REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

114 Unternehmer keine Grenzen. Er forderte zum Schlusse die anwesenden Italiener auf, ihr Sklavenjoch nicht länger geduldig zu tragen". 158 Zusammenfassend sieht dieser überregionale Gewerkschaftsfunktionär die Ursache für die schlechten Arbeitsbedingungen am Bau im geringen gewerkschaftlichen Organisierungsgrad der Pinzgauer Bauarbeiter im allgemeinen. Auer, der sich"(i)n zahllosen Versammlungen, auch in den kleinsten Gebirgsorten, die er oft erst nach stundenlangen Fußmarsch erreichte" 159 seit 1897 im Land Salzburg für die Bauarbeitergewerkschaft engagierte, wußte wie schwierig es war, den Organisationsgrad seiner Organisation in den hochalpinen Tälern Westcisleithaniens zu heben. Er war von einer möglichst effizienten Gewerkschaftsstruktur abhängig und machte daher keinen Unterschied zwischen Deutsche und Italiener. Die Schere zwischen dem ideologisch wie praktisch begründeten Internationalismus der überregionalen Gewerkschaftsleitung und den Alltagsreflexen der lokalen Salzburger Gewerkschaftsfunktionäre wird im Falle des Bauarbeiterstreiks zwei Jahre später beim Durchbruch des großen Tauernbahntunnels Böckstein-Mallnitz besonders deutlich. Am Sonntag, dem 21. Juli 1907 um 6 Uhr früh erfolgte der erst für die darauffolgende Woche geplante Durchbruch des Tunnels im Gasteinertal. Dieser unvorbereitete Hochpunkt des Baugeschehens ist für das ganze Bauvorhaben bezeichnend, schreibt die Salzburger Wacht am 23. Juli. Die Wiener Baufirma Redlich und Berger, die bei solchen staatlichen Aufträgen mit Vorzug fremdsprachige Arbeiter beschäftigte, würde - so die sozialdemokratische Zeitung - nicht einmal die einfachsten Sicherheitsregeln beim Bau einhalten. Dadurch kamen nicht nur die Arbeiter, sondern auch zahlreiche Ingenieure ums Leben. Fünf Tage vor dem unerwarteten Durchbruch waren beispielsweise drei Arbeiter durch einen auf Schlamperei zurückzuführenden, durch Rauchgiftbildung verursachten Unfall auf der Stelle tot gewesen. Nach Meinung der Salzburger Wacht war diese Tragödie auf Schlamperei seitens der Betriebsleitung zurückzuführenden. Nach dem überraschenden Durchbruch trat die Belegschaft von 700 Facharbeiter und 300 Hilfsarbeiter spontan in den Streik.. Sie verlangten eine Lohnerhöhung, bessere Entlüftung im Tunnel und die Entlassung des Oberingenieurs. 158 Salzburger Wacht 14.05.1905, 6 159 Kaut 1982, 257.

115 Die 1000 streikenden, großteils fremdsprachigen Arbeiter standen 50 Gendarmen und 250 Mann des zweiten Bataillons der Tiroler Kaiserjäger gegenüber. Montag traf der Vorsitzende der Salzburger Gewerkschaften, Landesvertrauensmann Josef Proksch auf der Baustelle ein. Es wurden sofort "aus allen vertretenen Nationen Vertrauensmänner gewählt, die Forderungen formuliert und noch am Montag abends in die Unterhandlung eingegangen". Von besonderem Interesse ist die Tatsache, dass die Bauarbeiter keinen einzigen ihrer für sie sonst so wichtigen Capi zum Vertrauensmann wählten. Das Militär riegelte den "multikulturellen" Verhandlungsraum zwar ab, es kam jedoch nicht zum Einsatz von Gewalt. Bis Dienstag Abend setzte sich das direkt gewählte, aus zahlreichen Nationen gebildete Streikkomitee unter der Leitung des Salzburger Gewerkschaftsvorsitzenden Proksch - von Beruf Tischler - auf der ganzen Linie durch. "Nach kurzer Besprechung wurde von der Unternehmung Redlich & Berger folgendes bewilligt: Mineure I. Klasse K 6, II. Klasse K 5,50, III. Klasse K 5. Nun war das schwierigste Problem gelöst. Diese Hauptforderung kommt 700 Arbeitern zugute. Für die anderen Kategorien wurden ebenfalls die Löhne erhöht. (...) Tatsache ist, dass keine Kapos bei der Verhandlung waren und dass das Militär nicht den geringsten Anlaß hatte, einzuschreiten". 160 Diese Schilderung stellt ein beinah perfektes Beispiel von internationaler, solidarischer Basisdemokratie dar. In der internationalen, proletarischen Migrationsforschung gibt es nur ganz wenig Beispiele von solchen erfolgreichen, disziplinierten, multiethnischen Arbeitskämpfen. Bei diesem Arbeitskampf wäre auch hervorzuheben, dass die Zusammenarbeit nicht nur innerhalb der internationalen Belegschaft funktioniert hatte, sondern, dass die Koordination mit den örtlichen deutschösterreichischen Gewerkschaftsfunktionären wie auch den Ingenieuren und Vorarbeitern reibungslos funktioniert hatte. Der Zusammenhalt der gesamten Belegschaft und der absolute Verzicht auf Gewalt von allen Seiten ermöglichte einen raschen und erfolgreichen Arbeitskampf gegen das für seine "Raubrittermethoden" bekanntes Großbauunternehmen der Monarchie, Redlich & Berger. Die Meldungen, wonach sowohl die Streikenden wie das Militär Gewalt eingesetzt hatte, erwiesen sich nach dem Streik als frei erfunden und als Produkt des Wunschdenkens des deutschnationalen "Salzburger Volksblatt".

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Die 1000 streikenden, großteils fremdsprachigen Arbeiter standen 50 Gendarmen und 250<br />

Mann des zweiten Bataillons der Tiroler Kaiserjäger gegenüber. Montag traf der Vorsitzende<br />

der Salzburger Gewerkschaften, Landesvertrauensmann Josef Proksch auf der Baustelle ein.<br />

Es wurden sofort "aus allen vertretenen Nationen Vertrauensmänner gewählt, die<br />

Forderungen formuliert und noch am Montag abends in die Unterhandlung eingegangen".<br />

Von besonderem Interesse ist die Tatsache, dass die Bauarbeiter keinen einzigen ihrer für sie<br />

sonst so wichtigen Capi zum Vertrauensmann wählten. Das Militär riegelte den<br />

"multikulturellen" Verhandlungsraum zwar ab, es kam jedoch nicht zum Einsatz von Gewalt.<br />

Bis Dienstag Abend setzte sich das direkt gewählte, aus zahlreichen Nationen gebildete<br />

Streikkomitee unter der Leitung des Salzburger Gewerkschaftsvorsitzenden Proksch - von<br />

Beruf Tischler - auf der ganzen Linie durch.<br />

"Nach kurzer Besprechung wurde von der Unternehmung Redlich & Berger folgendes<br />

bewilligt: Mineure I. Klasse K 6, II. Klasse K 5,50, III. Klasse K 5. Nun war das schwierigste<br />

Problem gelöst. Diese Hauptforderung kommt 700 Arbeitern zugute. Für die anderen<br />

Kategorien wurden ebenfalls die Löhne erhöht. (...) Tatsache ist, dass keine Kapos bei der<br />

Verhandlung waren und dass das Militär nicht den geringsten Anlaß hatte, einzuschreiten". 160<br />

Diese Schilderung stellt ein beinah perfektes Beispiel von internationaler, solidarischer<br />

Basisdemokratie dar. In der internationalen, proletarischen Migrationsforschung gibt es nur<br />

ganz wenig Beispiele von solchen erfolgreichen, disziplinierten, multiethnischen<br />

Arbeitskämpfen. Bei diesem Arbeitskampf wäre auch hervorzuheben, dass die<br />

Zusammenarbeit nicht nur innerhalb der internationalen Belegschaft funktioniert hatte,<br />

sondern, dass die Koordination mit den örtlichen deutschösterreichischen<br />

Gewerkschaftsfunktionären wie auch den Ingenieuren und Vorarbeitern reibungslos<br />

funktioniert hatte. Der Zusammenhalt der gesamten Belegschaft und der absolute Verzicht auf<br />

Gewalt von allen Seiten ermöglichte einen raschen und erfolgreichen Arbeitskampf gegen das<br />

für seine "Raubrittermethoden" bekanntes Großbauunternehmen der Monarchie, Redlich &<br />

Berger. Die Meldungen, wonach sowohl die Streikenden wie das Militär Gewalt eingesetzt<br />

hatte, erwiesen sich nach dem Streik als frei erfunden und als Produkt des Wunschdenkens<br />

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