Schüler-Austausch Projekt 2008 - Hamburg - Sarajevo
Schüler-Austausch Projekt 2008 - Hamburg - Sarajevo
Schüler-Austausch Projekt 2008 - Hamburg - Sarajevo
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<strong>Schüler</strong>zeitung der GS Stellingen Februar 2009 3€<br />
NOLIMITS!<br />
<strong>Schüler</strong>-<strong>Austausch</strong><br />
<strong>Projekt</strong> <strong>2008</strong><br />
Graffiti sprayen mit Darco<br />
Thema: Das ökologische Gleichgewicht<br />
Berichte deutscher und bosnischer <strong>Schüler</strong><br />
<strong>Hamburg</strong> <strong>Sarajevo</strong> und zurück<br />
Interview mit Freimut Duve<br />
„Mein Leben begann mit einer Lüge“<br />
v<br />
Entstanden in Kooperation mit der<br />
Ida Ehre Gesamtschule<br />
Unbenannt-1 1 26.02.<strong>2008</strong> 0:33:33 Uhr
Editorial<br />
Historie und Ausblicke<br />
Seit 2003 fahren <strong>Schüler</strong> und Lehrer der Gesamtschule Stellingen in <strong>Projekt</strong>en nach Bosnien und Herzegovina.<br />
2003/2004 und 2005 unterstützten sie die Berta Kucera Schule in Sibenica und errichteten<br />
einen Kinderspielplatz. Hierfür erhielten die <strong>Schüler</strong> den Bertini Preis.<br />
2004 führten Oberstufenschüler ein dreiwöchiges Praktikum im VW Werk in Vogosca / <strong>Sarajevo</strong> durch.<br />
Seit 2005 besteht ein <strong>Schüler</strong>austausch mit dem Vierten Gymnasium in Ilidza / <strong>Sarajevo</strong>. Seitdem lernen,<br />
leben und arbeiten jedes Jahr 32 <strong>Schüler</strong> aus <strong>Sarajevo</strong> und <strong>Hamburg</strong> zwei Wochen gemeinsam.<br />
2006 bemalten sie eine Straßenbahn in <strong>Sarajevo</strong> mit ökologischen Motiven, die seitdem im Liniendienst fährt.<br />
2007 und <strong>2008</strong> verteilten sie 5000 Stoffbeutel mit Motiven zum Klimaschutz, die sie in <strong>Hamburg</strong> in der Siebdruckerei<br />
Beling selbst bedruckten.<br />
Seit 2006 findet das <strong>Projekt</strong> in Kooperation mit der Ida Ehre Gesamtschule statt.<br />
<strong>2008</strong> gestalteten <strong>Schüler</strong> der beiden Gesamtschulen aus <strong>Hamburg</strong> und vom Vierten Gymnasium in<br />
<strong>Sarajevo</strong> drei Wände der grauen und von Granatsplittern beschädigten Schule unter Anleitung des<br />
französischen Künstlers Darco mit Graffiti.<br />
In <strong>Hamburg</strong> entstand ein großes Wandbild zum Klimaschutz in der Margarethenstraße 62/64.<br />
Diese Broschüre soll das <strong>Projekt</strong> <strong>2008</strong> vorstellen und ist ein großes Dankeschön an unseren Schirmherrn Freimut<br />
Duve, unseren Freund den Künstler Darco Gellert und die vielen Sponsoren, ohne die wir dieses <strong>Projekt</strong><br />
mit 32 <strong>Schüler</strong>n aus <strong>Hamburg</strong> und <strong>Sarajevo</strong> nicht hätten realisieren können:<br />
Auswärtiges Amt, PAD – Schulen Partner der Zukunft – Herr Heck, ZfA (Zentralamt für das Auslandsschulwesen)<br />
– Deutsche Botschaft in <strong>Sarajevo</strong> – Budnianer – Bild hilft / Ein Herz für Kinder - Heinrich Stüven, Grundeigentümer<br />
Verband e.V. <strong>Hamburg</strong> - Ute Beling, die Siebdruckerei – Herr Lehmann, LTV Digitaldruck – Leonhard<br />
Mohné, Monex Farben - Titus – BIG Gerüsttechnik – Bauhaus – Obi <strong>Sarajevo</strong> – Kamps Bäckerei – Eastpak -<br />
Vom 24. – 31. Mai 2009 werden 16 <strong>Hamburg</strong>er <strong>Schüler</strong>innen und <strong>Schüler</strong> der beiden Gesamtschulen<br />
nach <strong>Sarajevo</strong> reisen, erneut gemeinsam leben und unter Anleitung des französischen Künstlers Graffiti<br />
zum ökologischen Gleichgewicht an der Schule und in der Innenstadt <strong>Sarajevo</strong>s gestalten. Weiterhin<br />
werden die <strong>Hamburg</strong>er <strong>Schüler</strong> in den Gastfamilien Zeitzeugengespräche zum Kriegsgeschehen 1992 – 1995<br />
führen und diese multimedial dokumentieren.<br />
Am 25.April 2009, werden <strong>Schüler</strong>innen und <strong>Schüler</strong> beider <strong>Hamburg</strong>er Gesamtschulen auf dem Gänsemarkt<br />
anlässlich des Europatags das <strong>Austausch</strong>projekt mit <strong>Sarajevo</strong>/ Bosnien und Herzegovina präsentieren.<br />
Eine Städtepartnerschaft zwischen <strong>Sarajevo</strong> und <strong>Hamburg</strong> wäre ein Schritt in ein gemeinsames Europa.<br />
Hierfür wollen wir uns einsetzen.<br />
„Chancen für die Jugend in Europa“ heißt das Motto der Lesungen für unser <strong>Projekt</strong>.<br />
Die in <strong>Hamburg</strong> lebende bosnische Künstlerin und Journalistin Emina Kamber wird im April in der Gesamtschule<br />
Stellingen aus ihrem Buch „Und Bosnien, nicht zu vergessen..... “ lesen.<br />
Das ökologische <strong>Schüler</strong>austauschprojekt zwischen <strong>Hamburg</strong> und <strong>Sarajevo</strong> soll auch in den kommenden<br />
Jahren erweitert und fortgeführt werden.<br />
Cläre Bordes, Gesamtschule Stellingen<br />
Julia Muhs, Ida Ehre Gesamtschule<br />
Snjezana Karaga, Viertes Gymnasium Ilidza<br />
Armina Pozderac, Viertes Gymnasium Ilidza<br />
<strong>Hamburg</strong> und <strong>Sarajevo</strong> im Februar 2009<br />
2 3
Inhalts<br />
Editorial .......................................................................................................................................................................... 3<br />
Vierter <strong>Schüler</strong>austausch <strong>Hamburg</strong> <strong>Sarajevo</strong> .............................................................................................. 7<br />
Darco ............................................................................................................................................................................12<br />
16 <strong>Schüler</strong> aus <strong>Sarajevo</strong> und 16 <strong>Schüler</strong> aus <strong>Hamburg</strong> erleben<br />
unvergessliche Momente in Bosnien und Deutschland .............................................................14<br />
Berichte deutscher <strong>Schüler</strong> ........................................................................................................18<br />
Berichte bosnischer <strong>Schüler</strong> ......................................................................................................30<br />
Mein Leben begann mit einer Lüge (Interview mit Freimut Duve) ..............................................32<br />
Unterstützungsbrief von Dr. Hans Koschnick.............................................................................47<br />
Veröffentlichungen ......................................................................................................................48<br />
Pressespiegel .............................................................................................................................52<br />
Impressum<br />
No Limits Nr. 6, Ausgabe: Februar 2009 | <strong>Schüler</strong>zeitung der<br />
Gesamtschule Stellingen in Kooperation mit der Ida Ehre Gesamtschule<br />
Brehmweg 60, 22527 <strong>Hamburg</strong>, Deutschland<br />
Tel: 040 42889801 Fax: 040 428898236 | www-gesamtschule-stellingen.de<br />
Texte der <strong>Schüler</strong>innen und <strong>Schüler</strong> des <strong>Sarajevo</strong> - <strong>Austausch</strong>projektes <strong>2008</strong><br />
Verantwortlich: Cläre Bordes<br />
Schirmherrschaft: Freimut Duve<br />
Fotos: Julia Muhs, www.jm-fotografie.com<br />
www.hamburg-sarajevo.de<br />
Druck: Auflage: 2000<br />
Preis: 3 €<br />
Druck: LTV Digitaler Offsetdruck GmbH, Ottensener Straße 10a, 22525 <strong>Hamburg</strong>, 040 54765020<br />
Wir danken den Sponsoren:<br />
Auswärtiges Amt, PAD – Schulen Partner der Zukunft – ZfA (Zentralamt für das Auslandsschulwesen) –<br />
Deutsche Botschaft <strong>Sarajevo</strong> – Budnianer e.V. – Bild hilft / Ein Herz für Kinder e.V. - Grundeigentümer Verband<br />
<strong>Hamburg</strong> - die Siebdruckerei – LTV Digitaler Druck – Leonhard Mohné, Monex Farben – BIG Gerüsttechnik –<br />
Bauhaus – Obi <strong>Sarajevo</strong> – Kamps Bäckerei – Eastpak – Carhartt - Titus<br />
/// Grip /// Gruppen /// Laufräder /// Lenker /// Lenkeraufsätze /// Pedale /// Reifen /// Satt el /// Satt elstützen /// Vorbauten /// ZUBEHÖR /// Beleuchtung ///<br />
ge /// Hightech/Tacho /// Hometrainer /// Packtaschen /// Pulsmesser /// Pumpen /// Radkoff er /// Radtaschen /// Rücksäcke /// Schlösser /// Schutzbleche /// BE<br />
/// Brillen /// Handschuhe /// Helme /// Hosen /// Jacken /// Schuhe /// Socken /// Trikots /// Überschuhe /// Westen /// BIKES /// Rennmaschinen /// Mountain<br />
City-Crossbikes /// Crossbikes /// Trekkingsbikes /// KID-Bikes /// Tandem /// Rahmen /// PARTS /// Bremsen /// Federgabeln /// Grip /// Gruppen /// Laufräder<br />
/// Lenkeraufsätze /// Pedale /// Reifen /// Satt el /// Satt elstützen /// Vorbauten /// ZUBEHÖR /// Beleuchtung /// Fahrradpfl ege /// Hightech/Tacho /// Hometra<br />
taschen /// Pulsmesser /// Pumpen /// Radkoff er /// Radtaschen /// Rücksäcke /// Schlösser /// Schutzbleche /// BEKLEIDUNG /// Brillen /// Handschuhe /// Helm<br />
/// Jacken /// Schuhe /// Socken /// Trikots /// Überschuhe /// Westen /// BIKES /// Rennmaschinen /// Mountainbikes /// City-Crossbikes /// Crossbikes /// Trek<br />
/// KID-Bikes /// Tandem /// Rahmen /// PARTS /// Bremsen /// Federgabeln /// Grip /// Gruppen /// Laufräder /// Lenker /// Lenkeraufsätze /// Pedale /// Reife<br />
/// Satt elstützen /// Vorbauten /// ZUBEHÖR /// Beleuchtung /// Fahrradpfl ege /// Hightech/Tacho /// Hometrainer /// Packtaschen /// Pulsmesser /// Pumpen //<br />
/// Radtaschen /// Rücksäcke /// Schlösser /// Schutzbleche /// BEKLEIDUNG /// Brillen /// Handschuhe /// Helme /// Hosen /// Jacken /// Schuhe /// Socken ///<br />
Überschuhe /// Westen /// BIKES /// Rennmaschinen /// Mountainbikes /// City-Crossbikes /// Crossbikes /// Trekkingsbikes /// KID-Bikes /// Tandem /// Rahmen<br />
/// Bremsen /// Federgabeln /// Grip /// Gruppen /// Laufräder /// Lenker /// Lenkeraufsätze /// Pedale /// Reifen /// Satt el /// Satt elstützen /// Vorbauten /// ZU<br />
/// Beleuchtung /// Fahrradpfl ege /// Hightech/Tacho /// Hometrainer /// Packtaschen /// Pulsmesser /// Pumpen /// Radkoff er /// Radtaschen /// Rücksäcke /// Sc<br />
Schutzbleche /// BEKLEIDUNG /// Brillen /// Handschuhe /// Helme /// Hosen /// Jacken /// Schuhe /// Socken /// Trikots /// Überschuhe /// Westen /// BIKES<br />
schinen /// Mountainbikes /// City-Crossbikes /// Crossbikes /// Trekkingsbikes /// KID-Bikes /// Tandem /// Rahmen /// PARTS /// Bremsen /// Federgabeln /// G<br />
pen /// Laufräder /// Lenker /// Lenkeraufsätze /// Pedale /// Reifen /// Satt el /// Satt elstützen /// Vorbauten /// ZUBEHÖR /// Beleuchtung /// Fahrradpfl ege ///<br />
Tacho /// Hometrainer /// Packtaschen /// Pulsmesser /// Pumpen /// Radkoff er /// Radtaschen /// Rücksäcke /// Schlösser /// Schutzbleche /// BEKLEIDUNG ///<br />
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Breitenfelder Straße 9 · 20251 <strong>Hamburg</strong> · Telefon (040) 480 60 40 · www.RadsportvonHacht.de<br />
5
Vierter <strong>Schüler</strong>austausch<br />
<strong>Hamburg</strong> - <strong>Sarajevo</strong><br />
Zum diesjährigen <strong>Sarajevo</strong>austausch gehören viele Geschichten.<br />
Eigentlich will jede für sich erzählt werden<br />
Da ist die Geschichte des Findens und der Zusammenarbeit<br />
mit dem französischen Künstler<br />
Darco, der ein echter Freund geworden ist.<br />
• Die Geschichte der Finanzierung eines 14 tägigen<br />
<strong>Projekt</strong>es mit 32 jungen Menschen aus zwei europäischen<br />
Ländern.<br />
• Die Geschichte des Verlustes eines starken Partners,<br />
der Robert Bosch Stiftung „Junge Wege in Europa“.<br />
• Die Geschichte einer Auszeichnung unseres Straßenbahnprojektes<br />
durch die Robert Bosch Stiftung<br />
in Berlin zusammen mit 100 jungen Menschen aus<br />
ganz Europa und der Begegnung und Auseinandersetzung<br />
mit viele neuen Ideen.<br />
• Die Geschichte eines verlorenen bosnischen Passes<br />
und des „Beinahe – Zurückgeschickt Werdens“ von<br />
<strong>Sarajevo</strong> nach Berlin.<br />
• Die Geschichte unserer Reise mit einem Rollstuhl.<br />
• Die Geschichte von sechs fehlenden Ausweisen,<br />
um an die Adriaküste zu gelangen und das Baden<br />
unter tosenden Wasserfällen.<br />
• Die Geschichte des beeindruckenden Besuchs der<br />
durch eine unsichtbare Grenze geteilten Stadt Mostar.<br />
• Die Geschichten vieler interkultureller Freundschaften<br />
und Tränen beim Abschied.<br />
• Die Geschichte eines Artikels im Magazin des<br />
„Grundeigentümer Verbands <strong>Hamburg</strong> e.V.“ „Wand<br />
gesucht“ und des Auswählens einer Wand auf halber<br />
Strecke zwischen unseren beiden Gesamtschulen.<br />
• Die Geschichte der Gestaltung des Wandbildes in<br />
der Margaretenstraße und der Einbeziehung der Anwohner.<br />
• Die Geschichte des Einsatzes von NasSchEi (Nachbarschaft<br />
und Schule in Eimsbüttel), der Finanzierung,<br />
Gestaltung und Einweihung der Müllstatue an<br />
der GS Stellingen.<br />
• Die Geschichte diverser Förderanträge an Stiftungen<br />
und deren Ablehnungen bzw. Zusagen.<br />
• Die Geschichte der Gewinnung von Dr. Hans<br />
Koschnick und Freimut Duve als Schirmherren für<br />
unser <strong>Projekt</strong>.<br />
• Die Lebens Geschichte von Freimut Duve, der Zusammenhang<br />
mit unserem <strong>Projekt</strong> und die Lesung<br />
„Verteidigung der Zukunft“ an der GS Stellingen.<br />
• Die Geschichte der Entstehung des 8 - seitigen Artikels<br />
„<strong>Sarajevo</strong> im Herzen“ der jungen Journalistin<br />
Diana Zinkler im Journal des <strong>Hamburg</strong>er Abendblatts<br />
v. 8-./9.August <strong>2008</strong> und deren Gespräche mit <strong>Projekt</strong>beteilgten.<br />
• Die Geschichte des Wiedersehens mit dem ehemaligen<br />
<strong>Schüler</strong> der GS Stellingen Jasenko Joldic, der<br />
2005 uns in <strong>Sarajevo</strong> besuchte und der 2009 einen<br />
Film für den NDR und ARTE über unser <strong>Projekt</strong> drehen<br />
wird.<br />
• Die Geschichte des erstmaligen Sponsorings in<br />
<strong>Sarajevo</strong> durch den Manager des Baumarkts OBI<br />
Emir Avdagic.<br />
• Die Geschichte der Unterstützung durch das Programm<br />
des Auswärtigen Amtes „Schulen – Partner<br />
der Zukunft“ aus Köln und Bonn.<br />
• Die Geschichte des Druckens und Verteilens der<br />
Stoffbeutel in <strong>Sarajevo</strong>.<br />
• Die Geschichte einer Reise nach Paris und des<br />
Sponsorings mit 240 Spraydosen durch die Aachener<br />
Firma Monex.<br />
• Die unvollendete und fortlaufende Geschichte der<br />
Präsentation, Evaluation und Weiterführung unseres<br />
ökologischen <strong>Austausch</strong>projektes mit dem Vierten<br />
Gymnasium in Ilidza / <strong>Sarajevo</strong> 2009.<br />
• Die noch ungeschrieben Geschichte der Schließung<br />
der Städtepartnerschaft zwischen <strong>Hamburg</strong><br />
und <strong>Sarajevo</strong>.<br />
Wir waren aus <strong>Sarajevo</strong> acht Tage zu früh nach<br />
<strong>Hamburg</strong> zurückgekehrt.<br />
Am 21.Juli <strong>2008</strong> wurde der ehemalige Serbenführer<br />
Radovan Karadzic und meistgesuchte<br />
mutmaßliche Kriegsverbrecher in Belgrad, der Hauptstadt<br />
Serbiens, festgenommen worden.<br />
Die Menschen von <strong>Sarajevo</strong> feierten den Tag der Verhaftung<br />
ihres Belagerers mit einem großen Fest.<br />
Gern hätten wir diesen historischen Moment gemeinsam<br />
mit unseren bosnischen Freunden erlebt und<br />
hätten den Freudentaumel in der Innenstadt und an<br />
der ewigen Flamme mit der Kamera festgehalten.<br />
Jedoch einen Tag zuvor hatten wir unsere bosnischen<br />
Freunde am Flughafen in <strong>Hamburg</strong> verabschiedet. So<br />
konnten sie diesen bedeutsamen Tag miterleben.<br />
<strong>Sarajevo</strong> liegt nur 155 Flugminuten entfernt von <strong>Hamburg</strong>.<br />
Heute, 13 Jahre nach dem Krieg, begegnet uns<br />
7
eine spannende, kulturell interessante, wirtschaftlich<br />
wachsende und boomende Metropole Europas. Eine<br />
Stadt mit Kinos, Theater, Musik- und Filmfestivals,<br />
vielen Einkaufsmöglichkeiten, traditionellen Märkten,<br />
Restaurants, Tourismus und großen Konzerten.<br />
Eine Mischung aus Orient und westlicher Kultur,<br />
Duft von Gewürzen, Klänge der Hämmer der Kupferschmiede<br />
in den engen Gassen der Altstadt, Nebeneinander<br />
von Moscheen, katholischen und orthodoxen<br />
Kirchen und Synagogen beherrschen das<br />
Stadtbild.<br />
<strong>Sarajevo</strong> ist die Hauptstadt Bosniens und Herzegovinas,<br />
Verwaltungs-, Bildungs-, Wirtschafts- und Kulturzentrum.<br />
Die Stadt liegt längs des Miljacka Flusses, zwischen<br />
hohen Bergmassiven, auf denen 1984 die Olympischen<br />
Winterspiele ausgetragen wurden.<br />
Die Spuren des Krieges von 1992 – 1995 und der<br />
mehr als einjährigen Belagerung sind an vielen zerstörten<br />
Gebäuden auch noch immer im Zentrum der<br />
Stadt sichtbar.<br />
In diese vibrierende Metropole Europas starteten wir<br />
zum vierten Mal am 6.Juli <strong>2008</strong> zum <strong>Schüler</strong>austausch<br />
mit dem Vierten Gymnasium im westlich gelegenen<br />
Stadtteil Ilidza.<br />
Wir, das sind sechzehn Oberstufenschülerinnen und<br />
-schüler der GS Stellingen und der Ida Ehre Gesamtschule<br />
Dass diese <strong>Projekt</strong>reise möglich wurde, verdanken<br />
wir: vielen Eimsbüttlern und Freunden beider<br />
Gesamtschulen, die uns finanziell unterstützt haben,<br />
der Stiftung „Bild hilft e.V.“, der „Budnianer Hilfe e.V.“,<br />
dem Förderprogramm des Auswärtigen Amtes „Schulen<br />
– Partner der Zukunft“, dem Skatershop Titus, der<br />
Lufthansa, B.I.G. Bau- und Industrie-Gerüsttechnik<br />
GmbH, Lackservice Nord, Bauhaus GmbH und Ko.<br />
KG, dem französischen Künstler Darco, dem Grundeigentümer<br />
Verband e.V. <strong>Hamburg</strong>, der Farbenfirma<br />
Monex (Aachen), Obi (<strong>Sarajevo</strong>), Gladigau Immobilien<br />
und dem Grundeigentümer Herrn Christiansen, LTV<br />
Digitaler Druck und der Bildungsbehörde.<br />
Unterstützt durch ein Anerkennungsschreiben von<br />
Dr. Hans Koschnick und durch die Schirmherrschaft<br />
von Freimut Duve konnten wir mit vielen Partnern die<br />
Finanzierungslücken für unser <strong>Projekt</strong> stopfen. Gesamtkosten<br />
unseres <strong>Projekt</strong>es 25.000 €. Der Eigenanteil<br />
der <strong>Hamburg</strong>ern Familien beträgt 250 €.<br />
Am 17.Juni <strong>2008</strong> hielt der ehemalige Bundestagsabgeordnete,<br />
Journalist und ehemalige Beauftragte der<br />
OSZE für die Freiheit der Medien Freimut Duve eine<br />
beeindruckende Lesung an der Gesamtschule Stellingen:<br />
„Die Verteidigung der Zukunft – Mein Blick<br />
zurück / Unser Blick nach vorn“.<br />
Eine Zusammenarbeit und ein Gedankenaustausch<br />
mit dem großen <strong>Hamburg</strong>er Politiker und den <strong>Schüler</strong>innen<br />
und <strong>Schüler</strong>n der beiden Gesamtschulen<br />
waren geboren.<br />
In den vergangenen zwei Jahren hatte uns die Robert<br />
Bosch Stiftung „Junge Wege in Europa“ finanziell unterstützt<br />
und uns im November 2007 für die Straßenbahnbemalung<br />
als eines der zehn besten interkulturellen<br />
<strong>Projekt</strong>e ausgezeichnet.<br />
Wir reisten auf Einladung der Robert Bosch Stiftung<br />
mit zehn <strong>Schüler</strong>n unseres <strong>Projekt</strong>s aus <strong>Sarajevo</strong> und<br />
<strong>Hamburg</strong> für vier Tage nach Berlin, arbeiteten und<br />
präsentierten gemeinsam mit Jugendlichen neun anderer<br />
<strong>Projekt</strong>e aus Russland, Ungarn, Lettland, Litauen,<br />
Polen, Tschechien, Bosnien und Serbien.<br />
So hatten wir auch für <strong>2008</strong>, für die Fortführung unseres<br />
ökologischen <strong>Projekt</strong>es „Zukunftsvisionen<br />
– Müll vermeiden, trennen und recyceln“ einen Antrag<br />
auf Finanzierung bei der Robert Bosch Stiftung<br />
gestellt. Im März <strong>2008</strong> erfuhren wir, dass die Robert<br />
Bosch Stiftung uns entgegen aller Erwartungen nicht<br />
weiter finanziert. So fehlten uns, trotz Reduzierung<br />
des Kulturprogramms, fast 14 000 €.Durch 20 000<br />
Flyer mit einem Aufruf zur Unterstützung unseres<br />
<strong>Austausch</strong>projekts und Anträge an Stiftungen gelang<br />
es uns, in nur drei Monaten, die Finanzierung<br />
zu realisieren. So konnte unser diesjähriges <strong>Projekt</strong><br />
starten. Sogar die Lufthansa unterstützte uns mit vier<br />
Freiflügen. Seit nunmehr drei Jahren arbeiten beide<br />
<strong>Hamburg</strong>er Gesamtschulen gemeinsam mit den<br />
<strong>Schüler</strong>n aus <strong>Sarajevo</strong> an einem ökologischen <strong>Projekt</strong><br />
zum Klimaschutz.<br />
2006 bemalten wir eine Straßenbahn, die noch heute<br />
im Liniendienst verkehrt, mit Motiven zum Klimaschutz.<br />
2007 bedruckten wir 5 000 Stoffbeutel (Sponsor:<br />
Budnikowsky) in der Siebdruckerei Ute Beling am<br />
Hammer Deich und verteilten diese in <strong>Sarajevo</strong> und<br />
<strong>Hamburg</strong> mit einer Botschaft zum Müll vermeiden<br />
und zum umweltbewussten Handeln. In diesem Jahr<br />
entwarfen und gestalteten wir ein Wandbild in der<br />
Margaretenstraße 62/64 unter Anleitung des französischen<br />
Künstlers Darco.<br />
An vier Wänden der Schule in <strong>Sarajevo</strong> entstanden<br />
ebenfalls unter der Leitung von Darco das Hambur-<br />
8 9
ger und <strong>Sarajevo</strong>er Wappen, ein Stundenglas, durch<br />
das die Erde zerrinnt, eine Erde als Zeitbombe mit<br />
den Slogans „We can stop the Countdown“ und<br />
“We`ve only got one planet“ sowie eine Faust, die die<br />
schmelzende Erde attackiert.<br />
Wir erlernten mit dem französischen Künstler Darco<br />
die Kunst des Graffiti Sprayens, besuchten die Redaktion<br />
der größten Zeitung auf dem Balkan „Avaz“,<br />
die Stadt Mostar, lernten die Kulturgeschichte <strong>Sarajevo</strong>s<br />
kennen, tauchten in die Gastfamilien in <strong>Sarajevo</strong><br />
ein und diskutierten über den Frieden und das<br />
Zusammenwachsen Europas. Völkerverständigung<br />
und gemeinsames Arbeiten stehen im Zentrum unseres<br />
<strong>Projekt</strong>es.<br />
In <strong>Hamburg</strong> vollendeten wir die im vergangenen Jahr<br />
mit den bosnischen <strong>Schüler</strong>innen und <strong>Schüler</strong>n begonnene<br />
Müllstatue an der GS Stellingen. Eine 1,80m<br />
große Hand hält schützend die Erdkugel. Sie wurde<br />
mit finanzieller Unterstützung des Bezirksamts von<br />
<strong>Schüler</strong>n beider Gesamtschulen unter Anleitung des<br />
Eimsbüttler Künstlers Jan Rieckhoff weiter gestaltet<br />
und am 15.7.08 vom Bezirksamtsleiter Dr. Jürgen<br />
Mantell anlässlich der Feierlichkeiten für die Modernisierung<br />
der GS Stellingen eingeweiht.<br />
In <strong>Hamburg</strong> diskutierten wir mit dem Abgeordneten<br />
der <strong>Hamburg</strong>er Bürgerschaft Gerhard Lein über Demokratie<br />
und die politische Situation Bosniens und<br />
stellten ihm unser <strong>Projekt</strong> vor. In Berlin trafen wir im<br />
Paul - Löbe - Haus den Eimsbüttler Bundestagsabgeordneten<br />
Niels Annen, erfuhren von seinen vielfältigen<br />
Aufgaben und wurden über seinen bevorstehenden<br />
Besuch mit dem Außenminister Frank-Walter<br />
Steinmeier in Afghanistan informiert.<br />
Er versprach Hilfe bei der weiteren Sponsorensuche<br />
für unser <strong>Projekt</strong>.<br />
Der Besuch und die mehr als spannende Führung<br />
durch den Reichstag und ein gemeinsames Foto am<br />
Brandenburger Tor rundeten unseren Berlinbesuch<br />
ab.Highlights für die bosnischen und deutschen<br />
<strong>Schüler</strong>innen und <strong>Schüler</strong>, die sich souverän und<br />
wissbegierig in den Diskussionen zeigten und zu ihrem<br />
<strong>Projekt</strong> standen.<br />
Programme in <strong>Sarajevo</strong><br />
und <strong>Hamburg</strong><br />
Abflug in <strong>Hamburg</strong> 17.35 Uhr, Ankunft in <strong>Sarajevo</strong><br />
20.55 Uhr, Ausflug zur Bosna Quelle –<br />
Rückfahrt mit Pferdekutschen<br />
8.7.08<br />
Begrüßung in der Schule und Rundgang<br />
Besprechung der Motive für das Wandbild und Grundierung<br />
der Wände der Schule<br />
Einwerben des Sponsorings von Spraydosen und<br />
Wandfarbe bei Obi<br />
Besuch des Tunnelmuseums<br />
9.7.08<br />
Arbeit am Graffiti<br />
Empfang bei der Bürgermeisterin von Ilidza<br />
18 Uhr Stadtbesichtigung mit dem City-Bus<br />
20 Uhr gemeinsames Abendessen im Franziskaner<br />
Kloster (Brauerei es Sarajevsco Pivo)<br />
10.7.08<br />
Arbeit an den Graffiti<br />
Pressegespräch und Besuch in der Redaktion der<br />
AVAZ<br />
Besuch des Svrzina Hauses<br />
Abends in den Familie<br />
11.7.08<br />
Ausflug mit dem Bus nach Mostar<br />
Stadtrundgang<br />
Baden an den Wasserfällen bei Trebizat<br />
Besuch der Künstlerkolonie Pocitelj<br />
12.7.08<br />
Arbeit an den Graffiti<br />
Einweihung der Graffiti<br />
Gemeinsames Abendessen und Urkundenübergabe<br />
13.7.08<br />
12.40 Uhr Abflug nach <strong>Hamburg</strong><br />
16.55 Uhr Ankunft in <strong>Hamburg</strong><br />
Abend in den Familien<br />
14.7.08<br />
Arbeit an der Müllstatue / Grundieren / Spachteln<br />
19 Uhr Empfang mit Darco in der Ida Ehre GS<br />
15.7.08<br />
vormittags gemeinsamer Schulbesuch<br />
Bemalen der Statue<br />
17 Uhr offizieller Empfang in der GS Stellingen, Ansprachen<br />
von: Schulleiter: Bernd Mader, Leitung der<br />
Abteilung Gesamtschulen: Frau Rüssmann, Oberschulrätin:<br />
Fr. Dr. Buhr, Leiter des Bezirksamtes Mitte:<br />
Dr. Mantell, Budnikowsky: Cord Wöhlke<br />
Einweihung der Müllstatue<br />
16.7.08<br />
Zeugnisausgabe in den Schulen<br />
15 Uhr Hafenrundfahrt<br />
ab 19 Uhr Grillen und Einweihen des Graffiti in der<br />
Margaretenstraße<br />
17.7.08<br />
13 Uhr Rathausbesuch , Gespräch mit dem Bürgerschaftsabgeordneten<br />
der SPD Gerhard Lein<br />
20 Uhr Schmidts Tivoli „Heiße Ecke St. Pauli“<br />
18.7.08<br />
6 Uhr Abfahrt mit dem Bus nach Berlin<br />
Brandenburger Tor, Unter den Linden, Spree Fahrt<br />
14 Uhr Gespräch mit dem Bundestagsabgeordneten<br />
aus Eimsbüttel Niels Annen<br />
16 Uhr Besuch des Reichstags<br />
24 Uhr Ankunft in <strong>Hamburg</strong><br />
19.7.08<br />
Tag in den Familien<br />
Die Lehrerinnen erkunden Lüneburg<br />
20.7.08<br />
Verabschiedung der Bosnier am Flughafen, Urkunden<br />
und CD Überreichung<br />
Offizielles Abschiedsfoto mit <strong>Hamburg</strong> Flagge<br />
8.30 Uhr Abflug nach <strong>Sarajevo</strong><br />
Die Redakteurin des <strong>Hamburg</strong>er Abendblatts Diana<br />
Zinkler reiste am 1.8. nach <strong>Sarajevo</strong> und interviewte<br />
unsere bosnische Lehrerin Armina Poderac und andere,<br />
die ihr über ihre Kriegserlebnisse und das Leben<br />
nach dem Krieg berichteten. Der Bericht „<strong>Sarajevo</strong> im<br />
Herzen“ erschien im Journal des HA am 9.8.<strong>2008</strong>.<br />
Ausblicke<br />
Wir werden den ökologischen <strong>Schüler</strong>austausch<br />
2009 mit 32 <strong>Schüler</strong>innen und<br />
<strong>Schüler</strong> aus <strong>Hamburg</strong> und <strong>Sarajevo</strong> weiterführen.<br />
Die <strong>Hamburg</strong>er <strong>Schüler</strong>innen und <strong>Schüler</strong> werden<br />
weiter Stoffbeutel drucken.<br />
Wir suchen weiter eine Firma, die in <strong>Sarajevo</strong> Stoffbeutel<br />
anbietet.<br />
Beide Politiker, mit denen wir gesprochen haben,<br />
ebenso wie unser Schirmherr Freimut Duve, wollen<br />
sich auch zukünftig für unser ökologisches und interkulturelles<br />
<strong>Austausch</strong>projekt einsetzen.<br />
Im Herbst <strong>2008</strong> ist eine weitere Lesung von Freimut<br />
Duve sowie eine Fotoausstellung mit Bildern aus der<br />
<strong>Projekt</strong>arbeit und von <strong>Sarajevo</strong> und Mostar an der<br />
Ida Ehre Gesamtschule geplant.<br />
Der französische Künstler Darco sucht in <strong>Hamburg</strong><br />
und in <strong>Sarajevo</strong> eine ganze Hauswand für ein Wandbild<br />
und die <strong>Hamburg</strong>er <strong>Austausch</strong>lehrerinnen hierfür<br />
Sponsoren.<br />
Der ehemalige <strong>Schüler</strong> der GS Stellingen Jasenko<br />
Joldic, der heute Medienkommunikation studiert und<br />
aus einem kleinen Dorf bei Tuzla stammt, wird 2009<br />
unseren <strong>Austausch</strong> mit der Filmkamera für den NDR<br />
und ARTE begleiten.<br />
10 11
Darco<br />
Wir lernten Darco im April 2007 in Berlin bei der <strong>Projekt</strong>beratung der Robert Bosch<br />
Stiftung kennen. Er stellte mit polnischen Sozialpädagogen ein Graffiti <strong>Projekt</strong> vor,<br />
das leider nie realisiert wurde.<br />
Der Funke sprang über, Darco zeigte uns sein<br />
Buch und wir sprachen mit ihm über seine<br />
Arbeiten in Frankreich, Australien und auch<br />
<strong>Hamburg</strong>.<br />
2001 arbeitete Darco am 2400 m2 großen Dock<br />
Fresko im <strong>Hamburg</strong>er Hafen mit und drehte hierüber<br />
einen Film.<br />
Seine Arbeiten führten ihn u.a. auch nach New York,<br />
Montreal, Toronto, Fort – de – France, Warschau,<br />
Sydney, Perth, Melbourne, Brisbane und auf die Insel<br />
La Reunion. Auch in China und Südafrika gestaltete<br />
er Wandbilder.<br />
Neben der Arbeit als Bühnenbildner, drehte er Kurzfilme,<br />
und präsentierte seine Werke in vielen persönlichen<br />
Ausstellungen. Er malt Wandbilder, Graffiti und<br />
Fresken auf der ganzen Welt.<br />
Darco wurde 1968 in Deutschland geboren. Seit 1976<br />
lebt er in Frankreich. Sein Abitur absolvierte er an der<br />
deutschen Schule in Paris. Darco entdeckte 1984 die<br />
Wandmalerei (Graffiti – Writing). Er ist bekannt für seinen<br />
3D Stil und spezialisierte sich auf Schriften, wobei<br />
neben den Konturen der Grafik (outline) die Perspektiven<br />
und die Dynamik der Formen und Farben<br />
eine Rolle spielt.<br />
Wir hielten Kontakt zu Darco und fragten ihn schließlich<br />
im September 2007, ob er mit uns in <strong>Hamburg</strong><br />
und <strong>Sarajevo</strong> gemeinsam mit den <strong>Schüler</strong>n ein Wandbild<br />
zum Klimaschutz gestalten würde.<br />
Zu unserer Freude sagte Darco zu! Von den <strong>Schüler</strong>n,<br />
die sich für den <strong>Austausch</strong> bewarben, hörten wir: „Ey<br />
Darco, das glaube ich nicht. Wir dürfen wirklich mit<br />
ihm sprayen?“ In seinen Mails war Darco immer sehr<br />
knapp. Plötzlich schrieb er, dass er in der Zeit unseres<br />
<strong>Austausch</strong>s auch einen anderen Auftrag hätte.<br />
Wir blieben trotzdem optimistisch und besuchten ihn<br />
im Mai in Paris in einer Galerie am Quai Voltaire, wo<br />
er eine Ausstellung hatte, um mit ihm Details zu besprechen.<br />
Die Ausstellung musste gerade abgebaut werden, so<br />
halfen wir und brachten auf einem LKW die Kunstwerke<br />
mit ihm zusammen in eine Garage in Bougival<br />
bei Paris. In einem wunderschönen alten Garten<br />
besprachen wir unser <strong>Projekt</strong> und verständigten uns<br />
darauf, dass er vor der <strong>Sarajevo</strong>reise bereits nach<br />
<strong>Hamburg</strong> kommen würde, da er einen großen Auftrag<br />
auf La Reunion im indischen Ozean zu planen hatte.<br />
Bei Easyjet buchten wir für Darco die Tickets von<br />
Paris nach <strong>Hamburg</strong> und zurück.<br />
Am 2.7.08 holten wir Darco abends auf dem <strong>Hamburg</strong>er<br />
Flughafen ab und am 3.7. startete das Abenteuer<br />
mit ihm und das gemeinsame Arbeiten. Das Hambur-<br />
ger Wandbild in der Margaretenstraße vollendeten die<br />
<strong>Schüler</strong> mit ihm und uns an drei intensiven Tagen.<br />
Bereits vorher hatten wir ein Rollgerüst aufgestellt<br />
und die 60 m2 mit weißer Wandfarbe grundiert.<br />
Wir entdeckten in ihm einen hervorragenden, immer<br />
ruhigen und präzise erklärenden Pädagogen und<br />
Künstler mit großem Gespür und Einfühlungsvermögen<br />
für Menschen. Über ihn kam der Kontakt zur Farbenfirma<br />
in Aachen zustande, die uns großzügig mit<br />
240 Spraydosen unterstützte. So flogen wir gemeinsam<br />
am 6.7. mit ihm und den 16 <strong>Hamburg</strong>er <strong>Schüler</strong>innen<br />
und <strong>Schüler</strong>n nach <strong>Sarajevo</strong>. Wir lebten sieben<br />
Tage gemeinsam im Haus von Armina Pozderac<br />
in Ilidza und weitere zwei Tage in <strong>Hamburg</strong>.<br />
Er half uns bei der Müllskulptur, die noch viele Stunden<br />
intensiver Arbeit brauchte, ehe sie am Dienstag,<br />
d. 15.7. eingeweiht werden konnte. Dieses konnte<br />
Darco nicht miterleben. Wir brachten ihn mittags zum<br />
Flughafen, da er am nächsten Tag nach La Reunion<br />
fliegen musste.<br />
Zum Abschied schenkten wir ihm ein T Shirt mit<br />
einem Foto aller <strong>Projekt</strong>schülerinnen und –schüler<br />
in <strong>Sarajevo</strong> vor dem Graffito, das er alleine gesprayt<br />
hatte. „Es wäre schön, wenn ich eine Wand nur für<br />
mich haben könnte.“, meinte er in seiner bescheidenen<br />
Art. Er half uns bei vier Wänden an der Schule<br />
in Ilidza und wir konnten ihn bei der Arbeit an seinem<br />
eigenen Wandbild beobachten.<br />
In <strong>Hamburg</strong> erinnert der kleine Engel in der oberen<br />
rechten Seite an ihn. Er ließ es sich nicht nehmen, das<br />
Signum auf dem Wandbild zu schreiben. Die Journalistin<br />
Friederike Ulrich vom <strong>Hamburg</strong>er Abendblatt, die<br />
über unser <strong>Projekt</strong> berichtete schrieb am 5.7.: „ Ein<br />
Graffito in einem Eimsbüttler Hinterhof ist Teil eines<br />
deutsch-bosnisch-französischen Klimaschutzprojekts.<br />
16 Oberstufenschüler der Gesamtschule Stellingen<br />
und der Ida Ehre Gesamtschule arbeiten seit<br />
Donnerstag mit Hochdruck an dem großen Wandbild<br />
– angeleitet werden die Jugendlichen von niemand<br />
Geringerem als dem französischen Graffiti – Künstler<br />
Darco. ...“<br />
In einer Mail vom 4.8.08 schrieb Darco:<br />
„Doberdan,alles rogger ?<br />
Natürlich hab‘ ich, wie gesagt, prinzipiell Lust auf ein<br />
neues <strong>Projekt</strong> in <strong>Sarajevo</strong> und eine „Ganze Wand“<br />
wie zB: eine Hausfassade wäre sicherlich auch spaßig.<br />
Das Museum, das Krankenhaus in Ilidja sind<br />
auch tolle Alternativen.<br />
Hier auch noch ein paar Fotos, damit ihr seht was<br />
das Shirt alles gesehen hat.<br />
La Reunion ist eine schöne und vielseitige Insel mit<br />
Bergen, Steppen, Tannenwäldern, Djungel, Wasserfällen,<br />
Zuckerrohr, Vulkanausbrüchen, Gewürzen,<br />
Gerüchen, Scharfe Küche, coole Leute, Tiefsee,<br />
Strömung, …“<br />
Unser großer Dank geht an Darco und natürlich alle<br />
Sponsoren, die die Realisation unseres ökologischen<br />
<strong>Austausch</strong> <strong>Projekt</strong>s mit <strong>Sarajevo</strong> ermöglichten.<br />
Wir freuen uns auf das nächste <strong>Projekt</strong> mit Darco!<br />
Die bosnischen <strong>Austausch</strong>schülerinnen<br />
und -schüler:<br />
Ana Karaga, Neira Eaplijic, Adis Mahmutovic, Mubina<br />
Kahvic, Aida Bilal, Melisa Taranis, Mirela Jasaragic,<br />
Tarik Pozderac, Dino Metarapi, Enida Colo, Hasan<br />
Music, Adaleta Nisic, Una Basic, Kemal Joldzo, Edin<br />
Kulovic, Nejla Musanovic.<br />
Die bosnischen Lehrerinnen:<br />
Snjezana Karaga<br />
Armina Pozderac<br />
<strong>Hamburg</strong>er <strong>Schüler</strong>innen und <strong>Schüler</strong>:<br />
GS Stellingen: Nadine Wegner, Birga Fischer, Matthias<br />
Kind, Claudia Blankenburg, Manja Buchmann,<br />
Melanie Isabelle Rattay, Justine Tessmann, Thomas<br />
Hirt, Sören Bach<br />
Ida Ehre GS: Jana Kohlmüller, Kevin Savic, Hannah<br />
Biehl, Amelie Radwe, Carl Schmidt– Rohr, Lilli Arp,<br />
Justin Wolf<br />
Bericht:<br />
Cläre Bordes, Gesamtschule Stellingen<br />
Julia Muhs, Ida Ehre Gesamtschule<br />
August <strong>2008</strong><br />
12 13
16 <strong>Schüler</strong> aus <strong>Sarajevo</strong><br />
und 16 <strong>Schüler</strong><br />
aus <strong>Hamburg</strong> erleben<br />
unvergessliche Momente<br />
in Bosnien<br />
und Deutschland<br />
Am 6. Juli <strong>2008</strong> (ein ziemlich heißer Sonntag)<br />
haben wir Bosnier am Flughafen auf unsere<br />
Kolleginnen aus <strong>Hamburg</strong> ganz ungeduldig<br />
gewartet. Das Flugzeug aus München hatte eine<br />
Stunde Verspätung. Und dann –gleichzeitig drei<br />
abendliche Flugzeugslandungen in <strong>Sarajevo</strong>, so<br />
viele Reisende. Unsere <strong>Schüler</strong> und Eltern fangen<br />
an zu zweifeln, ob die <strong>Hamburg</strong>er angekommen<br />
sind. Aber, die gut gelaunte Lehrerinnen Cläre und<br />
Julia, der französische Künstler Darco und alle 16<br />
<strong>Schüler</strong>Innen erscheinen,<br />
Alles läuft wie immer so unglaublich schnell! Es gibt<br />
keine Zeit zum Fotografieren, obwohl das erste <strong>Schüler</strong>treffen<br />
der aufregendste und schönste Moment<br />
ist. Das lange Warten lohnt sich.<br />
Der Ausflug zur Bosna Quelle am 7. Juli ist eine gute<br />
Gelegenheit, die 3 km lange „Große Allee“, einen grünen<br />
Tunnel aus zwei Reihen von Kastanien (aus dem<br />
Jahr 1888) und zwei Reihen Platanen, zu bewundern.<br />
Die Quelle der Bosna ist ein Naturpark am Fuße des<br />
Berges Igman mit zahlreichen Quellen, Bächen, Seen<br />
und kleinen Inseln in der Nähe von Ilidza, wo sich<br />
unsere Schule befindet. Die <strong>Schüler</strong> sprechen und<br />
lachen miteinander. Mit alten Pferdekutschen, die es<br />
nur in Ilidza gibt, fahren wir zurück.<br />
Am 8. Juli (Dienstag) werden die Gäste in der Schule<br />
begrüßt, die bosnischen und deutschen <strong>Schüler</strong> machen<br />
einen gemeinsamen Rundgang durch die Schule.<br />
Und dann - in der Aula und im Deutschraum besprechen<br />
sie mit dem Künstler Darco aus Frankreich,<br />
einem alten „Graffiti-Wolf“ die Motive für die Wandbilder.<br />
Am Nachmittag besuchen wir das Tunnelmuseum,<br />
das so genannte <strong>Sarajevo</strong>er Kriegsmuseum in<br />
Butmir, einem Teil von Ilidza, für das sich viele <strong>Sarajevo</strong>besucher<br />
interessieren. Die starke Hitze fühlen<br />
wir nicht.<br />
Der nächste Tag ist für die Arbeit an den Graffiti reserviert.<br />
Aus einer leeren weißen Wand eine bunte<br />
Botschaft anzubringen ist keine einfache Aufgabe.<br />
Aber niemand ist allein. Und die Ideen vom vorigen<br />
Tag können auch korrigiert oder verändert werden.<br />
Am wichtigsten ist es, dass wir genug Spraydosen<br />
haben. In der Pause werden wir von der Burgmeisterin<br />
von Ilidza empfangen, wir besuchen eine <strong>Schüler</strong><br />
Foto Ausstellung mit Kulturerbschaft von Ilidza. Am<br />
Vorabend dann etwas Neues in unserer Stadt: Stadtbesichtigung<br />
mit dem City-Bus. Das ganze <strong>Sarajevo</strong><br />
ist vor / hinter uns. Wir sind im Zentrum, am Stadtrand,<br />
bewundern die Stadt von Bergen.<br />
Nach der bunten, lauten, lustigen Arbeit an den Graffiti<br />
kommt am Mittwoch der Besuch in der Redaktion<br />
der AVAZ (der meist gelesenen Tageszeitung<br />
in <strong>Sarajevo</strong> /Bosnien-Herzegowina) und ein Pressegespräch,<br />
gemeinsames Fotografieren auf der<br />
Sommerterrasse, und der großartige Blick auf einen<br />
großen Teil der Stadt.<br />
Das Svrzo-Haus in der Altstadt bietet am Nachmittag<br />
den Einblick in das ehemalige besondersartige Familienleben<br />
in Bosnien und ist während der Hitze wie<br />
eine Oase. Am 11.7. fahren wir ins noch heißere Mostar,<br />
in die für seine alte Brücke bekannte Stadt.<br />
In Mostar sind die Folgen des Kriegs noch ziemlich<br />
sichtbar.<br />
Die Weiterfahrt zu den Wasserfällen „Kravice“ in der<br />
Herzegowina ist auch für die einheimischen <strong>Schüler</strong><br />
eine gute Gelegenheit, die Naturschönheiten von<br />
Bosnien-Herzegowina zu genießen. Wir sind im Paradies!<br />
Ich muss gestehen: Ich, die kein Auto hat<br />
und fährt, bin zum ersten Mal hier. Wir baden alle<br />
an den Wasserfällen, der immer noch saubere Fluss<br />
heißt Trebizat.<br />
Es gibt noch Arbeit an den Graffiti (12.7.). Manche<br />
Teile / Farben /Nuancen werden geändert. Die Schule<br />
sieht nun reicher aus.<br />
Unsere Wandbilder:<br />
Die Erde, die bald explodieren kann.<br />
Eine Sanduhr, die mahnt.<br />
<strong>Sarajevo</strong> und <strong>Hamburg</strong> verbunden in mehreren Motiven.<br />
Man weiß nicht genau, wann alles fertig ist, alles<br />
kann immer besser sein, und die <strong>Schüler</strong> – Künstler<br />
geben alles von sich.<br />
Am 13.7. sind wir am <strong>Hamburg</strong>er Flughafen. Die<br />
Eltern warten auf uns, und die Abholung dauert<br />
noch kürzer als in <strong>Sarajevo</strong>. Für uns Lehrerinnen etwas<br />
Freizeit und die Gelegenheit, durch die angenehme<br />
fast internationale, menschenreiche Osterstraße<br />
in Eimsbüttel zu spazieren.<br />
Was für ein Wunder ist aus der voriges Jahr angefangenen<br />
Müllstatue entstanden! Ein echtes Kunstwerk,<br />
finde ich.<br />
Dieses Jahr setzen die <strong>Schüler</strong> ihre Arbeit fort.<br />
Noch grundieren und spachteln sie, .Arbeit für einen<br />
ganzen Tag. Wenn wir nur so viel Grün und so viel<br />
Raum um die Schule hätten wie die Stellinger <strong>Schüler</strong><br />
und Lehrer!<br />
Am Abend des 14.7. werden wir in der Ida Ehre Gesamtschule<br />
herzlich empfangen und von der Schulleiterin<br />
Frau Wendland und unserer Kollegin Julia<br />
Muhs vorgestellt.<br />
Das kleine Fest mit einem von Lehrern und Lehrerinnen<br />
vorbereitetem Programm ist eine angenehme<br />
Überraschung für mich und meine Kollegin Armina.<br />
Noch die Statue bemalen – keine kurze Arbeit!<br />
Wir Bosnier würden gern die Müllstatue nach Ilidza<br />
mitnehmen.<br />
Am 15.7. werden wir in der GS Stellingen offiziell<br />
empfangen. Am Abend ist der offizielle Festakt anlässlich<br />
des Abschlusses der Grunderneuerung der<br />
GS Stellingen und die Enthüllung und Einweihung<br />
unserer Müllstatue. Die <strong>Schüler</strong> verabschieden sich<br />
von Darco, mit dem sie so erfolgreich gearbeitet haben.<br />
Am nächsten Tag folgt die Zeugnisabgabe in den<br />
Schulen, die bosnischen <strong>Schüler</strong> haben die Gelegenheit,<br />
deutsche Zeugnisse zu sehen und die Atmosphäre<br />
kennen zu lernen. Die Fahrt mit der U-Bahn<br />
14 15
is zu Landungsbrücken und mit dem Boot durch<br />
die <strong>Hamburg</strong>er Speicherstadt ist wegen der für uns<br />
selten benützten Verkehrsmittel und so viel Wasser<br />
ein Erlebnis. Am Abend feiern wir mit Eltern und<br />
<strong>Austausch</strong>schülern/innen noch ein großartiges Graffito<br />
in der Margaretenstraße. Der kurze Regen stört<br />
uns beim Gespräch und Grillen nicht. Die <strong>Schüler</strong>in<br />
Nadine führt ein unangemeldetes kurzes Programm<br />
auf ihrem Einrad aus - sie bereitet sich für die Einrad<br />
Weltmeisterschaft in Dänemark vor.<br />
Am 17.7.<strong>2008</strong>. haben die <strong>Schüler</strong> Zeit, eine freien<br />
Spaziergang durch das wunderschöne <strong>Hamburg</strong> zu<br />
machen und die Stadt zu recherchieren. Dann besichtigen<br />
wir das Rathaus in der Rathausführung<br />
informierten wir uns über die Geschichte des imposanten<br />
Gebäudes und über <strong>Hamburg</strong>s Geschichte.<br />
Durch das Gespräch mit Gerhard Lein (einem Bürgerschaftsabgeordneten<br />
der SPD), bekommen die<br />
<strong>Schüler</strong>Innen Informationen über einen Teil des<br />
politischen Alltags und Tätigkeiten eines Bürgerschaftsabgeordneten<br />
in <strong>Hamburg</strong> . Am Abend besuchen<br />
wir das Schmidts Tivoli und sehen das Musical<br />
„Heiße Ecke St. Pauli“, mit guten Schauspielern,<br />
guten Songs und mit einem echten kleinen Theaterorchester.<br />
Die Atmosphäre ist anders als in einem<br />
klassischen Theater, viel gelassener und während<br />
der Pause kann man etwas trinken.<br />
Dann kommt Berlin, die größte Stadt, in der ich je<br />
war.<br />
Wie könnte ich diesen Tag beschreiben? Wir stehen<br />
sehr früh auf und genießen die Fahrt , die breite Autobahn.<br />
Wir fahren durch die ehemalige DDR und<br />
sehen viele verlassene Bauernhöfe. Am Brandenburger<br />
Tor muss man unbedingt ein gemeinsames<br />
Foto machen. Während der Schifffahrt bekommen<br />
die <strong>Schüler</strong> viele wichtige Informationen über Berlin<br />
und seine Geschichte, und sehen viele wichtige Gebäude.<br />
Nach dem Gespräch mit dem Bundestagsabgeordneten<br />
Niels Annen aus <strong>Hamburg</strong>, der auf die<br />
Fragen der <strong>Schüler</strong> so ausführlich antwortet, genießt<br />
die Gruppe den großartigen Blick auf die Stadt Berlin<br />
vom Reichstagsgebäude. Ich fühle mich wie in einem<br />
Raumschiff, so modern ist das Glasdach, wir verlieren<br />
uns im Besucherfluss.<br />
Der neunzehnte Juli ist für alle Familien zur freien Verfügung.<br />
Julia und Cläre, unsere Kolleginnen und <strong>Austausch</strong>lehrerinnen,<br />
schenken uns einen regnerischen<br />
Spaziergang durch den lebendigen und bunten<br />
Stadtteil Altona. Dann fahren wir nach Lüneburg. Wir<br />
besuchen ein Frauenkloster, besichten die Altstadt,<br />
fotografieren, besuchen eine sehr alte Brauerei<br />
und eine Konzertprobe in einer der alten Lüneburger<br />
Kirche.<br />
Der 20.Juli ist der Abschiedsmorgen. Auf dem Gruppenfoto<br />
mit <strong>Hamburg</strong>er Flagge kann man sehen,<br />
wie traurig Edin ist, weil er seinen Pass verloren<br />
hat. Lachen und Tränen, alles vermischt sich. Edin<br />
bekommt Erlaubnis, ohne Pass nach Bosnien zu<br />
fliegen. <strong>Hamburg</strong> bleibt hinter uns, aber immer in<br />
unseren Herzen. Bei uns Lehrerinnen immer Sorgen:<br />
Werden unsere <strong>Schüler</strong> rechtzeitig ihre Berichte<br />
schreiben?<br />
Am Ende kann ich nur noch sagen, dass ich stolz darauf<br />
bin, was wir Lehrerinnen zusammen mit unseren<br />
<strong>Schüler</strong>n erlebt und erreicht haben.<br />
Snjezana Karaga, <strong>Sarajevo</strong>, 28.August <strong>2008</strong><br />
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17
<strong>Schüler</strong>berichte<br />
Deutschland - Bosnien. Berichte deutscher <strong>Schüler</strong><br />
18. Geburtstag in Bosnien<br />
Amelie Radwe, Ida Ehre Gesamtschule<br />
Unser <strong>Projekt</strong> begann mit einem Graffito, das<br />
wir mit Hilfe des französischen Künstlers<br />
Darco gestalteten. Dazu grundierten wir eine<br />
Wand in der Margaretenstraße 62 in Eimsbüttel und<br />
verwirklichten Stück für Stück unsere Ideen, die wir<br />
zum Thema „Klimawandel und Umweltschutz“ entwickelt<br />
hatten. Die Arbeit an dem Wandbild gab die<br />
Chance, uns innerhalb der deutschen Gruppe kennen<br />
zu lernen.<br />
Am Sonntag, den 6. Juli <strong>2008</strong>, flogen wir um 17:35<br />
Uhr in <strong>Hamburg</strong> los und landeten um 22:55 Uhr in<br />
<strong>Sarajevo</strong>. Dort wurden wir herzlich von unseren Gastfamilien<br />
empfangen. Als wir zu Hause bei den Gast-<br />
familien waren, blieb den meisten von uns nicht viel<br />
Zeit uns gegenseitig kennen zu lernen, da wir von der<br />
Reise sehr kaputt waren. Das holten wir aber gleich<br />
am nächsten Tag nach.<br />
Am Montag ging es ziemlich früh los, denn wir machten<br />
einen Ausflug zur Bosna Quelle. Den Rückweg<br />
traten wir mit Pferdekutschen an. An diesem Tag bekamen<br />
wir zum ersten Mal die Kraft der bosnischen<br />
Sonne zu spüren und fingen langsam an uns an diese<br />
zu gewöhnen. Den Rest des Tages verbrachten wir<br />
damit Ilidza, „<strong>Sarajevo</strong> City“ und unsere <strong>Austausch</strong>partner<br />
etwas besser kennen zu lernen.<br />
An diesem Abend haben meine <strong>Austausch</strong>partnerin<br />
und ich bei meiner Freundin und ihrer <strong>Austausch</strong>partnerin<br />
übernachtet und ein bisschen in den 18. Geburtstag<br />
meiner Freundin rein gefeiert.<br />
Am zweiten Tag in <strong>Sarajevo</strong> trafen wir uns in der<br />
Schule unserer <strong>Austausch</strong>schüler und besprachen<br />
die Motive der verschiedenen Wandbilder. Wir grundierten<br />
zunächst die Wände. Frau Bordes und Frau<br />
Muhs organisierten von Obi in <strong>Sarajevo</strong> Wandfarbe<br />
und einen großen Teil Spraydosen.<br />
Wir besuchten später das Tunnelmuseum, zu dem<br />
wir mit einem völlig überfüllten und überhitzten Bus<br />
fuhren. Den Abend verbrachten wir, wie viele Abende,<br />
in mehr oder weniger kleinen Gruppen in Bars und<br />
unterhielten uns. An diesem Abend feierten wir zudem<br />
Hannahs 18. Geburtstag.<br />
Am nächsten Tag starteten wir aufgeregt mit den<br />
Graffiti. Einige von uns gingen zu einem Empfang bei<br />
der Bürgermeisterin von Ilidza. Später machten wir<br />
eine Stadtbesichtigung mit dem City-Bus und aßen<br />
im Anschluss in der alten und traditionsreichen <strong>Sarajevo</strong>er<br />
Brauerei, einem ehemaligen Franziskaner Kloster,<br />
zu Abend. Am nächsten Morgen arbeiteten wir<br />
wieder an den Graffiti und besuchten die Redaktion<br />
der Lokalzeitung AVAZ.<br />
Den Rest des Tages gestalten alle <strong>Austausch</strong>paare<br />
in eigener Regie. Es ging früh ins Bett, denn es sollte<br />
am Tag darauf früh nach Mostar gehen. Das bedeutete<br />
für uns um fünf Uhr aufstehen zu müssen.<br />
Früh ging es mit einem Bus durch die herrliche Landschaft<br />
der julischen Alpen hindurch, vorbei an Seen<br />
und Wasserfällen. In Mostar erkundeten wir erst alle<br />
zusammen die Stadt, erfuhren Historisches über die<br />
Gründung der Stadt und die Kriegszeit. Dann gingen<br />
wir in kleinen Gruppen auf eigene Entdeckungen. Der<br />
erst geplante Ausflug ans Meer platzte, da sechs von<br />
uns ihre Pässe vergessen hatten. So fuhren wir an die<br />
Wasserfälle bei Trebizat. Dort hatten wir alle richtig<br />
Spaß. Ein einmaliges Erlebnis!<br />
Auf dem Rückweg nach <strong>Sarajevo</strong> besichtigten wir<br />
eine Künstlerkolonie in Pocitelj. Am letzten Tag vor<br />
dem Abflug nach <strong>Hamburg</strong> beendeten wir die Graffiti,<br />
empfingen Reporter und weihten unsere Kunstwerke<br />
ein. Zum Abschluss aßen wir auf Einladung in einem<br />
besonderen Restaurant an der Miljaka, bekamen Urkunden<br />
und Geschenke überreicht. Den Abend verbrachten<br />
wir in unseren Gastfamilien. Ich ging noch<br />
ein zweites Mal mit meiner Gastfamilie essen und traf<br />
weitere Familienmitglieder, die ich unbedingt kennen<br />
lernen sollte.<br />
Am nächsten Tag trafen wir uns alle am Flughafen<br />
und verabschiedeten uns von den Familien. In <strong>Hamburg</strong><br />
erwartete uns ein um 30 Grad kälteres Wetter.<br />
Der zweite Tag in <strong>Hamburg</strong> fing mit einem frühen<br />
Schulbesuch an, da einige <strong>Schüler</strong> aus <strong>Hamburg</strong><br />
ein „kleines schulisches Pflichtprogramm“ zu erfüllen<br />
hatten. Die meisten bosnischen <strong>Schüler</strong> wollten<br />
dieses nicht mitmachen und fuhren mit einer genauen<br />
Beschreibung in die Stadt. Einige von uns bemalten<br />
stundenlang die „Müllstatue“, die die deutsch-bosnische<br />
<strong>Austausch</strong>gruppe im vergangenen Jahr begonnen<br />
hatte, damit sie feierlich eingeweiht werden<br />
konnte.<br />
Dr. Mantell, der Leiter des Bezirksamts, hielt die Laudatio.<br />
Der darauf folgende Tag bescherte den deutschen<br />
<strong>Schüler</strong>n ihre Zeugnisse. Mittags trafen wir<br />
uns dann zu einer Hafenrundfahrt. Am Abend veranstalteten<br />
wir ein Grifffest am Graffiti, welches wir vor<br />
der <strong>Sarajevo</strong> Woche erstellt hatten. Wir kämpften mit<br />
dem Regen und hatten Sorge, dass die Grills ausgingen.<br />
Den Tag darauf wurden wir durch das Rathaus<br />
geführt und sprachen mit dem Abgeordneten der<br />
SPD Gerhard Lein. Den Rest des Tages verbrachten<br />
wir in der Stadt. Am Abend besuchten wir die Vorstellung<br />
„Heiße Ecke St.Pauli“ im Schmidts Tivoli.<br />
Am Freitag ging es per Bus nach Berlin, dort besichtigten<br />
wir das Brandenburger Tor, machten eine Spree-<br />
Fahrt, diskutierten mit Niels Annen, erfuhren Interessantes<br />
über den Reichstag und zeigten den Bosniern<br />
in kleinen Gruppen Berlin.<br />
Als wir dann wieder in <strong>Hamburg</strong> waren, sind wir alle<br />
total kaputt ins Bett gefallen.<br />
Den letzten Tag vor dem Abflug der bosnischen<br />
<strong>Schüler</strong> verbrachten wir in den. Der Tag des Abfluges<br />
begann unglaublich früh. Am Flughafen bekamen wir<br />
alle noch eine Urkunde, machten ein Gruppenfoto<br />
und verabschiedeten uns unter Tränen von unseren<br />
<strong>Austausch</strong>schülern.<br />
Ich habe an diesem <strong>Projekt</strong> teilgenommen um neue<br />
Erfahrungen zu sammeln und ein neues Land kennen<br />
zu lernen. Das <strong>Projekt</strong> hat mir großen Spaß gemacht,<br />
auch wenn es wie in jeder Gruppe mal ein paar kleine<br />
Streitereien gab. Ich habe neue Freunde gefunden,<br />
die ich so bald wie möglich wieder besuchen möchte.<br />
Ich würde jedem, der an neuen Erfahrungen interessiert<br />
ist, empfehlen, an diesem <strong>Projekt</strong> teilzunehmen.<br />
Ich denke jeder wird positiv überrascht sein.<br />
18 19
Besuch in einer Nachkriegsstadt<br />
Birga Fischer, Gesamtschule Stellingen<br />
Es ist halb fünf als mich meine Gastschwester<br />
Neira an diesem Tag weckt, für meine Verhältnisse<br />
einige Stunden zu früh. Schon eineinhalb<br />
Stunden später müssen wir im Bus sitzen, um mit<br />
den anderen nach Mostar zu fahren. Ich freue mich<br />
auf diese Reise. Noch nie war ich in einer Stadt, der<br />
man noch immer ansieht, dass hier einige Jahre zuvor<br />
Krieg herrschte.<br />
Auch, wenn der Krieg am 14.12.1995 beendet wurde,<br />
kann man noch heute, knapp dreizehn Jahre<br />
Kriegsende, sehen, was dieser Krieg angerichtet hat.<br />
In den Hauswänden sehe ich Einschusslöcher- es<br />
sind unzählbar viele, EUFOR (European Force) Soldaten<br />
aus verschiedenen Ländern laufen durch die<br />
Straßen, ich sehe einige aus der Türkei und aus<br />
Deutschland, aber auch aus anderen Ländern. Viele<br />
Häuser hier sind teilweise noch total zerstört, anders<br />
als in <strong>Sarajevo</strong>, wo man kaum noch zerstöre Häuser<br />
sieht. In der Metropole gibt es viele modere Häuser.<br />
In Mostar gehen wir zunächst mit der ganzen Gruppe<br />
durch die Stadt, gehen über die berühmte alte Brücke<br />
von Mostar, eine im Krieg zunächst zerstörte Brücke,<br />
sie galt vor dem Krieg von 1992-1995 als Symbol des<br />
friedlichen Zusammenlebens von Muslimen, Kroaten<br />
und Serben, zwischen Ost und West. Nach dem Krieg<br />
wurde die Brücke originalgetreu wiederaufgebaut, im<br />
Jahr 2004 wurde sie fertig gestellt. Nachdem wir alle<br />
zusammen durch die Stadt gelaufen sind, hatten wir<br />
einige Stunden Freizeit und haben in kleinen Gruppen<br />
die Stadt auf eigene Faust erkundet.<br />
Einige gingen Eis essen und Souvenirs kaufen, meine<br />
Gruppe hingegen entschied sich in einer kleinen<br />
Pizzeria etwas zu essen, und wie es auch sonst in<br />
Bosnien üblich ist, aßen die Bosnier ihre Pizza nicht<br />
ohne sich vorher Ketschup drauf zu tun. Nach dem<br />
Pizzaessen ist meine Gruppe noch zur Neretva, dem<br />
Fluss, der unter der alten Brücke verläuft, gelaufen.<br />
Wir haben unsere Hände in den Fluss gehalten. Beinahe<br />
hätten wir den Bus verpasst und so mussten wir<br />
durch die Stadt rennen, um noch rechtzeitig den Bus<br />
zu erreichen.<br />
Mostar ist wirklich eine wunderschöne Stadt, deren<br />
Besuch ein Muss ist, wenn man in Bosnien auf Erkundungsreisen<br />
geht.<br />
Der Besuch war eines der vielen Highlights während<br />
des unvergessenen Bosniensaustausches.<br />
Eine Reise nach Mostar<br />
Carl Schmidt-Rohr, Ida Ehre Gesamtschule<br />
Um halb 6 Uhr morgens klingelt mein Handy,<br />
schnell duschen, was essen und los –<br />
zusammen mir Kemal laufe ich durch verwinkelte<br />
kleine Straßen und Vorstadtgärten, vorbei an<br />
stehengebliebenen Ruinen – zur Straßenbahnstation.<br />
Diese kommt wie immer fast im Minutentakt, kein<br />
Warten, dafür wackelt sie heftigst während der Fahrt,<br />
für mich als <strong>Hamburg</strong>er ziemlich ungewohnt. Nach<br />
nur drei Stationen erreichen wir das am Stadtrand<br />
liegende Ausgehviertel Ilidza. Hier wimmelt es nur so<br />
von Bars und kleinen Shops und sogar um diese Uhrzeit<br />
laufen schon Menschen durch die Gassen und<br />
die ersten House-Techno Klänge ertönen. Wir finden<br />
unseren Reisebus, der unsere deutsch-bosnische<br />
Gruppe nach Mostar bringen wird.<br />
Die Fahrt ist zermürbend, gefühlte 50 Grad Hitze machen<br />
nur mäßig Spaß. Nach vier Stunden erreichen<br />
wir Mostar, eine alte, mittelgroße Stadt, die geteilt ist<br />
in einen muslimischen und einen christlichen Teil.<br />
Überall sind neben Coca-Cola Plakaten noch die<br />
Spuren des Krieges zu sehen, viele der Häuser haben<br />
Einschusslöcher im Putz und ich sehe mehr Ruinen<br />
als in <strong>Sarajevo</strong>.<br />
Wir überqueren den tief in einer Schlucht liegenden,<br />
von Häusern umgebenen Fluss Neretwa auf einer<br />
schmalen Brücke. Dann gibt’s für alle Pizza in einem<br />
Restaurant.<br />
Eigentlich wollten wir weiter nach Kroatien und zur<br />
Mittelmeerküste, aber nicht alle von uns haben ihren<br />
Pass dabei und in diesem Teil Europas sind Grenzen<br />
ohne Papiere unpassierbar.<br />
Es ist heiß und wir fahren mit dem Bus anstatt ans<br />
Meer zu Wasserfällen in den Bergen, daneben ein<br />
kleiner See. Vom Parkplatz aus müssen wir uns durch<br />
Dickicht und Geröll nach unten zu dem See kämpfen<br />
und werden belohnt mit einem erfrischenden Bad,<br />
Felsen von denen man ins Wasser springen kann und<br />
versteckten Höhlen hinter den Wasserfällen.<br />
Erst spät fahren wir wieder zurück nach <strong>Sarajevo</strong> und<br />
kommen dort kurz vor Mitternacht an. Todmüde steigen<br />
Kemal und ich wieder in die wackelige Straßenbahn,<br />
die uns nach Hause bringt.<br />
Der Beginn einer langen<br />
Freundschaft<br />
Claudia Blankenburg, Gesamtschule Stellingen<br />
Müde Gedanken schwirrten in meinem Kopf,<br />
während die anderen aufgeregt Hoffnungen<br />
äußerten.<br />
Würden wir uns gut verstehen und verständigen können?<br />
Ist sie nett? Akzeptiert ihre Familie mich?<br />
Ich war zu sehr in Gedanken versunken um zu schlafen<br />
und zu müde von dem ewigen Warten im Terminal<br />
um mich an den heiteren Gesprächen der anderen<br />
zu beteiligen. Es werden anstrengende Tage, das<br />
wusste ich.<br />
Dann standen wir schon dort, im Ankunftsterminal<br />
in <strong>Sarajevo</strong>. Nach wenigen Augenblicken befand ich<br />
mich in den Armen meiner <strong>Austausch</strong>partnerin Mubina,<br />
die mich aufgeregt ihrer Familie vorstellte.<br />
Auch wenn sie nicht gut Deutsch und ich nicht gut<br />
Englisch sprechen konnte, verstanden und vertrauten<br />
wir einander sofort. Der erste Tag schon wurde lang<br />
und die Nacht kurz, da wir ohne Ende redeten.<br />
Sie zeigte mir ihren Heimatort Hrasnica und machte<br />
mich mit ihren Freunden bekannt. Mit der Familie saßen<br />
wir abends zusammen und erzählten, spielten<br />
Gesellschaftsspiele und lachten.<br />
Obwohl wir auch darüber redeten, fiel es nach kurzer<br />
Zeit so gut wie gar nicht mehr auf, dass das Land ein<br />
Nachkriegsland ist und viele Gebäude immer noch<br />
zerstört sind.<br />
Die Tage vergingen viel zu schnell als dass man überhaupt<br />
realisieren konnte, wie schön es doch war.<br />
Beim Abschied weinten wir alle, Mubinas Schwester,<br />
ihre Mutter, ich… man wusste ja nicht, wann und ob<br />
man sich überhaupt wiedersehen würde.<br />
Der Flug war unbehaglich, ich war zwar froh nach<br />
<strong>Hamburg</strong> zurückzukehren, aber dennoch wusste ich<br />
nicht, was ich wollte und wie es in Deutschland für<br />
Mubina sein würde. Wie sich herausstellte, war sie<br />
ganz begeistert von meiner Familie und ihrem Aufenthaltsort<br />
für die nächste Woche. Was sie etwas wunderte<br />
war allerdings die verschlossene Gesellschaft,<br />
die sie in <strong>Hamburg</strong> umgab.<br />
In ihrem Land behandeln sich alle wie eine große Familie,<br />
in der sich jeder kennt.<br />
Dieser Eindruck blieb bestehen, aber er hielt sie nicht<br />
davon ab, von Energie nur so zu sprühen und mich<br />
gleich anzustecken.<br />
Ich zeigte ihr soviel ich konnte an Kultur in <strong>Hamburg</strong><br />
und wir unterhielten uns ständig über die Unterschiede<br />
und Gemeinsamkeiten unserer Religionen,<br />
da sie Moslem ist und ich dem Christentum angehöre.<br />
Wir hatten leider soviel um die Ohren, dass ich es nur<br />
schwerlich schaffte, ihr einen Einblick in meinen Alltag<br />
zu geben und ihr meine Hobbys zu zeigen, sowie<br />
sie meinen Freunden vorzustellen und ihr noch ein<br />
bisschen mehr von Deutschland zu zeigen.<br />
Leider musste Mubina viel zu früh wieder abreisen, im<br />
Koffer allerlei Mitbringsel für ihre Familie, Verwandten<br />
und Freunde.<br />
Da standen wir auch schon mit Tränen in den Augen<br />
am Terminal und versprachen, Kontakt zu halten und<br />
uns unbedingt wiederzusehen.<br />
Ich reiste in eines der<br />
schönsten Länder der Erde<br />
Hannah Biehl, Ida Ehre Gesamtschule<br />
Als ich das erste Mal von diesem <strong>Projekt</strong> erfuhr,<br />
konnte ich mir eigentlich noch nichts<br />
Genaueres darunter vorstellen. Ich hatte mich<br />
angemeldet, um eine völlig neue und aufregende<br />
Erfahrung zu machen. Ich wurde definitiv nicht enttäuscht.<br />
Nachdem wir uns bei mehreren Vortreffen<br />
20 21
und Elternabenden sowie Graffitiarbeiten in Deutsch- allerdings trotzdem für dieses Risiko. Ich denke, dass<br />
land langsam zu einer Gruppe zusammen gefunden nicht viele deutsche <strong>Schüler</strong> die Möglichkeit haben,<br />
hatten und uns dann alle am Flughafen trafen, ging ihren18. Geburtstag in einem so fremden Land zu fei-<br />
es endlich los.<br />
ern.<br />
Es wurde ernst und ich denke, dass wir alle unendlich Für mich war dies ein sehr ergreifender Abend. Die<br />
aufgeregt und gespannt waren. Was würde uns er- ganze Familie hatte daran gedacht und mir sogar um<br />
warten? Wer holt uns ab? Wie werden wir in unseren Mitternacht eine Schokotorte und ein Glücksbringer<br />
neuen Familien aufgenommen?<br />
Armband geschenkt. Ich hab mich richtig aufgeho-<br />
Durch meine Flugangst begleitete mich noch eine<br />
ganz andere Aufregung.<br />
ben gefühlt.<br />
Es lief alles glatt und wir kamen heil und unversehrt<br />
am Flughafen von <strong>Sarajevo</strong> an.<br />
Ich glaube, dass es mit Abstand einer der aufregendsten<br />
Momente in meinem Leben war, als ich mit<br />
Ausflug nach Mostar<br />
Hannah Biehl, Ida Ehre Gesamtschule<br />
Strickmütze 9€<br />
meinen Freundinnen durch die Tür zu den Familien<br />
ging.<br />
Dann ging alles ganz schnell. Meine <strong>Austausch</strong>part-<br />
Ich kann mich leider nicht mehr wirklich daran erinnern,<br />
aber ich glaube, es war der fünfte Tag, als<br />
wir einen Ausflug nach Mostar gemacht haben.<br />
nerin, Adela, nahm mich an die Hand und führte mich Anschließend sollte es noch an die Kroatische Küste<br />
mit ihrer Familie zum Parkplatz. Der erste Eindruck gehen. Mit einem sehr modernem Reisebus (moder-<br />
war einfach überwältigend.<br />
ner als unserer in Deutschland) wurden wir morgens<br />
Ich befand mich in einem völlig fremden Land, mit um sechs Uhr abgeholt und begannen unsere Fahrt.<br />
völlig fremden Menschen und auf einmal saß ich im Die Stadt Mostar war sehr beeindruckend. Wieder<br />
Auto auf dem Weg zu einem Restaurant. Bis dahin wurden wir von zerschossenen Kulissen und extrem<br />
konnte ich noch nicht viel über meine <strong>Austausch</strong>- modernen Gebäuden erwartet. Wir machten eine<br />
partnerin und ihre Familie sagen, ich wurde aber un- kleine Rundtour und hatten anschließend noch freie<br />
glaublich herzlich empfangen. Es stellte sich nach ein Zeit.<br />
paar Tagen heraus, dass unsere Lehrer die perfekte In kleinen Gruppen erkundeten wir diese wunder-<br />
Wahl getroffen hatten. Ich verstand mich einfach toll schöne und zugleich erschreckend durch den Krieg<br />
mit Adela.<br />
in Mitleidenschaft gezogene Stadt. Nach zwei Stun-<br />
Wir haben in diesen Tagen viele interessante Ausflüden sind wir dann wieder zurück zum Bus gelaufen<br />
ge zu den unterschiedlichsten Orten gemacht und und freuten uns auf den Kroatischen Strand.<br />
waren alle sichtlich überwältigt.<br />
Allerdings kam nun alles anders als geplant, denn lei-<br />
Eine Tour durch die Stadt von <strong>Sarajevo</strong> hat uns geder hatten sechs <strong>Schüler</strong> ihre Pässe vergessen und<br />
zeigt, wie sehr sich der Krieg noch an den Mauern wir mussten ersatzweise zu einem anderen, in Bos-<br />
der Häuser abzeichnet.<br />
nien gelegenen, Ort fahren.<br />
Die Menschen in Bosnien leben aber erstaunlicher- Dieser Umweg und Aufwand haben sich aber sehr<br />
weise jeden Tag damit, als wäre es etwas ganz All- gelohnt. Wie sich herausstellte waren wir an einem<br />
tägliches und vor allem Normales. Als wir durch die kleinen See gelandet, der in einen Fluss mündete<br />
Straßen gingen, blieb den meisten von uns der Mund und aus drei hohen Wasserfällen entsprang. Man<br />
vor Erstaunen offen stehen.<br />
kann sich kaum vorstellen was für Naturschönheiten<br />
Die Wände waren zerschossen, teilweise konnte man dieses Land zu bieten hat. Wir haben einen un-<br />
geradezu in die Treppenhäuser der Wohnanlagen guglaublichen Nachmittag dort verbracht und sind im<br />
cken. Manche Etagen hatte es so schlimm erwischt, Anschluss alle erschöpft nach <strong>Sarajevo</strong> zurück ge-<br />
dass man nicht mehr in ihnen wohnen konnte und fahren.<br />
direkt eine Etage drüber brannte wieder Licht, sogar Für mich war dieser <strong>Austausch</strong> einfach unglaublich.<br />
Gardinen waren an den Fenstern zu sehen. Erstaun- Mir kommen heute noch die Tränen, wenn ich an den<br />
licherweise stand direkt nebenan wiederum ein hoch Abschied von meiner Familie denke, von der ich wie<br />
modernes Gebäude so wie man es kaum aus Ham- ein richtiges Familienmitglied behandelt wurde. Unburg<br />
kennt.<br />
Es ist einfach erstaunlich, wie scheinbar normal die<br />
Menschen neben dieser Kulisse leben.<br />
Täglich wird man hier an die schrecklichen Zeiten<br />
sere kleine Gruppe hat natürlich noch regelmäßigen<br />
Kontakt zu den Partnern. Wir schreiben uns und tauschen<br />
immer wieder interessante Neuigkeiten aus.<br />
Wenn man an so einem <strong>Austausch</strong> mitmacht, muss<br />
Troyer 100% Schurwolle ab 60€<br />
(marineblau, weiß, schwarz, rot, oliv, tanne & beige)<br />
des Krieges erinnert und trotzdem ist es eines der, in man eigentlich auf alles gefasst sein und sollte auch<br />
meiner Erinnerung, schönsten und interessantesten Abenteuer vertragen können. Ich denke aber, dass es<br />
Länder, in die ich je gereist bin.<br />
keine bessere Möglichkeit gibt, zwei so unterschied-<br />
Ich habe in diesem Land sogar meinen 18. Geburtsliche Kulturen und Nationen zusammenzuführen und<br />
tag gefeiert. Am Anfang waren meine Eltern von Jugendlichen einen <strong>Austausch</strong> in eine anderes und<br />
meiner Entscheidung, ihn dort ohne Familie zu ver- unglaublich schönes Land zu ermöglichen.<br />
bringen, nicht gerade begeistert. Ich entschied mich<br />
Seit 1879 bekanntes Spezialgeschäft für<br />
Marine- und Tropenausrüstung<br />
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An die Troyer,<br />
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Einfach eine tolle Zeit<br />
Justin Beu, Ida Ehre Gesamtschule<br />
Zuerst war ich ein wenig verwundert über die<br />
Reaktionen, als ich meinen Freunden erzählte,<br />
dass ich an einem <strong>Austausch</strong>projekt nach <strong>Sarajevo</strong><br />
teilnehmen würde. Viele fragten mich, wo <strong>Sarajevo</strong><br />
liege, welche Sprache man dort spräche und<br />
wie es mich in ein Land zieht, in welchem vor noch<br />
nicht allzu langer Zeit Krieg herrschte, und warum<br />
ich nicht lieber in ein Land wie England oder Amerika<br />
gehen würde?<br />
Meine Antwort war darauf war, jedes Land und deren<br />
Leute haben ihre eigene interessante Geschichte zu<br />
erzählen, die aus Religion, Traditionen, Kultur und<br />
dem Zusammenleben der Menschen besteht. Also<br />
warum nicht in ein Land fahren, über das man selber<br />
sehr wenig oder gar nichts weiß?<br />
In ein Land fahren, über das selbst im Geschichtsunterricht,<br />
in der Schule oder unter Freunden nicht<br />
gesprochen wird?<br />
Warum nicht einen Ort in dieser Welt besuchen, welcher<br />
sich nicht in seiner Präsenz oder mit Tourismus<br />
präsentiert, jedoch interessanter sein könnte als<br />
manch anderer Ort der Welt?<br />
Ein zweiter Grund für mich an dem <strong>Austausch</strong> teilzunehmen,<br />
bestand in dem dazugehörigen <strong>Projekt</strong><br />
„Klimaschutz“, in dem wir gemeinsam Graffiti zu diesem<br />
Thema in <strong>Hamburg</strong> und <strong>Sarajevo</strong> mit Hilfe des<br />
französischen Künstlers Darco kreierten und an die<br />
Wand brachten. Die Arbeit hat mir persönlich sehr<br />
viel Spaß gemacht, auch wenn man bei 30 Grad in<br />
einem Plastikanzug sich vorkommt wie in einer Sauna.<br />
Als mich am ersten Tag meine Gastfamilie am Flughafen<br />
in Empfang nahm, war ich sofort positiv beeindruckt<br />
und habe mich mit meinem <strong>Austausch</strong>schüler<br />
(Edin Kulovic) sofort super verstanden. Wir verständigten<br />
uns auf Englisch. Es gab es keine Probleme<br />
und man unterhielt sich bis spät in die Nacht und hatte<br />
eine tolle Zeit.<br />
Als wir in <strong>Sarajevo</strong> immer mehr von der Stadt zu Gesicht<br />
bekommen hatten, stellte ich fest, dass von<br />
dem Krieg (1992 bis 1995), so gut wie nichts mehr zu<br />
sehen war. Im Gegenteil die Stadt glänzte mit ihren<br />
neuen Gebäuden und wenn man durch die Einkaufsstraßen<br />
wanderte, hatte man das Gefühl, sich in einer<br />
Seitenstraße der Mönckebergstraße zu befinden.<br />
Ich muss sagen, dass dieser <strong>Austausch</strong> einer meiner<br />
besten Erfahrungen war und wenn mich jemand heute<br />
fragen würde, ob ich noch einmal an so einem <strong>Projekt</strong><br />
teilnehmen würde, wäre meine Antwort „JA!!!!!“<br />
Meine persönlichen Erfahrungen in <strong>Sarajevo</strong> waren<br />
positiv und überraschend.<br />
Angekommen in meiner Gastfamilie konnte ich feststellen,<br />
dass man in <strong>Sarajevo</strong> sehr gastfreundlich und<br />
aufgeschlossen ist. Ich wurde herzlich von der gesamten<br />
Familie, sowie einem Teil der Nachbarn, mit<br />
Gastgeschenken begrüßt.<br />
Dieser Eindruck hielt sich über die gesamte Woche,<br />
die ich in <strong>Sarajevo</strong> war. Die Freundlichkeit den <strong>Sarajevo</strong>er<br />
Gästen, aber auch den eigenen Landsleuten<br />
gegenüber, fiel mir immer mehr auf. Egal ob beim<br />
Einkaufen der freundliche Umgangston der Menschen<br />
mit den Kassierern oder die angeregten Unterhaltungen,<br />
wenn man auf den Bus wartete oder das<br />
Gespräch mit dem Busfahrer. Einmal bekam ich das<br />
Angebot, den Berg hinauf im Auto mitgenommen zu<br />
werden, da ich im Rollstuhl saß. Ich traf Leute, die, als<br />
sie feststellten, dass ich aus Deutschland kam, mir<br />
erzählten, dass sie dort selbst während des Krieges<br />
gelebt hätten. Es ist erstaunlich, aber ich habe während<br />
des <strong>Austausch</strong>s nur nette und freundliche und<br />
niemals unhöfliche Menschen kennen gelernt.<br />
Ein weiterer, für mich sehr wichtiger Eindruck,<br />
den ich aus <strong>Sarajevo</strong> mitgenommen habe, ist<br />
das Bild, das die Stadt <strong>Sarajevo</strong> vermittelt:<br />
Zerbrochene, kaputte, teilweise trotz ihres zerstörten<br />
Zustandes bewohnte Häuser, neben großen, durch<br />
Hightech- Hochsicherheitsanlagen geschützte Villen,<br />
die man aus noblen Vorstadtvierteln nur aus Filmen<br />
kennt. Auf meiner ersten Fahrt durch <strong>Sarajevo</strong> prägte<br />
sich dieses Bild einer völlig zerstörten Stadt im Wiederaufbau<br />
deutlich ein und verstärkte sich immer mehr<br />
im Laufe der Woche. Überall, wo ich hinkam, waren<br />
die Hinterlassenschaften und Wunden des Krieges zu<br />
sehen. Kein Schritt, ohne nicht daran erinnert zu wer-<br />
den, was hier erst vor einigen Jahren geschehen war.<br />
Und genau diese Umstände ließen mich jedes Mal<br />
wieder staunen, wenn ich auf die Freundlichkeit der<br />
Menschen dort traf. Zurück in Deutschland musste<br />
ich feststellen, dass ich mich völlig an diese Freundlichkeit<br />
gewöhnt und mich selbst ebenfalls darauf<br />
umgestellt hatte. Jeder Einkauf in Deutschland wurde<br />
zur Herausforderung, nicht darauf hinzuweisen,<br />
wie unhöflich der Kassierer ist und auch kein Busfahrer<br />
wartet, wenn ich auf den gerade startenden Bus<br />
zulaufe. Die größte und mir wichtigste Erfahrung, die<br />
ich aus <strong>Sarajevo</strong> mitgenommen habe, ist, dass wir<br />
hier in Deutschland noch sehr viel von der Mentalität<br />
und Freundlichkeit der Bosnier lernen können und<br />
auch sollten.<br />
Ein <strong>Austausch</strong>, der mit<br />
wenigen Erwartungen anfing<br />
und mit vielen Erfahrungen<br />
endete<br />
Melanie Rattay, Gesamtschule Stellingen<br />
Ich habe lange überlegt, ob ich ein Wort für diesen<br />
<strong>Austausch</strong> finden kann, doch alle Wörter, die<br />
mir in den Kopf kamen, können diese vielen neuen<br />
Erfahrungen und diese schöne Zeit nicht beschreiben.<br />
Der Empfang in <strong>Sarajevo</strong> war sehr herzlich, deshalwar<br />
meine Aufregung schnell verschwunden. Mit<br />
meiner <strong>Austausch</strong>schülerin Melisa verstand ich mich<br />
auf Anhieb gut, wir redeten noch bis spät in die Nacht<br />
und schon da war mir klar, dass diese zwei Wochen<br />
unvergesslich werden würden.<br />
Am nächsten Morgen trafen wir uns mit der gesamten<br />
Gruppe und machten einen Ausflug zur Bosna<br />
Quelle. Alle hatten viel zu erzählen von ihrer ersten<br />
Nacht bei ihrer Gastfamilie und natürlich lernten wir<br />
uns schnell kennen. Da sich die Gruppe sehr gut verstand,<br />
unternahmen wir auch in unserer Freizeit viel<br />
gemeinsam. Bei unseren Ausflügen hatten wir die<br />
Chance, viel über das Land und die Kultur zu erfahren,<br />
beeindruckend war vor allem die Freundlichkeit<br />
und Herzlichkeit der Menschen.<br />
Am schönsten war unser Ausflug an einen Wasserfall,<br />
da hatten wir alle wirklich sehr viel Spaß. Einige<br />
sind auf den Wasserfall geklettert, wir haben Wasserschlachten<br />
gemacht und einfach einen schönen<br />
Tag verbracht. Auch bei der Arbeit an unseren Graffiti,<br />
welche wir an die Wände des Vierten Gymnasiums<br />
Ilidza gesprayt haben, hatte ich viel Spaß (auch<br />
wenn es manchmal ein wenig chaotisch war).<br />
Auch unsere Zeit in <strong>Hamburg</strong> war super, außer dass<br />
die zwei Wochen einfach viel zu schnell vergangen<br />
sind.<br />
24 25
Das Förderprogramm Demokratisch Handeln will<br />
demokratische Haltung und demokratische Kultur im<br />
Alltag von Schule und Jugendarbeit stärken und mit<br />
einem Lernen durch Erfahrung verbinden. Es geht<br />
um die Anerkennung herausragender Leistungen für<br />
die Demokratie und das Gemeinwesen sowie um die<br />
Förderung von „demokratischer Handlungskompetenz“<br />
und „kritischer Loyalität“ bei <strong>Schüler</strong>innen und<br />
<strong>Schüler</strong>n, aber auch bei Lehrerinnen und Lehrern.<br />
Bei den jährlichen Ausschreibungen beteiligen sich<br />
jeweils ca. 260 vorwiegend schulische <strong>Projekt</strong>gruppen,<br />
also mehr als 1000 <strong>Schüler</strong> aller Schularten und<br />
Schulstufen aus ganz Deutschland. Die hier vorgestellten<br />
<strong>Projekt</strong>e stammen aus den Ausschreibungen 2006<br />
und 2007 und wurden als „Best-Practice-Beispiele“<br />
zusammen mit jeweils rund 50 anderen <strong>Projekt</strong>gruppen<br />
ausgewählt und öffentlich anerkannt.<br />
Weitere Informationen und Kontaktmöglichkeiten:<br />
www.demokratisch-handeln.de.<br />
FOTOS JULIA MUHS / CONRAD-VON-SOEST-GYMNASIUM | TEXT WOLFGANG BEUTEL<br />
Demokratisch Handeln<br />
Das <strong>Sarajevo</strong>-Umwelt-<strong>Projekt</strong><br />
Nachdem die Entwürfe gestaltet und ausgewählt sind,<br />
werden sie auf den Straßenbahnwagen übertragen.<br />
Schließlich gewinnt die Bemalung an Gestalt und auch die Botschaft<br />
wird erkennbar: …<br />
Im <strong>Sarajevo</strong>-Umwelt-<strong>Projekt</strong> geht es um Erziehung zur Verständigung, zum nachhaltigen<br />
Umgang mit der Umwelt und zur Demokratie: Im April 2006 fliegen 16 <strong>Schüler</strong>innen und<br />
<strong>Schüler</strong> dreier <strong>Hamburg</strong>er Schulen – Gesamtschule Stellingen, Ida-Ehre-Gesamtschule<br />
und Gymnasium Corveystraße – nach <strong>Sarajevo</strong>, um mit dem Vierten Gymnasium Ilidza ein<br />
kommunales und ökologisches <strong>Projekt</strong> durchzuführen: Die Gestaltung eines Straßenbahnwagens<br />
mit Werbung für „Mülltrennung und Müllrecycling“ in <strong>Sarajevo</strong>. Die Jugendlichen<br />
setzen sich vor Ort gegen eine Fülle an bürokratischen und technischen Schwierigkeiten<br />
sowie gegen Misstrauen bei den Partnern der Stadtbahn-Unternehmung durch.<br />
Die Fotos dieser Bildstrecke entstammen der<br />
Dokumentation der <strong>Projekt</strong>fahrt vom 23. April bis<br />
7. Mai 2006 nach <strong>Sarajevo</strong> der Gesamtschule<br />
Stellingen. der Ida-Ehre-Gesamtschule und des<br />
Gymnasiums Corveystrasse (Förderprogramm<br />
Demokratisch Handeln, Archiv-Nr. 3/06).<br />
Kontakt: Cläre Bordes und Julia Muhs, Gesamtschule<br />
Stellingen, Brehmweg 60, 22527 <strong>Hamburg</strong>.<br />
Fotos: Julia Muhs<br />
„Rettet die Erde“<br />
– Umweltschutz<br />
dient dem Erhalt<br />
unseres Planeten<br />
und unserer<br />
Lebensgrundlagen.<br />
„Sei doch kein<br />
Feigling, fang an<br />
mit Recycling“<br />
– eine <strong>Schüler</strong>idee<br />
in zwei Sprachen.<br />
26 86 Aus: Friedrich Jahresheft 2009 „Erziehen-Klassen leiten“. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Erhard Friedrich Verlags<br />
87 27
Eine aufregende Zeit!<br />
Nadine Wegner, Gesamtschule Stellingen<br />
Zu Beginn des <strong>Projekt</strong>es und in der Vorbereitungszeit,<br />
stand ich diesem skeptisch gegenüber.<br />
Ich wusste nicht, was mich erwarten und<br />
wer mich in Bosnien begrüßen würde.<br />
In meinem Kopf schwirrten viele Fragen: Vor allem<br />
wie es mit der Verständigung zwischen mir und meiner<br />
<strong>Austausch</strong>partnerin klappen und wie wir uns verständigen<br />
würden. Würden wir uns auch verstehen?<br />
Am Abflugtag war ich sehr aufgeregt. Ich war erleichtert,<br />
als ich herzlich von meiner Gastfamilie und<br />
meiner Partnerin Ana empfangen wurde.<br />
Die Zeit in Bosnien war von vielen neuen Eindrücken<br />
geprägt. Trotz des Krieges sah die Stadt in vielen Teilen<br />
wie unberührt aus. Vereinzelt entdeckte ich Ruinen.<br />
Mich befiel das Gefühl, dass in Bosnien die Zeit<br />
viel langsamer läuft. Die Menschen sind in ihrer Mentalität<br />
wesentlich ruhiger und entspannter als wir. Es<br />
ist schwierig sie aus der Ruhe zu bringen, das Wort<br />
„Beeilung“ scheint manchen ein Fremdwort.<br />
Trotz vieler Ausflüge und der zeitintensiven Arbeit an<br />
den Graffiti hatten wir in <strong>Sarajevo</strong> genügend Freizeit,<br />
die wir ganz unterschiedlich nutzten.<br />
Die Ausflüge haben mir sehr gut gefallen. Besonders<br />
viel Spaß hatte ich in Mostar und bei dem anschließenden<br />
Baden am Wasserfall Kravice. So einen großen<br />
Wasserfall hatte ich zuvor noch nie gesehen.<br />
Dieser <strong>Austausch</strong> bedeutete für mich ein tolles Erlebnis,<br />
welches ich jederzeit wieder mitmachen würde.<br />
Meine Eindrücke aus<br />
<strong>Sarajevo</strong><br />
Manja Buchmann, Gesamtschule Stellingen<br />
Als ich mich für dieses <strong>Projekt</strong> meldete, dachte<br />
ich: „Ist ja vielleicht mal eine schöne Erfahrungen,<br />
so eine zum Teil noch zerstörte Stadt<br />
zu erkunden“.<br />
Doch als ich dort ankam und die ersten Eindrücke<br />
wahr nahm, empfand ich alles komplett anders, als<br />
ich es mir vorgestellt hatte. <strong>Sarajevo</strong> ist eine wunderschöne<br />
Stadt, in der man die Spuren vom Krieg<br />
nur selten wirklich wahrnimmt. Wenn man zerbombte<br />
und zerschossene Häuser sieht, empfindet man sie<br />
nicht als schlimm, sondern eher mit einer gewissen<br />
Bewunderung. Die besondere Ästhetik der zerstörten<br />
Gebäude ist nur schwer zu beschreiben.<br />
Ich habe das <strong>Projekt</strong> in <strong>Sarajevo</strong>, trotz der manchmal<br />
echt harten Arbeit (wegen der Hitze), eher als Urlaub<br />
empfunden. Die Arbeit mit Darco war super interessant,<br />
obwohl ich ihn anfangs eher als ernsten und<br />
strengen Menschen sah, was sich später definitiv<br />
nicht bestätigte.<br />
Je mehr Zeit wir an beiden <strong>Projekt</strong>en, sowohl hier in<br />
<strong>Hamburg</strong>, als auch in <strong>Sarajevo</strong>, verbrachten, desto<br />
mehr tauten alle auf und wir hatten echt viel Spaß.<br />
Das Graffito hier in <strong>Hamburg</strong> war nicht so ganz mein<br />
Ding. Ich finde es ist super toll geworden und strahlt<br />
auch eine Präsenz aus, aber ich war nicht so involviert,<br />
wie bei der Gestaltung in <strong>Sarajevo</strong>. In <strong>Sarajevo</strong><br />
hatte ich meine eigene kleine Fläche, an der mir das<br />
Arbeiten von Minute zu Minute mehr Freude brachte.<br />
Inzwischen kann ich sagen, dass ich von Graffiti richtig<br />
begeistert bin und zum Beispiel auch ganz anders<br />
schaue, wenn ich irgendwo an einem vorbeigehe. Ich<br />
gucke ich es mir mit ganz anderen Augen an.<br />
Im Großen und Ganzen kann ich sagen, es waren die<br />
richtigen Leute, der passende Künstler und das richtige<br />
<strong>Projekt</strong> zu der richtigen Zeit am richtigen Ort.<br />
Ich selber denke, ich habe schöne Erfahrungen mitgenommen<br />
und der <strong>Austausch</strong> mit Bosnien-<strong>Sarajevo</strong><br />
hat mir mehr gebracht, als ich höchstwahrscheinlich<br />
aus einem <strong>Austausch</strong> mit England oder mit einem anderen<br />
europäischen Land gezogen hätte.<br />
Ich habe mich auch persönlich verändert. Ich kann<br />
nicht genau beschreiben wie,<br />
aber ich merke es selber und mir auch schon von<br />
anderen Menschen gesagt,<br />
dass ich mich verändert habe, rein charakterlich.<br />
Ich könnte im Nachhinein nicht sagen, ob ich dieses<br />
<strong>Projekt</strong> wieder machen würde, aber eine interessante<br />
Erfahrung war es auf jeden Fall, die mich nicht<br />
nur verändert hat, sondern, die ich auch nie vergessen<br />
werde.<br />
Eine ganz neue Erfahrung<br />
Sören Manuel Bach, Gesamtschule Stellingen<br />
Eigentlich wollte ich nicht an diesen <strong>Austausch</strong><br />
teilnehmen. Ich hatte zwar großes Interesse<br />
an diesem <strong>Projekt</strong>, allerdings hatte ich auch<br />
ziemlich viele Bedenken. So hatte ich mich zunächst<br />
nicht beworben. Dann, ungefähr vier Wochen später,<br />
habe ich von Justin, meinem Freund, der auch<br />
an diesem <strong>Projekt</strong> teilgenommen hat, erfahren, dass<br />
jemand von Ida-Ehre, der an diesem <strong>Austausch</strong><br />
teilnehmen wollte, abgesprungen war. Nun hatte<br />
ich die Chance, doch noch teilzunehmen. Diesmal<br />
war ich noch unschlüssig und habe den freien Platz<br />
dann doch nicht genommen. Ungefähr eineinhalb<br />
Monate vor dem <strong>Austausch</strong> war noch einmal ein<br />
<strong>Schüler</strong> vom <strong>Austausch</strong> abgesprungen und ich hatte<br />
wieder die Chance, teilnehmen zu können. Da habe<br />
ich gedacht: „Es soll so sein.“<br />
Ich habe einen Tag später eine E-Mail an Frau Bordes<br />
geschrieben und gefragt, ob der freigewordene Platz<br />
noch frei. Ich habe die Unterlagen ausgefüllt und sie<br />
am nächsten Tag in der Schule abgegeben. Nun war<br />
ich Teilnehmer dieses <strong>Austausch</strong>es und war auch<br />
sehr glücklich darüber, dass es geklappt hat. So eine<br />
Chance bekommt man nicht häufig, ein neues Land<br />
und eine neue Kultur und Mentalität kennen zu lernen.<br />
Dann war es soweit: Der Tag des Flugs nach Bosnien<br />
und Herzegowina. Ich war ziemlich aufgeregt, denn<br />
es war auch gleichzeitig mein erster Flug überhaupt.<br />
Am Abflugstag kamen (leider) wieder alle Bedenken<br />
hoch: Werde ich mit meinen <strong>Austausch</strong>partner klarkommen?<br />
Werde ich mit meiner neuen Gastfamilie<br />
zurechtkommen? Auch während des Fluges haben<br />
mich diese Bedenken nicht losgelassen bis du dem<br />
Zeitpunkt, als wir in <strong>Sarajevo</strong> landeten.<br />
Am Ausgang des Terminals warteten bereits ungeduldig<br />
alle bosnischen <strong>Schüler</strong> und ihre Eltern um<br />
ihre <strong>Austausch</strong>partner/partnerinen zu empfangen.<br />
Ich guckte mich um und sah, dass Dino, mein <strong>Austausch</strong>partner,<br />
ein Schild mit meinem Name in der<br />
Hand hielt. Ich war erleichtert und alle meine Bedenken<br />
waren auf einmal nicht mehr da. Ich kam mit<br />
Dino und seiner Familie sehr gut zurecht. Auch die<br />
Kommunikation verlief reibungslos, es sprach zwar<br />
niemand Deutsch in der Familie, aber mit Englisch lief<br />
es, wie schon gesagt, ohne Probleme. Ich war wirklich<br />
sehr froh, dass mich die Familie mit großer Gastfreundschaft<br />
aufgenommen hat. Ich habe durch meinen<br />
<strong>Austausch</strong>partner viel über das Leben in einem<br />
vom Krieg gezeichneten Land erfahren. Viele Häuser<br />
sind immer noch komplett oder teilweise vom Krieg<br />
zerstört und immer noch unbewohnbar. Ich habe erfahren,<br />
dass die Menschen in Bosnien gastfreundlicher<br />
sind als in Deutschland.<br />
Besonders interessant fand ich den Besuch des<br />
Tunnelmuseums, wo ich viel über den Bosnienkrieg<br />
erfahren habe, es hat mich aber auch gleichzeitig<br />
sehr nachdenklich und betroffen gemacht. Die Stadt<br />
Mostar faszinierte mich sehr, besonders interessant<br />
aber die Altstadt mit der wiederhergestellten alten<br />
Brücke.<br />
Auch die Zeit in <strong>Hamburg</strong> fand ich sehr gut. Ich habe<br />
viel mit Dino unternommen und ihm <strong>Hamburg</strong> gezeigt.<br />
Wir hatten sehr viel Spaß miteinander.<br />
Der <strong>Austausch</strong> hat mir wirklich sehr gefallen und es<br />
war eine tolle und neue Erfahrung für mich.<br />
In <strong>Sarajevo</strong> fließt das<br />
Leben gelassen<br />
Thomas Hirt, Gesamtschule Stellingen<br />
Ich erinnere mich noch genau, wie wir in <strong>Sarajevo</strong><br />
am Flughafen ankamen. Nicht nur für mich war es<br />
der erste Flug im bisherigen Leben.<br />
Unsere <strong>Austausch</strong>familien warteten schon auf uns.<br />
Wir waren todmüde von der anstrengenden Reise,<br />
konnten zunächst kaum folgen und bekamen nicht<br />
richtig mit was los war.<br />
Ich verbrachte die ersten Nächte nicht bei jüngeren<br />
Bruder noch am Meer in Kroatien war. Ich war zunächst<br />
enttäuscht aber als Tarek und ich uns trafen,<br />
verstanden wir uns auf Anhieb. Es gab zwar anfangs<br />
noch kleine Verständnisprobleme, aber die waren<br />
schnell vergessen. Tarek machte mich mit seinen<br />
Freunden bekannt. Wir wohnten am anderen Ende<br />
der Stadt und musste immer ca. 30 Minuten zur<br />
Schule fahren und das bei der Hitze.<br />
Dafür war es abends um so angenehmer. Meine Gastfamilie<br />
hat mich herzlich empfangen und sich immer<br />
um mich gekümmert.<br />
Ich denke gern zurück an die Zeit in <strong>Sarajevo</strong>, vor<br />
allem, wenn ich nach der Schule nach Hause fahre<br />
und dem täglichem Stress und der Hektik in Deutschland<br />
begegne.In <strong>Sarajevo</strong> fließt das Leben gelassen<br />
und die Leute, dich ich getroffen habe, haben mich<br />
auch gleich in ihre Gruppe aufgenommen, manche<br />
auch auf ihre spezielle Art und Weise, aber ich hatte<br />
nie das Gefühl nicht willkommen zu sein.<br />
Ausflug nach Mostar und<br />
Baden in den Wasserfällen<br />
Jana Kohlmüller, Ida Ehre Gesamtschule<br />
Wenn ich an die zwei Wochen unseres <strong>Austausch</strong>s<br />
zurückdenke, erinnere ich mich an<br />
viele schöne Dinge, die wir erlebt haben und<br />
an die neuen Erfahrungen, die ich gesammelt habe.<br />
Besonders schön empfand ich den Tag, an dem wir<br />
nach Mostar gefahren sind und unter Wasserfällen<br />
gebadet haben.<br />
An diesem Morgen mussten wir unglaublich früh aufstehen,<br />
da wir eine 3-stündige Busfahrt vor uns hatten.<br />
Fast alles aus unserer Gruppe nutzten die Zeit,<br />
um im Bus zu schlafen, ich natürlich auch.<br />
Endlich in Mostar angekommen, zogen wir mit der<br />
gesamten Gruppe los. Es war ziemlich heiß. Wir<br />
schauten uns Kriegsruinen an, die die schwere Zeit<br />
während des Krieges erahnen ließen. Gut gefallen<br />
hat mir, dass uns die Lehrer und einige bosnische<br />
<strong>Austausch</strong>schüler etwas dazu erzählt haben. Nach<br />
diesen eher schockierenden Bildern machten wir uns<br />
auf den Weg in die Innenstadt Mostars. Diese war, anders<br />
als bei uns, eher von kleinen Häusern gesäumt<br />
und auch sonst recht übersichtlich. Wir bummelten in<br />
kleinen Gruppen durch die Gassen und Straßen und<br />
schauten uns Souvenir-Läden und andere Geschäfte<br />
an. Zwischendurch machten wir Eis- und Trinkpausen,<br />
da die Hitze an dem Tag nicht gut auszuhalten<br />
war.<br />
Gut gefallen hat mir ein Café, welches in einer Höhle<br />
war und in dem wir uns abkühlten, bevor es zurück<br />
zum Bus ging. Bis auf meine Gruppe, haben danach<br />
dann eigentlich alle unproblematisch den Bus wiedergefunden.<br />
Plötzlich entstand im Bus eine ziemliche<br />
28 29
Aufregung, da wir eigentlich ans Meer fahren wollten<br />
und uns mitgeteilt wurde, dass das doch nicht geht,<br />
da nicht alle ihr Ausweise dabei hatten. Die kroatische<br />
Grenze kann man nur mit gültigem Pass überqueren.<br />
Mit zunächst ziemlich schlechter Stimmung sind wir<br />
dann schließlich zu einer Quelle losgefahren.<br />
Dort angekommen, fielen uns allerdings fast die Augen<br />
aus dem Kopf, da der Anblick wirklich gigantisch<br />
war:<br />
Die Quelle war nicht nur ein kleiner abgestandener<br />
Tümpel; nein, in ihr endeten mehrere Wasserfälle<br />
und das Wasser war richtig klar und erfrischend. Vier<br />
Stunden haben wir uns dort die Zeit vertrieben mit<br />
Schwimmen, im Wasserfall duschen, auf Felsen klettern<br />
und runterspringen, Wasserschlachten und Sonnen.<br />
Es war wirklich toll und ich hätte auch gut noch<br />
länger bleiben können.<br />
Auf dem Rückweg nach <strong>Sarajevo</strong> und zu unseren<br />
Gastfamilien haben wir uns schließlich noch eine kleine<br />
Stadt angeschaut und sind etwas Essen gegangen.<br />
Im Bus wurde (wahrscheinlich vor Erschöpfung)<br />
auch nur noch leise geredet...<br />
Dieser Tag war zurückblickend einer der schönsten<br />
für mich, da ich viel Neues gesehen habe, aber auch<br />
neue Leute noch etwas besser kennen gelernt habe.<br />
Wenn ich jetzt im Nachhinein über den <strong>Austausch</strong><br />
nachdenke, werde ich etwas wehmütig und finde es<br />
sehr schade, dass alles schon vorbei ist.<br />
Dennoch bin ich zuversichtlich, dass ich meine <strong>Austausch</strong>partnerin<br />
Mirella bald irgendwie wiedersehen<br />
werde.<br />
Ich bin froh, dass ich an dem <strong>Austausch</strong> nach Bosnien,<br />
teilgenommen habe. Es war eine sehr wertvolle<br />
Erfahrung.<br />
Berichte<br />
bosnischer<br />
<strong>Schüler</strong><br />
Ich war im Reichstags-<br />
gebäude!<br />
Aida Bilal, <strong>Austausch</strong>schülerin von Manja<br />
Buchmann<br />
Unser <strong>Projekt</strong> war für die <strong>Schüler</strong> aus Bosnien<br />
und Herzegovina und aus Deutschland<br />
sehr wichtig. Mit diesem <strong>Projekt</strong> bekamen wir<br />
die Chance, neue Leute und eine andere Kultur kennen<br />
zu lernen. Ich konnte jedenfalls mein Deutsch<br />
verbessern. Unsere Graffiti Aktion fand ich sehr gut.<br />
Wir haben gemeinsame Graffiti und mehrere Kleingruppengraffiti<br />
an die Fassade unserer Schule gesprayt.<br />
Das Thema war “Zukunftsvisionen – Müll<br />
trennen, vermeiden und recyceln“.<br />
Die Arbeit an den Graffiti war sehr spannend.<br />
Ein erfahrener Graffiti-Künstler aus Frankreich, Darco,<br />
hat uns geholfen. In Bosnien und Herzegovina besuchten<br />
wir die Bosna Quelle, das Tunnelmuseum,<br />
die Redaktion der größten Tageszeitung auf dem Balkan<br />
„Avaz“ , die Altstadt von <strong>Sarajevo</strong>, die Altstadt<br />
von Mostar, den Wasserfall Kravice...<br />
In Deutschland gefielen mir am besten der <strong>Hamburg</strong>er<br />
Hafen und die Hauptstadt Berlin. Ich bin stolz darauf,<br />
dass ich im Reichstagsgebäude war. Die Familie,<br />
bei der ich war, ist sehr nett. Ich bin froh, dass<br />
ich ein Teil dieses <strong>Projekt</strong>s war.<br />
Die <strong>Hamburg</strong>er <strong>Schüler</strong> bei<br />
uns zu Gast in <strong>Sarajevo</strong><br />
Edin Kulovic, Viertes Gymnasium, <strong>Sarajevo</strong><br />
Am Montagmorgen sind wir um 10 Uhr mit unseren<br />
<strong>Austausch</strong>schülern zur Bosna Quelle<br />
gegangen. Nachdem wir in einem Cafe in der<br />
Nähe etwas getrunken haben, sind wir mit einer Kutsche<br />
wieder in die Stadt zurückgefahren. Es hat Spaß<br />
gemacht. Den Rest des Tages hatten wir Freizeit. Ich<br />
zeigte meinem <strong>Austausch</strong>schüler Justin die Stadt.<br />
Am Abend haben wir uns mit ein paar anderen in<br />
eine Bar gesetzt und ein wenig gefeiert.<br />
Am Dienstag haben wir uns um halb elf vor der<br />
Schule getroffen und über ein Problem gesprochen,<br />
welches eine unserer <strong>Austausch</strong>schülerinnen hatte.<br />
Danach haben wir den Kriegstunnel in <strong>Sarajevo</strong> (Butmir)<br />
besucht, das war interessant und ein bisschen<br />
schockierend für unsere Freunde aus <strong>Hamburg</strong>, da<br />
diese den Krieg nicht mitbekommen haben.<br />
Ab 12 Uhr haben wir dann einen Teil der Schulwand<br />
weiß angemalt (grundiert), damit wir am Mittwoch ein<br />
Graffito darauf sprühen konnten. Den Rest des Tages<br />
haben wir in der Stadt verbracht.<br />
Am Mittwoch haben wir uns um 8 Uhr getroffen, um<br />
an unseren Ideen für die Graffiti zu arbeiten. Danach<br />
hat die Hälfte angefangen zu sprühen und die andere<br />
Hälfte war in Ilidzas Rathaus.<br />
Am Abend holte uns ein Doppeldeckerbus für eine<br />
Stadtrundfahrt ab. Diese war nicht nur für unsere<br />
Freunde aus <strong>Hamburg</strong> sehr interessant. Am Abend<br />
haben wir das erste Mal alle zusammen in der alten<br />
Franziskaner Brauerei gegessen.<br />
Am Donnerstag arbeiteten wir weiter an den Graffiti.<br />
Es war so super. Dann haben wir mit unseren Freunden<br />
aus Deutschland die Redaktion der „Avaz“ besucht.<br />
Dort sprachen wir mit Journalisten. Für mich<br />
war das ein bisschen langweilig aber egal...es war<br />
ja für unsere Freunde! Am Abend sind wir in die Stadt<br />
gegangen und es war sehr interessant.<br />
Freitag fuhren wir mit dem Bus nach Mostar. Es war<br />
so heiß! Um 20 Uhr waren alle todmüde... Wir haben<br />
auch wunderschönen Wasserfälle von Kravice besucht<br />
und sind dort geschwommen, haben die wunderschöne<br />
Natur genossen und haben einfach den<br />
tollen Tag genossen! Am Samstag haben wir gearbeitet<br />
und am Abend wir so lange getanzt . Wir waren<br />
alle traurig, weil es unser letzter Abend in <strong>Sarajevo</strong><br />
war. Am Sonntag mussten wir zum Flughafen gegangen<br />
und flogen mit unseren neuen Freunden nach<br />
<strong>Hamburg</strong>.<br />
<strong>Hamburg</strong><br />
Edin Kulovic, Viertes Gymnasium, <strong>Sarajevo</strong><br />
During our stay in <strong>Hamburg</strong>, we have done so<br />
many beautiful things which will be a fantastic<br />
memories for our whole life. During my last<br />
time in <strong>Hamburg</strong> I had fantastic time, but this one<br />
was much more better ond much more interesting.<br />
Me and my exchange partner Justin did so many<br />
crazy things together. Eventhough we have spent so<br />
much time together, it was not enough.<br />
I can not wait until We have also visit a lot of beautiful<br />
places in <strong>Hamburg</strong> and also in Berlin.<br />
In <strong>Hamburg</strong> I met so many new friends, I still stay in<br />
contact with all of them. For me this kind of exchange<br />
is very interesting and also very good for all of us<br />
because we have learned so many about German<br />
culture and German language.I really hope that this<br />
project will continue, and that lot of other teenagers<br />
and kids will enjoy same like I did.<br />
<strong>Hamburg</strong> ist tief eingeschnitten<br />
in mein Herz<br />
Enida Colo, Viertes Gymnasium <strong>Sarajevo</strong><br />
Tage, die ich in <strong>Hamburg</strong> mit <strong>Schüler</strong>n aus <strong>Sarajevo</strong><br />
und <strong>Hamburg</strong> erlebt habe, bleiben bei mir<br />
in tiefer Erinnerung.<br />
Dieses <strong>Projekt</strong> ist sehr lehrreich und ich denke,<br />
dass es noch mehr ähnliche <strong>Projekt</strong>e geben sollte.<br />
Ich muss zugeben, dass ich sehr zufrieden die vierzehn<br />
Tage mit Freunden aus der Schule aber auch<br />
Freunden aus <strong>Hamburg</strong> verlebt habe. Es war mein<br />
Wunsch, fremde Kultur, Tradition und Sprache kennen<br />
zu lernen.<br />
In meiner Gastfamilie waren alle sehr freundlich und<br />
sie haben mich sehr herzlich willkommen geheißen.<br />
Das Grafitti –Sprayen war sehr interessant, denn es<br />
war das erste Mal, dass ich Grafitti gezeichnet habe.<br />
Mir hat das Grafitti – Sprayen und -Entwerfen Spaß<br />
gemacht. <strong>Hamburg</strong> war für mich sehr aufregend.<br />
Von den Besuchen haben mir am meisten Berlin und<br />
das Baden an den Wasserfällen von Kravice gefallen.<br />
Das Nachtleben in <strong>Hamburg</strong> ist sehr interessant aber<br />
auch anstrengend.<br />
Es unterscheidet sich sehr von unserem.<strong>Hamburg</strong> ist<br />
eine gute Stadt für Shopping. <strong>Hamburg</strong> hat sich in<br />
mein Herz tief eingeschnitten, der <strong>Austausch</strong> ist unvergesslich!<br />
Da bleiben mir nur gute Gedanken an die<br />
schöne Zeit in <strong>Sarajevo</strong> und <strong>Hamburg</strong>!<br />
30 31
Mein Leben begann mit<br />
einer Lüge<br />
Interview mit Freimut Duve von Wolfgang Weirauch<br />
Freimut Duve, geb. am 26. November 1936 in<br />
Würzburg, aufgewachsen in <strong>Hamburg</strong>; verheiratet,<br />
drei Kinder. Waldorfschule in <strong>Hamburg</strong>,<br />
1956 Abitur an der Waldorfschule in Stuttgart. Studium<br />
in <strong>Hamburg</strong>: Geschichte (Schwerpunkt Überseegeschichte),<br />
Anglistik und Soziologie. 1959/1960<br />
Vertreter einer deutschen Flugreisegesellschaft in<br />
Nordafrika. 1961 Forschungsaufenthalt zum Studium<br />
britischer Kolonialgeschichte in Südafrika und<br />
Simbabwe. Während des Studiums journalistische<br />
Tätigkeit. Seit 1962 Mitaufbau der Deutsch-Kurse für<br />
Gastarbeiter (VHS). 1965 hauptamtlicher Betreuer für<br />
ausländische Studenten an der Universität <strong>Hamburg</strong>.<br />
1966 bis 1969 Persönlicher Referent des <strong>Hamburg</strong>er<br />
Wirtschaftssenators. 1969/1970 politischer Redakteur<br />
beim Stern. 1970 bis 1989 Lektor im Rowohlt Verlag<br />
und Herausgeber der politischen Buchreihe rororoaktuell.<br />
1975 Gründung der Vierteljahresschrift „Technologie<br />
und Politik“. 1990 bis 1992 Herausgeber der<br />
Reihe „Luchterhand Essay“. 1975 bis 1980 Mitglied<br />
des Rundfunkrates des NDR. Mitglied der IG Druck<br />
und Papier. Mehrere Vortragsreisen in die USA, in arabische<br />
Länder, in Afrika und in Mexiko. 1966 Mitglied<br />
der SPD; 1974 bis 1989 Mitglied des <strong>Hamburg</strong>er Landesvorstandes.<br />
Mitglied des Bundestages von 1980<br />
bis 1998. Von 1998 bis Dezember 2003 erster Beauftragter<br />
für die Freiheit der Medien der OSZE (Organisation<br />
für Sicherheit und ZUSAmmenarbeit in Europa)<br />
mit Sitz in Wien.<br />
Veröffentlichungen:<br />
– 1965: Kap ohne<br />
Hoffnung oder die<br />
Politik der Apartheid<br />
(Hrsg.)<br />
– 1968: Die Restauration<br />
entläßt<br />
ihre Kinder (Hrsg.)<br />
– 1970: Der Rassenkrieg<br />
findet<br />
nicht statt. Entwicklungspolitik<br />
zwischen Angst<br />
und Armut<br />
– 1986: Aufbrüche<br />
(Hrsg.)<br />
– 1994: Vom Krieg<br />
in der Seele<br />
N o r m a l e r w e i s e<br />
gehört die Geburt<br />
eines Kindes zur<br />
größten Freude<br />
der Eltern, der<br />
Angehörigen und<br />
Freunde. Aber<br />
wenn das Leben<br />
eines Kindes mit<br />
einer Lüge beginnt,<br />
wenn es zum<br />
eigenen Schutz<br />
vor einer feindlichen<br />
Welt von<br />
Mitmenschen verborgen<br />
werden<br />
muß, dann fällt auf<br />
ein solches Schicksal so etwas wie ein Schatten des<br />
Kindermordes von Herodes.<br />
Freimut Duve war es, dessen Leben mit einer Lüge<br />
seiner Mutter beginnen mußte. Unter äußerlich<br />
schwierigsten Bedingungen opferte sie alles, damit<br />
er seinen Weg finden konnte. Und so wurde Freimut<br />
Duve schon frühzeitig eine Kämpfernatur, die sich allein<br />
und mit dem Mut eines freien Geistes ihren Lebensweg<br />
eroberte.<br />
Als Waldorfschüler, Publizist, Bundestagsabgeordneter<br />
und als Repräsentant der OSZE für die Freiheit<br />
der Medien schaute er immer den Mächtigen auf die<br />
Finger, spürte Unrecht in der Welt auf, setzte sich für<br />
die Unterdrückten ein und kämpfte leidenschaftlich<br />
gegen jede Form des Rassismus. Nicht selten wurde<br />
er damit zum unbequemen Mahner und unüberhörbaren<br />
Partner.<br />
Lesen Sie im nachstehenden Interview über Freimut<br />
Duves Schicksal, seinen Einsatz in der Welt und über<br />
verschiedene Lügen in der Politik, speziell bei der<br />
Vergangenheitsbewältigung verschiedener Völkermorde<br />
in der jüngeren Geschichte.<br />
Wolfgang Weirauch: Was ist eine Lüge, speziell<br />
eine politische Lüge?<br />
Freimut Duve: Die Lüge ist in der Kultur, die sich der<br />
Wahrheit verschrieben hat, nicht erlaubt. Trotzdem ist<br />
die politische Nicht-Wahrheit in verschiedenen Situationen<br />
dringend erforderlich. Aber ich muß von dem<br />
verlangen, der in einer bestimmten Situation nicht<br />
die Wahrheit aussprechen kann, daß er einen Unterschied<br />
zwischen der Gruppe, der er angehört, und<br />
der breiten Öffentlichkeit macht. Es gibt Situationen,<br />
in denen man die Wahrheit nicht in der Öffentlichkeit<br />
sagen kann. Darüber hinaus gibt es natürlich die historische<br />
und die religiöse Lüge, die ein Monument<br />
gegen die Wahrhaftigkeit sind. Die Wahrhaftigkeit<br />
muß letztendlich immer die Oberhand behalten.<br />
Politiker als Sündenböcke<br />
W.W.: Warum wird Politikern so oft vorgeworfen,<br />
daß sie lügen? Beruht das auf einem Vorurteil,<br />
oder liegt es daran, daß in der Politik oft gelogen<br />
wird?<br />
F. Duve: Nach meiner Erfahrung ist es eher ein Vorurteil.<br />
Hinzu kommt, daß derjenige, der den Politikern<br />
eine Lüge vorwirft, davon ausgeht, daß er selbst niemals<br />
lügt. Denn Politiker dienen auch als Bewußtseinsschirm<br />
großer Schichten von Bürgern, die sich<br />
individuell entlasten möchten. Insofern dienen die<br />
Politiker als Sündenböcke.<br />
Die Politiker sind die einzige Berufsgruppe, die sich<br />
alle vier Jahre zur Weiterführung ihres Berufes der Öffentlichkeit<br />
stellen müssen. Deshalb müssen sie mit<br />
großer Obacht darauf achten, wie sie sich der Öffentlichkeit<br />
präsentieren. Das muß man als Politiker erst<br />
einmal lernen, und das kann nicht jeder sofort. Es hat<br />
auch etwas mit der modernen Technologie zu tun<br />
und mit der Veränderung der Wortbedeutung durch<br />
die Bildbedeutung. Seit es das Fernsehen gibt, hat<br />
das öffentliche Auftreten eine Veränderung erfahren.<br />
Diejenigen, die oftmals auf die Politiker herabsehen,<br />
also z.B. die Firmenchefs großer Weltfirmen, brauchen<br />
sich einer solchen Öffentlichkeit niemals zu<br />
stellen. Und wenn sie dann einmal in das Licht der<br />
Öffentlichkeit geraten – das haben wir gerade mit<br />
Herrn Ackermann von der Deutschen Bank gesehen<br />
–, dann benehmen sie sich oft wie pubertäre Jungs.<br />
In einer anthroposophischen<br />
Buchhandlung<br />
W.W.: Ihre Mutter war Deutsche, Ihr Vater kam aus<br />
dem heutigen Kroatien und war von der Familie<br />
her Jude. Wo haben sich die beiden kennengelernt?<br />
F. Duve: In <strong>Hamburg</strong>. Beide waren Anthroposophen,<br />
wobei mein Vater wohl noch eher Theosoph war. Die<br />
Familie lebte eigentlich im ungarischen Teil Kroatiens,<br />
und er war aufgrund einer Indienreise in seinen<br />
Neigungen sehr theosophisch geworden. Von dieser<br />
32 33
Reise kam er über <strong>Hamburg</strong> zurück und lernte meine<br />
Mutter in einer anthroposophischen Buchhandlung<br />
kennen. Die alte Dame, die diesen Buchladen führte,<br />
hat mich später einmal darauf angesprochen, ob<br />
ich eigentlich wisse, daß meine Eltern sich in ihrem<br />
Buchladen kennengelernt hätten.<br />
W.W.: War Ihr Vater nun kroatischer oder deutscher<br />
Jude?<br />
F. Duve: Das kann man nicht so genau bestimmen.<br />
Es war eine sehr große Familie, und zwar die Familie<br />
Herzl. Mein Vater Bruno Herzl war ein Großneffe von<br />
Theodor Herzl. Das war eine große österreichischungarische<br />
Familie. Aber das wichtigste Kulturelement<br />
dieser Familie war immer deutsch. Später habe<br />
ich einen überlebenden Bruder meines Vaters, der<br />
über Israel nach New York ausgewandert war, getroffen,<br />
und er hat mir ein altes Buch meiner Familie vermacht,<br />
einen Knigge aus dem Jahre 1806. An diesem<br />
Buch und auch an anderen Büchern, die mein Onkel<br />
nach 1945 retten konnte, sah man, daß in dieser Familie<br />
das deutsche Kulturleben lebte.<br />
Mein Leben begann mit<br />
einer Lüge<br />
W.W.: War es zwischen Ihren Eltern eine richtige<br />
Liebesbeziehung oder nur eine flüchtige Bekanntschaft?<br />
F. Duve: Das weiß ich nicht. Während der Nazi-Zeit<br />
hat meine Mutter niemals mit mir darüber sprechen<br />
können. Insofern begann mein Leben mit einer Lüge.<br />
Wegen der Nürnberger Gesetze mußte sie meine Abstammung<br />
vollkommen geheimhalten.<br />
W.W.: Wie hat Ihre Mutter ihre Schwangerschaft,<br />
auch vor ihren Eltern, verheimlicht, und wie hat sie<br />
die letzten Monate bis zu Ihrer Geburt verlebt?<br />
F. Duve: Meine Mutter war schon einmal in den 20er<br />
Jahren vor ihrer Familie geflüchtet und hatte in England<br />
zu studieren begonnen. Sie hatte eine Tante, die<br />
auch studiert hatte und die sie sehr bewunderte, und<br />
dieser Tante hat sie gleich von ihrer Schwangerschaft<br />
erzählt. Mein Vater selbst mußte <strong>Hamburg</strong> schon<br />
sehr bald wegen der Nürnberger Gesetze verlassen.<br />
Er hatte in Deutschland keine Chance.<br />
Meine Mutter hat <strong>Hamburg</strong> im vierten oder fünften<br />
Monat ihrer Schwangerschaft heimlich verlassen und<br />
ist zu einer Hebamme nach Würzburg gefahren, die<br />
ihre Tante für sie herausgefunden hatte. Diese Hebamme<br />
wußte nichts über meine jüdische Abstammung,<br />
aber sie wußte, daß diese Schwangerschaft<br />
und die Geburt geheimgehalten werden sollten. Ich<br />
nehme sogar an, daß meine Mutter anfangs bei der<br />
Hebamme gewohnt hat. Sie lebte dort in großer Einsamkeit,<br />
in einer Stadt, die sie überhaupt nicht kannte<br />
und wo sie mit niemandem über ihre Schwangerschaft<br />
sprechen konnte. Dort hat sie dann etwa fünf<br />
Monate auf meine Geburt gewartet.<br />
W.W.: Wie kamen Sie zu Ihrem Vornamen?<br />
F. Duve: Eigentlich hatte meine Mutter ein Mädchen<br />
erwartet, aber als es dann ein Junge wurde, hatte sie<br />
für ihn keinen Namen. Die Hebamme schlug dann vor<br />
– genauso hat es mir meine Mutter erzählt –, daß sie<br />
mich doch Helmut nennen solle, da ihr Sohn auch<br />
Helmut heiße. Es war etwa eine Stunde nach meiner<br />
Geburt. Meine Mutter lag im Bett, und in dem Moment<br />
beschloß sie, daß ich Freimut heißen solle. Diesen<br />
Namen hatte sie noch nie gehört, denn sie hatte<br />
ihn sich ausgedacht.<br />
W.W.: Sind Sie der einzige, der so heißt?<br />
F. Duve: Es gibt mittlerweile einige, die ihre Kinder<br />
so genannt haben; wahrscheinlich seitdem ich publiziere.<br />
Und dann gibt es noch im norddeutschen<br />
Raum einige, die Freimuth heißen.<br />
W.W.: Ihr Leben begann mit einer Lüge. Schildern<br />
Sie bitte diese Lüge Ihrer Mutter etwas genauer.<br />
F. Duve: Kurz nach meiner Geburt kam ein Standesbeamter<br />
und wollte mich registrieren. Meine Mutter<br />
hatte in die Geburtsurkunde „Vater unbekannt“ aufnehmen<br />
lassen, was sie seelisch sehr aufgewühlt<br />
und mitgenommen hat. Das mußte sie aber zu meiner<br />
Rettung so niederlegen, denn sonst wäre ich in<br />
großer Gefahr gewesen, da ich nach Aufstellung der<br />
Nürnberger Gesetze geboren wurde.<br />
Die Nürnberger Gesetze machten aus den „Halbjuden“<br />
„Volljuden“; das sind natürlich Nazi-Wörter,<br />
die ich nicht akzeptiere. Meine Mutter wußte, daß<br />
sie keinen Fehler machen durfte, denn wenn mein<br />
Vater identifiziert worden wäre, dann wäre ich dran<br />
gewesen. Was mit mir, dem „Volljuden“, geschehen<br />
könnte, war ihr damals wohl noch nicht klar, auf jeden<br />
Fall aber, daß ich von ihr getrennt und in ein Lager<br />
gebracht worden wäre. Bis zum Mai 1945 habe<br />
ich demzufolge nicht gewußt, wer mein Vater ist. Sie<br />
sagte mir immer nur, daß sie meinen Vater kenne und<br />
wisse, wo er sei.<br />
W.W.: Haben Sie in diesen ersten neun Lebensjahren<br />
bei Ihrer Mutter gelebt?<br />
F. Duve: Meist nur am Wochenende. Über neun Jahre<br />
wurde ich mehr oder weniger in verschiedenen Kinderheimen<br />
versteckt. Meine Mutter hatte ein kleines<br />
Wochenendhäuschen in Rissen. Sie war berufstätig,<br />
mußte bis Sonnabendmittag arbeiten, und dann holte<br />
sie mich aus dem jeweiligen Kinderheim ab. Manchmal<br />
war ich auch in ihrer Einzimmerwohnung in<br />
Eimbsbüttel, wo ich auch verschiedene Luftangriffe<br />
miterlebte.<br />
Meine Mutter floh von zu<br />
Hause<br />
W.W.: Wie haben Ihre Großeltern auf Ihre Geburt<br />
reagiert?<br />
F. Duve: Sehr problematisch. Mein Großvater wurde<br />
im Ersten Weltkrieg durch einen französischen Gasangriff<br />
verletzt und war zeitweise erblindet. Nach<br />
seiner Genesung wurde er zu einem radikalen Nazi,<br />
gleichzeitig zu einem erfolgreichen Kaufmann. Er<br />
gründete mit einigen Kollegen die NSDAP in Altona.<br />
Altona war damals fast eine Nazi-Stadt geworden.<br />
Natürlich hat meine Mutter niemals mit ihren Eltern<br />
über ihre Schwangerschaft und meinen Vater gesprochen.<br />
Sie lebte damals schon nicht mehr bei ihren<br />
Eltern, war berufstätig und sorgte immer dafür,<br />
daß sie ihr eigenes Geld verdiente. Sie war die beste<br />
<strong>Schüler</strong>in auf einem Altonaer Lyceum, aber ihre Eltern<br />
verboten ihr, Abitur zu machen, und so floh sie<br />
von zu Hause.<br />
Nach dem Willen ihrer Eltern sollte sie kochen lernen,<br />
womit sie vor ihrer Flucht auch kurz begonnen hat. Bei<br />
einem ihrer Kochkurse lernte sie ihre zeitlebens beste<br />
Freundin kennen, der es genauso erging, einer Tochter<br />
aus einer Unternehmerfamilie aus Finkenwerder.<br />
Diese Frauen hatten es damals wahrlich nicht leicht.<br />
Beide haben bei ihren Kochkursen aus Protest oft die<br />
Suppe verkocht oder sie über den Herd gespült.<br />
Aber kurze Zeit später floh meine Mutter mit wenig<br />
erspartem Geld nach England. Den Koffer, mit dem<br />
sie geflohen ist, habe ich noch heute. Sie wurde von<br />
einer wunderbaren Dame, die m.E. auch Anthroposophin<br />
war, als Aupair-Mädchen nach London vermittelt.<br />
Dort in London gelang es ihr, durch akademische<br />
Nachtarbeit die Aufnahme für die London School of<br />
Economics zu schaffen. Tagsüber arbeitete sie als<br />
Aupair, abends saß sie über ihren Büchern. Auf diesem<br />
Umweg wurde sie Buchhalterin und kehrte später<br />
wieder nach Deutschland zurück. Auch nach meiner<br />
Geburt war sie wieder als Buchhalterin in einem<br />
Steuerberatungsbüro tätig und bestand dann – ich<br />
bin sehr stolz darauf – als eine der ersten Frauen<br />
Deutschlands das Steuerberaterexamen in Berlin.<br />
Das war damals ein schweres Examen. 1947 oder 48<br />
machte sie sich selbständig.<br />
Fast niemand hat<br />
überlebt<br />
W.W.: Was ist aus Ihrem Vater und seiner Familie<br />
geworden?<br />
F. Duve: Etwa im August 1945 bekamen wir vom jüdischen<br />
Council aus Genf die Nachricht, daß mein<br />
Vater tot sei. Außer dem Bruder meines Vaters hat<br />
niemand aus der Familie überlebt. Dieser Bruder war<br />
von der kroatischen Armee zwangsrekrutiert worden.<br />
Er kam dann in ein italienisch-faschistisches Lager,<br />
konnte aber von dort fliehen und überlebte zwei Jahre<br />
unter schwierigsten Bedingungen in einem Wald.<br />
Seine Lebenserinnerungen habe ich in den USA veröffentlicht.<br />
Wenn die Nazis nicht gewesen wären,<br />
wäre er wahrscheinlich Professor der Philosophie<br />
geworden.<br />
W.W.: Sind alle Verwandten Ihres Vaters umgebracht<br />
worden?<br />
F. Duve: Vor einigen Jahren war ich in Osijek, dem<br />
Heimatort der Familie meines Vaters, und dort erfuhr<br />
ich, daß meine Großmutter von jungen kroatischen<br />
Ustaschas aus dem Haus gezerrt worden war. Sie<br />
hatten sie auf den Boden geknallt und dann auf einen<br />
Lastwagen geschmissen, auf dem schon viele halbtote<br />
Menschen lagen. Die Ustaschas behandelten die<br />
jüdischen Bürger dieser Stadt mit äußerster Brutalität<br />
und brachten sie um. Meine Familie hatte dort seit<br />
über hundert Jahren gelebt. Auch Theodor Herzl und<br />
seine näheren Verwandten kamen aus dieser Region.<br />
Mein überlebender Onkel ist zeitlebens nicht von dem<br />
Gefühl seiner Mitschuld am Tod aller seiner Verwandten<br />
befreit worden. Er kam nach Osijek zurück, als<br />
diese Stadt schon fast ganz von den Ustaschas besetzt<br />
war. Er war zu Fuß auf diesen Ort zumarschiert<br />
und wollte seine Verwandten auf die andere Seite des<br />
Flusses retten, aber er kam einen Tag zu spät. Die<br />
deutschen Nazis und die kroatischen Ustaschas hatten<br />
diesen Ort gerade besetzt und gesäubert.<br />
Ich habe diese Szene später nacherlebt, denn ich war<br />
Beauftragter des Bundestages für Bosnien und Kroatien;<br />
eine Situation, die mich sehr bewegt hat. Diese<br />
Stadt ist für mich so etwas wie eine Familienstadt.<br />
Am Heiligabend mit dem<br />
Kind auf dem Arm<br />
W.W.: Wie haben Ihre Großeltern auf die Schwangerschaft<br />
Ihrer Mutter reagiert?<br />
F. Duve: Sehr negativ. Meine Großmutter war noch<br />
mehr Nazi als ihr Mann. Sie kam aus einer großen<br />
und uralten Bauernfamilie aus Fehmarn. Beide hatten<br />
ein Detektivbüro beauftragt, das dann herausfand,<br />
wer mein Vater war. Das muß um meine Geburt<br />
herum gewesen sein; eine Aktion, die meine Mutter<br />
unendlich verletzt hat.<br />
Ich bin am 26. November in Würzburg geboren, und<br />
am 20. Dezember stieg meine Mutter mit mir in den<br />
Zug und fuhr nach <strong>Hamburg</strong>. Sie hatte ihren Eltern<br />
weder von der Schwangerschaft noch von der Geburt<br />
erzählt, und alles, was meine Großeltern von mir<br />
wußten, hatten sie durch das Detektivbüro erfahren.<br />
Meine Mutter ist dann einfach mit dem kleinen Kind<br />
auf dem Arm am Heiligabend in die Weihnachtsfeier<br />
ihrer Eltern hereinspaziert.<br />
Das war ein sehr mutiger Akt, und meine Großeltern<br />
konnten nicht richtig böse sein. Obwohl mein Großvater<br />
einer der Naziführer <strong>Hamburg</strong>s war, haben meine<br />
Großeltern mich nach diesem Weihnachten zwar<br />
nicht beschützt, aber immerhin geschützt. Aus der<br />
Familie ist niemals an die NSDAP oder die Gestapo<br />
verraten worden, daß ich ein jüdisches Kind war. Und<br />
in den ganz schwierigen Zeiten nach 1945 konnte ich<br />
sogar im Schlafzimmer meiner Großeltern wohnen,<br />
da ich kein Kinderheim mehr hatte.<br />
34 35
Die Enterbung des Enkels<br />
W.W.: Waren Sie denn aus Sicht Ihrer Großeltern<br />
gleichberechtigtes Familienmitglied?<br />
F. Duve: Nein. Als mein Großvater Jahre später starb,<br />
saß ich bei der Testamentseröffnung mit der Familie<br />
zUSAmmen, und ich erinnere mich noch genau, wie<br />
ich in seinem Haus an einem Sekretär saß und das Testament<br />
vor mir lag. Dort las ich, daß er mich enterbt<br />
hatte. Handschriftlich hatte er in seinem Testament<br />
vermerkt, daß nur die ehelichen, nicht aber die unehelichen<br />
Kinder seiner Kinder erben sollten. Das war<br />
also eine Enterbung des Enkels. Dieser Akt hat mich<br />
damals sehr getroffen – nicht wegen der materiellen<br />
Kleinigkeiten, die ich vielleicht geerbt hätte, sondern<br />
wegen der seelischen Verletzung.<br />
W.W.: Hat Ihr Großvater die Schuld der Deutschen,<br />
auch die eigene Schuld, nach dem Krieg je begriffen<br />
und akzeptiert?<br />
F. Duve: Nein. Mein Großvater war ein bäuerlicher<br />
Intellektueller, der sich als Bauernsohn hochgearbeitet<br />
und eine erfolgreiche Firma aufgebaut hatte. Nebenbei<br />
schrieb er Gedichte, teils sehr schöne, teils<br />
grauenvolle Nazi-Gedichte. Das erste Gedicht, das<br />
er nach 1945 geschrieben hatte, war ein ungeheurer<br />
Trauergesang auf die großen Deutschen, die nun vielleicht<br />
untergehen müßten. Das war ein entsetzliches<br />
Gedicht, ohne jedes Anzeichen von Reue.<br />
Einsam im zerstörten<br />
<strong>Hamburg</strong><br />
W.W.: Noch einmal zurück zum Krieg: Wie haben<br />
Sie das kriegszerstörte <strong>Hamburg</strong> erlebt?<br />
F. Duve: Ich lebte an verschiedenen Orten, z.B. in<br />
Langenhorn und Bergedorf, wo ich die Bomben nur<br />
von weitem hörte. Aber wenn ich am Wochenende<br />
bei meiner Mutter in Eimbsbüttel war, fielen die<br />
Bomben um die Ecke. Ich hatte ein sehr schwieriges<br />
Leben, da ich in den etwa vier Jahren Krieg fünfmal<br />
umziehen mußte.<br />
W.W.: Wie sind Sie mit der Angst in den Bombennächten<br />
umgegangen?<br />
F. Duve: Die Nachtangriffe und die Sirenen spielten<br />
eine dramatische Rolle in meinem Leben, weil man<br />
fast jede Nacht, vor allem bei dem großen Angriff<br />
1943, in den Keller mußte und nie wissen konnte, ob<br />
das eigene Haus oder die Nachbarhäuser zerstört<br />
würden. Wenn man ein kleiner Junge ist, wie ich es<br />
war, hat man natürlich ein Bewußtsein, aber nicht so<br />
viele Kenntnisse von den ZUSAmmenhängen und<br />
möglichen Folgen. Hinzu kam auch, daß ich während<br />
des Krieges eigentlich nicht richtig zur Schule gegangen<br />
bin, denn meine erste Klasse war eigentlich<br />
die vierte. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich z.B. noch<br />
nicht schreiben. Meine Mutter hatte während des<br />
Krieges immer wieder versucht, für meine Unterkunft<br />
anthroposophische Kinderheime bzw. anthroposophische<br />
Pflegeeltern zu finden. Das ist auch zweimal<br />
gelungen. Sie war während dieser Zeit Angestellte<br />
und mußte um 7.30 Uhr im Büro sein. Und wenn sie<br />
mich morgens zu den Pflegeeltern oder ins Kinderheim<br />
brachte, mußte sie etwa um 4.00 Uhr aufstehen,<br />
um die weiten Wege zwischen ihrer Wohnung, den<br />
Pflegeeltern und ihrer Arbeitsstätte zu bewältigen.<br />
Sie holte mich abends auch immer wieder ab. Später<br />
fuhr ich dann auch alleine mit der U-Bahn. Für<br />
mich als Kind spielte der Krieg vor allem durch die<br />
Trümmer am nächsten Tag eine Rolle, gleichermaßen<br />
durch das Spielen in den Trümmern. Ich bin auch<br />
einmal in einem Trümmerhaus abgestürzt, habe mich<br />
aber glücklicherweise nicht verletzt.<br />
W.W.: Hatten Sie starke Einsamkeitserlebnisse, da<br />
sie oft von ihrer Mutter getrennt waren? Und wie<br />
war es mit der Angst in den Bombennächten?<br />
F. Duve: Angst vor Angriffen hatte ich eigentlich nicht,<br />
eher war es Neugier. Aber das Alleinsein war wohl<br />
einer der prägendsten EiNDRücke meiner Kindheit.<br />
Sind Sie mein Vater?<br />
W.W.: Wie gingen Sie damit um, daß sie keinen Vater<br />
hatten?<br />
F. Duve: Gleich nach dem Krieg bin ich oft zu englischen<br />
und amerikanischen Soldaten gegangen, z.B.<br />
wenn ein militärisches Fahrzeug in unserer Straße<br />
stand, und habe verschiedene Soldaten angesprochen<br />
und sie gefragt: „Sind Sie mein Vater?“ Auch<br />
in der U-Bahn habe ich verschiedene Männer angesprochen<br />
und sie das gleiche gefragt.<br />
Diese Einsamkeit wiederholte sich später in der <strong>Hamburg</strong>er<br />
Waldorfschule, als meine Lehrerin mir vor der<br />
Klasse – was sie nicht hätte tun sollen – die Nachricht<br />
brachte, daß mein jüdischer Vater gestorben<br />
sei. Daraufhin hat mich mein damals bester Freund<br />
in der Pause als „Scheiß-Jude“ bezeichnet. Mit dem<br />
habe ich seitdem nie wieder gesprochen. Heute ist<br />
er ein bekannter Arzt hier in <strong>Hamburg</strong>. Diese Bemerkung<br />
hat bei mir ungeheuer eingeschlagen. Daraus<br />
resultierte in der Schulzeit für mich eine Isolation, die<br />
in den späteren Schuljahren ein starkes Interesse an<br />
philosophischen Fragen begründete.<br />
W.W.: Wußten Sie vor Kriegsende etwas von den<br />
KZs?<br />
F. Duve: Nein. Gegen Ende des Krieges war ich in<br />
einem wunderbaren neugegründeten kleinen anthroposophischen<br />
Kinderheim an der Langenhorner<br />
Chaussee. Auf dieser Straße sah ich eines Tages einen<br />
nach Süden getriebenen Zug von KZ-Häftlingen.<br />
Kurze Zeit später erfuhr ich, daß es nördlich des<br />
Kinderheims ein Außenlager des KZs Neuengamme<br />
gab. Ich wußte, daß es mißhandelte Menschen gab,<br />
aber über KZs hat mit mir niemand gesprochen. Ich<br />
habe ohnehin nicht viel mit Menschen gesprochen.<br />
Und mein Großvater hat mir darüber sowieso nichts<br />
erzählt.<br />
Ein kurzer intensiver Blick<br />
W.W.: Sie schreiben in Ihrem Buch „Vom Krieg<br />
in der Seele. Rücksichten eines Deutschen“<br />
(Frankfurt/M. 1994), daß Sie angesichts dieses<br />
Gefangenenzuges mit einem klapperdürren Mann<br />
einen kurzen Blick wechselten. Was geschieht in<br />
einem solchen Augenblick zwischen zwei Menschen,<br />
und wie hat dieser Blick auf Sie gewirkt?<br />
F. Duve: Eigentlich bestand das Verbot, das Kinderheim<br />
zu verlassen, wenn die Gefangenentransporte<br />
vorbeigeführt wurden. Aber ich ließ mir nichts vorschreiben,<br />
und der Freimut galt immer als der, der<br />
öfter mal abhaute. Ich fragte einen SS-Mann, der neben<br />
diesem klapperdürren Mann einherging, wer diese<br />
Gefangenen seien. Er schob mich sehr freundlich<br />
mit seinem Gewehr zur Seite, und bei dieser Situation<br />
schaute ich diesen dürren Mann an. Und wir beide<br />
wechselten einen kurzen Blick. Diese Situation habe<br />
ich nie vergessen. Sie hat mich tief berührt.<br />
W.W.: Ihre Mutter war Anthroposophin. Gibt es<br />
etwas Besonderes, was Sie davon in Ihrer Erziehung<br />
mitbekommen haben?<br />
F. Duve: Für sie selbst war die Anthroposophie eine<br />
Stütze. Gleichermaßen pflegte sie ihre Religiosität,<br />
denn sie war immer parallel sowohl in der Anthro-<br />
36 37
posophie als auch in der Christengemeinschaft zu<br />
Hause. Ich wurde auch in der Christengemeinschaft<br />
getauft. Wichtig wurde für mich die Eurythmie auf der<br />
Waldorfschule. Die Anthroposophie als Philosophie<br />
interessierte mich nicht so sehr. Aber ich war sehr religiös<br />
interessiert, allerdings eher in der intellektuellen<br />
Auseinandersetzung als in der religiösen Teilnahme.<br />
Später wechselte ich auf die Waldorfschule Schloß<br />
Hamborn, wo ich auch gleichzeitig wohnte. Der<br />
dortige Heimleiter war ein so großartiger Mensch,<br />
daß ich noch heute mit großer Bewunderung an ihn<br />
denke. Er war wie viele andere gerade als Soldat aus<br />
dem Krieg gekommen. Ich kannte viele Soldaten, die<br />
später Anthroposophen wurden. Das war für sie so<br />
etwas wie ein Rettungsanker. Aber der Heimleiter aus<br />
Schloß Hamborn war ein junger Mensch, und unsere<br />
Gespräche, die sich meist um religiöse und philosophische<br />
Fragen drehten, haben mir in meiner Schulzeit<br />
sehr viel bedeutet. Es waren Gespräche, die aus<br />
meinem Alleinsein heraus entsprangen, und sie haben<br />
mir sehr geholfen. Ich habe bestimmt jeden Tag<br />
versucht, ein bis zwei Stunden mit ihm zu sprechen.<br />
Drei Jahre war ich in Hamborn, und das war eigentlich<br />
meine Rettung.<br />
W.W.: Haben Sie dort Abitur gemacht?<br />
F. Duve: Nein, das war leider nicht möglich. Diese<br />
Schule ging damals nur bis zur 9. Klasse. Ich wechselte<br />
dann nach Stuttgart an die Waldorfschule, wo<br />
ich das Abitur machte. Ich war aus äußeren Gründen<br />
auf drei Waldorfschulen.<br />
W.W.: Von wann bis wann waren Sie auf der <strong>Hamburg</strong>er<br />
Waldorfschule?<br />
F. Duve: Von 1946 bis 1951.<br />
Das Wichtigste war ein<br />
Hammer<br />
W.W.: Wie war die äußere Situation der Waldorfschule<br />
in <strong>Hamburg</strong> im Jahr 1946, als Sie dort eingeschult<br />
wurden?<br />
F. Duve: Es war eine total kaputte Schule mit großen<br />
Klassen. Meine Klasse bestand aus über 40 Kindern.<br />
Das Wichtigste war, daß wir einen Hammer oder etwas<br />
Ähnliches hatten, mit dem wir den Mörtel von<br />
den Steinen abschlagen konnten. Wir mußten auch<br />
unseren eigenen Stuhl mitbringen. Morgens haben<br />
wir gesungen, und dann haben wir einige Stunden<br />
Steine geklopft. Das war ein sehr wichtiges Element<br />
für mein Leben. Diese Mithilfe beim Steineklopfen<br />
dauerte etwa ein Vierteljahr.<br />
W.W.: Haben Sie etwas für Ihr Leben aus den drei<br />
Waldorfschulen mitgenommen?<br />
F. Duve: Selbstvertrauen und Weltvertrauen, um es<br />
einmal ganz knapp zu sagen. Anthroposoph wurde<br />
ich nicht, aber die Waldorfschulen haben mich in<br />
meiner schwierigen Situation, in die ich durch meine<br />
Geburt geraten war, sehr stabilisiert, und ich wurde in<br />
späteren Schuljahren auch ein relativ guter <strong>Schüler</strong>.<br />
Von der Klassenlehrerin<br />
gedemütigt<br />
Meine Klassenlehrerin an der Wandsbeker Waldorfschule<br />
war zwar Anthroposophin, aber auch ein bißchen<br />
Nazi. Sie besaß ein schickes Einfamilienhaus,<br />
in dem wir sie auch manchmal besuchen durften. Sie<br />
flatterte um die reichen Eltern herum, die z.B. in Blankenese<br />
ihre Villen hatten, während sie dagegen die armen<br />
und alleinerziehenden Mütter sehr streng – negativ<br />
streng – behandelte. Ich hatte damals mit unserer<br />
Schwesterschule in England einen Briefaustausch<br />
mit einem englischen <strong>Schüler</strong>, und seine Familie lud<br />
mich nach Michael Hall ein. Alles wurde behördlich<br />
und offiziell unter schwierigen Bedingungen geregelt.<br />
Aber dann wählte meine Klassenlehrerin für den<br />
<strong>Schüler</strong>austausch mit England und auch für einen<br />
weiteren mit der Schweiz ihre Lieblingskinder aus –<br />
und das waren alles Kinder sogenannter feiner Leute.<br />
Sie hatte mich aus der Liste der <strong>Austausch</strong>schüler<br />
hinter meinem Rücken herausgenommen.<br />
W.W.: Das ist ja widerlich.<br />
F. Duve: Ich war damals ungeheuer verzweifelt, denn<br />
ich hatte meinem englischen Brieffreund schon oft<br />
geschrieben und ihm vor allem auch mitgeteilt, daß<br />
ich mich ungeheuer freue. Meine Englischkenntnisse<br />
waren schon recht gut, nicht zuletzt durch die Mitwirkung<br />
meiner Mutter, denn sie sprach fließend englisch.<br />
Obwohl ich durch die Intervention meiner Klassenlehrerin<br />
nicht auf den <strong>Schüler</strong>austausch durfte,<br />
ging ich sogar zum Altonaer Bahnhof, um die Abfahrt<br />
meiner Mitschüler zu sehen. Das war im Jahr 1949,<br />
und wir lebten noch in der britischen Besatzungszone.<br />
Ich hoffte darauf, daß ein Mitschüler krank wurde,<br />
um an seine Stelle treten zu können. Natürlich klappte<br />
das nicht. Statt meiner durften dann Kinder auch<br />
aus einer Nazi-Familie in den <strong>Schüler</strong>austausch fahren,<br />
z.B. ein Kind, dessen Eltern nach Südamerika<br />
geflohen war. Auch hierbei handelte es sich um eine<br />
sehr reiche Familie. Alle die Kinder, die in die Schweiz<br />
zum <strong>Schüler</strong>austausch durften, kamen wohlernährt<br />
zurück, während wir nichts zu essen hatten. Aber<br />
meine Mutter hatte mir immer, schon während des<br />
Krieges, einen Teil ihrer Nahrung mitgegeben, damit<br />
ich selbst zu essen hatte.<br />
Diese Begebenheit hat mich sehr belastet und geprägt.<br />
Daraufhin sprach ich mit meiner Klassenlehrerin<br />
fast nicht mehr, aber sie war ohnehin sehr unangenehm<br />
zu mir. Einer der Gründe dafür, daß ich an<br />
die Waldorfschule Schloß Hamborn wechselte, war<br />
diese Frau.<br />
Ich bin ein Bürger<br />
Deutschlands<br />
W.W.: „Mischling“ und „Halbjude“ sind ziemlich<br />
schauderhafte und auch falsche Begriffe, die man<br />
nicht verwenden sollte. Wie bezeichnen Sie sich<br />
von der Abstammung her selbst?<br />
F. Duve: Es gibt einen richtigen Begriff: Ich bin ein<br />
Bürger Deutschlands. Ich rate allen Menschen, die<br />
Eltern verschiedener Herkunft haben, daß sie sich als<br />
Bürgerinnen oder Bürger des Landes bzw. der Kultur<br />
bezeichnen sollen, in der sie leben. Das sage ich auch<br />
immer wieder den in Deutschland lebenden Türken.<br />
Wenn sie hier in Deutschland länger leben, dann sind<br />
sie deutsche Bürger. Vielleicht haben sie eine türkische<br />
Kulturprägung, aber die Abstammungsfrage<br />
gehört nicht in das Bürgerrecht.<br />
W.W.: Wie kam es dazu, daß Sie Reiseleiter in arabischen<br />
Staaten wurden?<br />
F. Duve: Ich wollte mich u.a. mit der Frage des Judentums<br />
auseinandersetzen, allerdings mehr indirekt.<br />
Damals studierte ich in <strong>Hamburg</strong> Kolonialgeschichte,<br />
was man vornehm in „Überseegeschichte“ umbenannt<br />
hatte. Den Begriff „Nord-Süd-Konflikt“ gab es<br />
damals noch nicht. Um mir für mein Studium Geld<br />
zu verdienen, arbeitete ich in den Semesterferien<br />
als Reiseleiter in Spanien und Nordafrika. Ich wollte<br />
dieses Geld selbst verdienen, um meiner Mutter, die<br />
so viel für mich geopfert hatte, nicht länger auf der<br />
Tasche zu liegen.<br />
Aber meinen ersten Job bekam ich durch Zufall,<br />
und zwar einen unglaublich guten in der Planungsabteilung<br />
der Lufthansa für die neuen Jet-Flugzeuge<br />
in <strong>Hamburg</strong>. Dort arbeitete ich mehrere Monate mit<br />
dem Leiter dieser Abteilung zUSAmmen. Aufgrund<br />
des Wetters vom Vortage rechnete ich die Einzelheiten<br />
unzähliger Flüge durch, wobei ich ungeheuer<br />
viel gelernt habe.<br />
Gleichzeitig war ich für kurze Zeit Regieassistent<br />
im <strong>Hamburg</strong>er Zimmer-Theater, weil ich eigentlich<br />
Schauspieler werden wollte. Meine Mutter war mittlerweile<br />
Steuerberaterin vieler anthroposophischer<br />
Einrichtungen in Norddeutschland und kannte u.a.<br />
auch Will Quadflieg, der Anthroposoph war. Während<br />
meiner Stuttgarter Waldorfschulzeit sprach ich einmal<br />
in den Ferien bei ihm zu Hause verschiedene Rollen<br />
vor, und er ermunterte mich, Schauspieler zu werden.<br />
Aber den Job als Regieassistent beendete ich dann<br />
wegen verschiedener Konflikte relativ rasch.<br />
Im Rahmen meiner Tätigkeit bei der Lufthansa bekam<br />
ich von einem Mitarbeiter einen Tip und übernahm für<br />
einige Monate einen Job bei einem Reisebüro, das<br />
erste Flüge nach Mallorca organisierte. Ich verkaufte<br />
Reisen, und in den ersten Semesterferien flog ich<br />
nach Mallorca, lernte Spanisch und lernte gleichzeitig,<br />
mit Touristen umzugehen.<br />
Später übernahm ich eine Stellung in Tanger und organisierte<br />
erste Marokko-Reisen der Firma, für die<br />
ich arbeitete. Das war ein relativ verantwortungsvoller<br />
Posten, bei dem ich sehr viel, auch über die Kultur des<br />
Landes, lernte. Aber diese Firma meldete Konkurs<br />
an, und ich übernahm einen Job als Reiseleiter für<br />
die Touropa in Tunesien, weil man in diesem Land die<br />
Reisetätigkeit aufbauen wollte. 1958 wurde ich der<br />
Gründungsrepräsentant der Touropa für Nordafrika.<br />
In Tunesien baute ich ein Büro auf und organisierte<br />
die ersten Reisen – alles aber nur in den Semesterferien.<br />
Allerdings wurde ich von der Touropa gebeten,<br />
ein Semester auszusetzen, um das Reisegeschäft<br />
besser organisieren zu können. Gleichzeitig trieb ich<br />
meine privaten Studien über die Kolonialgeschichte<br />
Nordafrikas, den Algerien-Krieg usw. intensiv voran.<br />
Die Verdammten dieser<br />
Erde<br />
W.W.: Wie haben Sie in dieser Zeit den Algerien-<br />
Krieg und vor allem die Rolle Frankreichs erlebt?<br />
F. Duve: Dieser Krieg spielte eine sehr große Rolle<br />
in meinem Leben. Etwa 10 der tunesischen Bevölkerung<br />
waren damals Flüchtlinge aus Algerien, und<br />
auch die algerischen Kämpfer, die FLN, bewaffneten<br />
sich in Tunesien. Am Strand von Hammamet lernte<br />
ich auch verschiedene Algerier kennen, die sich mir<br />
gegenüber zuerst als reiche marokkanische Kaufleute<br />
ausgaben, in Wirklichkeit aber in Tunesien die<br />
algerische Exilregierung aufbauten. Auf diese Weise<br />
konnte ich sehr viele Kontakte knüpfen, die ich später<br />
als Politiker nutzen konnte. Viele Jahre später war ich<br />
z.B. wieder einmal in Tunis, um dort Arafat im Auftrag<br />
von Willy Brandt zu besuchen.<br />
W.W.: War es für Sie schwer zu akzeptieren, daß<br />
ein demokratischer Staat – Frankreich – Verbrechen<br />
an der algerischen Bevölkerung beging?<br />
F. Duve: Die Details, z.B. die Folter, bekam ich erst<br />
später durch eigene Forschungen heraus. Aber was<br />
die Algerier mir erzählten, war schon sehr dramatisch.<br />
Ich habe sogar einen verletzten algerischen Kämpfer<br />
nach Libyen ins Krankenhaus gefahren.<br />
Der Kampf der Algerier wurde damals zum Sinnbild<br />
dessen, was man später die Dritte Welt nannte, und<br />
nach und nach ging es mir auf, daß Frankreich in Algerien<br />
als Besatzungsmacht die moralisch schlechtere<br />
Rolle spielte.<br />
Später, als Herausgeber von rororo-aktuell, gab ich<br />
dann auch das Buch von Frantz Fanon über den Algerien-Krieg<br />
heraus, „Die Verdammten dieser Erde“.<br />
In mir entstand nach und nach die Frage, ob man<br />
diesen Krieg am Südrand von Europa wirklich richtig<br />
gedeutet hatte. Durch die zahlreichen nach Tunesien<br />
geflohenen Algerien-Krieger entstand dort eine<br />
konfliktträchtige Situation, denn die Algerier hatten<br />
sehr viele Waffen und auch noch sehr viel Geld, sie<br />
schmuggelten auch sehr viel. Da ich mittlerweile relativ<br />
bekannt war, sprach man mich auch an, ob ich ihnen<br />
nicht Kontonummern von <strong>Hamburg</strong>er Kaufleuten<br />
nennen könne, damit sie Gelder ins Ausland transferieren<br />
könnten. Ein skandalöses Ansinnen. Teilweise<br />
war das sehr kriminell, was die FLN-Leute trieben.<br />
Ich war auch mit einer tunesischen jüdischen Familie<br />
bekannt, deren Sohn als Soldat von Tunesien nach Algerien<br />
geschickt wurde. An diesem Beispiel erkannte<br />
38 39
ich, wie ungeheuer schwer es für ihn war, als Tunesier<br />
mit französischer Kultur und jüdischem Glauben in<br />
Algerien als französischer Soldat aufzutreten. Meine<br />
später eintretende starke Frankreich-Bindung hängt<br />
insgesamt mit dieser Zeit zUSAmmen.<br />
Menschenverachtung<br />
W.W.: Anfang der 60er kamen Sie nach Südafrika<br />
und Süd-Rhodesien, wie es damals hieß. Welche<br />
Aufgaben hatten Sie dort, und wie wirkte die<br />
Apartheid auf Ihre Politisierung?<br />
F. Duve: Zunächst einmal wirkte diese Zeit sehr auf<br />
meine Akademisierung. Zu dieser Zeit saß ich gerade<br />
an meiner Doktorarbeit über die Kolonialgeschichte in<br />
Rhodesien, speziell darüber, wie man nach Abschaffung<br />
der Sklaverei diese als Zwangsarbeit kaschiert.<br />
Damals war ich der einzige Forscher, der über dieses<br />
Thema arbeitete.<br />
Ich flog über Südafrika, und während des Fluges saß<br />
ein Deutscher neben mir, der mir ganz stolz erzählte,<br />
daß er gerade als Nazi aus dem Gefängnis entlassen<br />
worden sei, und der voll des Lobes auf die Nazi-Zeit<br />
war. Ein weiteres einschneidendes Erlebnis ereignete<br />
sich auf meiner Zwischenstation in einem Hotel in<br />
Johannesburg, als ich mit dem Hotelbesitzer, einem<br />
Weißen, sprach. Er war voller Freude darüber, daß ich<br />
aus Deutschland kam, und er war unglaublich freundlich<br />
zu mir. Gleichzeitig sah ich einen würdigen alten<br />
Mann, einen Schwarzen, der aus der Küche kam und<br />
ihn sprechen wollte. In diesem Moment drehte sich<br />
der Hotelbesitzer, gerade noch die Höflichkeit in Person,<br />
abrupt um und schnauzte diesen Schwarzen in<br />
einer so dreckigen Weise an, wie ich es noch nie in<br />
meinem Leben erlebt hatte. Er brüllte ihn an, wie er es<br />
überhaupt wagen könne, auch nur in diesem Raum zu<br />
erscheinen, er dürfe nur bis zur Tür gehen und müsse<br />
dort warten, bis er angesprochen werde. Diese Menschenverachtung<br />
machte mich augenblicklich wach.<br />
Ich blieb noch einige Tage in Johannesburg und<br />
knüpfte dort mehrere Kontakte zu Schwarzen, und<br />
mein erstes Buch, das ich veröffentlichte, wurde<br />
dann nicht meine Doktorarbeit, sondern das Buch<br />
„Kap ohne Hoffnung oder die Politik der Apartheid“<br />
(1965).<br />
W.W.: Dann hat sie also die Begegnung im Hotel<br />
bzw. der tägliche Rassismus im Süden Afrikas<br />
zum Politiker gemacht?<br />
F. Duve: Auf jeden Fall zum politischen Publizisten.<br />
Ich habe sehr viele Aufsätze über Apartheid und Ideologien<br />
geschrieben und habe zu diesem Thema geforscht.<br />
Dann war ich drei Jahre persönlicher Referent<br />
des <strong>Hamburg</strong>er Wirtschaftssenators, bei dem ich<br />
auch sehr viel über wirtschaftliche ZUSAmmenhänge<br />
gelernt habe. Mein zweites Buch war dann „Die Restauration<br />
entläßt ihre Kinder“ (1968), das von dem<br />
Wiedererstarken der Nazis handelte. Das hatte einerseits<br />
mit meiner Vergangenheit zu tun, andererseits<br />
mit dem, was ich in Südafrika erlebt hatte.<br />
W.W.: Hatten Sie auch in Südafrika Begegnungen<br />
mit den Mandelas?<br />
F. Duve: Ja. Während meines Südafrika-Aufenthalts<br />
fuhr ich nach Soweto, wohin man als Weißer schon<br />
nicht mehr gehen durfte, und besuchte das Haus von<br />
Winnie Mandela. Ich führte ein sehr langes Gespräch<br />
mit ihr und ihren kleinen Kindern. Das Highlight meines<br />
Südafrika-Buches wurde die Verteidigungsrede Nelson<br />
Mandelas, eine wunderbare Verteidigungs-Rede,<br />
die er zu seinem Rivonia-Prozeß gehalten hat. Diese<br />
Rede besorgte ich mir über meine kolonialhistorischen<br />
Freunde in London, und wahrscheinlich bin<br />
ich der erste und einzige, der diese Rede außerhalb<br />
des englischen Sprachraums publiziert hat. Damals<br />
war Mandela kein bekannter Mensch, aber für mich<br />
war er eine der wichtigsten Persönlichkeiten. In dieser<br />
Rede steckt schon seine spätere Friedensprogrammatik.<br />
Später wurde ich der Verleger für Winnie<br />
Mandelas Erinnerungen „Ein Stück meiner Seele“.<br />
Als Publizist gegen die<br />
Ungerechtigkeit in der<br />
Welt<br />
W.W.: Woher kam Ihre Idee, Bücher zu machen,<br />
bzw. was hat Sie bewogen, fast zwei Jahrzehnte<br />
die Reihe rororo-aktuell herauszugeben?<br />
F. Duve: Ich nahm wahr, daß in Deutschland ein Pro-<br />
Apartheid-Buch nach dem anderen erschien, und<br />
so habe ich erste Aufsätze gegen die Apartheid,<br />
u.a. auch in den „Kommenden“, einer anthroposophischen<br />
Zeitschrift, veröffentlicht. Weil man überall<br />
die Apartheid als Lösung für den Konflikt zwischen<br />
Weißen und Schwarzen proklamierte, wollte ich ein<br />
öffentliches Gegengewicht setzen.<br />
Mittlerweile war ich mit einer Ägypterin verheiratet,<br />
hatte zwei Kinder und mußte Geld verdienen. Meine<br />
Bedingung war dann, daß meine Frau ihr Examen<br />
macht und ich das Geld verdiene, damit im Falle, daß<br />
mir etwas passiert, meine Frau und meine Kinder ein<br />
Auskommen hätten. Später wurde meine Frau Schulrätin<br />
in <strong>Hamburg</strong>. Sie war übrigens die Tochter der<br />
Freundin meiner Mutter, die ein ähnliches Schicksal<br />
wie meine Mutter hatte. Diese Freundin hatte einen<br />
Araber kennengelernt, meine Mutter einen Juden.<br />
W.W.: Wann haben Sie mit der Herausgabe von<br />
rororo-aktuell begonnen?<br />
F. Duve: Ich war Redakteur beim Stern und schrieb<br />
noch ein Buch über Entwicklungspolitik, um das mich<br />
Erhard Eppler gebeten hatte, „Der Rassenkrieg findet<br />
nicht statt. Entwicklungspolitik zwischen Angst und<br />
Armut“ (1970). Beim Stern war ich nur kurz politischer<br />
Redakteur, aber weil es dort Konflikte gab, habe ich<br />
gekündigt, und man holte mich Anfang der 70er Jahre<br />
zu Rowohlt, weil es dort eine große Krise gab;<br />
Fritz J. Raddatz war hinausgegangen worden. Man<br />
fragte mich, ob ich die gesamte politische Ecke des<br />
Rowohlt-Verlages übernehmen wolle, und da ich einen<br />
sehr guten Vertrag erbeten hatte, übernahm ich diese<br />
Stelle. Ich war der einzige Herausgeber einer Buchreihe,<br />
der eigene Autoren- und Titelentscheidungen<br />
treffen konnte. Ich benötigte zwar die ZUSAge meines<br />
Verlegers, umgekehrt aber konnte auch er keine Bücher<br />
ohne meine ZUSAge machen. So ein Vertrag ist nie wieder<br />
gemacht worden.<br />
W.W.: Wie lange haben Sie diese Reihe herausgegeben?<br />
F. Duve: Etwa 18 Jahre.<br />
Verbotener Abgeordneter<br />
W.W.: Im Kalten Krieg herrschte ein dualistisches<br />
Weltbild. Wieso verfiel auch die Linke oft zu stark in<br />
dieses dualistische Schema: USA – schlecht, UdSSR<br />
– keineswegs genauso schlecht?<br />
F. Duve: Das hatte mit der Ideologisierung der Überzeugungen<br />
zu tun, auch mit den 60er Jahren. Ich bin<br />
einige Jahre vor der Apo-Generation geboren, habe<br />
auch viel mit und vor ihnen auf Podiumsdiskussionen<br />
geredet, aber die marxistische Ideologisierung konnte<br />
ich niemals teilen. Meine zentralen Themen waren im-<br />
mer – vielleicht lag das an meiner Erziehung und der<br />
Waldorfschulzeit – soziale und Menschenrechte. Auch<br />
vor meinem Eintritt in die SPD sah ich mich immer als<br />
sozialliberalen Demokraten.<br />
Die größte Distanz zwischen mir und der marxistischen<br />
Linken entstand in der Frage der Menschenrechte. Auf<br />
diesem Feld gab es in den 70er und 80er Jahren regelrechte<br />
Auseinandersetzungen. Ich publizierte Bücher<br />
über Solidarnosc, über die Menschenrechtsfrage in der<br />
UdSSR und auch Bücher von russischen Dissidenten.<br />
Speziell hinweisen möchte ich auf das „Jahrbuch für<br />
Menschenrechte in Osteuropa“, das ich begründet<br />
habe. Das hat manche Kommunisten und Links-Sozialdemokraten<br />
empört. Der linke Duve macht dauernd<br />
Sachen, die den USA dienen – so lautete damals mancher<br />
Vorwurf. Das Thema Menschenrechte habe ich oft<br />
im Bundestag vertreten.<br />
W.W.: Wenn ein Mensch gefoltert, geknechtet, in seinen<br />
elementarsten Menschenrechten behindert wird, gleich<br />
von welchem System, dann muß man ihn verteidigen.<br />
War der Kalte Krieg, so gesehen, ein Zerrspiegel zur<br />
Vereinseitigung der Welt oder gar eine Lüge?<br />
F. Duve: Auf jeden Fall. Ich war zeitlebens sehr dankbar<br />
darüber, daß ich ca. 60 km westlich der deutschdeutschen<br />
Grenze aufgewachsen bin und nicht in der<br />
40 41<br />
Lesung von Freimut Duve am 19.01.09 Ida Ehre Gesamtschule <strong>Hamburg</strong>
DDR. Zur Beerdigung meines Großvaters und später<br />
zu einer weiteren Trauerfeier kamen unsere Verwandten<br />
aus Mecklenburg, und als sie erzählten, wie brutal<br />
sie von den DDR-Soldaten und der dortigen Polizei aus<br />
den Häusern vertrieben und in kleine Zimmer gesperrt<br />
worden waren, weil sie in der Grenzzone lebten, da<br />
wurde mir die ganze Brutalität dieses Systems deutlich.<br />
Wenn man dann sieht, wie eine alte Frau weint, weil sie<br />
ihr eigenes Haus nicht mehr betreten darf, dann geht<br />
einem das schon sehr nahe. Später traf ich auch DDR-<br />
Dissidenten, z.B. Havemann, obwohl ich ihn nicht hätte<br />
treffen dürfen. Daraufhin wurde ich „verbotener Abgeordneter“.<br />
Ich war der einzige Bundestagsabgeordnete,<br />
der einige Jahre nicht nach Ost-Berlin fahren durfte.<br />
Ethnischer Haß und Völkermord<br />
in Südeuropa<br />
W.W.: Nach Beendigung des Kalten Krieges hatte<br />
man gehofft, daß es zumindest in Europa keinen<br />
Völkermord mehr geben würde. Aber im ehemaligen<br />
Jugoslawien traten alte rassistische und nationalistische<br />
Gedanken und Handlungsweisen wieder<br />
in den Vordergrund. Warum lebten nach dem Ende<br />
des Kalten Krieges diese zerstörerischen Gedanken<br />
wieder auf? Wurden sie durch das kommunistische<br />
Regime in Schach gehalten, oder war es eine neue<br />
Entfachung?<br />
F. Duve: Es war eine neue Entfachung. Sehr viel von<br />
dieser Entfachung ist propagandistisch organisiert<br />
worden. Milosevic und andere Tito-Nachfolger haben<br />
die völkische Propaganda geschürt und die Probleme<br />
des Post-Tito-Jugoslawiens völkisch ideologisiert, und<br />
zwar exakt nach Goebbels’ Methoden. Sie ekelten<br />
schon in einer sehr frühen Phase alle führenden Offiziere<br />
der ehemaligen jugoslawischen Armee heraus,<br />
die nicht serbischer Abstammung waren. Schon nach<br />
kurzer Zeit gab es weder bosnische noch albanische<br />
oder kroatische Offiziere. Auf diese Weise hatten sie<br />
die Führung der jugoslawischen Armee in eine völkisch<br />
gelenkte serbische Armee verwandelt. In der Presse<br />
wurde dann das serbische Volk als leidendes Volk der<br />
Menschheitsgeschichte propagiert; das war genau das<br />
gleiche, wie es Hitler und Goebbels mit dem deutschen<br />
Volk gemacht hatten. Bis in die einzelnen Häuser wurde<br />
dieser ethnische Haß transportiert.<br />
Tudjman hat dies umgekehrt in Kroatien ebenso durchgeführt,<br />
nicht nur als Antwort auf die Serben, sondern<br />
auch aus eigener Ideologisierung heraus. Dann verfälschte<br />
man das Geschichtsbild über die Bosnier, Türken<br />
und Araber und behauptete, daß Bosnien von den<br />
Türken überrannt worden sei. Aber wenn man wirklich<br />
in die Geschichte schaut, z.B. mit den Juden in Sarajewo<br />
spricht, dann werden sie einem erzählen, daß die<br />
Menschen unter der türkischen Herrschaft oft mit Toleranz<br />
behandelt worden sind.<br />
W.W.: Warum war die völkische Propaganda der<br />
Serben so erfolgreich?<br />
F. Duve: Sie hatten die Radio- und Fernsehstationen<br />
unter Kontrolle. Als ich für den Bundestag in Begleitung<br />
einer wunderbaren Menschenrechtlerin durch<br />
Bosnien fuhr, übersetzte mir diese Frau einige der<br />
Radiosendungen. Das war richtige Nazipropaganda.<br />
W.W.: Warum hat man sich auf seiten der Linken,<br />
auch bei einigen Parteigenossen von Ihnen, so<br />
lange gegen die Anwendung des Begriffs Völkermord<br />
in bezug auf die serbischen Greuel gewehrt?<br />
F. Duve: Das war die innere Assoziation vieler Linker<br />
mit Tito. Wenn man schon nicht Moskau lieben durfte,<br />
dann griff man sich denjenigen heraus, der sich<br />
während des Kalten Krieges am meisten verselbständigt<br />
hatte. Und insofern ließ man an Jugoslawien,<br />
auch an Titos Nachfolger, nichts herankommen. Man<br />
machte einfach keine neuen Analysen. Ich persönlich<br />
bin auch mit meinen Publikationen und Reden im<br />
Bundestag sehr kritisiert worden.<br />
Mit der Völkermord-Definition habe ich mich fast<br />
mein ganzes Leben lang beschäftigt. Wegen der Verbrechen<br />
der Nazis wurde der Begriff Genozid gebildet<br />
– und plötzlich findet in den 90er Jahren wieder<br />
ein Genozid in Südeuropa statt! Und ich war sofort<br />
gewillt, gegen diesen Völkermord etwas zu unternehmen.<br />
W.W.: Mir wurde der serbische Faschismus sofort<br />
klar, als ich im Spiegel über die Rede las, die Milosevic<br />
im Juni 1989 auf dem Amselfeld hielt.<br />
F. Duve: Das war die entscheidende Rede. Ich wies<br />
auch im Bundestag immer wieder darauf hin, daß<br />
man diese Rede ganz genau lesen solle, da es eine<br />
absolut völkische war.<br />
W.W.: Woher stammt eigentlich die Lüge, daß Genscher<br />
der Urheber der Kriege in Jugoslawien sei,<br />
weil er Slowenien und Kroatien zur Unabhängigkeit<br />
gedrängt habe?<br />
F. Duve: Diese Propaganda ging vor allem von den<br />
Serben aus, und sie wurde zum Teil von der Linken,<br />
vor allem in Frankreich, aufgegriffen.<br />
W.W.: Sie waren mehrmals während des Völkermords<br />
in Ex-Jugoslawien, u.a. in Mostar und Tuzla.<br />
Was hat Sie veranlaßt zu helfen, und was konnten<br />
Sie bewirken?<br />
F. Duve: Zum einen war es mein biographischer<br />
Hintergrund, zum anderen mein Einsatz als verantwortlicher<br />
Deutscher gegen jede Form rassistischer<br />
Morde, vor allem in einem europäischen Land. Und<br />
so wurde ich offizieller Beauftragter des Bundestages<br />
für die Kriege in Bosnien und Kroatien.<br />
In meinem Wahlkreis in <strong>Hamburg</strong> – St.Georg wohnte<br />
eine sehr engagierte Intellektuelle, die aus Tuzla<br />
stammte und fast jeden Tag mit ihren Eltern telefonierte.<br />
Sie hat mich immer wieder angesprochen und<br />
mir von den Greueln erzählt. Ich flog dann mit ihr nach<br />
Split, wohin mir der Bürgermeister von Tuzla über die<br />
Berge ein Auto geschickt hatte, und so fuhren wir<br />
heimlich nach Tuzla. Ich war der erste Ausländer von<br />
außerhalb der Kriegsgebiete, der in Tuzla eintraf. Das<br />
war eine sehr gefährliche Reise, ausschließlich über<br />
Bergwege. Unten konnten wir nicht fahren, da dort<br />
fortwährend geschossen wurde. In dieser Zeit kamen<br />
auch viele islamische Kämpfer in das Land, die<br />
sich unter die Soldaten mischten. Aber das hat die<br />
bosnische Armee sehr weise geregelt. Die Bosnier<br />
brauchten das Geld der Araber, wollten aber nicht<br />
die Unterstützung durch arabische Kämpfer, und so<br />
brachten die bosnischen Soldaten die Araber in ein<br />
Feldlager, wo sie sich vorbereiten sollten. Dort waren<br />
sie zwar nicht wie in einem Gefängnis eingeschlossen,<br />
aber sie konnten auch nicht aktiv an den Kämpfen<br />
teilnehmen. Die Bosnier legten diese islamischen<br />
Kämpfer sozUSAgen auf Eis.<br />
Menschheitsverbrechen in<br />
Südamerika<br />
W.W.: Sie waren als Mitglied des Ausschusses für<br />
Menschenrechte auch in Lateinamerika. Welche Arbeit<br />
haben Sie dort geleistet?<br />
F. Duve: Ich bin im Auftrag des Bundestages und<br />
meiner Fraktion in verschiedenen Ländern, u.a. in Lateinamerika,<br />
Verbrechen nachgegangen.<br />
W.W.: Um welche Verbrechen ging es dabei?<br />
F. Duve: Das war z.B. der Massenmord an den Mayas<br />
in Guatemala. Ich fuhr durch die Dörfer, erlebte die<br />
Angst der Menschen und sah auch einige Leichen.<br />
Weiterhin war ich in Chile, besuchte die Menschen<br />
in den Gefängnissen, auch den jetzigen Präsidenten.<br />
Ich war in Paraguay und Argentinien und habe mich<br />
um die chilenischen und argentinischen Verbrechen<br />
– das Herauswerfen der Menschen aus den Flugzeugen<br />
– gekümmert. Natürlich mußte ich auch die<br />
USA kritisieren, da sie eng mit den Diktaturen Südamerikas<br />
zUSAmmenarbeiteten. Viele der Verbrecher<br />
aus Südamerika konnten verhaftet werden, und noch<br />
heute laufen verschiedene Prozesse. Aber dann bin<br />
ich aus der unmittelbaren Verantwortung herausgegangen,<br />
als ich Ende 1997 in Wien mein Amt bei der<br />
OSZE (Organisation für Sicherheit und ZUSAmmenarbeit<br />
in Europa) antrat.<br />
W.W.: Welche Aufgaben hatten Sie bei der OSZE?<br />
F. Duve: Ich war zuvor Mitglied des KSZE-Parlaments,<br />
als der Helsinki-Prozeß voll im Gange war und<br />
ich mich für Willy Brandt sehr engagierte. Vorübergehend<br />
war ich im Europarat, kam dann zur OSZE und<br />
wechselte dort in den Menschenrechtsausschuß.<br />
Die OSZE ist kein Dauerparlament, sondern man<br />
tagt ein- oder zweimal pro Jahr in verschiedenen<br />
Mitgliedsländern. Bei einer Sitzung in Kanada Mitte<br />
der 90er Jahre schlug man mich für den Vorsitz des<br />
Menschenrechtsausschusses vor. Als erstes richtete<br />
ich dort einen Preis für die Medien und den Journalismus<br />
ein. Dazu gab es dann jedes Jahr eine große<br />
Veranstaltung, und der erste Preisträger war Adam<br />
42 43
Michnik aus Polen. Seine Schriften hatte ich veröffentlicht,<br />
als er wegen seiner Solidarnosc-Aktivitäten<br />
im Gefängnis saß. Daraufhin wurde dieser Preis jedes<br />
Jahr verliehen, z.B. an die Witwen von ermordeten<br />
baskischen und ukrainischen Journalisten.<br />
Etwas später schlug ich der deutschen Bundesregierung<br />
unter Kohl vor, erstmals in der UNO-Geschichte<br />
– die OSZE ist eine Regionalorganisation der UNOo<br />
– ein Amt zum Schutz des professionellen Journalismus<br />
und der Schriftsteller zu gründen. Dieser Vorschlag<br />
wurde dann von der Bundesregierung übernommen,<br />
und Außenminister Kinkel schlug mich für<br />
den Vorsitz dieses Amtes in Wien vor. Damals war<br />
mein Bundestagsmandat fast ausgereift, und außer<br />
mir sah man niemanden bei der OSZE, der mehrheitsfähig<br />
gewesen wäre. Denn die Schwachstelle<br />
der OSZE besteht darin, daß einstimmig beschlossen<br />
werden muß. Diesen Posten habe ich bis 1998<br />
parallel zu meinem Bundestagsmandat ausgefüllt<br />
und bin dann aber sechs Jahre ganz nach Wien gegangen.<br />
Aus diesem Amt heraus habe ich u.a. meine<br />
Aktivitäten auf dem Balkan gestaltet, z.B. das mobile<br />
Kindergymnasium.<br />
Die Jugend nach dem<br />
Krieg<br />
W.W.: Können Sie diese fahrende gymnasiale<br />
Werkstatt noch ein wenig darstellen?<br />
F. Duve: Es handelte sich um 16 mobile Container,<br />
die zu einem großen „Zelt“ zUSAmmengestellt werden<br />
konnten – mit einem abnehmbaren Dach. Das<br />
bot den jungen Menschen auf dem Balkan eine Unterrichtsform<br />
auch für die Einübung ihrer Zukunft. Für<br />
jeweils einige Wochen zogen diese Container durch<br />
Kroatien, Bosnien und Jugoslawien, später auch<br />
durch den Kosovo, und boten den Jugendlichen des<br />
Balkans ein Forum zur grenzüberschreitenden Diskussion.<br />
Dieses <strong>Projekt</strong> wurde von Deutschland, Holland,<br />
Norwegen und der Schweiz finanziert.<br />
W.W.: Wurden die Kinder unterrichtet?<br />
F. Duve: Nein, es waren vor allem Gesprächsforen,<br />
aber auch künstlerische Aktivitäten. Die Schulen des<br />
Balkans waren alle ziemlich kaputt und die Eltern<br />
und Lehrer meist Haßprediger, die die jeweils anderen<br />
Ethnien als Verbrecher brandmarkten. Die 14- bis<br />
18jährigen <strong>Schüler</strong> kamen vormittags um 11 Uhr, und<br />
dann gab es thematische Gesprächsrunden. Die Aktivitäten<br />
dieser Organisation, „Verteidigung unserer<br />
Zukunft“, wurden z.B. in dem Buch „Balkan – die<br />
Jugend nach dem Krieg“ (Bozen 2002) veröffentlicht.<br />
Geleitet hat diese Gespräche neben mir vor allem<br />
Achim Koch, ein ehemaliger Theaterleiter aus <strong>Hamburg</strong>,<br />
ansonsten wirkten dort verantwortlich junge<br />
Akademiker aus der Region mit, die als Kinder den<br />
Krieg erlebt hatten. Dieses <strong>Projekt</strong> lief von 2000 bis<br />
zum Jahre 2004.<br />
Organisierter<br />
Tschetschenien-Haß<br />
W.W.: Welche Aktivitäten haben Sie außerdem bei<br />
der OSZE durchgeführt?<br />
F. Duve: Ein weiteres Problemfeld war der Kaukasus.<br />
Dort führte ich ähnliche Aktivitäten in Georgien<br />
und mit geflohenen tschetschenischen Kindern in<br />
Inguschetien durch. Leider war dieses <strong>Projekt</strong> nicht<br />
so fruchtbar, weil der Tschetschenien-Haß von Moskau<br />
organisiert wurde und weil es auf tschetschenischer<br />
Seite die bekannten Reaktionen gab. Schon<br />
bei Puschkin kommen die Tschetschenen als Feinde<br />
vor. Dieser Tschetschenien-Haß hat ähnlich wie der<br />
Antisemitismus uralte Wurzeln. Bei meinen Besuchen<br />
in Moskau sprach ich immer wieder mit tschetschenischen<br />
Akademikern, die darunter litten, daß sie als<br />
„anders-rassisch“ diffamiert wurden. Auf tschetschenischer<br />
Seite gibt es mittlerweile eine gefährliche<br />
islamistisch geprägte Unabhängigkeitsbewegung,<br />
aber in Wahrheit interessiert die Mehrheit der Tschetschenen<br />
der Islam immer sehr viel weniger als die<br />
Frage, in welcher Form sie in einer russischen Föderation<br />
existieren können. Andere Themen meines<br />
Amtes waren z.B. die Unfreiheit der Journalisten in<br />
Weißrußland und die zunehmende Zerstörung der<br />
hervorragenden journalistischen Aufbruchstimmung<br />
in Moskau. Bei diesen Aktivitäten mußte ich häufig<br />
Putin kritisieren, vor allem wegen seiner Tschetschenien-Politik,<br />
aber auch wegen der zunehmenden Einschränkung<br />
der journalistischen Freiheit. Rußland ist<br />
nach Kolumbien mittlerweile zu dem Land mit der<br />
zweithöchsten Anzahl von Morden an Journalisten<br />
aufgestiegen. Dieses Mandat führte ich bis Ende 2003<br />
mit Freude aus, vor allem deshalb, weil mein Mandat<br />
zum Entsetzen mancher Staatschefs in seiner Kritikberechtigung<br />
sehr weit reichte. Dies betraf aber auch<br />
die Staatschefs der Partnerstaaten der OSZE, Israel,<br />
Libanon, Ägypten, Tunesien und Marokko.<br />
Deutsche Vergangenheitsbewältigung<br />
W.W.: Wie haben Sie in diesen Tagen den 60. Jahrestag<br />
des Kriegsendes erlebt? Wie sehen Sie<br />
die Rolle Deutschlands bis heute? Lügt man sich<br />
über die eigene Verantwortung für die Verbrechen<br />
an den Juden und die Verbrechen durch den Krieg<br />
noch etwas in die Tasche, oder hat man sich der<br />
Verantwortung der Vergangenheit weitgehend gestellt?<br />
F. Duve: Deutschland hat unter schwierigen Prozessen<br />
die Vergangenheitsverbrechen in sein Geschichtsbewußtsein<br />
eingebaut, was ich für eine große Leistung<br />
halte. Stolz sollten wir darauf zwar nicht sein, da diese<br />
Verbrechen keinen Stolz erlauben, aber andererseits<br />
gibt es kein Land auf der Welt, in dem es nicht<br />
auch irgendwelche Verbrechen der Herrschenden<br />
gegeben hat. Fahren Sie einmal nach Wien oder Paris,<br />
dann sehen Sie, daß dort immer nur die Heldentaten<br />
des Volkes oder einzelner Herrschaften verewigt<br />
werden. Die Heldenverehrung als Teil der nationalen<br />
Geschichte ist ein immanentes Element des Nationalstolzes.<br />
In Deutschland hat man es geschafft, sich<br />
ein anfängliches Nationalbewußtsein zu erarbeiten,<br />
aber mit Einschluß der negativen Seiten der Vergangenheit.<br />
Dies ist weitgehend gelungen, und ich freue<br />
mich, durch meine Arbeit einen kleinen Beitrag dazu<br />
geleistet zu haben.<br />
Chile, das mittlerweile wieder eine Demokratie ist, hat<br />
sich diesen Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit<br />
zum Vorbild für die Aufarbeitung der eigenen<br />
Verbrechen genommen.<br />
W.W.: Ein ähnlich positives Beispiel ist Südafrika.<br />
F. Duve: Genau, auch hier hat man sich ganz vorbildlich<br />
der eigenen Geschichte gestellt. Vor allem<br />
Desmond Tutu, den ich verlegt hatte und der der<br />
südafrikanischen Kommission zur Aufarbeitung der<br />
Apartheid-Verbrechen vorstand, hat an vorderster<br />
Front mitgewirkt, die Geschichte der staatlichen Verbrechen<br />
Südafrikas in aller Öffentlichkeit aufzuarbeiten.<br />
Diese südafrikanische Kommission, zu der ich<br />
von Nelson Mandela eingeladen wurde, hieß „Truth<br />
and Reconciliation“, Wahrheit und Versöhnung. Auch<br />
für die Südafrikaner war es ein Vorbild, wie die Deutschen<br />
mit ihrer Vergangenheit umgegangen sind.<br />
Eine derartige Debatte hat es in Deutschland erst<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben. Während der<br />
Weimarer Republik gab es keine Debatten über die<br />
Verbrechen der Kolonialgeschichte. Diese Debatte<br />
gab es in Deutschland erst in den 60er Jahren, während<br />
sie in England schon in den 20er Jahren geführt<br />
wurde.<br />
Japanische und chinesischeMenschenrechtsverbrechen<br />
W.W.: Deutschland, Chile und Südafrika sind drei<br />
Beispiele gelungener Vergangenheitsbewältigung.<br />
Aber in den meisten anderen Ländern sieht dies<br />
ganz anders aus. Gerade gab es in China Unruhen<br />
wegen eines japanischen Schulbuchs, welches<br />
die japanischen Kriegsgreuel während der japanischen<br />
Besatzung in China leugnet. Warum sieht<br />
man in Japan nicht der Wahrheit ins Gesicht?<br />
F. Duve: Gegenüber Japan war ich immer äußerst<br />
kritisch eingestellt. Für Fragen der Vergangenheitsbewältigung<br />
gibt es in Japan keinerlei Pluralismus.<br />
In Japan herrschte immer ein monolithisches Bewußtsein,<br />
auch bei der Modernisierung des Staates.<br />
Aber eine Debatte über die eigenen Fehler der Vergangenheit<br />
hat es in Japan bisher nicht gegeben. Die<br />
GraUSAmkeit der japanischen Besetzung in China<br />
war ungeheuer. Es war ein Massenmord an der chinesischen<br />
Bevölkerung durch das japanische Militär.<br />
Und die Unruhen im April dieses Jahres entstanden<br />
bei den Chinesen, wenn auch staatlich gelenkt, weil<br />
die Japaner diese Verbrechen nicht nur ignorieren,<br />
sondern z.B. in dem besagten Schulbuch als Heldengeschichte<br />
verklären.<br />
Auch wird in China teilweise immer noch Mao verehrt.<br />
Die europäischen Firmen investieren in China, aber es<br />
gibt keine Kritik an den Menschenrechtsverbrechen<br />
in China. China seinerseits benutzt die japanischen<br />
Verbrechen zur modernen Stabilisierung und zur Unterdrückung<br />
der Kritik an der chinesischen Modernisierungsdiktatur.<br />
Das sieht man z.B. daran, daß alle<br />
Konflikte und Unruhen der westlichen Regionen Chinas<br />
verschwiegen und unterdrückt werden. Dort gibt<br />
es Kämpfe, Reisebeschränkungen dramatischer Art,<br />
dort herrschen Armut und Stammeskriege, und nur<br />
ganz selten dürfen Journalisten aus dem Westen diese<br />
Region besuchen und Kritisches schreiben. China<br />
hat als Wachstumsland enorme Strukturprobleme,<br />
und solche Probleme werden in der Regel durch Härte<br />
gegen Menschen verdrängt.<br />
Das türkische Schweigen<br />
W.W.: Auch der türkische Völkermord an den Armeniern<br />
jährte sich in diesen Tagen, in diesem Fall<br />
zum 90. Mal. Wie ist es möglich, daß der größte<br />
Teil der türkischen Gesellschaft – vom einfachen<br />
Bürger bis hinein in die Regierung – dieses Verbrechen,<br />
das immerhin ca. 1,5 Millionen Menschen<br />
das Leben gekostet hat, leugnet?<br />
F. Duve: Das hängt mit der Entstehung des postislamischen<br />
Nationalstaats in der Türkei zUSAmmen. In<br />
der Türkei nach Atatürk gibt es die Ambivalenz zwischen<br />
der Modernisierung – Trennung von Staat und<br />
Religion – auf der einen Seite und der rassistischen<br />
Verfolgung bestimmter Gruppen auf der anderen Seite.<br />
Dieses System hat zur Verfestigung der sich als<br />
Demokratie verstehenden Türkei geführt. Ich war oftmals<br />
für den Bundestag in der Türkei, u.a. auch in der<br />
kurdischen Stadt Diyarbakir, und habe immer wieder<br />
auch auf türkische Parlamentarier eingewirkt, daß<br />
man den Kurden ihre Rechte gibt oder wenigstens<br />
ihre Sprache zuläßt. Es gab z.B. Karten der Türkei bis<br />
in die 80er Jahre, auf denen überhaupt keine „kurdischen“<br />
Regionen erwähnt werden durften. In der<br />
Frage der Kurden gibt es mittlerweile Fortschritte.<br />
Aber der Massenmord an den Armeniern wird gerade<br />
jetzt ganz besonders durch die türkische Gesellschaft<br />
ausgeblendet. Allerdings gibt es zum ersten Mal in<br />
der Türkei literarische Stimmen, nicht zuletzt durch<br />
Orhan Pamuk, den Träger des Friedenspreises des<br />
Deutschen Buchhandels aus diesem Jahr, die Licht<br />
in diese Verbrechen zu bringen versuchen.<br />
W.W.: Wie steht es mit dem Völkermord in Kambodscha?<br />
Vor 30 Jahren haben die Roten Khmer<br />
die Macht übernommen und in den Folgejahren<br />
44 45
zwei Millionen Menschen umgebracht. Ist dieses<br />
Verbrechen aufgearbeitet worden, sind die Verantwortlichen<br />
zur Rechenschaft gezogen worden,<br />
schaut man der Wahrheit ins Gesicht?<br />
F. Duve: Es gibt zarte Anfänge, aber nicht viele. Zum<br />
30. Jahrestag der Machtübernahme der Roten Khmer<br />
hat man gerade der Millionen Opfer des Pol-<br />
Pot-Regimes gedacht, aber es waren nur etwa 200<br />
Menschen, die bei einer buddhistischen Zeremonie<br />
in einem der sogenannten „Killing fields“ vor einem<br />
mit Menschenschädeln gefüllten Turm Räucherstäbchen<br />
angezündet haben. Aber noch wurde keiner der<br />
einstigen Khmer-Führer vor Gericht gestellt.<br />
W.W.: Wie sehen Sie den jüngsten Völkermord,<br />
den von 1994 in Ruanda? Wird er durch die Dorfgerichte<br />
richtig aufgearbeitet, oder ist dies angesichts<br />
der Massen von Tätern gar nicht vollständig<br />
möglich?<br />
F. Duve: Angesichts der Fehler, die wir Europäer in<br />
diesen Regionen gemacht haben, möchte ich diese<br />
Prozesse nicht von außen beurteilen. Aber in der<br />
Sache war dieser Völkermord eines der schlimmsten<br />
Menschheitsverbrechen nach Auschwitz.<br />
Der ganze Mensch ist<br />
gefragt<br />
W.W.: Was empfehlen Sie einem jungen Menschen<br />
von heute, damit er keinen politischen Lügen auf<br />
den Leim geht, der Wahrheit ins Gesicht sieht und<br />
sich der eigenen Verantwortung stellt?<br />
F. Duve: Hier bin ich sehr zurückhaltend. Aber es geht<br />
grundsätzlich immer um Solidarität für das Leben<br />
anderer und um Wahrheit für das eigene Leben. Ich<br />
würde den jungen Menschen raten, daß sie sich zwar<br />
dem beruflichen Lebenskampf stellen müssen, aber<br />
daß es immer Regeln der Fairneß geben muß, und ich<br />
würde sie darauf hinweisen, wie gefährlich die Abkehr<br />
von demokratischen Grundprinzipien ist. Aber da ich<br />
viel mit Jugendlichen rede, interessieren mich meist<br />
die Fragen und Überlegungen der Jugendlichen mehr<br />
als meine eigenen. Das ist mir in meiner Jugend auch<br />
so ergangen.<br />
Besonders wichtig ist es aber für junge Menschen,<br />
sich mit Erfahrungen zu konfrontieren und nicht nur<br />
theoretische und abstrakte Lerninhalte aufzUSAmmeln<br />
bzw. nur vor dem Computer zu sitzen. Denn der<br />
Computer vermittelt keinerlei Erfahrung. Wenn man<br />
richtig und fest im Leben stehen will, dann sollte das<br />
Leben sowohl aus den Erfahrungen verschiedener<br />
Lebensumstände und der positiven Auseinandersetzung<br />
mit anderen Kulturen als auch aus dem Aufnehmen<br />
verschiedenster Lerninhalte bestehen.<br />
Leider wird in vielen Berufen immer weniger der ganze<br />
Mensch gefragt, weil immer mehr Arbeitsfelder<br />
von Maschinen übernommen werden, und diese<br />
Industrialisierung des Individuums für berufliche Tätigkeit<br />
kann auch das soziale Verständnis beschädigen.<br />
Und das kann zu unreflektierten Sehnsüchten<br />
vieler Jugendlicher führen, was man jetzt z.B. bei der<br />
Papstwahl gesehen hat. Ich halte es schon für sehr<br />
bedenklich, welchen Zulauf der letzte und der jetzige<br />
Papst durch Jugendliche bekamen, wenn man nur<br />
bedenkt, daß beide mit dazu beigetragen haben, daß<br />
in Afrika Hunderttausende von hiv-verseuchten Kindern<br />
geboren wurden, und wenn man sieht, wie der<br />
neue Papst das Unglück der Frauen in seinem eleganten<br />
römischen Hofstaat fortlächelt. Diese Päpste-<br />
Euphorie spiegelt aber die bedenkliche Lage junger<br />
Menschen von heute.<br />
© Flensburger Heft Verlag<br />
Flensburger Heft 88 Frühjahr 2005<br />
Unterstützungs Brief<br />
Dr. Hans Koschnick, * 2. April 1929 in Bremen<br />
Vom 23. Juli 1994 bis zum 2. April 1996 war Koschnick<br />
von der Europäischen Union als EU-Administrator für<br />
Mostar in Bosnien-Herzegowina mit der Koordination des<br />
Wiederaufbaus, der Verwaltung und Infrastruktur der<br />
kriegszerstörten Stadt beauftragt<br />
Ex-Bürgermeister von Bremen und ehemaliger Abgeordneter<br />
im Deutschen Bundestag.<br />
Bremen, 07.05.<strong>2008</strong><br />
Sehr geehrte Frau Bordes,<br />
mit großem Respekt verfolge ich die schon vor Jahren von Ihnen mit <strong>Schüler</strong>innen und <strong>Schüler</strong>n der Gesamtschule<br />
Stellingen – aber auch mit Zutritt von Besuchern weiterer Schulen aus ihrem Umfeld – aufgenommenen<br />
Hilfsaktionen für Schulen in Bosnien-Herzegowina.<br />
Wer, wie ich, die zum Teil dramatischen Folgen für das Schul- und Unterrichtswesen in diesen von bürgerkriegsähnlichen<br />
Konflikten belasteten Teil von Südosteuropa konkret und real miterleben musste, weiß um<br />
die dortigen widerstreitenden Interessen, bei der Finanzierung, bei der Gestaltung eines erträglichen Schulalltages<br />
und um nachhaltige Einwirkungen auf die nationalistischen Befindlichkeiten bei den Problemen, die wir<br />
geordnete Verhältnisse zu bezeichnen pflegen. Er weiß aber auch vom Bildungshunger der dortigen jungen<br />
Generation. Etwas, was viel zu selten von den regionalen Verantwortlichen aufgegriffen und in Teilen behoben<br />
wird. Hier haben die Unterstützung und die Hilfen aus Ihren <strong>Projekt</strong>en nicht nur Anstoß gegeben, sondern<br />
auch vor Ort Mut gemacht. Dafür möchte ich persönlich Ihnen und alle beteiligten Unterstützer herzlichen<br />
Dank sagen, wissend, dass damit eine eigentlich notwendige öffentliche Anerkennung leider nicht (oder besser<br />
gesagt: noch nicht) verbunden ist.<br />
Für Ihre diesjährige Aktion, gemeinsam mit <strong>Schüler</strong>n eines Gymnasiums in Sarajewo an die schwierige Aufgabe<br />
heranzugehen, gerade dort für die Sanierung der Unterrichtsstätte eine aktive Hilfe zu organisieren,<br />
nein, nicht zu organisieren, sondern mit anzupacken, bei dem es sowohl um die Ermöglichung eines geordneten<br />
Schulunterrichts, als auch gleichzeitig um Integration geht, wünsche ich Ihnen viel – auch materielle<br />
- Unterstützung. Dieses <strong>Projekt</strong> ist notwendig und ideell deshalb so vorbildlich, weil versucht wird, die nationalen<br />
Identitätsgegensätze glaubwürdig und zugleich nachhaltig über den gemeinsamen Schulbesuch von<br />
<strong>Schüler</strong>n verschiedener bosnischer Nationalitäten zu überwinden. Etwas, was eigentlich Zielvorgabe für alle<br />
sein sollte, aber dort leider viel zu selten ernsthaft in Angriff genommen wird. Ich bin von dem hier sichtbar<br />
werdendem Engagement stark beeindruckt und wiederhole gerne, was ich zu Anfang schrieb: Respekt!<br />
Mit guten Wünschen für dieses vorbildliche <strong>Projekt</strong><br />
bleibe ich Ihr<br />
Hans Koschnick<br />
46 47
Veröffentlichungen<br />
Unsere Veröffentlichungen im Rahmen der <strong>Projekt</strong>e<br />
<strong>Hamburg</strong>er!<br />
helft Bosnien!<br />
Die Verteidigung der Zukunft<br />
Mein Blick zurück - Unser Blick nach vorn<br />
Freimut Duve liest aus seinen Werken<br />
Eine Benefizveranstaltung für das <strong>Schüler</strong>austausch <strong>Projekt</strong> der Gesamtschule Stellingen und<br />
der Ida Ehre Gesamtschule mit dem Vierten Gymnasium in <strong>Sarajevo</strong> - Bosnien-Herzegovina<br />
Freimut Duve: Journalist, Autor, 1980-1998 Bundestagsabgeordneter, ehem. Beauftragter für<br />
die Freiheit der Medien der OSZE, Hannah- Ahrendt - Preisträger.<br />
Fotoausstellung: <strong>Sarajevo</strong> und Mostar<br />
Dienstag, 17. Juni <strong>2008</strong>, 20 Uhr<br />
GS Stellingen, Brehmweg 60<br />
Eintritt: 8 €<br />
Schirmherr:<br />
Freimut Duve<br />
Gesamtschule Stellingen<br />
Brehmweg 60<br />
22527 <strong>Hamburg</strong><br />
U-Bahn Lutterothstraße<br />
Kartenvorbestellungen:<br />
GS Stellingen: 428 898 01<br />
Ida Ehre Gesamtschule: 428 978 125<br />
Meine Zukunft heißt China.<br />
Meine Bank Haspa.<br />
www.haspa.de<br />
Meine Bank.<br />
48 49
Veröffentlichungen<br />
Unsere Veröffentlichungen im Rahmen der <strong>Projekt</strong>e<br />
<strong>Projekt</strong> mit <strong>Sarajevo</strong> / Bosnien und Herzegovina<br />
Benefiz Lesung Freimut Duve<br />
„Die Verteidigung der Zukunft – Mein Blick zurück / Unser Blick nach vorn“<br />
Freimut Duve: Journalist, Autor, 1980-1998 Bundestagsabgeordneter,<br />
ehem. Beauftragter für die Freiheit der Medien der OSZE, Hannah-Ahrendt-Preisträger.<br />
Fotoausstellung: <strong>Sarajevo</strong> und Mostar<br />
Montag, 19.Januar 2009, 20 Uhr<br />
Ida Ehre GS, Oberstufenzentrum<br />
Eintritt: 4 €<br />
Schirmherr:<br />
Freimut Duve<br />
Behörde für Schule und Berufsbildung<br />
Ida Ehre Gesamtschule<br />
Oberstufenzentrum<br />
Lehmweg 14<br />
20251 <strong>Hamburg</strong><br />
Vorverkauf:<br />
Ida Ehre Gesamtschule: 428 978 125<br />
Gesamtschule Stellingen: 428 898 01<br />
Duve Flyer.indd 1 25.12.<strong>2008</strong> 22:25:49 Uhr<br />
<strong>Hamburg</strong><br />
Auch 14 Jahre nach dem Krieg<br />
auf dem Balkan brauchen die<br />
Jugendlichen in <strong>Sarajevo</strong> Hilfe!<br />
Seit 2003 fahren <strong>Schüler</strong> und Lehrer<br />
der Gesamtschule Stellingen<br />
in <strong>Projekt</strong>en nach Bosnien und<br />
Herzegovina.<br />
2003/2004 und 2005 unterstützten<br />
sie die Berta Kucera Schule in Sibenica<br />
und errichteten einen Kinderspielplatz.<br />
Hierfür erhielten die <strong>Schüler</strong><br />
den Bertini Preis. 2004 führten Oberstufenschüler<br />
ein dreiwöchiges Praktikum<br />
im VW Werk in <strong>Sarajevo</strong> durch.<br />
Seit 2005 besteht ein <strong>Schüler</strong>austausch<br />
mit dem Vierten Gymnasium in<br />
Ilidza / <strong>Sarajevo</strong>. Seitdem lernen, leben<br />
und arbeiten jedes Jahr 32 <strong>Schüler</strong><br />
aus <strong>Sarajevo</strong> und <strong>Hamburg</strong> zwei<br />
Wochen gemeinsam. 2006 bemalten<br />
sie eine Straßenbahn in <strong>Sarajevo</strong> mit<br />
ökologischen Motiven, die seitdem im<br />
Liniendienst fährt.<br />
2007 und <strong>2008</strong> verteilten sie 5000<br />
Stoffbeutel mit Motiven zum Klimaschutz,<br />
die sie in <strong>Hamburg</strong> in der<br />
Siebdruckerei Beling selbst bedruckten.<br />
Seit 2006 findet das <strong>Projekt</strong> in Kooperation<br />
mit der Ida Ehre Gesamtschule<br />
statt.<br />
<strong>2008</strong> gestalteten <strong>Schüler</strong> aus <strong>Hamburg</strong><br />
und <strong>Sarajevo</strong> drei Wände der<br />
grauen und von Granatsplittern beschädigten<br />
Schule unter Anleitung<br />
des französischen Künstlers Darco<br />
mit Graffiti. Die beiden <strong>Hamburg</strong>er<br />
Gesamtschulen werden auch in Zukunft<br />
das Vierte Gymnasium in <strong>Sarajevo</strong><br />
unterstützen. Sie wollen das interkulturelle<br />
Zusammenwachsen der<br />
Jugendlichen in Europa ermöglichen<br />
und ihnen Zukunftschancen eröffnen.<br />
Vom 24.-31. Mai 2009 werden 16<br />
<strong>Hamburg</strong>er <strong>Schüler</strong> der beiden Gesamtschulen<br />
nach <strong>Sarajevo</strong> reisen<br />
und erneut gemeinsam leben und<br />
arbeiten und unter Anleitung des<br />
französischen Künstlers Graffiti zum<br />
ökologischen Gleichgewicht an der<br />
Schule und in der Innenstadt <strong>Sarajevo</strong>s<br />
gestalten. Weiterhin werden die<br />
<strong>Hamburg</strong>er <strong>Schüler</strong> in den Gastfamilien<br />
Zeitzeugengespräche zum Kriegsgeschehen<br />
(1992 - 1995) führen und<br />
diese multimedial dokumentieren.<br />
Wenn Sie dieses <strong>Austausch</strong>projekt<br />
unterstützen möchten, bitten wir<br />
Sie, mit uns über die Homepage<br />
www.hamburg-sarajevo.de<br />
Kontakt aufzunehmen.<br />
Sie können uns auch gern mit einer<br />
Spende unterstützen.<br />
Leitung des <strong>Austausch</strong>s:<br />
Cläre Bordes, Lehrerin,<br />
Gesamtschule Stellingen<br />
Julia Muhs, Lehrerin<br />
Ida Ehre Gesamtschule<br />
Schulverein GS Stellingen<br />
Stichwort: Bosnien<br />
Haspa BLZ 200 505 50<br />
Kt.Nr. 1281 120 772<br />
Duve Flyer.indd 2 25.12.<strong>2008</strong> 22:25:50 Uhr<br />
50 51
Pressespiegel<br />
Stimmen aus der deutschen und bosnischen Presse über das <strong>Projekt</strong><br />
<strong>Hamburg</strong>er Lehrerzeitung, 09-08<br />
52 53
Pressespiegel<br />
Stimmen aus der deutschen und bosnischen Presse über das <strong>Projekt</strong><br />
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<strong>Hamburg</strong>er Abendblatt, 05./06.07.08<br />
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Osterstraße 177 • 20255 <strong>Hamburg</strong> • Telefon: 040-361 668 260<br />
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Sie gern. Was nicht vorrätig ist, besorgen wir so schnell wie möglich. Versprochen!
Pressespiegel<br />
Stimmen aus der deutschen und bosnischen Presse über das <strong>Projekt</strong><br />
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Dnevini avaz, 11.07.08<br />
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Restaurant Naoussa<br />
Luruper Weg 38, 20257 <strong>Hamburg</strong><br />
040 49 77 75<br />
Öffnungszeiten: Mo.-So. 17.00 - 23.30 Uhr<br />
So. 12.00 - 23.30 Uhr<br />
Olli‘s Spielecenter<br />
Trading Cards An- und Verkauf<br />
Stellinger Weg 32b<br />
20255 <strong>Hamburg</strong><br />
040 82242277<br />
Fischhandel<br />
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Stellinger Weg 26<br />
20255 <strong>Hamburg</strong><br />
Tel: 040 40 88 02, Fax:<br />
040 40 70 51<br />
Getränkehandel<br />
Hubert Losch<br />
Heußweg 95<br />
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040 491 27 31<br />
vita apotheke<br />
Heußweg 35<br />
20255 <strong>Hamburg</strong><br />
040 40 90 59<br />
mo - so<br />
8.00 - 24.00 uhr geöffnet<br />
orion apotheke<br />
Gisela Scheel<br />
Osterstraße 151<br />
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20255 <strong>Hamburg</strong><br />
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Haar Schnitt<br />
Högenstraße 54c 22527<br />
<strong>Hamburg</strong><br />
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