REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

124 beantragen könnten. Viele Gemeinden versuchten deshalb unerwünschte Ortsfremde vor Ablauf der Zehnjahresfrist abzuschieben. a. Reichsitaliener Lediglich bei "politisch bedenkliche(n) Ausländer(n)” 168 wurde die Verleihung der Staatsbürgerschaft dem Innenminister vorbehalten. Aus diesem Grund liegen in den Sammlungen des Ministeriums des Innern (AVA) im Wiener Staatsarchiv nur solche "politisch bedenklichen” Fälle zentralgesammelt auf. Nach den archivalen Quellen zu beurteilen bestanden die wichtigsten "Verdächtigtengruppen” in den letzten Jahrzehnten der Monarchie aus Journalisten, Schriftstellern, evangelischen Pfarrern und sämtlichen Reichsitalienern. In einer Stellung aus dem Büro des "Vorstand(s) der Militärkanzlei Sr.k.u.k.Hoheit des Durchlauchtigsten Herrn General der Kavallerie und Adminiral Erzherzog Franz Ferdinand” - unterzeichnet in Salzburg am 13. August 1913 - stellt der Thronnachfolger fest, dass "Einwanderungsansuchen von Reichsitalienern prinzipiell abzuweisen” wären, dass aber "von den Statthaltereien relativ zahlreichen Einwanderungsansuchen von Reichsitalienern Folge gegeben wird”. In dieser Angelegenheit wendet sich Franz Ferdinand direkt an den Kaiser Franz Josef I in der Hoffnung, dass damit die Zuwanderung von Reichsitalienern gestoppt wird. (Hervorhebungen, E.S.) "Mein Höchster Herr lässt Eure Exzellenz ersuchen, der Angelegenheit nähertreten zu wollen, und würden konkrete Maßnahmen speziell für die Länder Tirol, Kärnten, Krain, das Küstenland und Dalmatien dankbarst begrüßen. In der Höchsten Intention wäre es auch gelegen, wenn die Statthaltereien vor Erteilung einer wenn auch hervorragend begründeten Einwanderungsbewilligung stets das Einvernahmen mit dem betreffenden Korpskommando pflegen würden”. (kursiv, E.S.) Begründet wird die Forderung Franz Ferdinands damit, "dass wir mit jedem eingewanderten Reichsitaliener um einen Irredentisten mehr innerhalb der Reichsgrenzen haben”, und dass

125 diese Zuwanderer "meist verwandtschaftliche Beziehungen” weiterhin zu Italien pflegen und daher "vom Standpunkte des militärischen Grenzschutzes in den allermeisten Fällen sehr unerwünscht sind”. 169 Die darauffolgende Stellungnahme des Innenministeriums war für die Widersprüche, die die damalige, allgemein vorherrschende Freizügigkeit in Cisleithanien mit sich brachten, bezeichnend. Im Falle der reichsitalienischen Zuwanderung traten die Interessen der Wirtschaft in direkten Konflikt mit den des Heeres. Das noch gültige Prinzip der Verkehrs- und Niederlassungsfreiheit schränkte die Entscheidungsfreiheit des Durchlauchtigsten Herrn Generals der Kavallerie und Admirals ein. Nach Meinung des k.k. Ministeriums des Innern (MdI) konnten den Forderungen des Thronfolgers nicht nachgekommen werden, "denn zu einem bloßen Aufenthalte der Ausländer kommt eine behördliche Bewilligung nicht in Frage”. Als einzige Steuerungsmaßnahme bot das MdI die "Einbürgerung bezw. Erwerbung der österr. Staatsbürgerschaft” an. Die Einbürgerung war jedoch als Instrument der Migrationssteuerung denkbar ungeeignet. Gerade die reichsitalienische Einwanderung bestand zu einem sehr großen Anteil aus Industriearbeitern, also aus Schichten, die sich in der Regel ohnehin nicht einbürgern ließen. Die in Aussicht gestellte Aufnahme in den Gemeindeverband war nämlich Voraussetzung für die Einbürgerung. Nimmt man die Welschtiroler in Vorarlberg als Vergleichsgruppe her, dann werden die Ursachen der geringeren Akzeptanz italienischsprachiger Bewerber bei der Einbürgerung in den westlichen Reichsratsländer mehr als deutlich. Aus folgendem Zitat über die Zwangseingemeindung der Welschtiroler in Bludenz in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wird ersichtlich, dass, zumindest was die cisleithanische italienische Arbeiter anbelangt, das Interesse an einem Heimatrecht in Tirol/Vorarlberg relativ gering gewesen sein müßte. "Betrachtet man die Meldungen des "Bludenzer Anzeiger” und die Akten der Bezirkshauptmannschaft Bludenz, so wird die in der Literatur erwähnte und kritisierte Haltung der Gemeinden in heimatrechtlichen Fragen bestätigt. Grundsätzlich wehrten sich die Gemeinden wegen der finanziellen Belastungen gegen eine allzu großzügige Verleihung des Heimatrechtes. Die in den BH-Akten genannten Fälle beruhten alle auf §3 HRG 1896, die Aufnahmeansuchen wurden also alle durch die bisherigen Heimatgemeinde gestellt. Zum Teil 168 Thienel 1989, 42.

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diese Zuwanderer "meist verwandtschaftliche Beziehungen” weiterhin zu Italien pflegen und<br />

daher "vom Standpunkte des militärischen Grenzschutzes in den allermeisten Fällen sehr<br />

unerwünscht sind”. 169 Die darauffolgende Stellungnahme des Innenministeriums war für die<br />

Widersprüche, die die damalige, allgemein vorherrschende Freizügigkeit in Cisleithanien mit<br />

sich brachten, bezeichnend. Im Falle der reichsitalienischen Zuwanderung traten die<br />

Interessen der Wirtschaft in direkten Konflikt mit den des Heeres. Das noch gültige Prinzip<br />

der Verkehrs- und Niederlassungsfreiheit schränkte die Entscheidungsfreiheit des<br />

Durchlauchtigsten Herrn Generals der Kavallerie und Admirals ein. Nach Meinung des k.k.<br />

Ministeriums des Innern (MdI) konnten den Forderungen des Thronfolgers nicht<br />

nachgekommen werden, "denn zu einem bloßen Aufenthalte der Ausländer kommt eine<br />

behördliche Bewilligung nicht in Frage”. Als einzige Steuerungsmaßnahme bot das MdI die<br />

"Einbürgerung bezw. Erwerbung der österr. Staatsbürgerschaft” an.<br />

Die Einbürgerung war jedoch als Instrument der Migrationssteuerung denkbar ungeeignet.<br />

Gerade die reichsitalienische Einwanderung bestand zu einem sehr großen Anteil aus<br />

Industriearbeitern, also aus Schichten, die sich in der Regel ohnehin nicht einbürgern ließen.<br />

Die in Aussicht gestellte Aufnahme in den Gemeindeverband war nämlich Voraussetzung für<br />

die Einbürgerung. Nimmt man die Welschtiroler in Vorarlberg als Vergleichsgruppe her,<br />

dann werden die Ursachen der geringeren Akzeptanz italienischsprachiger Bewerber bei der<br />

Einbürgerung in den westlichen Reichsratsländer mehr als deutlich. Aus folgendem Zitat über<br />

die Zwangseingemeindung der Welschtiroler in Bludenz in den Jahren vor dem Ersten<br />

Weltkrieg wird ersichtlich, dass, zumindest was die cisleithanische italienische Arbeiter<br />

anbelangt, das Interesse an einem Heimatrecht in Tirol/Vorarlberg relativ gering gewesen sein<br />

müßte.<br />

"Betrachtet man die Meldungen des "Bludenzer Anzeiger” und die Akten der<br />

Bezirkshauptmannschaft Bludenz, so wird die in der Literatur erwähnte und kritisierte<br />

Haltung der Gemeinden in heimatrechtlichen Fragen bestätigt. Grundsätzlich wehrten sich die<br />

Gemeinden wegen der finanziellen Belastungen gegen eine allzu großzügige Verleihung des<br />

Heimatrechtes. Die in den BH-Akten genannten Fälle beruhten alle auf §3 HRG 1896, die<br />

Aufnahmeansuchen wurden also alle durch die bisherigen Heimatgemeinde gestellt. Zum Teil<br />

168 Thienel 1989, 42.

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