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Steuern sind nicht immer gerecht” - Steuerkanzlei Rolf Benz

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”<strong>Steuern</strong> <strong>sind</strong> <strong>nicht</strong> <strong>immer</strong> <strong>gerecht”</strong><br />

<strong>Rolf</strong> <strong>Benz</strong>, 35<br />

Steuerrechts-Anwalt, Winterthur<br />

”Degressive Tarife in den Kantonen<br />

<strong>sind</strong> tolerierbar, soweit sie die Progression<br />

des Bundes ausgleichen”<br />

Wer in guten Verhältnissen lebt, soll mehr Geld an den<br />

Staat abliefern als weniger Begüterte. So der Grundsatz<br />

der Bundesverfassung. Doch dieses Prinzip bleibt<br />

in der Praxis <strong>immer</strong> häufiger auf der Strecke. Nicht zuletzt<br />

wegen der zunehmenden indirekten <strong>Steuern</strong>.<br />

plädoyer: Die Besteuerung muss die<br />

wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer<br />

Person berücksichtigen. Artikel<br />

127 der Bundesverfassung (BV) verlangt<br />

dies ausdrücklich. In der<br />

Schweiz ist die Steuerlast aber vor allem<br />

vom Wohnsitz abhängig.<br />

<strong>Rolf</strong> <strong>Benz</strong>: Das ist eine Folge des interkantonalen<br />

Steuerwettbewerbs, der<br />

den Appetit des Fiskus zügelt und so<br />

allen Steuerzahlern nützt. Es kann ja<br />

jeder selbst entscheiden, wo er wohnt.<br />

Ulrich Cavelti: Genau. Es besteht<br />

Niederlassungsfreiheit. Hochsteuerdomizile<br />

haben unter Umständen andere<br />

Vorteile, etwa unberührte Natur<br />

oder Ruhe.<br />

plädoyer: Die gegenwärtige Tendenz<br />

von den direkten hin zu <strong>immer</strong> mehr<br />

indirekten <strong>Steuern</strong> führt zu einer Umverteilung<br />

der Steuerlast von oben<br />

nach unten. Hält dies vor der Verfassung<br />

stand?<br />

Cavelti: Indirekte <strong>Steuern</strong> <strong>sind</strong> <strong>nicht</strong><br />

als solche ungerecht. Die Mehrwertsteuer<br />

etwa belastet zwar den Konsum.<br />

Die abgestuften Steuersätze tragen<br />

aber der sozialen Komponente<br />

Rechnung. Und auch Nichterwerbstätige<br />

werden zur Kasse gebeten.<br />

<strong>Benz</strong>: Die Mehrwertsteuer macht<br />

mit 19 Milliarden Franken höchstens<br />

einen Fünftel des Steueraufkommens<br />

von Bund und Kantonen aus. Um<br />

die niedrigen Einkommen zu entlasten,<br />

wäre es denkbar, dass man den<br />

reduzierten Mehrwertsteuersatz von<br />

2,4 Prozent noch stärker senkt. Oder<br />

wie in England Lebensmittel ganz<br />

von der Konsumsteuer befreit.<br />

plädoyer: Die Bestrebungen von Finanzminister<br />

Merz für einen Einheitssatz<br />

bei der Mehrwertsteuer gehen<br />

aber in eine andere Richtung.<br />

Cavelti: Damit wird er <strong>nicht</strong> durchkommen.<br />

<strong>Benz</strong>: Das kann ich mir auch <strong>nicht</strong><br />

vorstellen.<br />

plädoyer: Degressiv wirken etwa<br />

auch <strong>Steuern</strong> auf Tabak, Alkohol oder<br />

<strong>Benz</strong>in sowie die ständig steigenden<br />

staatlichen Gebühren. Wer wenig verdient,<br />

zahlt dafür proportional mehr.<br />

<strong>Benz</strong>: Das kann man so sehen. Deshalb<br />

diskutiert man ja jetzt Modelle,<br />

wonach ein Teil des Mehrwertsteuerertrages<br />

zurückverteilt werden soll,<br />

zum Beispiel durch eine Senkung der<br />

Krankenkassenprämien.<br />

Cavelti: Man könnte theoretisch<br />

auch ganz auf die Besteuerung des<br />

Einkommens verzichten und nur<br />

noch den Verbrauch besteuern. Aber<br />

am gerechtesten ist und bleibt wohl<br />

ein Steuersystem, das sowohl Konsum<br />

als auch Einkommen erfasst.<br />

plädoyer: Die FDP will die sehr progressiv<br />

ausgestaltete direkte Bundessteuer<br />

abschaffen. Dies würde die<br />

Wohlhabenden entlasten – die unteren<br />

Einkommen hätten <strong>nicht</strong>s davon.<br />

Deckt sich dies noch mit der vorgeschriebenen<br />

Besteuerung nach Leistungsfähigkeit?<br />

Cavelti: Wenn die direkte Bundessteuer<br />

abgeschafft wird, müsste man<br />

die Mehrwertsteuer verdoppeln, um<br />

den Einnahmeverlust auszugleichen.<br />

Die perfekte Lösung, auf der grünen<br />

Wiese neu entworfen: Kantone erheben<br />

direkte <strong>Steuern</strong>, der Bund indirekte.<br />

Dies wäre eine klare Aufgabenteilung.<br />

Doch das ist graue Theorie.<br />

Real muss der Finanzausgleich eingeführt<br />

werden. Dafür brauchen wir<br />

einen Teil der direkten Bundessteuer.<br />

plädoyer: Wer seinen Lebensunterhalt<br />

durch Arbeit bestreiten muss,<br />

wird heute vom Fiskus bestraft. Wer<br />

plädoyer 2/07 plädoyer 2/07<br />

vom Vermögen lebt, wird minimal<br />

besteuert.<br />

Cavelti: Das Vermögen wurde bereits<br />

besteuert, als es gebildet wurde – übers<br />

Einkommen. Zudem: Auch der Vermögensertrag<br />

unterliegt der Einkommenssteuer,<br />

ausgenommen die Kapitalgewinne.<br />

plädoyer: Glücklich auch die, die<br />

vom geerbten Vermögen leben. Wie<br />

erklären Sie einer Verkäuferin, die für<br />

ihre hart erarbeiteten 40 000 Franken<br />

Jahreseinkommen <strong>Steuern</strong> bezahlt,<br />

dass der Vermögensanfall durch Erbschaft<br />

heute praktisch steuerbefreit ist?<br />

<strong>Benz</strong>: Stimmt: Wer erbt oder beschenkt<br />

wird, zahlt oft weniger <strong>Steuern</strong>.<br />

Das ist problematisch. Ich verstehe<br />

aber auch <strong>nicht</strong>, dass die SP mit<br />

ihrer Initiative «Ja zu fairen <strong>Steuern</strong>»<br />

einen Mindeststeuersatz auf Einkommen<br />

fordert. Das ist schlicht überflüssig,<br />

da ja bereits alle Kantone das<br />

Einkommen besteuern. Wenn schon,<br />

müssten für Erbschaften Mindeststeuersätze<br />

eingeführt werden. Diese<br />

sollten tief angesetzt sein: etwa bei<br />

fünf oder zehn Prozent, verbunden<br />

mit einem hohen Freibetrag von einer<br />

Million Franken. Die Vermögenssteuer<br />

hingegen gehört meines Erachtens<br />

abgeschafft.<br />

Cavelti: Ich war gegen die Abschaffung<br />

der kantonalen Erbschaftssteuer.<br />

STEUERRECHT<br />

Ulrich Cavelti, 60<br />

Präsident des Verwaltungsgerichts St. Gallen<br />

”Für mich ist klar: Degressive<br />

<strong>Steuern</strong> verletzen das<br />

Leistungsfähigkeitsprinzip”<br />

Aber wir können das Rad der Geschichte<br />

<strong>nicht</strong> zurückdrehen. Es<br />

bräuchte eine Verfassungsänderung<br />

für die Einführung einer Erbschaftssteuer<br />

auf Bundesebene. Doch das ist<br />

wohl utopisch.<br />

<strong>Benz</strong>: Ich schlage keine Bundes-Erbschaftssteuer<br />

vor. Hingegen sollten die<br />

Kantone im Steuerharmonisierungsgesetz<br />

dazu verpflichtet werden, Erbschaftssteuern<br />

zu erheben. Dafür liessen<br />

sich Mehrheiten finden.<br />

Cavelti: Es bräuchte aber dennoch<br />

eine Änderung von Artikel 129 der<br />

Bundesverfassung, da die Erbschaftssteuer<br />

<strong>nicht</strong> von der Harmonisierung<br />

erfasst ist.<br />

plädoyer: Das Steuersystem basiert<br />

offenbar eher auf politischen Erwägungen<br />

als auf dem Grundsatz der<br />

Leistungsfähigkeit und anderen Gerechtigkeitsüberlegungen.<br />

Cavelti: Diesen Eindruck habe ich<br />

manchmal auch, wenn ich als Experte<br />

der stände- und nationalrätlichen<br />

Kommissionen für Wirtschaft und<br />

Abgaben die Diskussionen im Parlament<br />

verfolge.<br />

plädoyer: Politisch motiviert <strong>sind</strong><br />

auch die Schwenker von Kantonen<br />

wie Schaffhausen und Obwalden hin<br />

zu degressiven Steuertarifen bei hohen<br />

Einkommen. Sicher ein guter<br />

Kniff, um reiche Steuerzahler zu gewinnen.<br />

Ist die Abkehr von progressiver<br />

Besteuerung mit dem Prinzip<br />

der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit<br />

zu vereinbaren?<br />

Cavelti: Die Finanzdirektorenkonferenz<br />

steuert in eine andere Richtung.<br />

plädoyer: Namhafte Steuerrechtler<br />

wie Markus Reich oder Georg Rich<br />

verteidigen degressive <strong>Steuern</strong>. Nicht<br />

die gerechte Wohlstandsverteilung<br />

stehe im Vordergrund. Rechtlich sei<br />

vernünftig, was für den Staatssäckel<br />

ökonomisch Sinn mache.<br />

Cavelti: Für mich ist klar: Degressive<br />

<strong>Steuern</strong> verletzen das Leistungsfähigkeitsprinzip.<br />

Da bin ich in guter<br />

Gesellschaft. Reich und Rich vertreten<br />

eine Minderheit. Das Bundesgericht<br />

muss jetzt entscheiden, ob die<br />

degressiven Tarife Obwaldens und<br />

Schaffhausens noch verfassungskonform<br />

<strong>sind</strong>.<br />

<strong>Benz</strong>: Degressive Tarife bei kantonalen<br />

<strong>Steuern</strong> <strong>sind</strong> nur so weit tolerierbar,<br />

wie sie die Progression der direkten<br />

Bundessteuer ausgleichen.<br />

Gesamthaft muss die Einkommenssteuer<br />

mindestens proportional sein.<br />

In Obwalden und Schaffhausen ist<br />

der Tarif auch unter Berücksichtigung<br />

der direkten Bundessteuer degressiv<br />

– und somit meines Erachtens<br />

unzulässig.


plädoyer: Der Fiskus besteuert <strong>nicht</strong><br />

nur reales, sondern auch fiktives Einkommen.<br />

Stichwort Eigenmietwert:<br />

Wenn ich mein Vermögen in eine<br />

Yacht stecke, zahle ich keine Einkommenssteuer.<br />

Kaufe ich mir eine Wohnung,<br />

wird der fiktive Eigenmietwert<br />

besteuert. Wo ist da die Gleichbehandlung<br />

der Steuerpflichtigen?<br />

Cavelti: Der Gedanke hinter dem Eigenmietwert:<br />

Der Eigenheimbesitzer<br />

soll <strong>nicht</strong> besser gestellt sein als der<br />

Mieter.<br />

plädoyer: Wer auf der Jacht wohnt,<br />

zahlt aber <strong>nicht</strong>s.<br />

Cavelti: <strong>Steuern</strong> <strong>sind</strong> <strong>nicht</strong> <strong>immer</strong> gerecht.<br />

Das ist leider so.<br />

<strong>Benz</strong>: Würde man den Eigenmietwert<br />

abschaffen, dürften auch keine<br />

Unterhaltskosten und Hypothekarzinsen<br />

mehr abgezogen werden.<br />

Cavelti: Mit diesen Abzügen haben<br />

junge Wohneigentümer eine negative<br />

Steuerbilanz. Das ist Wohneigentumsförderung<br />

par exellence.<br />

plädoyer: <strong>Steuern</strong> als Lenkungsabgaben?<br />

Ist das sinnvoll?<br />

Cavelti: Zugegeben, einige Steuermassnahmen<br />

wirken lenkend. Etwa<br />

die Kinderabzüge.<br />

plädoyer: Seit Anfang Jahr gibts einen<br />

Rabatt für Verheiratete. Zusätzlich<br />

zu dem im Vergleich zu den Ledigen<br />

niedrigeren Steuertarif können<br />

sie vom gemeinsamen Einkommen<br />

noch 15 000 Franken abziehen. Sollen<br />

<strong>Steuern</strong> zum Heiraten motivieren?<br />

Cavelti: Hier ist tatsächlich fraglich,<br />

ob sich das mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip<br />

verträgt.<br />

plädoyer: Weshalb ist der Zivilstand<br />

überhaupt steuerrelevant? Müssten<br />

<strong>nicht</strong> alle nach ihrer persönlichen<br />

Leistungsfähigkeit besteuert werden?<br />

<strong>Benz</strong>: Das ergäbe neue Ungerechtigkeiten.<br />

Mit der Individualbesteuerung<br />

fahren jene Ehepaare schlecht, bei denen<br />

der eine viel und der andere wenig<br />

verdient. Der gut Verdienende<br />

rutscht in eine hohe Progression, der<br />

andere zahlt ohnehin kaum <strong>Steuern</strong>.<br />

Cavelti: Natürlich kann man zur Individualbesteuerung<br />

wechseln. Aber<br />

Ulrich Cavelti: «Die Kirchensteuer<br />

für juristische Personen gehört abgeschafft.»<br />

auch hier muss dem Leistungsprinzip<br />

Rechnung getragen werden. Mit einem<br />

austarierten Abzugs- und Zulagensystem<br />

müssten Sonderbelastungen<br />

ausgeglichen werden. Die Besteuerung<br />

würde komplizierter statt<br />

einfacher. Das sage ich als Mitglied der<br />

Expertenkommission zur Individualbesteuerung.<br />

<strong>Benz</strong>: Die Zahl der Steuerpflichtigen<br />

stiege zudem um sechzig Prozent. Ein<br />

weiterer Nachteil: Ehegatten müssten<br />

ihr Vermögen und die Einkünfte daraus<br />

für die Steuererklärung aufteilen.<br />

Cavelti: Berücksichtigt werden müsste<br />

auch der Güterstand. Damit würde<br />

die Sache noch komplizierter.<br />

<strong>Benz</strong>: Eine pragmatische Lösung<br />

wäre ein Teilsplitting, worüber wir im<br />

Steuerpaket 2001 bereits abgestimmt<br />

haben. Das gemeinsame Einkommen<br />

des Paares würde weiterhin gemeinsam<br />

besteuert. Aber für die Bestimmung<br />

der Progressionsstufe durch einen<br />

Divisor – beispielsweise 1,9 – geteilt.<br />

Denkbar wäre ergänzend ein<br />

Wahlrecht für das Veranlagungsmodell:<br />

individuell oder gemeinsam.<br />

plädoyer: Zurück zur lenkenden<br />

Funktion des Fiskus: <strong>Steuern</strong> können<br />

auch investitionshemmend sein. Wer<br />

sein Vermögen an der Börse in Wertschriften<br />

von Unternehmen investiert,<br />

muss den Kapitalgewinn <strong>nicht</strong><br />

versteuern. Wer mit seinem Geld ein<br />

eigenes Unternehmen gründet und<br />

Arbeitsplätze schafft, zahlt auf dem<br />

Unternehmensgewinn und dann<br />

auch nochmals auf der Dividende<br />

Einkommenssteuern. Warum sollte<br />

unter diesen Umständen jemand Geld<br />

in neue Unternehmen investieren?<br />

Cavelti: Das ist tatsächlich ein Problem.<br />

In vielen kleinen und mittleren<br />

Unternehmen werden keine Dividenden<br />

ausgeschüttet, um die Besteuerung<br />

zu umschiffen. Dadurch wird die<br />

Unternehmung <strong>immer</strong> schwerer. Das<br />

versucht man im Rahmen der aktuellen<br />

Unternehmenssteuerrevision zu<br />

korrigieren. Das heutige System ist<br />

<strong>nicht</strong> neutral mit Blick auf Rechtsform<br />

und Finanzierung eines Unternehmens.<br />

plädoyer: Wäre es <strong>nicht</strong> gerechter,<br />

Kapitalgewinne zu besteuern, analog<br />

zu den Erträgen auf Vermögen?<br />

<strong>Benz</strong>: Kapitalgewinne fallen vor allem<br />

in Unternehmen an. Dort werden<br />

sie im Rahmen des Unternehmensgewinns<br />

auch besteuert. Zudem werden<br />

Private, die im grossen Stil Kapitalgewinne<br />

machen, als gewerbsmässige<br />

Wertschriftenhändler zur Kasse gebeten.<br />

Wollte man die verbleibenden<br />

Kapitalgewinne erfassen, wäre das mit<br />

einem enormen Aufwand verbunden.<br />

Cavelti: Und wenn Sie Gewinne besteuern<br />

wollen, müssen Sie bei sinkenden<br />

Börsenkursen auch Verluste<br />

anrechnen.<br />

plädoyer: Das ist bei Unternehmen<br />

ja bereits so. Man könnte diese Regel<br />

im gleichen Masse auch bei Privaten<br />

zulassen.<br />

Cavelti: Richtig. Aber für Unternehmen<br />

gilt das Buchwertprinzip, für den<br />

Privaten <strong>nicht</strong>. Zudem: Kapitalgewinne<br />

Privater zu besteuern, lohnt<br />

sich <strong>nicht</strong>. Der Ertrag steht in keinem<br />

Verhältnis zum Aufwand. Deshalb hat<br />

Basel-Land 1988 als letzter Kanton<br />

plädoyer 2/07 plädoyer 2/07<br />

diese Steuer abgeschafft. Zudem: Es<br />

gibt noch andere Vermögenswertzuwächse,<br />

die <strong>nicht</strong> besteuert werden.<br />

Etwa die Gemäldesammlung, die edlen<br />

Tropfen im Weinkeller oder die<br />

Briefmarkensammlung.<br />

<strong>Benz</strong>: Bei grossen Kapitalgewinnen<br />

war der Fiskus ja bisher schon sehr<br />

erfinderisch. So taxiert das Bundesgericht<br />

die Veräusserung eines Unternehmens<br />

im Rahmen einer vorgezogenen<br />

Erbschaftsregelung bei schwacher<br />

Finanzkraft des Käufers als indirekte<br />

Teilliquidation. Und führt den<br />

Kapitalgewinn mit diesem Kniff der<br />

Besteuerung zu. Anders gesagt: Wer<br />

Glück hat, kann die Aktien seines Unternehmens<br />

steuerfrei veräussern. Wer<br />

Pech hat und ins Blickfeld des Fiskus<br />

gerät, versteuert den erzielten Gewinn<br />

zum Maximalsteuerfuss. Immerhin ist<br />

die indirekte Teilliquidation nun seit<br />

1. Januar im Gesetz geregelt.<br />

Cavelti: Gerecht wäre eine Beteiligungsgewinnsteuer.<br />

Sie war in der<br />

Schweiz einst stark verbreitet. Und<br />

der Bundesrat hatte sie im Steuerharmonisierungsgesetz<br />

drin. Doch das<br />

Parlament kippte sie wieder raus.<br />

plädoyer: Der Staat bedient sich<br />

<strong>nicht</strong> nur via der direkten und indirekten<br />

<strong>Steuern</strong>. Er tritt <strong>immer</strong> häufiger<br />

auch als Unternehmer auf und<br />

fällt durch überrissene Gebühren auf.<br />

Beispiele: Die Swisscom konnte dank<br />

ihrem Ex-Monopol überhöhte Gebühren<br />

verlangen und in den vergangenen<br />

Jahren rund neun Milliarden<br />

Franken an die Staatskasse abliefern.<br />

Die Post erhöht regelmässig die Tarife<br />

und schreibt jetzt auch Milliardengewinne.<br />

Die Zürcher Kantonalbank<br />

verhält sich in Sachen Gebühren und<br />

Zinsen wie die UBS und CS – und<br />

schrieb 2006 eine Milliarde Gewinn.<br />

Müssten die Service-public-Betriebe<br />

<strong>nicht</strong> verpflichtet werden, Überschüsse<br />

an die Konsumenten zurückzugeben<br />

statt sie dem Fiskus abzuliefern?<br />

<strong>Benz</strong>: Den Hebel muss man über die<br />

Wettbewerbsordnung ansetzen. Am<br />

effizientesten ist die Privatisierung.<br />

Der Wettbewerb schafft fairere Preise<br />

als gesetzliche Regulierungen.<br />

Cavelti: Bei staatlichen Monopolen<br />

ist der Preisüberwacher gefragt.<br />

<strong>Rolf</strong> <strong>Benz</strong>: «Steuerrichter <strong>sind</strong> oft frühere<br />

Beamte. Das mag in Einzelfällen<br />

auf ihre Rechtsprechung abfärben.»<br />

plädoyer: Auch ungläubige Unternehmen<br />

zahlen Kirchensteuern. Und<br />

können im Vergleich zu natürlichen<br />

Personen die begünstigte Kirche <strong>nicht</strong><br />

auslesen.<br />

Cavelti: Ich habe im Staatskirchenrecht<br />

doktoriert. Die Kirchensteuer<br />

für juristische Personen gehört für<br />

mich abgeschafft.<br />

<strong>Benz</strong>: Ich kann gut damit leben, dass<br />

juristische Personen ihr Scherflein zu<br />

den sozialen Einrichtungen der Kirche<br />

beitragen. Von der Kirchensteuer<br />

profitieren alle öffentlich-rechtlich anerkannten<br />

Glaubensgemeinschaften<br />

proportional zur Zahl ihrer Mitglieder<br />

– ein Wahlrecht lehne ich ab.<br />

Cavelti: Bei Publikumsgesellschaften<br />

ist fraglich, ob es richtig wäre, dass die<br />

Geschäftsleitung bestimmt, welcher<br />

Religionsgemeinschaft die Kirchensteuer<br />

zugute kommen soll.<br />

plädoyer: Zum Schluss noch zum<br />

Thema Steuergerichtsbarkeit. Der<br />

Genfer Anwalt und Steuerexperte<br />

Gion Clopath untersuchte in einer<br />

Studie, wie das Bundesgericht im Jahre<br />

2004 in Steuerfällen entschieden<br />

hatte. Das Ergebnis: In rund neun von<br />

zehn Fällen obsiegte die Steuerverwaltung<br />

über den Bürger. Ist der Staat<br />

STEUERRECHT<br />

in Steuerfragen ein Richter in eigener<br />

Sache?<br />

<strong>Benz</strong>: Dass die Erfolgschancen relativ<br />

klein <strong>sind</strong>, liegt daran, dass die Entscheide<br />

der unteren Instanzen qualitativ<br />

gut <strong>sind</strong>.<br />

Cavelti: Stimmt. Am Verwaltungsgericht<br />

St. Gallen, das ich präsidiere, haben<br />

wir eine wesentlich höhere Anerkennungsquote<br />

als am Bundesgericht.<br />

plädoyer: Bei zivil- und strafrechtlichen<br />

Rechtsmitteln haben die Berufungskläger<br />

oder Beschwerdeführer<br />

vor Bundesgericht die deutlich besseren<br />

Karten. Dort <strong>sind</strong> die Gewinnchancen<br />

<strong>immer</strong>hin bei zwanzig bis<br />

dreissig Prozent.<br />

<strong>Benz</strong>: Zugegeben: Steuerrichter <strong>sind</strong><br />

oft frühere Steuerbeamte. Das mag in<br />

Einzelfällen auf ihre Rechtsprechung<br />

abfärben.<br />

Cavelti: Bei <strong>Steuern</strong> entscheidet der<br />

Staat in dubio pro Fiskus. Das kann<br />

ich als ehemaliger nebenamtlicher<br />

Bundesrichter an der öffentlich-rechtlichen<br />

Abteilung <strong>nicht</strong> bestreiten. Es<br />

besteht in der Rechtsprechung ein gewisser<br />

Hang zum Fiskalismus.<br />

plädoyer: Müsste <strong>nicht</strong> – analog etwa<br />

zum Kassationsgericht in Zürich – in<br />

Steuerfragen ein beamtenunabhängiges<br />

Gremium höchstinstanzlich richten?<br />

Zusammengesetzt zum Beispiel<br />

aus Professoren?<br />

<strong>Benz</strong>: Stimmt, den Beizug von Professoren<br />

könnte man stärker institutionalisieren.<br />

Immerhin: Im Bundesgericht<br />

wirken heute schon Professoren<br />

als nebenamtliche Richter. Siehe<br />

Ulrich Cavelti.<br />

Cavelti: Oder Peter Locher aus Bern<br />

oder Martin Zweifel aus Zürich.<br />

Grundsätzlich gilt: Weder Steuergesetzgebung<br />

noch Rechtsprechung<br />

können Steuergerechtigkeit herbeizaubern.<br />

Sie können nur relativ breite<br />

Richtlinien vorgeben und in etwa<br />

aufzeigen, was zur Zeit als gerecht betrachtet<br />

wird.<br />

Gesprächsleitung:<br />

René Schuhmacher, Daniela Schwegler

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