REICHSFREMDE, STAATSFREMDE UND DRITTAUSL?NDER

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14.02.2013 Aufrufe

100 in die Gestaltung der Arbeitsmigration einbezogen. In manchen Fällen wanderten auch ganze Familien saisonal zu den alpinen und niederösterreichischen Baustellen und der böhmisch/nieder- und oberösterreichischen Landwirtschaft 140 aus. "Das Auswandern ganzer Familien ist längst nichts Neues mehr. (...) In Bauarbeiterkreisen ist die Redensart allgemein bekannt, dass in Orten gewisser Gegenenden über Sommer nur der Pfarrer und Schullehrer allein zu Hause sind". 141 "Die Slovaken kommen samt Weib und Kind(...) und, wenn ihre Arbeitsleistung nicht etwa geringer, ja in der Regel sogar höher entlohnt werden muss, als die (...) üblichen Löhne landwirtschaftlicher Arbeiter (...), so wird doch diese Mehrzahlung dadurch ersetzt, dass die slovakischen Arbeiter eine beständige, zu allen landwirtschaftlichen Arbeiten verwendbare und ausgiebige Arbeitskraft repräsentieren". 142 Die saisonale Wanderung konzentrierte sich auf Industriezweige, deren Produktionsrhythmus das saisonalen Pendeln begünstigte. So entstand ein Verhältnis, das die Defizite beider Vertragspartner teilweise ausgleichen konnte. Ethnisch gesehen waren die Zuwanderer mehrheitlich aus dem fremdsprachigen Ausland beziehungsweise aus Transleithanien. Eine Ausnahme bildeten die Bayern, die vorwiegend in die Industriegebiete Vorarlbergs, aber auch in die anderen Grenzregionen Tirols, Salzburgs, Oberösterreichs und Böhmens wanderten. Mataya betont (1898, 293), dass bei entstehender Arbeiterknappheit in der Landwirtschaft trotz der langen Grenze zu Bayern kaum Reichsdeutsche als Landarbeiter nach Österreich zuwanderten. Der wenig attraktive cisleithanische "pull effect" war hier sicherlich ausschlaggebend. Bei den Reichsdeutschen dürfte auch nur die Rheintaler Industrie stark genug gewesen sein, um ähnliche Sogwirkungen im eigenen Land zu übertreffen. In drei Wirtschaftszweigen war der "pull effect" Richtung Süden und Osten beziehungsweise Nordosten besonders stark und war somit für den Ausbau von Wanderungsnetzwerken besonders geeignet. "(D)ie Anwerbung von Arbeitskräften durch ständige Arbeiter, (...) (ist) regelmäßig nur bei solchen Unternehmungen anzutreffen (...), die während bestimmter, periodisch wiederkehrender Zeiten eine größere Anzahl von Arbeitern beschäftigen und demzufolge 140 Hierbei war das Ernten und Verarbeiten von Zuckerrüben von zentraler Bedeutung. 141 Nader 1908, 282.

101 gewöhnlich auf den periodischen Zuzug fremder Arbeiter angewiesen sind, wie dies in den sogenannten Saisongewerben der Fall ist. Allgemein üblich ist jedoch diese Acquisitionsmethode bloß im Baugewerbe, in der Zuckerindustrie und in den großen Ziegeleien, während im übrigen nur noch vereinzelt Unternehmungen in Betracht kommen. 143 Bei den "drei Großen” im Wanderungsgeschäft - Bau, Zucker, Ziegel - nahmen diese Wanderungen eine Selbstverständlichkeit an, die nur von ihrer Professionalisierung übertroffen wurde. Folgende knappe Übersicht soll verdeutlichen, dass die massenhafte Einwanderung von Staatsfremden nach 1918 für alle Betroffenen gar nicht überraschend gewesen war. In allen Regionen der neuen Republik kannten die Sozialpartner und sozialpolitischen Behörden die saisonale Langstreckenwanderung aus persönlicher Erfahrung. 1898 vom Handelsministerium erhobene Herkunftsländer und Branchen mit saisonalen Wanderungen, die nach 1918 als Ausländerzuwanderung gegolten hat (Mataya, 289-294) Industriezweig Reichsratsland beziehungsweise Transleithanien/Ausland Bau Ziegel Zucker Sonstige* Böhmen/Mähren/Schlesien x x x x Welschtirol x x x Krain/Steiermark/Küstenland/Görz x x Königreich Italien x x x Slowakei x x Ungarn x Galizien x * Glas, Torf, Textil, Zement, Kupferbergbau, Elektrizitäts- und Gaswerke, Holz/Papier, Brauereien Folgendes Zitat aus dem oben erwähnten Artikel in "Der Kampf" illustriert, dass die wirtschaftliche Bedeutung dieser Form der Migration auch innerhalb der Sozialdemokratie hinlänglich bekannt war. 142 Mataya 1898, 293. 143 Mataya 1898, 291.

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gewöhnlich auf den periodischen Zuzug fremder Arbeiter angewiesen sind, wie dies in den<br />

sogenannten Saisongewerben der Fall ist. Allgemein üblich ist jedoch diese<br />

Acquisitionsmethode bloß im Baugewerbe, in der Zuckerindustrie und in den großen<br />

Ziegeleien, während im übrigen nur noch vereinzelt Unternehmungen in Betracht kommen. 143<br />

Bei den "drei Großen” im Wanderungsgeschäft - Bau, Zucker, Ziegel - nahmen diese<br />

Wanderungen eine Selbstverständlichkeit an, die nur von ihrer Professionalisierung<br />

übertroffen wurde. Folgende knappe Übersicht soll verdeutlichen, dass die massenhafte<br />

Einwanderung von Staatsfremden nach 1918 für alle Betroffenen gar nicht überraschend<br />

gewesen war. In allen Regionen der neuen Republik kannten die Sozialpartner und<br />

sozialpolitischen Behörden die saisonale Langstreckenwanderung aus persönlicher Erfahrung.<br />

1898 vom Handelsministerium erhobene Herkunftsländer und Branchen mit saisonalen<br />

Wanderungen, die nach 1918 als Ausländerzuwanderung gegolten hat (Mataya, 289-294)<br />

Industriezweig<br />

Reichsratsland beziehungsweise<br />

Transleithanien/Ausland<br />

Bau Ziegel Zucker Sonstige*<br />

Böhmen/Mähren/Schlesien x x x x<br />

Welschtirol x x x<br />

Krain/Steiermark/Küstenland/Görz x x<br />

Königreich Italien x x x<br />

Slowakei x x<br />

Ungarn x<br />

Galizien x<br />

* Glas, Torf, Textil, Zement, Kupferbergbau, Elektrizitäts- und Gaswerke, Holz/Papier, Brauereien<br />

Folgendes Zitat aus dem oben erwähnten Artikel in "Der Kampf" illustriert, dass die<br />

wirtschaftliche Bedeutung dieser Form der Migration auch innerhalb der Sozialdemokratie<br />

hinlänglich bekannt war.<br />

142 Mataya 1898, 293.<br />

143 Mataya 1898, 291.

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