nach Amerika ein- und ausgereist. Nur ein Bruchteil dieser Übersee- Emigranten, insgesamt rund 40.000, stammten aus Dalmatien, Bosnien und Herzegowina. Insgesamt kehrte fast die Hälfte aller Amerikareisenden nach Europa zurück. Die Remigrationsrate der Kroaten war eine der höchsten aller traditionellen Auswanderungsvölker. Mit einer Repatriierungsrate von 44% entwickelten die Bewohner der am stärksten betroffenen Auswanderungsregionen und der wichtigsten Siedlungsgebiete in den USA hoch effektive Wanderungsnetzwerke. Über diese Netzwerke wurden nicht nur 262 Bericht über Komitat Ung in Glettler 1980, 383. 263 Der Auswanderer 1913, 19-20.

179 Freunde und Verwandte, sondern genauso Geld und Information vermittelt. Da die meisten Migranten unsicher waren, ob sie in Amerika bleiben wollten oder nicht, pflegten sie zur alten Heimat besonders enge Beziehungen. Die Auswanderung nach Amerika war so massiv, dass sowohl die katholischen wie die sozialdemokratischen Unterstützungsvereine in den Vereinigten Staaten trotz größter Fluktuation gedeihen konnten. Diese Selbsthilfeinitiativen in der neuen Welt wurden den Selbstorganisation der kroatischen Gemeinden der alten Heimat nachempfunden. 265 Fachlich qualifizierte Handwerker, Handelstreibende, Gastwirte und die dörfliche Intelligenz (Pfarrer, Lehrer, Ärzte, usw.) bildeten auf beiden Seiten des Atlantiks Entsendungs- und Aufnahmenetzwerke. Sie zeigten sich - bei der Umgehung staatlicher Auswanderungskontrollen oft als sehr geschickt - wohl in Zusammenarbeit mit den oben erwähnten professionellen Schleppern. 266 Eindringliche und destabilisierende Fremdkörper in den Auswanderungsregionen waren nicht, wie vom Innenministerium behauptet, die illegalen Auswanderungsagenten. Sie fügten sich vielmehr nahtlos in die bereits existierenden Entsendungsnetzwerke vor Ort ein und knüpften Kontakte mit den Aufnahmenetzwerken im Ausland. Eher Fehl am Platz und auf jeden Fall unwillkommen waren die Wiener und Budapester Vertreter des Innenministeriums. Diese störten die von der heimischen Bevölkerung geschaffenen und über Jahrzehnte gewachsenen Ein- und Auswanderungsstrukturen und gefährdeten dadurch eine freizügige Bewegung der Bürger der Region. Sie dienten weder den Interessen der Landwirtschaft, des Handels noch der Industrie, sondern - wie dies der christlichsoziale Reichsratsabgeordnete Heilinger am 6. November 1913 im Reichsrat zum Ausdruck brachte - machten sich ausschließlich die momentanen Interessen des Militärs zu eigen. Beschwerden über die Auswirkungen des Menschenschmuggels stammten fast ausschließlich von den Behörden vor Ort. Bei einer Erhebung (Glettler 1980) der Stellungnahmen zur illegalen Migration beim Vergleichsbeispiel Slowakei wurde dokumentiert, dass die Tätigkeit der Werbungs- und Schlepperagenturen in fast allen Fällen von den Ober- und Untergespanen, Richtern und sonstigen Komitatsbediensteten angeprangert wurde. Die 264 betr. K.K. Ministerium 19.1.14, „Verhütung von Wehrpflichtverletztungen, in: k.k. Staatshalterei Innsbruck, Grenzüberschreitung, Landesarchiv Vorarlberg, Bezirksamt und Bezirkshauptmannschaft Feldkirch, Rep. 14/24, 1914-1918, Karton: 568 (AIS:XXI/32/1914). 265 vgl. Higham 1978 und Klemencic 1994.

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warten. Sollte jedoch ein Krieg ausbrechen, dann werden den Deserteuren die in der alten<br />

Heimat verbliebenen Vermögenswerte zugunsten des Staates konfisziert." 263<br />

Die illegale Auswanderung aus den kroatischen Kolonien Österreichs und Ungarns war bei<br />

der Mehrheit der Betroffenen sicherlich nicht pazifistisch motiviert. Auch die Tätigkeit der<br />

professionellen Wanderungsagenten war bei der Entscheidung dieser Emigranten nicht<br />

ausschlaggebend, wie weiter unten gezeigt wird. Eine Stellungnahme des Wiener<br />

Innenministeriums aus dem Jänner 1914 verdeutlicht, dass diese unbefugte Bewegung vor<br />

allem in Zusammenhang mit der massiven allgemeinen, jedoch vollkommen legalen<br />

Emigrationswelle der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg zu sehen ist.<br />

"Das unbefugte Verlassen des Staatsgebietes durch wehrpflichtige Personen hat in den letzten<br />

Jahren eine bedenkliche Steigerung erfahren. Die statistischen Daten über die Durchführung<br />

der Militärstellung zeigen in dieser Richtung mitunter sehr ungünstige Ergebnisse. (...)<br />

(N)eben unlauteren Motiven, neben beabsichtigter Stellungsflucht und Pflichtvergessenheit,<br />

neben den betrügerischen Vorspiegelungen einer gewissenlosen Auswanderungspropaganda<br />

über die Erwerbsverhältnisse in fremden Ländern, (waren) gerade in den letzten Jahren auch<br />

sehr ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse für das Anwachsen der Auswanderung<br />

mitbestimmend (...)". 264<br />

Die kroatische Auswanderung nach Übersee hat in den Jahren der massiven<br />

Schleppertätigkeit einen vorher unbekannten Höhepunkt erreicht. Zwischen 1900 und 1914<br />

sind circa eine Halbe Million Kroaten in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Über 10%<br />

davon sind mehrmals nach Amerika ein- und ausgereist. Nur ein Bruchteil dieser Übersee-<br />

Emigranten, insgesamt rund 40.000, stammten aus Dalmatien, Bosnien und Herzegowina.<br />

Insgesamt kehrte fast die Hälfte aller Amerikareisenden nach Europa zurück. Die<br />

Remigrationsrate der Kroaten war eine der höchsten aller traditionellen<br />

Auswanderungsvölker. Mit einer Repatriierungsrate von 44% entwickelten die Bewohner der<br />

am stärksten betroffenen Auswanderungsregionen und der wichtigsten Siedlungsgebiete in<br />

den USA hoch effektive Wanderungsnetzwerke. Über diese Netzwerke wurden nicht nur<br />

262 Bericht über Komitat Ung in Glettler 1980, 383.<br />

263 Der Auswanderer 1913, 19-20.

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