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Schüler-Austausch Projekt 2008 - Hamburg - Sarajevo

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<strong>Schüler</strong>zeitung der GS Stellingen Februar 2009 3€<br />

NOLIMITS!<br />

<strong>Schüler</strong>-<strong>Austausch</strong><br />

<strong>Projekt</strong> <strong>2008</strong><br />

Graffiti sprayen mit Darco<br />

Thema: Das ökologische Gleichgewicht<br />

Berichte deutscher und bosnischer <strong>Schüler</strong><br />

<strong>Hamburg</strong> <strong>Sarajevo</strong> und zurück<br />

Interview mit Freimut Duve<br />

„Mein Leben begann mit einer Lüge“<br />

v<br />

Entstanden in Kooperation mit der<br />

Ida Ehre Gesamtschule<br />

Unbenannt-1 1 26.02.<strong>2008</strong> 0:33:33 Uhr


Editorial<br />

Historie und Ausblicke<br />

Seit 2003 fahren <strong>Schüler</strong> und Lehrer der Gesamtschule Stellingen in <strong>Projekt</strong>en nach Bosnien und Herzegovina.<br />

2003/2004 und 2005 unterstützten sie die Berta Kucera Schule in Sibenica und errichteten<br />

einen Kinderspielplatz. Hierfür erhielten die <strong>Schüler</strong> den Bertini Preis.<br />

2004 führten Oberstufenschüler ein dreiwöchiges Praktikum im VW Werk in Vogosca / <strong>Sarajevo</strong> durch.<br />

Seit 2005 besteht ein <strong>Schüler</strong>austausch mit dem Vierten Gymnasium in Ilidza / <strong>Sarajevo</strong>. Seitdem lernen,<br />

leben und arbeiten jedes Jahr 32 <strong>Schüler</strong> aus <strong>Sarajevo</strong> und <strong>Hamburg</strong> zwei Wochen gemeinsam.<br />

2006 bemalten sie eine Straßenbahn in <strong>Sarajevo</strong> mit ökologischen Motiven, die seitdem im Liniendienst fährt.<br />

2007 und <strong>2008</strong> verteilten sie 5000 Stoffbeutel mit Motiven zum Klimaschutz, die sie in <strong>Hamburg</strong> in der Siebdruckerei<br />

Beling selbst bedruckten.<br />

Seit 2006 findet das <strong>Projekt</strong> in Kooperation mit der Ida Ehre Gesamtschule statt.<br />

<strong>2008</strong> gestalteten <strong>Schüler</strong> der beiden Gesamtschulen aus <strong>Hamburg</strong> und vom Vierten Gymnasium in<br />

<strong>Sarajevo</strong> drei Wände der grauen und von Granatsplittern beschädigten Schule unter Anleitung des<br />

französischen Künstlers Darco mit Graffiti.<br />

In <strong>Hamburg</strong> entstand ein großes Wandbild zum Klimaschutz in der Margarethenstraße 62/64.<br />

Diese Broschüre soll das <strong>Projekt</strong> <strong>2008</strong> vorstellen und ist ein großes Dankeschön an unseren Schirmherrn Freimut<br />

Duve, unseren Freund den Künstler Darco Gellert und die vielen Sponsoren, ohne die wir dieses <strong>Projekt</strong><br />

mit 32 <strong>Schüler</strong>n aus <strong>Hamburg</strong> und <strong>Sarajevo</strong> nicht hätten realisieren können:<br />

Auswärtiges Amt, PAD – Schulen Partner der Zukunft – Herr Heck, ZfA (Zentralamt für das Auslandsschulwesen)<br />

– Deutsche Botschaft in <strong>Sarajevo</strong> – Budnianer – Bild hilft / Ein Herz für Kinder - Heinrich Stüven, Grundeigentümer<br />

Verband e.V. <strong>Hamburg</strong> - Ute Beling, die Siebdruckerei – Herr Lehmann, LTV Digitaldruck – Leonhard<br />

Mohné, Monex Farben - Titus – BIG Gerüsttechnik – Bauhaus – Obi <strong>Sarajevo</strong> – Kamps Bäckerei – Eastpak -<br />

Vom 24. – 31. Mai 2009 werden 16 <strong>Hamburg</strong>er <strong>Schüler</strong>innen und <strong>Schüler</strong> der beiden Gesamtschulen<br />

nach <strong>Sarajevo</strong> reisen, erneut gemeinsam leben und unter Anleitung des französischen Künstlers Graffiti<br />

zum ökologischen Gleichgewicht an der Schule und in der Innenstadt <strong>Sarajevo</strong>s gestalten. Weiterhin<br />

werden die <strong>Hamburg</strong>er <strong>Schüler</strong> in den Gastfamilien Zeitzeugengespräche zum Kriegsgeschehen 1992 – 1995<br />

führen und diese multimedial dokumentieren.<br />

Am 25.April 2009, werden <strong>Schüler</strong>innen und <strong>Schüler</strong> beider <strong>Hamburg</strong>er Gesamtschulen auf dem Gänsemarkt<br />

anlässlich des Europatags das <strong>Austausch</strong>projekt mit <strong>Sarajevo</strong>/ Bosnien und Herzegovina präsentieren.<br />

Eine Städtepartnerschaft zwischen <strong>Sarajevo</strong> und <strong>Hamburg</strong> wäre ein Schritt in ein gemeinsames Europa.<br />

Hierfür wollen wir uns einsetzen.<br />

„Chancen für die Jugend in Europa“ heißt das Motto der Lesungen für unser <strong>Projekt</strong>.<br />

Die in <strong>Hamburg</strong> lebende bosnische Künstlerin und Journalistin Emina Kamber wird im April in der Gesamtschule<br />

Stellingen aus ihrem Buch „Und Bosnien, nicht zu vergessen..... “ lesen.<br />

Das ökologische <strong>Schüler</strong>austauschprojekt zwischen <strong>Hamburg</strong> und <strong>Sarajevo</strong> soll auch in den kommenden<br />

Jahren erweitert und fortgeführt werden.<br />

Cläre Bordes, Gesamtschule Stellingen<br />

Julia Muhs, Ida Ehre Gesamtschule<br />

Snjezana Karaga, Viertes Gymnasium Ilidza<br />

Armina Pozderac, Viertes Gymnasium Ilidza<br />

<strong>Hamburg</strong> und <strong>Sarajevo</strong> im Februar 2009<br />

2 3


Inhalts<br />

Editorial .......................................................................................................................................................................... 3<br />

Vierter <strong>Schüler</strong>austausch <strong>Hamburg</strong> <strong>Sarajevo</strong> .............................................................................................. 7<br />

Darco ............................................................................................................................................................................12<br />

16 <strong>Schüler</strong> aus <strong>Sarajevo</strong> und 16 <strong>Schüler</strong> aus <strong>Hamburg</strong> erleben<br />

unvergessliche Momente in Bosnien und Deutschland .............................................................14<br />

Berichte deutscher <strong>Schüler</strong> ........................................................................................................18<br />

Berichte bosnischer <strong>Schüler</strong> ......................................................................................................30<br />

Mein Leben begann mit einer Lüge (Interview mit Freimut Duve) ..............................................32<br />

Unterstützungsbrief von Dr. Hans Koschnick.............................................................................47<br />

Veröffentlichungen ......................................................................................................................48<br />

Pressespiegel .............................................................................................................................52<br />

Impressum<br />

No Limits Nr. 6, Ausgabe: Februar 2009 | <strong>Schüler</strong>zeitung der<br />

Gesamtschule Stellingen in Kooperation mit der Ida Ehre Gesamtschule<br />

Brehmweg 60, 22527 <strong>Hamburg</strong>, Deutschland<br />

Tel: 040 42889801 Fax: 040 428898236 | www-gesamtschule-stellingen.de<br />

Texte der <strong>Schüler</strong>innen und <strong>Schüler</strong> des <strong>Sarajevo</strong> - <strong>Austausch</strong>projektes <strong>2008</strong><br />

Verantwortlich: Cläre Bordes<br />

Schirmherrschaft: Freimut Duve<br />

Fotos: Julia Muhs, www.jm-fotografie.com<br />

www.hamburg-sarajevo.de<br />

Druck: Auflage: 2000<br />

Preis: 3 €<br />

Druck: LTV Digitaler Offsetdruck GmbH, Ottensener Straße 10a, 22525 <strong>Hamburg</strong>, 040 54765020<br />

Wir danken den Sponsoren:<br />

Auswärtiges Amt, PAD – Schulen Partner der Zukunft – ZfA (Zentralamt für das Auslandsschulwesen) –<br />

Deutsche Botschaft <strong>Sarajevo</strong> – Budnianer e.V. – Bild hilft / Ein Herz für Kinder e.V. - Grundeigentümer Verband<br />

<strong>Hamburg</strong> - die Siebdruckerei – LTV Digitaler Druck – Leonhard Mohné, Monex Farben – BIG Gerüsttechnik –<br />

Bauhaus – Obi <strong>Sarajevo</strong> – Kamps Bäckerei – Eastpak – Carhartt - Titus<br />

/// Grip /// Gruppen /// Laufräder /// Lenker /// Lenkeraufsätze /// Pedale /// Reifen /// Satt el /// Satt elstützen /// Vorbauten /// ZUBEHÖR /// Beleuchtung ///<br />

ge /// Hightech/Tacho /// Hometrainer /// Packtaschen /// Pulsmesser /// Pumpen /// Radkoff er /// Radtaschen /// Rücksäcke /// Schlösser /// Schutzbleche /// BE<br />

/// Brillen /// Handschuhe /// Helme /// Hosen /// Jacken /// Schuhe /// Socken /// Trikots /// Überschuhe /// Westen /// BIKES /// Rennmaschinen /// Mountain<br />

City-Crossbikes /// Crossbikes /// Trekkingsbikes /// KID-Bikes /// Tandem /// Rahmen /// PARTS /// Bremsen /// Federgabeln /// Grip /// Gruppen /// Laufräder<br />

/// Lenkeraufsätze /// Pedale /// Reifen /// Satt el /// Satt elstützen /// Vorbauten /// ZUBEHÖR /// Beleuchtung /// Fahrradpfl ege /// Hightech/Tacho /// Hometra<br />

taschen /// Pulsmesser /// Pumpen /// Radkoff er /// Radtaschen /// Rücksäcke /// Schlösser /// Schutzbleche /// BEKLEIDUNG /// Brillen /// Handschuhe /// Helm<br />

/// Jacken /// Schuhe /// Socken /// Trikots /// Überschuhe /// Westen /// BIKES /// Rennmaschinen /// Mountainbikes /// City-Crossbikes /// Crossbikes /// Trek<br />

/// KID-Bikes /// Tandem /// Rahmen /// PARTS /// Bremsen /// Federgabeln /// Grip /// Gruppen /// Laufräder /// Lenker /// Lenkeraufsätze /// Pedale /// Reife<br />

/// Satt elstützen /// Vorbauten /// ZUBEHÖR /// Beleuchtung /// Fahrradpfl ege /// Hightech/Tacho /// Hometrainer /// Packtaschen /// Pulsmesser /// Pumpen //<br />

/// Radtaschen /// Rücksäcke /// Schlösser /// Schutzbleche /// BEKLEIDUNG /// Brillen /// Handschuhe /// Helme /// Hosen /// Jacken /// Schuhe /// Socken ///<br />

Überschuhe /// Westen /// BIKES /// Rennmaschinen /// Mountainbikes /// City-Crossbikes /// Crossbikes /// Trekkingsbikes /// KID-Bikes /// Tandem /// Rahmen<br />

/// Bremsen /// Federgabeln /// Grip /// Gruppen /// Laufräder /// Lenker /// Lenkeraufsätze /// Pedale /// Reifen /// Satt el /// Satt elstützen /// Vorbauten /// ZU<br />

/// Beleuchtung /// Fahrradpfl ege /// Hightech/Tacho /// Hometrainer /// Packtaschen /// Pulsmesser /// Pumpen /// Radkoff er /// Radtaschen /// Rücksäcke /// Sc<br />

Schutzbleche /// BEKLEIDUNG /// Brillen /// Handschuhe /// Helme /// Hosen /// Jacken /// Schuhe /// Socken /// Trikots /// Überschuhe /// Westen /// BIKES<br />

schinen /// Mountainbikes /// City-Crossbikes /// Crossbikes /// Trekkingsbikes /// KID-Bikes /// Tandem /// Rahmen /// PARTS /// Bremsen /// Federgabeln /// G<br />

pen /// Laufräder /// Lenker /// Lenkeraufsätze /// Pedale /// Reifen /// Satt el /// Satt elstützen /// Vorbauten /// ZUBEHÖR /// Beleuchtung /// Fahrradpfl ege ///<br />

Tacho /// Hometrainer /// Packtaschen /// Pulsmesser /// Pumpen /// Radkoff er /// Radtaschen /// Rücksäcke /// Schlösser /// Schutzbleche /// BEKLEIDUNG ///<br />

4 Radsport von Hacht GmbH<br />

Breitenfelder Straße 9 · 20251 <strong>Hamburg</strong> · Telefon (040) 480 60 40 · www.RadsportvonHacht.de<br />

5


Vierter <strong>Schüler</strong>austausch<br />

<strong>Hamburg</strong> - <strong>Sarajevo</strong><br />

Zum diesjährigen <strong>Sarajevo</strong>austausch gehören viele Geschichten.<br />

Eigentlich will jede für sich erzählt werden<br />

Da ist die Geschichte des Findens und der Zusammenarbeit<br />

mit dem französischen Künstler<br />

Darco, der ein echter Freund geworden ist.<br />

• Die Geschichte der Finanzierung eines 14 tägigen<br />

<strong>Projekt</strong>es mit 32 jungen Menschen aus zwei europäischen<br />

Ländern.<br />

• Die Geschichte des Verlustes eines starken Partners,<br />

der Robert Bosch Stiftung „Junge Wege in Europa“.<br />

• Die Geschichte einer Auszeichnung unseres Straßenbahnprojektes<br />

durch die Robert Bosch Stiftung<br />

in Berlin zusammen mit 100 jungen Menschen aus<br />

ganz Europa und der Begegnung und Auseinandersetzung<br />

mit viele neuen Ideen.<br />

• Die Geschichte eines verlorenen bosnischen Passes<br />

und des „Beinahe – Zurückgeschickt Werdens“ von<br />

<strong>Sarajevo</strong> nach Berlin.<br />

• Die Geschichte unserer Reise mit einem Rollstuhl.<br />

• Die Geschichte von sechs fehlenden Ausweisen,<br />

um an die Adriaküste zu gelangen und das Baden<br />

unter tosenden Wasserfällen.<br />

• Die Geschichte des beeindruckenden Besuchs der<br />

durch eine unsichtbare Grenze geteilten Stadt Mostar.<br />

• Die Geschichten vieler interkultureller Freundschaften<br />

und Tränen beim Abschied.<br />

• Die Geschichte eines Artikels im Magazin des<br />

„Grundeigentümer Verbands <strong>Hamburg</strong> e.V.“ „Wand<br />

gesucht“ und des Auswählens einer Wand auf halber<br />

Strecke zwischen unseren beiden Gesamtschulen.<br />

• Die Geschichte der Gestaltung des Wandbildes in<br />

der Margaretenstraße und der Einbeziehung der Anwohner.<br />

• Die Geschichte des Einsatzes von NasSchEi (Nachbarschaft<br />

und Schule in Eimsbüttel), der Finanzierung,<br />

Gestaltung und Einweihung der Müllstatue an<br />

der GS Stellingen.<br />

• Die Geschichte diverser Förderanträge an Stiftungen<br />

und deren Ablehnungen bzw. Zusagen.<br />

• Die Geschichte der Gewinnung von Dr. Hans<br />

Koschnick und Freimut Duve als Schirmherren für<br />

unser <strong>Projekt</strong>.<br />

• Die Lebens Geschichte von Freimut Duve, der Zusammenhang<br />

mit unserem <strong>Projekt</strong> und die Lesung<br />

„Verteidigung der Zukunft“ an der GS Stellingen.<br />

• Die Geschichte der Entstehung des 8 - seitigen Artikels<br />

„<strong>Sarajevo</strong> im Herzen“ der jungen Journalistin<br />

Diana Zinkler im Journal des <strong>Hamburg</strong>er Abendblatts<br />

v. 8-./9.August <strong>2008</strong> und deren Gespräche mit <strong>Projekt</strong>beteilgten.<br />

• Die Geschichte des Wiedersehens mit dem ehemaligen<br />

<strong>Schüler</strong> der GS Stellingen Jasenko Joldic, der<br />

2005 uns in <strong>Sarajevo</strong> besuchte und der 2009 einen<br />

Film für den NDR und ARTE über unser <strong>Projekt</strong> drehen<br />

wird.<br />

• Die Geschichte des erstmaligen Sponsorings in<br />

<strong>Sarajevo</strong> durch den Manager des Baumarkts OBI<br />

Emir Avdagic.<br />

• Die Geschichte der Unterstützung durch das Programm<br />

des Auswärtigen Amtes „Schulen – Partner<br />

der Zukunft“ aus Köln und Bonn.<br />

• Die Geschichte des Druckens und Verteilens der<br />

Stoffbeutel in <strong>Sarajevo</strong>.<br />

• Die Geschichte einer Reise nach Paris und des<br />

Sponsorings mit 240 Spraydosen durch die Aachener<br />

Firma Monex.<br />

• Die unvollendete und fortlaufende Geschichte der<br />

Präsentation, Evaluation und Weiterführung unseres<br />

ökologischen <strong>Austausch</strong>projektes mit dem Vierten<br />

Gymnasium in Ilidza / <strong>Sarajevo</strong> 2009.<br />

• Die noch ungeschrieben Geschichte der Schließung<br />

der Städtepartnerschaft zwischen <strong>Hamburg</strong><br />

und <strong>Sarajevo</strong>.<br />

Wir waren aus <strong>Sarajevo</strong> acht Tage zu früh nach<br />

<strong>Hamburg</strong> zurückgekehrt.<br />

Am 21.Juli <strong>2008</strong> wurde der ehemalige Serbenführer<br />

Radovan Karadzic und meistgesuchte<br />

mutmaßliche Kriegsverbrecher in Belgrad, der Hauptstadt<br />

Serbiens, festgenommen worden.<br />

Die Menschen von <strong>Sarajevo</strong> feierten den Tag der Verhaftung<br />

ihres Belagerers mit einem großen Fest.<br />

Gern hätten wir diesen historischen Moment gemeinsam<br />

mit unseren bosnischen Freunden erlebt und<br />

hätten den Freudentaumel in der Innenstadt und an<br />

der ewigen Flamme mit der Kamera festgehalten.<br />

Jedoch einen Tag zuvor hatten wir unsere bosnischen<br />

Freunde am Flughafen in <strong>Hamburg</strong> verabschiedet. So<br />

konnten sie diesen bedeutsamen Tag miterleben.<br />

<strong>Sarajevo</strong> liegt nur 155 Flugminuten entfernt von <strong>Hamburg</strong>.<br />

Heute, 13 Jahre nach dem Krieg, begegnet uns<br />

7


eine spannende, kulturell interessante, wirtschaftlich<br />

wachsende und boomende Metropole Europas. Eine<br />

Stadt mit Kinos, Theater, Musik- und Filmfestivals,<br />

vielen Einkaufsmöglichkeiten, traditionellen Märkten,<br />

Restaurants, Tourismus und großen Konzerten.<br />

Eine Mischung aus Orient und westlicher Kultur,<br />

Duft von Gewürzen, Klänge der Hämmer der Kupferschmiede<br />

in den engen Gassen der Altstadt, Nebeneinander<br />

von Moscheen, katholischen und orthodoxen<br />

Kirchen und Synagogen beherrschen das<br />

Stadtbild.<br />

<strong>Sarajevo</strong> ist die Hauptstadt Bosniens und Herzegovinas,<br />

Verwaltungs-, Bildungs-, Wirtschafts- und Kulturzentrum.<br />

Die Stadt liegt längs des Miljacka Flusses, zwischen<br />

hohen Bergmassiven, auf denen 1984 die Olympischen<br />

Winterspiele ausgetragen wurden.<br />

Die Spuren des Krieges von 1992 – 1995 und der<br />

mehr als einjährigen Belagerung sind an vielen zerstörten<br />

Gebäuden auch noch immer im Zentrum der<br />

Stadt sichtbar.<br />

In diese vibrierende Metropole Europas starteten wir<br />

zum vierten Mal am 6.Juli <strong>2008</strong> zum <strong>Schüler</strong>austausch<br />

mit dem Vierten Gymnasium im westlich gelegenen<br />

Stadtteil Ilidza.<br />

Wir, das sind sechzehn Oberstufenschülerinnen und<br />

-schüler der GS Stellingen und der Ida Ehre Gesamtschule<br />

Dass diese <strong>Projekt</strong>reise möglich wurde, verdanken<br />

wir: vielen Eimsbüttlern und Freunden beider<br />

Gesamtschulen, die uns finanziell unterstützt haben,<br />

der Stiftung „Bild hilft e.V.“, der „Budnianer Hilfe e.V.“,<br />

dem Förderprogramm des Auswärtigen Amtes „Schulen<br />

– Partner der Zukunft“, dem Skatershop Titus, der<br />

Lufthansa, B.I.G. Bau- und Industrie-Gerüsttechnik<br />

GmbH, Lackservice Nord, Bauhaus GmbH und Ko.<br />

KG, dem französischen Künstler Darco, dem Grundeigentümer<br />

Verband e.V. <strong>Hamburg</strong>, der Farbenfirma<br />

Monex (Aachen), Obi (<strong>Sarajevo</strong>), Gladigau Immobilien<br />

und dem Grundeigentümer Herrn Christiansen, LTV<br />

Digitaler Druck und der Bildungsbehörde.<br />

Unterstützt durch ein Anerkennungsschreiben von<br />

Dr. Hans Koschnick und durch die Schirmherrschaft<br />

von Freimut Duve konnten wir mit vielen Partnern die<br />

Finanzierungslücken für unser <strong>Projekt</strong> stopfen. Gesamtkosten<br />

unseres <strong>Projekt</strong>es 25.000 €. Der Eigenanteil<br />

der <strong>Hamburg</strong>ern Familien beträgt 250 €.<br />

Am 17.Juni <strong>2008</strong> hielt der ehemalige Bundestagsabgeordnete,<br />

Journalist und ehemalige Beauftragte der<br />

OSZE für die Freiheit der Medien Freimut Duve eine<br />

beeindruckende Lesung an der Gesamtschule Stellingen:<br />

„Die Verteidigung der Zukunft – Mein Blick<br />

zurück / Unser Blick nach vorn“.<br />

Eine Zusammenarbeit und ein Gedankenaustausch<br />

mit dem großen <strong>Hamburg</strong>er Politiker und den <strong>Schüler</strong>innen<br />

und <strong>Schüler</strong>n der beiden Gesamtschulen<br />

waren geboren.<br />

In den vergangenen zwei Jahren hatte uns die Robert<br />

Bosch Stiftung „Junge Wege in Europa“ finanziell unterstützt<br />

und uns im November 2007 für die Straßenbahnbemalung<br />

als eines der zehn besten interkulturellen<br />

<strong>Projekt</strong>e ausgezeichnet.<br />

Wir reisten auf Einladung der Robert Bosch Stiftung<br />

mit zehn <strong>Schüler</strong>n unseres <strong>Projekt</strong>s aus <strong>Sarajevo</strong> und<br />

<strong>Hamburg</strong> für vier Tage nach Berlin, arbeiteten und<br />

präsentierten gemeinsam mit Jugendlichen neun anderer<br />

<strong>Projekt</strong>e aus Russland, Ungarn, Lettland, Litauen,<br />

Polen, Tschechien, Bosnien und Serbien.<br />

So hatten wir auch für <strong>2008</strong>, für die Fortführung unseres<br />

ökologischen <strong>Projekt</strong>es „Zukunftsvisionen<br />

– Müll vermeiden, trennen und recyceln“ einen Antrag<br />

auf Finanzierung bei der Robert Bosch Stiftung<br />

gestellt. Im März <strong>2008</strong> erfuhren wir, dass die Robert<br />

Bosch Stiftung uns entgegen aller Erwartungen nicht<br />

weiter finanziert. So fehlten uns, trotz Reduzierung<br />

des Kulturprogramms, fast 14 000 €.Durch 20 000<br />

Flyer mit einem Aufruf zur Unterstützung unseres<br />

<strong>Austausch</strong>projekts und Anträge an Stiftungen gelang<br />

es uns, in nur drei Monaten, die Finanzierung<br />

zu realisieren. So konnte unser diesjähriges <strong>Projekt</strong><br />

starten. Sogar die Lufthansa unterstützte uns mit vier<br />

Freiflügen. Seit nunmehr drei Jahren arbeiten beide<br />

<strong>Hamburg</strong>er Gesamtschulen gemeinsam mit den<br />

<strong>Schüler</strong>n aus <strong>Sarajevo</strong> an einem ökologischen <strong>Projekt</strong><br />

zum Klimaschutz.<br />

2006 bemalten wir eine Straßenbahn, die noch heute<br />

im Liniendienst verkehrt, mit Motiven zum Klimaschutz.<br />

2007 bedruckten wir 5 000 Stoffbeutel (Sponsor:<br />

Budnikowsky) in der Siebdruckerei Ute Beling am<br />

Hammer Deich und verteilten diese in <strong>Sarajevo</strong> und<br />

<strong>Hamburg</strong> mit einer Botschaft zum Müll vermeiden<br />

und zum umweltbewussten Handeln. In diesem Jahr<br />

entwarfen und gestalteten wir ein Wandbild in der<br />

Margaretenstraße 62/64 unter Anleitung des französischen<br />

Künstlers Darco.<br />

An vier Wänden der Schule in <strong>Sarajevo</strong> entstanden<br />

ebenfalls unter der Leitung von Darco das Hambur-<br />

8 9


ger und <strong>Sarajevo</strong>er Wappen, ein Stundenglas, durch<br />

das die Erde zerrinnt, eine Erde als Zeitbombe mit<br />

den Slogans „We can stop the Countdown“ und<br />

“We`ve only got one planet“ sowie eine Faust, die die<br />

schmelzende Erde attackiert.<br />

Wir erlernten mit dem französischen Künstler Darco<br />

die Kunst des Graffiti Sprayens, besuchten die Redaktion<br />

der größten Zeitung auf dem Balkan „Avaz“,<br />

die Stadt Mostar, lernten die Kulturgeschichte <strong>Sarajevo</strong>s<br />

kennen, tauchten in die Gastfamilien in <strong>Sarajevo</strong><br />

ein und diskutierten über den Frieden und das<br />

Zusammenwachsen Europas. Völkerverständigung<br />

und gemeinsames Arbeiten stehen im Zentrum unseres<br />

<strong>Projekt</strong>es.<br />

In <strong>Hamburg</strong> vollendeten wir die im vergangenen Jahr<br />

mit den bosnischen <strong>Schüler</strong>innen und <strong>Schüler</strong>n begonnene<br />

Müllstatue an der GS Stellingen. Eine 1,80m<br />

große Hand hält schützend die Erdkugel. Sie wurde<br />

mit finanzieller Unterstützung des Bezirksamts von<br />

<strong>Schüler</strong>n beider Gesamtschulen unter Anleitung des<br />

Eimsbüttler Künstlers Jan Rieckhoff weiter gestaltet<br />

und am 15.7.08 vom Bezirksamtsleiter Dr. Jürgen<br />

Mantell anlässlich der Feierlichkeiten für die Modernisierung<br />

der GS Stellingen eingeweiht.<br />

In <strong>Hamburg</strong> diskutierten wir mit dem Abgeordneten<br />

der <strong>Hamburg</strong>er Bürgerschaft Gerhard Lein über Demokratie<br />

und die politische Situation Bosniens und<br />

stellten ihm unser <strong>Projekt</strong> vor. In Berlin trafen wir im<br />

Paul - Löbe - Haus den Eimsbüttler Bundestagsabgeordneten<br />

Niels Annen, erfuhren von seinen vielfältigen<br />

Aufgaben und wurden über seinen bevorstehenden<br />

Besuch mit dem Außenminister Frank-Walter<br />

Steinmeier in Afghanistan informiert.<br />

Er versprach Hilfe bei der weiteren Sponsorensuche<br />

für unser <strong>Projekt</strong>.<br />

Der Besuch und die mehr als spannende Führung<br />

durch den Reichstag und ein gemeinsames Foto am<br />

Brandenburger Tor rundeten unseren Berlinbesuch<br />

ab.Highlights für die bosnischen und deutschen<br />

<strong>Schüler</strong>innen und <strong>Schüler</strong>, die sich souverän und<br />

wissbegierig in den Diskussionen zeigten und zu ihrem<br />

<strong>Projekt</strong> standen.<br />

Programme in <strong>Sarajevo</strong><br />

und <strong>Hamburg</strong><br />

Abflug in <strong>Hamburg</strong> 17.35 Uhr, Ankunft in <strong>Sarajevo</strong><br />

20.55 Uhr, Ausflug zur Bosna Quelle –<br />

Rückfahrt mit Pferdekutschen<br />

8.7.08<br />

Begrüßung in der Schule und Rundgang<br />

Besprechung der Motive für das Wandbild und Grundierung<br />

der Wände der Schule<br />

Einwerben des Sponsorings von Spraydosen und<br />

Wandfarbe bei Obi<br />

Besuch des Tunnelmuseums<br />

9.7.08<br />

Arbeit am Graffiti<br />

Empfang bei der Bürgermeisterin von Ilidza<br />

18 Uhr Stadtbesichtigung mit dem City-Bus<br />

20 Uhr gemeinsames Abendessen im Franziskaner<br />

Kloster (Brauerei es Sarajevsco Pivo)<br />

10.7.08<br />

Arbeit an den Graffiti<br />

Pressegespräch und Besuch in der Redaktion der<br />

AVAZ<br />

Besuch des Svrzina Hauses<br />

Abends in den Familie<br />

11.7.08<br />

Ausflug mit dem Bus nach Mostar<br />

Stadtrundgang<br />

Baden an den Wasserfällen bei Trebizat<br />

Besuch der Künstlerkolonie Pocitelj<br />

12.7.08<br />

Arbeit an den Graffiti<br />

Einweihung der Graffiti<br />

Gemeinsames Abendessen und Urkundenübergabe<br />

13.7.08<br />

12.40 Uhr Abflug nach <strong>Hamburg</strong><br />

16.55 Uhr Ankunft in <strong>Hamburg</strong><br />

Abend in den Familien<br />

14.7.08<br />

Arbeit an der Müllstatue / Grundieren / Spachteln<br />

19 Uhr Empfang mit Darco in der Ida Ehre GS<br />

15.7.08<br />

vormittags gemeinsamer Schulbesuch<br />

Bemalen der Statue<br />

17 Uhr offizieller Empfang in der GS Stellingen, Ansprachen<br />

von: Schulleiter: Bernd Mader, Leitung der<br />

Abteilung Gesamtschulen: Frau Rüssmann, Oberschulrätin:<br />

Fr. Dr. Buhr, Leiter des Bezirksamtes Mitte:<br />

Dr. Mantell, Budnikowsky: Cord Wöhlke<br />

Einweihung der Müllstatue<br />

16.7.08<br />

Zeugnisausgabe in den Schulen<br />

15 Uhr Hafenrundfahrt<br />

ab 19 Uhr Grillen und Einweihen des Graffiti in der<br />

Margaretenstraße<br />

17.7.08<br />

13 Uhr Rathausbesuch , Gespräch mit dem Bürgerschaftsabgeordneten<br />

der SPD Gerhard Lein<br />

20 Uhr Schmidts Tivoli „Heiße Ecke St. Pauli“<br />

18.7.08<br />

6 Uhr Abfahrt mit dem Bus nach Berlin<br />

Brandenburger Tor, Unter den Linden, Spree Fahrt<br />

14 Uhr Gespräch mit dem Bundestagsabgeordneten<br />

aus Eimsbüttel Niels Annen<br />

16 Uhr Besuch des Reichstags<br />

24 Uhr Ankunft in <strong>Hamburg</strong><br />

19.7.08<br />

Tag in den Familien<br />

Die Lehrerinnen erkunden Lüneburg<br />

20.7.08<br />

Verabschiedung der Bosnier am Flughafen, Urkunden<br />

und CD Überreichung<br />

Offizielles Abschiedsfoto mit <strong>Hamburg</strong> Flagge<br />

8.30 Uhr Abflug nach <strong>Sarajevo</strong><br />

Die Redakteurin des <strong>Hamburg</strong>er Abendblatts Diana<br />

Zinkler reiste am 1.8. nach <strong>Sarajevo</strong> und interviewte<br />

unsere bosnische Lehrerin Armina Poderac und andere,<br />

die ihr über ihre Kriegserlebnisse und das Leben<br />

nach dem Krieg berichteten. Der Bericht „<strong>Sarajevo</strong> im<br />

Herzen“ erschien im Journal des HA am 9.8.<strong>2008</strong>.<br />

Ausblicke<br />

Wir werden den ökologischen <strong>Schüler</strong>austausch<br />

2009 mit 32 <strong>Schüler</strong>innen und<br />

<strong>Schüler</strong> aus <strong>Hamburg</strong> und <strong>Sarajevo</strong> weiterführen.<br />

Die <strong>Hamburg</strong>er <strong>Schüler</strong>innen und <strong>Schüler</strong> werden<br />

weiter Stoffbeutel drucken.<br />

Wir suchen weiter eine Firma, die in <strong>Sarajevo</strong> Stoffbeutel<br />

anbietet.<br />

Beide Politiker, mit denen wir gesprochen haben,<br />

ebenso wie unser Schirmherr Freimut Duve, wollen<br />

sich auch zukünftig für unser ökologisches und interkulturelles<br />

<strong>Austausch</strong>projekt einsetzen.<br />

Im Herbst <strong>2008</strong> ist eine weitere Lesung von Freimut<br />

Duve sowie eine Fotoausstellung mit Bildern aus der<br />

<strong>Projekt</strong>arbeit und von <strong>Sarajevo</strong> und Mostar an der<br />

Ida Ehre Gesamtschule geplant.<br />

Der französische Künstler Darco sucht in <strong>Hamburg</strong><br />

und in <strong>Sarajevo</strong> eine ganze Hauswand für ein Wandbild<br />

und die <strong>Hamburg</strong>er <strong>Austausch</strong>lehrerinnen hierfür<br />

Sponsoren.<br />

Der ehemalige <strong>Schüler</strong> der GS Stellingen Jasenko<br />

Joldic, der heute Medienkommunikation studiert und<br />

aus einem kleinen Dorf bei Tuzla stammt, wird 2009<br />

unseren <strong>Austausch</strong> mit der Filmkamera für den NDR<br />

und ARTE begleiten.<br />

10 11


Darco<br />

Wir lernten Darco im April 2007 in Berlin bei der <strong>Projekt</strong>beratung der Robert Bosch<br />

Stiftung kennen. Er stellte mit polnischen Sozialpädagogen ein Graffiti <strong>Projekt</strong> vor,<br />

das leider nie realisiert wurde.<br />

Der Funke sprang über, Darco zeigte uns sein<br />

Buch und wir sprachen mit ihm über seine<br />

Arbeiten in Frankreich, Australien und auch<br />

<strong>Hamburg</strong>.<br />

2001 arbeitete Darco am 2400 m2 großen Dock<br />

Fresko im <strong>Hamburg</strong>er Hafen mit und drehte hierüber<br />

einen Film.<br />

Seine Arbeiten führten ihn u.a. auch nach New York,<br />

Montreal, Toronto, Fort – de – France, Warschau,<br />

Sydney, Perth, Melbourne, Brisbane und auf die Insel<br />

La Reunion. Auch in China und Südafrika gestaltete<br />

er Wandbilder.<br />

Neben der Arbeit als Bühnenbildner, drehte er Kurzfilme,<br />

und präsentierte seine Werke in vielen persönlichen<br />

Ausstellungen. Er malt Wandbilder, Graffiti und<br />

Fresken auf der ganzen Welt.<br />

Darco wurde 1968 in Deutschland geboren. Seit 1976<br />

lebt er in Frankreich. Sein Abitur absolvierte er an der<br />

deutschen Schule in Paris. Darco entdeckte 1984 die<br />

Wandmalerei (Graffiti – Writing). Er ist bekannt für seinen<br />

3D Stil und spezialisierte sich auf Schriften, wobei<br />

neben den Konturen der Grafik (outline) die Perspektiven<br />

und die Dynamik der Formen und Farben<br />

eine Rolle spielt.<br />

Wir hielten Kontakt zu Darco und fragten ihn schließlich<br />

im September 2007, ob er mit uns in <strong>Hamburg</strong><br />

und <strong>Sarajevo</strong> gemeinsam mit den <strong>Schüler</strong>n ein Wandbild<br />

zum Klimaschutz gestalten würde.<br />

Zu unserer Freude sagte Darco zu! Von den <strong>Schüler</strong>n,<br />

die sich für den <strong>Austausch</strong> bewarben, hörten wir: „Ey<br />

Darco, das glaube ich nicht. Wir dürfen wirklich mit<br />

ihm sprayen?“ In seinen Mails war Darco immer sehr<br />

knapp. Plötzlich schrieb er, dass er in der Zeit unseres<br />

<strong>Austausch</strong>s auch einen anderen Auftrag hätte.<br />

Wir blieben trotzdem optimistisch und besuchten ihn<br />

im Mai in Paris in einer Galerie am Quai Voltaire, wo<br />

er eine Ausstellung hatte, um mit ihm Details zu besprechen.<br />

Die Ausstellung musste gerade abgebaut werden, so<br />

halfen wir und brachten auf einem LKW die Kunstwerke<br />

mit ihm zusammen in eine Garage in Bougival<br />

bei Paris. In einem wunderschönen alten Garten<br />

besprachen wir unser <strong>Projekt</strong> und verständigten uns<br />

darauf, dass er vor der <strong>Sarajevo</strong>reise bereits nach<br />

<strong>Hamburg</strong> kommen würde, da er einen großen Auftrag<br />

auf La Reunion im indischen Ozean zu planen hatte.<br />

Bei Easyjet buchten wir für Darco die Tickets von<br />

Paris nach <strong>Hamburg</strong> und zurück.<br />

Am 2.7.08 holten wir Darco abends auf dem <strong>Hamburg</strong>er<br />

Flughafen ab und am 3.7. startete das Abenteuer<br />

mit ihm und das gemeinsame Arbeiten. Das Hambur-<br />

ger Wandbild in der Margaretenstraße vollendeten die<br />

<strong>Schüler</strong> mit ihm und uns an drei intensiven Tagen.<br />

Bereits vorher hatten wir ein Rollgerüst aufgestellt<br />

und die 60 m2 mit weißer Wandfarbe grundiert.<br />

Wir entdeckten in ihm einen hervorragenden, immer<br />

ruhigen und präzise erklärenden Pädagogen und<br />

Künstler mit großem Gespür und Einfühlungsvermögen<br />

für Menschen. Über ihn kam der Kontakt zur Farbenfirma<br />

in Aachen zustande, die uns großzügig mit<br />

240 Spraydosen unterstützte. So flogen wir gemeinsam<br />

am 6.7. mit ihm und den 16 <strong>Hamburg</strong>er <strong>Schüler</strong>innen<br />

und <strong>Schüler</strong>n nach <strong>Sarajevo</strong>. Wir lebten sieben<br />

Tage gemeinsam im Haus von Armina Pozderac<br />

in Ilidza und weitere zwei Tage in <strong>Hamburg</strong>.<br />

Er half uns bei der Müllskulptur, die noch viele Stunden<br />

intensiver Arbeit brauchte, ehe sie am Dienstag,<br />

d. 15.7. eingeweiht werden konnte. Dieses konnte<br />

Darco nicht miterleben. Wir brachten ihn mittags zum<br />

Flughafen, da er am nächsten Tag nach La Reunion<br />

fliegen musste.<br />

Zum Abschied schenkten wir ihm ein T Shirt mit<br />

einem Foto aller <strong>Projekt</strong>schülerinnen und –schüler<br />

in <strong>Sarajevo</strong> vor dem Graffito, das er alleine gesprayt<br />

hatte. „Es wäre schön, wenn ich eine Wand nur für<br />

mich haben könnte.“, meinte er in seiner bescheidenen<br />

Art. Er half uns bei vier Wänden an der Schule<br />

in Ilidza und wir konnten ihn bei der Arbeit an seinem<br />

eigenen Wandbild beobachten.<br />

In <strong>Hamburg</strong> erinnert der kleine Engel in der oberen<br />

rechten Seite an ihn. Er ließ es sich nicht nehmen, das<br />

Signum auf dem Wandbild zu schreiben. Die Journalistin<br />

Friederike Ulrich vom <strong>Hamburg</strong>er Abendblatt, die<br />

über unser <strong>Projekt</strong> berichtete schrieb am 5.7.: „ Ein<br />

Graffito in einem Eimsbüttler Hinterhof ist Teil eines<br />

deutsch-bosnisch-französischen Klimaschutzprojekts.<br />

16 Oberstufenschüler der Gesamtschule Stellingen<br />

und der Ida Ehre Gesamtschule arbeiten seit<br />

Donnerstag mit Hochdruck an dem großen Wandbild<br />

– angeleitet werden die Jugendlichen von niemand<br />

Geringerem als dem französischen Graffiti – Künstler<br />

Darco. ...“<br />

In einer Mail vom 4.8.08 schrieb Darco:<br />

„Doberdan,alles rogger ?<br />

Natürlich hab‘ ich, wie gesagt, prinzipiell Lust auf ein<br />

neues <strong>Projekt</strong> in <strong>Sarajevo</strong> und eine „Ganze Wand“<br />

wie zB: eine Hausfassade wäre sicherlich auch spaßig.<br />

Das Museum, das Krankenhaus in Ilidja sind<br />

auch tolle Alternativen.<br />

Hier auch noch ein paar Fotos, damit ihr seht was<br />

das Shirt alles gesehen hat.<br />

La Reunion ist eine schöne und vielseitige Insel mit<br />

Bergen, Steppen, Tannenwäldern, Djungel, Wasserfällen,<br />

Zuckerrohr, Vulkanausbrüchen, Gewürzen,<br />

Gerüchen, Scharfe Küche, coole Leute, Tiefsee,<br />

Strömung, …“<br />

Unser großer Dank geht an Darco und natürlich alle<br />

Sponsoren, die die Realisation unseres ökologischen<br />

<strong>Austausch</strong> <strong>Projekt</strong>s mit <strong>Sarajevo</strong> ermöglichten.<br />

Wir freuen uns auf das nächste <strong>Projekt</strong> mit Darco!<br />

Die bosnischen <strong>Austausch</strong>schülerinnen<br />

und -schüler:<br />

Ana Karaga, Neira Eaplijic, Adis Mahmutovic, Mubina<br />

Kahvic, Aida Bilal, Melisa Taranis, Mirela Jasaragic,<br />

Tarik Pozderac, Dino Metarapi, Enida Colo, Hasan<br />

Music, Adaleta Nisic, Una Basic, Kemal Joldzo, Edin<br />

Kulovic, Nejla Musanovic.<br />

Die bosnischen Lehrerinnen:<br />

Snjezana Karaga<br />

Armina Pozderac<br />

<strong>Hamburg</strong>er <strong>Schüler</strong>innen und <strong>Schüler</strong>:<br />

GS Stellingen: Nadine Wegner, Birga Fischer, Matthias<br />

Kind, Claudia Blankenburg, Manja Buchmann,<br />

Melanie Isabelle Rattay, Justine Tessmann, Thomas<br />

Hirt, Sören Bach<br />

Ida Ehre GS: Jana Kohlmüller, Kevin Savic, Hannah<br />

Biehl, Amelie Radwe, Carl Schmidt– Rohr, Lilli Arp,<br />

Justin Wolf<br />

Bericht:<br />

Cläre Bordes, Gesamtschule Stellingen<br />

Julia Muhs, Ida Ehre Gesamtschule<br />

August <strong>2008</strong><br />

12 13


16 <strong>Schüler</strong> aus <strong>Sarajevo</strong><br />

und 16 <strong>Schüler</strong><br />

aus <strong>Hamburg</strong> erleben<br />

unvergessliche Momente<br />

in Bosnien<br />

und Deutschland<br />

Am 6. Juli <strong>2008</strong> (ein ziemlich heißer Sonntag)<br />

haben wir Bosnier am Flughafen auf unsere<br />

Kolleginnen aus <strong>Hamburg</strong> ganz ungeduldig<br />

gewartet. Das Flugzeug aus München hatte eine<br />

Stunde Verspätung. Und dann –gleichzeitig drei<br />

abendliche Flugzeugslandungen in <strong>Sarajevo</strong>, so<br />

viele Reisende. Unsere <strong>Schüler</strong> und Eltern fangen<br />

an zu zweifeln, ob die <strong>Hamburg</strong>er angekommen<br />

sind. Aber, die gut gelaunte Lehrerinnen Cläre und<br />

Julia, der französische Künstler Darco und alle 16<br />

<strong>Schüler</strong>Innen erscheinen,<br />

Alles läuft wie immer so unglaublich schnell! Es gibt<br />

keine Zeit zum Fotografieren, obwohl das erste <strong>Schüler</strong>treffen<br />

der aufregendste und schönste Moment<br />

ist. Das lange Warten lohnt sich.<br />

Der Ausflug zur Bosna Quelle am 7. Juli ist eine gute<br />

Gelegenheit, die 3 km lange „Große Allee“, einen grünen<br />

Tunnel aus zwei Reihen von Kastanien (aus dem<br />

Jahr 1888) und zwei Reihen Platanen, zu bewundern.<br />

Die Quelle der Bosna ist ein Naturpark am Fuße des<br />

Berges Igman mit zahlreichen Quellen, Bächen, Seen<br />

und kleinen Inseln in der Nähe von Ilidza, wo sich<br />

unsere Schule befindet. Die <strong>Schüler</strong> sprechen und<br />

lachen miteinander. Mit alten Pferdekutschen, die es<br />

nur in Ilidza gibt, fahren wir zurück.<br />

Am 8. Juli (Dienstag) werden die Gäste in der Schule<br />

begrüßt, die bosnischen und deutschen <strong>Schüler</strong> machen<br />

einen gemeinsamen Rundgang durch die Schule.<br />

Und dann - in der Aula und im Deutschraum besprechen<br />

sie mit dem Künstler Darco aus Frankreich,<br />

einem alten „Graffiti-Wolf“ die Motive für die Wandbilder.<br />

Am Nachmittag besuchen wir das Tunnelmuseum,<br />

das so genannte <strong>Sarajevo</strong>er Kriegsmuseum in<br />

Butmir, einem Teil von Ilidza, für das sich viele <strong>Sarajevo</strong>besucher<br />

interessieren. Die starke Hitze fühlen<br />

wir nicht.<br />

Der nächste Tag ist für die Arbeit an den Graffiti reserviert.<br />

Aus einer leeren weißen Wand eine bunte<br />

Botschaft anzubringen ist keine einfache Aufgabe.<br />

Aber niemand ist allein. Und die Ideen vom vorigen<br />

Tag können auch korrigiert oder verändert werden.<br />

Am wichtigsten ist es, dass wir genug Spraydosen<br />

haben. In der Pause werden wir von der Burgmeisterin<br />

von Ilidza empfangen, wir besuchen eine <strong>Schüler</strong><br />

Foto Ausstellung mit Kulturerbschaft von Ilidza. Am<br />

Vorabend dann etwas Neues in unserer Stadt: Stadtbesichtigung<br />

mit dem City-Bus. Das ganze <strong>Sarajevo</strong><br />

ist vor / hinter uns. Wir sind im Zentrum, am Stadtrand,<br />

bewundern die Stadt von Bergen.<br />

Nach der bunten, lauten, lustigen Arbeit an den Graffiti<br />

kommt am Mittwoch der Besuch in der Redaktion<br />

der AVAZ (der meist gelesenen Tageszeitung<br />

in <strong>Sarajevo</strong> /Bosnien-Herzegowina) und ein Pressegespräch,<br />

gemeinsames Fotografieren auf der<br />

Sommerterrasse, und der großartige Blick auf einen<br />

großen Teil der Stadt.<br />

Das Svrzo-Haus in der Altstadt bietet am Nachmittag<br />

den Einblick in das ehemalige besondersartige Familienleben<br />

in Bosnien und ist während der Hitze wie<br />

eine Oase. Am 11.7. fahren wir ins noch heißere Mostar,<br />

in die für seine alte Brücke bekannte Stadt.<br />

In Mostar sind die Folgen des Kriegs noch ziemlich<br />

sichtbar.<br />

Die Weiterfahrt zu den Wasserfällen „Kravice“ in der<br />

Herzegowina ist auch für die einheimischen <strong>Schüler</strong><br />

eine gute Gelegenheit, die Naturschönheiten von<br />

Bosnien-Herzegowina zu genießen. Wir sind im Paradies!<br />

Ich muss gestehen: Ich, die kein Auto hat<br />

und fährt, bin zum ersten Mal hier. Wir baden alle<br />

an den Wasserfällen, der immer noch saubere Fluss<br />

heißt Trebizat.<br />

Es gibt noch Arbeit an den Graffiti (12.7.). Manche<br />

Teile / Farben /Nuancen werden geändert. Die Schule<br />

sieht nun reicher aus.<br />

Unsere Wandbilder:<br />

Die Erde, die bald explodieren kann.<br />

Eine Sanduhr, die mahnt.<br />

<strong>Sarajevo</strong> und <strong>Hamburg</strong> verbunden in mehreren Motiven.<br />

Man weiß nicht genau, wann alles fertig ist, alles<br />

kann immer besser sein, und die <strong>Schüler</strong> – Künstler<br />

geben alles von sich.<br />

Am 13.7. sind wir am <strong>Hamburg</strong>er Flughafen. Die<br />

Eltern warten auf uns, und die Abholung dauert<br />

noch kürzer als in <strong>Sarajevo</strong>. Für uns Lehrerinnen etwas<br />

Freizeit und die Gelegenheit, durch die angenehme<br />

fast internationale, menschenreiche Osterstraße<br />

in Eimsbüttel zu spazieren.<br />

Was für ein Wunder ist aus der voriges Jahr angefangenen<br />

Müllstatue entstanden! Ein echtes Kunstwerk,<br />

finde ich.<br />

Dieses Jahr setzen die <strong>Schüler</strong> ihre Arbeit fort.<br />

Noch grundieren und spachteln sie, .Arbeit für einen<br />

ganzen Tag. Wenn wir nur so viel Grün und so viel<br />

Raum um die Schule hätten wie die Stellinger <strong>Schüler</strong><br />

und Lehrer!<br />

Am Abend des 14.7. werden wir in der Ida Ehre Gesamtschule<br />

herzlich empfangen und von der Schulleiterin<br />

Frau Wendland und unserer Kollegin Julia<br />

Muhs vorgestellt.<br />

Das kleine Fest mit einem von Lehrern und Lehrerinnen<br />

vorbereitetem Programm ist eine angenehme<br />

Überraschung für mich und meine Kollegin Armina.<br />

Noch die Statue bemalen – keine kurze Arbeit!<br />

Wir Bosnier würden gern die Müllstatue nach Ilidza<br />

mitnehmen.<br />

Am 15.7. werden wir in der GS Stellingen offiziell<br />

empfangen. Am Abend ist der offizielle Festakt anlässlich<br />

des Abschlusses der Grunderneuerung der<br />

GS Stellingen und die Enthüllung und Einweihung<br />

unserer Müllstatue. Die <strong>Schüler</strong> verabschieden sich<br />

von Darco, mit dem sie so erfolgreich gearbeitet haben.<br />

Am nächsten Tag folgt die Zeugnisabgabe in den<br />

Schulen, die bosnischen <strong>Schüler</strong> haben die Gelegenheit,<br />

deutsche Zeugnisse zu sehen und die Atmosphäre<br />

kennen zu lernen. Die Fahrt mit der U-Bahn<br />

14 15


is zu Landungsbrücken und mit dem Boot durch<br />

die <strong>Hamburg</strong>er Speicherstadt ist wegen der für uns<br />

selten benützten Verkehrsmittel und so viel Wasser<br />

ein Erlebnis. Am Abend feiern wir mit Eltern und<br />

<strong>Austausch</strong>schülern/innen noch ein großartiges Graffito<br />

in der Margaretenstraße. Der kurze Regen stört<br />

uns beim Gespräch und Grillen nicht. Die <strong>Schüler</strong>in<br />

Nadine führt ein unangemeldetes kurzes Programm<br />

auf ihrem Einrad aus - sie bereitet sich für die Einrad<br />

Weltmeisterschaft in Dänemark vor.<br />

Am 17.7.<strong>2008</strong>. haben die <strong>Schüler</strong> Zeit, eine freien<br />

Spaziergang durch das wunderschöne <strong>Hamburg</strong> zu<br />

machen und die Stadt zu recherchieren. Dann besichtigen<br />

wir das Rathaus in der Rathausführung<br />

informierten wir uns über die Geschichte des imposanten<br />

Gebäudes und über <strong>Hamburg</strong>s Geschichte.<br />

Durch das Gespräch mit Gerhard Lein (einem Bürgerschaftsabgeordneten<br />

der SPD), bekommen die<br />

<strong>Schüler</strong>Innen Informationen über einen Teil des<br />

politischen Alltags und Tätigkeiten eines Bürgerschaftsabgeordneten<br />

in <strong>Hamburg</strong> . Am Abend besuchen<br />

wir das Schmidts Tivoli und sehen das Musical<br />

„Heiße Ecke St. Pauli“, mit guten Schauspielern,<br />

guten Songs und mit einem echten kleinen Theaterorchester.<br />

Die Atmosphäre ist anders als in einem<br />

klassischen Theater, viel gelassener und während<br />

der Pause kann man etwas trinken.<br />

Dann kommt Berlin, die größte Stadt, in der ich je<br />

war.<br />

Wie könnte ich diesen Tag beschreiben? Wir stehen<br />

sehr früh auf und genießen die Fahrt , die breite Autobahn.<br />

Wir fahren durch die ehemalige DDR und<br />

sehen viele verlassene Bauernhöfe. Am Brandenburger<br />

Tor muss man unbedingt ein gemeinsames<br />

Foto machen. Während der Schifffahrt bekommen<br />

die <strong>Schüler</strong> viele wichtige Informationen über Berlin<br />

und seine Geschichte, und sehen viele wichtige Gebäude.<br />

Nach dem Gespräch mit dem Bundestagsabgeordneten<br />

Niels Annen aus <strong>Hamburg</strong>, der auf die<br />

Fragen der <strong>Schüler</strong> so ausführlich antwortet, genießt<br />

die Gruppe den großartigen Blick auf die Stadt Berlin<br />

vom Reichstagsgebäude. Ich fühle mich wie in einem<br />

Raumschiff, so modern ist das Glasdach, wir verlieren<br />

uns im Besucherfluss.<br />

Der neunzehnte Juli ist für alle Familien zur freien Verfügung.<br />

Julia und Cläre, unsere Kolleginnen und <strong>Austausch</strong>lehrerinnen,<br />

schenken uns einen regnerischen<br />

Spaziergang durch den lebendigen und bunten<br />

Stadtteil Altona. Dann fahren wir nach Lüneburg. Wir<br />

besuchen ein Frauenkloster, besichten die Altstadt,<br />

fotografieren, besuchen eine sehr alte Brauerei<br />

und eine Konzertprobe in einer der alten Lüneburger<br />

Kirche.<br />

Der 20.Juli ist der Abschiedsmorgen. Auf dem Gruppenfoto<br />

mit <strong>Hamburg</strong>er Flagge kann man sehen,<br />

wie traurig Edin ist, weil er seinen Pass verloren<br />

hat. Lachen und Tränen, alles vermischt sich. Edin<br />

bekommt Erlaubnis, ohne Pass nach Bosnien zu<br />

fliegen. <strong>Hamburg</strong> bleibt hinter uns, aber immer in<br />

unseren Herzen. Bei uns Lehrerinnen immer Sorgen:<br />

Werden unsere <strong>Schüler</strong> rechtzeitig ihre Berichte<br />

schreiben?<br />

Am Ende kann ich nur noch sagen, dass ich stolz darauf<br />

bin, was wir Lehrerinnen zusammen mit unseren<br />

<strong>Schüler</strong>n erlebt und erreicht haben.<br />

Snjezana Karaga, <strong>Sarajevo</strong>, 28.August <strong>2008</strong><br />

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17


<strong>Schüler</strong>berichte<br />

Deutschland - Bosnien. Berichte deutscher <strong>Schüler</strong><br />

18. Geburtstag in Bosnien<br />

Amelie Radwe, Ida Ehre Gesamtschule<br />

Unser <strong>Projekt</strong> begann mit einem Graffito, das<br />

wir mit Hilfe des französischen Künstlers<br />

Darco gestalteten. Dazu grundierten wir eine<br />

Wand in der Margaretenstraße 62 in Eimsbüttel und<br />

verwirklichten Stück für Stück unsere Ideen, die wir<br />

zum Thema „Klimawandel und Umweltschutz“ entwickelt<br />

hatten. Die Arbeit an dem Wandbild gab die<br />

Chance, uns innerhalb der deutschen Gruppe kennen<br />

zu lernen.<br />

Am Sonntag, den 6. Juli <strong>2008</strong>, flogen wir um 17:35<br />

Uhr in <strong>Hamburg</strong> los und landeten um 22:55 Uhr in<br />

<strong>Sarajevo</strong>. Dort wurden wir herzlich von unseren Gastfamilien<br />

empfangen. Als wir zu Hause bei den Gast-<br />

familien waren, blieb den meisten von uns nicht viel<br />

Zeit uns gegenseitig kennen zu lernen, da wir von der<br />

Reise sehr kaputt waren. Das holten wir aber gleich<br />

am nächsten Tag nach.<br />

Am Montag ging es ziemlich früh los, denn wir machten<br />

einen Ausflug zur Bosna Quelle. Den Rückweg<br />

traten wir mit Pferdekutschen an. An diesem Tag bekamen<br />

wir zum ersten Mal die Kraft der bosnischen<br />

Sonne zu spüren und fingen langsam an uns an diese<br />

zu gewöhnen. Den Rest des Tages verbrachten wir<br />

damit Ilidza, „<strong>Sarajevo</strong> City“ und unsere <strong>Austausch</strong>partner<br />

etwas besser kennen zu lernen.<br />

An diesem Abend haben meine <strong>Austausch</strong>partnerin<br />

und ich bei meiner Freundin und ihrer <strong>Austausch</strong>partnerin<br />

übernachtet und ein bisschen in den 18. Geburtstag<br />

meiner Freundin rein gefeiert.<br />

Am zweiten Tag in <strong>Sarajevo</strong> trafen wir uns in der<br />

Schule unserer <strong>Austausch</strong>schüler und besprachen<br />

die Motive der verschiedenen Wandbilder. Wir grundierten<br />

zunächst die Wände. Frau Bordes und Frau<br />

Muhs organisierten von Obi in <strong>Sarajevo</strong> Wandfarbe<br />

und einen großen Teil Spraydosen.<br />

Wir besuchten später das Tunnelmuseum, zu dem<br />

wir mit einem völlig überfüllten und überhitzten Bus<br />

fuhren. Den Abend verbrachten wir, wie viele Abende,<br />

in mehr oder weniger kleinen Gruppen in Bars und<br />

unterhielten uns. An diesem Abend feierten wir zudem<br />

Hannahs 18. Geburtstag.<br />

Am nächsten Tag starteten wir aufgeregt mit den<br />

Graffiti. Einige von uns gingen zu einem Empfang bei<br />

der Bürgermeisterin von Ilidza. Später machten wir<br />

eine Stadtbesichtigung mit dem City-Bus und aßen<br />

im Anschluss in der alten und traditionsreichen <strong>Sarajevo</strong>er<br />

Brauerei, einem ehemaligen Franziskaner Kloster,<br />

zu Abend. Am nächsten Morgen arbeiteten wir<br />

wieder an den Graffiti und besuchten die Redaktion<br />

der Lokalzeitung AVAZ.<br />

Den Rest des Tages gestalten alle <strong>Austausch</strong>paare<br />

in eigener Regie. Es ging früh ins Bett, denn es sollte<br />

am Tag darauf früh nach Mostar gehen. Das bedeutete<br />

für uns um fünf Uhr aufstehen zu müssen.<br />

Früh ging es mit einem Bus durch die herrliche Landschaft<br />

der julischen Alpen hindurch, vorbei an Seen<br />

und Wasserfällen. In Mostar erkundeten wir erst alle<br />

zusammen die Stadt, erfuhren Historisches über die<br />

Gründung der Stadt und die Kriegszeit. Dann gingen<br />

wir in kleinen Gruppen auf eigene Entdeckungen. Der<br />

erst geplante Ausflug ans Meer platzte, da sechs von<br />

uns ihre Pässe vergessen hatten. So fuhren wir an die<br />

Wasserfälle bei Trebizat. Dort hatten wir alle richtig<br />

Spaß. Ein einmaliges Erlebnis!<br />

Auf dem Rückweg nach <strong>Sarajevo</strong> besichtigten wir<br />

eine Künstlerkolonie in Pocitelj. Am letzten Tag vor<br />

dem Abflug nach <strong>Hamburg</strong> beendeten wir die Graffiti,<br />

empfingen Reporter und weihten unsere Kunstwerke<br />

ein. Zum Abschluss aßen wir auf Einladung in einem<br />

besonderen Restaurant an der Miljaka, bekamen Urkunden<br />

und Geschenke überreicht. Den Abend verbrachten<br />

wir in unseren Gastfamilien. Ich ging noch<br />

ein zweites Mal mit meiner Gastfamilie essen und traf<br />

weitere Familienmitglieder, die ich unbedingt kennen<br />

lernen sollte.<br />

Am nächsten Tag trafen wir uns alle am Flughafen<br />

und verabschiedeten uns von den Familien. In <strong>Hamburg</strong><br />

erwartete uns ein um 30 Grad kälteres Wetter.<br />

Der zweite Tag in <strong>Hamburg</strong> fing mit einem frühen<br />

Schulbesuch an, da einige <strong>Schüler</strong> aus <strong>Hamburg</strong><br />

ein „kleines schulisches Pflichtprogramm“ zu erfüllen<br />

hatten. Die meisten bosnischen <strong>Schüler</strong> wollten<br />

dieses nicht mitmachen und fuhren mit einer genauen<br />

Beschreibung in die Stadt. Einige von uns bemalten<br />

stundenlang die „Müllstatue“, die die deutsch-bosnische<br />

<strong>Austausch</strong>gruppe im vergangenen Jahr begonnen<br />

hatte, damit sie feierlich eingeweiht werden<br />

konnte.<br />

Dr. Mantell, der Leiter des Bezirksamts, hielt die Laudatio.<br />

Der darauf folgende Tag bescherte den deutschen<br />

<strong>Schüler</strong>n ihre Zeugnisse. Mittags trafen wir<br />

uns dann zu einer Hafenrundfahrt. Am Abend veranstalteten<br />

wir ein Grifffest am Graffiti, welches wir vor<br />

der <strong>Sarajevo</strong> Woche erstellt hatten. Wir kämpften mit<br />

dem Regen und hatten Sorge, dass die Grills ausgingen.<br />

Den Tag darauf wurden wir durch das Rathaus<br />

geführt und sprachen mit dem Abgeordneten der<br />

SPD Gerhard Lein. Den Rest des Tages verbrachten<br />

wir in der Stadt. Am Abend besuchten wir die Vorstellung<br />

„Heiße Ecke St.Pauli“ im Schmidts Tivoli.<br />

Am Freitag ging es per Bus nach Berlin, dort besichtigten<br />

wir das Brandenburger Tor, machten eine Spree-<br />

Fahrt, diskutierten mit Niels Annen, erfuhren Interessantes<br />

über den Reichstag und zeigten den Bosniern<br />

in kleinen Gruppen Berlin.<br />

Als wir dann wieder in <strong>Hamburg</strong> waren, sind wir alle<br />

total kaputt ins Bett gefallen.<br />

Den letzten Tag vor dem Abflug der bosnischen<br />

<strong>Schüler</strong> verbrachten wir in den. Der Tag des Abfluges<br />

begann unglaublich früh. Am Flughafen bekamen wir<br />

alle noch eine Urkunde, machten ein Gruppenfoto<br />

und verabschiedeten uns unter Tränen von unseren<br />

<strong>Austausch</strong>schülern.<br />

Ich habe an diesem <strong>Projekt</strong> teilgenommen um neue<br />

Erfahrungen zu sammeln und ein neues Land kennen<br />

zu lernen. Das <strong>Projekt</strong> hat mir großen Spaß gemacht,<br />

auch wenn es wie in jeder Gruppe mal ein paar kleine<br />

Streitereien gab. Ich habe neue Freunde gefunden,<br />

die ich so bald wie möglich wieder besuchen möchte.<br />

Ich würde jedem, der an neuen Erfahrungen interessiert<br />

ist, empfehlen, an diesem <strong>Projekt</strong> teilzunehmen.<br />

Ich denke jeder wird positiv überrascht sein.<br />

18 19


Besuch in einer Nachkriegsstadt<br />

Birga Fischer, Gesamtschule Stellingen<br />

Es ist halb fünf als mich meine Gastschwester<br />

Neira an diesem Tag weckt, für meine Verhältnisse<br />

einige Stunden zu früh. Schon eineinhalb<br />

Stunden später müssen wir im Bus sitzen, um mit<br />

den anderen nach Mostar zu fahren. Ich freue mich<br />

auf diese Reise. Noch nie war ich in einer Stadt, der<br />

man noch immer ansieht, dass hier einige Jahre zuvor<br />

Krieg herrschte.<br />

Auch, wenn der Krieg am 14.12.1995 beendet wurde,<br />

kann man noch heute, knapp dreizehn Jahre<br />

Kriegsende, sehen, was dieser Krieg angerichtet hat.<br />

In den Hauswänden sehe ich Einschusslöcher- es<br />

sind unzählbar viele, EUFOR (European Force) Soldaten<br />

aus verschiedenen Ländern laufen durch die<br />

Straßen, ich sehe einige aus der Türkei und aus<br />

Deutschland, aber auch aus anderen Ländern. Viele<br />

Häuser hier sind teilweise noch total zerstört, anders<br />

als in <strong>Sarajevo</strong>, wo man kaum noch zerstöre Häuser<br />

sieht. In der Metropole gibt es viele modere Häuser.<br />

In Mostar gehen wir zunächst mit der ganzen Gruppe<br />

durch die Stadt, gehen über die berühmte alte Brücke<br />

von Mostar, eine im Krieg zunächst zerstörte Brücke,<br />

sie galt vor dem Krieg von 1992-1995 als Symbol des<br />

friedlichen Zusammenlebens von Muslimen, Kroaten<br />

und Serben, zwischen Ost und West. Nach dem Krieg<br />

wurde die Brücke originalgetreu wiederaufgebaut, im<br />

Jahr 2004 wurde sie fertig gestellt. Nachdem wir alle<br />

zusammen durch die Stadt gelaufen sind, hatten wir<br />

einige Stunden Freizeit und haben in kleinen Gruppen<br />

die Stadt auf eigene Faust erkundet.<br />

Einige gingen Eis essen und Souvenirs kaufen, meine<br />

Gruppe hingegen entschied sich in einer kleinen<br />

Pizzeria etwas zu essen, und wie es auch sonst in<br />

Bosnien üblich ist, aßen die Bosnier ihre Pizza nicht<br />

ohne sich vorher Ketschup drauf zu tun. Nach dem<br />

Pizzaessen ist meine Gruppe noch zur Neretva, dem<br />

Fluss, der unter der alten Brücke verläuft, gelaufen.<br />

Wir haben unsere Hände in den Fluss gehalten. Beinahe<br />

hätten wir den Bus verpasst und so mussten wir<br />

durch die Stadt rennen, um noch rechtzeitig den Bus<br />

zu erreichen.<br />

Mostar ist wirklich eine wunderschöne Stadt, deren<br />

Besuch ein Muss ist, wenn man in Bosnien auf Erkundungsreisen<br />

geht.<br />

Der Besuch war eines der vielen Highlights während<br />

des unvergessenen Bosniensaustausches.<br />

Eine Reise nach Mostar<br />

Carl Schmidt-Rohr, Ida Ehre Gesamtschule<br />

Um halb 6 Uhr morgens klingelt mein Handy,<br />

schnell duschen, was essen und los –<br />

zusammen mir Kemal laufe ich durch verwinkelte<br />

kleine Straßen und Vorstadtgärten, vorbei an<br />

stehengebliebenen Ruinen – zur Straßenbahnstation.<br />

Diese kommt wie immer fast im Minutentakt, kein<br />

Warten, dafür wackelt sie heftigst während der Fahrt,<br />

für mich als <strong>Hamburg</strong>er ziemlich ungewohnt. Nach<br />

nur drei Stationen erreichen wir das am Stadtrand<br />

liegende Ausgehviertel Ilidza. Hier wimmelt es nur so<br />

von Bars und kleinen Shops und sogar um diese Uhrzeit<br />

laufen schon Menschen durch die Gassen und<br />

die ersten House-Techno Klänge ertönen. Wir finden<br />

unseren Reisebus, der unsere deutsch-bosnische<br />

Gruppe nach Mostar bringen wird.<br />

Die Fahrt ist zermürbend, gefühlte 50 Grad Hitze machen<br />

nur mäßig Spaß. Nach vier Stunden erreichen<br />

wir Mostar, eine alte, mittelgroße Stadt, die geteilt ist<br />

in einen muslimischen und einen christlichen Teil.<br />

Überall sind neben Coca-Cola Plakaten noch die<br />

Spuren des Krieges zu sehen, viele der Häuser haben<br />

Einschusslöcher im Putz und ich sehe mehr Ruinen<br />

als in <strong>Sarajevo</strong>.<br />

Wir überqueren den tief in einer Schlucht liegenden,<br />

von Häusern umgebenen Fluss Neretwa auf einer<br />

schmalen Brücke. Dann gibt’s für alle Pizza in einem<br />

Restaurant.<br />

Eigentlich wollten wir weiter nach Kroatien und zur<br />

Mittelmeerküste, aber nicht alle von uns haben ihren<br />

Pass dabei und in diesem Teil Europas sind Grenzen<br />

ohne Papiere unpassierbar.<br />

Es ist heiß und wir fahren mit dem Bus anstatt ans<br />

Meer zu Wasserfällen in den Bergen, daneben ein<br />

kleiner See. Vom Parkplatz aus müssen wir uns durch<br />

Dickicht und Geröll nach unten zu dem See kämpfen<br />

und werden belohnt mit einem erfrischenden Bad,<br />

Felsen von denen man ins Wasser springen kann und<br />

versteckten Höhlen hinter den Wasserfällen.<br />

Erst spät fahren wir wieder zurück nach <strong>Sarajevo</strong> und<br />

kommen dort kurz vor Mitternacht an. Todmüde steigen<br />

Kemal und ich wieder in die wackelige Straßenbahn,<br />

die uns nach Hause bringt.<br />

Der Beginn einer langen<br />

Freundschaft<br />

Claudia Blankenburg, Gesamtschule Stellingen<br />

Müde Gedanken schwirrten in meinem Kopf,<br />

während die anderen aufgeregt Hoffnungen<br />

äußerten.<br />

Würden wir uns gut verstehen und verständigen können?<br />

Ist sie nett? Akzeptiert ihre Familie mich?<br />

Ich war zu sehr in Gedanken versunken um zu schlafen<br />

und zu müde von dem ewigen Warten im Terminal<br />

um mich an den heiteren Gesprächen der anderen<br />

zu beteiligen. Es werden anstrengende Tage, das<br />

wusste ich.<br />

Dann standen wir schon dort, im Ankunftsterminal<br />

in <strong>Sarajevo</strong>. Nach wenigen Augenblicken befand ich<br />

mich in den Armen meiner <strong>Austausch</strong>partnerin Mubina,<br />

die mich aufgeregt ihrer Familie vorstellte.<br />

Auch wenn sie nicht gut Deutsch und ich nicht gut<br />

Englisch sprechen konnte, verstanden und vertrauten<br />

wir einander sofort. Der erste Tag schon wurde lang<br />

und die Nacht kurz, da wir ohne Ende redeten.<br />

Sie zeigte mir ihren Heimatort Hrasnica und machte<br />

mich mit ihren Freunden bekannt. Mit der Familie saßen<br />

wir abends zusammen und erzählten, spielten<br />

Gesellschaftsspiele und lachten.<br />

Obwohl wir auch darüber redeten, fiel es nach kurzer<br />

Zeit so gut wie gar nicht mehr auf, dass das Land ein<br />

Nachkriegsland ist und viele Gebäude immer noch<br />

zerstört sind.<br />

Die Tage vergingen viel zu schnell als dass man überhaupt<br />

realisieren konnte, wie schön es doch war.<br />

Beim Abschied weinten wir alle, Mubinas Schwester,<br />

ihre Mutter, ich… man wusste ja nicht, wann und ob<br />

man sich überhaupt wiedersehen würde.<br />

Der Flug war unbehaglich, ich war zwar froh nach<br />

<strong>Hamburg</strong> zurückzukehren, aber dennoch wusste ich<br />

nicht, was ich wollte und wie es in Deutschland für<br />

Mubina sein würde. Wie sich herausstellte, war sie<br />

ganz begeistert von meiner Familie und ihrem Aufenthaltsort<br />

für die nächste Woche. Was sie etwas wunderte<br />

war allerdings die verschlossene Gesellschaft,<br />

die sie in <strong>Hamburg</strong> umgab.<br />

In ihrem Land behandeln sich alle wie eine große Familie,<br />

in der sich jeder kennt.<br />

Dieser Eindruck blieb bestehen, aber er hielt sie nicht<br />

davon ab, von Energie nur so zu sprühen und mich<br />

gleich anzustecken.<br />

Ich zeigte ihr soviel ich konnte an Kultur in <strong>Hamburg</strong><br />

und wir unterhielten uns ständig über die Unterschiede<br />

und Gemeinsamkeiten unserer Religionen,<br />

da sie Moslem ist und ich dem Christentum angehöre.<br />

Wir hatten leider soviel um die Ohren, dass ich es nur<br />

schwerlich schaffte, ihr einen Einblick in meinen Alltag<br />

zu geben und ihr meine Hobbys zu zeigen, sowie<br />

sie meinen Freunden vorzustellen und ihr noch ein<br />

bisschen mehr von Deutschland zu zeigen.<br />

Leider musste Mubina viel zu früh wieder abreisen, im<br />

Koffer allerlei Mitbringsel für ihre Familie, Verwandten<br />

und Freunde.<br />

Da standen wir auch schon mit Tränen in den Augen<br />

am Terminal und versprachen, Kontakt zu halten und<br />

uns unbedingt wiederzusehen.<br />

Ich reiste in eines der<br />

schönsten Länder der Erde<br />

Hannah Biehl, Ida Ehre Gesamtschule<br />

Als ich das erste Mal von diesem <strong>Projekt</strong> erfuhr,<br />

konnte ich mir eigentlich noch nichts<br />

Genaueres darunter vorstellen. Ich hatte mich<br />

angemeldet, um eine völlig neue und aufregende<br />

Erfahrung zu machen. Ich wurde definitiv nicht enttäuscht.<br />

Nachdem wir uns bei mehreren Vortreffen<br />

20 21


und Elternabenden sowie Graffitiarbeiten in Deutsch- allerdings trotzdem für dieses Risiko. Ich denke, dass<br />

land langsam zu einer Gruppe zusammen gefunden nicht viele deutsche <strong>Schüler</strong> die Möglichkeit haben,<br />

hatten und uns dann alle am Flughafen trafen, ging ihren18. Geburtstag in einem so fremden Land zu fei-<br />

es endlich los.<br />

ern.<br />

Es wurde ernst und ich denke, dass wir alle unendlich Für mich war dies ein sehr ergreifender Abend. Die<br />

aufgeregt und gespannt waren. Was würde uns er- ganze Familie hatte daran gedacht und mir sogar um<br />

warten? Wer holt uns ab? Wie werden wir in unseren Mitternacht eine Schokotorte und ein Glücksbringer<br />

neuen Familien aufgenommen?<br />

Armband geschenkt. Ich hab mich richtig aufgeho-<br />

Durch meine Flugangst begleitete mich noch eine<br />

ganz andere Aufregung.<br />

ben gefühlt.<br />

Es lief alles glatt und wir kamen heil und unversehrt<br />

am Flughafen von <strong>Sarajevo</strong> an.<br />

Ich glaube, dass es mit Abstand einer der aufregendsten<br />

Momente in meinem Leben war, als ich mit<br />

Ausflug nach Mostar<br />

Hannah Biehl, Ida Ehre Gesamtschule<br />

Strickmütze 9€<br />

meinen Freundinnen durch die Tür zu den Familien<br />

ging.<br />

Dann ging alles ganz schnell. Meine <strong>Austausch</strong>part-<br />

Ich kann mich leider nicht mehr wirklich daran erinnern,<br />

aber ich glaube, es war der fünfte Tag, als<br />

wir einen Ausflug nach Mostar gemacht haben.<br />

nerin, Adela, nahm mich an die Hand und führte mich Anschließend sollte es noch an die Kroatische Küste<br />

mit ihrer Familie zum Parkplatz. Der erste Eindruck gehen. Mit einem sehr modernem Reisebus (moder-<br />

war einfach überwältigend.<br />

ner als unserer in Deutschland) wurden wir morgens<br />

Ich befand mich in einem völlig fremden Land, mit um sechs Uhr abgeholt und begannen unsere Fahrt.<br />

völlig fremden Menschen und auf einmal saß ich im Die Stadt Mostar war sehr beeindruckend. Wieder<br />

Auto auf dem Weg zu einem Restaurant. Bis dahin wurden wir von zerschossenen Kulissen und extrem<br />

konnte ich noch nicht viel über meine <strong>Austausch</strong>- modernen Gebäuden erwartet. Wir machten eine<br />

partnerin und ihre Familie sagen, ich wurde aber un- kleine Rundtour und hatten anschließend noch freie<br />

glaublich herzlich empfangen. Es stellte sich nach ein Zeit.<br />

paar Tagen heraus, dass unsere Lehrer die perfekte In kleinen Gruppen erkundeten wir diese wunder-<br />

Wahl getroffen hatten. Ich verstand mich einfach toll schöne und zugleich erschreckend durch den Krieg<br />

mit Adela.<br />

in Mitleidenschaft gezogene Stadt. Nach zwei Stun-<br />

Wir haben in diesen Tagen viele interessante Ausflüden sind wir dann wieder zurück zum Bus gelaufen<br />

ge zu den unterschiedlichsten Orten gemacht und und freuten uns auf den Kroatischen Strand.<br />

waren alle sichtlich überwältigt.<br />

Allerdings kam nun alles anders als geplant, denn lei-<br />

Eine Tour durch die Stadt von <strong>Sarajevo</strong> hat uns geder hatten sechs <strong>Schüler</strong> ihre Pässe vergessen und<br />

zeigt, wie sehr sich der Krieg noch an den Mauern wir mussten ersatzweise zu einem anderen, in Bos-<br />

der Häuser abzeichnet.<br />

nien gelegenen, Ort fahren.<br />

Die Menschen in Bosnien leben aber erstaunlicher- Dieser Umweg und Aufwand haben sich aber sehr<br />

weise jeden Tag damit, als wäre es etwas ganz All- gelohnt. Wie sich herausstellte waren wir an einem<br />

tägliches und vor allem Normales. Als wir durch die kleinen See gelandet, der in einen Fluss mündete<br />

Straßen gingen, blieb den meisten von uns der Mund und aus drei hohen Wasserfällen entsprang. Man<br />

vor Erstaunen offen stehen.<br />

kann sich kaum vorstellen was für Naturschönheiten<br />

Die Wände waren zerschossen, teilweise konnte man dieses Land zu bieten hat. Wir haben einen un-<br />

geradezu in die Treppenhäuser der Wohnanlagen guglaublichen Nachmittag dort verbracht und sind im<br />

cken. Manche Etagen hatte es so schlimm erwischt, Anschluss alle erschöpft nach <strong>Sarajevo</strong> zurück ge-<br />

dass man nicht mehr in ihnen wohnen konnte und fahren.<br />

direkt eine Etage drüber brannte wieder Licht, sogar Für mich war dieser <strong>Austausch</strong> einfach unglaublich.<br />

Gardinen waren an den Fenstern zu sehen. Erstaun- Mir kommen heute noch die Tränen, wenn ich an den<br />

licherweise stand direkt nebenan wiederum ein hoch Abschied von meiner Familie denke, von der ich wie<br />

modernes Gebäude so wie man es kaum aus Ham- ein richtiges Familienmitglied behandelt wurde. Unburg<br />

kennt.<br />

Es ist einfach erstaunlich, wie scheinbar normal die<br />

Menschen neben dieser Kulisse leben.<br />

Täglich wird man hier an die schrecklichen Zeiten<br />

sere kleine Gruppe hat natürlich noch regelmäßigen<br />

Kontakt zu den Partnern. Wir schreiben uns und tauschen<br />

immer wieder interessante Neuigkeiten aus.<br />

Wenn man an so einem <strong>Austausch</strong> mitmacht, muss<br />

Troyer 100% Schurwolle ab 60€<br />

(marineblau, weiß, schwarz, rot, oliv, tanne & beige)<br />

des Krieges erinnert und trotzdem ist es eines der, in man eigentlich auf alles gefasst sein und sollte auch<br />

meiner Erinnerung, schönsten und interessantesten Abenteuer vertragen können. Ich denke aber, dass es<br />

Länder, in die ich je gereist bin.<br />

keine bessere Möglichkeit gibt, zwei so unterschied-<br />

Ich habe in diesem Land sogar meinen 18. Geburtsliche Kulturen und Nationen zusammenzuführen und<br />

tag gefeiert. Am Anfang waren meine Eltern von Jugendlichen einen <strong>Austausch</strong> in eine anderes und<br />

meiner Entscheidung, ihn dort ohne Familie zu ver- unglaublich schönes Land zu ermöglichen.<br />

bringen, nicht gerade begeistert. Ich entschied mich<br />

Seit 1879 bekanntes Spezialgeschäft für<br />

Marine- und Tropenausrüstung<br />

Große Johannisstr. 15, 20457 <strong>Hamburg</strong><br />

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23<br />

An die Troyer,<br />

Landratten!<br />

1879 - 2009<br />

130 Jahre Brendler


Einfach eine tolle Zeit<br />

Justin Beu, Ida Ehre Gesamtschule<br />

Zuerst war ich ein wenig verwundert über die<br />

Reaktionen, als ich meinen Freunden erzählte,<br />

dass ich an einem <strong>Austausch</strong>projekt nach <strong>Sarajevo</strong><br />

teilnehmen würde. Viele fragten mich, wo <strong>Sarajevo</strong><br />

liege, welche Sprache man dort spräche und<br />

wie es mich in ein Land zieht, in welchem vor noch<br />

nicht allzu langer Zeit Krieg herrschte, und warum<br />

ich nicht lieber in ein Land wie England oder Amerika<br />

gehen würde?<br />

Meine Antwort war darauf war, jedes Land und deren<br />

Leute haben ihre eigene interessante Geschichte zu<br />

erzählen, die aus Religion, Traditionen, Kultur und<br />

dem Zusammenleben der Menschen besteht. Also<br />

warum nicht in ein Land fahren, über das man selber<br />

sehr wenig oder gar nichts weiß?<br />

In ein Land fahren, über das selbst im Geschichtsunterricht,<br />

in der Schule oder unter Freunden nicht<br />

gesprochen wird?<br />

Warum nicht einen Ort in dieser Welt besuchen, welcher<br />

sich nicht in seiner Präsenz oder mit Tourismus<br />

präsentiert, jedoch interessanter sein könnte als<br />

manch anderer Ort der Welt?<br />

Ein zweiter Grund für mich an dem <strong>Austausch</strong> teilzunehmen,<br />

bestand in dem dazugehörigen <strong>Projekt</strong><br />

„Klimaschutz“, in dem wir gemeinsam Graffiti zu diesem<br />

Thema in <strong>Hamburg</strong> und <strong>Sarajevo</strong> mit Hilfe des<br />

französischen Künstlers Darco kreierten und an die<br />

Wand brachten. Die Arbeit hat mir persönlich sehr<br />

viel Spaß gemacht, auch wenn man bei 30 Grad in<br />

einem Plastikanzug sich vorkommt wie in einer Sauna.<br />

Als mich am ersten Tag meine Gastfamilie am Flughafen<br />

in Empfang nahm, war ich sofort positiv beeindruckt<br />

und habe mich mit meinem <strong>Austausch</strong>schüler<br />

(Edin Kulovic) sofort super verstanden. Wir verständigten<br />

uns auf Englisch. Es gab es keine Probleme<br />

und man unterhielt sich bis spät in die Nacht und hatte<br />

eine tolle Zeit.<br />

Als wir in <strong>Sarajevo</strong> immer mehr von der Stadt zu Gesicht<br />

bekommen hatten, stellte ich fest, dass von<br />

dem Krieg (1992 bis 1995), so gut wie nichts mehr zu<br />

sehen war. Im Gegenteil die Stadt glänzte mit ihren<br />

neuen Gebäuden und wenn man durch die Einkaufsstraßen<br />

wanderte, hatte man das Gefühl, sich in einer<br />

Seitenstraße der Mönckebergstraße zu befinden.<br />

Ich muss sagen, dass dieser <strong>Austausch</strong> einer meiner<br />

besten Erfahrungen war und wenn mich jemand heute<br />

fragen würde, ob ich noch einmal an so einem <strong>Projekt</strong><br />

teilnehmen würde, wäre meine Antwort „JA!!!!!“<br />

Meine persönlichen Erfahrungen in <strong>Sarajevo</strong> waren<br />

positiv und überraschend.<br />

Angekommen in meiner Gastfamilie konnte ich feststellen,<br />

dass man in <strong>Sarajevo</strong> sehr gastfreundlich und<br />

aufgeschlossen ist. Ich wurde herzlich von der gesamten<br />

Familie, sowie einem Teil der Nachbarn, mit<br />

Gastgeschenken begrüßt.<br />

Dieser Eindruck hielt sich über die gesamte Woche,<br />

die ich in <strong>Sarajevo</strong> war. Die Freundlichkeit den <strong>Sarajevo</strong>er<br />

Gästen, aber auch den eigenen Landsleuten<br />

gegenüber, fiel mir immer mehr auf. Egal ob beim<br />

Einkaufen der freundliche Umgangston der Menschen<br />

mit den Kassierern oder die angeregten Unterhaltungen,<br />

wenn man auf den Bus wartete oder das<br />

Gespräch mit dem Busfahrer. Einmal bekam ich das<br />

Angebot, den Berg hinauf im Auto mitgenommen zu<br />

werden, da ich im Rollstuhl saß. Ich traf Leute, die, als<br />

sie feststellten, dass ich aus Deutschland kam, mir<br />

erzählten, dass sie dort selbst während des Krieges<br />

gelebt hätten. Es ist erstaunlich, aber ich habe während<br />

des <strong>Austausch</strong>s nur nette und freundliche und<br />

niemals unhöfliche Menschen kennen gelernt.<br />

Ein weiterer, für mich sehr wichtiger Eindruck,<br />

den ich aus <strong>Sarajevo</strong> mitgenommen habe, ist<br />

das Bild, das die Stadt <strong>Sarajevo</strong> vermittelt:<br />

Zerbrochene, kaputte, teilweise trotz ihres zerstörten<br />

Zustandes bewohnte Häuser, neben großen, durch<br />

Hightech- Hochsicherheitsanlagen geschützte Villen,<br />

die man aus noblen Vorstadtvierteln nur aus Filmen<br />

kennt. Auf meiner ersten Fahrt durch <strong>Sarajevo</strong> prägte<br />

sich dieses Bild einer völlig zerstörten Stadt im Wiederaufbau<br />

deutlich ein und verstärkte sich immer mehr<br />

im Laufe der Woche. Überall, wo ich hinkam, waren<br />

die Hinterlassenschaften und Wunden des Krieges zu<br />

sehen. Kein Schritt, ohne nicht daran erinnert zu wer-<br />

den, was hier erst vor einigen Jahren geschehen war.<br />

Und genau diese Umstände ließen mich jedes Mal<br />

wieder staunen, wenn ich auf die Freundlichkeit der<br />

Menschen dort traf. Zurück in Deutschland musste<br />

ich feststellen, dass ich mich völlig an diese Freundlichkeit<br />

gewöhnt und mich selbst ebenfalls darauf<br />

umgestellt hatte. Jeder Einkauf in Deutschland wurde<br />

zur Herausforderung, nicht darauf hinzuweisen,<br />

wie unhöflich der Kassierer ist und auch kein Busfahrer<br />

wartet, wenn ich auf den gerade startenden Bus<br />

zulaufe. Die größte und mir wichtigste Erfahrung, die<br />

ich aus <strong>Sarajevo</strong> mitgenommen habe, ist, dass wir<br />

hier in Deutschland noch sehr viel von der Mentalität<br />

und Freundlichkeit der Bosnier lernen können und<br />

auch sollten.<br />

Ein <strong>Austausch</strong>, der mit<br />

wenigen Erwartungen anfing<br />

und mit vielen Erfahrungen<br />

endete<br />

Melanie Rattay, Gesamtschule Stellingen<br />

Ich habe lange überlegt, ob ich ein Wort für diesen<br />

<strong>Austausch</strong> finden kann, doch alle Wörter, die<br />

mir in den Kopf kamen, können diese vielen neuen<br />

Erfahrungen und diese schöne Zeit nicht beschreiben.<br />

Der Empfang in <strong>Sarajevo</strong> war sehr herzlich, deshalwar<br />

meine Aufregung schnell verschwunden. Mit<br />

meiner <strong>Austausch</strong>schülerin Melisa verstand ich mich<br />

auf Anhieb gut, wir redeten noch bis spät in die Nacht<br />

und schon da war mir klar, dass diese zwei Wochen<br />

unvergesslich werden würden.<br />

Am nächsten Morgen trafen wir uns mit der gesamten<br />

Gruppe und machten einen Ausflug zur Bosna<br />

Quelle. Alle hatten viel zu erzählen von ihrer ersten<br />

Nacht bei ihrer Gastfamilie und natürlich lernten wir<br />

uns schnell kennen. Da sich die Gruppe sehr gut verstand,<br />

unternahmen wir auch in unserer Freizeit viel<br />

gemeinsam. Bei unseren Ausflügen hatten wir die<br />

Chance, viel über das Land und die Kultur zu erfahren,<br />

beeindruckend war vor allem die Freundlichkeit<br />

und Herzlichkeit der Menschen.<br />

Am schönsten war unser Ausflug an einen Wasserfall,<br />

da hatten wir alle wirklich sehr viel Spaß. Einige<br />

sind auf den Wasserfall geklettert, wir haben Wasserschlachten<br />

gemacht und einfach einen schönen<br />

Tag verbracht. Auch bei der Arbeit an unseren Graffiti,<br />

welche wir an die Wände des Vierten Gymnasiums<br />

Ilidza gesprayt haben, hatte ich viel Spaß (auch<br />

wenn es manchmal ein wenig chaotisch war).<br />

Auch unsere Zeit in <strong>Hamburg</strong> war super, außer dass<br />

die zwei Wochen einfach viel zu schnell vergangen<br />

sind.<br />

24 25


Das Förderprogramm Demokratisch Handeln will<br />

demokratische Haltung und demokratische Kultur im<br />

Alltag von Schule und Jugendarbeit stärken und mit<br />

einem Lernen durch Erfahrung verbinden. Es geht<br />

um die Anerkennung herausragender Leistungen für<br />

die Demokratie und das Gemeinwesen sowie um die<br />

Förderung von „demokratischer Handlungskompetenz“<br />

und „kritischer Loyalität“ bei <strong>Schüler</strong>innen und<br />

<strong>Schüler</strong>n, aber auch bei Lehrerinnen und Lehrern.<br />

Bei den jährlichen Ausschreibungen beteiligen sich<br />

jeweils ca. 260 vorwiegend schulische <strong>Projekt</strong>gruppen,<br />

also mehr als 1000 <strong>Schüler</strong> aller Schularten und<br />

Schulstufen aus ganz Deutschland. Die hier vorgestellten<br />

<strong>Projekt</strong>e stammen aus den Ausschreibungen 2006<br />

und 2007 und wurden als „Best-Practice-Beispiele“<br />

zusammen mit jeweils rund 50 anderen <strong>Projekt</strong>gruppen<br />

ausgewählt und öffentlich anerkannt.<br />

Weitere Informationen und Kontaktmöglichkeiten:<br />

www.demokratisch-handeln.de.<br />

FOTOS JULIA MUHS / CONRAD-VON-SOEST-GYMNASIUM | TEXT WOLFGANG BEUTEL<br />

Demokratisch Handeln<br />

Das <strong>Sarajevo</strong>-Umwelt-<strong>Projekt</strong><br />

Nachdem die Entwürfe gestaltet und ausgewählt sind,<br />

werden sie auf den Straßenbahnwagen übertragen.<br />

Schließlich gewinnt die Bemalung an Gestalt und auch die Botschaft<br />

wird erkennbar: …<br />

Im <strong>Sarajevo</strong>-Umwelt-<strong>Projekt</strong> geht es um Erziehung zur Verständigung, zum nachhaltigen<br />

Umgang mit der Umwelt und zur Demokratie: Im April 2006 fliegen 16 <strong>Schüler</strong>innen und<br />

<strong>Schüler</strong> dreier <strong>Hamburg</strong>er Schulen – Gesamtschule Stellingen, Ida-Ehre-Gesamtschule<br />

und Gymnasium Corveystraße – nach <strong>Sarajevo</strong>, um mit dem Vierten Gymnasium Ilidza ein<br />

kommunales und ökologisches <strong>Projekt</strong> durchzuführen: Die Gestaltung eines Straßenbahnwagens<br />

mit Werbung für „Mülltrennung und Müllrecycling“ in <strong>Sarajevo</strong>. Die Jugendlichen<br />

setzen sich vor Ort gegen eine Fülle an bürokratischen und technischen Schwierigkeiten<br />

sowie gegen Misstrauen bei den Partnern der Stadtbahn-Unternehmung durch.<br />

Die Fotos dieser Bildstrecke entstammen der<br />

Dokumentation der <strong>Projekt</strong>fahrt vom 23. April bis<br />

7. Mai 2006 nach <strong>Sarajevo</strong> der Gesamtschule<br />

Stellingen. der Ida-Ehre-Gesamtschule und des<br />

Gymnasiums Corveystrasse (Förderprogramm<br />

Demokratisch Handeln, Archiv-Nr. 3/06).<br />

Kontakt: Cläre Bordes und Julia Muhs, Gesamtschule<br />

Stellingen, Brehmweg 60, 22527 <strong>Hamburg</strong>.<br />

Fotos: Julia Muhs<br />

„Rettet die Erde“<br />

– Umweltschutz<br />

dient dem Erhalt<br />

unseres Planeten<br />

und unserer<br />

Lebensgrundlagen.<br />

„Sei doch kein<br />

Feigling, fang an<br />

mit Recycling“<br />

– eine <strong>Schüler</strong>idee<br />

in zwei Sprachen.<br />

26 86 Aus: Friedrich Jahresheft 2009 „Erziehen-Klassen leiten“. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Erhard Friedrich Verlags<br />

87 27


Eine aufregende Zeit!<br />

Nadine Wegner, Gesamtschule Stellingen<br />

Zu Beginn des <strong>Projekt</strong>es und in der Vorbereitungszeit,<br />

stand ich diesem skeptisch gegenüber.<br />

Ich wusste nicht, was mich erwarten und<br />

wer mich in Bosnien begrüßen würde.<br />

In meinem Kopf schwirrten viele Fragen: Vor allem<br />

wie es mit der Verständigung zwischen mir und meiner<br />

<strong>Austausch</strong>partnerin klappen und wie wir uns verständigen<br />

würden. Würden wir uns auch verstehen?<br />

Am Abflugtag war ich sehr aufgeregt. Ich war erleichtert,<br />

als ich herzlich von meiner Gastfamilie und<br />

meiner Partnerin Ana empfangen wurde.<br />

Die Zeit in Bosnien war von vielen neuen Eindrücken<br />

geprägt. Trotz des Krieges sah die Stadt in vielen Teilen<br />

wie unberührt aus. Vereinzelt entdeckte ich Ruinen.<br />

Mich befiel das Gefühl, dass in Bosnien die Zeit<br />

viel langsamer läuft. Die Menschen sind in ihrer Mentalität<br />

wesentlich ruhiger und entspannter als wir. Es<br />

ist schwierig sie aus der Ruhe zu bringen, das Wort<br />

„Beeilung“ scheint manchen ein Fremdwort.<br />

Trotz vieler Ausflüge und der zeitintensiven Arbeit an<br />

den Graffiti hatten wir in <strong>Sarajevo</strong> genügend Freizeit,<br />

die wir ganz unterschiedlich nutzten.<br />

Die Ausflüge haben mir sehr gut gefallen. Besonders<br />

viel Spaß hatte ich in Mostar und bei dem anschließenden<br />

Baden am Wasserfall Kravice. So einen großen<br />

Wasserfall hatte ich zuvor noch nie gesehen.<br />

Dieser <strong>Austausch</strong> bedeutete für mich ein tolles Erlebnis,<br />

welches ich jederzeit wieder mitmachen würde.<br />

Meine Eindrücke aus<br />

<strong>Sarajevo</strong><br />

Manja Buchmann, Gesamtschule Stellingen<br />

Als ich mich für dieses <strong>Projekt</strong> meldete, dachte<br />

ich: „Ist ja vielleicht mal eine schöne Erfahrungen,<br />

so eine zum Teil noch zerstörte Stadt<br />

zu erkunden“.<br />

Doch als ich dort ankam und die ersten Eindrücke<br />

wahr nahm, empfand ich alles komplett anders, als<br />

ich es mir vorgestellt hatte. <strong>Sarajevo</strong> ist eine wunderschöne<br />

Stadt, in der man die Spuren vom Krieg<br />

nur selten wirklich wahrnimmt. Wenn man zerbombte<br />

und zerschossene Häuser sieht, empfindet man sie<br />

nicht als schlimm, sondern eher mit einer gewissen<br />

Bewunderung. Die besondere Ästhetik der zerstörten<br />

Gebäude ist nur schwer zu beschreiben.<br />

Ich habe das <strong>Projekt</strong> in <strong>Sarajevo</strong>, trotz der manchmal<br />

echt harten Arbeit (wegen der Hitze), eher als Urlaub<br />

empfunden. Die Arbeit mit Darco war super interessant,<br />

obwohl ich ihn anfangs eher als ernsten und<br />

strengen Menschen sah, was sich später definitiv<br />

nicht bestätigte.<br />

Je mehr Zeit wir an beiden <strong>Projekt</strong>en, sowohl hier in<br />

<strong>Hamburg</strong>, als auch in <strong>Sarajevo</strong>, verbrachten, desto<br />

mehr tauten alle auf und wir hatten echt viel Spaß.<br />

Das Graffito hier in <strong>Hamburg</strong> war nicht so ganz mein<br />

Ding. Ich finde es ist super toll geworden und strahlt<br />

auch eine Präsenz aus, aber ich war nicht so involviert,<br />

wie bei der Gestaltung in <strong>Sarajevo</strong>. In <strong>Sarajevo</strong><br />

hatte ich meine eigene kleine Fläche, an der mir das<br />

Arbeiten von Minute zu Minute mehr Freude brachte.<br />

Inzwischen kann ich sagen, dass ich von Graffiti richtig<br />

begeistert bin und zum Beispiel auch ganz anders<br />

schaue, wenn ich irgendwo an einem vorbeigehe. Ich<br />

gucke ich es mir mit ganz anderen Augen an.<br />

Im Großen und Ganzen kann ich sagen, es waren die<br />

richtigen Leute, der passende Künstler und das richtige<br />

<strong>Projekt</strong> zu der richtigen Zeit am richtigen Ort.<br />

Ich selber denke, ich habe schöne Erfahrungen mitgenommen<br />

und der <strong>Austausch</strong> mit Bosnien-<strong>Sarajevo</strong><br />

hat mir mehr gebracht, als ich höchstwahrscheinlich<br />

aus einem <strong>Austausch</strong> mit England oder mit einem anderen<br />

europäischen Land gezogen hätte.<br />

Ich habe mich auch persönlich verändert. Ich kann<br />

nicht genau beschreiben wie,<br />

aber ich merke es selber und mir auch schon von<br />

anderen Menschen gesagt,<br />

dass ich mich verändert habe, rein charakterlich.<br />

Ich könnte im Nachhinein nicht sagen, ob ich dieses<br />

<strong>Projekt</strong> wieder machen würde, aber eine interessante<br />

Erfahrung war es auf jeden Fall, die mich nicht<br />

nur verändert hat, sondern, die ich auch nie vergessen<br />

werde.<br />

Eine ganz neue Erfahrung<br />

Sören Manuel Bach, Gesamtschule Stellingen<br />

Eigentlich wollte ich nicht an diesen <strong>Austausch</strong><br />

teilnehmen. Ich hatte zwar großes Interesse<br />

an diesem <strong>Projekt</strong>, allerdings hatte ich auch<br />

ziemlich viele Bedenken. So hatte ich mich zunächst<br />

nicht beworben. Dann, ungefähr vier Wochen später,<br />

habe ich von Justin, meinem Freund, der auch<br />

an diesem <strong>Projekt</strong> teilgenommen hat, erfahren, dass<br />

jemand von Ida-Ehre, der an diesem <strong>Austausch</strong><br />

teilnehmen wollte, abgesprungen war. Nun hatte<br />

ich die Chance, doch noch teilzunehmen. Diesmal<br />

war ich noch unschlüssig und habe den freien Platz<br />

dann doch nicht genommen. Ungefähr eineinhalb<br />

Monate vor dem <strong>Austausch</strong> war noch einmal ein<br />

<strong>Schüler</strong> vom <strong>Austausch</strong> abgesprungen und ich hatte<br />

wieder die Chance, teilnehmen zu können. Da habe<br />

ich gedacht: „Es soll so sein.“<br />

Ich habe einen Tag später eine E-Mail an Frau Bordes<br />

geschrieben und gefragt, ob der freigewordene Platz<br />

noch frei. Ich habe die Unterlagen ausgefüllt und sie<br />

am nächsten Tag in der Schule abgegeben. Nun war<br />

ich Teilnehmer dieses <strong>Austausch</strong>es und war auch<br />

sehr glücklich darüber, dass es geklappt hat. So eine<br />

Chance bekommt man nicht häufig, ein neues Land<br />

und eine neue Kultur und Mentalität kennen zu lernen.<br />

Dann war es soweit: Der Tag des Flugs nach Bosnien<br />

und Herzegowina. Ich war ziemlich aufgeregt, denn<br />

es war auch gleichzeitig mein erster Flug überhaupt.<br />

Am Abflugstag kamen (leider) wieder alle Bedenken<br />

hoch: Werde ich mit meinen <strong>Austausch</strong>partner klarkommen?<br />

Werde ich mit meiner neuen Gastfamilie<br />

zurechtkommen? Auch während des Fluges haben<br />

mich diese Bedenken nicht losgelassen bis du dem<br />

Zeitpunkt, als wir in <strong>Sarajevo</strong> landeten.<br />

Am Ausgang des Terminals warteten bereits ungeduldig<br />

alle bosnischen <strong>Schüler</strong> und ihre Eltern um<br />

ihre <strong>Austausch</strong>partner/partnerinen zu empfangen.<br />

Ich guckte mich um und sah, dass Dino, mein <strong>Austausch</strong>partner,<br />

ein Schild mit meinem Name in der<br />

Hand hielt. Ich war erleichtert und alle meine Bedenken<br />

waren auf einmal nicht mehr da. Ich kam mit<br />

Dino und seiner Familie sehr gut zurecht. Auch die<br />

Kommunikation verlief reibungslos, es sprach zwar<br />

niemand Deutsch in der Familie, aber mit Englisch lief<br />

es, wie schon gesagt, ohne Probleme. Ich war wirklich<br />

sehr froh, dass mich die Familie mit großer Gastfreundschaft<br />

aufgenommen hat. Ich habe durch meinen<br />

<strong>Austausch</strong>partner viel über das Leben in einem<br />

vom Krieg gezeichneten Land erfahren. Viele Häuser<br />

sind immer noch komplett oder teilweise vom Krieg<br />

zerstört und immer noch unbewohnbar. Ich habe erfahren,<br />

dass die Menschen in Bosnien gastfreundlicher<br />

sind als in Deutschland.<br />

Besonders interessant fand ich den Besuch des<br />

Tunnelmuseums, wo ich viel über den Bosnienkrieg<br />

erfahren habe, es hat mich aber auch gleichzeitig<br />

sehr nachdenklich und betroffen gemacht. Die Stadt<br />

Mostar faszinierte mich sehr, besonders interessant<br />

aber die Altstadt mit der wiederhergestellten alten<br />

Brücke.<br />

Auch die Zeit in <strong>Hamburg</strong> fand ich sehr gut. Ich habe<br />

viel mit Dino unternommen und ihm <strong>Hamburg</strong> gezeigt.<br />

Wir hatten sehr viel Spaß miteinander.<br />

Der <strong>Austausch</strong> hat mir wirklich sehr gefallen und es<br />

war eine tolle und neue Erfahrung für mich.<br />

In <strong>Sarajevo</strong> fließt das<br />

Leben gelassen<br />

Thomas Hirt, Gesamtschule Stellingen<br />

Ich erinnere mich noch genau, wie wir in <strong>Sarajevo</strong><br />

am Flughafen ankamen. Nicht nur für mich war es<br />

der erste Flug im bisherigen Leben.<br />

Unsere <strong>Austausch</strong>familien warteten schon auf uns.<br />

Wir waren todmüde von der anstrengenden Reise,<br />

konnten zunächst kaum folgen und bekamen nicht<br />

richtig mit was los war.<br />

Ich verbrachte die ersten Nächte nicht bei jüngeren<br />

Bruder noch am Meer in Kroatien war. Ich war zunächst<br />

enttäuscht aber als Tarek und ich uns trafen,<br />

verstanden wir uns auf Anhieb. Es gab zwar anfangs<br />

noch kleine Verständnisprobleme, aber die waren<br />

schnell vergessen. Tarek machte mich mit seinen<br />

Freunden bekannt. Wir wohnten am anderen Ende<br />

der Stadt und musste immer ca. 30 Minuten zur<br />

Schule fahren und das bei der Hitze.<br />

Dafür war es abends um so angenehmer. Meine Gastfamilie<br />

hat mich herzlich empfangen und sich immer<br />

um mich gekümmert.<br />

Ich denke gern zurück an die Zeit in <strong>Sarajevo</strong>, vor<br />

allem, wenn ich nach der Schule nach Hause fahre<br />

und dem täglichem Stress und der Hektik in Deutschland<br />

begegne.In <strong>Sarajevo</strong> fließt das Leben gelassen<br />

und die Leute, dich ich getroffen habe, haben mich<br />

auch gleich in ihre Gruppe aufgenommen, manche<br />

auch auf ihre spezielle Art und Weise, aber ich hatte<br />

nie das Gefühl nicht willkommen zu sein.<br />

Ausflug nach Mostar und<br />

Baden in den Wasserfällen<br />

Jana Kohlmüller, Ida Ehre Gesamtschule<br />

Wenn ich an die zwei Wochen unseres <strong>Austausch</strong>s<br />

zurückdenke, erinnere ich mich an<br />

viele schöne Dinge, die wir erlebt haben und<br />

an die neuen Erfahrungen, die ich gesammelt habe.<br />

Besonders schön empfand ich den Tag, an dem wir<br />

nach Mostar gefahren sind und unter Wasserfällen<br />

gebadet haben.<br />

An diesem Morgen mussten wir unglaublich früh aufstehen,<br />

da wir eine 3-stündige Busfahrt vor uns hatten.<br />

Fast alles aus unserer Gruppe nutzten die Zeit,<br />

um im Bus zu schlafen, ich natürlich auch.<br />

Endlich in Mostar angekommen, zogen wir mit der<br />

gesamten Gruppe los. Es war ziemlich heiß. Wir<br />

schauten uns Kriegsruinen an, die die schwere Zeit<br />

während des Krieges erahnen ließen. Gut gefallen<br />

hat mir, dass uns die Lehrer und einige bosnische<br />

<strong>Austausch</strong>schüler etwas dazu erzählt haben. Nach<br />

diesen eher schockierenden Bildern machten wir uns<br />

auf den Weg in die Innenstadt Mostars. Diese war, anders<br />

als bei uns, eher von kleinen Häusern gesäumt<br />

und auch sonst recht übersichtlich. Wir bummelten in<br />

kleinen Gruppen durch die Gassen und Straßen und<br />

schauten uns Souvenir-Läden und andere Geschäfte<br />

an. Zwischendurch machten wir Eis- und Trinkpausen,<br />

da die Hitze an dem Tag nicht gut auszuhalten<br />

war.<br />

Gut gefallen hat mir ein Café, welches in einer Höhle<br />

war und in dem wir uns abkühlten, bevor es zurück<br />

zum Bus ging. Bis auf meine Gruppe, haben danach<br />

dann eigentlich alle unproblematisch den Bus wiedergefunden.<br />

Plötzlich entstand im Bus eine ziemliche<br />

28 29


Aufregung, da wir eigentlich ans Meer fahren wollten<br />

und uns mitgeteilt wurde, dass das doch nicht geht,<br />

da nicht alle ihr Ausweise dabei hatten. Die kroatische<br />

Grenze kann man nur mit gültigem Pass überqueren.<br />

Mit zunächst ziemlich schlechter Stimmung sind wir<br />

dann schließlich zu einer Quelle losgefahren.<br />

Dort angekommen, fielen uns allerdings fast die Augen<br />

aus dem Kopf, da der Anblick wirklich gigantisch<br />

war:<br />

Die Quelle war nicht nur ein kleiner abgestandener<br />

Tümpel; nein, in ihr endeten mehrere Wasserfälle<br />

und das Wasser war richtig klar und erfrischend. Vier<br />

Stunden haben wir uns dort die Zeit vertrieben mit<br />

Schwimmen, im Wasserfall duschen, auf Felsen klettern<br />

und runterspringen, Wasserschlachten und Sonnen.<br />

Es war wirklich toll und ich hätte auch gut noch<br />

länger bleiben können.<br />

Auf dem Rückweg nach <strong>Sarajevo</strong> und zu unseren<br />

Gastfamilien haben wir uns schließlich noch eine kleine<br />

Stadt angeschaut und sind etwas Essen gegangen.<br />

Im Bus wurde (wahrscheinlich vor Erschöpfung)<br />

auch nur noch leise geredet...<br />

Dieser Tag war zurückblickend einer der schönsten<br />

für mich, da ich viel Neues gesehen habe, aber auch<br />

neue Leute noch etwas besser kennen gelernt habe.<br />

Wenn ich jetzt im Nachhinein über den <strong>Austausch</strong><br />

nachdenke, werde ich etwas wehmütig und finde es<br />

sehr schade, dass alles schon vorbei ist.<br />

Dennoch bin ich zuversichtlich, dass ich meine <strong>Austausch</strong>partnerin<br />

Mirella bald irgendwie wiedersehen<br />

werde.<br />

Ich bin froh, dass ich an dem <strong>Austausch</strong> nach Bosnien,<br />

teilgenommen habe. Es war eine sehr wertvolle<br />

Erfahrung.<br />

Berichte<br />

bosnischer<br />

<strong>Schüler</strong><br />

Ich war im Reichstags-<br />

gebäude!<br />

Aida Bilal, <strong>Austausch</strong>schülerin von Manja<br />

Buchmann<br />

Unser <strong>Projekt</strong> war für die <strong>Schüler</strong> aus Bosnien<br />

und Herzegovina und aus Deutschland<br />

sehr wichtig. Mit diesem <strong>Projekt</strong> bekamen wir<br />

die Chance, neue Leute und eine andere Kultur kennen<br />

zu lernen. Ich konnte jedenfalls mein Deutsch<br />

verbessern. Unsere Graffiti Aktion fand ich sehr gut.<br />

Wir haben gemeinsame Graffiti und mehrere Kleingruppengraffiti<br />

an die Fassade unserer Schule gesprayt.<br />

Das Thema war “Zukunftsvisionen – Müll<br />

trennen, vermeiden und recyceln“.<br />

Die Arbeit an den Graffiti war sehr spannend.<br />

Ein erfahrener Graffiti-Künstler aus Frankreich, Darco,<br />

hat uns geholfen. In Bosnien und Herzegovina besuchten<br />

wir die Bosna Quelle, das Tunnelmuseum,<br />

die Redaktion der größten Tageszeitung auf dem Balkan<br />

„Avaz“ , die Altstadt von <strong>Sarajevo</strong>, die Altstadt<br />

von Mostar, den Wasserfall Kravice...<br />

In Deutschland gefielen mir am besten der <strong>Hamburg</strong>er<br />

Hafen und die Hauptstadt Berlin. Ich bin stolz darauf,<br />

dass ich im Reichstagsgebäude war. Die Familie,<br />

bei der ich war, ist sehr nett. Ich bin froh, dass<br />

ich ein Teil dieses <strong>Projekt</strong>s war.<br />

Die <strong>Hamburg</strong>er <strong>Schüler</strong> bei<br />

uns zu Gast in <strong>Sarajevo</strong><br />

Edin Kulovic, Viertes Gymnasium, <strong>Sarajevo</strong><br />

Am Montagmorgen sind wir um 10 Uhr mit unseren<br />

<strong>Austausch</strong>schülern zur Bosna Quelle<br />

gegangen. Nachdem wir in einem Cafe in der<br />

Nähe etwas getrunken haben, sind wir mit einer Kutsche<br />

wieder in die Stadt zurückgefahren. Es hat Spaß<br />

gemacht. Den Rest des Tages hatten wir Freizeit. Ich<br />

zeigte meinem <strong>Austausch</strong>schüler Justin die Stadt.<br />

Am Abend haben wir uns mit ein paar anderen in<br />

eine Bar gesetzt und ein wenig gefeiert.<br />

Am Dienstag haben wir uns um halb elf vor der<br />

Schule getroffen und über ein Problem gesprochen,<br />

welches eine unserer <strong>Austausch</strong>schülerinnen hatte.<br />

Danach haben wir den Kriegstunnel in <strong>Sarajevo</strong> (Butmir)<br />

besucht, das war interessant und ein bisschen<br />

schockierend für unsere Freunde aus <strong>Hamburg</strong>, da<br />

diese den Krieg nicht mitbekommen haben.<br />

Ab 12 Uhr haben wir dann einen Teil der Schulwand<br />

weiß angemalt (grundiert), damit wir am Mittwoch ein<br />

Graffito darauf sprühen konnten. Den Rest des Tages<br />

haben wir in der Stadt verbracht.<br />

Am Mittwoch haben wir uns um 8 Uhr getroffen, um<br />

an unseren Ideen für die Graffiti zu arbeiten. Danach<br />

hat die Hälfte angefangen zu sprühen und die andere<br />

Hälfte war in Ilidzas Rathaus.<br />

Am Abend holte uns ein Doppeldeckerbus für eine<br />

Stadtrundfahrt ab. Diese war nicht nur für unsere<br />

Freunde aus <strong>Hamburg</strong> sehr interessant. Am Abend<br />

haben wir das erste Mal alle zusammen in der alten<br />

Franziskaner Brauerei gegessen.<br />

Am Donnerstag arbeiteten wir weiter an den Graffiti.<br />

Es war so super. Dann haben wir mit unseren Freunden<br />

aus Deutschland die Redaktion der „Avaz“ besucht.<br />

Dort sprachen wir mit Journalisten. Für mich<br />

war das ein bisschen langweilig aber egal...es war<br />

ja für unsere Freunde! Am Abend sind wir in die Stadt<br />

gegangen und es war sehr interessant.<br />

Freitag fuhren wir mit dem Bus nach Mostar. Es war<br />

so heiß! Um 20 Uhr waren alle todmüde... Wir haben<br />

auch wunderschönen Wasserfälle von Kravice besucht<br />

und sind dort geschwommen, haben die wunderschöne<br />

Natur genossen und haben einfach den<br />

tollen Tag genossen! Am Samstag haben wir gearbeitet<br />

und am Abend wir so lange getanzt . Wir waren<br />

alle traurig, weil es unser letzter Abend in <strong>Sarajevo</strong><br />

war. Am Sonntag mussten wir zum Flughafen gegangen<br />

und flogen mit unseren neuen Freunden nach<br />

<strong>Hamburg</strong>.<br />

<strong>Hamburg</strong><br />

Edin Kulovic, Viertes Gymnasium, <strong>Sarajevo</strong><br />

During our stay in <strong>Hamburg</strong>, we have done so<br />

many beautiful things which will be a fantastic<br />

memories for our whole life. During my last<br />

time in <strong>Hamburg</strong> I had fantastic time, but this one<br />

was much more better ond much more interesting.<br />

Me and my exchange partner Justin did so many<br />

crazy things together. Eventhough we have spent so<br />

much time together, it was not enough.<br />

I can not wait until We have also visit a lot of beautiful<br />

places in <strong>Hamburg</strong> and also in Berlin.<br />

In <strong>Hamburg</strong> I met so many new friends, I still stay in<br />

contact with all of them. For me this kind of exchange<br />

is very interesting and also very good for all of us<br />

because we have learned so many about German<br />

culture and German language.I really hope that this<br />

project will continue, and that lot of other teenagers<br />

and kids will enjoy same like I did.<br />

<strong>Hamburg</strong> ist tief eingeschnitten<br />

in mein Herz<br />

Enida Colo, Viertes Gymnasium <strong>Sarajevo</strong><br />

Tage, die ich in <strong>Hamburg</strong> mit <strong>Schüler</strong>n aus <strong>Sarajevo</strong><br />

und <strong>Hamburg</strong> erlebt habe, bleiben bei mir<br />

in tiefer Erinnerung.<br />

Dieses <strong>Projekt</strong> ist sehr lehrreich und ich denke,<br />

dass es noch mehr ähnliche <strong>Projekt</strong>e geben sollte.<br />

Ich muss zugeben, dass ich sehr zufrieden die vierzehn<br />

Tage mit Freunden aus der Schule aber auch<br />

Freunden aus <strong>Hamburg</strong> verlebt habe. Es war mein<br />

Wunsch, fremde Kultur, Tradition und Sprache kennen<br />

zu lernen.<br />

In meiner Gastfamilie waren alle sehr freundlich und<br />

sie haben mich sehr herzlich willkommen geheißen.<br />

Das Grafitti –Sprayen war sehr interessant, denn es<br />

war das erste Mal, dass ich Grafitti gezeichnet habe.<br />

Mir hat das Grafitti – Sprayen und -Entwerfen Spaß<br />

gemacht. <strong>Hamburg</strong> war für mich sehr aufregend.<br />

Von den Besuchen haben mir am meisten Berlin und<br />

das Baden an den Wasserfällen von Kravice gefallen.<br />

Das Nachtleben in <strong>Hamburg</strong> ist sehr interessant aber<br />

auch anstrengend.<br />

Es unterscheidet sich sehr von unserem.<strong>Hamburg</strong> ist<br />

eine gute Stadt für Shopping. <strong>Hamburg</strong> hat sich in<br />

mein Herz tief eingeschnitten, der <strong>Austausch</strong> ist unvergesslich!<br />

Da bleiben mir nur gute Gedanken an die<br />

schöne Zeit in <strong>Sarajevo</strong> und <strong>Hamburg</strong>!<br />

30 31


Mein Leben begann mit<br />

einer Lüge<br />

Interview mit Freimut Duve von Wolfgang Weirauch<br />

Freimut Duve, geb. am 26. November 1936 in<br />

Würzburg, aufgewachsen in <strong>Hamburg</strong>; verheiratet,<br />

drei Kinder. Waldorfschule in <strong>Hamburg</strong>,<br />

1956 Abitur an der Waldorfschule in Stuttgart. Studium<br />

in <strong>Hamburg</strong>: Geschichte (Schwerpunkt Überseegeschichte),<br />

Anglistik und Soziologie. 1959/1960<br />

Vertreter einer deutschen Flugreisegesellschaft in<br />

Nordafrika. 1961 Forschungsaufenthalt zum Studium<br />

britischer Kolonialgeschichte in Südafrika und<br />

Simbabwe. Während des Studiums journalistische<br />

Tätigkeit. Seit 1962 Mitaufbau der Deutsch-Kurse für<br />

Gastarbeiter (VHS). 1965 hauptamtlicher Betreuer für<br />

ausländische Studenten an der Universität <strong>Hamburg</strong>.<br />

1966 bis 1969 Persönlicher Referent des <strong>Hamburg</strong>er<br />

Wirtschaftssenators. 1969/1970 politischer Redakteur<br />

beim Stern. 1970 bis 1989 Lektor im Rowohlt Verlag<br />

und Herausgeber der politischen Buchreihe rororoaktuell.<br />

1975 Gründung der Vierteljahresschrift „Technologie<br />

und Politik“. 1990 bis 1992 Herausgeber der<br />

Reihe „Luchterhand Essay“. 1975 bis 1980 Mitglied<br />

des Rundfunkrates des NDR. Mitglied der IG Druck<br />

und Papier. Mehrere Vortragsreisen in die USA, in arabische<br />

Länder, in Afrika und in Mexiko. 1966 Mitglied<br />

der SPD; 1974 bis 1989 Mitglied des <strong>Hamburg</strong>er Landesvorstandes.<br />

Mitglied des Bundestages von 1980<br />

bis 1998. Von 1998 bis Dezember 2003 erster Beauftragter<br />

für die Freiheit der Medien der OSZE (Organisation<br />

für Sicherheit und ZUSAmmenarbeit in Europa)<br />

mit Sitz in Wien.<br />

Veröffentlichungen:<br />

– 1965: Kap ohne<br />

Hoffnung oder die<br />

Politik der Apartheid<br />

(Hrsg.)<br />

– 1968: Die Restauration<br />

entläßt<br />

ihre Kinder (Hrsg.)<br />

– 1970: Der Rassenkrieg<br />

findet<br />

nicht statt. Entwicklungspolitik<br />

zwischen Angst<br />

und Armut<br />

– 1986: Aufbrüche<br />

(Hrsg.)<br />

– 1994: Vom Krieg<br />

in der Seele<br />

N o r m a l e r w e i s e<br />

gehört die Geburt<br />

eines Kindes zur<br />

größten Freude<br />

der Eltern, der<br />

Angehörigen und<br />

Freunde. Aber<br />

wenn das Leben<br />

eines Kindes mit<br />

einer Lüge beginnt,<br />

wenn es zum<br />

eigenen Schutz<br />

vor einer feindlichen<br />

Welt von<br />

Mitmenschen verborgen<br />

werden<br />

muß, dann fällt auf<br />

ein solches Schicksal so etwas wie ein Schatten des<br />

Kindermordes von Herodes.<br />

Freimut Duve war es, dessen Leben mit einer Lüge<br />

seiner Mutter beginnen mußte. Unter äußerlich<br />

schwierigsten Bedingungen opferte sie alles, damit<br />

er seinen Weg finden konnte. Und so wurde Freimut<br />

Duve schon frühzeitig eine Kämpfernatur, die sich allein<br />

und mit dem Mut eines freien Geistes ihren Lebensweg<br />

eroberte.<br />

Als Waldorfschüler, Publizist, Bundestagsabgeordneter<br />

und als Repräsentant der OSZE für die Freiheit<br />

der Medien schaute er immer den Mächtigen auf die<br />

Finger, spürte Unrecht in der Welt auf, setzte sich für<br />

die Unterdrückten ein und kämpfte leidenschaftlich<br />

gegen jede Form des Rassismus. Nicht selten wurde<br />

er damit zum unbequemen Mahner und unüberhörbaren<br />

Partner.<br />

Lesen Sie im nachstehenden Interview über Freimut<br />

Duves Schicksal, seinen Einsatz in der Welt und über<br />

verschiedene Lügen in der Politik, speziell bei der<br />

Vergangenheitsbewältigung verschiedener Völkermorde<br />

in der jüngeren Geschichte.<br />

Wolfgang Weirauch: Was ist eine Lüge, speziell<br />

eine politische Lüge?<br />

Freimut Duve: Die Lüge ist in der Kultur, die sich der<br />

Wahrheit verschrieben hat, nicht erlaubt. Trotzdem ist<br />

die politische Nicht-Wahrheit in verschiedenen Situationen<br />

dringend erforderlich. Aber ich muß von dem<br />

verlangen, der in einer bestimmten Situation nicht<br />

die Wahrheit aussprechen kann, daß er einen Unterschied<br />

zwischen der Gruppe, der er angehört, und<br />

der breiten Öffentlichkeit macht. Es gibt Situationen,<br />

in denen man die Wahrheit nicht in der Öffentlichkeit<br />

sagen kann. Darüber hinaus gibt es natürlich die historische<br />

und die religiöse Lüge, die ein Monument<br />

gegen die Wahrhaftigkeit sind. Die Wahrhaftigkeit<br />

muß letztendlich immer die Oberhand behalten.<br />

Politiker als Sündenböcke<br />

W.W.: Warum wird Politikern so oft vorgeworfen,<br />

daß sie lügen? Beruht das auf einem Vorurteil,<br />

oder liegt es daran, daß in der Politik oft gelogen<br />

wird?<br />

F. Duve: Nach meiner Erfahrung ist es eher ein Vorurteil.<br />

Hinzu kommt, daß derjenige, der den Politikern<br />

eine Lüge vorwirft, davon ausgeht, daß er selbst niemals<br />

lügt. Denn Politiker dienen auch als Bewußtseinsschirm<br />

großer Schichten von Bürgern, die sich<br />

individuell entlasten möchten. Insofern dienen die<br />

Politiker als Sündenböcke.<br />

Die Politiker sind die einzige Berufsgruppe, die sich<br />

alle vier Jahre zur Weiterführung ihres Berufes der Öffentlichkeit<br />

stellen müssen. Deshalb müssen sie mit<br />

großer Obacht darauf achten, wie sie sich der Öffentlichkeit<br />

präsentieren. Das muß man als Politiker erst<br />

einmal lernen, und das kann nicht jeder sofort. Es hat<br />

auch etwas mit der modernen Technologie zu tun<br />

und mit der Veränderung der Wortbedeutung durch<br />

die Bildbedeutung. Seit es das Fernsehen gibt, hat<br />

das öffentliche Auftreten eine Veränderung erfahren.<br />

Diejenigen, die oftmals auf die Politiker herabsehen,<br />

also z.B. die Firmenchefs großer Weltfirmen, brauchen<br />

sich einer solchen Öffentlichkeit niemals zu<br />

stellen. Und wenn sie dann einmal in das Licht der<br />

Öffentlichkeit geraten – das haben wir gerade mit<br />

Herrn Ackermann von der Deutschen Bank gesehen<br />

–, dann benehmen sie sich oft wie pubertäre Jungs.<br />

In einer anthroposophischen<br />

Buchhandlung<br />

W.W.: Ihre Mutter war Deutsche, Ihr Vater kam aus<br />

dem heutigen Kroatien und war von der Familie<br />

her Jude. Wo haben sich die beiden kennengelernt?<br />

F. Duve: In <strong>Hamburg</strong>. Beide waren Anthroposophen,<br />

wobei mein Vater wohl noch eher Theosoph war. Die<br />

Familie lebte eigentlich im ungarischen Teil Kroatiens,<br />

und er war aufgrund einer Indienreise in seinen<br />

Neigungen sehr theosophisch geworden. Von dieser<br />

32 33


Reise kam er über <strong>Hamburg</strong> zurück und lernte meine<br />

Mutter in einer anthroposophischen Buchhandlung<br />

kennen. Die alte Dame, die diesen Buchladen führte,<br />

hat mich später einmal darauf angesprochen, ob<br />

ich eigentlich wisse, daß meine Eltern sich in ihrem<br />

Buchladen kennengelernt hätten.<br />

W.W.: War Ihr Vater nun kroatischer oder deutscher<br />

Jude?<br />

F. Duve: Das kann man nicht so genau bestimmen.<br />

Es war eine sehr große Familie, und zwar die Familie<br />

Herzl. Mein Vater Bruno Herzl war ein Großneffe von<br />

Theodor Herzl. Das war eine große österreichischungarische<br />

Familie. Aber das wichtigste Kulturelement<br />

dieser Familie war immer deutsch. Später habe<br />

ich einen überlebenden Bruder meines Vaters, der<br />

über Israel nach New York ausgewandert war, getroffen,<br />

und er hat mir ein altes Buch meiner Familie vermacht,<br />

einen Knigge aus dem Jahre 1806. An diesem<br />

Buch und auch an anderen Büchern, die mein Onkel<br />

nach 1945 retten konnte, sah man, daß in dieser Familie<br />

das deutsche Kulturleben lebte.<br />

Mein Leben begann mit<br />

einer Lüge<br />

W.W.: War es zwischen Ihren Eltern eine richtige<br />

Liebesbeziehung oder nur eine flüchtige Bekanntschaft?<br />

F. Duve: Das weiß ich nicht. Während der Nazi-Zeit<br />

hat meine Mutter niemals mit mir darüber sprechen<br />

können. Insofern begann mein Leben mit einer Lüge.<br />

Wegen der Nürnberger Gesetze mußte sie meine Abstammung<br />

vollkommen geheimhalten.<br />

W.W.: Wie hat Ihre Mutter ihre Schwangerschaft,<br />

auch vor ihren Eltern, verheimlicht, und wie hat sie<br />

die letzten Monate bis zu Ihrer Geburt verlebt?<br />

F. Duve: Meine Mutter war schon einmal in den 20er<br />

Jahren vor ihrer Familie geflüchtet und hatte in England<br />

zu studieren begonnen. Sie hatte eine Tante, die<br />

auch studiert hatte und die sie sehr bewunderte, und<br />

dieser Tante hat sie gleich von ihrer Schwangerschaft<br />

erzählt. Mein Vater selbst mußte <strong>Hamburg</strong> schon<br />

sehr bald wegen der Nürnberger Gesetze verlassen.<br />

Er hatte in Deutschland keine Chance.<br />

Meine Mutter hat <strong>Hamburg</strong> im vierten oder fünften<br />

Monat ihrer Schwangerschaft heimlich verlassen und<br />

ist zu einer Hebamme nach Würzburg gefahren, die<br />

ihre Tante für sie herausgefunden hatte. Diese Hebamme<br />

wußte nichts über meine jüdische Abstammung,<br />

aber sie wußte, daß diese Schwangerschaft<br />

und die Geburt geheimgehalten werden sollten. Ich<br />

nehme sogar an, daß meine Mutter anfangs bei der<br />

Hebamme gewohnt hat. Sie lebte dort in großer Einsamkeit,<br />

in einer Stadt, die sie überhaupt nicht kannte<br />

und wo sie mit niemandem über ihre Schwangerschaft<br />

sprechen konnte. Dort hat sie dann etwa fünf<br />

Monate auf meine Geburt gewartet.<br />

W.W.: Wie kamen Sie zu Ihrem Vornamen?<br />

F. Duve: Eigentlich hatte meine Mutter ein Mädchen<br />

erwartet, aber als es dann ein Junge wurde, hatte sie<br />

für ihn keinen Namen. Die Hebamme schlug dann vor<br />

– genauso hat es mir meine Mutter erzählt –, daß sie<br />

mich doch Helmut nennen solle, da ihr Sohn auch<br />

Helmut heiße. Es war etwa eine Stunde nach meiner<br />

Geburt. Meine Mutter lag im Bett, und in dem Moment<br />

beschloß sie, daß ich Freimut heißen solle. Diesen<br />

Namen hatte sie noch nie gehört, denn sie hatte<br />

ihn sich ausgedacht.<br />

W.W.: Sind Sie der einzige, der so heißt?<br />

F. Duve: Es gibt mittlerweile einige, die ihre Kinder<br />

so genannt haben; wahrscheinlich seitdem ich publiziere.<br />

Und dann gibt es noch im norddeutschen<br />

Raum einige, die Freimuth heißen.<br />

W.W.: Ihr Leben begann mit einer Lüge. Schildern<br />

Sie bitte diese Lüge Ihrer Mutter etwas genauer.<br />

F. Duve: Kurz nach meiner Geburt kam ein Standesbeamter<br />

und wollte mich registrieren. Meine Mutter<br />

hatte in die Geburtsurkunde „Vater unbekannt“ aufnehmen<br />

lassen, was sie seelisch sehr aufgewühlt<br />

und mitgenommen hat. Das mußte sie aber zu meiner<br />

Rettung so niederlegen, denn sonst wäre ich in<br />

großer Gefahr gewesen, da ich nach Aufstellung der<br />

Nürnberger Gesetze geboren wurde.<br />

Die Nürnberger Gesetze machten aus den „Halbjuden“<br />

„Volljuden“; das sind natürlich Nazi-Wörter,<br />

die ich nicht akzeptiere. Meine Mutter wußte, daß<br />

sie keinen Fehler machen durfte, denn wenn mein<br />

Vater identifiziert worden wäre, dann wäre ich dran<br />

gewesen. Was mit mir, dem „Volljuden“, geschehen<br />

könnte, war ihr damals wohl noch nicht klar, auf jeden<br />

Fall aber, daß ich von ihr getrennt und in ein Lager<br />

gebracht worden wäre. Bis zum Mai 1945 habe<br />

ich demzufolge nicht gewußt, wer mein Vater ist. Sie<br />

sagte mir immer nur, daß sie meinen Vater kenne und<br />

wisse, wo er sei.<br />

W.W.: Haben Sie in diesen ersten neun Lebensjahren<br />

bei Ihrer Mutter gelebt?<br />

F. Duve: Meist nur am Wochenende. Über neun Jahre<br />

wurde ich mehr oder weniger in verschiedenen Kinderheimen<br />

versteckt. Meine Mutter hatte ein kleines<br />

Wochenendhäuschen in Rissen. Sie war berufstätig,<br />

mußte bis Sonnabendmittag arbeiten, und dann holte<br />

sie mich aus dem jeweiligen Kinderheim ab. Manchmal<br />

war ich auch in ihrer Einzimmerwohnung in<br />

Eimbsbüttel, wo ich auch verschiedene Luftangriffe<br />

miterlebte.<br />

Meine Mutter floh von zu<br />

Hause<br />

W.W.: Wie haben Ihre Großeltern auf Ihre Geburt<br />

reagiert?<br />

F. Duve: Sehr problematisch. Mein Großvater wurde<br />

im Ersten Weltkrieg durch einen französischen Gasangriff<br />

verletzt und war zeitweise erblindet. Nach<br />

seiner Genesung wurde er zu einem radikalen Nazi,<br />

gleichzeitig zu einem erfolgreichen Kaufmann. Er<br />

gründete mit einigen Kollegen die NSDAP in Altona.<br />

Altona war damals fast eine Nazi-Stadt geworden.<br />

Natürlich hat meine Mutter niemals mit ihren Eltern<br />

über ihre Schwangerschaft und meinen Vater gesprochen.<br />

Sie lebte damals schon nicht mehr bei ihren<br />

Eltern, war berufstätig und sorgte immer dafür,<br />

daß sie ihr eigenes Geld verdiente. Sie war die beste<br />

<strong>Schüler</strong>in auf einem Altonaer Lyceum, aber ihre Eltern<br />

verboten ihr, Abitur zu machen, und so floh sie<br />

von zu Hause.<br />

Nach dem Willen ihrer Eltern sollte sie kochen lernen,<br />

womit sie vor ihrer Flucht auch kurz begonnen hat. Bei<br />

einem ihrer Kochkurse lernte sie ihre zeitlebens beste<br />

Freundin kennen, der es genauso erging, einer Tochter<br />

aus einer Unternehmerfamilie aus Finkenwerder.<br />

Diese Frauen hatten es damals wahrlich nicht leicht.<br />

Beide haben bei ihren Kochkursen aus Protest oft die<br />

Suppe verkocht oder sie über den Herd gespült.<br />

Aber kurze Zeit später floh meine Mutter mit wenig<br />

erspartem Geld nach England. Den Koffer, mit dem<br />

sie geflohen ist, habe ich noch heute. Sie wurde von<br />

einer wunderbaren Dame, die m.E. auch Anthroposophin<br />

war, als Aupair-Mädchen nach London vermittelt.<br />

Dort in London gelang es ihr, durch akademische<br />

Nachtarbeit die Aufnahme für die London School of<br />

Economics zu schaffen. Tagsüber arbeitete sie als<br />

Aupair, abends saß sie über ihren Büchern. Auf diesem<br />

Umweg wurde sie Buchhalterin und kehrte später<br />

wieder nach Deutschland zurück. Auch nach meiner<br />

Geburt war sie wieder als Buchhalterin in einem<br />

Steuerberatungsbüro tätig und bestand dann – ich<br />

bin sehr stolz darauf – als eine der ersten Frauen<br />

Deutschlands das Steuerberaterexamen in Berlin.<br />

Das war damals ein schweres Examen. 1947 oder 48<br />

machte sie sich selbständig.<br />

Fast niemand hat<br />

überlebt<br />

W.W.: Was ist aus Ihrem Vater und seiner Familie<br />

geworden?<br />

F. Duve: Etwa im August 1945 bekamen wir vom jüdischen<br />

Council aus Genf die Nachricht, daß mein<br />

Vater tot sei. Außer dem Bruder meines Vaters hat<br />

niemand aus der Familie überlebt. Dieser Bruder war<br />

von der kroatischen Armee zwangsrekrutiert worden.<br />

Er kam dann in ein italienisch-faschistisches Lager,<br />

konnte aber von dort fliehen und überlebte zwei Jahre<br />

unter schwierigsten Bedingungen in einem Wald.<br />

Seine Lebenserinnerungen habe ich in den USA veröffentlicht.<br />

Wenn die Nazis nicht gewesen wären,<br />

wäre er wahrscheinlich Professor der Philosophie<br />

geworden.<br />

W.W.: Sind alle Verwandten Ihres Vaters umgebracht<br />

worden?<br />

F. Duve: Vor einigen Jahren war ich in Osijek, dem<br />

Heimatort der Familie meines Vaters, und dort erfuhr<br />

ich, daß meine Großmutter von jungen kroatischen<br />

Ustaschas aus dem Haus gezerrt worden war. Sie<br />

hatten sie auf den Boden geknallt und dann auf einen<br />

Lastwagen geschmissen, auf dem schon viele halbtote<br />

Menschen lagen. Die Ustaschas behandelten die<br />

jüdischen Bürger dieser Stadt mit äußerster Brutalität<br />

und brachten sie um. Meine Familie hatte dort seit<br />

über hundert Jahren gelebt. Auch Theodor Herzl und<br />

seine näheren Verwandten kamen aus dieser Region.<br />

Mein überlebender Onkel ist zeitlebens nicht von dem<br />

Gefühl seiner Mitschuld am Tod aller seiner Verwandten<br />

befreit worden. Er kam nach Osijek zurück, als<br />

diese Stadt schon fast ganz von den Ustaschas besetzt<br />

war. Er war zu Fuß auf diesen Ort zumarschiert<br />

und wollte seine Verwandten auf die andere Seite des<br />

Flusses retten, aber er kam einen Tag zu spät. Die<br />

deutschen Nazis und die kroatischen Ustaschas hatten<br />

diesen Ort gerade besetzt und gesäubert.<br />

Ich habe diese Szene später nacherlebt, denn ich war<br />

Beauftragter des Bundestages für Bosnien und Kroatien;<br />

eine Situation, die mich sehr bewegt hat. Diese<br />

Stadt ist für mich so etwas wie eine Familienstadt.<br />

Am Heiligabend mit dem<br />

Kind auf dem Arm<br />

W.W.: Wie haben Ihre Großeltern auf die Schwangerschaft<br />

Ihrer Mutter reagiert?<br />

F. Duve: Sehr negativ. Meine Großmutter war noch<br />

mehr Nazi als ihr Mann. Sie kam aus einer großen<br />

und uralten Bauernfamilie aus Fehmarn. Beide hatten<br />

ein Detektivbüro beauftragt, das dann herausfand,<br />

wer mein Vater war. Das muß um meine Geburt<br />

herum gewesen sein; eine Aktion, die meine Mutter<br />

unendlich verletzt hat.<br />

Ich bin am 26. November in Würzburg geboren, und<br />

am 20. Dezember stieg meine Mutter mit mir in den<br />

Zug und fuhr nach <strong>Hamburg</strong>. Sie hatte ihren Eltern<br />

weder von der Schwangerschaft noch von der Geburt<br />

erzählt, und alles, was meine Großeltern von mir<br />

wußten, hatten sie durch das Detektivbüro erfahren.<br />

Meine Mutter ist dann einfach mit dem kleinen Kind<br />

auf dem Arm am Heiligabend in die Weihnachtsfeier<br />

ihrer Eltern hereinspaziert.<br />

Das war ein sehr mutiger Akt, und meine Großeltern<br />

konnten nicht richtig böse sein. Obwohl mein Großvater<br />

einer der Naziführer <strong>Hamburg</strong>s war, haben meine<br />

Großeltern mich nach diesem Weihnachten zwar<br />

nicht beschützt, aber immerhin geschützt. Aus der<br />

Familie ist niemals an die NSDAP oder die Gestapo<br />

verraten worden, daß ich ein jüdisches Kind war. Und<br />

in den ganz schwierigen Zeiten nach 1945 konnte ich<br />

sogar im Schlafzimmer meiner Großeltern wohnen,<br />

da ich kein Kinderheim mehr hatte.<br />

34 35


Die Enterbung des Enkels<br />

W.W.: Waren Sie denn aus Sicht Ihrer Großeltern<br />

gleichberechtigtes Familienmitglied?<br />

F. Duve: Nein. Als mein Großvater Jahre später starb,<br />

saß ich bei der Testamentseröffnung mit der Familie<br />

zUSAmmen, und ich erinnere mich noch genau, wie<br />

ich in seinem Haus an einem Sekretär saß und das Testament<br />

vor mir lag. Dort las ich, daß er mich enterbt<br />

hatte. Handschriftlich hatte er in seinem Testament<br />

vermerkt, daß nur die ehelichen, nicht aber die unehelichen<br />

Kinder seiner Kinder erben sollten. Das war<br />

also eine Enterbung des Enkels. Dieser Akt hat mich<br />

damals sehr getroffen – nicht wegen der materiellen<br />

Kleinigkeiten, die ich vielleicht geerbt hätte, sondern<br />

wegen der seelischen Verletzung.<br />

W.W.: Hat Ihr Großvater die Schuld der Deutschen,<br />

auch die eigene Schuld, nach dem Krieg je begriffen<br />

und akzeptiert?<br />

F. Duve: Nein. Mein Großvater war ein bäuerlicher<br />

Intellektueller, der sich als Bauernsohn hochgearbeitet<br />

und eine erfolgreiche Firma aufgebaut hatte. Nebenbei<br />

schrieb er Gedichte, teils sehr schöne, teils<br />

grauenvolle Nazi-Gedichte. Das erste Gedicht, das<br />

er nach 1945 geschrieben hatte, war ein ungeheurer<br />

Trauergesang auf die großen Deutschen, die nun vielleicht<br />

untergehen müßten. Das war ein entsetzliches<br />

Gedicht, ohne jedes Anzeichen von Reue.<br />

Einsam im zerstörten<br />

<strong>Hamburg</strong><br />

W.W.: Noch einmal zurück zum Krieg: Wie haben<br />

Sie das kriegszerstörte <strong>Hamburg</strong> erlebt?<br />

F. Duve: Ich lebte an verschiedenen Orten, z.B. in<br />

Langenhorn und Bergedorf, wo ich die Bomben nur<br />

von weitem hörte. Aber wenn ich am Wochenende<br />

bei meiner Mutter in Eimbsbüttel war, fielen die<br />

Bomben um die Ecke. Ich hatte ein sehr schwieriges<br />

Leben, da ich in den etwa vier Jahren Krieg fünfmal<br />

umziehen mußte.<br />

W.W.: Wie sind Sie mit der Angst in den Bombennächten<br />

umgegangen?<br />

F. Duve: Die Nachtangriffe und die Sirenen spielten<br />

eine dramatische Rolle in meinem Leben, weil man<br />

fast jede Nacht, vor allem bei dem großen Angriff<br />

1943, in den Keller mußte und nie wissen konnte, ob<br />

das eigene Haus oder die Nachbarhäuser zerstört<br />

würden. Wenn man ein kleiner Junge ist, wie ich es<br />

war, hat man natürlich ein Bewußtsein, aber nicht so<br />

viele Kenntnisse von den ZUSAmmenhängen und<br />

möglichen Folgen. Hinzu kam auch, daß ich während<br />

des Krieges eigentlich nicht richtig zur Schule gegangen<br />

bin, denn meine erste Klasse war eigentlich<br />

die vierte. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich z.B. noch<br />

nicht schreiben. Meine Mutter hatte während des<br />

Krieges immer wieder versucht, für meine Unterkunft<br />

anthroposophische Kinderheime bzw. anthroposophische<br />

Pflegeeltern zu finden. Das ist auch zweimal<br />

gelungen. Sie war während dieser Zeit Angestellte<br />

und mußte um 7.30 Uhr im Büro sein. Und wenn sie<br />

mich morgens zu den Pflegeeltern oder ins Kinderheim<br />

brachte, mußte sie etwa um 4.00 Uhr aufstehen,<br />

um die weiten Wege zwischen ihrer Wohnung, den<br />

Pflegeeltern und ihrer Arbeitsstätte zu bewältigen.<br />

Sie holte mich abends auch immer wieder ab. Später<br />

fuhr ich dann auch alleine mit der U-Bahn. Für<br />

mich als Kind spielte der Krieg vor allem durch die<br />

Trümmer am nächsten Tag eine Rolle, gleichermaßen<br />

durch das Spielen in den Trümmern. Ich bin auch<br />

einmal in einem Trümmerhaus abgestürzt, habe mich<br />

aber glücklicherweise nicht verletzt.<br />

W.W.: Hatten Sie starke Einsamkeitserlebnisse, da<br />

sie oft von ihrer Mutter getrennt waren? Und wie<br />

war es mit der Angst in den Bombennächten?<br />

F. Duve: Angst vor Angriffen hatte ich eigentlich nicht,<br />

eher war es Neugier. Aber das Alleinsein war wohl<br />

einer der prägendsten EiNDRücke meiner Kindheit.<br />

Sind Sie mein Vater?<br />

W.W.: Wie gingen Sie damit um, daß sie keinen Vater<br />

hatten?<br />

F. Duve: Gleich nach dem Krieg bin ich oft zu englischen<br />

und amerikanischen Soldaten gegangen, z.B.<br />

wenn ein militärisches Fahrzeug in unserer Straße<br />

stand, und habe verschiedene Soldaten angesprochen<br />

und sie gefragt: „Sind Sie mein Vater?“ Auch<br />

in der U-Bahn habe ich verschiedene Männer angesprochen<br />

und sie das gleiche gefragt.<br />

Diese Einsamkeit wiederholte sich später in der <strong>Hamburg</strong>er<br />

Waldorfschule, als meine Lehrerin mir vor der<br />

Klasse – was sie nicht hätte tun sollen – die Nachricht<br />

brachte, daß mein jüdischer Vater gestorben<br />

sei. Daraufhin hat mich mein damals bester Freund<br />

in der Pause als „Scheiß-Jude“ bezeichnet. Mit dem<br />

habe ich seitdem nie wieder gesprochen. Heute ist<br />

er ein bekannter Arzt hier in <strong>Hamburg</strong>. Diese Bemerkung<br />

hat bei mir ungeheuer eingeschlagen. Daraus<br />

resultierte in der Schulzeit für mich eine Isolation, die<br />

in den späteren Schuljahren ein starkes Interesse an<br />

philosophischen Fragen begründete.<br />

W.W.: Wußten Sie vor Kriegsende etwas von den<br />

KZs?<br />

F. Duve: Nein. Gegen Ende des Krieges war ich in<br />

einem wunderbaren neugegründeten kleinen anthroposophischen<br />

Kinderheim an der Langenhorner<br />

Chaussee. Auf dieser Straße sah ich eines Tages einen<br />

nach Süden getriebenen Zug von KZ-Häftlingen.<br />

Kurze Zeit später erfuhr ich, daß es nördlich des<br />

Kinderheims ein Außenlager des KZs Neuengamme<br />

gab. Ich wußte, daß es mißhandelte Menschen gab,<br />

aber über KZs hat mit mir niemand gesprochen. Ich<br />

habe ohnehin nicht viel mit Menschen gesprochen.<br />

Und mein Großvater hat mir darüber sowieso nichts<br />

erzählt.<br />

Ein kurzer intensiver Blick<br />

W.W.: Sie schreiben in Ihrem Buch „Vom Krieg<br />

in der Seele. Rücksichten eines Deutschen“<br />

(Frankfurt/M. 1994), daß Sie angesichts dieses<br />

Gefangenenzuges mit einem klapperdürren Mann<br />

einen kurzen Blick wechselten. Was geschieht in<br />

einem solchen Augenblick zwischen zwei Menschen,<br />

und wie hat dieser Blick auf Sie gewirkt?<br />

F. Duve: Eigentlich bestand das Verbot, das Kinderheim<br />

zu verlassen, wenn die Gefangenentransporte<br />

vorbeigeführt wurden. Aber ich ließ mir nichts vorschreiben,<br />

und der Freimut galt immer als der, der<br />

öfter mal abhaute. Ich fragte einen SS-Mann, der neben<br />

diesem klapperdürren Mann einherging, wer diese<br />

Gefangenen seien. Er schob mich sehr freundlich<br />

mit seinem Gewehr zur Seite, und bei dieser Situation<br />

schaute ich diesen dürren Mann an. Und wir beide<br />

wechselten einen kurzen Blick. Diese Situation habe<br />

ich nie vergessen. Sie hat mich tief berührt.<br />

W.W.: Ihre Mutter war Anthroposophin. Gibt es<br />

etwas Besonderes, was Sie davon in Ihrer Erziehung<br />

mitbekommen haben?<br />

F. Duve: Für sie selbst war die Anthroposophie eine<br />

Stütze. Gleichermaßen pflegte sie ihre Religiosität,<br />

denn sie war immer parallel sowohl in der Anthro-<br />

36 37


posophie als auch in der Christengemeinschaft zu<br />

Hause. Ich wurde auch in der Christengemeinschaft<br />

getauft. Wichtig wurde für mich die Eurythmie auf der<br />

Waldorfschule. Die Anthroposophie als Philosophie<br />

interessierte mich nicht so sehr. Aber ich war sehr religiös<br />

interessiert, allerdings eher in der intellektuellen<br />

Auseinandersetzung als in der religiösen Teilnahme.<br />

Später wechselte ich auf die Waldorfschule Schloß<br />

Hamborn, wo ich auch gleichzeitig wohnte. Der<br />

dortige Heimleiter war ein so großartiger Mensch,<br />

daß ich noch heute mit großer Bewunderung an ihn<br />

denke. Er war wie viele andere gerade als Soldat aus<br />

dem Krieg gekommen. Ich kannte viele Soldaten, die<br />

später Anthroposophen wurden. Das war für sie so<br />

etwas wie ein Rettungsanker. Aber der Heimleiter aus<br />

Schloß Hamborn war ein junger Mensch, und unsere<br />

Gespräche, die sich meist um religiöse und philosophische<br />

Fragen drehten, haben mir in meiner Schulzeit<br />

sehr viel bedeutet. Es waren Gespräche, die aus<br />

meinem Alleinsein heraus entsprangen, und sie haben<br />

mir sehr geholfen. Ich habe bestimmt jeden Tag<br />

versucht, ein bis zwei Stunden mit ihm zu sprechen.<br />

Drei Jahre war ich in Hamborn, und das war eigentlich<br />

meine Rettung.<br />

W.W.: Haben Sie dort Abitur gemacht?<br />

F. Duve: Nein, das war leider nicht möglich. Diese<br />

Schule ging damals nur bis zur 9. Klasse. Ich wechselte<br />

dann nach Stuttgart an die Waldorfschule, wo<br />

ich das Abitur machte. Ich war aus äußeren Gründen<br />

auf drei Waldorfschulen.<br />

W.W.: Von wann bis wann waren Sie auf der <strong>Hamburg</strong>er<br />

Waldorfschule?<br />

F. Duve: Von 1946 bis 1951.<br />

Das Wichtigste war ein<br />

Hammer<br />

W.W.: Wie war die äußere Situation der Waldorfschule<br />

in <strong>Hamburg</strong> im Jahr 1946, als Sie dort eingeschult<br />

wurden?<br />

F. Duve: Es war eine total kaputte Schule mit großen<br />

Klassen. Meine Klasse bestand aus über 40 Kindern.<br />

Das Wichtigste war, daß wir einen Hammer oder etwas<br />

Ähnliches hatten, mit dem wir den Mörtel von<br />

den Steinen abschlagen konnten. Wir mußten auch<br />

unseren eigenen Stuhl mitbringen. Morgens haben<br />

wir gesungen, und dann haben wir einige Stunden<br />

Steine geklopft. Das war ein sehr wichtiges Element<br />

für mein Leben. Diese Mithilfe beim Steineklopfen<br />

dauerte etwa ein Vierteljahr.<br />

W.W.: Haben Sie etwas für Ihr Leben aus den drei<br />

Waldorfschulen mitgenommen?<br />

F. Duve: Selbstvertrauen und Weltvertrauen, um es<br />

einmal ganz knapp zu sagen. Anthroposoph wurde<br />

ich nicht, aber die Waldorfschulen haben mich in<br />

meiner schwierigen Situation, in die ich durch meine<br />

Geburt geraten war, sehr stabilisiert, und ich wurde in<br />

späteren Schuljahren auch ein relativ guter <strong>Schüler</strong>.<br />

Von der Klassenlehrerin<br />

gedemütigt<br />

Meine Klassenlehrerin an der Wandsbeker Waldorfschule<br />

war zwar Anthroposophin, aber auch ein bißchen<br />

Nazi. Sie besaß ein schickes Einfamilienhaus,<br />

in dem wir sie auch manchmal besuchen durften. Sie<br />

flatterte um die reichen Eltern herum, die z.B. in Blankenese<br />

ihre Villen hatten, während sie dagegen die armen<br />

und alleinerziehenden Mütter sehr streng – negativ<br />

streng – behandelte. Ich hatte damals mit unserer<br />

Schwesterschule in England einen Briefaustausch<br />

mit einem englischen <strong>Schüler</strong>, und seine Familie lud<br />

mich nach Michael Hall ein. Alles wurde behördlich<br />

und offiziell unter schwierigen Bedingungen geregelt.<br />

Aber dann wählte meine Klassenlehrerin für den<br />

<strong>Schüler</strong>austausch mit England und auch für einen<br />

weiteren mit der Schweiz ihre Lieblingskinder aus –<br />

und das waren alles Kinder sogenannter feiner Leute.<br />

Sie hatte mich aus der Liste der <strong>Austausch</strong>schüler<br />

hinter meinem Rücken herausgenommen.<br />

W.W.: Das ist ja widerlich.<br />

F. Duve: Ich war damals ungeheuer verzweifelt, denn<br />

ich hatte meinem englischen Brieffreund schon oft<br />

geschrieben und ihm vor allem auch mitgeteilt, daß<br />

ich mich ungeheuer freue. Meine Englischkenntnisse<br />

waren schon recht gut, nicht zuletzt durch die Mitwirkung<br />

meiner Mutter, denn sie sprach fließend englisch.<br />

Obwohl ich durch die Intervention meiner Klassenlehrerin<br />

nicht auf den <strong>Schüler</strong>austausch durfte,<br />

ging ich sogar zum Altonaer Bahnhof, um die Abfahrt<br />

meiner Mitschüler zu sehen. Das war im Jahr 1949,<br />

und wir lebten noch in der britischen Besatzungszone.<br />

Ich hoffte darauf, daß ein Mitschüler krank wurde,<br />

um an seine Stelle treten zu können. Natürlich klappte<br />

das nicht. Statt meiner durften dann Kinder auch<br />

aus einer Nazi-Familie in den <strong>Schüler</strong>austausch fahren,<br />

z.B. ein Kind, dessen Eltern nach Südamerika<br />

geflohen war. Auch hierbei handelte es sich um eine<br />

sehr reiche Familie. Alle die Kinder, die in die Schweiz<br />

zum <strong>Schüler</strong>austausch durften, kamen wohlernährt<br />

zurück, während wir nichts zu essen hatten. Aber<br />

meine Mutter hatte mir immer, schon während des<br />

Krieges, einen Teil ihrer Nahrung mitgegeben, damit<br />

ich selbst zu essen hatte.<br />

Diese Begebenheit hat mich sehr belastet und geprägt.<br />

Daraufhin sprach ich mit meiner Klassenlehrerin<br />

fast nicht mehr, aber sie war ohnehin sehr unangenehm<br />

zu mir. Einer der Gründe dafür, daß ich an<br />

die Waldorfschule Schloß Hamborn wechselte, war<br />

diese Frau.<br />

Ich bin ein Bürger<br />

Deutschlands<br />

W.W.: „Mischling“ und „Halbjude“ sind ziemlich<br />

schauderhafte und auch falsche Begriffe, die man<br />

nicht verwenden sollte. Wie bezeichnen Sie sich<br />

von der Abstammung her selbst?<br />

F. Duve: Es gibt einen richtigen Begriff: Ich bin ein<br />

Bürger Deutschlands. Ich rate allen Menschen, die<br />

Eltern verschiedener Herkunft haben, daß sie sich als<br />

Bürgerinnen oder Bürger des Landes bzw. der Kultur<br />

bezeichnen sollen, in der sie leben. Das sage ich auch<br />

immer wieder den in Deutschland lebenden Türken.<br />

Wenn sie hier in Deutschland länger leben, dann sind<br />

sie deutsche Bürger. Vielleicht haben sie eine türkische<br />

Kulturprägung, aber die Abstammungsfrage<br />

gehört nicht in das Bürgerrecht.<br />

W.W.: Wie kam es dazu, daß Sie Reiseleiter in arabischen<br />

Staaten wurden?<br />

F. Duve: Ich wollte mich u.a. mit der Frage des Judentums<br />

auseinandersetzen, allerdings mehr indirekt.<br />

Damals studierte ich in <strong>Hamburg</strong> Kolonialgeschichte,<br />

was man vornehm in „Überseegeschichte“ umbenannt<br />

hatte. Den Begriff „Nord-Süd-Konflikt“ gab es<br />

damals noch nicht. Um mir für mein Studium Geld<br />

zu verdienen, arbeitete ich in den Semesterferien<br />

als Reiseleiter in Spanien und Nordafrika. Ich wollte<br />

dieses Geld selbst verdienen, um meiner Mutter, die<br />

so viel für mich geopfert hatte, nicht länger auf der<br />

Tasche zu liegen.<br />

Aber meinen ersten Job bekam ich durch Zufall,<br />

und zwar einen unglaublich guten in der Planungsabteilung<br />

der Lufthansa für die neuen Jet-Flugzeuge<br />

in <strong>Hamburg</strong>. Dort arbeitete ich mehrere Monate mit<br />

dem Leiter dieser Abteilung zUSAmmen. Aufgrund<br />

des Wetters vom Vortage rechnete ich die Einzelheiten<br />

unzähliger Flüge durch, wobei ich ungeheuer<br />

viel gelernt habe.<br />

Gleichzeitig war ich für kurze Zeit Regieassistent<br />

im <strong>Hamburg</strong>er Zimmer-Theater, weil ich eigentlich<br />

Schauspieler werden wollte. Meine Mutter war mittlerweile<br />

Steuerberaterin vieler anthroposophischer<br />

Einrichtungen in Norddeutschland und kannte u.a.<br />

auch Will Quadflieg, der Anthroposoph war. Während<br />

meiner Stuttgarter Waldorfschulzeit sprach ich einmal<br />

in den Ferien bei ihm zu Hause verschiedene Rollen<br />

vor, und er ermunterte mich, Schauspieler zu werden.<br />

Aber den Job als Regieassistent beendete ich dann<br />

wegen verschiedener Konflikte relativ rasch.<br />

Im Rahmen meiner Tätigkeit bei der Lufthansa bekam<br />

ich von einem Mitarbeiter einen Tip und übernahm für<br />

einige Monate einen Job bei einem Reisebüro, das<br />

erste Flüge nach Mallorca organisierte. Ich verkaufte<br />

Reisen, und in den ersten Semesterferien flog ich<br />

nach Mallorca, lernte Spanisch und lernte gleichzeitig,<br />

mit Touristen umzugehen.<br />

Später übernahm ich eine Stellung in Tanger und organisierte<br />

erste Marokko-Reisen der Firma, für die<br />

ich arbeitete. Das war ein relativ verantwortungsvoller<br />

Posten, bei dem ich sehr viel, auch über die Kultur des<br />

Landes, lernte. Aber diese Firma meldete Konkurs<br />

an, und ich übernahm einen Job als Reiseleiter für<br />

die Touropa in Tunesien, weil man in diesem Land die<br />

Reisetätigkeit aufbauen wollte. 1958 wurde ich der<br />

Gründungsrepräsentant der Touropa für Nordafrika.<br />

In Tunesien baute ich ein Büro auf und organisierte<br />

die ersten Reisen – alles aber nur in den Semesterferien.<br />

Allerdings wurde ich von der Touropa gebeten,<br />

ein Semester auszusetzen, um das Reisegeschäft<br />

besser organisieren zu können. Gleichzeitig trieb ich<br />

meine privaten Studien über die Kolonialgeschichte<br />

Nordafrikas, den Algerien-Krieg usw. intensiv voran.<br />

Die Verdammten dieser<br />

Erde<br />

W.W.: Wie haben Sie in dieser Zeit den Algerien-<br />

Krieg und vor allem die Rolle Frankreichs erlebt?<br />

F. Duve: Dieser Krieg spielte eine sehr große Rolle<br />

in meinem Leben. Etwa 10 der tunesischen Bevölkerung<br />

waren damals Flüchtlinge aus Algerien, und<br />

auch die algerischen Kämpfer, die FLN, bewaffneten<br />

sich in Tunesien. Am Strand von Hammamet lernte<br />

ich auch verschiedene Algerier kennen, die sich mir<br />

gegenüber zuerst als reiche marokkanische Kaufleute<br />

ausgaben, in Wirklichkeit aber in Tunesien die<br />

algerische Exilregierung aufbauten. Auf diese Weise<br />

konnte ich sehr viele Kontakte knüpfen, die ich später<br />

als Politiker nutzen konnte. Viele Jahre später war ich<br />

z.B. wieder einmal in Tunis, um dort Arafat im Auftrag<br />

von Willy Brandt zu besuchen.<br />

W.W.: War es für Sie schwer zu akzeptieren, daß<br />

ein demokratischer Staat – Frankreich – Verbrechen<br />

an der algerischen Bevölkerung beging?<br />

F. Duve: Die Details, z.B. die Folter, bekam ich erst<br />

später durch eigene Forschungen heraus. Aber was<br />

die Algerier mir erzählten, war schon sehr dramatisch.<br />

Ich habe sogar einen verletzten algerischen Kämpfer<br />

nach Libyen ins Krankenhaus gefahren.<br />

Der Kampf der Algerier wurde damals zum Sinnbild<br />

dessen, was man später die Dritte Welt nannte, und<br />

nach und nach ging es mir auf, daß Frankreich in Algerien<br />

als Besatzungsmacht die moralisch schlechtere<br />

Rolle spielte.<br />

Später, als Herausgeber von rororo-aktuell, gab ich<br />

dann auch das Buch von Frantz Fanon über den Algerien-Krieg<br />

heraus, „Die Verdammten dieser Erde“.<br />

In mir entstand nach und nach die Frage, ob man<br />

diesen Krieg am Südrand von Europa wirklich richtig<br />

gedeutet hatte. Durch die zahlreichen nach Tunesien<br />

geflohenen Algerien-Krieger entstand dort eine<br />

konfliktträchtige Situation, denn die Algerier hatten<br />

sehr viele Waffen und auch noch sehr viel Geld, sie<br />

schmuggelten auch sehr viel. Da ich mittlerweile relativ<br />

bekannt war, sprach man mich auch an, ob ich ihnen<br />

nicht Kontonummern von <strong>Hamburg</strong>er Kaufleuten<br />

nennen könne, damit sie Gelder ins Ausland transferieren<br />

könnten. Ein skandalöses Ansinnen. Teilweise<br />

war das sehr kriminell, was die FLN-Leute trieben.<br />

Ich war auch mit einer tunesischen jüdischen Familie<br />

bekannt, deren Sohn als Soldat von Tunesien nach Algerien<br />

geschickt wurde. An diesem Beispiel erkannte<br />

38 39


ich, wie ungeheuer schwer es für ihn war, als Tunesier<br />

mit französischer Kultur und jüdischem Glauben in<br />

Algerien als französischer Soldat aufzutreten. Meine<br />

später eintretende starke Frankreich-Bindung hängt<br />

insgesamt mit dieser Zeit zUSAmmen.<br />

Menschenverachtung<br />

W.W.: Anfang der 60er kamen Sie nach Südafrika<br />

und Süd-Rhodesien, wie es damals hieß. Welche<br />

Aufgaben hatten Sie dort, und wie wirkte die<br />

Apartheid auf Ihre Politisierung?<br />

F. Duve: Zunächst einmal wirkte diese Zeit sehr auf<br />

meine Akademisierung. Zu dieser Zeit saß ich gerade<br />

an meiner Doktorarbeit über die Kolonialgeschichte in<br />

Rhodesien, speziell darüber, wie man nach Abschaffung<br />

der Sklaverei diese als Zwangsarbeit kaschiert.<br />

Damals war ich der einzige Forscher, der über dieses<br />

Thema arbeitete.<br />

Ich flog über Südafrika, und während des Fluges saß<br />

ein Deutscher neben mir, der mir ganz stolz erzählte,<br />

daß er gerade als Nazi aus dem Gefängnis entlassen<br />

worden sei, und der voll des Lobes auf die Nazi-Zeit<br />

war. Ein weiteres einschneidendes Erlebnis ereignete<br />

sich auf meiner Zwischenstation in einem Hotel in<br />

Johannesburg, als ich mit dem Hotelbesitzer, einem<br />

Weißen, sprach. Er war voller Freude darüber, daß ich<br />

aus Deutschland kam, und er war unglaublich freundlich<br />

zu mir. Gleichzeitig sah ich einen würdigen alten<br />

Mann, einen Schwarzen, der aus der Küche kam und<br />

ihn sprechen wollte. In diesem Moment drehte sich<br />

der Hotelbesitzer, gerade noch die Höflichkeit in Person,<br />

abrupt um und schnauzte diesen Schwarzen in<br />

einer so dreckigen Weise an, wie ich es noch nie in<br />

meinem Leben erlebt hatte. Er brüllte ihn an, wie er es<br />

überhaupt wagen könne, auch nur in diesem Raum zu<br />

erscheinen, er dürfe nur bis zur Tür gehen und müsse<br />

dort warten, bis er angesprochen werde. Diese Menschenverachtung<br />

machte mich augenblicklich wach.<br />

Ich blieb noch einige Tage in Johannesburg und<br />

knüpfte dort mehrere Kontakte zu Schwarzen, und<br />

mein erstes Buch, das ich veröffentlichte, wurde<br />

dann nicht meine Doktorarbeit, sondern das Buch<br />

„Kap ohne Hoffnung oder die Politik der Apartheid“<br />

(1965).<br />

W.W.: Dann hat sie also die Begegnung im Hotel<br />

bzw. der tägliche Rassismus im Süden Afrikas<br />

zum Politiker gemacht?<br />

F. Duve: Auf jeden Fall zum politischen Publizisten.<br />

Ich habe sehr viele Aufsätze über Apartheid und Ideologien<br />

geschrieben und habe zu diesem Thema geforscht.<br />

Dann war ich drei Jahre persönlicher Referent<br />

des <strong>Hamburg</strong>er Wirtschaftssenators, bei dem ich<br />

auch sehr viel über wirtschaftliche ZUSAmmenhänge<br />

gelernt habe. Mein zweites Buch war dann „Die Restauration<br />

entläßt ihre Kinder“ (1968), das von dem<br />

Wiedererstarken der Nazis handelte. Das hatte einerseits<br />

mit meiner Vergangenheit zu tun, andererseits<br />

mit dem, was ich in Südafrika erlebt hatte.<br />

W.W.: Hatten Sie auch in Südafrika Begegnungen<br />

mit den Mandelas?<br />

F. Duve: Ja. Während meines Südafrika-Aufenthalts<br />

fuhr ich nach Soweto, wohin man als Weißer schon<br />

nicht mehr gehen durfte, und besuchte das Haus von<br />

Winnie Mandela. Ich führte ein sehr langes Gespräch<br />

mit ihr und ihren kleinen Kindern. Das Highlight meines<br />

Südafrika-Buches wurde die Verteidigungsrede Nelson<br />

Mandelas, eine wunderbare Verteidigungs-Rede,<br />

die er zu seinem Rivonia-Prozeß gehalten hat. Diese<br />

Rede besorgte ich mir über meine kolonialhistorischen<br />

Freunde in London, und wahrscheinlich bin<br />

ich der erste und einzige, der diese Rede außerhalb<br />

des englischen Sprachraums publiziert hat. Damals<br />

war Mandela kein bekannter Mensch, aber für mich<br />

war er eine der wichtigsten Persönlichkeiten. In dieser<br />

Rede steckt schon seine spätere Friedensprogrammatik.<br />

Später wurde ich der Verleger für Winnie<br />

Mandelas Erinnerungen „Ein Stück meiner Seele“.<br />

Als Publizist gegen die<br />

Ungerechtigkeit in der<br />

Welt<br />

W.W.: Woher kam Ihre Idee, Bücher zu machen,<br />

bzw. was hat Sie bewogen, fast zwei Jahrzehnte<br />

die Reihe rororo-aktuell herauszugeben?<br />

F. Duve: Ich nahm wahr, daß in Deutschland ein Pro-<br />

Apartheid-Buch nach dem anderen erschien, und<br />

so habe ich erste Aufsätze gegen die Apartheid,<br />

u.a. auch in den „Kommenden“, einer anthroposophischen<br />

Zeitschrift, veröffentlicht. Weil man überall<br />

die Apartheid als Lösung für den Konflikt zwischen<br />

Weißen und Schwarzen proklamierte, wollte ich ein<br />

öffentliches Gegengewicht setzen.<br />

Mittlerweile war ich mit einer Ägypterin verheiratet,<br />

hatte zwei Kinder und mußte Geld verdienen. Meine<br />

Bedingung war dann, daß meine Frau ihr Examen<br />

macht und ich das Geld verdiene, damit im Falle, daß<br />

mir etwas passiert, meine Frau und meine Kinder ein<br />

Auskommen hätten. Später wurde meine Frau Schulrätin<br />

in <strong>Hamburg</strong>. Sie war übrigens die Tochter der<br />

Freundin meiner Mutter, die ein ähnliches Schicksal<br />

wie meine Mutter hatte. Diese Freundin hatte einen<br />

Araber kennengelernt, meine Mutter einen Juden.<br />

W.W.: Wann haben Sie mit der Herausgabe von<br />

rororo-aktuell begonnen?<br />

F. Duve: Ich war Redakteur beim Stern und schrieb<br />

noch ein Buch über Entwicklungspolitik, um das mich<br />

Erhard Eppler gebeten hatte, „Der Rassenkrieg findet<br />

nicht statt. Entwicklungspolitik zwischen Angst und<br />

Armut“ (1970). Beim Stern war ich nur kurz politischer<br />

Redakteur, aber weil es dort Konflikte gab, habe ich<br />

gekündigt, und man holte mich Anfang der 70er Jahre<br />

zu Rowohlt, weil es dort eine große Krise gab;<br />

Fritz J. Raddatz war hinausgegangen worden. Man<br />

fragte mich, ob ich die gesamte politische Ecke des<br />

Rowohlt-Verlages übernehmen wolle, und da ich einen<br />

sehr guten Vertrag erbeten hatte, übernahm ich diese<br />

Stelle. Ich war der einzige Herausgeber einer Buchreihe,<br />

der eigene Autoren- und Titelentscheidungen<br />

treffen konnte. Ich benötigte zwar die ZUSAge meines<br />

Verlegers, umgekehrt aber konnte auch er keine Bücher<br />

ohne meine ZUSAge machen. So ein Vertrag ist nie wieder<br />

gemacht worden.<br />

W.W.: Wie lange haben Sie diese Reihe herausgegeben?<br />

F. Duve: Etwa 18 Jahre.<br />

Verbotener Abgeordneter<br />

W.W.: Im Kalten Krieg herrschte ein dualistisches<br />

Weltbild. Wieso verfiel auch die Linke oft zu stark in<br />

dieses dualistische Schema: USA – schlecht, UdSSR<br />

– keineswegs genauso schlecht?<br />

F. Duve: Das hatte mit der Ideologisierung der Überzeugungen<br />

zu tun, auch mit den 60er Jahren. Ich bin<br />

einige Jahre vor der Apo-Generation geboren, habe<br />

auch viel mit und vor ihnen auf Podiumsdiskussionen<br />

geredet, aber die marxistische Ideologisierung konnte<br />

ich niemals teilen. Meine zentralen Themen waren im-<br />

mer – vielleicht lag das an meiner Erziehung und der<br />

Waldorfschulzeit – soziale und Menschenrechte. Auch<br />

vor meinem Eintritt in die SPD sah ich mich immer als<br />

sozialliberalen Demokraten.<br />

Die größte Distanz zwischen mir und der marxistischen<br />

Linken entstand in der Frage der Menschenrechte. Auf<br />

diesem Feld gab es in den 70er und 80er Jahren regelrechte<br />

Auseinandersetzungen. Ich publizierte Bücher<br />

über Solidarnosc, über die Menschenrechtsfrage in der<br />

UdSSR und auch Bücher von russischen Dissidenten.<br />

Speziell hinweisen möchte ich auf das „Jahrbuch für<br />

Menschenrechte in Osteuropa“, das ich begründet<br />

habe. Das hat manche Kommunisten und Links-Sozialdemokraten<br />

empört. Der linke Duve macht dauernd<br />

Sachen, die den USA dienen – so lautete damals mancher<br />

Vorwurf. Das Thema Menschenrechte habe ich oft<br />

im Bundestag vertreten.<br />

W.W.: Wenn ein Mensch gefoltert, geknechtet, in seinen<br />

elementarsten Menschenrechten behindert wird, gleich<br />

von welchem System, dann muß man ihn verteidigen.<br />

War der Kalte Krieg, so gesehen, ein Zerrspiegel zur<br />

Vereinseitigung der Welt oder gar eine Lüge?<br />

F. Duve: Auf jeden Fall. Ich war zeitlebens sehr dankbar<br />

darüber, daß ich ca. 60 km westlich der deutschdeutschen<br />

Grenze aufgewachsen bin und nicht in der<br />

40 41<br />

Lesung von Freimut Duve am 19.01.09 Ida Ehre Gesamtschule <strong>Hamburg</strong>


DDR. Zur Beerdigung meines Großvaters und später<br />

zu einer weiteren Trauerfeier kamen unsere Verwandten<br />

aus Mecklenburg, und als sie erzählten, wie brutal<br />

sie von den DDR-Soldaten und der dortigen Polizei aus<br />

den Häusern vertrieben und in kleine Zimmer gesperrt<br />

worden waren, weil sie in der Grenzzone lebten, da<br />

wurde mir die ganze Brutalität dieses Systems deutlich.<br />

Wenn man dann sieht, wie eine alte Frau weint, weil sie<br />

ihr eigenes Haus nicht mehr betreten darf, dann geht<br />

einem das schon sehr nahe. Später traf ich auch DDR-<br />

Dissidenten, z.B. Havemann, obwohl ich ihn nicht hätte<br />

treffen dürfen. Daraufhin wurde ich „verbotener Abgeordneter“.<br />

Ich war der einzige Bundestagsabgeordnete,<br />

der einige Jahre nicht nach Ost-Berlin fahren durfte.<br />

Ethnischer Haß und Völkermord<br />

in Südeuropa<br />

W.W.: Nach Beendigung des Kalten Krieges hatte<br />

man gehofft, daß es zumindest in Europa keinen<br />

Völkermord mehr geben würde. Aber im ehemaligen<br />

Jugoslawien traten alte rassistische und nationalistische<br />

Gedanken und Handlungsweisen wieder<br />

in den Vordergrund. Warum lebten nach dem Ende<br />

des Kalten Krieges diese zerstörerischen Gedanken<br />

wieder auf? Wurden sie durch das kommunistische<br />

Regime in Schach gehalten, oder war es eine neue<br />

Entfachung?<br />

F. Duve: Es war eine neue Entfachung. Sehr viel von<br />

dieser Entfachung ist propagandistisch organisiert<br />

worden. Milosevic und andere Tito-Nachfolger haben<br />

die völkische Propaganda geschürt und die Probleme<br />

des Post-Tito-Jugoslawiens völkisch ideologisiert, und<br />

zwar exakt nach Goebbels’ Methoden. Sie ekelten<br />

schon in einer sehr frühen Phase alle führenden Offiziere<br />

der ehemaligen jugoslawischen Armee heraus,<br />

die nicht serbischer Abstammung waren. Schon nach<br />

kurzer Zeit gab es weder bosnische noch albanische<br />

oder kroatische Offiziere. Auf diese Weise hatten sie<br />

die Führung der jugoslawischen Armee in eine völkisch<br />

gelenkte serbische Armee verwandelt. In der Presse<br />

wurde dann das serbische Volk als leidendes Volk der<br />

Menschheitsgeschichte propagiert; das war genau das<br />

gleiche, wie es Hitler und Goebbels mit dem deutschen<br />

Volk gemacht hatten. Bis in die einzelnen Häuser wurde<br />

dieser ethnische Haß transportiert.<br />

Tudjman hat dies umgekehrt in Kroatien ebenso durchgeführt,<br />

nicht nur als Antwort auf die Serben, sondern<br />

auch aus eigener Ideologisierung heraus. Dann verfälschte<br />

man das Geschichtsbild über die Bosnier, Türken<br />

und Araber und behauptete, daß Bosnien von den<br />

Türken überrannt worden sei. Aber wenn man wirklich<br />

in die Geschichte schaut, z.B. mit den Juden in Sarajewo<br />

spricht, dann werden sie einem erzählen, daß die<br />

Menschen unter der türkischen Herrschaft oft mit Toleranz<br />

behandelt worden sind.<br />

W.W.: Warum war die völkische Propaganda der<br />

Serben so erfolgreich?<br />

F. Duve: Sie hatten die Radio- und Fernsehstationen<br />

unter Kontrolle. Als ich für den Bundestag in Begleitung<br />

einer wunderbaren Menschenrechtlerin durch<br />

Bosnien fuhr, übersetzte mir diese Frau einige der<br />

Radiosendungen. Das war richtige Nazipropaganda.<br />

W.W.: Warum hat man sich auf seiten der Linken,<br />

auch bei einigen Parteigenossen von Ihnen, so<br />

lange gegen die Anwendung des Begriffs Völkermord<br />

in bezug auf die serbischen Greuel gewehrt?<br />

F. Duve: Das war die innere Assoziation vieler Linker<br />

mit Tito. Wenn man schon nicht Moskau lieben durfte,<br />

dann griff man sich denjenigen heraus, der sich<br />

während des Kalten Krieges am meisten verselbständigt<br />

hatte. Und insofern ließ man an Jugoslawien,<br />

auch an Titos Nachfolger, nichts herankommen. Man<br />

machte einfach keine neuen Analysen. Ich persönlich<br />

bin auch mit meinen Publikationen und Reden im<br />

Bundestag sehr kritisiert worden.<br />

Mit der Völkermord-Definition habe ich mich fast<br />

mein ganzes Leben lang beschäftigt. Wegen der Verbrechen<br />

der Nazis wurde der Begriff Genozid gebildet<br />

– und plötzlich findet in den 90er Jahren wieder<br />

ein Genozid in Südeuropa statt! Und ich war sofort<br />

gewillt, gegen diesen Völkermord etwas zu unternehmen.<br />

W.W.: Mir wurde der serbische Faschismus sofort<br />

klar, als ich im Spiegel über die Rede las, die Milosevic<br />

im Juni 1989 auf dem Amselfeld hielt.<br />

F. Duve: Das war die entscheidende Rede. Ich wies<br />

auch im Bundestag immer wieder darauf hin, daß<br />

man diese Rede ganz genau lesen solle, da es eine<br />

absolut völkische war.<br />

W.W.: Woher stammt eigentlich die Lüge, daß Genscher<br />

der Urheber der Kriege in Jugoslawien sei,<br />

weil er Slowenien und Kroatien zur Unabhängigkeit<br />

gedrängt habe?<br />

F. Duve: Diese Propaganda ging vor allem von den<br />

Serben aus, und sie wurde zum Teil von der Linken,<br />

vor allem in Frankreich, aufgegriffen.<br />

W.W.: Sie waren mehrmals während des Völkermords<br />

in Ex-Jugoslawien, u.a. in Mostar und Tuzla.<br />

Was hat Sie veranlaßt zu helfen, und was konnten<br />

Sie bewirken?<br />

F. Duve: Zum einen war es mein biographischer<br />

Hintergrund, zum anderen mein Einsatz als verantwortlicher<br />

Deutscher gegen jede Form rassistischer<br />

Morde, vor allem in einem europäischen Land. Und<br />

so wurde ich offizieller Beauftragter des Bundestages<br />

für die Kriege in Bosnien und Kroatien.<br />

In meinem Wahlkreis in <strong>Hamburg</strong> – St.Georg wohnte<br />

eine sehr engagierte Intellektuelle, die aus Tuzla<br />

stammte und fast jeden Tag mit ihren Eltern telefonierte.<br />

Sie hat mich immer wieder angesprochen und<br />

mir von den Greueln erzählt. Ich flog dann mit ihr nach<br />

Split, wohin mir der Bürgermeister von Tuzla über die<br />

Berge ein Auto geschickt hatte, und so fuhren wir<br />

heimlich nach Tuzla. Ich war der erste Ausländer von<br />

außerhalb der Kriegsgebiete, der in Tuzla eintraf. Das<br />

war eine sehr gefährliche Reise, ausschließlich über<br />

Bergwege. Unten konnten wir nicht fahren, da dort<br />

fortwährend geschossen wurde. In dieser Zeit kamen<br />

auch viele islamische Kämpfer in das Land, die<br />

sich unter die Soldaten mischten. Aber das hat die<br />

bosnische Armee sehr weise geregelt. Die Bosnier<br />

brauchten das Geld der Araber, wollten aber nicht<br />

die Unterstützung durch arabische Kämpfer, und so<br />

brachten die bosnischen Soldaten die Araber in ein<br />

Feldlager, wo sie sich vorbereiten sollten. Dort waren<br />

sie zwar nicht wie in einem Gefängnis eingeschlossen,<br />

aber sie konnten auch nicht aktiv an den Kämpfen<br />

teilnehmen. Die Bosnier legten diese islamischen<br />

Kämpfer sozUSAgen auf Eis.<br />

Menschheitsverbrechen in<br />

Südamerika<br />

W.W.: Sie waren als Mitglied des Ausschusses für<br />

Menschenrechte auch in Lateinamerika. Welche Arbeit<br />

haben Sie dort geleistet?<br />

F. Duve: Ich bin im Auftrag des Bundestages und<br />

meiner Fraktion in verschiedenen Ländern, u.a. in Lateinamerika,<br />

Verbrechen nachgegangen.<br />

W.W.: Um welche Verbrechen ging es dabei?<br />

F. Duve: Das war z.B. der Massenmord an den Mayas<br />

in Guatemala. Ich fuhr durch die Dörfer, erlebte die<br />

Angst der Menschen und sah auch einige Leichen.<br />

Weiterhin war ich in Chile, besuchte die Menschen<br />

in den Gefängnissen, auch den jetzigen Präsidenten.<br />

Ich war in Paraguay und Argentinien und habe mich<br />

um die chilenischen und argentinischen Verbrechen<br />

– das Herauswerfen der Menschen aus den Flugzeugen<br />

– gekümmert. Natürlich mußte ich auch die<br />

USA kritisieren, da sie eng mit den Diktaturen Südamerikas<br />

zUSAmmenarbeiteten. Viele der Verbrecher<br />

aus Südamerika konnten verhaftet werden, und noch<br />

heute laufen verschiedene Prozesse. Aber dann bin<br />

ich aus der unmittelbaren Verantwortung herausgegangen,<br />

als ich Ende 1997 in Wien mein Amt bei der<br />

OSZE (Organisation für Sicherheit und ZUSAmmenarbeit<br />

in Europa) antrat.<br />

W.W.: Welche Aufgaben hatten Sie bei der OSZE?<br />

F. Duve: Ich war zuvor Mitglied des KSZE-Parlaments,<br />

als der Helsinki-Prozeß voll im Gange war und<br />

ich mich für Willy Brandt sehr engagierte. Vorübergehend<br />

war ich im Europarat, kam dann zur OSZE und<br />

wechselte dort in den Menschenrechtsausschuß.<br />

Die OSZE ist kein Dauerparlament, sondern man<br />

tagt ein- oder zweimal pro Jahr in verschiedenen<br />

Mitgliedsländern. Bei einer Sitzung in Kanada Mitte<br />

der 90er Jahre schlug man mich für den Vorsitz des<br />

Menschenrechtsausschusses vor. Als erstes richtete<br />

ich dort einen Preis für die Medien und den Journalismus<br />

ein. Dazu gab es dann jedes Jahr eine große<br />

Veranstaltung, und der erste Preisträger war Adam<br />

42 43


Michnik aus Polen. Seine Schriften hatte ich veröffentlicht,<br />

als er wegen seiner Solidarnosc-Aktivitäten<br />

im Gefängnis saß. Daraufhin wurde dieser Preis jedes<br />

Jahr verliehen, z.B. an die Witwen von ermordeten<br />

baskischen und ukrainischen Journalisten.<br />

Etwas später schlug ich der deutschen Bundesregierung<br />

unter Kohl vor, erstmals in der UNO-Geschichte<br />

– die OSZE ist eine Regionalorganisation der UNOo<br />

– ein Amt zum Schutz des professionellen Journalismus<br />

und der Schriftsteller zu gründen. Dieser Vorschlag<br />

wurde dann von der Bundesregierung übernommen,<br />

und Außenminister Kinkel schlug mich für<br />

den Vorsitz dieses Amtes in Wien vor. Damals war<br />

mein Bundestagsmandat fast ausgereift, und außer<br />

mir sah man niemanden bei der OSZE, der mehrheitsfähig<br />

gewesen wäre. Denn die Schwachstelle<br />

der OSZE besteht darin, daß einstimmig beschlossen<br />

werden muß. Diesen Posten habe ich bis 1998<br />

parallel zu meinem Bundestagsmandat ausgefüllt<br />

und bin dann aber sechs Jahre ganz nach Wien gegangen.<br />

Aus diesem Amt heraus habe ich u.a. meine<br />

Aktivitäten auf dem Balkan gestaltet, z.B. das mobile<br />

Kindergymnasium.<br />

Die Jugend nach dem<br />

Krieg<br />

W.W.: Können Sie diese fahrende gymnasiale<br />

Werkstatt noch ein wenig darstellen?<br />

F. Duve: Es handelte sich um 16 mobile Container,<br />

die zu einem großen „Zelt“ zUSAmmengestellt werden<br />

konnten – mit einem abnehmbaren Dach. Das<br />

bot den jungen Menschen auf dem Balkan eine Unterrichtsform<br />

auch für die Einübung ihrer Zukunft. Für<br />

jeweils einige Wochen zogen diese Container durch<br />

Kroatien, Bosnien und Jugoslawien, später auch<br />

durch den Kosovo, und boten den Jugendlichen des<br />

Balkans ein Forum zur grenzüberschreitenden Diskussion.<br />

Dieses <strong>Projekt</strong> wurde von Deutschland, Holland,<br />

Norwegen und der Schweiz finanziert.<br />

W.W.: Wurden die Kinder unterrichtet?<br />

F. Duve: Nein, es waren vor allem Gesprächsforen,<br />

aber auch künstlerische Aktivitäten. Die Schulen des<br />

Balkans waren alle ziemlich kaputt und die Eltern<br />

und Lehrer meist Haßprediger, die die jeweils anderen<br />

Ethnien als Verbrecher brandmarkten. Die 14- bis<br />

18jährigen <strong>Schüler</strong> kamen vormittags um 11 Uhr, und<br />

dann gab es thematische Gesprächsrunden. Die Aktivitäten<br />

dieser Organisation, „Verteidigung unserer<br />

Zukunft“, wurden z.B. in dem Buch „Balkan – die<br />

Jugend nach dem Krieg“ (Bozen 2002) veröffentlicht.<br />

Geleitet hat diese Gespräche neben mir vor allem<br />

Achim Koch, ein ehemaliger Theaterleiter aus <strong>Hamburg</strong>,<br />

ansonsten wirkten dort verantwortlich junge<br />

Akademiker aus der Region mit, die als Kinder den<br />

Krieg erlebt hatten. Dieses <strong>Projekt</strong> lief von 2000 bis<br />

zum Jahre 2004.<br />

Organisierter<br />

Tschetschenien-Haß<br />

W.W.: Welche Aktivitäten haben Sie außerdem bei<br />

der OSZE durchgeführt?<br />

F. Duve: Ein weiteres Problemfeld war der Kaukasus.<br />

Dort führte ich ähnliche Aktivitäten in Georgien<br />

und mit geflohenen tschetschenischen Kindern in<br />

Inguschetien durch. Leider war dieses <strong>Projekt</strong> nicht<br />

so fruchtbar, weil der Tschetschenien-Haß von Moskau<br />

organisiert wurde und weil es auf tschetschenischer<br />

Seite die bekannten Reaktionen gab. Schon<br />

bei Puschkin kommen die Tschetschenen als Feinde<br />

vor. Dieser Tschetschenien-Haß hat ähnlich wie der<br />

Antisemitismus uralte Wurzeln. Bei meinen Besuchen<br />

in Moskau sprach ich immer wieder mit tschetschenischen<br />

Akademikern, die darunter litten, daß sie als<br />

„anders-rassisch“ diffamiert wurden. Auf tschetschenischer<br />

Seite gibt es mittlerweile eine gefährliche<br />

islamistisch geprägte Unabhängigkeitsbewegung,<br />

aber in Wahrheit interessiert die Mehrheit der Tschetschenen<br />

der Islam immer sehr viel weniger als die<br />

Frage, in welcher Form sie in einer russischen Föderation<br />

existieren können. Andere Themen meines<br />

Amtes waren z.B. die Unfreiheit der Journalisten in<br />

Weißrußland und die zunehmende Zerstörung der<br />

hervorragenden journalistischen Aufbruchstimmung<br />

in Moskau. Bei diesen Aktivitäten mußte ich häufig<br />

Putin kritisieren, vor allem wegen seiner Tschetschenien-Politik,<br />

aber auch wegen der zunehmenden Einschränkung<br />

der journalistischen Freiheit. Rußland ist<br />

nach Kolumbien mittlerweile zu dem Land mit der<br />

zweithöchsten Anzahl von Morden an Journalisten<br />

aufgestiegen. Dieses Mandat führte ich bis Ende 2003<br />

mit Freude aus, vor allem deshalb, weil mein Mandat<br />

zum Entsetzen mancher Staatschefs in seiner Kritikberechtigung<br />

sehr weit reichte. Dies betraf aber auch<br />

die Staatschefs der Partnerstaaten der OSZE, Israel,<br />

Libanon, Ägypten, Tunesien und Marokko.<br />

Deutsche Vergangenheitsbewältigung<br />

W.W.: Wie haben Sie in diesen Tagen den 60. Jahrestag<br />

des Kriegsendes erlebt? Wie sehen Sie<br />

die Rolle Deutschlands bis heute? Lügt man sich<br />

über die eigene Verantwortung für die Verbrechen<br />

an den Juden und die Verbrechen durch den Krieg<br />

noch etwas in die Tasche, oder hat man sich der<br />

Verantwortung der Vergangenheit weitgehend gestellt?<br />

F. Duve: Deutschland hat unter schwierigen Prozessen<br />

die Vergangenheitsverbrechen in sein Geschichtsbewußtsein<br />

eingebaut, was ich für eine große Leistung<br />

halte. Stolz sollten wir darauf zwar nicht sein, da diese<br />

Verbrechen keinen Stolz erlauben, aber andererseits<br />

gibt es kein Land auf der Welt, in dem es nicht<br />

auch irgendwelche Verbrechen der Herrschenden<br />

gegeben hat. Fahren Sie einmal nach Wien oder Paris,<br />

dann sehen Sie, daß dort immer nur die Heldentaten<br />

des Volkes oder einzelner Herrschaften verewigt<br />

werden. Die Heldenverehrung als Teil der nationalen<br />

Geschichte ist ein immanentes Element des Nationalstolzes.<br />

In Deutschland hat man es geschafft, sich<br />

ein anfängliches Nationalbewußtsein zu erarbeiten,<br />

aber mit Einschluß der negativen Seiten der Vergangenheit.<br />

Dies ist weitgehend gelungen, und ich freue<br />

mich, durch meine Arbeit einen kleinen Beitrag dazu<br />

geleistet zu haben.<br />

Chile, das mittlerweile wieder eine Demokratie ist, hat<br />

sich diesen Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit<br />

zum Vorbild für die Aufarbeitung der eigenen<br />

Verbrechen genommen.<br />

W.W.: Ein ähnlich positives Beispiel ist Südafrika.<br />

F. Duve: Genau, auch hier hat man sich ganz vorbildlich<br />

der eigenen Geschichte gestellt. Vor allem<br />

Desmond Tutu, den ich verlegt hatte und der der<br />

südafrikanischen Kommission zur Aufarbeitung der<br />

Apartheid-Verbrechen vorstand, hat an vorderster<br />

Front mitgewirkt, die Geschichte der staatlichen Verbrechen<br />

Südafrikas in aller Öffentlichkeit aufzuarbeiten.<br />

Diese südafrikanische Kommission, zu der ich<br />

von Nelson Mandela eingeladen wurde, hieß „Truth<br />

and Reconciliation“, Wahrheit und Versöhnung. Auch<br />

für die Südafrikaner war es ein Vorbild, wie die Deutschen<br />

mit ihrer Vergangenheit umgegangen sind.<br />

Eine derartige Debatte hat es in Deutschland erst<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben. Während der<br />

Weimarer Republik gab es keine Debatten über die<br />

Verbrechen der Kolonialgeschichte. Diese Debatte<br />

gab es in Deutschland erst in den 60er Jahren, während<br />

sie in England schon in den 20er Jahren geführt<br />

wurde.<br />

Japanische und chinesischeMenschenrechtsverbrechen<br />

W.W.: Deutschland, Chile und Südafrika sind drei<br />

Beispiele gelungener Vergangenheitsbewältigung.<br />

Aber in den meisten anderen Ländern sieht dies<br />

ganz anders aus. Gerade gab es in China Unruhen<br />

wegen eines japanischen Schulbuchs, welches<br />

die japanischen Kriegsgreuel während der japanischen<br />

Besatzung in China leugnet. Warum sieht<br />

man in Japan nicht der Wahrheit ins Gesicht?<br />

F. Duve: Gegenüber Japan war ich immer äußerst<br />

kritisch eingestellt. Für Fragen der Vergangenheitsbewältigung<br />

gibt es in Japan keinerlei Pluralismus.<br />

In Japan herrschte immer ein monolithisches Bewußtsein,<br />

auch bei der Modernisierung des Staates.<br />

Aber eine Debatte über die eigenen Fehler der Vergangenheit<br />

hat es in Japan bisher nicht gegeben. Die<br />

GraUSAmkeit der japanischen Besetzung in China<br />

war ungeheuer. Es war ein Massenmord an der chinesischen<br />

Bevölkerung durch das japanische Militär.<br />

Und die Unruhen im April dieses Jahres entstanden<br />

bei den Chinesen, wenn auch staatlich gelenkt, weil<br />

die Japaner diese Verbrechen nicht nur ignorieren,<br />

sondern z.B. in dem besagten Schulbuch als Heldengeschichte<br />

verklären.<br />

Auch wird in China teilweise immer noch Mao verehrt.<br />

Die europäischen Firmen investieren in China, aber es<br />

gibt keine Kritik an den Menschenrechtsverbrechen<br />

in China. China seinerseits benutzt die japanischen<br />

Verbrechen zur modernen Stabilisierung und zur Unterdrückung<br />

der Kritik an der chinesischen Modernisierungsdiktatur.<br />

Das sieht man z.B. daran, daß alle<br />

Konflikte und Unruhen der westlichen Regionen Chinas<br />

verschwiegen und unterdrückt werden. Dort gibt<br />

es Kämpfe, Reisebeschränkungen dramatischer Art,<br />

dort herrschen Armut und Stammeskriege, und nur<br />

ganz selten dürfen Journalisten aus dem Westen diese<br />

Region besuchen und Kritisches schreiben. China<br />

hat als Wachstumsland enorme Strukturprobleme,<br />

und solche Probleme werden in der Regel durch Härte<br />

gegen Menschen verdrängt.<br />

Das türkische Schweigen<br />

W.W.: Auch der türkische Völkermord an den Armeniern<br />

jährte sich in diesen Tagen, in diesem Fall<br />

zum 90. Mal. Wie ist es möglich, daß der größte<br />

Teil der türkischen Gesellschaft – vom einfachen<br />

Bürger bis hinein in die Regierung – dieses Verbrechen,<br />

das immerhin ca. 1,5 Millionen Menschen<br />

das Leben gekostet hat, leugnet?<br />

F. Duve: Das hängt mit der Entstehung des postislamischen<br />

Nationalstaats in der Türkei zUSAmmen. In<br />

der Türkei nach Atatürk gibt es die Ambivalenz zwischen<br />

der Modernisierung – Trennung von Staat und<br />

Religion – auf der einen Seite und der rassistischen<br />

Verfolgung bestimmter Gruppen auf der anderen Seite.<br />

Dieses System hat zur Verfestigung der sich als<br />

Demokratie verstehenden Türkei geführt. Ich war oftmals<br />

für den Bundestag in der Türkei, u.a. auch in der<br />

kurdischen Stadt Diyarbakir, und habe immer wieder<br />

auch auf türkische Parlamentarier eingewirkt, daß<br />

man den Kurden ihre Rechte gibt oder wenigstens<br />

ihre Sprache zuläßt. Es gab z.B. Karten der Türkei bis<br />

in die 80er Jahre, auf denen überhaupt keine „kurdischen“<br />

Regionen erwähnt werden durften. In der<br />

Frage der Kurden gibt es mittlerweile Fortschritte.<br />

Aber der Massenmord an den Armeniern wird gerade<br />

jetzt ganz besonders durch die türkische Gesellschaft<br />

ausgeblendet. Allerdings gibt es zum ersten Mal in<br />

der Türkei literarische Stimmen, nicht zuletzt durch<br />

Orhan Pamuk, den Träger des Friedenspreises des<br />

Deutschen Buchhandels aus diesem Jahr, die Licht<br />

in diese Verbrechen zu bringen versuchen.<br />

W.W.: Wie steht es mit dem Völkermord in Kambodscha?<br />

Vor 30 Jahren haben die Roten Khmer<br />

die Macht übernommen und in den Folgejahren<br />

44 45


zwei Millionen Menschen umgebracht. Ist dieses<br />

Verbrechen aufgearbeitet worden, sind die Verantwortlichen<br />

zur Rechenschaft gezogen worden,<br />

schaut man der Wahrheit ins Gesicht?<br />

F. Duve: Es gibt zarte Anfänge, aber nicht viele. Zum<br />

30. Jahrestag der Machtübernahme der Roten Khmer<br />

hat man gerade der Millionen Opfer des Pol-<br />

Pot-Regimes gedacht, aber es waren nur etwa 200<br />

Menschen, die bei einer buddhistischen Zeremonie<br />

in einem der sogenannten „Killing fields“ vor einem<br />

mit Menschenschädeln gefüllten Turm Räucherstäbchen<br />

angezündet haben. Aber noch wurde keiner der<br />

einstigen Khmer-Führer vor Gericht gestellt.<br />

W.W.: Wie sehen Sie den jüngsten Völkermord,<br />

den von 1994 in Ruanda? Wird er durch die Dorfgerichte<br />

richtig aufgearbeitet, oder ist dies angesichts<br />

der Massen von Tätern gar nicht vollständig<br />

möglich?<br />

F. Duve: Angesichts der Fehler, die wir Europäer in<br />

diesen Regionen gemacht haben, möchte ich diese<br />

Prozesse nicht von außen beurteilen. Aber in der<br />

Sache war dieser Völkermord eines der schlimmsten<br />

Menschheitsverbrechen nach Auschwitz.<br />

Der ganze Mensch ist<br />

gefragt<br />

W.W.: Was empfehlen Sie einem jungen Menschen<br />

von heute, damit er keinen politischen Lügen auf<br />

den Leim geht, der Wahrheit ins Gesicht sieht und<br />

sich der eigenen Verantwortung stellt?<br />

F. Duve: Hier bin ich sehr zurückhaltend. Aber es geht<br />

grundsätzlich immer um Solidarität für das Leben<br />

anderer und um Wahrheit für das eigene Leben. Ich<br />

würde den jungen Menschen raten, daß sie sich zwar<br />

dem beruflichen Lebenskampf stellen müssen, aber<br />

daß es immer Regeln der Fairneß geben muß, und ich<br />

würde sie darauf hinweisen, wie gefährlich die Abkehr<br />

von demokratischen Grundprinzipien ist. Aber da ich<br />

viel mit Jugendlichen rede, interessieren mich meist<br />

die Fragen und Überlegungen der Jugendlichen mehr<br />

als meine eigenen. Das ist mir in meiner Jugend auch<br />

so ergangen.<br />

Besonders wichtig ist es aber für junge Menschen,<br />

sich mit Erfahrungen zu konfrontieren und nicht nur<br />

theoretische und abstrakte Lerninhalte aufzUSAmmeln<br />

bzw. nur vor dem Computer zu sitzen. Denn der<br />

Computer vermittelt keinerlei Erfahrung. Wenn man<br />

richtig und fest im Leben stehen will, dann sollte das<br />

Leben sowohl aus den Erfahrungen verschiedener<br />

Lebensumstände und der positiven Auseinandersetzung<br />

mit anderen Kulturen als auch aus dem Aufnehmen<br />

verschiedenster Lerninhalte bestehen.<br />

Leider wird in vielen Berufen immer weniger der ganze<br />

Mensch gefragt, weil immer mehr Arbeitsfelder<br />

von Maschinen übernommen werden, und diese<br />

Industrialisierung des Individuums für berufliche Tätigkeit<br />

kann auch das soziale Verständnis beschädigen.<br />

Und das kann zu unreflektierten Sehnsüchten<br />

vieler Jugendlicher führen, was man jetzt z.B. bei der<br />

Papstwahl gesehen hat. Ich halte es schon für sehr<br />

bedenklich, welchen Zulauf der letzte und der jetzige<br />

Papst durch Jugendliche bekamen, wenn man nur<br />

bedenkt, daß beide mit dazu beigetragen haben, daß<br />

in Afrika Hunderttausende von hiv-verseuchten Kindern<br />

geboren wurden, und wenn man sieht, wie der<br />

neue Papst das Unglück der Frauen in seinem eleganten<br />

römischen Hofstaat fortlächelt. Diese Päpste-<br />

Euphorie spiegelt aber die bedenkliche Lage junger<br />

Menschen von heute.<br />

© Flensburger Heft Verlag<br />

Flensburger Heft 88 Frühjahr 2005<br />

Unterstützungs Brief<br />

Dr. Hans Koschnick, * 2. April 1929 in Bremen<br />

Vom 23. Juli 1994 bis zum 2. April 1996 war Koschnick<br />

von der Europäischen Union als EU-Administrator für<br />

Mostar in Bosnien-Herzegowina mit der Koordination des<br />

Wiederaufbaus, der Verwaltung und Infrastruktur der<br />

kriegszerstörten Stadt beauftragt<br />

Ex-Bürgermeister von Bremen und ehemaliger Abgeordneter<br />

im Deutschen Bundestag.<br />

Bremen, 07.05.<strong>2008</strong><br />

Sehr geehrte Frau Bordes,<br />

mit großem Respekt verfolge ich die schon vor Jahren von Ihnen mit <strong>Schüler</strong>innen und <strong>Schüler</strong>n der Gesamtschule<br />

Stellingen – aber auch mit Zutritt von Besuchern weiterer Schulen aus ihrem Umfeld – aufgenommenen<br />

Hilfsaktionen für Schulen in Bosnien-Herzegowina.<br />

Wer, wie ich, die zum Teil dramatischen Folgen für das Schul- und Unterrichtswesen in diesen von bürgerkriegsähnlichen<br />

Konflikten belasteten Teil von Südosteuropa konkret und real miterleben musste, weiß um<br />

die dortigen widerstreitenden Interessen, bei der Finanzierung, bei der Gestaltung eines erträglichen Schulalltages<br />

und um nachhaltige Einwirkungen auf die nationalistischen Befindlichkeiten bei den Problemen, die wir<br />

geordnete Verhältnisse zu bezeichnen pflegen. Er weiß aber auch vom Bildungshunger der dortigen jungen<br />

Generation. Etwas, was viel zu selten von den regionalen Verantwortlichen aufgegriffen und in Teilen behoben<br />

wird. Hier haben die Unterstützung und die Hilfen aus Ihren <strong>Projekt</strong>en nicht nur Anstoß gegeben, sondern<br />

auch vor Ort Mut gemacht. Dafür möchte ich persönlich Ihnen und alle beteiligten Unterstützer herzlichen<br />

Dank sagen, wissend, dass damit eine eigentlich notwendige öffentliche Anerkennung leider nicht (oder besser<br />

gesagt: noch nicht) verbunden ist.<br />

Für Ihre diesjährige Aktion, gemeinsam mit <strong>Schüler</strong>n eines Gymnasiums in Sarajewo an die schwierige Aufgabe<br />

heranzugehen, gerade dort für die Sanierung der Unterrichtsstätte eine aktive Hilfe zu organisieren,<br />

nein, nicht zu organisieren, sondern mit anzupacken, bei dem es sowohl um die Ermöglichung eines geordneten<br />

Schulunterrichts, als auch gleichzeitig um Integration geht, wünsche ich Ihnen viel – auch materielle<br />

- Unterstützung. Dieses <strong>Projekt</strong> ist notwendig und ideell deshalb so vorbildlich, weil versucht wird, die nationalen<br />

Identitätsgegensätze glaubwürdig und zugleich nachhaltig über den gemeinsamen Schulbesuch von<br />

<strong>Schüler</strong>n verschiedener bosnischer Nationalitäten zu überwinden. Etwas, was eigentlich Zielvorgabe für alle<br />

sein sollte, aber dort leider viel zu selten ernsthaft in Angriff genommen wird. Ich bin von dem hier sichtbar<br />

werdendem Engagement stark beeindruckt und wiederhole gerne, was ich zu Anfang schrieb: Respekt!<br />

Mit guten Wünschen für dieses vorbildliche <strong>Projekt</strong><br />

bleibe ich Ihr<br />

Hans Koschnick<br />

46 47


Veröffentlichungen<br />

Unsere Veröffentlichungen im Rahmen der <strong>Projekt</strong>e<br />

<strong>Hamburg</strong>er!<br />

helft Bosnien!<br />

Die Verteidigung der Zukunft<br />

Mein Blick zurück - Unser Blick nach vorn<br />

Freimut Duve liest aus seinen Werken<br />

Eine Benefizveranstaltung für das <strong>Schüler</strong>austausch <strong>Projekt</strong> der Gesamtschule Stellingen und<br />

der Ida Ehre Gesamtschule mit dem Vierten Gymnasium in <strong>Sarajevo</strong> - Bosnien-Herzegovina<br />

Freimut Duve: Journalist, Autor, 1980-1998 Bundestagsabgeordneter, ehem. Beauftragter für<br />

die Freiheit der Medien der OSZE, Hannah- Ahrendt - Preisträger.<br />

Fotoausstellung: <strong>Sarajevo</strong> und Mostar<br />

Dienstag, 17. Juni <strong>2008</strong>, 20 Uhr<br />

GS Stellingen, Brehmweg 60<br />

Eintritt: 8 €<br />

Schirmherr:<br />

Freimut Duve<br />

Gesamtschule Stellingen<br />

Brehmweg 60<br />

22527 <strong>Hamburg</strong><br />

U-Bahn Lutterothstraße<br />

Kartenvorbestellungen:<br />

GS Stellingen: 428 898 01<br />

Ida Ehre Gesamtschule: 428 978 125<br />

Meine Zukunft heißt China.<br />

Meine Bank Haspa.<br />

www.haspa.de<br />

Meine Bank.<br />

48 49


Veröffentlichungen<br />

Unsere Veröffentlichungen im Rahmen der <strong>Projekt</strong>e<br />

<strong>Projekt</strong> mit <strong>Sarajevo</strong> / Bosnien und Herzegovina<br />

Benefiz Lesung Freimut Duve<br />

„Die Verteidigung der Zukunft – Mein Blick zurück / Unser Blick nach vorn“<br />

Freimut Duve: Journalist, Autor, 1980-1998 Bundestagsabgeordneter,<br />

ehem. Beauftragter für die Freiheit der Medien der OSZE, Hannah-Ahrendt-Preisträger.<br />

Fotoausstellung: <strong>Sarajevo</strong> und Mostar<br />

Montag, 19.Januar 2009, 20 Uhr<br />

Ida Ehre GS, Oberstufenzentrum<br />

Eintritt: 4 €<br />

Schirmherr:<br />

Freimut Duve<br />

Behörde für Schule und Berufsbildung<br />

Ida Ehre Gesamtschule<br />

Oberstufenzentrum<br />

Lehmweg 14<br />

20251 <strong>Hamburg</strong><br />

Vorverkauf:<br />

Ida Ehre Gesamtschule: 428 978 125<br />

Gesamtschule Stellingen: 428 898 01<br />

Duve Flyer.indd 1 25.12.<strong>2008</strong> 22:25:49 Uhr<br />

<strong>Hamburg</strong><br />

Auch 14 Jahre nach dem Krieg<br />

auf dem Balkan brauchen die<br />

Jugendlichen in <strong>Sarajevo</strong> Hilfe!<br />

Seit 2003 fahren <strong>Schüler</strong> und Lehrer<br />

der Gesamtschule Stellingen<br />

in <strong>Projekt</strong>en nach Bosnien und<br />

Herzegovina.<br />

2003/2004 und 2005 unterstützten<br />

sie die Berta Kucera Schule in Sibenica<br />

und errichteten einen Kinderspielplatz.<br />

Hierfür erhielten die <strong>Schüler</strong><br />

den Bertini Preis. 2004 führten Oberstufenschüler<br />

ein dreiwöchiges Praktikum<br />

im VW Werk in <strong>Sarajevo</strong> durch.<br />

Seit 2005 besteht ein <strong>Schüler</strong>austausch<br />

mit dem Vierten Gymnasium in<br />

Ilidza / <strong>Sarajevo</strong>. Seitdem lernen, leben<br />

und arbeiten jedes Jahr 32 <strong>Schüler</strong><br />

aus <strong>Sarajevo</strong> und <strong>Hamburg</strong> zwei<br />

Wochen gemeinsam. 2006 bemalten<br />

sie eine Straßenbahn in <strong>Sarajevo</strong> mit<br />

ökologischen Motiven, die seitdem im<br />

Liniendienst fährt.<br />

2007 und <strong>2008</strong> verteilten sie 5000<br />

Stoffbeutel mit Motiven zum Klimaschutz,<br />

die sie in <strong>Hamburg</strong> in der<br />

Siebdruckerei Beling selbst bedruckten.<br />

Seit 2006 findet das <strong>Projekt</strong> in Kooperation<br />

mit der Ida Ehre Gesamtschule<br />

statt.<br />

<strong>2008</strong> gestalteten <strong>Schüler</strong> aus <strong>Hamburg</strong><br />

und <strong>Sarajevo</strong> drei Wände der<br />

grauen und von Granatsplittern beschädigten<br />

Schule unter Anleitung<br />

des französischen Künstlers Darco<br />

mit Graffiti. Die beiden <strong>Hamburg</strong>er<br />

Gesamtschulen werden auch in Zukunft<br />

das Vierte Gymnasium in <strong>Sarajevo</strong><br />

unterstützen. Sie wollen das interkulturelle<br />

Zusammenwachsen der<br />

Jugendlichen in Europa ermöglichen<br />

und ihnen Zukunftschancen eröffnen.<br />

Vom 24.-31. Mai 2009 werden 16<br />

<strong>Hamburg</strong>er <strong>Schüler</strong> der beiden Gesamtschulen<br />

nach <strong>Sarajevo</strong> reisen<br />

und erneut gemeinsam leben und<br />

arbeiten und unter Anleitung des<br />

französischen Künstlers Graffiti zum<br />

ökologischen Gleichgewicht an der<br />

Schule und in der Innenstadt <strong>Sarajevo</strong>s<br />

gestalten. Weiterhin werden die<br />

<strong>Hamburg</strong>er <strong>Schüler</strong> in den Gastfamilien<br />

Zeitzeugengespräche zum Kriegsgeschehen<br />

(1992 - 1995) führen und<br />

diese multimedial dokumentieren.<br />

Wenn Sie dieses <strong>Austausch</strong>projekt<br />

unterstützen möchten, bitten wir<br />

Sie, mit uns über die Homepage<br />

www.hamburg-sarajevo.de<br />

Kontakt aufzunehmen.<br />

Sie können uns auch gern mit einer<br />

Spende unterstützen.<br />

Leitung des <strong>Austausch</strong>s:<br />

Cläre Bordes, Lehrerin,<br />

Gesamtschule Stellingen<br />

Julia Muhs, Lehrerin<br />

Ida Ehre Gesamtschule<br />

Schulverein GS Stellingen<br />

Stichwort: Bosnien<br />

Haspa BLZ 200 505 50<br />

Kt.Nr. 1281 120 772<br />

Duve Flyer.indd 2 25.12.<strong>2008</strong> 22:25:50 Uhr<br />

50 51


Pressespiegel<br />

Stimmen aus der deutschen und bosnischen Presse über das <strong>Projekt</strong><br />

<strong>Hamburg</strong>er Lehrerzeitung, 09-08<br />

52 53


Pressespiegel<br />

Stimmen aus der deutschen und bosnischen Presse über das <strong>Projekt</strong><br />

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<strong>Hamburg</strong>er Abendblatt, 05./06.07.08<br />

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Osterstraße 177 • 20255 <strong>Hamburg</strong> • Telefon: 040-361 668 260<br />

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<strong>Hamburg</strong>er Abendblatt,<br />

09.08.08 Wochenenjournal<br />

Eimsbüttler Wochenblatt, 28.08.08<br />

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Sie gern. Was nicht vorrätig ist, besorgen wir so schnell wie möglich. Versprochen!


Pressespiegel<br />

Stimmen aus der deutschen und bosnischen Presse über das <strong>Projekt</strong><br />

<strong>Hamburg</strong>er Grundeigentum, 05-08<br />

Dnevini avaz, 11.07.08<br />

Dnevni avaz, 12.06.08<br />

<strong>Hamburg</strong>er Morgenpost, 03.05.08<br />

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Luruper Weg 38, 20257 <strong>Hamburg</strong><br />

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Öffnungszeiten: Mo.-So. 17.00 - 23.30 Uhr<br />

So. 12.00 - 23.30 Uhr<br />

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Stellinger Weg 32b<br />

20255 <strong>Hamburg</strong><br />

040 82242277<br />

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Stellinger Weg 26<br />

20255 <strong>Hamburg</strong><br />

Tel: 040 40 88 02, Fax:<br />

040 40 70 51<br />

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Heußweg 95<br />

20255 <strong>Hamburg</strong><br />

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