REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

168 Dimensionen anzunehmen und so dürfte dann auch für diesen Fall volkswirtschaftliche Nutzen, der aus dieser Durchwanderung für Österreich resultieren könnte, ganz gewaltig in die Waagschale fallen." Wie nicht anders zu erwarten war, bedienten sich die Reedereien, die Transitwanderer über Österreich vermittelten, nicht weniger korrupter und skrupelloser Methoden wie ihre reichsdeutsche Konkurrenz. Schenkt man einer Interpellation des Reichsratsabgeordnete Dr. Rybár aus dem Jahr 1908 Glauben, so hatte die aus Österreich operierende Reederei "Austro- Americana" (ehemals Fratelli Colsulich) nicht nur russische Staatsbürger (vorwiegend ukrainische und polnische Nationalität) illegal über die russisch-österreichische Grenze geschleust und nach Triest befördert, um sie dann in eine ungewisse Zukunft nach Übersee zu verschiffen. Nach Rybár hatte die Reederei die Hafenbehörden in Triest bestochen und dies auch den Russen offen gesagt, damit sie nicht auf die Idee kämen, sich wegen schlechter Behandlung bei den Österreichern zu beschweren. "Die Behandlung seitens der Bediensteten der Gesellschaft soll eine äußerst rohe sein. Die eventuellen Beschwerdeführer werden (...) abgetan, wobei die Bediensteten lachend erklärten, dass die Gesellschaft reich sei und sich um Gesetze und Beordnungen nicht zu kümmern brauche (2)." Die "Austro-Americana" hatte angeblich allein in den ersten drei Monaten des Jahres 1907 500 Auswanderer illegal von Rußland nach Brasilien transportiert. Da sie das Zarenreich ohne Auswanderungserlaubnis und großteils auch ohne Reisepaß verließen, waren diese Auswanderer den österreichischen Reedereien hilflos ausgeliefert. Vor allem die russischen Stellungsflüchtlinge mussten mit Recht befürchten, dass sie bei einem eventuellen Abschub in der Heimat mit äußerst harten Strafen zu rechnen hatten. Nur wenn die Bedingungen im Aufnahmeland schlechter erschienen als die eventuelle Bestrafung wegen der illegalen Ausreise, wagten es die russischen Emigranten sich an ihr Konsulat in Triest zu wenden, in der Hoffnung wieder nach Hause befördert zu werden. "So erschienen am 24. April l.J. beim Triester russischen Konsulate 25 Auswanderer aus der Kiewer Gubernei, welche angaben, dass ihnen der Auswanderungsagent der Gesellschaft versprochen habe, er wolle ihnen jenseits der Grenze einträgliche Arbeit verschaffen, zu

169 welchem Zwecke sie ihm je 25 Rubel bezahlen mussten. Er schaffte sie sodann im geheimen über die russischen Grenze und brachte sie nach Triest. Hier wurde ihnen erst eröffnet, dass das Ziel ihrer Reise Brasilien sei und dass ihnen die Kosten der Überfuhr vom seinerzeitigen Verdienste abgezogen werden sollen (1). "In den meisten Fällen wagen es nämlich die russischen Auswanderer gar nicht, die Hilfe des russischen Konsulates in Anspruch zu nehmen, da sie von den Agenten ohne Auslandspaß über die Grenze geschafft werden. "Diesen Umstand nützt nun die Gesellschaft aus, um in ähnlichen Fällen wie im oben angeführten die Intervention der Behörden unmöglich zu machen (...). Falls nämlich ein solcher russischer Auswanderer bei den Behörden Klage führen will und dies den Organen der Gesellschaft bekannt gibt, dann halten sie ihm vor, dass er keinen Paß habe und, dass er deshalb nach Rußland abgeschoben und dort der Strafe verfallen werde. Aus Furcht dulden dann die Auswanderer die schlechteste Behandlung" (2). Schlüssel eines erfolgreichen Reedereibetriebes war die Kontrolle der Eisenbahnrouten zwischen den Herkunftsregionen und den Auswanderungshäfen. Deutschland hatte als erstes Land Schritte unternommen diese Transitwege zu monopolisieren. Zuerst Ungarn und dann Österreich versuchten es im Laufe des ersten Jahrzehnts dieses Jahrhundert den Deutschen gleich zu machen. Beide Länder schlossen mit Reedereien Abkommen ab, die darauf abzielten, Auswanderung und Transitmigration ausschließlich Richtung Fiume (Cunard) bzw. Triest (Canadian Pacific Railway) zu lenken. Hierbei wurden ähnliche halblegal und korrupte Zwangsmethoden angewendet wie im Vergleichsbeispiel Deutsches Reich. Hierauf wird in einem eigenen Abschnitt weiter unten eingegangen. b. Auswanderungsagenten: "Ihr Bekanntheitsgrad war die Basis des Geschäftes" 248 Die Auswanderungsagenturen, die die Transitwanderung durch Österreich in die Schweiz organisierten, waren im gesamten ungarischen Reichsgebiet, vielen Teilen Österreichs wie auch im benachbarten Rußland tätig. Die illegale Durchschleusung von Stellungsflüchtlingen auf die Ost-West-Tangente über Buchs konzentrierte sich - nach der Aktenlage des 248 Bretting 1991, 71.

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Dimensionen anzunehmen und so dürfte dann auch für diesen Fall volkswirtschaftliche<br />

Nutzen, der aus dieser Durchwanderung für Österreich resultieren könnte, ganz gewaltig in<br />

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Wie nicht anders zu erwarten war, bedienten sich die Reedereien, die Transitwanderer über<br />

Österreich vermittelten, nicht weniger korrupter und skrupelloser Methoden wie ihre<br />

reichsdeutsche Konkurrenz. Schenkt man einer Interpellation des Reichsratsabgeordnete Dr.<br />

Rybár aus dem Jahr 1908 Glauben, so hatte die aus Österreich operierende Reederei "Austro-<br />

Americana" (ehemals Fratelli Colsulich) nicht nur russische Staatsbürger (vorwiegend<br />

ukrainische und polnische Nationalität) illegal über die russisch-österreichische Grenze<br />

geschleust und nach Triest befördert, um sie dann in eine ungewisse Zukunft nach Übersee zu<br />

verschiffen. Nach Rybár hatte die Reederei die Hafenbehörden in Triest bestochen und dies<br />

auch den Russen offen gesagt, damit sie nicht auf die Idee kämen, sich wegen schlechter<br />

Behandlung bei den Österreichern zu beschweren.<br />

"Die Behandlung seitens der Bediensteten der Gesellschaft soll eine äußerst rohe sein. Die<br />

eventuellen Beschwerdeführer werden (...) abgetan, wobei die Bediensteten lachend erklärten,<br />

dass die Gesellschaft reich sei und sich um Gesetze und Beordnungen nicht zu kümmern<br />

brauche (2)."<br />

Die "Austro-Americana" hatte angeblich allein in den ersten drei Monaten des Jahres 1907<br />

500 Auswanderer illegal von Rußland nach Brasilien transportiert. Da sie das Zarenreich<br />

ohne Auswanderungserlaubnis und großteils auch ohne Reisepaß verließen, waren diese<br />

Auswanderer den österreichischen Reedereien hilflos ausgeliefert. Vor allem die russischen<br />

Stellungsflüchtlinge mussten mit Recht befürchten, dass sie bei einem eventuellen Abschub<br />

in der Heimat mit äußerst harten Strafen zu rechnen hatten. Nur wenn die Bedingungen im<br />

Aufnahmeland schlechter erschienen als die eventuelle Bestrafung wegen der illegalen<br />

Ausreise, wagten es die russischen Emigranten sich an ihr Konsulat in Triest zu wenden, in<br />

der Hoffnung wieder nach Hause befördert zu werden.<br />

"So erschienen am 24. April l.J. beim Triester russischen Konsulate 25 Auswanderer aus der<br />

Kiewer Gubernei, welche angaben, dass ihnen der Auswanderungsagent der Gesellschaft<br />

versprochen habe, er wolle ihnen jenseits der Grenze einträgliche Arbeit verschaffen, zu

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