REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

14 die ethnische Politikfähigkeit dieser Gruppen oder die Bedeutung der EU-Osterweiterung für die heimische Ausländerbevölkerung. E. Aufbau der Arbeit Diese Arbeit gliedert sich in zwei thematische Stränge: Großraumwirtschaft und Kleinstaatlichkeit. Dies scheint aus aktuellem Anlass besonders angemessen zu sein; Österreich verabschiedet sich nämlich mit dem EU-Beitritt und der EU-Präsidentschaft zum zweiten Mal in diesem Jahrhundert von einer prolongierten Phase der Kleinstaatlichkeit. 1. Großraumwirtschaft Die Integration des Landes in eine Großraumwirtschaft, die wesentlich umfangreicher als die der Monarchie beziehungsweise des Dritten Reichs ist, verspricht arbeitsmarktpolitische Veränderungen mit sich zu bringen, die alles bisher erlebte weitaus übertreffen. Das EU-Land Österreich vereint Reste beider ausländerpolitischen Traditionen. Zur Zeit der Monarchie vertraten die cisleithanischen Behörden eine Strategie der stets offenen Tür. Beschäftigungspolitisch wurde zwischen Reichsfremden und Reichsangehörigen nicht unterschieden. Auch die Zugehörigkeit zum österreichischen Staat beziehungsweise dem jeweiligen Reichsratsland war für die ausländischen Zuwanderer wirtschaftlich und sozialpolitisch kaum von Bedeutung. Obwohl sich der ostmärkische Arbeitsmarkt als Teil des Deutschen Reichs anfangs im Spannungsfeld zwischen den restriktiven Ausländerbestimmungen der Ersten Republik und der scheinliberalen Einwanderungspolitik der reichsdeutschen Kriegswirtschaft befand, wurde diese rechtliche Überschneidung unmittelbar vor Beginn des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion 1941 aufgehoben. In Verhältnis zum Altreich war der Ausländeranteil in der Ostmark sehr hoch. Zu Kriegsende waren 80% aller Arbeitnehmer (Gatterbauer 1975, 31) in den kriegswichtigen Industrien Österreichs staatsfremde Gastarbeiter, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, KZ-Insassen und ausgebürgerte jüdische und romani Österreicher und Reichsdeutsche. Nach dem Beitritt zur Europäischen Union 1995 und vor allem mit dem Beitritt eines Großteils der Nachfolgerstaaten des Habsburger Reichs im Laufe des kommenden Jahrzehnts hat die österreichische Ausländerpolitik begonnen, in die der Union vollständig aufzugehen.

2. Kleinstaatlichkeit Die residuale Großräumlichkeit im österreichischen Arbeitsmarktdiskurs wird dem EU- Anpassungsprozeß zugute kommen. Bremsend wirken hingegen die Überreste der Kleinstaatlichkeit aus der Ersten Republik und vor allem die Tatsache, dass Teile der Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen versuchen, die europäische Integration aufzuhalten. Eingebettet im System der österreichischen Sozialpartnerschaft neigen viele 15 Gewerkschafter und Unternehmer dazu, die unterentwickelten Regionen und Industriezweige des Landes vor der EU-Konkurrenz in allen vier Freizügigkeitsbereichen (Waren, Dienstleistungen, Kapital und Menschen) schützen zu wollen. Die kleinstaatlichen Traditionen im Bereich der heimischen Arbeitsmarktpolitik halten derzeit den europäischen Bestrebungen zur Vereinheitlichung der Ausländerintegration die Waage. Obwohl es mittelfristig gesehen nur eine Frage der Zeit ist, bis diese Pattstellung zugunsten der Union aufgehoben wird, spielt residuale Ausländerfeindlichkeit im politischen System des Landes noch immer eine politikrelevante Rolle. 3. Eine widersprüchliche Kontinuität Neben den beiden thematischen Strängen, die sich durch den gesamten Untersuchungszeitraum ziehen, sind drei Gegensatzpaare von zentraler Bedeutung: Frieden versus Krieg, Demokratie versus Diktatur und Arbeitgeber versus Arbeitnehmerforderungen. Die freizügige cisleithanische Einwanderungspolitik verformte sich während der Kriegsdiktatur des Ersten Weltkriegs. Die restriktive Fremdenpolitik der Ersten Republik wurde im Ständestaat und in der Ostmark (bis 1941) unverändert fortgesetzt. Die reichsdeutsche Ausländerbeschäftigungsverordnung von 1923 wurde von der Berliner Schleicher-Regierung in Jänner 1933 verschärft (Dohse 1981, 106). Von der nationalsozialistischen Regierung 1938 für den bevorstehenden Weltkrieg nochmals reformiert, ersetzte die reichsdeutsche Verordnung über ausländische Arbeitnehmer das sozialdemokratisch inspirierte Inlandarbeiterschutzgesetz erst am 1.4.1941 und blieb bis 1.1.1976 in Kraft(Gächter 1995, 379). Dieses Ineinandergreifen von militaristischen, diktatorischen, friedlichen und demokratischen Elemente wirft die Frage auf, ob es nicht doch eine durchgehende Entwicklung in der österreichischen Ausländerpolitik gibt.

2. Kleinstaatlichkeit<br />

Die residuale Großräumlichkeit im österreichischen Arbeitsmarktdiskurs wird dem EU-<br />

Anpassungsprozeß zugute kommen. Bremsend wirken hingegen die Überreste der<br />

Kleinstaatlichkeit aus der Ersten Republik und vor allem die Tatsache, dass Teile der<br />

Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen versuchen, die europäische Integration<br />

aufzuhalten. Eingebettet im System der österreichischen Sozialpartnerschaft neigen viele<br />

15<br />

Gewerkschafter und Unternehmer dazu, die unterentwickelten Regionen und Industriezweige<br />

des Landes vor der EU-Konkurrenz in allen vier Freizügigkeitsbereichen (Waren,<br />

Dienstleistungen, Kapital und Menschen) schützen zu wollen. Die kleinstaatlichen<br />

Traditionen im Bereich der heimischen Arbeitsmarktpolitik halten derzeit den europäischen<br />

Bestrebungen zur Vereinheitlichung der Ausländerintegration die Waage. Obwohl es<br />

mittelfristig gesehen nur eine Frage der Zeit ist, bis diese Pattstellung zugunsten der Union<br />

aufgehoben wird, spielt residuale Ausländerfeindlichkeit im politischen System des Landes<br />

noch immer eine politikrelevante Rolle.<br />

3. Eine widersprüchliche Kontinuität<br />

Neben den beiden thematischen Strängen, die sich durch den gesamten<br />

Untersuchungszeitraum ziehen, sind drei Gegensatzpaare von zentraler Bedeutung: Frieden<br />

versus Krieg, Demokratie versus Diktatur und Arbeitgeber versus Arbeitnehmerforderungen.<br />

Die freizügige cisleithanische Einwanderungspolitik verformte sich während der<br />

Kriegsdiktatur des Ersten Weltkriegs. Die restriktive Fremdenpolitik der Ersten Republik<br />

wurde im Ständestaat und in der Ostmark (bis 1941) unverändert fortgesetzt. Die<br />

reichsdeutsche Ausländerbeschäftigungsverordnung von 1923 wurde von der Berliner<br />

Schleicher-Regierung in Jänner 1933 verschärft (Dohse 1981, 106). Von der<br />

nationalsozialistischen Regierung 1938 für den bevorstehenden Weltkrieg nochmals<br />

reformiert, ersetzte die reichsdeutsche Verordnung über ausländische Arbeitnehmer das<br />

sozialdemokratisch inspirierte Inlandarbeiterschutzgesetz erst am 1.4.1941 und blieb bis<br />

1.1.1976 in Kraft(Gächter 1995, 379). Dieses Ineinandergreifen von militaristischen,<br />

diktatorischen, friedlichen und demokratischen Elemente wirft die Frage auf, ob es nicht doch<br />

eine durchgehende Entwicklung in der österreichischen Ausländerpolitik gibt.

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