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Demographie konkret – - Ruhr-Universität Bochum

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Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)<br />

<strong>Demographie</strong> <strong>konkret</strong> <strong>–</strong><br />

Soziale Segregation in deutschen Großstädten<br />

Daten und Handlungskonzepte für eine<br />

integrative Stadtpolitik


Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)<br />

<strong>Demographie</strong> <strong>konkret</strong> <strong>–</strong><br />

Soziale Segregation in deutschen Großstädten<br />

Daten und Handlungskonzepte für eine integrative Stadtpolitik<br />

Unter Mitarbeit von:<br />

<strong>Ruhr</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Bochum</strong>, Zentrum für interdisziplinäre<br />

<strong>Ruhr</strong>gebietsforschung (ZEFIR)<br />

Prof. Dr. Klaus Peter Strohmeier<br />

Dipl.-Soz. Annett Schultz<br />

Stud. Soz. Wiss. Thomas Kemper<br />

Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung<br />

und Bauwesen des Landes NRW (ILS NRW)<br />

Dipl.-Ing. Christian Meyer<br />

Cand.-Ing. Jan Felix Schmidt


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation<br />

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische<br />

Daten sind unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.<br />

© 2008 Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh<br />

Verantwortlich: Carsten Große Starmann, Kerstin Schmidt<br />

Lektorat: Dr. Arno Kappler<br />

Herstellung: Sabine Reimann<br />

Gestaltung und Satz: Nicole Meyerholz, Bielefeld<br />

Bildnachweis: Titel, S. 3, 4, 6, 7, 8, 11, 12, 13, 14, 15, 17, 18, 22,<br />

23, 25, 26, 27, 42, 54, 66, 67, 70, 71, 76, 77, 80, 81, 90, 92, 93,<br />

94, 95, 98 Veit Mette, Bielefeld<br />

S. 3 (1. Foto links), 19, 20, 21, 44, 47, 48, 49, 52, 53, 59, 60, 61,<br />

62, 65, 72, 73, 74, 83, 84, 85, 87, 91 Thomas Kunsch, Bielefeld<br />

S. 16 PhotoDisc, Scott T. Baxter<br />

S. 56, 57 image100<br />

S. 96, 97 PhotoDisc, Karl Weatherly<br />

Druck: Hans Kock Buch und Offsetdruck GmbH, Bielefeld<br />

ISBN 978-3-89204-952-4<br />

www.bertelsmann-stiftung.de/verlag


Inhalt<br />

Wenn die Adresse über die persönliche Zukunft entscheidet <strong>–</strong> Vorwort<br />

1 Soziale Segregation lokal gestalten<br />

2 Demographischer Wandel und soziale Segregation<br />

3 Strategien lokaler Politik für Familien in unterschiedlichen Sozialräumen<br />

4 Formen und Strukturen der Segregation in großen deutschen Städten <strong>–</strong> ein Überblick<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis <strong>–</strong> Zur Vermeidung unerwünschter Segregation und zur Bearbeitung<br />

ihrer Folgen<br />

5.1 Ulm <strong>–</strong> Wachstumspole in Westdeutschland<br />

5.2 Stuttgart <strong>–</strong> Wachsende, wirtschaftlich konsolidierte Städte in Westdeutschland<br />

5.3 Wuppertal <strong>–</strong> Schrumpfende homogene Städte in Westdeutschland mit Tendenz zur Überalterung<br />

5.4 Gelsenkirchen <strong>–</strong> Homogene arme Städte mit Arbeitsmarktproblemen<br />

5.5 Magdeburg <strong>–</strong> Stark schrumpfende und stagnierende Städte in Ostdeutschland<br />

Literaturliste<br />

Inhalt<br />

5<br />

6<br />

10<br />

16<br />

26<br />

42<br />

42<br />

51<br />

69<br />

78<br />

88<br />

100<br />

3


Wenn die Adresse über die persönliche<br />

Zukunft entscheidet<br />

Johannes Meier, Kirsten Witte<br />

Wir werden weniger, älter und bunter. In vielen deutschen Städten<br />

sind die demographischen Veränderungen deutlich spürbar:<br />

abnehmende Bevölkerungszahlen, eine Zunahme des Anteils<br />

älterer Menschen und ein deutlicher Rückgang des Anteils von<br />

Kindern und Jugendlichen. Dabei ist die Entwicklung in den einzelnen<br />

Kommunen sehr unterschiedlich. Während einige Kommunen<br />

sogar weiterwachsen, haben andere mit Bevölkerungsverlusten<br />

von bis zu 40 Prozent zu rechnen.<br />

Die Schrumpfung der Städte ist dabei häufig mit der eindeutigen<br />

Tendenz zur sozialen Entmischung der Stadtteile verbunden<br />

<strong>–</strong> und dies betrifft keineswegs nur die Gruppe der Migranten.<br />

Auch Arbeitslosigkeit, Armut, Kinderreichtum und Bildungsstand<br />

der Bevölkerung kann man inzwischen in vielen<br />

Städten an der Adresse ablesen. Besonders auffällig ist dabei,<br />

dass die verschiedenen Dimensionen der sozialen Segregation<br />

stark korrelieren.<br />

Kinder sind am stärksten von dieser Entwicklung betroffen. Sie<br />

sind es, die die Konsequenzen ein Leben lang spüren werden:<br />

Kinderarmut geht mit Stigmatisierung und geringeren Bildungschancen<br />

einher. Und sie mündet in gescheiterte Arbeitsmarktkarrieren.<br />

Prof. Klaus Peter Strohmeier kommt in dieser Studie zu dem<br />

Ergebnis: „Heute und in naher Zukunft gibt es in Deutschland<br />

zwei Kindheiten: auf der einen Seite die Kindheit der privile-<br />

Vorwort<br />

gierten Mittelschichten in der ‚Zwischenstadt‘ im Umland oder<br />

in der bürgerlichen ‚Oberstadt‘, auf der anderen Seite die Kindheit<br />

der Unterschichten und der armen Zugewanderten in der<br />

Großsiedlung des sozialen Wohnungsbaus, in den Arbeitersiedlungen<br />

oder in den innenstadtnahen Armutsvierteln am Cityrand.“<br />

Nicht nur aufgrund der sinkenden Geburtenraten braucht die<br />

Gesellschaft jedes Kind <strong>–</strong> und jedes Kind braucht viele Chancen<br />

und robuste Möglichkeiten, für sein eigenes Leben eine Perspektive<br />

zu entwickeln. Die Verhinderung einer sozialen und<br />

räumlichen Aufspaltung der Gesellschaft wird daher zu einer<br />

immer wichtigeren Aufgabe der Städte. Am Beispiel der Randgebiete<br />

von Paris konnten wir erleben, was passiert, wenn nicht<br />

mit viel Kraft gegengesteuert wird.<br />

Die vorliegende Studie aus der Reihe <strong>Demographie</strong> <strong>konkret</strong><br />

zeichnet ein Bild von Ausmaß und Entwicklung sozialräumlicher<br />

Segregation in deutschen Großstädten. Unsere Reihe<br />

<strong>Demographie</strong> <strong>konkret</strong> betont nicht nur die Analyse, sondern<br />

dokumentiert immer auch Beispiele guter Praxis. So möchten<br />

wir mit vielen positiven Beispielen <strong>konkret</strong>e Anregungen geben<br />

und zeigen, dass die Möglichkeiten zu handeln auch angesichts<br />

enger finanzieller Spielräume groß sind und Früchte tragen <strong>–</strong><br />

für das Wohl der Kinder und Familien und damit auch zum<br />

Wohle der Städte sowie der Gesellschaft insgesamt.<br />

5


1 Soziale Segregation lokal gestalten<br />

1 Soziale Segregation lokal gestalten<br />

Carsten Grosse Starmann, Kerstin Schmidt<br />

Die Diskussion über die Folgen des demographischen Wandels<br />

führt sowohl in wachsenden als auch in schrumpfenden Städten<br />

dazu, sich stärker auf den Erhalt der Lebensqualität für Kinder,<br />

Jugendliche und Familien zu konzentrieren. Viele Kommunen<br />

haben an diesem Ziel bereits intensiv gearbeitet. Familienpolitik<br />

wird immer stärker als Standortfaktor verstanden; es werden<br />

vielfältige Maßnahmen ergriffen, um Kinder- und familienfreundlich<br />

zu werden bzw. zu bleiben.<br />

In der Familienpolitik zeichnet sich auf allen Ebenen des Staates<br />

gegenwärtig ein neuer politischer Konsens zur Bekämpfung<br />

von Familienarmut, zum Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung<br />

und vor allem zur Verbesserung der Vereinbarkeit von<br />

Familie und Beruf ab. Genauso wichtig wie die Profilierung und<br />

der Ausbau genuin familienpolitischer Leistungen des Bundes<br />

und der Länder sind indessen integrierte Handlungsansätze in<br />

den Städten und Gemeinden, die die Lebenssituation von Familien<br />

und Kindern sowie die Bedingungen, unter denen heute<br />

Familien leben und Kinder aufwachsen, in einer umfassenden<br />

sozialräumlichen Perspektive in den Blick nehmen.<br />

6<br />

Eine besondere Herausforderung auf kommunaler Ebene stellt<br />

dabei die Kumulation sozialer Benachteiligungen in bestimmten<br />

Stadtregionen dar, die als Ergebnis von Segregationsprozessen<br />

in den Städten entstehen.<br />

Gerade in den Großstädten verschärfen sich die Problemlagen<br />

und die sozialen Ungleichheiten in besonders benachteiligten<br />

Stadtteilen. Infolge des demographischen, familiären und gesellschaftlichen<br />

Wandels haben in den Städten soziodemographische<br />

Differenzierungsprozesse an Dynamik gewonnen, und<br />

es lässt sich eine Zunahme sozialer Ungleichheiten erkennen.<br />

Besonders in den schrumpfenden Städten sind eine zunehmende<br />

kleinräumige Polarisierung sozialer Lagen bzw. die wachsende<br />

Korrelation demographischer, ethnischer und sozialer Segregation<br />

zu beobachten.<br />

Soziodemographische Differenzierungen innerhalb eines Stadtgebietes<br />

und die räumliche Konzentration bestimmter Bevölkerungsgruppen<br />

<strong>–</strong> besonders in Abhängigkeit von ihren materiellen<br />

Ressourcen <strong>–</strong> in verschiedenen Stadtgebieten sowie letztlich die<br />

Entstehung sozialstrukturell, demographisch und ethnisch relativ<br />

homogener Stadtregionen sind dabei keine neuen Phänomene der<br />

Stadtentwicklung. Neu ist vielmehr die Dynamik, die in der Kombination<br />

der verschiedenen Merkmale untereinander liegt.<br />

Im dritten Band der Reihe <strong>Demographie</strong> <strong>konkret</strong> stellt die Bertelsmann<br />

Stiftung eine Studie zur Situation der sozialen Segre-


gation in 65 deutschen Großstädten vor. Klaus Peter Strohmeier<br />

von der <strong>Ruhr</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Bochum</strong> belegt mit seinem Team, dass<br />

die Lebensqualität der in unterprivilegierten Stadtteilen wohnenden<br />

Menschen gravierend bedroht ist. Besonders betroffen<br />

sind Kinder und Jugendliche: Ihnen ist der Zugang zu Bildungsoder<br />

Teilhabemöglichkeiten oftmals verwehrt. Gesundheitliche<br />

Probleme nehmen zu.<br />

Segregation ist städtisch, und es gibt sie in wachsenden<br />

und schrumpfenden Städten. Neu ist heute, dass ihre<br />

drei Dimensionen zusammentreffen: Wo die meisten<br />

Kinder in der Stadt leben, leben die meisten Einwanderer<br />

und die meisten Armen.<br />

In den Kommunen ist deswegen ein integrierter Politikansatz<br />

erforderlich, der Familien-, Armuts- und Integrationspolitik miteinander<br />

verbindet. Lokale Strategien zur Beeinflussung des<br />

demographischen Wandels und zur Bearbeitung seiner Folgen<br />

müssen vor dem Hintergrund der örtlichen Verhältnisse implementiert<br />

und bewertet werden. In unterschiedlichen sozialräumlichen<br />

Kontexten stellen sich unterschiedliche Probleme, die unterschiedliche<br />

Lösungen erfordern. In großen Städten gibt es segregationsbedingt<br />

eine Vielfalt solcher unterschiedlichen Kontexte<br />

auf Stadtteil- oder Quartiersebene.<br />

1 Soziale Segregation lokal gestalten<br />

Die vorliegende Studie soll hierzu auf der Basis bundesweiter<br />

empirischer Analysen Erkenntnisse liefern. Sie konzentriert sich<br />

dabei auf den Zusammenhang von demographischem Wandel<br />

und innerstädtischer Segregation sowie auf Handlungsansätze<br />

guter Praxis zur Vermeidung unerwünschter Segregation und<br />

zur Bearbeitung ihrer Folgen in den Städten.<br />

In Kapitel 3 werden wesentliche Inhalte der wissenschaftlichen<br />

Diskussion zum Zusammenhang von demographischem Wandel<br />

und sozialer Segregation sowie Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten<br />

auf kommunaler Ebene dargestellt. Eine praktische<br />

familienfördernde und familienunterstützende Politik, die<br />

vor Ort in den Städten und den Stadtteilen zu implementieren<br />

wäre, erfordert zunächst einmal fundiertes Wissen über räumliche<br />

Ungleichheiten und die sozialräumliche Verteilung sozialer<br />

Problemlagen.<br />

In Kapitel 4 wird in Auswertung vorhandener kleinräumiger<br />

statistischer Daten dazu ein möglichst umfassender Überblick<br />

über Formen und Strukturen der Segregation in deutschen Städten<br />

und den Zusammenhängen zwischen Segregation, Bevölkerungsrückgang<br />

(bzw. -wachstum) und Veränderungen am Arbeitsmarkt<br />

erstellt. Mit den erhobenen statistischen Daten wurde<br />

eine Typologie von Städten erarbeitet, die unterschiedliche typische<br />

Problemkontexte (Cluster) für lokale Ansätze einer Politik<br />

für Kinder, Jugendliche und Familien beschreibt. Die Analysen<br />

ergaben acht Cluster von Städten aus der gesamten Bundesre-<br />

7


1 Soziale Segregation lokal gestalten<br />

8<br />

publik, die ganz spezifische Problemkonstellationen hinsichtlich<br />

innerstädtischer Segregation, Bevölkerungsentwicklung und<br />

Arbeitsmarktlage beschreiben.<br />

In Kapitel 5 werden in Fallbeschreibungen Kommunen präsentiert,<br />

die einerseits das Spektrum der ausgemachten Probleme<br />

exemplarisch abbilden und die andererseits beispielhaft sozial<br />

integrative und familienfördernde Politik vor Ort durchführen.<br />

Für die vorliegende Publikation wurden als Repräsentanten<br />

Städte mit typischen Problemkontexten ausgewählt. Für diese<br />

Städte werden verschiedene Aspekte sozialer Segregation punktuell<br />

abgebildet und Ansätze lokaler Politik für Familien präsentiert.<br />

In diesem Zusammenhang wird unterschieden in Handlungsansätze,<br />

die helfen können, Segregation in den Städten zu<br />

vermeiden, und solche, die Folgen von Segregation bearbeiten,<br />

z. B. sozialräumliche Benachteiligungen ausgleichen oder die<br />

Revitalisierung oder die „Befriedung“ segregierter Gebiete anstreben.<br />

Im dritten Band von <strong>Demographie</strong> <strong>konkret</strong> haben wir bewusst<br />

darauf geachtet, die ausgewählten Beispiele möglichst ausführlich<br />

zu beschreiben. Die gesamte Studie mit allen Fallbeispielen<br />

ist sowohl auf der Homepage des Wegweisers Kommune als auch<br />

des Zentrums für interdisziplinäre <strong>Ruhr</strong>gebietsforschung (ZEFIR)<br />

als PDF-Datei zu erhalten.


Soziale Segregation<br />

Der Begriff „soziale Segregation“ verweist auf soziale<br />

Unterschiede innerhalb einer Stadt und die räumliche<br />

Konzentration der Wohn- und Lebensräume bestimmter<br />

Bevölkerungsgruppen in verschiedenen Stadtgebieten,<br />

d.h. das Auseinanderrücken von Jung und Alt, Arm und<br />

Reich, Deutschen und Nichtdeutschen innerhalb einer<br />

Stadt. Segregation ist als räumlicher Ausdruck der Sozialstruktur<br />

und sozialer Ungleichheiten der Bevölkerung<br />

zu verstehen. Dabei haben aber nicht alle sozialen<br />

Unterschiede eine räumliche Dimension. Vielmehr kommen<br />

nur solche sozialstrukturellen Unterschiede und<br />

Ungleichheiten zum Tragen, die über Entscheidungen<br />

für Wohnstandorte und den Wohnungsmarkt vermittelt<br />

werden. Über die Entscheidung für oder gegen ein Wohngebiet<br />

bestimmter Bevölkerungsgruppen oder Effekte des<br />

Wohnungsmarktes (z.B. hohe Mietkosten) entsteht die<br />

unterschiedliche Konzentration von Bevölkerungsgruppen<br />

in einigen Wohngebieten.<br />

1 Soziale Segregation lokal gestalten<br />

Man unterscheidet<br />

• demographische Segregation, also die räumliche Differenzierung<br />

der Bevölkerung nach dem Alter sowie<br />

dem Haushaltstyp oder der Lebensphase,<br />

• ethnische Segregation, d.h. die Differenzierung nach<br />

Nationalität und ethnischer Zugehörigkeit, sowie<br />

• soziale Segregation (im engeren Sinne), d.h. die räumliche<br />

Differenzierung nach sozialstrukturellen Merkmalen<br />

wie Einkommen und Armut, Bildungsstatus<br />

oder berufliche Stellung und Arbeitslosigkeit.<br />

Städtische Segregationsprozesse führen zur Entstehung<br />

sozialstrukturell, demographisch und ethnisch relativ<br />

homogener Stadtregionen bzw. Stadtteile.<br />

9


2 Demographischer Wandel und soziale Segregation<br />

2 Demographischer Wandel und soziale Segregation<br />

Klaus Peter Strohmeier<br />

Die gegenwärtige demographische Situation der Städte in<br />

Deutschland und ihre innerstädtischen soziodemographischen<br />

Differenzierungen sind im Wesentlichen durch vier Aspekte des<br />

gesellschaftlichen Wandels geprägt:<br />

• die demographische Alterung der Bevölkerung und die strukturellen<br />

Veränderungen des Familiensektors als Folge eines<br />

nachhaltigen Wandels der Familie und des familiären Zusammenlebens<br />

seit Mitte der 60er Jahre,<br />

• die nachhaltige Veränderung der Beschäftigungsstruktur und<br />

des Arbeitsmarktes in den Großstädten, besonders durch den<br />

Abbau von Industriearbeitsplätzen,<br />

• die Abwanderung von Mittelschichtfamilien ins Umland der<br />

großen Städte als Ausdruck der Suburbanisierungsprozesse<br />

vornehmlich in den 80er Jahren sowie<br />

• die Internationalisierung der städtischen Einwohnerschaft als<br />

Folge der Zuwanderung ausländischer Bevölkerung.<br />

Im Ergebnis dieser Wandlungsprozesse haben in den Städten<br />

soziodemographische Differenzierungsprozesse an Dynamik<br />

gewonnen, und es lässt sich eine Zunahme sozialer Ungleichheiten<br />

erkennen. Besonders in den schrumpfenden Städten beobachten<br />

wir eine zunehmende kleinräumige Polarisierung sozialer<br />

Lagen bzw. die wachsende Korrelation demographischer,<br />

ethnischer und sozialer Segregation.<br />

In Städten zeigten die Wandlungen der Familie bisher die offensichtlichsten<br />

Konsequenzen. Besonders größere Städte verzeich-<br />

10<br />

nen einen Rückgang der Geburtenzahlen und eine zunehmende<br />

Alterung der Stadtgesellschaft. Darüber hinaus lässt sich die<br />

Pluralisierung der privaten Lebensformen besonders in Städten<br />

beobachten. Zum einen sind die „neuen“ familiären Lebensformen,<br />

besonders Alleinerziehende und nichteheliche Lebensgemeinschaften<br />

mit Kindern (sowohl als Lebensphase als auch<br />

als dauerhafte Form des Zusammenlebens), häufiger in Städten<br />

zu finden. Zum anderen haben kinderlose Lebensformen in der<br />

städtischen Bevölkerung besonders stark zugenommen und<br />

wurden zur überwiegenden Lebensform (siehe Schultz/Strohmeier/Weischer<br />

2004).<br />

Diese Entwicklungen sind in den letzten Jahrzehnten von einem<br />

ökonomischen Wandlungsprozess begleitet, der die Beschäftigungsstruktur<br />

in den Großstädten durch den Abbau von Industriearbeitsplätzen<br />

nachhaltig verändert hat. Das Wachstum von<br />

Dienstleistungsarbeitsplätzen konnte diese Verluste nur in bestimmten<br />

Städten und dort auch nur zum Teil kompensieren.<br />

Wirtschaftswachstum ist nicht mehr automatisch mit Beschäftigungswachstum<br />

gekoppelt. Besonders in Städten mit altindustriell<br />

geprägten Wirtschaftsstrukturen sind daher steigende Arbeitslosigkeit,<br />

wachsende soziale Ungleichheiten und die Abwanderung<br />

junger, besser gebildeter Bevölkerungsschichten in<br />

wirtschaftlich prosperierende Regionen zu Problemen der Stadtentwicklung<br />

geworden. Diese Probleme verstärken zugleich die<br />

demographischen und familiären Wandlungen in den Städten.


Der Familiensektor in den Städten ist aber nicht nur durch die<br />

natürliche Bevölkerungsentwicklung und die ökonomisch begründete<br />

Abwanderung geschrumpft, sondern in Jahrzehnten<br />

der Suburbanisierung hat der Familiensektor die Städte besonders<br />

ins Umland verlassen. Der arme Familiensektor und der<br />

Nicht-Familiensektor konzentrieren sich in den Städten, während<br />

die Ränder der Städte und die Umlandgemeinden zur<br />

Familienzone der Mittel- und Oberschichten geworden sind<br />

(siehe u. a. Breckner et al. 1998, Dangschat et al. 2001; Blotevogel<br />

et al. 2003).<br />

Darüber hinaus zeichnet sich in den Städten ein zunehmender<br />

Trend zurück in die Städte ab, der mit einer Abnahme der<br />

Suburbanisierungstendenzen verbunden ist. Für die Städte<br />

ergeben sich aus diesen Entwicklungstrends eine ganze Reihe<br />

negativer Konsequenzen. Durch den Verlust ökonomisch leistungsfähiger<br />

Bevölkerungsgruppen <strong>–</strong> ob ins Umland oder in<br />

Regionen mit besseren Arbeitsmarktchancen <strong>–</strong> gehen Steuereinnahmen<br />

für die Städte verloren, der Einzelhandel und perso-<br />

| Kapitel | Thema<br />

nenbezogene Dienstleistungsunternehmen verlieren attraktive<br />

Kunden, die Infrastruktur muss an die Bevölkerungsverluste<br />

und die geänderte Bevölkerungsstruktur angepasst werden, was<br />

hohe Kosten bedeutet (siehe Blotevogel et al. 2003: 142 f.).<br />

Zeitgleich führte die Zuwanderung aus dem Ausland seit den<br />

70er Jahren ausländische Familien besonders in die Städte<br />

Deutschlands, was in vielen Städten zu einer Internationalisierung<br />

der Wohnbevölkerung geführt hat. Diese Zuwanderung<br />

hat auch in Verbindung mit der (noch) höheren Kinderzahl von<br />

Zuwandererfamilien die Schrumpfung der deutschen Bevölkerung<br />

über Jahrzehnte ausgeglichen.<br />

In weniger als einem Jahrzehnt wird die Mehrheit der jungen<br />

Erwachsenen, Kinder und Jugendlichen, z. B. in den Städten im<br />

Ballungsraum an Rhein und <strong>Ruhr</strong>, „einen Migrationshintergrund“<br />

haben, während die Mehrheit der „Deutschen“ dort<br />

heute schon den mittleren und älteren Jahrgängen angehört<br />

(siehe ILS/ZEFIR 2006).<br />

11


Innerhalb des Familiensektors unserer Gesellschaft gibt es mittlerweile<br />

eine weitere Polarisierung entlang der klassischen Linien<br />

sozialer Ungleichheit, „arm“ und „reich“, Oberschicht und<br />

Unterschicht, mit entsprechend unterschiedlichen Kindheiten.<br />

Diese Polarisierung bildet sich auch räumlich ab. Die demographische<br />

Umwälzung der Stadtgesellschaft entlang ethnischer<br />

Unterscheidungen in Westdeutschland hat ebenfalls eine sozialstrukturelle<br />

Entsprechung: Ein besonders hohes Armutsrisiko<br />

heute tragen junge Ausländer, das niedrigste ältere Deutsche. In<br />

den Städten ist Familie heute die Lebensform der Armen. In den<br />

westdeutschen Städten sind dies in der Mehrzahl Migranten.<br />

Dort, wo die meisten Kinder leben, leben die meisten Ausländer<br />

und die meisten armen Leute.<br />

Die Familien der Mittelschicht findet man heute überwiegend<br />

am Rand oder im Umland der Städte. D. h. innerhalb des schrumpfenden<br />

Familiensektors in Deutschland beobachten wir eine<br />

weitere soziale und sozialräumliche Spaltung in unterschiedliche<br />

Familienmilieus. Im internationalen Vergleich ergibt sich<br />

12<br />

eine extrem große Unterschiedlichkeit von Lebenschancen der<br />

nachwachsenden Generation in Abhängigkeit von der sozialen<br />

Herkunft und der Adresse (in einer zunehmend separiert lebenden<br />

Bevölkerung).<br />

Heute und in naher Zukunft gibt es in Deutschland also zwei<br />

Kindheiten: auf der einen Seite die Kindheit der privilegierten<br />

Mittelschichten in der „Zwischenstadt“ im Umland oder in der<br />

bürgerlichen „Oberstadt“, auf der anderen Seite die Kindheit der<br />

Unterschichten und der armen Zugewanderten in der Großsiedlung<br />

des sozialen Wohnungsbaus, in den Arbeitersiedlungen<br />

oder in den innenstadtnahen Armutsvierteln am Cityrand.<br />

Die Auswirkungen und das Ausmaß der erwartbaren Schrumpfung<br />

und Alterung der (einheimischen) Bevölkerung in den großen<br />

deutschen Städten, die qualitative und quantitative Bedeutung<br />

der Migration und damit verbundene sozialstrukturelle<br />

Veränderungen innerhalb der Städte werden damit für die<br />

Zukunft der Städte von herausragender Bedeutung sein. Negative<br />

Auswirkungen auf die Stadtentwicklung werden dabei besonders<br />

von innerstädtischen soziodemographischen und ethnischen<br />

Differenzierungen und einer Zunahme der Segregation<br />

erwartet.<br />

Der Begriff der Segregation bezeichnet dabei sowohl den Zustand<br />

der Ungleichverteilung, also die „disproportionale Verteilung von<br />

Bevölkerungsgruppen über das Stadtgebiet“ (Friedrichs 1995: 79),


als auch den dynamischen Prozess, der zu dieser Ungleichverteilung<br />

führt (siehe auch Harth/Herlyn/Scheller 1998).<br />

Dabei wird zwischen<br />

• demographischer Segregation, also der räumlichen Differenzierung<br />

der Bevölkerung nach dem Alter sowie dem Haushaltstyp<br />

oder der Lebensphase,<br />

• ethnischer Segregation, d. h. der Differenzierung nach Nationalität<br />

und ethnischer Zugehörigkeit, sowie<br />

• sozialer Segregation nach sozialstrukturellen Merkmalen wie<br />

Einkommen und Armut, Bildungsstatus oder beruflicher Stellung<br />

und Arbeitslosigkeit<br />

unterschieden.<br />

2 Demographischer Wandel und soziale Segregation<br />

Soziodemographische Differenzierungen innerhalb eines Stadtgebietes<br />

und die räumliche Konzentration bestimmter Bevölkerungsgruppen<br />

<strong>–</strong> besonders in Abhängigkeit von ihren materiellen<br />

Ressourcen <strong>–</strong> in verschiedenen Stadtgebieten sowie letztlich die<br />

Entstehung sozialstrukturell, demographisch und ethnisch relativ<br />

homogener Stadtregionen sind dabei keine neuen Phänomene<br />

der Stadtentwicklung. Sie sind vielmehr ein Charakteristikum<br />

städtischer Lebensverhältnisse (siehe ILS/ZEFIR 2006: 3 ff.).<br />

Als entscheidender Mechanismus der Segregation wird der innerstädtische<br />

Wohnungsmarkt wirksam. Wenn die Wohnung<br />

eine Ware ist, die auf Wohnungsmärkten gehandelt wird, ist Segregation<br />

der Wohnbevölkerung unvermeidlich und wird auch in<br />

Zukunft Bestandteil der Stadtentwicklung sein.<br />

• Zum einen werden individuelle Wohnpräferenzen wirksam:<br />

Menschen wohnen bevorzugt in der Nachbarschaft von Menschen<br />

mit ähnlichen Interessen, Lebensstilen und in ähnlichen<br />

Lebensphasen.<br />

• In der Soziologie spricht man davon, dass räumliche Distanzen<br />

wahrscheinlicher werden, je größer die sozialen Distanzen<br />

sind (siehe u. a. Friedrichs 1988: 58; Bourdieu 1991: 25). Die<br />

Realisierung dieser Präferenzen trifft auf Restriktionen durch<br />

das Wohnungsangebot in den Städten und die verfügbaren<br />

ökonomischen Ressourcen der Wohnungssuchenden, aber<br />

auch durch die soziale Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen<br />

insgesamt oder in bestimmten Wohngebieten.<br />

13


2 Demographischer Wandel und soziale Segregation<br />

• Gleichzeitig werden Mechanismen der Wohnungszuteilung<br />

durch städtische und soziale Institutionen wirksam (siehe<br />

ILS/ZEFIR 2006: 4). Wohnstandortentscheidungen nach Einkommen<br />

und Bildungsstatus, Lebensalter und -phase, Lebensstil<br />

oder ethnischer Zugehörigkeit führen dabei im Aggregat<br />

zu relativ stabilen innerstädtischen Mustern der Segregation.<br />

Segregationsprozesse können nicht grundsätzlich als problematisch<br />

für die Stadtentwicklung eingestuft werden. Vielmehr werden<br />

räumliche Segregationsprozesse nur dann als problematisch<br />

angesehen, wenn damit eine Verfestigung und Verstärkung<br />

soziodemographischer Ungleichheit und Benachteiligung<br />

einhergehen. In den Städten leben etablierte Bevölkerungsgruppen<br />

mit höheren Einkommen in der Regel besonders stark segregiert,<br />

ohne dass diese selbst gewählte Segregation als Problem<br />

angesehen wird. Probleme entstehen eigentlich nur aus<br />

der kleinräumigen erzwungenen, d. h. der unfreiwilligen Konzentration<br />

unterschiedlich benachteiligter Bevölkerungsgruppen. In<br />

unserer Studie zur sozialen, ethnischen und demographischen<br />

Segregation in nordrhein-westfälischen Städten werden eine<br />

ganze Reihe positiver und negativer Aspekte der Segregation<br />

detailliert beschrieben.<br />

14<br />

Segregation wird durch den Wohnungsmarkt bestimmt<br />

In der Vergangenheit war <strong>–</strong> vor dem Hintergrund von Wohnungsengpässen<br />

in wachsenden Städten <strong>–</strong> die Verdrängung bestimmter,<br />

sozial benachteiligter Gruppen aus attraktiven Wohngegenden<br />

zumeist in randständige Wohngebiete der Städte charakteristisch<br />

für unfreiwillige Segregationsprozesse (siehe u. a.<br />

Häußermann/Siebel 1986: 109 f.; Naroska 1988: 259 ff.). Unter<br />

den Bedingungen einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung<br />

lassen sich heute in vielen Städten entspanntere Wohnungsmärkte<br />

finden, die die Fluktuation der Bevölkerung und<br />

damit die Segregation erleichtern. Für heutige Segregationsprozesse<br />

ist deshalb eher das Zurückbleiben benachteiligter Bevölkerungsgruppen<br />

in bestimmten Stadtregionen kennzeichnend,<br />

die nicht über ausreichende finanzielle und soziale Ressourcen<br />

verfügen, um belastete Stadtteile zu verlassen. Durch soziale<br />

und ethnische „Entmischung“ werden dann vorhandene Polarisierungstendenzen<br />

verstärkt.


Räumliche Konzentration sozialer Probleme<br />

So lässt sich in vielen Städten eine räumliche Konzentration sozialer<br />

Probleme besonders in Regionen mit höheren sozialen<br />

und demographischen Belastungen nachweisen, d. h. in Regionen<br />

mit höheren Arbeitslosen- oder Armutsquoten, aber auch in<br />

schrumpfenden Regionen mit hohen Anteilen älterer Bevölkerung.<br />

Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang,<br />

dass die räumliche Kumulation solcher sozialer und demographischer<br />

Problemlagen zusätzlich problemverstärkend wirkt. In<br />

bestimmten Stadtquartieren resultieren darüber hinaus negative<br />

Effekte für die Lebenssituation der Bevölkerung und das<br />

Wohnumfeld durch die Überlagerung sozialer Probleme mit baulichen<br />

Problemen des Wohnungs- und Infrastrukturbestandes.<br />

Nach Auffassung vieler Stadtforscher bewirkt dies eine soziale<br />

Benachteiligung der verbleibenden Bevölkerung durch den<br />

Sozialraum selbst (Gebietseffekte) (siehe Friedrichs/Blasius<br />

2000; Projekt <strong>Ruhr</strong> 2002; ILS/ZEFIR 2006; Häußermann 2005).<br />

Diese Effekte entstehen auch dadurch, dass durch das Quartier<br />

bzw. durch die in einem Quartier vorherrschenden sozial benachteiligten<br />

Gruppen Verhaltens- und Denkweisen geprägt<br />

werden. „Die Einschränkung der Erfahrungswelten [...] durch<br />

die fehlende Repräsentation von sozialen Rollen, die ein ‚normales‘<br />

Leben ausmachen wie beispielsweise Erwerbstätigkeit, regelmäßiger<br />

Schulbesuch etc. stellt eine Benachteiligung dar, weil<br />

sie die Möglichkeiten sozialen Lernens beschränkt und einen<br />

Anpassungsdruck in Richtung Normen und Verhaltensweisen<br />

2 Demographischer Wandel und soziale Segregation<br />

erzeugt, die von der übrigen Gesellschaft mit Ausgrenzung beantwortet<br />

werden“ (ILS/ZEFIR 2006: 6). Besonders für Kinder<br />

und Jugendliche kann dies die Sozialisationsbedingungen und<br />

die Lebenschancen nachhaltig beeinflussen, da die Erfahrungsmöglichkeiten<br />

mit positiven Rollen und gesellschaftlich akzeptierten<br />

Normen und Verhaltensweisen geringer werden. Hier<br />

sollten lokale Ansätze einer Politik für Kinder, Jugendliche und<br />

Familien beginnen.<br />

15


3 Strategien lokaler Politik für Familien in unterschiedlichen Sozialräumen<br />

3 Strategien lokaler Politik für Familien in<br />

unterschiedlichen Sozialräumen<br />

Die Entwicklung der Städte in Deutschland ist von umfangreichen<br />

Veränderungen gekennzeichnet. Die „Perforierte Stadt“ oder die<br />

„Patchwork-City“ sind nur einige Schlagwörter, die auf den gravierenden<br />

Wandel in der Stadt- und Regionalentwicklung hindeuten.<br />

Soziale, ökonomische und demographische Entwicklungen<br />

führen zu immer deutlicheren Unterschieden in den Raumstrukturen.<br />

Der sozioökonomische Wandel, der u. a. durch die<br />

Ausdifferenzierung von Teilökonomien und eine Vielfalt von Lebensformen<br />

gekennzeichnet ist, führt zu zunehmend heterogenen<br />

Raumstrukturen und löst das klassische Zentrum-Peripherie-<br />

Gefälle auf. Auch in Bezug auf den demographischen Wandel<br />

kommt es zu teilräumlich differenzierten Entwicklungen. Vielerorts<br />

ist eine Gleichzeitigkeit von Wachstum und Schrumpfung<br />

zu erkennen.<br />

Dieses betrifft neben der regionalen Ebene genauso auch die<br />

Stadtteilebene. Denn auch in schrumpfenden Städten finden sich<br />

konsolidierte und prosperierende Quartiere, beispielsweise in<br />

Halle (Saale) der Stadtteil Gibichenstein oder in Pirmasens das<br />

Winzler-Viertel. Diese Prozesse stellen die Stadtplanung vor<br />

enorme Herausforderungen. Die Steuerung der komplexen Veränderungen<br />

wird allerdings durch den Rückgang der staatlichen<br />

und kommunalen Steuerungsfähigkeit im Zuge der öffentlichen<br />

Finanzkrise erschwert.<br />

16<br />

Wie bereits an anderer Stelle beschrieben, können in schrumpfenden<br />

Städten mit entspannten Wohnungsmärkten dynamisch<br />

voranschreitende Prozesse sozialräumlicher Polarisierung festgestellt<br />

werden. Das Resultat einer starken Segregation ist die<br />

Ausbildung charakteristischer Stadtviertel, deren typische Eigenschaften<br />

das „Image“ zusammenfasst, das allgemein bekannt ist:<br />

Hamburg-Blankenese und Köln-Chorweiler oder Berlin-Kreuzberg.<br />

Die Aufzählung von genau diesen Stadtteilen <strong>–</strong> mit entweder<br />

positivem oder negativem Image <strong>–</strong> weist bereits darauf hin,<br />

dass einerseits zwei grundverschiedene Segregationsprozesse<br />

unterschieden werden müssen: die freiwillig angestrebte (aktive)<br />

und die durch Diskriminierung oder andere Restriktionen<br />

erzwungene (passive) Segregation. Andererseits wird deutlich,<br />

dass Maßnahmen zur Gegensteuerung von Segregationsprozessen<br />

neben der lokalen immer auch die gesamtstädtische Perspektive<br />

berücksichtigen müssen. Die im Folgenden beschriebenen<br />

Handlungsmöglichkeiten von Kommunen gehen insofern<br />

einerseits auf gesamtstädtische und andererseits auf stadtteilbezogene<br />

Strategien ein.


Stadtplanung und Wohnungspolitik<br />

Im Bereich der Stadtplanung und kommunalen Wohnungspolitik<br />

steht den Städten ein sehr differenziertes und zudem umfangreiches<br />

Instrumentarium zur Verfügung. Sie können zum einen<br />

durch die klassischen Instrumente der Stadtplanung regelnd in<br />

die Stadtentwicklung eingreifen. Zum anderen bestehen in der<br />

Wohnungspolitik, die maßgeblich bundes- und landespolitisch<br />

bestimmt wird, Anreizinstrumente, um auf eine quantitativ und<br />

qualitativ ausreichende Wohnraumversorgung hinzuwirken. Allerdings<br />

ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass diese Instrumentarien<br />

zur Planung und Bewältigung des städtischen<br />

Wachstums entwickelt worden sind. Das bedeutet, dass im Wohnungsbestand<br />

sowohl mit stadtplanerischen als auch wohnungspolitischen<br />

Instrumenten der sozialräumlichen Polarisierung<br />

nur begrenzt entgegengewirkt werden kann.<br />

Dieses betrifft besonders die Steuerungsmöglichkeiten durch<br />

die klassischen Instrumente der Stadtplanung, wobei hier nach<br />

Wohnungsneubau und -bestand sowie auch innerhalb des Bestandes<br />

nach Eigentümerstrukturen differenziert werden muss.<br />

Ein wirkungsvolles planungsrechtliches Instrumentarium zur<br />

Vermeidung von Segregation besteht bei Neubauvorhaben, indem<br />

durch planungsrechtliche Festsetzungen <strong>–</strong> beispielsweise<br />

zur Bebauungsdichte oder Mischung von Wohnformen <strong>–</strong> das<br />

spätere soziale Milieu der Siedlung beeinflusst werden kann.<br />

Mit der verstärkten Ausweisung von Bauland für die Wohn-<br />

eigentumsbildung wird in allen Städten der Umlandwanderung<br />

begegnet. Je nach gewählter Strategie kann dadurch auch innerstädtischer<br />

Segregation entgegengewirkt werden. Durch die Arrondierung<br />

der Bauflächen kann die positive Wirkung von Neubauvorhaben<br />

über das gesamte Stadtgebiet verteilt werden,<br />

anstatt wie üblich sehr partiell durch die Ausweisung einzelner<br />

größerer Stadterweiterungen oder durch Nachverdichtung besonders<br />

in besseren Lagen. Größere Stadterweiterungen können<br />

sozialräumliche Polarisierung begünstigen, wenn sie allein<br />

die Bedürfnisse von zahlungskräftigeren Haushalten bedienen.<br />

So können Umzugsketten ausgelöst werden, die durch selektive<br />

Fortzüge beruflich erfolgreicher und finanziell konsolidierter<br />

Haushalte zum Nachteil benachteiligter Quartiere gereichen.<br />

Im Unterschied zum Wohnungsneubau sind kommunale Steuerungsmöglichkeiten<br />

im Wohnungsbestand eher begrenzt, wobei<br />

zwischen zusammenhängenden größeren Siedlungen im Besitz<br />

weniger Wohnungsunternehmen und dem Einzelbestand privater<br />

Eigentümer differenziert werden muss. Bezogen auf größere zusammenhängende<br />

Bestände der unternehmerischen Wohnungswirtschaft<br />

bestehen zwar kaum Rechtsmittel der Kommunen; es<br />

existieren aber Ansprechpartner und gemeinsame Interessen<br />

der Quartiersentwicklung, sodass im Rahmen von freiwilligen<br />

Kooperationen Strategien und Maßnahmen für diese Quartiere<br />

entwickelt werden können. Allerdings sind solche Kooperationen<br />

zurzeit noch selten. In größeren Wohnungsbeständen im Streubesitz<br />

privater Einzeleigentümer kann dagegen seitens der<br />

17


3 Strategien lokaler Politik für Familien in unterschiedlichen Sozialräumen<br />

Kommune nur schwer steuernd eingegriffen werden: Zu groß ist<br />

die Zahl der Akteure, und zu unterschiedlich sind die Interessenlagen.<br />

Damit sind strategische Maßnahmen wie ein raumbezogenes<br />

Stadtteil- oder Belegungsmanagement kaum durchsetzbar.<br />

Die planungsrechtlichen Instrumente des besonderen Städtebaurechts<br />

nach dem BauGB (Sanierungs-, Entwicklungs- und<br />

Erhaltungsmaßnahmen, Milieuschutzsatzung) verlieren dann<br />

an Wirksamkeit, wenn in schrumpfenden Städten eine Kooperation<br />

nicht mehr durch steigende Bodenpreise oder Mieten belohnt<br />

wird, sondern allenfalls eine Werterhaltung erreicht werden<br />

kann. Die Schlüsselfrage dabei ist, ob Investitionen im Zusammenhang<br />

mit öffentlicher Förderung auch entsprechende<br />

Renditen mit kalkulierbaren Risiken nach sich ziehen. Dies<br />

muss in entspannten Wohnungsmärkten mit starken Wohnungsüberhängen<br />

und niedrigen Durchschnittsmieten nicht immer<br />

der Fall sein. Einflussmöglichkeiten der Städte ergeben sich in<br />

diesen Bereichen durch öffentliche Investitionen in größerem<br />

Umfang beispielsweise in das Wohnumfeld, die dann auch in<br />

der Regel private Investitionen nach sich ziehen. Investitionen,<br />

beispielsweise in die Infrastruktur, sind aber in Zeiten angespannter<br />

öffentlicher Haushalte nur noch schwer finanzierbar,<br />

sodass die kommunalen Handlungs- und Steuerungsmöglichkeiten<br />

eingeschränkt sind.<br />

18<br />

Gesamtstädtische Entwicklungskonzepte<br />

Gesamtstädtische städtebauliche Entwicklungskonzepte sind besonders<br />

nach dem Wettbewerb Stadtumbau-Ost wieder im Fokus<br />

stadtplanerischer Diskurse. Hervorzuheben sind dabei allerdings<br />

die Unterschiede zur Entwicklungsplanung der 70er Jahre,<br />

die von dem Anspruch der langfristigen Planbarkeit urbaner<br />

Räume ausging. Derzeitige Stadtentwicklungskonzepte sind dagegen<br />

viel stärker als kooperatives Instrument eines einheitlichen<br />

strategischen Handelns der kommunalen Verwaltung und


weiterer stadtentwicklungspolitisch relevanter Akteure ausgelegt.<br />

D. h. sie geben Richtungen und Ziele vor, die in bestimmten<br />

Zeiträumen erreicht werden sollen, nicht aber festgelegte<br />

Planungen. Sie dienen insofern besonders als Orientierungsrahmen<br />

und Leitbild und als Diskussionsgrundlage für Politik und<br />

Verwaltung.<br />

Vor allem in den neuen Bundesländern sind Stadtentwicklungskonzepte<br />

weit verbreitet. Die Besonderheit ist hier, dass auch<br />

kleinere Kommunen strategische Entwicklungskonzepte erstellt<br />

haben bzw. in Auftrag gegeben haben (siehe BMVBS/ BBR<br />

2006: 22). 1 Grund dafür ist einerseits der Wettbewerb „Stadtumbau<br />

Ost“, der im Jahr 2002 gute Konzepte städtischer Entwicklungsstrategien<br />

prämiert hat. Andererseits sind die sogenannten<br />

integrierten Stadtentwicklungskonzepte (INSEK) Fördervoraussetzung<br />

für Mittel des Förderprogramms „Stadtumbau<br />

Ost“. Im Unterschied zu den neuen Bundesländern finden<br />

sich in den alten deutlich weniger Städte mit einem gesamtstädtischen<br />

Entwicklungskonzept. Hier sind es vor allem Großstädte<br />

wie Stuttgart, Hamburg, München oder Berlin, die strategische<br />

Konzepte entweder schon erstellt haben oder momentan erarbeiten.<br />

Für Nordrhein-Westfalen bestehen diesbezüglich detailliertere<br />

Informationen. Aus einer Befragung des ILS NRW (2005) 2<br />

von nordrhein-westfälischen Städten3 aus dem Jahr 2005 geht<br />

hervor, dass 68 von 183 Städten ein aktuelles Entwicklungskonzept<br />

(37 Prozent) vorliegt, 36 (20 Prozent) die Erstellung eines<br />

Konzepts planen und den restlichen Städten (43 Prozent) noch<br />

3 Strategien lokaler Politik für Familien in unterschiedlichen Sozialräumen<br />

kein Konzept vorliegt. Es fällt auf, dass besonders größere Städte<br />

im Strukturwandel ein strategisches gesamtstädtisches Konzept<br />

erarbeitet haben oder in der Aufstellung sind. Zudem ist interessant,<br />

dass von den befragten 232 Städten 79 Prozent einen<br />

Erfahrungsaustausch zu Stadtentwicklungskonzepten für sinnvoll<br />

und 71 Prozent ein integriertes Stadtentwicklungskonzept<br />

für erforderlich halten.<br />

Gesamtstädtische Stadtentwicklungskonzepte sind informelle<br />

Instrumente der Stadtentwicklungspolitik, d. h. sie haben keinen<br />

formal bindenden Charakter. Letztendlich entscheidend für die<br />

Steuerungswirkung solcher Konzepte ist der von Politik und<br />

Verwaltung definierte Grad der Selbstbindung, also die Frage,<br />

ob und mit welchem Gewicht die Ziele der Entwicklungskonzepte<br />

bei räumlich wirksamen Einzelentscheidungen berücksichtigt<br />

werden. Zudem können sie als Grundlage von Diskussionen<br />

innerhalb der Verwaltung bzw. zwischen Verwaltung und Politik<br />

herangezogen werden. Allerdings ist <strong>–</strong> bezogen auf die Nutzbarkeit<br />

solcher Instrumente in Zeiten sich schnell verändernder<br />

Rahmenbedingungen <strong>–</strong> die Aktualität der Konzepte entscheidend.<br />

Für die Praxis bedeutet dies, dass eine kontinuierliche<br />

Zielerreichungskontrolle im Zusammenhang mit der regelmäßigen<br />

Fortschreibung der Konzepte erforderlich ist.<br />

1 BMVBS/BBR: Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung/Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (2006): 1. Statusbericht der Bundestransferstelle<br />

Stadtumbau Ost. Berlin.<br />

2 ILS NRW (2005) Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes NRW: Werkstattreihe: „Integrierte Stadtentwicklungskonzepte“. Dokumentation des zweiten<br />

Werkstattgespräches am 14. April 2005 in Dortmund. Dortmund.<br />

3 Von den 232 angeschriebenen Städten über 20.000 Einwohner in NRW haben 183 geantwortet (79 Prozent).<br />

19


3 Strategien lokaler Politik für Familien in unterschiedlichen Sozialräumen<br />

Sozialraumorientierte Jugendhilfeplanung und<br />

kommunale Integrationskonzepte<br />

Bezogen auf gesamtstädtische Strategien zur Bekämpfung negativer<br />

Konsequenzen sozialräumlicher Polarisierung, nehmen<br />

neben Stadtentwicklungskonzepten Konzepte zur Sozialraumorientierung<br />

der Jugendhilfeplanung und kommunale Integrationskonzepte<br />

einen zentralen Stellenwert ein. Viele Sozialdezernate<br />

in den Großstädten haben inzwischen die Notwendigkeit<br />

einer Dezentralisierung und damit Sozialraumorientierung<br />

der Sozialplanung erkannt, um der Konzentration von Armut im<br />

Raum entgegenzuwirken. Die Umsetzung der Sozialraumorientierung<br />

ist allerdings unterschiedlich weit fortgeschritten. Ein<br />

gutes Beispiel für eine sehr weit reichende Dezentralisierung<br />

der Sozialplanung findet sich in der Stadt Ulm (siehe Kapitel<br />

5.1). Durch die Sozialraumorientierung ist einerseits intendiert,<br />

die Angebote und Leistungen näher zu den hilfsbedürftigen Personen<br />

zu bringen, um die Hürden bei der Beantragung von<br />

Hilfen zu verringern. Andererseits werden Beratungsangebote<br />

in Teams organisiert, welche die z. T. sehr aufwendigen Vorgänge,<br />

die bislang in unterschiedlichen Zuständigkeiten lagen, zusammenführen<br />

und vereinfachen sollen.<br />

Kommunale Integrationskonzepte sind in Deutschland relativ<br />

neue Instrumente, um mit der zunehmenden Internationalisierung<br />

großstädtischer Bevölkerungsstrukturen umzugehen. Sie<br />

fußen auf der Erkenntnis, dass sich Integrationsprozesse von<br />

4 Hanhörster, Heike (2002): Integration von Migrantinnen und Migranten im Wohnbereich. ILS-Schrift 180. Dortmund.<br />

20<br />

Migranten hauptsächlich im direkten Wohnbereich vollziehen<br />

und von lokalen Rahmenbedingungen und Unterstützungsstrukturen<br />

abhängen (siehe Hanhörster 2002: 12). 4 Momentan<br />

sind es vor allem Großstädte wie München, Nürnberg oder<br />

Gelsenkirchen, die kommunale Integrationskonzepte erarbeiten<br />

und dabei im Rahmen eines Wettbewerbs von der Schader-Stiftung<br />

unterstützt werden. Auf der Basis detaillierter Analysen zu<br />

den Lebenslagen von Migranten in den Städten sollen durch die<br />

Konzepte integrationsbezogene Defizite erkannt und angegangen<br />

werden. Darauf aufbauend werden migrantenspezifische<br />

Unterstützungsangebote der Kommunen und der Wohlfahrtsverbände<br />

einerseits abgestimmt und andererseits ergänzt. Die<br />

Veränderung der städtischen Verwaltungsstruktur und ihrer<br />

Arbeitsweise ist dabei entscheidend. Hier ist die Stadt Essen als<br />

gutes Beispiel zu nennen, die mit dem Konzept der „Interkulturellen<br />

Orientierung“ bereits seit dem Jahr 1999 die Arbeit der


Verwaltung neu ausrichtet. Mit dem Konzept werden mehrere<br />

Ziele zur strategischen Ausrichtung der interkulturellen Arbeit<br />

in Essen verfolgt. Dabei sollen einerseits die Chancengleichheit<br />

von Menschen mit Migrationshintergrund gewahrt bzw. hergestellt<br />

und andererseits der zunehmende Anteil von sprachlichkulturellen<br />

Minderheiten als Potenzial für die Ökonomie, Finanzierungskraft<br />

und die Attraktivität der Stadt Essen nutzbar<br />

gemacht werden. Somit sollen mit dem Konzept zur „Interkulturellen<br />

Orientierung“ die Vermeidung und Beseitigung von negativen<br />

Segregationsfolgen erreicht werden. Diesbezügliche Ziele<br />

des Konzepts sind u. a. die Förderung des Miteinanders und die<br />

Überwindung von Misstrauen und Isolation durch eine Ermöglichung<br />

von gemeinsamem Leben und Lernen von Deutschen<br />

und Nichtdeutschen sowie die Schaffung von Möglichkeiten und<br />

Räumen zur Entwicklung von kulturellen Synthesen.<br />

3 Strategien lokaler Politik für Familien in unterschiedlichen Sozialräumen<br />

Die Stadt Essen will damit die Akzeptanz von Menschen mit Migrationshintergrund<br />

verbessern, indem ihr Verhalten und ihre<br />

Handlungen vor dem Hintergrund ihrer kulturellen Zusammenhänge<br />

nachvollziehbar und verständlich gemacht werden. Bestehende<br />

Konflikte sollen dabei mit demokratischen und friedlichen<br />

Mitteln ausgehandelt werden. Dafür wurde in enger Zusammenarbeit<br />

mit den Wohlfahrtsverbänden ein dezernatübergreifendes<br />

Handlungskonzept mit zehn Konzeptbausteinen5 entwickelt. Das im Konsens beschlossene Handlungskonzept<br />

setzt dabei einen Handlungsrahmen, der Projekte und Maßnahmen<br />

zum einen in den gesamtstädtischen Kontext einbettet und<br />

zum anderen aufeinander abstimmt. Parallel wird die Einstellung<br />

von Mitarbeitern mit Migrationshintergrund forciert. Dieses<br />

betrifft besonders solche Bereiche, in denen es um die Belange<br />

von Migranten geht bzw. die intensiven Kundenkontakt<br />

mit Migranten haben.<br />

In der nunmehr fast achtjährigen Umsetzungsgeschichte des<br />

dezernatübergreifend betriebenen Ansatzes sind vielfältige Erfahrungen<br />

innerhalb der beteiligten Fachbereiche der Essener<br />

Verwaltung gemacht worden, die dazu dienen, das Konzept zur<br />

„Interkulturellen Orientierung“ fortlaufend weiterzuentwickeln.<br />

Das Konzept der Stadt Essen ist ein bislang einmaliges Beispiel<br />

für einen gesamtstädtischen Ansatz zur interkulturellen Arbeit<br />

mit Vorbildcharakter für andere Kommunen.<br />

5 Elementarbereich, Schule, Kinder- und Jugendarbeit, Jugendkriminalität, soziale Beratung und Betreuung, soziale Beratung und Betreuung ausländischer Senioren, Arbeit,<br />

Beschäftigung und Qualifizierung, Wohnen und interkulturelle Konflikte.<br />

21


Integrierte Stadtteilentwicklungspolitik<br />

Integrierte Ansätze der Stadtteilerneuerung zur Vermeidung<br />

und Bekämpfung von Segregation sowie zur Milderung negativer<br />

Segregationsfolgen <strong>–</strong> wie sie z. B. durch die Programme „Die<br />

Soziale Stadt“ auf Bundesebene oder z. T. im Rahmen von Stadterneuerungsprogrammen<br />

auf Länderebene eingefordert werden<br />

<strong>–</strong> sind in den Kommunen außerhalb einer Landes- oder Bundesförderung<br />

kaum vorhanden. Integrierte Stadterneuerungsansätze<br />

folgen der Idee einer ebenen- und fachübergreifenden<br />

Arbeitsweise einerseits und der raumbezogenen Finanzmittelbündelung<br />

unterschiedlicher Fachressorts andererseits. Verschiedene<br />

Evaluationen auf Landesebene und des Bundes zeigen<br />

eindruckvoll die Erfolge des seit Mitte der 90er Jahre in<br />

NRW, Hamburg und Bremen sowie seit 1999 auf Bundesebene<br />

verfolgten Stadterneuerungsansatzes. Dies bezieht sich einerseits<br />

auf den räumlich gebündelten Einsatz von Fördermitteln,<br />

ohne die Projekte und Maßnahmen der Stadtteilprojekte in vie-<br />

22<br />

len Fällen nicht finanzierbar wären. Andererseits sind die durch<br />

die integrierten Stadterneuerungsprogramme vorgegebenen<br />

integrativen und dezentralen Steuerungsstrukturen wichtig,<br />

ohne die Konzepte zur Bewältigung der multidimensionalen<br />

Problemlagen von Armut und Segregation nur schwer umsetzbar<br />

sind (siehe ILS/ZEFIR 2006). Durch die in einigen Bundesländern<br />

(z. B. Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Bremen) erforderlichen<br />

integrierten Handlungskonzepte werden die stadtteilbezogenen<br />

Maßnahmen aufeinander abgestimmt und verschiedene<br />

kommunale Ressorts zur Zusammenarbeit verpflichtet. Dies<br />

ist aber in längst nicht allen Bundesländern der Fall. Fehlende<br />

integrative inhaltliche Vorgaben der zuständigen Landesministerien<br />

können dazu führen, dass die Bundesmittel der Sozialen<br />

Stadt wie ein klassisches Städtebauförderprogramm verausgabt<br />

werden. 6 Die in den Stadtteilprojekten implementierten Projekte<br />

zielen einerseits auf eine Aufwertung der Stadtteile, um Segregation<br />

zu vermeiden bzw. auch zu bekämpfen. Andererseits<br />

werden Maßnahmen zur Milderung negativer Segregationsfol-<br />

6 Entscheidend ist hier die Auslegung der Vorgaben für das das Bund-Länder-Programm „Die Soziale Stadt“ auf der Landesebene bzw. die Umsetzung dieser Vorgaben in Verwaltungsverordnungen.<br />

Beispielsweise ist in NRW ein sehr breites Spektrum an Maßnahmen förderwürdig, welches auch Maßnahmen im sozialen Bereich abdeckt. Die Vorlage<br />

eines integrierten Handlungskonzepts und ein Quartiersmanagement sind Pflicht. Dagegen sind in Rheinland-Pfalz überwiegend investive Maßnahmen im städtebaulichen<br />

Bereich förderwürdig, für viele Programmstadtteile bestehen keine integrierten Handlungskonzepte, und es wird auch nur in wenigen Quartieren ein Quartiersmanagement<br />

durchgeführt.


gen durchgeführt, indem die soziale Infrastruktur ausgebaut<br />

wird und lokale Vereine und formelle sowie auch informelle<br />

Netzwerke unterstützt werden. Die Steuerung der Stadtteilprojekte<br />

erfolgt dabei in vielen Bundesländern dezentral durch<br />

Stadtteilbüros vor Ort.<br />

Integrative Ansätze der Stadterneuerung sind im länderübergreifenden<br />

Vergleich unterschiedlich verbreitet. Zum einen liegt<br />

dieses an der schon längeren Tradition integrativer Erneuerungsansätze<br />

in einigen Bundesländern (NRW, HH, Bremen),<br />

zum anderen an der inhaltlichen Ausgestaltung des Förderprogramms<br />

auf Länderebene. Erstmals in einem deutschen Flächenland<br />

wurde in NRW 1993 ein integriertes und ressortübergreifendes<br />

Handlungskonzept gegen soziale Segregation im<br />

Rahmen der Städtebauförderung programmatisch angestoßen.<br />

Wenig später folgten auch die Stadtstaaten Hamburg und Bremen<br />

der besonders aus der angelsächsischen Stadtplanung<br />

übernommenen Handlungsweise. Die Programme beziehen<br />

sich dabei vor allem auf zwei Gebietstypen (siehe Krummacher<br />

et al. 2003: 7 80, Zimmer-Hegmann/Austermann 2000: 15): altindustrielle,<br />

meist innenstadtnahe Stadtteile, die durch den ökonomischen<br />

Strukturwandel unmittelbar betroffen sind, und<br />

Großwohnsiedlungen, besonders der 60er und 70er Jahre, meist<br />

in peripherer städtischer Lage.<br />

Mit der Einführung integrierter Programmansätze wurde in den<br />

o. g. Bundesländern eine wichtige Konsequenz aus der begrenz-<br />

3 Strategien lokaler Politik für Familien in unterschiedlichen Sozialräumen<br />

ten Reichweite bisheriger sektoraler Politikansätze gezogen,<br />

und integrierte Handlungsansätze wurden zum Prinzip der<br />

Stadterneuerungspolitik erhoben. Zur Verbesserung der Lebensqualität<br />

und zur Erzielung von Synergieeffekten werden<br />

auf Landesebene Politikansätze und ressortspezifisch orientierte<br />

öffentliche Mittel gebündelt und zielgerichtet auf die lokalen<br />

Bedarfe ausgerichtet. Der traditionell gebietsbezogen operierenden<br />

Städtebauförderung kommt damit eine Leit- und Anschubfunktion<br />

für die übrigen Ressortpolitiken zu. Trotzdem ist die<br />

Mittelbündelung auch in Bundesländern mit relativ langer Erfahrung<br />

mit integrierten Stadterneuerungsansätzen immer<br />

noch verbesserungswürdig: Die Nicht-Kompatibilität unterschiedlicher<br />

Förderprogramme, kurze Laufzeiten und mangelhafte<br />

Transparenz von Mittelflüssen erfordern immer noch<br />

einen viel zu hohen Koordinationsaufwand auf kommunaler<br />

und Gebietsebene sowie eine stärkere Harmonisierung auf Landesebene<br />

(siehe u. a. Difu 2002: 20). 8 Die auf Länderebene gesammelten<br />

Erfahrungen gingen im Jahr 1999 in die Ausgestaltung<br />

und Implementation des Bund-Länder-Programms „Stadtteile<br />

mit besonderem Entwicklungsbedarf <strong>–</strong> Die Soziale Stadt“<br />

ein. Seither werden in fast allen Bundesländern integrierte<br />

Stadtteilerneuerungsansätze in benachteiligten Quartieren<br />

gefördert. Ähnliche Ziele verfolgt das Bund-Länder-Programm<br />

„Stadtumbau West“, das seit dem Jahr 2005 die Erneuerung von<br />

Stadtteilen mit nicht mehr zeitgemäßen städtebaulichen Strukturen<br />

fördert. Dass die beiden Programmansätze Stadtumbau<br />

West und Soziale Stadt ähnliche Ziele verfolgen, zeigt sich in der<br />

7 Krummacher, Michael/Kulbach, Roderich/Walz, Victoria/Wohlfahrt, Norbert (2003): Soziale Stadt <strong>–</strong> Sozialraumorientierung <strong>–</strong> Quartiersmanagement. Herausforderungen für<br />

Politik, Raumplanung und soziale Arbeit. Opladen.<br />

8 (Difu 2002) Deutsches Institut für Urbanistik (Hg.) (2002): Soziale Stadtteilentwicklung geht alle an! Gemeinsames Resümee-Papier der Programmbegleitung vor Ort-Teams<br />

(PvO). Difu-Berichte 3/2002. Berlin.<br />

23


3 Strategien lokaler Politik für Familien in unterschiedlichen Sozialräumen<br />

kommunalen Praxis, wo beide Programme in Stadtteilen mit<br />

ähnlichen Problemkonstellationen bzw. auch im selben Stadtteil<br />

eingesetzt werden (Beispiel Dortmund-Nordstadt).<br />

Ein Programmgrundsatz ist die ebenen- und fachübergreifende<br />

Vernetzung aller relevanten Akteure <strong>–</strong> sowohl vertikal zwischen<br />

den verschiedenen Ebenen (Land, Regierungsbezirk, Kommune,<br />

Stadtteil) als auch horizontal innerhalb dieser Ebenen. Dies umfasst<br />

die Integration und Vernetzung sowohl auf Verwaltungsund<br />

Stadtteilebene als auch zwischen diesen beiden Ebenen<br />

unter Einbeziehung eines möglichst breiten Akteursspektrums<br />

aus dem privaten, öffentlichen und intermediären Bereich. Je<br />

nach Bandbreite der teilnehmenden Akteure und räumlicher<br />

Bezugsebene ergeben sich unterschiedlichste Organisations-,<br />

Vernetzungs- und Steuerungsformen in den beteiligten Stadtteilen<br />

(siehe Austermann/Zimmer-Hegmann 2001: 32 ff.). 9 In einigen<br />

Städten führt dies auch schon zu Veränderungen der öffentlichen<br />

Verwaltungsstrukturen, die sich wie beispielsweise in Essen<br />

in einer stärkeren Raumorientierung äußern. Das Stadtteilmanagement<br />

stellt das zentrale Instrument der Quartiersentwicklung<br />

dar. Es ist <strong>–</strong> meist in Form eines Stadtteilbüros <strong>–</strong> mit<br />

der Organisation und Koordination des gesamten Erneuerungsprozesses<br />

befasst und fungiert als Anlauf- und Kontaktstelle vor<br />

Ort. Das Aufgabenspektrum des Stadtteilmanagements ist vielfältig:<br />

Im Zentrum stehen die Initiierung und Begleitung von<br />

Projekten, die Einbindung, Information und Beratung der lokalen<br />

Bevölkerung und die Vernetzung der lokalen Akteure im Zu-<br />

24<br />

sammenhang mit dem Aufbau der Kooperationsstrukturen<br />

(siehe ebd.). Es zeigt sich deutlich, dass das Ineinandergreifen<br />

von steuernden Impulsen und Anreizen „von oben“ und gleichzeitiger<br />

Erneuerung „von unten“ keinen Gegensatz darstellen<br />

muss, sondern eine nachhaltige Stabilisierung der Quartiere<br />

erst ermöglicht.<br />

Das ILS NRW hat das nordrhein-westfälische Landesprogramm<br />

1999 einer ersten Bestandsaufnahme unterzogen, in der bisherige<br />

positive Entwicklungen ebenso wie Begrenzungen des Programms<br />

zusammengefasst und gleichzeitig Empfehlungen für<br />

eine Weiterentwicklung des Programms formuliert wurden<br />

(siehe ebd.). Danach lassen sich eine Reihe von Wirkungsmöglichkeiten<br />

des integrierten Stadterneuerungsansatzes auf Segregation<br />

identifizieren:<br />

• Im Rahmen der integrierten Handlungskonzepte bietet sich<br />

die Möglichkeit der gebietsbezogenen Kooperation zwischen<br />

Kommunen, Wohnungsunternehmen und anderen Akteuren,<br />

um gemeinsame Konzepte der unmittelbaren Steuerung von<br />

Belegungen in Wohnungsbeständen bzw. auch des Stadtteilumbaus<br />

mit dem Ziel einer sozial ausgeglichenen Bevölkerungsstruktur<br />

zu entwickeln.<br />

• Auf der Basis integrierter Handlungskonzepte lassen sich soziale<br />

Stabilisierungs- und Integrationsmaßnahmen besser im<br />

Sinne von ganzheitlichen Konzepten aufeinander abstimmen<br />

und entfalten damit eine offensichtlich größere Wirkung<br />

(siehe ILS 2002). 10<br />

9 Austermann, Klaus/Zimmer-Hegmann, Ralf (2001): Analyse der Umsetzung des integrierten Landesprogramms für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf. ILS-Schrift<br />

166. 2. überarbeitete Auflage. Dortmund.<br />

10 ILS NRW (2002) Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen des Landes NRW (Hg.): Analyse sozial-integrativer Projekte. Eine exemplarische<br />

Untersuchung am Beispiel Gelsenkirchen-Bismarck/Schalke-Nord. Dortmund.


• Die Kombination aus baulichen Aufwertungsmaßnahmen<br />

(„Leuchtturmprojekte“) und den diversen sozial stabilisierenden<br />

Projekten lässt einen positiven Imagewandel in den<br />

Stadtteilen beobachten, der die Stigmatisierung der Gebiete<br />

langsam aufbrechen kann. 11<br />

• Die unmittelbare Orientierung an den lokalen Problemlagen<br />

und Potenzialen ermöglicht grundsätzlich eine Berücksichtigung<br />

segregationsspezifischer Belange bei der Erstellung der<br />

Stadtteilkonzepte und eine programmatische Einbindung derselben<br />

in übergeordnete gesamtstädtische Strukturen und<br />

Entwicklungsstrategien.<br />

Allerdings muss auch heute schon <strong>–</strong> trotz aller positiven Ansatzpunkte<br />

des integrierten und stadtteilbezogenen Programmansatzes<br />

<strong>–</strong> darauf hingewiesen werden, dass die Reichweite der<br />

Wirkungsmöglichkeiten auch begrenzt ist. Die betroffenen<br />

Stadtquartiere haben eine Entwicklung genommen, deren<br />

Ursachen meist außerhalb der Gebiete selbst liegen. Arbeitslosigkeit<br />

und Armut als direkte und indirekte Folge des tief greifenden<br />

ökonomischen und gesellschaftlichen Strukturwandels,<br />

aber auch die erwähnten Veränderungen des Wohnungsmark-<br />

3 Strategien lokaler Politik für Familien in unterschiedlichen Sozialräumen<br />

tes sind strukturelle Prozesse, die nur begrenzt lokal zu beeinflussen<br />

sind. Der Stadtteil ist folglich nicht die Ebene, auf der<br />

alle Probleme gelöst werden können. Um eine langfristige<br />

Stabilisierung benachteiligter Stadtteile zu erreichen und weitere<br />

Ausgrenzungsprozesse zu verhindern, ist daher nicht nur<br />

eine integrierte Herangehensweise auf der Stadtteilebene, sondern<br />

besonders auch die Einbindung der Ansätze in gesamtstädtische<br />

Entwicklungsstrategien zentral. Dies gilt es verstärkt<br />

zu berücksichtigen, denn in vielen Kommunen fehlt es nach wie<br />

vor an der politischen Strategie der Gesamtstadt für eine ausgewogene<br />

räumliche Entwicklung, die unter dem Leitbild der „sozialen<br />

Stadtentwicklung“ die Verhinderung weiterer sozialräumlicher<br />

Polarisierungen zum Ziel hat. Unter diesen Voraussetzungen<br />

bleiben stadtteilbezogene Ansätze insulare Konzepte<br />

bzw. zeitlich befristete „Sonderprojekte“, deren Einflussmöglichkeiten<br />

begrenzt sind. Angesichts der aktuellen Finanzkrise<br />

der Kommunen gilt es aber zugleich, die Städte in die Lage zu<br />

versetzen, eine solche Politik der „sozialen Stadtentwicklung“<br />

auch finanziell abzusichern.<br />

11 In einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung in Oberhausen-Knappenviertel haben z. B. 70 Prozent der Befragten angegeben, dass sich das Image des Gebietes durch die<br />

verschiedenen Maßnahmen im Rahmen des Stadterneuerungsprogramms in den letzten Jahren verbessert hat. Fast die Hälfte der Befragten war der Meinung, dass sich die<br />

Lebensqualität im Viertel erhöht hat; vgl. Stadt Oberhausen (Hg., 2002): Anwohnerbefragung 2002. Stadtteilprojekt Knappenviertel. Beiträge zur Stadtentwicklung Nr. 72.<br />

Oberhausen.<br />

25


4 Formen und Strukturen der Segregation in großen deutschen Städten <strong>–</strong> ein Überblick<br />

4 Formen und Strukturen der Segregation in großen<br />

deutschen Städten <strong>–</strong> ein Überblick<br />

Lokale Strategien zur Beeinflussung des demographischen<br />

Wandels und zur Bearbeitung seiner Folgen müssen auf dem<br />

Hintergrund der örtlichen Verhältnisse implementiert und bewertet<br />

werden. In unterschiedlichen sozialräumlichen Kontexten<br />

stellen sich unterschiedliche Probleme, die unterschiedliche<br />

Lösungen erfordern. In großen Städten gibt es segregationsbedingt<br />

eine Vielfalt solcher Kontexte auf Stadtteilebene. Von besonderem<br />

Interesse sind dabei die wachsenden Konzentrationen<br />

und Kumulationen sozialer und demographischer Belastungen<br />

in bestimmten Stadtgebieten. Dennoch kann davon ausgegangen<br />

werden, dass sich städtische Problemlagen in der Regel<br />

nicht aus völlig anderen sozialen, ethnischen und demographischen<br />

Merkmalsdimensionen ergeben; sie sind vielmehr ähnlich<br />

strukturiert. Böltken (2005: 129) spricht davon, dass sich<br />

die „Einzigartigkeit der Städte ... eher in der spezifischen Kombination<br />

von Merkmalen und Problemen (ausdrückt) als in den<br />

Problemen selbst“. Damit sind nicht die demographischen, ethnischen<br />

und sozialen Komponenten einzigartig, die die Stadtstruktur<br />

prägen, sondern die „stadtspezifische Kombination dieser<br />

Komponenten“ (ebd.). Das bedeutet aber gleichzeitig, dass<br />

sich über die Grenzen der einzelnen Städte hinweg vergleichbare<br />

innerstädtische Problem- bzw. Situationskonstellationen finden<br />

lassen, die vergleichbaren Handlungsansätzen zur Vermeidung<br />

von Segregation und zur Bearbeitung von Segregationsfolgen<br />

zugänglich sind.<br />

26<br />

Auf Basis kleinräumiger Individualdaten sollen deshalb die<br />

Ausprägungen sozialräumlicher innerstädtischer Disparitäten<br />

für ausgewählte deutsche Städte empirisch analysiert werden.<br />

Es sollen Muster innerstädtischer Segregation und deren Zusammenhang<br />

mit den gesamtstädtischen Bevölkerungsentwicklungen<br />

und Entwicklungen am Arbeitsmarkt aufgedeckt werden.<br />

Ziel der Analyse ist eine Typenbildung von Städten mit vergleichbaren<br />

Problem- bzw. Situationskonstellationen, die die alltägliche<br />

Lebensumwelt von Familien in den Städten in spezifischer<br />

Weise prägen.<br />

Im Folgenden soll ein möglichst umfassender Überblick über<br />

Formen und Strukturen der Segregation in deutschen Städten <strong>–</strong><br />

bezogen auf das Jahr 2003 <strong>–</strong> erstellt werden. Dabei ist eine<br />

Konzentration auf Aussagen über demographische und ethnische<br />

Segregation in großen Städten notwendig, da nur für diese<br />

Bereiche eine umfassendere Datenbasis in Form kleinräumiger<br />

Daten zur demographischen Grundstruktur in den ausgewählten<br />

Städten der Arbeitsgemeinschaft Kommunalstatistik<br />

(KOSTAT) 12 vorliegt.<br />

12 KOSTAT ist ein Gemeinschaftsprojekt der kommunalen Städtestatistiker zur Weitergabe und zum Austausch kleinräumiger Daten zur demographischen Grundstruktur von<br />

derzeit etwa 100 deutschen Städten mit einer Einwohnerzahl ab etwa 50.000. Die AG KOSTAT gehört zum KOSIS-Verbund, einer Selbsthilfeeinrichtung der deutschen Städte<br />

zur gemeinsamen Entwicklung und Pflege von Standards und Verfahren für kommunales (statistisches) Informationsmanagement.


Es wurden nur Städte mit Programmstadtteilen des Bundesund<br />

Landesprogramms „Die Soziale Stadt“ und vorhandenen<br />

Stadtteildaten im KOSTAT-Datensatz für die Jahre 2003 und<br />

2002 einbezogen.<br />

Zur Analyse des Zusammenhangs zwischen Segregation, Bevölkerungsentwicklung<br />

und Veränderungen am Arbeitsmarkt sind<br />

die folgenden Merkmale in die Analyse eingeflossen.<br />

Als wesentliche Merkmale zur Beschreibung der Bevölkerungsentwicklung<br />

in den Städten werden folgende Indikatoren betrachtet:<br />

• Bevölkerungsveränderung 1999 <strong>–</strong> 2003<br />

• Wanderungssaldo 2002<br />

• Geborene je 10.000 Einwohner 2003<br />

• Anteil der Alten (über 60-Jährige) 2003<br />

• Zunahme der unter 18-Jährigen 2002/200313 • Anteil der nicht deutschen Einwohner 2003<br />

Die Veränderungen am Arbeitsmarkt und die wirtschaftlichen<br />

Entwicklungen der Städte werden mit den folgenden drei Merkmalen<br />

abgebildet:<br />

• verfügbares Einkommen pro Einwohner 2002/200314 • Beschäftigtenentwicklung 1997<strong>–</strong>2002<br />

• Anteil der Langzeitarbeitslosen an allen Arbeitslosen 2002/<br />

2003<br />

4 Formen und Strukturen der Segregation in großen deutschen Städten <strong>–</strong> ein Überblick<br />

Die demographischen und ethnischen Unterschiede zwischen<br />

den Stadtteilen werden durch drei Dimensionen beschrieben,<br />

die Ergebnis einer vorangegangenen statistischen Analyse (Faktoranalyse)<br />

sind. Zur Kennzeichnung der Segregationsmuster<br />

fließen die Standardabweichungen der Faktoren für jede Stadt<br />

in die Analyse ein.<br />

Segregationsfaktor „Urbanes Wohnen“:<br />

Die Dimension ist ein Hinweis auf die Metropolisierung bzw.<br />

Urbanität der Stadtteile. In Stadtteilen mit hohen Faktorwerten<br />

wohnen wenige Alte und Kinder, aber mehr 30- bis 40-Jährige,<br />

d. h. in der Mehrzahl aktive junge Erwerbstätige (noch) ohne Familie<br />

sowie mehr 18- bis 30-Jährige (Studenten, Auszubildende).<br />

In Städten mit hohen Abweichungen des Faktors finden sich<br />

eine größere demographische Heterogenität und eine geringe<br />

Familienprägung. Zudem gibt es mehr urbane Stadtteile innerhalb<br />

der Stadt.<br />

Segregationsfaktor „Familienzonen“:<br />

Die Dimension verweist auf Familienzonen in den Städten.<br />

Stadtteile mit hohen Faktorwerten sind gekennzeichnet durch<br />

ausgesprochen hohe Anteile von Kindern und Jugendlichen,<br />

leicht höhere Anteile der 40- bis 50-Jährigen (Elterngeneration)<br />

unter der Bevölkerung des Stadtteils sowie durchschnittliche<br />

Anteile nicht deutscher Einwohner. In Städten mit hohen Abweichungen<br />

gibt es insgesamt weniger Kinder als im Durch-<br />

13 Für die Städte Köln, München, Berlin als wichtige Großstädte, die in der Analyse verbleiben sollten, und die Stadt Brandenburg (neben Potsdam die zweite gewählte Stadt<br />

des Landes Brandenburg) liegen nur Daten für 2003 vor. Zur Berechnung der Faktoranalyse und der Clusteranalyse auf Stadtebene wurde diesen Städten für die fehlenden<br />

Angaben jeweils der Mittelwert aller Städte zugeordnet.<br />

14 Für die Städte Hildesheim, Gladbeck, Esslingen, Konstanz, Reutlingen waren keine Einkommensangaben erhältlich. Zur Berechnung der Faktoranalyse und der<br />

Clusteranalyse auf Stadtebene wurde diesen Städten für die fehlenden Angaben jeweils der Mittelwert aller Städte zugeordnet.<br />

27


4 Formen und Strukturen der Segregation in großen deutschen Städten <strong>–</strong> ein Überblick<br />

schnitt der Städte, und es gibt große Unterschiede hinsichtlich<br />

der Familienprägung der Stadtteile.<br />

Segregationsfaktor „Ältere und Etablierte“:<br />

Der Faktor beschreibt die Konzentration älterer und etablierter<br />

deutscher Bevölkerungsschichten in bestimmten Stadtteilen.<br />

Stadtteile mit hohen Faktorwerten sind gekennzeichnet durch<br />

hohe Anteile älterer (erwerbstätiger) Einwohner sowie die<br />

Abwesenheit von nicht deutschen Einwohnern in den betreffenden<br />

Stadtteilen. Hohe Abweichungen der Faktorwerte zeigen<br />

eine hohe demographische und eine hohe ethnische Segregation<br />

in der Stadt an.<br />

Die große Zahl von Städten in Deutschland, deren Bevölkerungs-<br />

und Sozialstrukturentwicklung untersucht wurde, wobei<br />

der Zugang zu kleinräumigen Strukturdaten ausgesprochen<br />

schwer und die Materiallage sehr schlecht ist, haben wir in insgesamt<br />

acht Gebietstypen eingeteilt:<br />

1. Prosperierende Metropolen in Westdeutschland<br />

2. Wachstumspole in Westdeutschland<br />

3. Wachsende, wirtschaftlich konsolidierte Städte in Westdeutschland<br />

4. Moderat schrumpfende Städte mit hoher Segregation<br />

5. Wachsende Städte in Ostdeutschland mit zunehmender Segregation<br />

6. Schrumpfende homogene Städte in Westdeutschland mit Tendenz<br />

zur Überalterung<br />

28<br />

7. Homogene arme Städte mit Arbeitsmarktproblemen<br />

8. Stark schrumpfende und stagnierende Städte in Ostdeutschland<br />

Fallbeispiele aus den Clustern 2, 3, 6, 7 und 8 werden anhand<br />

der Städte Ulm, Stuttgart, Wuppertal, Gelsenkirchen und<br />

Magdeburg in Kapitel 5 dargestellt.<br />

Cluster 1: Prosperierende Metropolen in<br />

Westdeutschland<br />

Zum Cluster gehören die Städte Bremen, Hamburg, Heidelberg,<br />

Karlsruhe, Köln, München, Nürnberg und Wolfsburg.<br />

Es handelt sich um prosperierende Metropolen im Westen<br />

Deutschlands, die in der Mehrzahl <strong>Universität</strong>sstandorte sowie<br />

überregionale wirtschaftliche und kulturelle Zentren sind. Dies<br />

kommt in deutlich positiven Entwicklungen im Beschäftigungsbereich<br />

und überdurchschnittlichen Einkommen zum Ausdruck,<br />

die mit Ausnahme von Wolfsburg besonders im Dienstleistungsbereich<br />

erzielt werden. Das verfügbare Einkommen<br />

von durchschnittlich 18.686 Euro pro Einwohner ist das höchste<br />

im Vergleich aller Cluster. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen<br />

unter den Arbeitslosen liegt trotz dieser positiven Wirtschaftsentwicklung<br />

nur etwas unter dem allgemeinen Durchschnitt<br />

von 34 Prozent, was auf eine größere soziale Disparität in den<br />

Städten hinweist.


Cluster 1<br />

Bremen, Hamburg, Heidelberg, Karlsruhe, Köln, München, Nürnberg, Wolfsburg<br />

Merkmale des Faktors „Demographisches Wachstum”<br />

Bevölkerungsveränderung<br />

Wanderungssaldo<br />

Geborene je 10.000 Einwohner<br />

Anteil der Alten (über 60-Jährige)<br />

Zunahme der unter 18-Jährigen<br />

Anteil der nicht deutschen Einwohner<br />

Merkmale des Faktors „Wirtschaftliches Wachstum”<br />

Einkommen pro Einwohner<br />

Beschäftigtenentwicklung<br />

Langzeitarbeitslosigkeit<br />

Merkmale des Segregationsfaktors<br />

Segregationsfaktor „Urbanes Wohnen”<br />

Segregationsfaktor „Familienzonen”<br />

Segregationsfaktor „Ältere und Etablierte”<br />

Kennzeichen der Metropolisierung sind neben der überregionalen<br />

Bedeutung der Städte auch leicht überdurchschnittliche Anteile<br />

nicht deutscher Einwohner. Hinsichtlich der demographischen<br />

Merkmale lassen sich positive Wanderungssalden erkennen,<br />

die zu einer Bevölkerungszunahme in den Städten geführt<br />

haben. Die Zahl der Geborenen hingegen liegt nur minimal über<br />

dem Gesamtdurchschnitt aller Städte, was auf ein nur geringes<br />

4 Formen und Strukturen der Segregation in großen deutschen Städten <strong>–</strong> ein Überblick<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben der AG KOSTAT, der städtischen Statistischen Ämter und verschiedener Veröffentlichungen der Landes- und Stadtstatistik.<br />

Geburtengeschehen hinweist. Auch die Erhöhung der Zahl der<br />

unter 18-Jährigen ist sehr gering ausgeprägt. Die Städte wachsen<br />

demnach recht einseitig durch Zuwanderung, besonders<br />

von Erwerbstätigen ohne Familien. Der vergleichsweise geringe<br />

Anteil an Kindern in diesen Städten zeigt, dass die Erwerbstätigen<br />

aber offenbar nach einer Familiengründung nur selten in<br />

den Städten bleiben oder dass sie keine Familie gründen. Ein<br />

29


4 Formen und Strukturen der Segregation in großen deutschen Städten <strong>–</strong> ein Überblick<br />

solches Wachstum ist sehr stark abhängig von einem fortgesetzten<br />

wirtschaftlichen Wachstum.<br />

Für die Städte sind leicht überdurchschnittliche Segregationstendenzen<br />

hinsichtlich der Segregationsdimensionen „Urbanes<br />

Wohnen“ und überdurchschnittliche Werte auf dem Segregationsfaktor<br />

„Familienzone“ zu beobachten. Es ist erkennbar, dass<br />

es in den Städten einige Stadtteile mit sehr hohen Werten auf<br />

dem Familienfaktor gibt, die sich erheblich von der Mehrzahl der<br />

Stadtteile mit eher unterdurchschnittlichen Werten unterscheidet.<br />

D. h. die vergleichsweise wenigen Familien finden sich besonders<br />

in segregierten Stadtteilen und nicht über die gesamte<br />

Stadt verteilt. In den urbanen innerstädtischen Stadtteilen (hohe<br />

Werte des Faktors „Urbanes Wohnen“) sind Familien viel seltener<br />

zu finden. Die Segregationsdimension „Ältere und Etablierte“<br />

lässt nur unterdurchschnittliche Werte erkennen, was zugleich<br />

ein Hinweis auf eine eher geringere ethnische Segregation ist.<br />

Besonderes Kennzeichen des Clusters: reichste Städte.<br />

Cluster 2: Wachstumspole in Westdeutschland<br />

Dem Cluster gehören die Städte Aachen, Bonn, Darmstadt, Erlangen,<br />

Esslingen am Neckar, Freiburg im Breisgau, Konstanz,<br />

Mainz, Regensburg und Ulm an. Clusterrepräsentant für die<br />

Falldarstellungen ist Ulm (siehe Seite 43 ff.).<br />

30<br />

Die deutlich über dem Durchschnitt liegenden Merkmalswerte<br />

des Faktors „Demographisches Wachstum“ kennzeichnen die<br />

Städte als demographische Wachstumspole, die sowohl ein natürliches<br />

Bevölkerungswachstum als auch überdurchschnittliche<br />

Zuwanderungsgewinne verzeichnen können. Dabei ist ein<br />

leichtes Übergewicht der Zuwanderungsgewinne zu erkennen.<br />

Die dadurch erzielte Bevölkerungszunahme zeigt sich auch für<br />

Kinder unter 18 Jahren und damit für Familien. Entsprechend<br />

unterdurchschnittlich ausgeprägt ist der Anteil der über 60-Jährigen,<br />

ein Merkmal der Städte, das Überalterungstendenzen anzeigen<br />

kann. Auch in diesen Städten gibt es leicht über dem<br />

Durchschnitt liegende Anteile nicht deutscher Bevölkerung.<br />

Die Merkmale des Faktors „Wirtschaftliches Wachstum“ liegen<br />

zwar im positiven Bereich, es werden aber nicht so hohe Beschäftigungseffekte<br />

und Einkommen wie in Cluster 1 erreicht.<br />

Mit verfügbaren Einkommen von durchschnittlich 17.118 Euro je<br />

Einwohner handelt es sich dennoch um wohlhabende Städte.<br />

Ausgesprochen niedrig ist der Anteil der Langzeitarbeitslosen<br />

unter den Arbeitslosen mit einem Wert von 23,8 Prozent. Hier<br />

stellt sich die Situation für die Städte des Clusters 2 positiver<br />

dar als für die Metropolen im Cluster 1.<br />

Für die Segregationsdimensionen „Urbanes Wohnen“ und die Dimension<br />

„Familienzone“ zeigen sich in diesem Cluster recht<br />

hohe Werte. Die Alterssegregation ist hingegen nur durchschnittlich<br />

ausgeprägt. Betrachtet man die Segregationsmuster, lässt


Cluster 2<br />

Aachen, Bonn, Darmstadt, Erlangen, Esslingen am Neckar, Freiburg im Breisgau, Konstanz, Mainz, Regensburg, Ulm<br />

Merkmale des Faktors „Demographisches Wachstum”<br />

Bevölkerungsveränderung<br />

Wanderungssaldo<br />

Geborene je 10.000 Einwohner<br />

Anteil der Alten (über 60-Jährige)<br />

Zunahme der unter 18-Jährigen<br />

Anteil der nicht deutschen Einwohner<br />

Merkmale des Faktors „Wirtschaftliches Wachstum”<br />

Einkommen pro Einwohner<br />

Beschäftigtenentwicklung<br />

Langzeitarbeitslosigkeit<br />

Merkmale des Segregationsfaktors<br />

Segregationsfaktor „Urbanes Wohnen”<br />

Segregationsfaktor „Familienzonen”<br />

Segregationsfaktor „Ältere und Etablierte”<br />

sich erkennen, dass die Stadtteile entlang des Faktors „Familienzone“<br />

und entlang des Faktors „Urbanes Wohnen“ sehr breit<br />

streuen. Es gibt demnach sowohl Stadtteile mit ausgesprochener<br />

Familienprägung, die darüber hinaus einen urbanen Charakter<br />

haben, als auch wenig familiengeprägte urbane Stadtteile.<br />

Entlang des Faktors „Ältere und Etablierte“ gruppieren sich die<br />

Stadtteile eher um einen mittleren Wert. Hier lassen sich keine<br />

4 Formen und Strukturen der Segregation in großen deutschen Städten <strong>–</strong> ein Überblick<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben der AG KOSTAT, der städtischen Statistischen Ämter und verschiedener Veröffentlichungen der Landes- und Stadtstatistik.<br />

ausgeprägten Heterogenitäten erkennen, was sich auch auf den<br />

insgesamt geringeren Anteil der älteren Altersgruppen in diesen<br />

Städten zurückführen lässt. Einige Stadtteile fallen darüber hinaus<br />

durch niedrige Familienprägung und geringe Urbanität auf.<br />

Besonderes Kennzeichen des Clusters: deutlichste Bevölkerungszunahme.<br />

31


4 Formen und Strukturen der Segregation in großen deutschen Städten <strong>–</strong> ein Überblick<br />

Cluster 3<br />

Augsburg, Frankfurt/Main, Ingolstadt, Mannheim, Offenbach/Main, Pforzheim, Reutlingen, Stuttgart, Wiesbaden<br />

Merkmale des Faktors „Demographisches Wachstum”<br />

Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben der AG KOSTAT, der städtischen Statistischen Ämter und verschiedener Veröffentlichungen der Landes- und Stadtstatistik.<br />

Cluster 3: Natürlich wachsende, wirtschaftlich konsolidierte<br />

Städte<br />

In diesen Cluster wurden die Städte Augsburg, Frankfurt am Main,<br />

Ingolstadt, Mannheim, Offenbach am Main, Pforzheim, Reutlingen,<br />

Stuttgart und Wiesbaden eingeordnet. Clusterrepräsentant<br />

für die Fallbeschreibung ist die Stadt Stuttgart (siehe Seite 51 ff.).<br />

32<br />

Bevölkerungsveränderung<br />

Wanderungssaldo<br />

Geborene je 10.000 Einwohner<br />

Anteil der Alten (über 60-Jährige)<br />

Zunahme der unter 18-Jährigen<br />

Anteil der nicht deutschen Einwohner<br />

Merkmale des Faktors „Wirtschaftliches Wachstum”<br />

Einkommen pro Einwohner<br />

Beschäftigtenentwicklung<br />

Langzeitarbeitslosigkeit<br />

Merkmale des Segregationsfaktors<br />

Segregationsfaktor „Urbanes Wohnen”<br />

Segregationsfaktor „Familienzonen”<br />

Segregationsfaktor „Ältere und Etablierte”<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

Der Cluster vereinigt westdeutsche Metropolen mit den höchsten<br />

Anteilen nicht deutscher Bevölkerung von durchschnittlich<br />

20,3 Prozent, d. h. jeder fünfte Einwohner dieser Städte ist nicht<br />

deutscher Staatsangehörigkeit. Es handelt sich also um ausgesprochen<br />

internationalisierte Städte, was z. B. besonders für<br />

Frankfurt am Main auch allgemein bekannt ist. Die nicht deutsche<br />

Bevölkerung lebt aber offensichtlich nicht in ausgespro-


chen segregierten Gebieten innerhalb der Städte. Der hohe<br />

Anteil nicht deutscher Einwohner ist hier, wie die Faktoranalyse<br />

gezeigt hat, eher ein Merkmal des wirtschaftlichen Wachstums<br />

der Städte. Mit durchschnittlich 17.058 Euro pro Einwohner<br />

liegt das verfügbare Einkommen nur unwesentlich unter dem<br />

Einkommenswert des vorangegangenen Clusters. Auch hier<br />

handelt es sich demnach um wohlhabende Städte. Dieser Wohlstand<br />

wird durch ein überdurchschnittliches Beschäftigungswachstum<br />

gefördert. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen<br />

erreicht mit 27 Prozent deutlich niedrigere Werte als in den anderen<br />

Clustern. Nur im Cluster 2 finden sich vergleichbar günstige<br />

Werte zum Arbeitsmarktgeschehen.<br />

Die Städte erreichten in den letzten Jahren ein deutliches Bevölkerungswachstum<br />

besonders durch ein überdurchschnittliches<br />

Geburtengeschehen. Mit durchschnittlich 96,5 Geborenen<br />

je 10.000 Einwohner verzeichnen sie die höchste Geborenenzahl<br />

im Vergleich aller Cluster. Darüber hinaus konnten sie auch<br />

leicht über dem Durchschnitt liegende Wanderungsgewinne<br />

erzielen. Auch hier spiegelt sich dies wie im Cluster 2 in einer<br />

unterdurchschnittlichen Alterung der Städte wider.<br />

Für die Städte zeigen sich für alle Segregationsdimensionen<br />

unterdurchschnittliche Werte. In der Analyse zeigt sich, dass die<br />

betrachteten Altersgruppen und die nicht deutsche Bevölkerung<br />

relativ homogen über alle Stadtteile verteilt wohnen. Auch<br />

hinsichtlich der Familienzonen findet sich lediglich ein einzel-<br />

4 Formen und Strukturen der Segregation in großen deutschen Städten <strong>–</strong> ein Überblick<br />

ner etwas abweichender Stadtteil, was faktisch bedeutet, dass es<br />

keine ausgesprochenen Familienzonen innerhalb der Stadt gibt,<br />

sich Familien vielmehr in fast allen Stadtteilen in ähnlichen Anteilen<br />

angesiedelt haben. Wohlstand muss demnach nicht notwendigerweise<br />

mit einer höheren Segregation einhergehen.<br />

Besonderes Kennzeichen des Clusters: höchste Anteile Nichtdeutscher<br />

und überdurchschnittliches Geburtengeschehen.<br />

Cluster 4: Moderat schrumpfende Städte mit hoher<br />

Segregation<br />

In diesem Cluster sind erstmals sowohl westdeutsche als auch<br />

ostdeutsche Städte vertreten. Es handelt sich um die Städte Berlin,<br />

Dresden, Göttingen, Hannover, Jena, Kiel, Rostock, Saarbrücken<br />

und Wilhelmshaven.<br />

Bereits der visuelle Eindruck des Clusterprofils zeigt ein deutlich<br />

abweichendes Muster von den bisher betrachteten Clustern.<br />

Der Großteil der Merkmalsausprägungen liegt unterhalb des<br />

Durchschnitts aller Städte, auch wenn die Abweichungen noch<br />

vergleichsweise moderat sind. Die Städte mussten mit <strong>–</strong>0,3<br />

Prozent in den Jahren 1999 bis 2003 eine moderate Schrumpfung<br />

der Bevölkerung hinnehmen. Diese ergab sich besonders<br />

aus einem unterdurchschnittlichen natürlichen Bevölkerungswachstum,<br />

wobei sich ein leichter Ausgleich durch Wande-<br />

33


4 Formen und Strukturen der Segregation in großen deutschen Städten <strong>–</strong> ein Überblick<br />

Cluster 4<br />

Berlin, Dresden, Göttingen, Hannover, Jena, Kiel, Rostock, Saarbrücken, Wilhelmshaven<br />

Merkmale des Faktors „Demographisches Wachstum”<br />

Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben der AG KOSTAT, der städtischen Statistischen Ämter und verschiedener Veröffentlichungen der Landes- und Stadtstatistik.<br />

rungsgewinne zeigte. Die Wanderungsgewinne blieben dennoch<br />

unter dem Durchschnitt des allgemeinen Wanderungssaldos<br />

aller Städte. Besonders hervorzuheben ist, dass sich in<br />

diesen Städten eine deutliche Abnahme von Einwohnern unter<br />

18 Jahren von 2002 auf 2003 zeigt, was einen Hinweis auf die<br />

Abwanderung von Familien darstellt.<br />

34<br />

Bevölkerungsveränderung<br />

Wanderungssaldo<br />

Geborene je 10.000 Einwohner<br />

Anteil der Alten (über 60-Jährige)<br />

Zunahme der unter 18-Jährigen<br />

Anteil der nicht deutschen Einwohner<br />

Merkmale des Faktors „Wirtschaftliches Wachstum”<br />

Einkommen pro Einwohner<br />

Beschäftigtenentwicklung<br />

Langzeitarbeitslosigkeit<br />

Merkmale des Segregationsfaktors<br />

Segregationsfaktor „Urbanes Wohnen”<br />

Segregationsfaktor „Familienzonen”<br />

Segregationsfaktor „Ältere und Etablierte”<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

Ebenfalls unterdurchschnittlich sind die Merkmale wirtschaftlichen<br />

Wachstums. Mit 15.267 Euro liegt das verfügbaren Einkommen<br />

pro Einwohner um einiges unter dem Einkommen der<br />

bisher betrachteten, eher wohlhabenden Städte. Die Städte haben<br />

darüber hinaus leicht überdurchschnittliche Probleme am<br />

Arbeitsmarkt aufgrund von Beschäftigungsverlusten in der Vergangenheit,<br />

besonders im Bereich der Industriearbeitsplätze.


Der Anteil der Langzeitarbeitslosen ist daher mit 37,4 Prozent<br />

im Vergleich zu den bisher betrachteten Clustern hoch.<br />

In diesem Cluster finden sich Städte mit hoher Segregation zwischen<br />

den Stadtteilen hinsichtlich aller Segregationsdimensionen.<br />

Für alle drei Dimensionen ist in der Analyse eine breite Streuung<br />

der Stadtteile zu erkennen. Es gibt nicht nur einige wenige<br />

Stadtteile, die durch extreme Werte gekennzeichnet sind, sondern<br />

viele Stadtteile zeigen auch Abweichungen von den mittleren<br />

Werten. Das spricht für eine recht heterogene Stadtstruktur<br />

in allen zugeordneten Städten. In diesem Cluster findet sich<br />

auch erstmals eine sehr breite Streuung des Faktors „Ältere und<br />

Etablierte“, was auf hohe ethnische Segregation verweist. Für<br />

den Familienfaktor werden aber keine Maximalwerte erreicht.<br />

Besonderes Kennzeichen des Clusters: hohe Segregation hinsichtlich<br />

aller Segregationsdimensionen.<br />

Cluster 5: Wachsende Städte in Ostdeutschland mit<br />

zunehmender Segregation<br />

Zum Cluster gehören die Städte Leipzig, Potsdam und Weimar.<br />

Hier handelt es sich um einen kleinen Cluster von nur drei ostdeutschen<br />

Städten, die in der Vergangenheit zwar ebenfalls<br />

deutliche Beschäftigungsverluste verkraften mussten, sich ge-<br />

4 Formen und Strukturen der Segregation in großen deutschen Städten <strong>–</strong> ein Überblick<br />

genwärtig aber im Hinblick auf die demographische Entwicklung<br />

stabilisiert haben. Die Städte konnten in den letzten Jahren<br />

sogar wieder ein überdurchschnittliches Bevölkerungswachstum<br />

sowohl durch die hohe Geborenenzahlen als auch durch<br />

positive Wanderungssalden erreichen, wobei das Niveau dieser<br />

Zugewinne noch deutlich hinter den Raten der westdeutschen<br />

wachsenden Städte zurückbleibt. Auch der Anteil der nicht<br />

deutschen Bevölkerung ist in diesen Städten im Vergleich mit<br />

den westdeutschen Städten weiterhin sehr niedrig. Besonders<br />

positiv ist die Zunahme der unter 18-Jährigen von 2002 auf<br />

2003 zu werten. Das ist ein Hinweis darauf, dass Familien nicht<br />

mehr massiv aus den Städten abwandern, wie noch in den 90er<br />

Jahren. Im Unterschied zu anderen ostdeutschen und einer<br />

Reihe von westdeutschen Städten ist es diesen Städten also gelungen,<br />

die Schrumpfung der Bevölkerungsentwicklung trotz<br />

wirtschaftlicher Probleme aufzuhalten.<br />

Die wirtschaftliche Entwicklung ist noch durch den vergangenen<br />

massiven Beschäftigungsverlust gekennzeichnet, sodass<br />

mit 13.722 Euro pro Einwohner das vergleichsweise niedrigste<br />

Pro-Kopf-Einkommen erzielt wird. Es zeichnen sich hinsichtlich<br />

der wirtschaftlichen Entwicklung erste Hinweise für eine Stabilisierung<br />

ab. So liegen die Anteile der Langzeitarbeitslosen aktuell<br />

nur noch leicht über dem Durchschnitt aller Städte. Damit<br />

zeigen diese Städte, dass auch im Osten noch Wachstumspotenziale<br />

vorhanden sind, wenn auch nicht flächendeckend.<br />

35


4 Formen und Strukturen der Segregation in großen deutschen Städten <strong>–</strong> ein Überblick<br />

Cluster 5<br />

Leipzig, Potsdam, Weimar<br />

Merkmale des Faktors „Demographisches Wachstum”<br />

Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben der AG KOSTAT, der städtischen Statistischen Ämter und verschiedener Veröffentlichungen der Landes- und Stadtstatistik.<br />

Für die Segregationsdimensionen zeigen sich Ansätze der<br />

Zunahme von Segregation in den Städten besonders hinsichtlich<br />

der Faktoren „Ältere und Etablierte“ sowie „Urbanes Wohnen“.<br />

Eine ganze Reihe der Stadtteile haben zusätzlich überdurchschnittliche<br />

Werte des Faktors „Urbanes Wohnen“, d. h. es<br />

handelt sich um Stadtteile mit hohen Anteilen an Singlehaushalten<br />

und jungen Erwachsenen. Stadtteile mit ausgesproche-<br />

36<br />

Bevölkerungsveränderung<br />

Wanderungssaldo<br />

Geborene je 10.000 Einwohner<br />

Anteil der Alten (über 60-Jährige)<br />

Zunahme der unter 18-Jährigen<br />

Anteil der nicht deutschen Einwohner<br />

Merkmale des Faktors „Wirtschaftliches Wachstum”<br />

Einkommen pro Einwohner<br />

Beschäftigtenentwicklung<br />

Langzeitarbeitslosigkeit<br />

<strong>–</strong>1,50<br />

Merkmale des Segregationsfaktors<br />

Segregationsfaktor „Urbanes Wohnen”<br />

Segregationsfaktor „Familienzonen”<br />

Segregationsfaktor „Ältere und Etablierte”<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

ner Familienprägung finden sich in den Städten insgesamt seltener,<br />

vielmehr sind zumeist mittlere Werte vertreten und einige<br />

Stadtteile mit leicht unterdurchschnittlichen Werten.<br />

Besonderes Kennzeichen des Clusters: Bevölkerungswachstum<br />

trotz wirtschaftlicher Probleme.


Cluster 6<br />

Cluster 6: Schrumpfende homogene Städte in Westdeutschland<br />

mit Tendenz zur Überalterung<br />

Zu diesem Städtecluster gehören die Städte Delmenhorst, Duisburg,<br />

Essen, Gladbeck, Hagen, Koblenz, Krefeld, Oberhausen,<br />

Remscheid, Salzgitter, Siegen, Solingen und Wuppertal. Als Clusterrepräsentant<br />

wurde Wuppertal ausgewählt (siehe Seite 68 ff.).<br />

4 Formen und Strukturen der Segregation in großen deutschen Städten <strong>–</strong> ein Überblick<br />

Delmenhorst, Duisburg, Essen, Gladbeck, Hagen, Koblenz, Krefeld, Oberhausen, Remscheid, Salzgitter, Siegen, Solingen, Wuppertal<br />

Merkmale des Faktors „Demographisches Wachstum”<br />

Bevölkerungsveränderung<br />

Wanderungssaldo<br />

Geborene je 10.000 Einwohner<br />

Anteil der Alten (über 60-Jährige)<br />

Zunahme der unter 18-Jährigen<br />

Anteil der nicht deutschen Einwohner<br />

Merkmale des Faktors „Wirtschaftliches Wachstum”<br />

Einkommen pro Einwohner<br />

Beschäftigtenentwicklung<br />

Langzeitarbeitslosigkeit<br />

Merkmale des Segregationsfaktors<br />

Segregationsfaktor „Urbanes Wohnen”<br />

Segregationsfaktor „Familienzonen”<br />

Segregationsfaktor „Ältere und Etablierte”<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben der AG KOSTAT, der städtischen Statistischen Ämter und verschiedener Veröffentlichungen der Landes- und Stadtstatistik.<br />

Es handelt sich um den größten Städtecluster mit 13 Städten.<br />

Diese ausschließlich westdeutschen Städte haben in den letzten<br />

Jahren für westdeutsche Verhältnisse große Bevölkerungsverluste<br />

hinnehmen müssen. Die Verluste ergaben sich sowohl aufgrund<br />

geringer Geburtenzahlen als auch durch überdurchschnittliche<br />

Wanderungsverluste. Diese Verluste betreffen auch<br />

die Abwanderung von Familien, was durch die Abnahme der<br />

37


4 Formen und Strukturen der Segregation in großen deutschen Städten <strong>–</strong> ein Überblick<br />

Bevölkerung unter 18 Jahren von 2002 auf 2003 zum Ausdruck<br />

kommt.<br />

Besonders auffällig im Vergleich zu den bisher betrachteten<br />

Clustern ist jedoch der überdurchschnittliche Anteil von Einwohnern<br />

der ältesten Altersgruppe über 60 Jahren. In diesen<br />

Städten zeigt sich also bereits eine Tendenz zur Überalterung<br />

der Bevölkerung. Der Anteil dieser Altersgruppe beträgt 26,3<br />

Prozent, d. h. mehr als jeder vierte Einwohner ist bereits älter<br />

als 60 Jahre. Die leicht überdurchschnittliche Quote der Langzeitarbeitslosen<br />

von 37 Prozent und eine durchschnittliche Beschäftigungsentwicklung<br />

verweisen auf eine eher stagnierende<br />

wirtschaftliche Entwicklung. Dennoch liegt in den Städten das<br />

verfügbare Einkommen pro Einwohner mit 17.038 Euro noch<br />

über dem Durchschnitt aller Städte, was auf größere Einkommensunterschiede<br />

der Bevölkerung verweist.<br />

Die Städte des Clusters sind relativ homogene Städte mit niedrigen<br />

Werten hinsichtlich aller drei Segregationsdimensionen.<br />

Hervorzuheben ist aber, dass für diese Städte das Niveau der<br />

Werte des Familienfaktors insgesamt etwas oberhalb der Werte<br />

anderer Cluster liegt. Die Städte sind also noch stärker familiär<br />

geprägt als andere Cluster; es gibt aber keine ausgesprochenen<br />

Familienzonen, die von anderen Stadtteilen abgegrenzt sind.<br />

Besonders niedrige Standardabweichungen zeigen sich für den<br />

Faktor „Urbanes Wohnen“. Typische urbane Stadtteile mit hohen<br />

38<br />

Anteilen an Singlehaushalten und jungen Erwachsenen finden<br />

sich also vergleichsweise seltener als in anderen Städten.<br />

Besonderes Kennzeichen des Clusters: schrumpfende, älter werdende<br />

Städte in Westdeutschland.<br />

Cluster 7: Homogene arme Städte mit<br />

Arbeitsmarktproblemen<br />

Zu Cluster 7 gehören die Städte Dortmund, Erfurt, Gelsenkirchen,<br />

Hamm, Hildesheim und Ludwigshafen. Als Clusterrepräsentant<br />

für die Falldarstellung wurde Gelsenkirchen ausgewählt<br />

(siehe Seite 78 ff.).<br />

Auch die Städte dieses Clusters haben in den letzten fünf Jahren<br />

Bevölkerungsverluste zu verzeichnen, sie fallen jedoch geringer<br />

aus als im Cluster 6. Dies ist auf einen durchschnittlichen Wanderungssaldo<br />

und ein durchschnittliches Geburtengeschehen<br />

zurückzuführen, die die negative Bevölkerungsentwicklung aktuell<br />

nicht mehr vorantreiben. Von 2002 auf 2003 lässt sich sogar<br />

eine Zunahme der unter 18-Jährigen erkennen. Auch der<br />

Anteil der über 60- Jährigen als Merkmal eventuell erkennbarer<br />

Überalterung der Städte zeigt einen durchschnittlichen Wert.<br />

Die Städte sind demnach nicht (oder nicht mehr) so akut von<br />

Schrumpfungsproblemen betroffen wie die Städte des Clusters 6.


Cluster 7<br />

Dortmund, Erfurt, Gelsenkirchen, Hamm, Hildesheim, Ludwigshafen<br />

Merkmale des Faktors „Demographisches Wachstum”<br />

Bevölkerungsveränderung<br />

Wanderungssaldo<br />

Geborene je 10.000 Einwohner<br />

Anteil der Alten (über 60-Jährige)<br />

Zunahme der unter 18-Jährigen<br />

Anteil der nicht deutschen Einwohner<br />

Merkmale des Faktors „Wirtschaftliches Wachstum”<br />

Einkommen pro Einwohner<br />

Beschäftigtenentwicklung<br />

Langzeitarbeitslosigkeit<br />

Merkmale des Segregationsfaktors<br />

Segregationsfaktor „Urbanes Wohnen”<br />

Segregationsfaktor „Familienzonen”<br />

Segregationsfaktor „Ältere und Etablierte”<br />

Der Cluster unterscheidet sich vom vorangegangenen Cluster<br />

aber besonders durch die schlechteren Werte für die wirtschaftliche<br />

Entwicklung. In den Städten finden sich die für westdeutsche<br />

Städte höchsten Anteile an Langzeitarbeitslosen und sehr<br />

hohe Beschäftigungsverluste. Das unterdurchschnittliche verfügbare<br />

Einkommen von lediglich 15.309 Euro zeigt, dass es<br />

sich um für westdeutsche Verhältnisse eher arme Städte handelt.<br />

4 Formen und Strukturen der Segregation in großen deutschen Städten <strong>–</strong> ein Überblick<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben der AG KOSTAT, der städtischen Statistischen Ämter und verschiedener Veröffentlichungen der Landes- und Stadtstatistik.<br />

Insgesamt vereinigt der Cluster Städte mit recht homogenen<br />

innerstädtischen Strukturen, mit den niedrigsten Abweichungen<br />

hinsichtlich der Segregationsdimensionen „Urbanes Wohnen“<br />

und „Familienzonen“. Die Armut der Städte trifft also mit<br />

einer homogenen Stadtstruktur zusammen, d. h. auch große<br />

wirtschaftliche Probleme müssen nicht notwendigerweise mit<br />

einer hohen Segregation in den Städten verbunden sein. Eine<br />

39


4 Formen und Strukturen der Segregation in großen deutschen Städten <strong>–</strong> ein Überblick<br />

etwas breitere Streuung der Stadtteile ergibt sich lediglich für<br />

den Faktor „Ältere und Etablierte“, was ein Zeichen für eine größere<br />

Abschottung bestimmter Bevölkerungsgruppen gegenüber<br />

nicht deutschen Einwohnern ist.<br />

Besonderes Kennzeichen des Clusters: arme, überwiegend westdeutsche<br />

Städte.<br />

Cluster 8: Stark schrumpfende und stagnierende Städte<br />

in Ostdeutschland<br />

Zum letzten Cluster gehören die ostdeutschen Städte Brandenburg/Havel,<br />

Halle/Saale, Magdeburg, Neubrandenburg, Zwickau<br />

und Dessau. Clusterrepräsentant für die Fallbeschreibung<br />

ist die Stadt Magdeburg (siehe Seite 88 ff.).<br />

Dieser Cluster wurde nachträglich aus zwei kleineren Clustern<br />

von ostdeutschen Städten gebildet, da sie sich lediglich in der<br />

Ausprägung der Segregationsmerkmale, aber nicht grundsätzlich<br />

hinsichtlich des Merkmalsprofils unterscheiden. Der Cluster<br />

vereinigt ostdeutsche Städte mit großen wirtschaftlichen<br />

Problemen, die im gravierenden Verlust an Beschäftigungsmöglichkeiten,<br />

den absolut höchsten Anteilen an Langzeitarbeitslosen<br />

und unterdurchschnittlichen Einkommen pro Einwohner<br />

von 14.350 Euro zum Ausdruck kommen.<br />

40<br />

Der in diesen Städten bereits länger anhaltende wirtschaftliche<br />

Abstieg hat zu massiven Einbrüchen in der Bevölkerungsentwicklung<br />

geführt. Die Städte schrumpfen im Vergleich mit den<br />

anderen Clustern am deutlichsten. Die demographischen Einbrüche<br />

sind sowohl durch eine negative natürliche Bevölkerungsentwicklung<br />

als auch durch sehr hohe Wanderungsverluste<br />

verursacht. Die Städte verlieren weiterhin auch an Familien,<br />

was sich an der Abnahme des Anteils der unter 18-Jährigen<br />

zeigt. An dem ausgesprochen hohen Anteil von 29,6 Prozent<br />

der über 60-Jährigen lässt sich die aus dieser Entwicklung<br />

resultierende Überalterung der Bevölkerung in den Städten des<br />

Clusters erkennen.<br />

Für die Städte lässt sich vor diesem Hintergrund eine durchschnittliche<br />

bis hohe Segregation innerhalb der Städte feststellen.<br />

Da die Familien die Städte zu großen Teilen bereits verlassen<br />

haben, findet sich keine ausgeprägte Segregation hinsichtlich<br />

des Familienfaktors. Etwas breiter streut jedoch der Faktor<br />

„Urbanes Wohnen“. Hier finden sich größere Unterschiede zwischen<br />

den Stadtteilen, d. h. jüngere Einwohner und Singles wohnen<br />

deutlich getrennt von älteren Einwohnern. Da in diesen ostdeutschen<br />

Städten der Anteil der nicht deutschen Bevölkerung<br />

sehr gering ist, ist die größere Streuung des Faktors „Ältere und<br />

Etablierte“ besonders ein Hinweis auf die Segregation der älteren<br />

Bevölkerung, die in diesen Städten insgesamt zunehmend<br />

dominiert.


Cluster 8<br />

Brandenburg/Stadt, Halle/Saale, Magdeburg, Neubrandenburg, Zwickau, Dessau, Wismar<br />

Merkmale des Faktors „Demographisches Wachstum”<br />

Bevölkerungsveränderung<br />

Wanderungssaldo<br />

Geborene je 10.000 Einwohner<br />

Anteil der Alten (über 60-Jährige)<br />

Zunahme der unter 18-Jährigen<br />

Anteil der nicht deutschen Einwohner<br />

Merkmale des Faktors „Wirtschaftliches Wachstum”<br />

Einkommen pro Einwohner<br />

Beschäftigtenentwicklung<br />

Langzeitarbeitslosigkeit<br />

<strong>–</strong>2,00<br />

Merkmale des Segregationsfaktors<br />

Segregationsfaktor „Urbanes Wohnen”<br />

Segregationsfaktor „Familienzonen”<br />

Segregationsfaktor „Ältere und Etablierte”<br />

<strong>–</strong>1,50<br />

<strong>–</strong>1,50<br />

<strong>–</strong>1,50<br />

Besonderes Kennzeichen des Clusters: stark schrumpfende<br />

Städte mit großen wirtschaftlichen Problemen.<br />

4 Formen und Strukturen der Segregation in großen deutschen Städten <strong>–</strong> ein Überblick<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

<strong>–</strong>1,00 <strong>–</strong>0,50 0,00 0,50 1,00 1,50<br />

Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben der AG KOSTAT, der städtischen Statistischen Ämter und verschiedener Veröffentlichungen der Landes- und Stadtstatistik.<br />

41


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis <strong>–</strong> Zur Vermeidung<br />

unerwünschter Segregation und zur Bearbeitung<br />

ihrer Folgen<br />

Im Folgenden werden Handlungsansätze einer lokalen Politik<br />

für Familien von ausgewählten Kommunen vorgestellt. Die beschriebenen<br />

Beispiele beruhen einerseits auf einer Recherche<br />

in verschiedenen Datenbanken zu sozialräumlich implementierten<br />

Projekten und Maßnahmen. Andererseits wurde eine umfangreiche<br />

Dokumenten- und Internetrecherche, ergänzt durch<br />

Telefoninterviews mit Experten aus der kommunalen Praxis<br />

und der Wissenschaft, durchgeführt. Dabei wurden zum einen<br />

gesamtstädtische Ansätze einer kommunalen Familienpolitik <strong>–</strong><br />

besonders für benachteiligte Bevölkerungsgruppen <strong>–</strong> und zum<br />

anderen Einzelprojekte und -strategien untersucht und in Kurzbeschreibungen<br />

dargestellt. Es handelt sich allerdings ausdrücklich<br />

nicht um ein umfassendes und repräsentatives Bild stadtund<br />

sozialplanerischer Maßnahmen in den untersuchten Städten.<br />

Der Fokus der Recherchen lag besonders auf Ansätzen, die<br />

in Programmgebieten der „Sozialen Stadt“ durchgeführt werden.<br />

42<br />

5.1 Ulm <strong>–</strong> Wachstumspole in Westdeutschland<br />

Clusterzugehörigkeit der Stadt Ulm<br />

Ulm gehört zu Cluster 2, dessen Städte sich durch ausgesprochen<br />

positive Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung hervorheben.<br />

In Ulm kommt diese Besonderheit vor allem in dem überdurchschnittlich<br />

hohen gesamtstädtischen Anteil von Kindern<br />

und Jugendlichen in der Stadt von etwa 18 Prozent zum Ausdruck.<br />

Jedoch sind nicht alle Stadtteile innerhalb Ulms in gleicher<br />

Weise durch Familien geprägt. 15 Vielmehr gibt es dort eine<br />

ausgeprägte Polarisierung zwischen wenigen Stadtvierteln der<br />

Innenstadt mit geringer Familienprägung und einem größeren<br />

Anteil stark familiengeprägter Stadtteile. Bevorzugte Familienzonen<br />

in Ulm sind dabei eher Stadtteile in Stadtrandlagen, da<br />

aber überwiegend als Wohnorte deutscher Familien. Nicht deutsche<br />

Einwohner und Familien hingegen wohnen in Ulm <strong>–</strong> im<br />

Unterschied z. B. zu Stuttgart <strong>–</strong> anteilig häufiger in innenstadtnahen,<br />

weniger familiengeprägten Stadtregionen. 16<br />

Im Unterschied zu anderen näher untersuchten Städten ist in<br />

der Stadt Ulm insgesamt eine sehr niedrige Sozialhilfedichte zu<br />

finden. Auch Stadtteile mit im Stadtvergleich hohen sozialen Belastungen<br />

erreichen lediglich Quoten unter fünf Prozent der jeweiligen<br />

Bevölkerung. Dennoch fällt auf, dass sich in Ulm eine<br />

höhere soziale Belastung und damit deutlich über dem Stadt-<br />

15 Für die vorgenommenen Analysen wurde der Stadtteil Donautal aufgrund seiner geringen Einwohnerzahl und daraus resultierender Extremwerte zu bestimmten Merkmalen<br />

aus den Analysen ausgeschlossen.<br />

16 Hierbei ist zu beachten, dass die Siedlungsstrukturen an der Ostgrenze Ulms durch die Stadt Neu-Ulm (in Bayern gelegen) sozusagen fortgesetzt werden.


Stadtporträt <strong>–</strong> Ulm<br />

Bevölkerung und Bevölkerungsentwicklung: Wirtschaftskraft und wirtschaftliche Entwicklung:<br />

Segregationsdimensionen:<br />

Quelle: Eigene Berechnungen.<br />

durchschnitt liegende Sozialhilfedichten auf einige wenige<br />

Stadtteile konzentrieren.<br />

Zusammenfassend lässt sich aus der Analyse feststellen, dass<br />

auch vor dem Hintergrund einer wohlhabenden Stadt und eines<br />

insgesamt niedrigen Niveaus der Verbreitung von sozialen Problem-<br />

und Armutslagen in bestimmten Stadtregionen Häufungen<br />

sozialer Belastungen nachzuweisen sind. Aufgrund der kleineren<br />

Zahl der betroffenen Einwohner prägen sie aber seltener<br />

die Gesamtsituation der Stadtquartiere.<br />

Gesamtstrategie<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Bevölkerung am Hauptwohnsitz 2003: 115.173 verfügbares Einkommen pro Einwohner 2002/2003: 18.484 Euro<br />

Bevölkerungsveränderung 1999 bis 2003: 3,2 % Steuern und steuerähnliche Einnahmen je Einw. 2001: 903 Euro<br />

Wanderungssaldo 2002 je 10.000 Einwohner: 70 Steuern und steuerähnliche Einnahmen je Einw. 2003: 750 Euro<br />

Geborene je 10.000 Einwohner 2003: 100 Beschäftigtenentwicklung 1997<strong>–</strong>2002: 2,6 %<br />

Anteil der nicht deutschen Einwohner 2003: 17,1 % Arbeitslosenquote 2003: 7,5 %<br />

Anteil der über 60-Jährigen an der Anteil der Langzeitarbeitslosen an<br />

Bevölkerung am Hauptwohnsitz 2003: 23,4 % allen Arbeitslosen 2002/2003: 24,4 %<br />

Abweichung <strong>–</strong> Faktor „Urbanes Wohnen” 0,78 Mittelwert <strong>–</strong> Faktor „Urbanes Wohnen” 0,29<br />

Abweichung <strong>–</strong> Familienfaktor 1,01 Mittelwert <strong>–</strong> Familienfaktor 0,64<br />

Abweichung <strong>–</strong> Faktor „Ältere und Etablierte” 0,72 Mittelwert <strong>–</strong> Faktor „Ältere und Etablierte” <strong>–</strong> 0,12<br />

Die Herausforderungen durch den demographischen Wandel<br />

sind von der Stadt Ulm erkannt worden und werden intensiv in<br />

Politik und Verwaltung diskutiert. Zudem ist es gelungen, das<br />

Thema in die öffentliche Diskussion zu transportieren. Erarbeitet<br />

wurden hier Leitlinien für eine Stadtpolitik vor dem Hintergrund<br />

veränderter Rahmenbedingungen durch den demographischen<br />

Wandel. Besonderheit des Fallbeispiels Ulm ist jedoch<br />

die konsequente Umsetzung einer sozialraumorientierten<br />

43


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Jugendhilfeplanung, die in vielerlei Hinsicht Ansätze einer<br />

kommunalen Familienpolitik für benachteiligte Bevölkerungsgruppen<br />

enthält. Die Bildungsoffensive Ulm stellt zudem einen<br />

ganzheitlichen Ansatz für die städtischen Betreuungs- und<br />

Bildungsinfrastrukturen dar. Viele Projekte und Maßnahmen<br />

zielen auf benachteiligte Kinder und Jugendliche.<br />

Im Jahr 2002 wurde in Ulm die sozialraumorientierte Jugendhilfeplanung<br />

durch den Jugendhilfeausschuss beschlossen. Inzwischen<br />

ist die Stadt in fünf Sozialräume gegliedert, für die<br />

eigene Bürgerzentren bestehen und seitens der städtischen sozialen<br />

Dienste Sozialraumteams mit festen Ansprechpartnern<br />

zuständig sind. Mit der vor drei Jahren beschlossenen Neuorientierung<br />

der städtischen Jugendhilfe verfolgt die Stadt einerseits<br />

das Ziel, der Jugendhilfe einen strategischen Rahmen zu geben<br />

und die Vielzahl an Ansätzen und Maßnahmen abzustimmen<br />

und effektiver zu gestalten. Andererseits sollen die Gesamtkosten<br />

der Jugendhilfe konstant gehalten werden. Die Sozialräume<br />

44<br />

wurden mithilfe einer durch die Verwaltung erstellten Sozialraumanalyse<br />

abgegrenzt, um die Struktur und die jeweiligen<br />

Besonderheiten der Stadtteile und ihrer Bewohner abzubilden.<br />

So ist die Sozialraumanalyse zu einem wichtigen Steuerungsinstrument<br />

geworden. Auch ein Sozialraummonitoring wird<br />

betrieben, sodass Veränderungen durch kommunale Maßnahmen<br />

der Jugendhilfe nachgehalten, aber auch allgemeine Entwicklungen<br />

verfolgt werden können.<br />

Nach dem Erscheinen eines Armutsberichtes Mitte der 90er<br />

Jahre erfolgte eine umfassende Situationsanalyse zu den<br />

Lebenslagen von Familien in Ulm. Als Reaktion auf die festgestellten<br />

Problemlagen wurden Ende der 90er Jahre folgende<br />

Maßnahmen vordringlich beschlossen:<br />

• die Sozialverträglichkeit in der Stadtplanung und -entwicklung<br />

im Hinblick auf die Bedürfnisse von Familien<br />

• der Ausbau der Betreuungsangebote für Kinder<br />

• die Stärkung der Familienselbsthilfe: Einrichtung eines Bürgerbüros<br />

Familie; Umsetzung des Konzeptes Familienzentren<br />

in bestehenden Bürgerzentren und Kindertagesstätten<br />

• zusätzliche Bildungsangebote zur Stärkung der Kompetenz<br />

der Familie bzw. der Eltern- und Partnerschaft: Einführung<br />

des Projekts HIPPY <strong>–</strong> des Förderprogramms für sozial benachteiligte<br />

Schulkinder (Eltern mit und ohne Migrationshintergrund<br />

werden mit erprobtem Arbeitsmaterial angeleitet,<br />

regelmäßig mit ihren Kindern die deutsche Sprache zu<br />

üben); Einführung von Elternbriefen


• die Verbesserung der finanziellen Situation von einkommensschwachen<br />

Familien: Aufwertung des Ulmer Familienpasses,<br />

der einkommensschwachen Familien Vergünstigungen bei<br />

der Nutzung öffentlicher Einrichtungen und der Nutzung der<br />

öffentlichen Verkehrsmittel gewährt, sowie Aufwertung der<br />

Ulmer Lobby-Card, die einkommensschwachen Bürgern Vergünstigungen<br />

beim Einkauf bestimmter Waren und Dienstleistungen<br />

gewährt.<br />

Als zentrales Ziel der Stadtentwicklung hat die Stadt definiert,<br />

bis zum Jahr 2030 im Wettbewerb mit anderen Städten und Regionen<br />

zu wachsen. Konsequenzen des demographischen Wandels<br />

werden für die Stadt Ulm dabei vor allem durch die Alterung<br />

der Gesellschaft erwartet. In diesem Kontext hat die Stadt<br />

Ulm eine aktive Bevölkerungspolitik beschlossen, bei der auf<br />

eine Anreizstrategie gesetzt wird. Die Lebensqualität der Stadt<br />

und ihrer Stadtteile soll verbessert werden, um im Wettbewerb<br />

mit anderen Kommunen Bevölkerung zu halten und zu gewinnen.<br />

In Reaktion auf die zunehmende Individualisierung der<br />

Gesellschaft fördert die Stadt zudem eine Differenzierung des<br />

Wohnungsangebots. In Erwartung einer stärkeren Nachfrage<br />

nach hochwertigerem Wohnraum als auch einer anhaltenden<br />

Nachfrage nach preiswerten Mietwohnungen sollen sowohl<br />

mehr Wohnungen im Eigentumsbereich entstehen als auch<br />

neue Wohnangebote für gering verdienende Alleinerziehende<br />

und „Patchwork-Familien“.<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Die Maßnahmen und Strategien zur Familienfreundlichkeit werden<br />

inzwischen auf der Grundlage des Familienberichts mit<br />

dem Projekt „Familien in der Stadt <strong>–</strong> Die familienfreundliche<br />

Offensive der Stadt Ulm“ verfolgt. Das Projekt stützt sich auf ein<br />

Kooperationsnetzwerk, an dem neben der Verwaltung auch Vertreter<br />

von Institutionen aus dem Bereich der Familienarbeit,<br />

-beratung und -bildung beteiligt sind. Das Projekt fungiert als<br />

Instanz zur Koordinierung von Projekten zur familienfreundlichen<br />

Gestaltung Ulms.<br />

Projekte und Einzelansätze<br />

Bildungsoffensive der Stadt Ulm<br />

Vor dem Hintergrund zahlreicher vorliegender Bildungsstudien<br />

(z. B. PISA, IGLU) und eigener Erkenntnisse besonders aus dem<br />

städtischen Familienbericht wurde die Bildungsoffensive der<br />

Stadt Ulm im Jahr 2002 begonnen. Die Stadt will mit diesem<br />

Konzept gezielt den durch die Bildungsstudien aufgezeigten Defiziten<br />

und den veränderten Ansprüchen an die Qualifizierung<br />

für den Arbeitsmarkt begegnen: „Die Antwort auf Arbeitslosigkeit,<br />

Wettbewerbsfähigkeit und die niedrige Geburtenrate in<br />

Verbindung mit demographischer Entwicklung heißt Bildung.“<br />

(siehe Stadt Ulm 2005: S. 3)<br />

45


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Dazu wurden zunächst bildungspolitische Leitlinien erarbeitet<br />

und im Februar 2003 vom Rat der Stadt Ulm beschlossen. Die<br />

Leitlinien beinhalten (siehe Stadt Ulm 2005: S. 20) :<br />

• Bildungsinfrastruktur zeitgemäß weiterentwickeln<br />

• ungleichen Bildungschancen begegnen<br />

• Betreuungs- und Förderangebote ausbauen<br />

• Unterstützung der Schüler/-innen beim Übergang in das<br />

Berufsleben<br />

• Aufbau vernetzter Strukturen.<br />

Die Leitlinien bilden die Basis für ein ganzheitliches Konzept<br />

zur Qualifizierung der Bildungseinrichtungen in Ulm. Ziel ist<br />

es, einerseits vorhandene Bildungsangebote für die unterschiedlichen<br />

Altersgruppen, also vom Kindergarten bis zur Erwachsenenbildung,<br />

zu verbessern und abzustimmen sowie<br />

andererseits auch die jeweiligen altersspezifischen Angebote<br />

untereinander zu vernetzen. Vorhandenen Defiziten soll darüber<br />

hinaus im Rahmen von zusätzlichen Maßnahmen und<br />

Förderangeboten begegnet werden.<br />

Besonderheit der Bildungsoffensive der Stadt Ulm ist die ganzheitliche<br />

Sichtweise, indem ein Gesamtkonzept für alle Bildungseinrichtungen<br />

von der Grundschule bis zur <strong>Universität</strong><br />

unter Einbeziehung der vorschulischen Betreuungseinrichtungen<br />

entwickelt worden ist. Die Abstimmung und Festlegung von<br />

Qualitätsstandards für Erziehung und Lehre wurde begonnen<br />

und soll in den nächsten Jahren abgeschlossen werden. Dabei<br />

46<br />

werden auch bauliche Aspekte und die Ausstattung der einzelnen<br />

Einrichtungen in die Planungen miteinbezogen. Darüber<br />

hinaus hat die Bildungsoffensive der Stadt Ulm auch eine sozialräumliche<br />

Komponente. Die Verbesserung von Infrastrukturen<br />

in benachteiligten Quartieren hat besondere Priorität,<br />

und kurz- bis mittelfristig soll besonders dort die Zusammenarbeit<br />

zwischen Schulen, Jugendhilfe und Sozialplanung<br />

verbessert werden. Viele Ansätze der Bildungsoffensive wurden<br />

zuerst in Modellprojekten getestet. Der Stadtteil Böfingen diente<br />

in diesem Zusammenhang als eine Art Laboratorium, indem<br />

Ansätze der Familien- und Sprachförderung oder Projekte zur<br />

Frühförderung im Kindergarten zunächst in Einrichtungen in<br />

diesem Stadtteil als Modellvorhaben durchgeführt wurden.<br />

Im Jahr 2006 wurde dem Rat der Stadt Ulm erstmals ein durch<br />

die Verwaltung erstellter Bildungsbericht vorgelegt, der für die<br />

einzelnen Betreuungsangebote, Schulformen und Fördermaßnahmen<br />

Kennzahlen enthält. Die Kennzahlen geben für die betrachteten<br />

einzelnen Bereiche einen Überblick zur gegenwärtigen<br />

Lage, beispielsweise im Hinblick auf Sprachdefizite im Kindergartenbereich<br />

oder die Übergangsquoten von den Grundschulen<br />

zu den weiterführenden Schulen. Auf der Grundlage<br />

der Kennzahlen sind für alle Bereiche Maßnahmen und Zielwerte<br />

formuliert worden.


Im Vordergrund der Bildungsoffensive steht die frühzeitige Förderung<br />

von Kindern und Jugendlichen sowohl mit besonderen<br />

Begabungen als auch mit Entwicklungsdefiziten und besonderen<br />

Förderbedarfen. Bei den zuletzt genannten stellen Kinder<br />

und Jugendliche aus bildungsfernen Familien und mit Migrationshintergrund<br />

besondere Zielgruppen der Maßnahmen dar.<br />

In diesem Zusammenhang konnten durch den Familienbericht<br />

und das Sozialraummonitoring förderwürdige Zielgruppen auch<br />

räumlich in der Stadt verortet werden. Ein erstes Modellvorhaben<br />

zur Erprobung kommunaler bildungspolitischer Maßnahmen<br />

wurde deshalb im Stadtteil Böfingen begonnen und richtet<br />

sich unmittelbar an von Armut und Benachteiligung betroffene<br />

Kinder und Jugendliche.<br />

Im vorschulischen Bereich wurde das Ulmer Sprachförderkonzept<br />

„Bildung/Sprache <strong>–</strong> ganzheitliche Sprachförderung in Ulmer<br />

Kindertageseinrichtungen“ entwickelt. Ziel dieses Konzepts<br />

ist es, die Kinder vom Eintritt in die Kindertageseinrichtung<br />

an bei ihrer individuellen Sprachentwicklung zu unterstützen<br />

und zu fördern. Die Sprachförderung wird dabei in den<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Alltag der Kinder durch sprachanregende Angebote integriert<br />

und ausdrücklich nicht als isoliertes Sprachtraining durchgeführt.<br />

Durch zusätzliche Sprachkurse für die Erwachsenengeneration<br />

werden auch Eltern in die Sprachförderung einbezogen,<br />

was als wichtige Erfolgsvoraussetzung bewertet wird. Zur Umsetzung<br />

des Sprachförderansatzes werden unterschiedliche<br />

Maßnahmen ergriffen. Wichtige Voraussetzung für den ganzheitlichen<br />

Ansatz war die Qualifizierung von rund 380 pädagogischen<br />

Fachkräften in den Ulmer Tageseinrichtungen und die<br />

Vermittlung von alltagstauglichen Methoden der Sprachförderung.<br />

Zudem wurden auch weitere Bildungsinstitutionen und<br />

Ehrenamtliche in die Förderung eingebunden. Neben in die Erlebniswelt<br />

der Kinder integrierten Sprachförderangeboten wird<br />

eine ergänzende Sprachförderung für besondere Zielgruppen<br />

zwischen dem 5. und 6. Lebensjahr angeboten. Dieses Förderangebot<br />

richtet sich zwar vordergründig an Kinder mit Migrationshintergrund,<br />

bezieht aber auch deutsche Kinder mit<br />

Sprachförderbedarf ein. Die Sprachförderung im vorschulischen<br />

Bereich wurde nach zweijähriger Erprobung im Jahr 2006 flächendeckend<br />

in Ulm eingeführt.<br />

47


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Um den Kindern den Übergang vom Kindergarten in die Grundschule<br />

zu erleichtern, wurde im Jahr 2005 im Stadtteil Böfingen<br />

ein verstärktes Zusammenwirken von Kindertageseinrichtung,<br />

Grundschule und Familie modellhaft erprobt. Ziel ist es dabei,<br />

Kinder mit besonderen Risikolagen, Entwicklungsverzögerungen<br />

oder nicht ausreichenden Sprachkenntnissen zur Sicherung<br />

einer kontinuierlichen Biografie beim Übergang in die<br />

Grundschule zu begleiten. Dieses betrifft zum einen die Begleitung<br />

durch pädagogische Fachkräfte und eine stärkere Einbeziehung<br />

der Eltern. Zum anderen werden auch individuelle Fördermaßnahmen<br />

angeboten, um bestehende besondere Bildungs-<br />

oder Entwicklungsdefizite auszugleichen.<br />

Im Grundschulbereich werden vorhandene Förderangebote des<br />

Landes Baden-Württemberg konsequent genutzt. So wurde im<br />

Jahr 1996 das Reformprojekt „Schulanfang auf neuen Wegen“<br />

zur Vermeidung von Problemen bei der Einschulung gestartet<br />

und wird seitdem mit Erfolg praktiziert (siehe Stadt Ulm 2005:<br />

48<br />

S. 27). Ebenso wird das Programm „verlässliche Grundschule“<br />

zur bedarfsorientierten Betreuung von Schulkindern in Ulm angewandt.<br />

Perspektivisch sollen in den Ulmer Grundschulen<br />

auch präventive Grundschulklassen für Kinder, die wegen Entwicklungsverzögerungen<br />

förderbedürftig sind, eingeführt und<br />

die Einschulung generell flexibilisiert werden.<br />

Für die weiterführenden Schulen wurden für jede Schulform<br />

eigene Leitlinien, Konzepte und Maßnahmen entwickelt. Bezogen<br />

auf benachteiligte Jugendliche sind hier besonders die Strategien<br />

für den Hauptschulbereich von Interesse. Inzwischen<br />

bieten sieben der zwölf Hauptschulen Ganztagsangebote an und<br />

erreichen rund 60 Prozent der Ulmer Hauptschüler. In allen<br />

Ganztagshauptschulen stehen Schulsozialarbeiter zur Verfügung,<br />

was eine enge Verzahnung von Schule und Jugendhilfe<br />

ermöglicht. Ein besonderer Schwerpunkt der Jugendsozialarbeit<br />

an sechs der sieben Hauptschulen bildet die Förderung der Ausbildungsreife,<br />

indem die Schüler in ihren Qualifikationen, ihrer<br />

Berufsfindung sowie Ausbildungsplatzsuche gefördert werden.<br />

Ebenfalls mit dem Ziel, Übergänge von Hauptschülern in den<br />

Beruf zu erleichtern, werden die Projekte Jugendberufshelfer<br />

und Mentorenschaften durchgeführt. Das Projekt Jugendberufshelfer<br />

ist ein Angebot der Ulmer Jugendhilfe und versteht sich<br />

als ausbildungs- und beschäftigungsorientierte Maßnahme. Ziel<br />

ist es, vor allem leistungsschwache oder sozial benachteiligte<br />

Schüler durch berufsbildende Maßnahmen auf den Berufseinstieg<br />

vorzubereiten. Die Mentorenschaften bilden im Unter-


schied dazu einen Ansatz zur individuellen Unterstützung von<br />

Hauptschülern mit Problemen beim Berufseinstieg. Besonders<br />

Senioren engagieren sich hier ehrenamtlich in unterschiedlichen<br />

Projekten (siehe auch Best-Practice-Beispiel JAZz).<br />

JAZz <strong>–</strong> „Jung + Alt = Zukunft zusammen e. V.“ <strong>–</strong> Senioren<br />

unterstützen Hauptschüler beim Berufseinstieg<br />

Im Verein JAZz „Jung + Alt = Zukunft zusammen“ engagieren<br />

sich Senioren ehrenamtlich bei der Unterstützung von Hauptschülern,<br />

die kurz vor ihrem Schulabschluss stehen und eine<br />

Ausbildung beginnen wollen. Bei JAZz hat sich eine Gruppe<br />

zusammengeschlossen, die den Dialog zwischen den Generationen<br />

fördern und ein gutes soziales Klima zwischen Jung und Alt<br />

gestalten möchte. Ziel des Vereins ist es, die von Senioren gewonnenen<br />

Lebens- und Berufserfahrungen an Jugendliche weiterzugeben<br />

und ihnen den Übergang von der Schule ins Berufsleben<br />

zu erleichtern. Der Verein leistet praktische Unterstützung<br />

von Hauptschülern der 8. und 9. Klasse bei der Berufsorientierung.<br />

Ziele des Vereins sind besonders, die Jugendlichen<br />

für ihre Stärken als wichtige Voraussetzung bei der<br />

Berufswahl zu sensibilisieren, sie beim Bewerbungsvorgang zu<br />

unterstützen und die soziale Kompetenz der Jugendlichen zu<br />

fördern. In enger Kooperation mit dem Projekt „Sibille“ wird ein<br />

betreuter Bewerbungstreff angeboten. Dabei stehen die im Verein<br />

zusammengeschlossenen Senioren den Jugendlichen als<br />

aktive Lernpartnerinnen und Lernpartner zur Verfügung. Die<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

aktiven Mitglieder sind Seniorinnen und Senioren, die aus<br />

unterschiedlichen Berufen und Umfeldern kommen.<br />

Die Arbeit des Vereins gliedert sich in unterschiedliche Arbeitsbausteine,<br />

die den Jugendlichen angeboten werden. Bei diesen<br />

Arbeitsbausteinen sind Seniorinnen und Senioren in verschiedenen<br />

Rollen und mit unterschiedlichen Aufgaben beteiligt. Die<br />

Jugendlichen bekommen so als Vorbereitung auf den Berufseinstieg<br />

Kontakt mit erwachsenen Arbeitspartnern. Die Arbeit der<br />

Senioren folgt einem festen Ablauf über die zwei Schuljahre. Die<br />

Arbeit des Vereins findet dabei zunächst im Rahmen des Unterrichts<br />

der vier teilnehmenden Hauptschulen statt. Bei Bedarf<br />

findet auch eine individuelle Einzelbetreuung der Schüler außerhalb<br />

der Schulzeit statt.<br />

Die durch die Seniorengruppe entwickelte grundlegende Modulstruktur<br />

und die dezidierten Arbeitsgrundlagen ermöglichen<br />

die Übertragung des Ansatzes auf weitere Standorte in anderen<br />

Städten.<br />

Arbeitskreis Ausländische Kinder e. V.<br />

Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund bei ihren<br />

vielfältigen Problemen zu unterstützen und ihre persönliche<br />

und soziale Entwicklung zu fördern ist das Ziel des „Arbeitskreises<br />

Ausländische Kinder e. V.“. Schwerpunkte der Arbeit<br />

des Vereins liegen besonders in der Unterstützung der Kinder<br />

49


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

und Jugendlichen für eine erfolgreiche Schullaufbahn. Diesbezüglich<br />

werden einerseits Hausaufgabenhilfe und allgemeiner<br />

Förderunterricht angeboten. Andererseits werden besondere<br />

Förderangebote, beispielsweise bei Lese- und Rechtschreibschwäche,<br />

mit Fachkräften im Nachmittagsbereich durchgeführt.<br />

Darüber hinaus wird eine umfangreiche pädagogische Arbeit<br />

getätigt, die insgesamt zur Stärkung der Persönlichkeit und<br />

zur Verbesserung allgemeiner sozialer Kompetenzen beitragen<br />

soll. Der Verein arbeitet in enger Kooperation mit Schulen und<br />

Lehrern sowie weiteren sozialen Einrichtungen. Auch wenn der<br />

Verein sich auf die Arbeit mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund<br />

spezialisiert hat, sind in seinen Einrichtungen alle<br />

Jugendlichen willkommen, und die Angebote sind offen gestaltet.<br />

Die Betreuung erfolgt durch drei hauptamtliche und ca. 30<br />

ehrenamtliche Kräfte. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter kommen<br />

aus allen Altersschichten, wobei die Mehrheit Gymnasiasten<br />

und Realschüler sind, die über ein verpflichtendes ein- bis zweiwöchiges<br />

Schulsozialpraktikum für die Vereinsarbeit gewonnen<br />

werden können. Die Eltern sind aufgefordert, im Rahmen ihrer<br />

finanziellen Möglichkeiten einen freiwilligen Beitrag in Höhe<br />

von 25 Euro im Halbjahr zu leisten.<br />

Im Bereich Hausaufgabenhilfe arbeitet der Verein mit zusätzlichen<br />

Kooperationspartnern in einzelnen Stadtteilen. Diese dezentralen<br />

Außenstellen bieten den Grundschülern die Möglichkeit,<br />

auch wohnortnah Hausaufgabenhilfe in Räumlichkeiten<br />

50<br />

von Schulen und Stadtteilzentren wahrzunehmen. Für die nahe<br />

Zukunft ist eine Ausweitung der Angebote geplant: Mit dem<br />

Ziel, besonders lernschwache Kinder intensiver zu fördern, sollen<br />

zusätzliche Lernangebote in den Ferien geschaffen werden.<br />

Die Freizeitangebote in den Ferien sollen die Lernangebote<br />

ergänzen und besonders Kindern aus bildungsfernen Familien<br />

zugute kommen.<br />

Der Arbeitskreis Ausländische Kinder e. V. reagiert mit seinem<br />

Angebot auf eine dringende Problemlage: Kinder aus bildungsfernen<br />

Schichten, besonders mit Migrationshintergrund, haben<br />

häufig einen besonders hohen Unterstützungsbedarf für eine<br />

erfolgreiche Bildungslaufbahn. Hinzu kommen geringe Unterstützungsmöglichkeiten<br />

der Eltern. Auf dieses Problem reagiert<br />

der Arbeitskreis Ausländische Kinder durch seine Hausaufgabenhilfeangebote,<br />

die bereits im Grundschulalter einsetzen.<br />

Das Angebot des Arbeitskreises zeichnet sich durch seine Niedrigschwelligkeit<br />

hinsichtlich seines offenen Charakters und<br />

seiner niedrigen Kosten aus. Eine zusätzliche Motivation für die<br />

Kinder, das Kinderhaus des Arbeitskreises aufzusuchen, stellen<br />

die unterschiedlichen Freizeitangebote dar, die den Kindern oft<br />

Möglichkeiten eröffnen, die sie zu Hause nicht haben, die aber<br />

für den Bildungserfolg heute wichtig sind (v. a. Computer- und<br />

Internetnutzung).


Stadtporträt <strong>–</strong> Stuttgart<br />

Bevölkerung und Bevölkerungsentwicklung: Wirtschaftskraft und wirtschaftliche Entwicklung:<br />

Segregationsdimensionen:<br />

Quelle: Eigene Berechnungen.<br />

5.2 Stuttgart <strong>–</strong> Wachsende, wirtschaftlich<br />

konsolidierte Städte in Westdeutschland<br />

Clusterzugehörigkeit der Stadt Stuttgart<br />

Für Stuttgart als Repräsentanten des Clusters 3 liegen die Werte<br />

aller Segregationsdimensionen unter dem Durchschnitt, d. h.<br />

die demographische und die ethnische Segregation sind im Vergleich<br />

mit anderen Städten nicht sehr deutlich ausgebildet, obgleich<br />

die Stadt mit 22,3 Prozent einen ausgesprochen hohen<br />

Anteil nicht deutscher Einwohner hat. Die im Vergleich mit an-<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Bevölkerung am Hauptwohnsitz 2003: 589.197 verfügbares Einkommen pro Einwohner 2002/2003: 19.667 Euro<br />

Bevölkerungsveränderung 1999 bis 2003: 1,2 % Steuern und steuerähnliche Einnahmen je Einw. 2001: 1.118 Euro<br />

Wanderungssaldo 2002 je 10.000 Einwohner: 40 Steuern und steuerähnliche Einnahmen je Einw. 2003: 1.192 Euro<br />

Geborene je 10.000 Einwohner 2003: 89,5 Beschäftigtenentwicklung 1997<strong>–</strong>2002: 5,1 %<br />

Anteil der nicht deutschen Einwohner 2003: 22,3 % Arbeitslosenquote 2003: 7,1 %<br />

Anteil der über 60-Jährigen an der Anteil der Langzeitarbeitslosen an<br />

Bevölkerung am Hauptwohnsitz 2003: 23,7 % allen Arbeitslosen 2002/2003: 26,3 %<br />

Abweichung <strong>–</strong> Faktor „Urbanes Wohnen” 0,61 Mittelwert <strong>–</strong> Faktor „Urbanes Wohnen” 0,30<br />

Abweichung <strong>–</strong> Familienfaktor 0,51 Mittelwert <strong>–</strong> Familienfaktor <strong>–</strong> 0,19<br />

Abweichung <strong>–</strong> Faktor „Ältere und Etablierte” 0,21 Mittelwert <strong>–</strong> Faktor „Ältere und Etablierte” <strong>–</strong> 0,53<br />

deren Städten leicht positive natürliche Bevölkerungsentwicklung<br />

der Stadt resultierte im letzten Jahrzehnt besonders aus der<br />

im Durchschnitt höheren Geburtenzahl nicht deutscher Mütter<br />

im Vergleich zu deutschen Müttern. In den letzten Jahren sind<br />

daher jeweils etwa ein Drittel der Neugeborenen eines Jahrgangs<br />

Kinder nicht deutscher Eltern, wodurch sich der Anteil nicht<br />

deutscher Familien in der Stadt insgesamt weiter erhöht hat.<br />

Es stellt sich die Frage, ob in der wohlhabenden Stadt Stuttgart<br />

soziale Segregationstendenzen nur unterdurchschnittlich ausgeprägt<br />

sind und inwiefern Familien von sozialen Benachteili-<br />

51


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

gungen betroffen sind. Für Stuttgart betrachten wir direkt die<br />

Sozialhilfedichte von Familien. Im Unterschied zu den anderen<br />

untersuchten Städten handelt es sich hier um Quoten, die die<br />

Sozialhilfe erhaltenden Haushalte mit Kindern auf alle<br />

Haushalte mit Kindern beziehen. 17 Als weiterer Indikator wird<br />

die Betroffenheit von Arbeitslosigkeit in den Stadtbezirken herangezogen.<br />

Betrachtet man die Sozialhilfedichte von Familien mit Kindern<br />

unter 18 Jahren und die Verbreitung der Arbeitslosigkeit unter<br />

den Erwerbspersonen in Stuttgart, zeigen sich auf den ersten<br />

Blick eher geringe Differenzen zwischen den Stadtbezirken. Für<br />

die Sozialhilfedichte von Familien erreicht der Stadtbezirk Stuttgart-Mitte<br />

mit 9,9 Prozent die höchste Armutsquote und der<br />

Stadtbezirk Degerloch mit 3,2 Prozent die geringste Quote. Die<br />

mittleren zwölf Stadtbezirke liegen aber relativ eng beieinander.<br />

Hinsichtlich der Arbeitslosigkeit fallen die Differenzen zwischen<br />

den Stadtbezirken im mittleren Bereich etwas größer aus,<br />

aber auch hier unterscheiden sich die Stadtbezirke lediglich um<br />

wenige Prozentpunkte. Das Niveau der Arbeitslosigkeit in den<br />

Stadtregionen ist darüber hinaus im Vergleich zu anderen Städten<br />

<strong>–</strong> z. B. Gelsenkirchen mit einem Maximalwert von 17,7 Prozent<br />

oder auch Berlin mit einem Maximalwert von 23,7 Prozent<br />

<strong>–</strong> ausgesprochen niedrig. Für den Stadtbezirk Bad Cannstatt findet<br />

sich in Stuttgart der Maximalwert von (nur) 10,1 Prozent.<br />

Aber auch in Stuttgart gibt es eine hoch signifikante positive<br />

Korrelation zwischen dem Anteil der auf Sozialhilfe angewiese-<br />

52<br />

nen Haushalte in den Stadtbezirken und dem Anteil der Arbeitslosen.<br />

Die Verursachungszusammenhänge für soziale Segregationsprozesse<br />

sind demnach mit den anderen Städten vergleichbar,<br />

aber die innerstädtischen Problemkumulationen und<br />

-verteilungen unterscheiden sich.<br />

In Stuttgart leben arme Familien nicht unbedingt nur in den besonders<br />

familiengeprägten Stadtbezirken. Die Familienarmut ist<br />

sowohl in Stadtbezirken mit überdurchschnittlichen Familienanteilen<br />

hoch, wie in Bad Cannstatt oder Zuffenhausen, aber<br />

auch in Stadtbezirken, wo weniger Familien leben, z. B. in Stuttgart-Mitte.<br />

Auch in den sehr stark familiengeprägten Stadtbezirken<br />

Weilimdorf, Stammheim oder Mühlhausen in nordwestlicher<br />

bis nördlicher Stadtrandlage sind dabei noch mittlere So-<br />

17 Diese Quoten sind mit den Sozialhilfedichten auf Bevölkerungsebene, wie sie z. T. für die anderen Städte für Analysen herangezogen werden, nicht direkt vergleichbar.


zialhilfedichten für Familien zu verzeichnen. Familienarmut in<br />

Stuttgart hat danach zwar ein vergleichsweise niedriges Niveau,<br />

findet sich aber in vergleichsweise vielen Stadtbezirken. Das<br />

liegt besonders daran, dass in Stuttgart ausgesprochen wenige<br />

Stadtbezirke mit nur geringer Familienprägung zu finden sind.<br />

Der Großteil der Stadtbezirke hat einen mittleren Anteil von<br />

Haushalten mit Kindern zwischen 18 und 21 Prozent.<br />

Alleinerziehende, die Familienform mit dem höchsten Armutsrisiko,<br />

leben dagegen anteilig häufiger in den citynahen, eigentlich<br />

wenig familiengeprägten Stadtbezirken Stuttgart-Ost, Stuttgart-West<br />

und Stuttgart-Mitte, dem inneren Ring Stuttgarts. Hier<br />

ist auch die Familienarmut besonders hoch, d. h. Alleinerziehende<br />

wohnen besonders oft in Stadtregionen, die von Familienarmut<br />

geprägt sind.<br />

Diese breitere Streuung der Familienarmut steht aber in einem<br />

recht engen Zusammenhang zu den Wohnquartieren der nicht<br />

deutschen Bevölkerung in Stuttgart: Wo nur wenige Familien<br />

von Armut betroffen sind, gibt es besonders wenige nicht deutsche<br />

Einwohner, und umgekehrt ist die Familienarmut dort besonders<br />

hoch, wo viele nicht deutsche Einwohner leben. Da es<br />

in Stuttgart im Vergleich zu den anderen Städten sehr viele<br />

nicht deutsche Einwohner und auch anteilig deutlich mehr nicht<br />

deutsche Familien gibt, prägen diese auch den Charakter einiger<br />

Stadtbezirke. In Bad Cannstatt z. B. ist der Anteil der Haushalte<br />

mit Kindern überdurchschnittlich, zugleich wohnen hier<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

überdurchschnittlich viele nicht deutsche Einwohner, und der<br />

Anteil der Sozialhilfe beziehenden Familien erreicht mit 9,6 Prozent<br />

den zweithöchsten Wert der Stadtbezirke Stuttgarts. D. h.<br />

etwa jede zehnte Familie im Stadtbezirk Bad Cannstatt ist auf<br />

Sozialhilfe angewiesen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu<br />

können.<br />

In anderen Städten wohnen nicht deutsche Familien häufiger in<br />

innenstadtnahen, weniger familiengeprägten Stadtregionen.<br />

Auch dies gibt es in Stuttgart: So sind im Stadtbezirk Stuttgart-<br />

Mitte lediglich 11,8 Prozent der Haushalte Familienhaushalte<br />

mit Kindern unter 18 Jahren, der Anteil sozialhilfebeziehender<br />

Familien und der nicht deutschen Einwohner ist aber überdurchschnittlich<br />

ausgeprägt. Absolut sind in diesem Stadtbezirk aber<br />

weniger Familien von Armut betroffen als in Bad Cannstatt.<br />

Insgesamt bedeutet dies, dass gerade zugewanderte Familien<br />

nicht in der gleichen Weise am Wohlstand der Stadt partizipieren<br />

können wie deutsche Familien. In der Tendenz gilt dies<br />

auch für Alleinerziehende. Dennoch erreicht die Ausprägung<br />

der sozialen Problemlagen hier auch für nicht deutsche Familien<br />

ein im Bundesvergleich eher moderates Niveau.<br />

53


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Für Stuttgart liegen auch kleinräumige Daten zur Jugenddelinquenz<br />

vor, also dem Anteil der gemeldeten Fälle der Jugendgerichtshilfe<br />

von 14- bis unter 21-Jährigen in einem Stadtbezirk an<br />

der gleichaltrigen Bevölkerung18 (Landeshauptstadt Stuttgart<br />

2003: 105 ff.). In der wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion<br />

zur Segregation in großen Städten spielt der Einfluss<br />

sozialer Benachteiligungen in bestimmten Stadtteilen auf die<br />

Jugenddelinquenz oft eine hervorgehobene Stellung. Es werden<br />

aber ausgesprochen selten kleinräumige Daten veröffentlicht,<br />

die eine genauere Analyse ermöglichen. Der Stuttgarter Sozialdatenatlas<br />

Kinder und Jugendliche begründet die Aufnahme dieses<br />

Indikators zur Beschreibung der Situation von Kindern und<br />

Jugendlichen in den Stadtregionen damit, dass „strafrechtlich<br />

relevante Auffälligkeiten bei jungen Menschen ... einen Teilaspekt<br />

von Verhaltensproblemen darstellen (können). ... Eine<br />

hohe Dichte der Jugenddelinquenz kann auf eine besondere<br />

Problemlagendichte in einem Planungsraum hinweisen.“ (Landeshauptstadt<br />

Stuttgart 2003: 104). Auf diese Daten soll kurz<br />

eingegangen werden, ohne dies als Spezifika der Stadt Stuttgart<br />

oder für den Cluster zu sehen. Mit Blick auf das eher geringe<br />

Segregationsniveaus und vergleichsweise gering ausgeprägte<br />

soziale Problemkumulationen innerhalb Stuttgarts erreicht die<br />

Jugenddelinquenz in anderen Städten mit großer Wahrscheinlichkeit<br />

weit höhere Werte und auch eine größere Streuung zwischen<br />

den Stadtregionen. Leider liegen nur kleinräumige Daten<br />

für Stuttgart vor.<br />

18 Aufgrund geringer Fallzahlen in manchen Stadtregionen wurden hier z. T. Rundungen<br />

vorgenommen, sodass diese Ergebnisse nur in der Tendenz zu interpretieren<br />

sind. Darüber hinaus ist zu beachten, dass es sich um Fälle, nicht um<br />

straffällig gewordene Jugendliche handelt. Es kann also u. U. ein Jugendlicher<br />

auch mehrfach auffällig geworden sein.<br />

54<br />

Insgesamt streut das Niveau der gemeldeten Strafdaten mit<br />

Werten zwischen 2,9 Fällen für den Stadtbezirk Hedelfingen,<br />

einen Stadtteil mit leicht überdurchschnittlicher Familienprägung<br />

und eher durchschnittlichem Anteil nicht deutscher Einwohner<br />

in südöstlicher Stadtrandlage, und 11,3 Fällen für den<br />

Stadtbezirk Bad Cannstatt im Nordosten der Stadt stärker als<br />

andere betrachtete sozialstrukturelle Merkmale der Stadtbezirke.<br />

Dieser Stadtbezirk ist bereits durch seine hohe Armutsdichte<br />

aufgefallen. Auch für Stuttgart-Mitte, mit einer ähnlichen<br />

Problemkumulation, aber insgesamt geringeren Anteilen von<br />

Familien, zeigen sich überdurchschnittliche Werte.<br />

Übergreifend für alle Stadtbezirke zeigt sich eine hoch signifikante<br />

positive Korrelation zwischen der Jugenddelinquenz und<br />

der Sozialhilfedichte von Familien, fast ebenso hoch und ebenfalls<br />

hoch signifikant positiv ist die Korrelation mit dem Anteil<br />

der Arbeitlosen in den Stadtbezirken. Soziale Problemlagen in<br />

den Stadtbezirken gehen also <strong>–</strong> wie erwartet <strong>–</strong> besonders häufig<br />

mit einem höheren Niveau an Straftaten der Jugendlichen einher.


Gesamtstädtische Strategien<br />

Die Stadt Stuttgart hatte seit den 60er Jahren immer wieder<br />

(zuletzt Mitte der 90er Jahre) rückgängige Bevölkerungszahlen<br />

zu verzeichnen und gehört mit 23,7 Prozent zu den Städten mit<br />

den höchsten Anteilen von Nichtdeutschen in Deutschland.<br />

Erklärtes Ziel der Stadt ist es, eine Einwohnerzahl über 590.000<br />

zu halten und dafür in den kommenden Jahren den benötigten<br />

Wohnraum zu schaffen (Stadt Stuttgart 2005). 19 Um dieses Ziel<br />

zu erreichen, werden stadtentwicklungspolitische mit familienpolitischen<br />

Maßnahmen verknüpft. Im Wohnbereich soll besonders<br />

die kommunale Eigentumsförderung dazu beitragen, dass<br />

Familien in der Stadt wohnen bleiben bzw. zuziehen. Das Programm<br />

„Die Soziale Stadt“ konzentriert sich in Stuttgart auf<br />

Wohngebiete der 50er bis 70er Jahre, deren Bevölkerung stark<br />

zurückgegangen ist und in denen sich zunehmende Segregation<br />

negativ auszuwirken droht. Die Quartiere sind demographisch<br />

durch hohe Anteile Älterer und Jugendlicher gekennzeichnet.<br />

Prägend für diese Quartiere ist zudem eine hohe Jugendarbeitslosigkeit.<br />

Hier setzen Projekte zur Unterstützung von Jugendlichen<br />

beim Berufseinstieg an. Mittelfristig sollen Investitionen<br />

in die soziale Infrastruktur negative Folgen von Segregation besonders<br />

für Kinder und Jugendliche mildern und Familien in<br />

den innerstädtischen Quartieren halten bzw. zum Zuzug bewegen.<br />

19 (Amtsblatt Nr. 10 vom 10. März 2005, unter www.stuttgart.de, 19.7.2006).<br />

20 Vgl. Landeshauptstadt Stuttgart, Statistisches Amt: Sozialdatenatlas Kinder und Jugendliche/Daten aus dem Jahr 2002.<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Familienpolitische Ansätze in der Stadt Stuttgart<br />

Seit dem Jahr 2005 hat die Stadt Stuttgart ein umfangreiches<br />

Programm zur gezielten Förderung von Kindern und Familien<br />

entwickelt. Bevor dieser Ansatz hier erläutert wird, sei darauf<br />

hingewiesen, dass drei Quartiere der Stadt Stuttgart Teil des<br />

Bund-Länder-Programms „Die Soziale Stadt“ sind. Die Stadtteile<br />

Freiberg und Mönchfeld sind seit 1999 ein Programmgebiet der<br />

Sozialen Stadt. Die in den 50er und 70er Jahren erbauten Stadtteile<br />

haben in den letzten Jahrzehnten überdurchschnittlich<br />

viele Einwohner verloren und sind beide durch einen überdurchschnittlichen<br />

Anteil älterer Bevölkerung und Jugendlicher<br />

geprägt. Zudem leben überdurchschnittlich viele alleinerziehende<br />

Eltern in Mönchfeld. Für die Stadtteile prägend sind<br />

neben einer hohen Jugendarbeitslosigkeit20 Mängel bei der<br />

Wohnungsausstattung und der Infrastruktur. In der Anfangsphase<br />

der Förderung wurden stadtteilbezogene Einkaufszentren<br />

aufgewertet und vor allem vielfältige Kinder- und Jugendprojekte<br />

umgesetzt, deren Aufzählung an dieser Stelle zu umfangreich<br />

wäre.<br />

An dieser Stelle soll auf das Ziel der Stadt Stuttgart eingegangen<br />

werden, die „kinderfreundlichste Großstadt“ Deutschlands zu<br />

werden <strong>–</strong> ein langfristiges Ziel. Es stellt ein prioritäres Ziel dar,<br />

das die gesamte Stadtverwaltung bei allen Entscheidungen zu<br />

berücksichtigen hat und dazu auch unkonventionelle Maßnahmen<br />

entwickeln soll. Auf der oberen Verwaltungsebene ist eine<br />

55


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

hauptamtliche Kinderbeauftragte in der Stabsstelle des Oberbürgermeisters<br />

für die Koordinierung der familienpolitischen<br />

Offensive „Kinderfreundliches Stuttgart“ zuständig. Diese strukturelle<br />

Zuordnung spiegelt nicht nur die große Bedeutung<br />

wider, welche die Stadtspitze dem Thema Kinderfreundlichkeit<br />

beimisst, sondern auch die strategische Ausrichtung, die der familienpolitischen<br />

Offensive zugrunde liegt; denn Kinderfreundlichkeit<br />

wird in Stuttgart als eine ressortübergreifende und<br />

gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden. Deshalb ist das<br />

Tätigkeitsfeld der Kinderbeauftragten als Querschnittsaufgabe<br />

angelegt: Die Kinderbeauftragte ist Schaltstelle zwischen dem<br />

Rathaus, den städtischen Ämtern und der Bürgerschaft. Sie<br />

initiiert, koordiniert und begleitet familienpolitische Projekte<br />

und Initiativen, die an sie herangetragen werden. Unterstützt<br />

wird die hauptamtliche Kinderbeauftragte von 48 Beauftragten<br />

in den städtischen Ämtern und Eigenbetrieben, die sich in ihren<br />

jeweiligen Aufgabenbereichen in besonderer Weise um die Belange<br />

von Kindern und Familien kümmern. Außerdem arbeitet<br />

sie eng mit dem Kuratorium „Kinderfreundliches Stuttgart“ zusammen,<br />

einer Vereinigung von mittlerweile 68 Stuttgarter Persönlichkeiten<br />

aus Politik und Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft,<br />

den Medien und dem Sport, die mit großem Engagement<br />

und vielfältigen Programmen die familienpolitische Offensive<br />

der Stadtverwaltung begleiten. Unterstützt wird dieses bürger-<br />

21 Stadt Stuttgart (2004): Familienfreundliches Stuttgart/Arbeitsprogramm von Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Schuster, Stuttgart.<br />

56<br />

schaftliche Engagement vom Förderverein „Kinderfreundliches<br />

Stuttgart“, der vor zwei Jahren von Mitgliedern des Kuratoriums<br />

gegründet worden ist und mit beträchtlichen finanziellen Mitteln<br />

die Durchführung zahlreicher preisgekrönter Projekte ermöglicht.<br />

Im Jahr 2004 wurde das Arbeitsprogramm des Oberbürgermeisters<br />

„Kinderfreundliches Stuttgart“ veröffentlicht. Dort werden<br />

messbare Ziele und Maßnahmen der Stuttgarter Familienpolitik<br />

benannt, welche in definierten Zeiträumen zu erreichen<br />

sind. Eine externe Evaluation der Zielerreichung findet in regelmäßigen<br />

Abständen statt. Das Arbeitsprogramm steht unter<br />

drei Leitsätzen, damit Stuttgart zum „Wunsch- und Wohlfühlort<br />

für Kinder und ihre Familien“ wird (Stuttgart 2004: 12): 21<br />

1. Wir wollen, dass sich in Stuttgart Kinder mit ihren Familien<br />

besonders wohlfühlen.<br />

2. Wir wollen, dass Stuttgart der Wunschort für Kinder und ihre<br />

Familien wird.<br />

3. Wir wollen, dass sich in Stuttgart mehr junge Leute für eine<br />

Familie mit Kindern entscheiden.<br />

Konkret werden fünf Ziele formuliert, die die Aufgaben der kommenden<br />

Jahre schwerpunktmäßig beschreiben (ebd.):<br />

• In Stuttgart wird jedem Kind eine Förderung und Bildung zuteil,<br />

die ihm faire Zukunftschancen eröffnen.<br />

• In Stuttgart gibt es für unsere Kinder Platz zum Wohnen und<br />

Freiräume zum Spielen im Freien.


• In Stuttgart ist für die Gesundheit und die Sicherheit unserer<br />

Kinder bestens gesorgt.<br />

• In Stuttgart ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kindern<br />

und Karriere gewährleistet.<br />

• Ein neuer „Generationenvertrag vor Ort“ ermöglicht ein aktives<br />

Miteinander von Jung und Alt.<br />

Diese Ziele werden im Arbeitsprogramm durch Unterziele <strong>konkret</strong>isiert.<br />

Zu jedem Ziel werden der Status quo beschrieben<br />

und bereits existierende Ansätze dargestellt sowie ein Ausblick<br />

in die nahe Zukunft gegeben. Bemerkenswert ist, dass für viele<br />

der Unterziele <strong>konkret</strong> messbare Zielzahlen beschrieben werden.<br />

Die im Juli des Jahres 2006 erfolgte Fortschreibung des Arbeitsprogramms<br />

zieht eine erste Bilanz all der Projekte, Initiativen<br />

und Maßnahmen, die auf den Weg gebracht worden sind,<br />

um die im Jahr 2004 beschlossenen fünf zentralen Ziele und<br />

Unterziele der Familienpolitik zu erreichen. Die Bandbreite der<br />

dargestellten Einzelansätze umfasst Angebote in den Bereichen<br />

Kinderbetreuung, Kultur, Sport, Bildung, Wohnen, Gesundheit,<br />

Verkehrssicherheit sowie unterschiedliche Unterstützungsangebote<br />

für Alleinerziehende.<br />

Die Jugendhilfe als zentrale Säule der Stuttgarter Familienpolitik<br />

soll zukünftig weiter ausgebaut werden. Die Vergrößerung<br />

der Stadtteil- und Familienzentren und die Etablierung<br />

erprobter präventiver Programme zur Förderung und Stärkung<br />

von Kindern und Eltern (Familienhebammen, Opstapje) sind<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

wichtige Elemente der städtischen Familienpolitik, die bereits<br />

bei der Geburt einsetzt. Das Deutsche Jugendinstitut hat an<br />

zwei Modellstandorten in Stuttgart mit dem Projekt „Opstapje <strong>–</strong><br />

Schritt für Schritt“ ein Frühförderprogramm für zweijährige<br />

Kinder aus sozial benachteiligten Familien durchgeführt. Darüber<br />

hinaus begleiten sogenannte Familienhebammen Familien<br />

von der Schwangerschaft bis zur Einschulung des Kindes. Der<br />

Ansatz wird bereits erfolgreich in Finnland eingesetzt, und<br />

auch in Hamburg, Bremen und Niedersachsen werden Erfahrungen<br />

in diesem Bereich gesammelt.<br />

57


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Projekte und Einzelansätze<br />

Im Folgenden werden ausgewählte Projekte und Einzelansätze<br />

der Stadt Stuttgart aufgeführt, die aus Sicht der Verfasser von<br />

besonderem Interesse sind.<br />

Kinderbetreuungsangebote und familienfreundliche<br />

Betriebe<br />

In den letzten Jahren stand in Stuttgart v. a. die qualitative Weiterentwicklung<br />

der Kinderbetreuung im Mittelpunkt. Ziel ist es,<br />

eine möglichst große Chancengleichheit zwischen Kindern aus<br />

unterschiedlichen Milieus herzustellen. Die Maßnahmen umfassen<br />

die Sprachförderung in Einrichtungen mit einem hohen Anteil<br />

von bilingual aufwachsenden Kindern (siehe „Konzept zur<br />

ganzheitlichen Sprachförderung“), flexiblere Öffnungszeiten<br />

(um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern) und<br />

Gesundheitsprävention durch verstärkte Bewegungsförderung.<br />

Dazu hat die Stadt die Betreuungsangebote mit erweiterten Öffnungszeiten<br />

und auch das Angebot an Ganztagesplätzen für<br />

Kinder bis 12 Jahren ausgeweitet (Stadt Stuttgart 2001). 22<br />

Darüber hinaus setzt die Stadt Stuttgart in der Kinderbetreuung<br />

auf eine enge Kooperation mit lokalen Unternehmen. Ziel ist es,<br />

die Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit innovativen Ansätzen<br />

zu verbessern. Unter dem Thema „Familienfreundlichkeit<br />

als Erfolgsfaktor“ wird von der „Stabsstelle für individuelle<br />

22 (Zusammenfassung Pressekaffee 2. Juli 2001).<br />

23 www.machenwir.ihk.de<br />

24 (http://kind-e-v.de/).<br />

58<br />

Chancengleichheit“ der Stadt Stuttgart der Austausch zwischen<br />

Unternehmen der Region gefördert. Zudem hat die Wirtschaftsförderung<br />

ein Internetportal eingerichtet, das einen Überblick<br />

zu den Kinderbetreuungsmöglichkeiten bietet (www.kinderbetreuung.region-stuttgart.de).<br />

Von der IHK Stuttgart wird eine<br />

Internetplattform für Dienstleistungen im Haushaltsbereich<br />

betreut, die u. a. auch Angebote flexibler Kinderbetreuung enthält<br />

(siehe Website IHK Stuttgart). 23 Auch ergänzen direkte<br />

Aktivitäten von Unternehmen im Bereich der betriebsnahen<br />

Kinderbetreuung die öffentlichen Angebote, indem Kindertagesstätten<br />

durch Investitionszuschüsse benachbarter Unternehmen<br />

unterstützt werden. 24<br />

Diesbezüglich engagiert sich auch die Stadt Stuttgart für ihre<br />

Mitarbeiter durch verschiedene Serviceleistungen zur Erleichterung<br />

der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Zu den Maßnahmen<br />

des Pilotprojekts im „Amt für öffentliche Ordnung“ gehören:<br />

• Notfallplätze im betriebseigenen Kindergarten, falls die reguläre<br />

Betreuung ausfällt,<br />

• die Möglichkeit, Kantinenessen für die Kinder mit nach<br />

Hause zu nehmen,<br />

• eine Anlaufstelle im Fall von familienbedingtem Aus- und<br />

Wiedereinstieg und<br />

• eine Intranetbörse für Beschäftigte während der Elternzeit,<br />

die u. a. eine Jobbörse, einen Chatroom und Mitarbeiterinfos<br />

enthält.


Aus dem EU-Projekt „Equality, Life and Work“ ist ein regionales<br />

Netzwerk entstanden, dem mehr als 50 Unternehmen angehören<br />

und sich vierteljährlich zu Maßnahmen der Familienfreundlichkeit<br />

austauschen. An dem Netzwerk sind auch Vertreter der<br />

Beratungsinitiative „Familie in Beruf und Leben“ (Fa.i.B.Le) des<br />

Branchenverbands Südwestmetall in Kooperation mit einem<br />

Bildungsträger (BBQ gGmbH) beteiligt. Sie beraten Unternehmen<br />

und koordinieren Kontakte zwischen familienorientierten<br />

Unternehmen und Kinderbetreuungseinrichtungen/Schulen<br />

(siehe www.faible-net.de). Da vor allem große Unternehmen an<br />

dem Netzwerk teilnehmen und kleinere unterrepräsentiert<br />

sind, hat die federführende Stabsstelle für Chancengleichheit<br />

der Stuttgarter Stadtverwaltung ein einjähriges landesgefördertes<br />

Projekt mit dem Titel „Landesweites Promotorennetzwerk<br />

zur familienfreundlichen Unternehmenspolitik“ umgesetzt. Besonders<br />

kleine und mittlere Unternehmen des produzierenden<br />

Gewerbes sollen bei der Umsetzung einer familienfreundlichen<br />

Unternehmenspolitik unterstützt werden. Diese Unterstützung<br />

erfolgt durch Gespräche und kleinere Workshops zwischen den<br />

Vertretern von bereits familienorientierten Unternehmen und<br />

interessierten kleineren Unternehmen aus der Region. 25<br />

Seit dem Jahr 2005 wird der „Stuttgarter Innovationspreis für<br />

Kindertagesstätten“ vom Kuratorium „Kinderfreundliches Stuttgart“<br />

und der Landeshauptstadt Stuttgart ausgelobt. Er hat zum<br />

Ziel, gute Beispiele von Projekten und Maßnahmen zur Verbesserung<br />

der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu fördern und<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

zu verbreiten. Beispielsweise erhielt eine Einrichtung im Stadtteil<br />

Birkach den Preis in der Kategorie „Integration in den<br />

Stadtteil“ für ihr Engagement bei der Vernetzung von integrationsrelevanten<br />

Projekten in der Stadtteilarbeit mit Schulen.<br />

Andere Einrichtungen erhielten einen Preis für nachfrageorientierte<br />

Öffnungszeiten und flexible Angebote. Dazu gehören<br />

„Platz-Sharing“, Ferien- und Wochenendangebote oder Aufnahme<br />

von Kindern bereits im Alter von acht Wochen. Für 2006<br />

hat das Kuratorium das Thema „Vielfalt leben <strong>–</strong> Umgang mit<br />

kulturellem Reichtum in der Kindertagesstätte“ gewählt. Kitas<br />

haben dargestellt, wie sie sich zu einem Ort entwickelt haben,<br />

an dem unterschiedliche Kulturen sichtbar sind.<br />

Um die Nachhaltigkeit des Wettbewerbs zu unterstützen, wird<br />

jeweils im Anschluss an die Prämierung ein Werkstattbericht<br />

der preisgekrönten pädagogischen Konzepte erstellt und eine<br />

Fortbildung zum Thema des Wettbewerbs veranstaltet. Eingeladen<br />

werden die Leiterinnen und Leiter aller Kindertagesstätten<br />

sowie interessierte Erzieherinnen und Erzieher (siehe Kuratorium<br />

Kinderfreundliches Stuttgart 2005 und 2006). 26<br />

25 Frau Dr. Ursula Matschke, Stadt Stuttgart, Stabsstelle für Chancengleichheit; Mitarbeiterin: Frau Kathrin Silber.<br />

26 Kuratorium Kinderfreundliches Stuttgart in Zusammenarbeit mit der Landeshauptstadt Stuttgart, Stabsstelle für individuelle Chancengleichheit von Frauen und Männern<br />

und der Kinderbeauftragten der Landeshauptstadt Stuttgart (2005): Werkstattberichte 1. Stuttgarter Innovationspreis für Kindertagesstätten; ebd. 2006: Werkstattberichte 2.<br />

Stuttgarter Innovationspreis für Kindertagesstätten.<br />

59


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Integrationsarbeit in Stuttgart<br />

Bereits im Jahr 2001 hat die Stadt Stuttgart als eine der ersten<br />

deutschen Städte ein Gesamtkonzept für die Integration und<br />

Partizipation von Zuwanderern entwickelt. Für die Integrationspolitik<br />

ist eine eigene Stabsabteilung des Oberbürgermeisters<br />

verantwortlich. Da in Stuttgart über 40 Prozent der Kinder im<br />

Vorschulalter aus Einwandererfamilien stammen, bilden Kinder<br />

und ihre Eltern eine zentrale Zielgruppe der Stuttgarter Integrationspolitik<br />

(siehe Stadt Stuttgart 2005: 4). 27 Vor dem Hintergrund,<br />

dass es ohne Migrantenkinder nur in zehn Prozent der<br />

Haushalte Kinder gibt, wird für die Zukunftsfähigkeit der Stadt<br />

die schulische und berufliche Entwicklung dieser Kinder als<br />

besonders bedeutsam angesehen (siehe ebd.: 5). Zudem setzt<br />

die Stadt auf eine interkulturelle Qualifizierung ihrer Mitarbeiter<br />

und die Einstellung von Mitarbeitern mit Migrationshintergrund.<br />

Dieses soll u. a. einem verbesserten Umgang mit ausländischen<br />

Studenten, Wissenschaftlern, Führungskräften und<br />

Investoren dienen (siehe ebd.: 11). Die Ziele des Stuttgarter Integrationskonzepts<br />

sind in den „Leitlinien zur Integration und<br />

interkulturellen Orientierung der Kinder- und Jugendhilfe in<br />

Stuttgart“ festgehalten, die gemeinsam mit Trägern der Jugendhilfe<br />

erarbeitet wurden.<br />

Die Stadt Stuttgart strebt die Chancengleichheit von deutschen<br />

und nicht deutschen Kindern in Schule und Ausbildung an<br />

(siehe Stadt Stuttgart 2004: 19). 28 Dazu wurde die Sprachförde-<br />

27 Stadt Stuttgart (2005): Stuttgarter Bündnis für Integration/Perspektiven für unsere internationale Stadt, Stuttgart.<br />

28 Stadt Stuttgart (2004): Grundlagen einer Integrationspolitik in der Landeshauptstadt Stuttgart, Stuttgart.<br />

60<br />

rung in den Kindertageseinrichtungen kontinuierlich ausgebaut,<br />

und es werden auch gezielt Sprachkurse für die Eltern angeboten<br />

(siehe auch „Konzept zur ganzheitlichen Sprachförderung“).<br />

Zum Angebot der Stadt gehören darüber hinaus Alphabetisierungskurse,<br />

niedrigschwellige Deutschkurse in den Stadtteilen<br />

und Informationsangebote zum deutschen Schulsystem an ca.<br />

15 Stuttgarter Schulen. Letzteres wird angeboten, um Eltern die<br />

Unterstützung ihrer Kinder bei der Planung der Schulkarriere<br />

zu ermöglichen. Zur weiteren Information ist eine Broschüre<br />

„Sprache, das Tor zur Welt“ entwickelt worden, die Eltern Tipps<br />

zu Spracherwerb gibt und in fünf Sprachen erschienen ist.<br />

Der Zugang zum Gesundheitssystem wurde in Stuttgart für Migranten<br />

durch umfassende Informationen erleichtert. Als Gemeinschaftsprojekt<br />

des Integrationsbeauftragten der Stadt und des<br />

Forums Gesunde Stadt Stuttgart e. V. ist ein Faltblatt zum deutschen<br />

Gesundheitssystem, besonders zu den Vorsorgeuntersuchungen<br />

für Kinder, entstanden, das in neun Sprachen übersetzt<br />

wurde. Außerdem kann auf der Homepage der Stadt unter dem<br />

Stichwort „Gesundheitswegweiser“ nach Ärzten mit Fremdsprachenkenntnissen<br />

gesucht werden. Bei der Integration junger<br />

Menschen mit Migrationshintergrund in den Arbeitsmarkt greift<br />

die Stabsabteilung für Integration auch auf die Erfahrungen älterer<br />

engagierter Stuttgarter Bürger zurück. Dazu wurden mehrere<br />

Projekte initiiert, bei denen Senioren jungen Menschen wichtige<br />

Hilfestellungen beim Übergang von der Schule in Ausbildung<br />

und Beruf geben (zum Ansatz siehe auch Fallstudie Ulm: JAZz).


Zudem ist das friedliche Zusammenleben der Kulturen der Stadt<br />

ein wichtiges Anliegen. Eine Förderung erfolgt auf verschiedenen<br />

Ebenen. Auf gesamtstädtischer Ebene wurden der „Runde<br />

Tisch der Religionen in Stuttgart“ sowie der „Internationale Ausschuss“<br />

geschaffen, in dem Experten für Integrationsfragen berufen<br />

wurden. Ein Projekt zur interkulturellen Mediation von<br />

Konflikten zwischen Nachbarn oder Kollegen wird bereits seit<br />

1999 erfolgreich in Stuttgart durchgeführt. Für die Arbeit wurden<br />

ehren- und hauptamtlich in der Migrationssozialarbeit tätige<br />

Personen zu Mediatoren ausgebildet. Das Angebot wurde<br />

über die lokalen Medien und ein Faltblatt öffentlich gemacht.<br />

Als Kontaktadresse dient das Büro des Integrationsbeauftragten,<br />

das die Vermittlung von Fällen an die Mediatorengruppe<br />

vornimmt (siehe Dönitz et al. 2002: 54). 29 Dieses Angebot<br />

trägt dazu bei, Kontakte sowie Verständnis und Vertrauen<br />

zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion<br />

zu etablieren (siehe Stuttgart 2005: 12). 30<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

„Konzept zur ganzheitlichen Sprachförderung“<br />

Die Stadt Stuttgart hat mit ihrem ganzheitlichen Sprachförderkonzept<br />

früh erkannt, dass die Sprachförderung bereits im Vorschulalter<br />

beginnen muss, um Kindern mit Migrationshintergrund<br />

mehr Chancengleichheit während ihrer Bildungskarriere<br />

zu ermöglichen. Das Konzept stellt einerseits die Erzieher der<br />

Kindertageseinrichtungen als wichtige Bezugspersonen der<br />

Kinder in den Mittelpunkt. Andererseits werden auch die Eltern<br />

intensiv einbezogen. Sie werden als wichtige Partner beim<br />

Spracherwerb betrachtet und können ebenfalls ihre Kenntnisse<br />

der deutschen Sprache verbessern. Ergänzend werden auch in<br />

Stuttgart sogenannte „Rucksackprojekte“ zur Förderung der<br />

Zweisprachigkeit durchgeführt.<br />

Von 1997 bis 2000 wurde die ganzheitliche Sprachförderung als<br />

Pilotprojekt in vier Tageseinrichtungen durchgeführt und seitdem<br />

in mehreren Phasen weiter ausgebaut. Inzwischen sind<br />

alle Kindertagesstätten (60 im Jahr 2006) mit einem Anteil von<br />

mehr als 70 Prozent Migrantenkindern an dem Projekt beteiligt.<br />

Das Training der deutschen Sprache erfolgt mit einem Sprachtraining,<br />

das in den Alltag der Kinder integriert ist. Erzieherinnen<br />

und Erzieher begleiten dabei alle Aktivitäten der Kindergartenkinder<br />

mit Worten. Dies führt dazu, dass sich die Kinder an<br />

Deutsch als Alltagssprache gewöhnen. In den Einrichtungen<br />

werden die Mehrsprachigkeit der Kinder und ihre kulturelle<br />

Vielfalt als Bildungspotenzial betrachtet und in die tägliche Ar-<br />

29 Dönitz, Ulrich / Farr-Rolf, Gabriele (2002): Konfliktmanagement in Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf. Hrsg. von: Stadt Dortmund, Stadtplanungsamt, Abteilung<br />

Stadterneuerung, Ministerium für Arbeit und Soziales, Qualifikation und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen u. Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und<br />

Sport des Landes Nordrhein-Westfalen. URL: http://www.ils.nrw.de/publik/pdf/konfliktmanagement.pdf<br />

30 Landeshauptstadt Stuttgart, Stabsabteilung für Integrationspolitik in Zusammenarbeit mit der Stabsabteilung Kommunikation (Team Öffentlichkeitsarbeit) (2006): Stuttgarter<br />

Bündnis für Integration/Perspektiven für unsere internationale Stadt.<br />

61


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

beit integriert. Der interkulturelle Ansatz bietet auch die Möglichkeit,<br />

mit Eltern in Kontakt zu kommen und sich über Besonderheiten<br />

der jeweiligen Kulturen auszutauschen.<br />

Zur Unterstützung der Erzieher vor Ort wurden mehrere Leitfäden<br />

und Materialien erarbeitet. So wurde im Jahr 2001 eine<br />

Broschüre mit Leitsätzen zur ganzheitlichen Sprachförderung<br />

vom Jugendamt herausgegeben. Diese erläutert Grundvoraussetzungen<br />

für die Entwicklung der Sprache im Kindergartenalter<br />

und gibt praktische Anregungen zur Integration der<br />

Sprachförderung in den Kindergartenalltag. Da erfolgreiche<br />

Lernprozesse auf Vertrauen und einer positiven Beziehung zwischen<br />

allen Beteiligten beruhen, wurde ein weiterer Leitfaden<br />

zum Thema „Eingewöhnungsphase“ erarbeitet. Er beschreibt<br />

Methoden zum Aufbau einer tragfähigen Beziehung zwischen<br />

dem Kind, den pädagogischen Fachkräften und den Eltern. Die<br />

ganzheitliche Sprachförderung setzt auf eine möglichst individuelle<br />

Betreuung der Kinder. Der Sprachlernprozess der Kinder<br />

wird genau beobachtet, und jedes Kind wird entsprechend seiner<br />

Entwicklung individuell gefördert. Auf Fortschritte oder<br />

Defizite kann so unmittelbar und qualifiziert reagiert werden.<br />

Zur Erarbeitung eines individuellen Förderkonzepts wird jedes<br />

Kind zweimal jährlich anhand eines Beobachtungsbogens be-<br />

62<br />

wertet, wobei das Sprachverhalten von Kindern mit Migrationshintergrund<br />

kontextabhängig31 festgehalten wird (siehe Friedrich<br />

2006: 13). 32 Teil des Konzepts sind zudem Bildungsveranstaltungen<br />

für Eltern zu den Themen Sprachentwicklung, Bedeutung<br />

von Mehrsprachigkeit und Sprachfördermöglichkeiten,<br />

die vom städtischen Elternseminar (eine Bildungseinrichtung<br />

des Jugendamts) angeboten werden.<br />

Die beteiligten Einrichtungen verpflichten sich neben einer kontinuierlichen<br />

konzeptionellen Weiterentwicklung ihrer Arbeit<br />

und fortlaufenden Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />

auch zur Kooperation mit den zugehörigen Grundschulen.<br />

Zudem findet eine Kooperation mit Ehrenamtlichen statt,<br />

die als Vorlesepaten in die Einrichtungen kommen. Die Zahl der<br />

in das Programm eingebundenen Kindergruppen wurde in den<br />

letzten Jahren kontinuierlich gesteigert. Mittelfristiges Ziel ist<br />

es, die intensive Sprachbildung auch auf diejenigen Kindergartengruppen<br />

auszudehnen, deren Anteil mehrsprachiger Kinder<br />

bei 60 Prozent und darunter liegt. So werden seit September<br />

2006 bereits 121 Kindergartengruppen gefördert, weitere sollen<br />

folgen.<br />

Mit dem „Rucksackprojekt“ werden in Stuttgart ergänzend zur<br />

ganzheitlichen Sprachförderung Kinder mit Migrationshintergrund<br />

bilingual gefördert. Besonderheit des in den Niederlanden<br />

entwickelten Ansatzes ist die Berücksichtigung der Lebenswelt<br />

der Kinder: Die Lebenswelt Kindertagesstätte wird genau-<br />

31 Die Sprachstandserhebung wird nach der Methode „Sismik“ des Bayerischen Staatsinstituts für Frühpädagogik (Sprachverhalten und Interesse an Sprache bei<br />

Migrantenkindern, Ulrich/Mayr, München) durchgeführt.<br />

32 Friedrich, Angelika: Ganzheitliche Sprachförderung und Einstein in der Kita <strong>–</strong> Der Stuttgarter Weg zu einem integrierten Bildungskonzept-, Erschienen in KiTa spezial Nr.<br />

1/2006.


so berücksichtigt wie die Familie. Eltern und Erzieher werden<br />

so Partner für die Sprachförderung der Kinder und sollen sich<br />

bei der Förderung der beiden Sprachen abstimmen und ergänzen.<br />

Der Ansatz zielt auf die Förderung der Mehrsprachigkeit,<br />

d. h. die Beherrschung sowohl der deutschen Sprache als auch<br />

der Muttersprache. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass<br />

Kinder besser Deutsch lernen, wenn sie über gut ausgebildete<br />

Sprachstrukturen in ihrer Muttersprache verfügen. Die Eltern<br />

werden dabei als Experten für das Erlernen der Erstsprache eingebunden.<br />

Durch Anleitung und mithilfe von Arbeitsmaterialien<br />

werden sie auf die Förderung der Muttersprache vorbereitet.<br />

Die Anleitung erfolgt durch muttersprachliche Honorarkräfte,<br />

die keine kulturellen Barrieren überwinden müssen und<br />

die Lebenswelt von Migrantenfamilien kennen. Darüber hinaus<br />

ist es das Ziel, die allgemeine kindliche Entwicklung zu unterstützen.<br />

Die muttersprachlichen Honorarkräfte stärken zudem<br />

die Mütter in ihrer Erziehungskompetenz und helfen bei der<br />

Abstimmung von Erziehungszielen zwischen Familie und Betreuungseinrichtung.<br />

Damit die Mütter ihren Kindern besser<br />

helfen können, werden sie selbst zur Teilnahme an Deutschkursen<br />

motiviert. Hier greift die Verzahnung des Projekts mit dem<br />

städtischen Elternseminar, das Deutschkurse für Mütter und<br />

ihre Kinder anbietet. Der in den Niederlanden entwickelte Projektansatz<br />

wird auch bereits in anderen Städten (z. B. in Nordrhein-Westfalen)<br />

erfolgreich durchgeführt.<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Das Projekt „Kleine Leute, große Töne“ bildet ein weiteres Modul<br />

der Stuttgarter ganzheitlichen Sprachförderung. „Kleinen<br />

Leuten“ „große Töne“ nahezubringen, ist das erklärte Ziel von<br />

zahlreichen Stuttgarter Berufsmusikern. Seit dem Jahr 2005 besuchen<br />

sie auf Initiative des Kuratoriums Kinderfreundliches<br />

Stuttgart mit ihren Instrumenten Kindertagesstätten, um die<br />

Kinder für die Welt der Musik zu begeistern. Viele Kinder weisen<br />

im Umgang mit ihrer Stimme Defizite auf. Der musikpädagogische<br />

Ansatz verfolgt dabei mehr als eine rein musikalische<br />

Bildung. Denn musikalische Tätigkeiten fördern Menschen<br />

auf allen Ebenen: medizinisch, psychologisch und vor allem sozial.<br />

Angesichts dieser Situation engagieren sich immer mehr<br />

Musiker für eine Musikpatenschaft. Neben den Besuchen in<br />

Kindertagesstätten werden auch regelmäßig Kindergartengruppen<br />

in die Stuttgarter Bachakademie, zu den Stuttgarter Philharmonikern<br />

oder dem Radio-Sinfonieorchester des SWR eingeladen.<br />

In Anerkennung seiner Leistungen wurde das Projekt<br />

„Kleine Leute, große Töne“ im Jahr 2005 mit dem Förderpreis<br />

des „Stuttgarter Bürgerpreises“ ausgezeichnet.<br />

Die ganzheitliche Sprachförderung in Stuttgart greift überall<br />

dort, wo es aufgrund ethnischer und sozialer Polarisierung besonders<br />

schwierig und insofern auch besonders wichtig ist, Kindern<br />

die grundlegenden sprachlichen Voraussetzungen für ihre<br />

Bildungskarriere mitzugeben. Außerdem haben die Eltern<br />

durch die muttersprachlichen Mitarbeiter des Rucksackprojekts<br />

sensibilisierte und informierte Ansprechpartner, die sie in ihrer<br />

63


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Erziehungskompetenz bestärken können. Darüber hinaus können<br />

diese z. B. auf die Strukturen fremder Sprachen eingehen,<br />

praktische Tipps geben, und sie haben selbstverständlich weniger<br />

Schwierigkeiten mit kulturellen und sprachlichen Verständigungsproblemen<br />

als deutsche Mitarbeiter. 33<br />

„Einstein in der Kindertageseinrichtung“ und der<br />

Fohlenpass<br />

Das Modellprojekt „Einstein in der Kindertageseinrichtung“ hat<br />

zum Ziel, die angeborene kindliche Neugierde im kreativen und<br />

im naturwissenschaftlich-technischen Bereich zu nutzen, um<br />

vorhandene Fähigkeiten der Kinder zu stärken. Es soll nach und<br />

nach auf alle Stuttgarter Kindereinrichtungen übertragen werden.<br />

Der aus dem Ansatz entstandene Fohlenpass ist ein Buch,<br />

das Entwicklungen im Vorschulbereich dokumentiert und<br />

Grundschullehrern als Informationsgrundlage beim Wechsel<br />

der Kinder vom Kindergarten zur Grundschule dienen soll.<br />

In der Folge der internationalen Bildungsstudien TIMSS (1997)<br />

und PISA (2000) hat die Stadt Stuttgart im Jahr 2001 beschlossen,<br />

ihre Kindertageseinrichtungen weiterzuentwickeln. Das<br />

Handlungskonzept für „Einstein in der Kindertageseinrichtung“<br />

stammt vom Institut für angewandte Sozialisationsforschung<br />

„Infans“ in Berlin. Der hohe Anteil an Familien mit Migrationshintergrund<br />

in Stuttgart wird durch Auswahl der beteiligten<br />

Einrichtungen mehrheitlich widergespiegelt.<br />

33 Frau Angelika Friedrich, Abteilung Qualität und Qualifizierung beim Jugendamt Stuttgart.<br />

34 Landeshauptstadt Stuttgart, Jugendamt (Hg.) (2005): Einstein in der Kindertageseinrichtung. Stuttgart.<br />

64<br />

„Jedes Kind bringt eine göttliche Neugier mit […], die so oft<br />

frühzeitig verkümmert.“ 34 Dieser Ausspruch des in Ulm geborenen<br />

Albert Einstein bildet den Leitsatz des neuen pädagogischen<br />

Handelns in Stuttgarter Kindertageseinrichtungen. Der<br />

Wissenserwerb durch die angeborene Neugier von Kindern<br />

steht so im Vordergrund von acht sogenannten „Laborkitas“ mit<br />

rund 700 Kindern. Die teilnehmenden Kindertagesstätten unterscheiden<br />

sich neben dem pädagogischen Konzept auch in der<br />

Ausstattung und Aufteilung von herkömmlichen Einrichtungen:<br />

Es gibt verschiedene Bereiche mit unterschiedlichen Funktionen,<br />

in denen Kinder viele Möglichkeiten für kreative und forschende<br />

Tätigkeiten finden. Statt der üblichen Gruppenräume<br />

gibt es beispielsweise Naturlabors, Bewegungsbaustellen, Ruhebereiche,<br />

Musikzimmer, Kunstateliers, Vorlese-Sofas und Bücherecken<br />

sowie Konstruktionsräume. Es finden sich in den Einrichtungen<br />

eher Naturmaterialien, Baustoffe, Forschungsmaterialien<br />

und Fachbücher als normales Spielzeug. Darüber hinaus<br />

ist die Förderung eines gesunden Ernährungs- und Körperbewusstseins<br />

Teil des erzieherischen Konzepts. Mehrsprachigkeit<br />

wird als grundsätzliche Entwicklungschance der Kinder betrachtet<br />

und in den Einrichtungen gefördert. In Einrichtungen<br />

mit mehr als 60 Prozent von Kindern mit Migrationshintergrund<br />

wird der Ansatz „Einstein in der Kindertageseinrichtung“<br />

mit der ganzheitlichen Sprachförderung (s. o.) verzahnt.


Das Verhalten und die Lernerfolge der Kinder werden durch die<br />

Erzieher/innen sorgsam dokumentiert. Auf der Basis der Beobachtungen<br />

und Analysen wird für jedes Kind ein individueller<br />

Bildungsplan erstellt, um die Entwicklung der Kinder optimal<br />

unterstützen zu können. Damit Kinder ihre Schwächen in<br />

einem Entwicklungsbereich abbauen können, wird dieser gezielt<br />

mit Aktivitäten verknüpft, in denen das Kind stark ist. Beispielsweise<br />

fördern Bewegungsaktivitäten in Verbindung mit<br />

Sprache und Musik sportliche Kinder, die Schwächen im<br />

Sprachbereich haben. Das „Voneinander lernen“ in Teamsituationen<br />

steht dabei im Vordergrund, indem Kinder mit Schwächen<br />

beim gemeinsamen Spielen oder Lösen von Aufgaben von<br />

den Fähigkeiten anderer lernen.<br />

Die intensive Förderung der Kinder in allen Bereichen verlangt<br />

hohes Engagement der Erzieher/innen. Sie müssen sich immer<br />

wieder selbst neuen Sachgebieten öffnen und sich ihrer eigenen<br />

Stärken und Schwächen, Interessen und Abneigungen bewusst<br />

sein. Gleichwohl bildet sich im Arbeitsprozess durch die hohen<br />

Anforderungen eine vergleichsweise starke Spezialisierung und<br />

Arbeitsteilung zwischen den Erziehern heraus. Erziehungsziele<br />

werden in den Einrichtungen selbst durch einen internen Diskussionsprozess<br />

formuliert. An der Erarbeitung des pädagogischen<br />

Konzepts der Einrichtung wird ebenfalls ein eingerichteter<br />

Elternbeirat beteiligt. Erziehungsziele und -schritte werden<br />

zwischen Eltern und Einrichtung abgestimmt. Neben spontanen<br />

Elterngesprächen finden jährlich mindestens zwei ausführliche<br />

Gespräche mit den Eltern statt, bei denen die Erzieher den<br />

Eltern ihre Beobachtungen und Analysen und die laufenden<br />

bzw. geplanten Fördermaßnahmen erläutern. Diese werden für<br />

jedes Kind in einem Entwicklungsbuch dokumentiert, und auch<br />

Beobachtungen, Einschätzungen und Vorstellungen der Eltern<br />

können dort zusätzlich festgehalten werden (siehe Stadt Stuttgart<br />

2005). 35 Nach dem Kindergartenbesuch geht das Buch in<br />

das Eigentum der Eltern über und kann so auch beim weiteren<br />

Bildungsweg der Kinder genutzt werden.<br />

Das Modellprojekt wurde im Oktober 2005 beim Wettbewerb<br />

„Alle Talente fördern“ für den innovativen Ansatz zur Förderung<br />

sprachlicher und naturwissenschaftlicher Fähigkeiten ausgezeichnet.<br />

Die Idee des Entwicklungsbuchs der Einstein-Kindergärten wurde<br />

im sogenannten Fohlenpass aufgenommen, der zum 1. September<br />

2006 in der Landeshauptstadt Stuttgart eingeführt wurde.<br />

Der Fohlenpass ist eine Reaktion der Stadt Stuttgart auf<br />

einen Einschulungsfragebogen, der von der Landesregierung<br />

landesweit eingeführt werden soll. Die Stuttgarter Stadtspitze<br />

lehnt den Einschulungsfragebogen des Landes ab, u. a. weil dieser<br />

ausgrenze, statt zu ermutigen. Im Fohlenpass wird kontinuierlich<br />

die emotionale, soziale, sprachliche, musische und motorische<br />

Entwicklung von Kindergartenkindern dokumentiert. Zusätzlich<br />

werden ärztliche Untersuchungen dort festgehalten.<br />

Auch die Eltern sowie der Kooperationslehrer der Grundschule<br />

35 Stadt Stuttgart/Referat Soziales, Jugend, Gesundheit (2005): Einstein in der Kindertageseinrichtung/Von der Betreuungseinrichtung zur Bildungseinrichtung. Stuttgart.<br />

65


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

können eigene Eindrücke von dem Kind dort notieren. Der Pass<br />

soll den Grundschulen als Orientierung dienen, v. a. weil er den<br />

Blick auf die Stärken des Kindes legt (siehe Stuttgarter Zeitung<br />

2006). 36<br />

„Einstein in der Grundschule“ ist ein sehr ambitioniertes Projekt,<br />

das Kindern in einer wichtigen Entwicklungsphase eine<br />

anregungsreiche Umgebung bietet. Der Ansatz hilft Kindern<br />

aus sogenannten bildungsfernen Haushalten, indem versucht<br />

wird, individuelle Schwächen mithilfe der vorhandenen Neugier<br />

und eigener Stärken zu fördern. Der Fohlenpass kann Erziehern,<br />

Lehrern und Eltern helfen, Entwicklungspotenziale und<br />

-defizite zu erkennen und <strong>–</strong> darauf aufbauend <strong>–</strong> individuelle<br />

Förderangebote für eine erfolgreiche Bildungskarriere zu entwickeln.<br />

66<br />

Wie kommt Lisa nach Pisa? <strong>–</strong> Förderung von Bewegung<br />

und Lernen<br />

Über Spielen und Bewegung sammeln Kinder Erfahrungen, die<br />

weit über die körperlich motorischen Fähigkeiten hinausgehen.<br />

Die gleichzeitige Förderung von Bewegung und Lernen hat das<br />

Projekt: „Wie kommt Lisa nach Pisa?“ zum Ziel, das seit dem<br />

Jahr 2003 in Stuttgarter Kindertageseinrichtungen durchgeführt<br />

wird. Initiator ist das Forum Gesunde Stadt e.V. Dem Projekt<br />

liegt die Erkenntnis zugrunde, dass bei Kindern Lernstörungen,<br />

Konzentrationsschwächen oder Stimmungsschwankungen<br />

oft mit physischen Entwicklungsverzögerungen einhergehen,<br />

die nicht selten durch Bewegungsmangel verursacht sind.<br />

Das Ziel der an dem Projekt teilnehmenden Einrichtungen ist es<br />

demnach, Bewegungsförderung stärker in den Kinderalltag zu<br />

integrieren und beispielsweise Sprach- oder Sozialentwicklung<br />

damit zu verbinden. Dieses soll ausdrücklich nicht über zusätzliche<br />

Personal- oder Sachressourcen erfolgen, sondern v. a. über<br />

die Fortbildung der Erzieher/innen erreicht werden. Dies geschieht<br />

z. B., indem Hintergrundwissen zur körperlichen und<br />

seelischen Entwicklung der Kinder, zur Gestaltung von bewegungsfreundlichen<br />

Spielräumen oder zur Psychomotorik vermittelt<br />

wird. Die Mitarbeiter/innen der Kindertagesstätten sollen<br />

so für das Thema Bewegungsförderung sensibilisiert werden.<br />

Unter dem Leitbild „Kennen <strong>–</strong> Verstehen <strong>–</strong> Anwenden“<br />

wird ein Theorie-Praxis-Bezug hergestellt, der Bewegungsaktivitäten<br />

in einem ganzheitlichen Rahmen darstellt.<br />

36 Stuttgarter Zeitung (2006): Stadt Stuttgart schlägt als Alternative Fohlenpass für<br />

Vorschulkinder vor <strong>–</strong> Kritik im Jugendhilfeausschuss am Vorgehen der Stadt.<br />

Stuttgart 25.04.2006.


In der täglichen Praxis der Erzieher/innen wird vom Grundgedanken<br />

des Lernens als eines Ergebnisses des Zusammenspiels<br />

aller Sinne ausgegangen (siehe Forum Gesunde Stadt Stuttgart<br />

2004). Die Bewegungsförderung beginnt deshalb bei der Förderung<br />

der drei sensorischen Grundsysteme (Berührungen, Tiefenwahrnehmung,<br />

Gleichgewichtsempfindungen), um entsprechende<br />

Sinnesanregungen für Bewegung zu gewährleisten. So<br />

können Impulse für Material-, Körper- und Sozialerfahrung an<br />

die Kinder gegeben werden. Zudem ergeben sich aus den Methoden<br />

der Psychomotorik weitere Möglichkeiten der Bewegungsförderung.<br />

Dabei wird von der Einheit von Psyche und<br />

Motorik ausgegangen, indem sich einerseits motorische Einschränkungen<br />

auf das Selbstbewusstsein auswirken und sich<br />

andererseits ein Selbstverständnis oder eine Stimmung auch an<br />

der Körperhaltung oder an den Bewegungen ablesen lässt. Mit<br />

den Methoden der Psychomotorik soll den Kindern die Kompetenz<br />

vermittelt werden, sich mit sich selbst und ihrer materiellen<br />

und sozialen Umwelt auseinanderzusetzen. Die Erzieher/innen<br />

werden überdies auch in der Bewegungsbeobachtung geschult.<br />

Dabei steht die Vermittlung von Kenntnissen der Wahrnehmung<br />

und im Umgang mit Auffälligkeiten im motorischen<br />

Bereich im Vordergrund. Sprachförderung und Sprachentwick-<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

lung wird in einen engen Zusammenhang mit Bewegung gesetzt,<br />

indem beispielsweise mit Raum-Lage-Spielen der Umgang<br />

mit Begriffen wie „oben“, „unten“, „vor“ oder „hinter“ eingeübt<br />

wird. Genauso werden Grundsätze für ein bewegungsfreundliches<br />

Umfeld vermittelt, sodass die pädagogischen Konzepte der<br />

Einrichtungen mit der Gestaltung der Räumlichkeiten abgestimmt<br />

werden können.<br />

In Stuttgart konnten bisher mehr als 10 Einrichtungen vom Projektansatz<br />

„Wie kommt Lisa nach Pisa?“ profitieren. Eine Ausweitung<br />

des Ansatzes auf weitere Einrichtungen ist für die<br />

nächsten Jahre geplant. Hier wird versucht, dauerhafte Kooperationen<br />

zwischen Kindertageseinrichtungen und benachbarten<br />

Sportvereinen herzustellen.<br />

67


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Stadtporträt <strong>–</strong> Wuppertal<br />

Quelle: Eigene Berechnungen.<br />

5.3 Wuppertal <strong>–</strong> Schrumpfende homogene<br />

Städte in Westdeutschland mit Tendenz zur<br />

Überalterung<br />

Clusterzugehörigkeit der Stadt Wuppertal<br />

Als besonderes Kennzeichen für den Cluster 6 wurde in der<br />

Clusterbeschreibung die Überalterung angeführt. Für Wuppertal<br />

als Repräsentant des Clusters kommt die Tendenz zur Überalterung<br />

nicht nur in den negativen Werten der Merkmale zur<br />

Bevölkerungsentwicklung und zum hohen Anteil der über 60-Jäh-<br />

68<br />

Bevölkerung und Bevölkerungsentwicklung: Wirtschaftskraft und wirtschaftliche Entwicklung:<br />

Bevölkerung am Hauptwohnsitz 2003: 358.384 verfügbares Einkommen pro Einwohner 2002/2003: 18.558 Euro<br />

Bevölkerungsveränderung 1999 bis 2003: <strong>–</strong> 1,9 % Steuern und steuerähnliche Einnahmen je Einw. 2001: 755 Euro<br />

Wanderungssaldo 2002 je 10.000 Einwohner: <strong>–</strong> 13 Steuern und steuerähnliche Einnahmen je Einw. 2003: 780 Euro<br />

Geborene je 10.000 Einwohner 2003: 84,3 Beschäftigtenentwicklung 1997<strong>–</strong>2002: <strong>–</strong> 4,2 %<br />

Anteil der nicht deutschen Einwohner 2003: 13,6 % Arbeitslosenquote 2003: 10,9 %<br />

Anteil der über 60-Jährigen an der Anteil der Langzeitarbeitslosen an<br />

Bevölkerung am Hauptwohnsitz 2003: 26,4 % allen Arbeitslosen 2002/2003: 37,0 %<br />

Segregationsdimensionen:<br />

Abweichung <strong>–</strong> Faktor „Urbanes Wohnen” 0,54 Mittelwert <strong>–</strong> Faktor „Urbanes Wohnen” <strong>–</strong> 0,36<br />

Abweichung <strong>–</strong> Familienfaktor 0,61 Mittelwert <strong>–</strong> Familienfaktor 0,45<br />

Abweichung <strong>–</strong> Faktor „Ältere und Etablierte” 0,84 Mittelwert <strong>–</strong> Faktor „Ältere und Etablierte” 0,12<br />

rigen in der Stadt zum Ausdruck, sondern spiegelt sich auch in<br />

einem überdurchschnittlichen Mittelwert und einer hohen<br />

Bedeutung der Segregationsdimension „Ältere und Etablierte“<br />

wider. Vergleichbar hohe Werte in dieser Dimension finden sich<br />

u. a. auch in den ostdeutschen Städten mit ausgeprägten soziodemographischen<br />

Problemlagen. Diese Werte sind ein Hinweis<br />

darauf, dass sich die Alterung der Bevölkerung bereits in den<br />

innerstädtischen Strukturen bemerkbar macht und darüber hinaus<br />

zwischen den Stadtteilen große demographische Disparitäten<br />

bestehen.


Die Alterung betrifft dabei besonders die deutsche Bevölkerung,<br />

die auch entsprechend segregiert innerhalb der Stadt lebt. In<br />

Wuppertal gibt es in 14 von 68 Stadtquartieren einen Anteil der<br />

über 60-Jährigen von über 30 Prozent. In Stadtquartieren wie<br />

Beek, Ehrenberg, Uellendahl-West oder Eckbusch ist etwa jeder<br />

dritte Einwohner älter als 60 Jahre, und zugleich wohnen in diesen<br />

Stadtquartieren vergleichsweise wenige nicht deutsche Einwohner.<br />

Den Gegenpol bildet das Quartier Arrenberg: Hier ist<br />

jeder dritte Einwohner ein Ausländer, aber lediglich 16 Prozent<br />

der Einwohner sind über 60 Jahre alt. Es zeigt sich, dass die<br />

Überalterungstendenzen innerhalb der Stadt nicht zu einer<br />

höheren Armutsbetroffenheit für die wachsende ältere Bevölkerung<br />

und damit für Stadtquartiere mit hohen Anteilen älterer<br />

Menschen führen.<br />

Vielmehr gibt es einen negativen Zusammenhang zwischen<br />

dem Anteil der über 60-Jährigen in den Stadtquartieren und der<br />

Sozialhilfebetroffenheit: Je höher der Anteil älterer Einwohner<br />

in einem Stadtquartier, umso seltener findet sich eine hohe Armutsrate.<br />

Soziale Problemlagen in Stadtquartieren mit einer<br />

hohen Überalterung entstehen in Wuppertal insofern eher selten<br />

durch prekäre Einkommensverhältnisse. Inwiefern sich u. U.<br />

andere soziale Problemlagen, zum Beispiel durch fehlende (jüngere)<br />

informelle Unterstützungspotenziale, in Quartieren mit<br />

solch homogen älteren Bevölkerungsgruppen ergeben, kann<br />

hier nicht weiter untersucht werden.<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Armutslagen und Arbeitslosigkeit, gemessen über die Sozialhilfebetroffenheit<br />

der Bevölkerung, korrelieren in Wuppertal<br />

ganz ähnlich wie in anderen Clustern mit ethnischen Segregationstendenzen<br />

und etwas weniger deutlich mit der Familienprägung<br />

der Stadtquartiere. Dabei zeigt sich in Wuppertal eine<br />

Konzentration von sozialen Problemlagen entlang einer Ost-<br />

West-Achse, die im Wesentlichen der im Tal verlaufenden<br />

Wupper folgt und die Innenstadt durchquert. Die Anteile der<br />

Sozialhilfeempfänger je 100 der Bevölkerung schwankten dabei<br />

2003 zwischen den Stadtregionen von 0,2 bis 14,1. Ein nicht unwesentlicher<br />

Anteil von zehn Stadtquartieren mit Anteilswerten<br />

unter einem Prozent, die in den äußeren Stadtrandlagen im Norden<br />

und im Süden zu finden sind, verweist auf eine ausgeprägte<br />

Abschottung der weniger sozial belasteten Gebiete gegenüber<br />

den Stadtregionen mit hohen Armutsbelastungen.<br />

Die Konzentration sozialer Problemlagen in den Quartieren des<br />

Ost-West-Gürtels geht mit einer hohen Konzentration nicht deutscher<br />

Einwohner einher, deren Anteil sich in den letzten Jahren<br />

noch erhöht hat (siehe ILS/ZEFIR 2003: 57 ff.). Die Korrelation<br />

zwischen den Anteilen der Nichtdeutschen und den Anteilen der<br />

Sozialhilfebeziehenden erreicht für die Wuppertaler Quartiere<br />

einen Wert von 0,904 und ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig)<br />

signifikant. Je höher also der Anteil der nicht deutschen Einwohner,<br />

umso höher ist die Armut und umgekehrt (26). Die<br />

stärkste Gruppe der nicht deutschen Bevölkerung in Wuppertal<br />

<strong>–</strong> im Jahr 2002 waren es 28 Prozent aller Ausländer <strong>–</strong> sind<br />

69


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Türken. Türkische Einwohner leben vorwiegend in den innerstädtischen<br />

Quartieren Nordstadt und Arrenberg sowie besonders<br />

häufig in Ostersbaum und Nützenberg (siehe ebenda: 57).<br />

Mit Ausnahme von Nützenberg sind es gerade diese Stadtquartiere,<br />

die besonders stark von Armut betroffen sind. Die genannten<br />

Stadtteile mit hohen Anteilen nicht deutscher Bevölkerung<br />

sind darüber hinaus besonders häufig auch die Stadtteile mit<br />

den höchsten Anteilen an unter 18-Jährigen an der Bevölkerung.<br />

Der Zusammenhang zwischen der Sozialhilfebetroffenheit und<br />

der Familienprägung der Stadtquartiere ist zwar nicht so deutlich<br />

ausgeprägt wie die Kumulation von ethnischer und Armutssegregation,<br />

dennoch lässt sich dieser Zusammenhang erkennen.<br />

Armut betrifft demnach in Wuppertal besonders Kinder<br />

nicht deutscher Familien.<br />

Eine etwas andere Situation zeigt sich für das Stadtquartier<br />

Höhe. Hier findet sich ein eher durchschnittlicher Anteil der<br />

nicht deutschen Bevölkerung, aber eine hohe Familienprägung<br />

70<br />

des Stadtquartiers. Bereits in einer Analyse aus dem Jahr 2003<br />

ergab sich für dieses Wuppertaler Stadtquartier eine problematische<br />

Entwicklungstendenz und eine zunehmende Problemakkumulation,<br />

die sich für 2003 fortgesetzt hat. Das Quartier hat<br />

seit einigen Jahren den höchsten Anteil und deutlichsten Anstieg<br />

an Sozialhilfebeziehenden innerhalb Wuppertals. Zugleich<br />

findet sich in diesem Stadtquartier der höchste Anteil an Kindern<br />

und Jugendlichen, also eine sehr starke Familienprägung,<br />

aber mit überwiegend deutscher Bevölkerung. Von sozialen Problemen<br />

und Armut sind demnach nicht nur ausländische Familien<br />

betroffen und auch deutsche arme Familien leben innerhalb<br />

Wuppertals stark segregiert (siehe ebenda: 59).<br />

Die sozialen Problemlagen in den Wuppertaler Stadtquartieren<br />

ergeben sich nicht zuletzt durch eine im gesamten <strong>Ruhr</strong>gebiet<br />

schlechte Arbeitsmarktlage. Die Arbeitslosenanteile an der Bevölkerung<br />

der einzelnen Stadtquartiere folgen dabei in der Tendenz<br />

der Rangfolge der Anteile der Sozialhilfeempfänger, wobei<br />

in Stadtteilen mit geringen Sozialhilfedichten der Anteil der Arbeitslosen<br />

über den Sozialhilfeanteilen liegt. Ab einem Niveau<br />

von vier Sozialhilfebetroffenen je 100 der Bevölkerung in den<br />

Stadtquartieren liegen die Anteile der Arbeitslosen über den Armutsquoten<br />

und nehmen stärker zu als die Sozialhilfedichten.


Gesamtstädtische Strategien<br />

Die Stadt Wuppertal verfolgt seit dem Jahr 1998 im Stadtteil<br />

Ostersbaum einen durch das Handlungsprogramm des Landes<br />

NRW „Die Soziale Stadt NRW“ und seit 1999 durch das Bund-<br />

Länder-Programm „Die Soziale Stadt“ geförderten integrierten<br />

Erneuerungsansatz. Die guten Erfahrungen mit dem integrierten<br />

Handlungsansatz und drängende Probleme auch in anderen<br />

Wuppertaler Quartieren bewogen die Stadt im Jahr 2001, den<br />

Ansatz auszuweiten. Auf der Grundlage einer im gleichen Jahr<br />

erstellten Segregationsanalyse wurde das Konzept „Integrierte<br />

Stadtentwicklung in Wuppertal“ beschlossen, in der die Ausdehnung<br />

des Ansatzes auf weitere Quartiere zur Prüfung empfohlen<br />

wurde. Noch im Jahre 2001 wurde im Stadtteil Oberbarmen/Wichlinghausen<br />

ein Quartiersmanagement aus den Personalressourcen<br />

des Geschäftsbereiches Soziales eingerichtet.<br />

Eine ausreichende Finanzierung für Projekte und Maßnahmen<br />

im Quartier fand aber angesichts des Haushaltssicherungskonzepts<br />

im Rat der Stadt keine Mehrheit, sodass den Projektmanagern<br />

für Stadtteilarbeit maßgeblich eine koordinierende<br />

Rolle zukommt. Neben den Stadtteilen Ostersbaum und Oberbarmen/Wichlinghausen<br />

wurde inzwischen für drei weitere<br />

Stadtteile in der Talachse eine besondere Handlungspriorität beschlossen,<br />

um vorhandene kommunale Ressourcen vor allem in<br />

diesen benachteiligten Quartieren zu bündeln: Unterbarmen,<br />

Elberfelder Nordstadt und Arrenberg. Die Quartiersentwicklung<br />

in diesen Stadtteilen wird seit dem Jahr 2005 zudem mit<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Fördermitteln aus dem Bund-Länder-Programm Stadtumbau<br />

West unterstützt. Ziel ist die Aufwertung und der Umbau der<br />

„gründerzeitlichen Quartiere entlang der Talachse“. Diese Quartiere<br />

sind die am stärksten verdichteten Bereiche in Wuppertal<br />

und fallen durch hohe Anteile von nicht deutscher Bevölkerung,<br />

Sozialhilfeempfängern und Beziehern von Arbeitslosengeld auf.<br />

Es sind zudem die jüngsten Stadtteile Wuppertals, d. h. ein<br />

Großteil der Wuppertaler Kinder und Jugendlichen wächst in<br />

diesen Vierteln auf.<br />

In allen fünf Stadtteilen sind im März 2005 Sanierungssatzungen<br />

in Kraft getreten, durch die günstige Abschreibungsmöglichkeiten<br />

für Investitionen in den Gebieten gelten (siehe<br />

www.wuppertal.de). Die Finanzierung des kommunalen Eigenanteils<br />

der Fördermittel wird z. T. durch Private (Wohnungsunternehmen)<br />

getragen. Weitere integrierte Handlungskonzepte<br />

für Unterbarmen, die Elberfelder Nordstadt und Arrenberg<br />

werden zurzeit von der Wuppertaler Verwaltung erarbeitet.<br />

Arrenberg ist außerdem einer von fünf Modellstadtteilen des<br />

ExWost-Modellvorhabens „Stadtquartiere im Umbruch“. 37 Vor<br />

dem Hintergrund des demographischen Wandels soll im<br />

37 Ein Forschungsprojekt des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) und des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR), das auch<br />

investive Maßnahmen vorsieht.<br />

71


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Stadtteil eine zukunftsfähige Infrastruktur geschaffen werden.<br />

Einerseits soll eine Nutzungsmischung von Wohnen, Versorgung<br />

und Arbeiten hergestellt werden, andererseits soll die bestehende<br />

Infrastruktur den veränderten Bedürfnissen der Bevölkerung<br />

angepasst werden.<br />

Die Projektmanager für Stadtteilarbeit sind in Wuppertal dem<br />

Ressort für „Kinder, Jugend und Familie“ zugeordnet. Mit Ausnahme<br />

des Stadtteils Wuppertal-Ostersbaum38 werden Stadtteilbeauftragte<br />

aus dem Personalpool des jeweiligen Bezirkssozialdienstes<br />

gestellt. Damit verbunden ist eine enge Verzahnung<br />

mit den sozialraumorientierten Angeboten der insgesamt sieben<br />

Bezirkssozialdienste. Die Dienste der Sozial- und Jugendhilfe<br />

werden an zehn dezentralen Standorten angeboten. Aufgrund<br />

der Zuordnung zum Sozialdezernat der Stadt Wuppertal<br />

hat die Quartiersentwicklung in Wuppertal einen Handlungsschwerpunkt<br />

bei sozialen Maßnahmen. Unterstützungs- und<br />

Entlastungsangebote für Familien zu schaffen steht daher im<br />

Zentrum der Aufgaben der Stadtteilbeauftragten in Wuppertal.<br />

Die Begleitung städtebaulicher Prozesse wird eher als flankierende<br />

Aufgabe angesehen (siehe Fischer 2005). 39 Besondere<br />

finanzielle Mittel stehen den Quartiersbeauftragten dabei nicht<br />

zur Verfügung. Projekte und Maßnahmen werden aus dem allgemeinen<br />

Budget des Sozialdezernats finanziert. In einigen der<br />

fünf Stadtteile existieren zudem Stadtteilkonferenzen, Stadtteilforen<br />

und Bürgervereine, die die Entwicklung der Stadtteile begleiten.<br />

72<br />

Im Jahr 2002 wurde ein neues Verwaltungsressort für Zuwanderung<br />

und Integration geschaffen, das einerseits eine beratende<br />

Funktion für Menschen mit Migrationshintergrund innehat,<br />

aber auch andererseits die Aufgabe hat, eine kommunale Integrationspolitik<br />

und eine interkulturelle Stadtentwicklungspolitik<br />

zu entwickeln. Dabei wurden u. a. auch Erfahrungen und<br />

Mitarbeiter/innen aus dem Modellprojekt „Sozialkulturelles<br />

Stadtteilmanagement“ in die Verwaltungspraxis übernommen.<br />

Zudem ist es für die Umsetzung der im Jahr 2001 durch den<br />

Landtag NRW beschlossene „Integrationsoffensive NRW“ federführend<br />

zuständig. Ziel der in den Anfängen stehenden kommunalen<br />

Integrationsoffensive ist die Förderung und Gestaltung<br />

des Zusammenlebens von Angehörigen unterschiedlicher Nationen<br />

in der Stadt. Gemeinsam mit Migrantenselbstorganisationen,<br />

Wohlfahrtsverbänden und Vereinen werden dabei<br />

Sprachkurse, Beratungsangebote oder kulturelle Veranstaltungen<br />

gefördert. Schwerpunktmäßig kommt dem Referat für<br />

38 In Wuppertal Ostersbaum werden die Quartiersmanager/innen über das Bund Länderprogramm „Die Soziale Stadt“ bzw. über das Handlungsprogramm der<br />

Landesregierung „Soziale Stadt NRW“ finanziert.<br />

39 Vgl. Fischer, Ulrich: Stadtteilinformation zum Quartier Arrenberg mit dem Bezirk Vogelsaue, 2005, S. 20.


Zuwanderung und Integration eine koordinierende und vernetzende<br />

Rolle zu. Allerdings steht auch ein Budget für Sprachkurse<br />

in benachteiligten Quartieren zur Verfügung.<br />

Eine weitere wichtige Bedeutung für die Stadtentwicklung<br />

kommt der Beteiligung der Stadt Wuppertal gemeinsam mit<br />

Remscheid und Solingen an der Regionalen 2006 „Bergisches<br />

Städtedreieck“ zu. Gefördert durch Landesmittel, werden gezielt<br />

Maßnahmen der Stadterneuerung und Wirtschaftsförderung<br />

durchgeführt. Zudem wird die interkommunale Kooperation mit<br />

den Nachbarstädten intensiviert, was sich in Abstimmungsprozessen<br />

von stadtentwicklungspolitischen Strategien, aber auch<br />

gemeinsamen Projekten (wie z. B. dem Brückenpark) äußert<br />

(siehe Stadterneuerungsprogramm NRW 2005). Zudem sollen<br />

Infrastrukturen wie die Feuerwehr oder die Volkshochschule in<br />

Zukunft gemeinsam betrieben werden.<br />

Familienpolitik<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Die Stadt Wuppertal hat im Jahr 2005 die Verbesserung der<br />

Lage der Familien als ein zentrales Ziel der Stadtentwicklungspolitik<br />

definiert. Die Familienpolitik wird dabei als Querschnittsaufgabe<br />

der verschiedenen Dezernate und Ämter der<br />

Stadtverwaltung angesehen. Wesentliche Ziele bestehen dabei<br />

einerseits in der Bekanntmachung und Vernetzung bestehender<br />

Angebote und Unterstützungsleistungen für Kinder, Jugendliche<br />

und Familien. Andererseits sollen fehlende oder nicht ausreichende<br />

Angebote im Rahmen der Möglichkeiten ergänzt werden<br />

bzw. durch verstärkte Koordination aufeinander abgestimmt<br />

werden. Die ersten Schritte der Wuppertaler Familienpolitik<br />

sind die Erstellung und Beschließung von Leitlinien für<br />

ein kinder-, jugend- und familienfreundliches Wuppertal, der<br />

Aufbau eines Internetangebotes für Familien sowie regelmäßige<br />

Veröffentlichung von Informationen über Einrichtungen, Vergünstigungen<br />

oder Veranstaltungen für Familien.<br />

Die „Leitlinien für ein kinder-, jugend- und familienfreundliches<br />

Wuppertal“ bilden insgesamt 16 Maßstäbe zu den Bereichen<br />

Stadtentwicklung, Wohnen, Bildung und Betreuung. Spezifizierungen<br />

der Leitlinien im Hinblick auf benachteiligte Kinder,<br />

Jugendliche und Familien werden nicht vorgenommen, sie sind<br />

insofern als Leitlinien für eine allgemeine familienfreundliche<br />

Gestaltung der Stadt zu verstehen. Lediglich die geplante Spielraum-<br />

und Freiflächenplanung in den „gründerzeitlichen Quar-<br />

73


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

tieren entlang der Talachse“, die aufgrund ihrer Bewohnerstruktur<br />

und baulichen Situation einen Entwicklungsbedarf haben,<br />

deutet auf ein besonderes Angebot für benachteiligte Bevölkerungsgruppen<br />

hin. Aktuell ist die Stadt Wuppertal dabei, die<br />

Leitlinien für ein kinder-, jugend- und familienfreundliches<br />

Wuppertal zu aktualisieren.<br />

Projekte und Einzelansätze<br />

Handlungskonzept zur Weiterentwicklung der präventiven<br />

Kinder- und Jugendhilfe im Stadtteil Ostersbaum<br />

Seit dem Jahr 1997 wird im Stadtteil Wuppertal-Ostersbaum das<br />

durch den Rat der Stadt Wuppertal verabschiedete integrierte<br />

Handlungskonzept im Rahmen des Handlungsprogramms der<br />

Landesregierung „Die Soziale Stadt NRW“ umgesetzt. Aufgrund<br />

der besonderen Struktur der Stadtteilbevölkerung (Ostersbaum<br />

ist einer der jüngsten Stadtteile Wuppertals) und der Verantwortlichkeit<br />

des Sozialdezernats für die Umsetzung des Konzepts<br />

bilden soziale Angebote besonders für Kinder, Jugendliche<br />

und Familien von Beginn an einen Schwerpunkt der Arbeit<br />

des Quartiersmanagements. Die Ziele der Kinder- und Jugendarbeit<br />

wurden seit dem Start des Quartiersmanagements besonders<br />

in der im Jahr 1999 gegründeten Arbeitsgruppe „Kinder<br />

und Jugendliche“ kontinuierlich weiterentwickelt. Unter Federführung<br />

des Quartiersmanagements wurden darin in den letz-<br />

74<br />

ten Jahren vielfältige Belange der Kinder- und Jugendarbeit diskutiert<br />

und bearbeitet. Die Ergebnisse dieser Diskussionen sind<br />

in die Fortschreibung des integrierten Stadtteilentwicklungskonzepts<br />

eingeflossen. Das Handlungskonzept zur Weiterentwicklung<br />

der präventiven Kinder- und Jugendhilfe bildet dabei<br />

ein ergänzendes Konzept, was die stadtteilbezogenen Angebote<br />

und Maßnahmen stärker bündeln und abstimmen soll. Es<br />

wurde gemeinsam durch das Quartiersmanagement und den<br />

städtischen Bezirkssozialdienst Ende 2004 erstellt.<br />

Für das Handlungskonzept wurden vorliegende Analysen, Diskussionsergebnisse,<br />

Beschlüsse und Projekte im Bereich der<br />

präventiven Kinder- und Jugendhilfe ausgewertet und daraus<br />

Handlungsempfehlungen für verschiedene Akteure abgeleitet.<br />

Zudem wurden Entwicklungsziele für Kinder und Jugendliche<br />

und ihre Familien im Stadtteil aus dem Kinder- und Jugendhilfegesetz,<br />

gesamtstädtischen Zielen und stadtteilbezogenen Zielen<br />

abgeleitet. Die Entwicklungsziele für Kinder und Jugendliche<br />

und ihre Familien sind:<br />

• die Verbesserung der motorischen Kompetenz<br />

• die Sicherung der gesundheitlichen und psycho-sozialen Versorgung<br />

sowie einer gesunden Ernährung<br />

• die Stärkung der Identifikation mit dem Stadtteil<br />

• die Auflösung des Zusammenhangs von sozialer Benachteiligung<br />

und Bildungsbenachteiligung<br />

• die Verbesserung der Bildungsbedingungen in den Bereichen<br />

sprachliche und berufliche Entwicklung


• die Sicherung qualitativ hochwertiger Betreuung der Schulkinder.<br />

Durch das Handlungskonzept werden Arbeitsschwerpunkte<br />

zum einen in den Bereichen der Gesundheitsförderung und<br />

Kinderbetreuung und zum anderen im Bereich der Sprachförderung<br />

festgelegt. Im Gesundheitsbereich werden Maßnahmen<br />

zur Bewegungsförderung bei Kindern und Jugendlichen besonders<br />

in Zusammenarbeit mit lokalen Schulen und (Sport-) Vereinen<br />

durchgeführt. Um eine gesunde Ernährung zu gewährleisten,<br />

wurden in Wuppertaler Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf<br />

Mittagstische und Kinderkantinen eingerichtet.<br />

Hinzu kommen außergewöhnliche Projekte, wie das Projekt<br />

„Essen zum Film“, das die evangelische Kirchengemeinde<br />

Ostersbaum in Kooperation mit dem Quartiersmanagement<br />

Ostersbaum durchführt. Ziel der Maßnahme ist es, Kindern aus<br />

dem Stadtteil den Einkauf und die Zubereitung von gesunden<br />

Speisen zu vermitteln. Die einmal im Monat stattfindenden<br />

Abendessen werden von einer Erzieherin mit den Kindern gemeinsam<br />

geplant und zubereitet. Nach dem Abendessen wird<br />

dann ein zum Essen thematisch passender Film angeschaut.<br />

Im Bereich der Sprachförderung werden zum einen Fortbildungen<br />

für Erzieherinnen finanziert. Zum anderen werden besondere<br />

Programme und Projekte zur Sicherung der sprachlichen<br />

Kompetenz in den Kindertagesstätten und Schulen durchgeführt.<br />

Die Abstimmung der Sprachförderung von den Kitas<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

bis hin zu den weiterführenden Schulen stellt dabei einen wichtigen<br />

Bestandteil dar. Dazu wurden Workshops durchgeführt<br />

und Arbeitsgruppen der vier Schulen u. a. auch mit dem städtischen<br />

Bezirkssozialdienst eingerichtet. Eine wichtige Forderung<br />

ist zudem die Verringerung der Gruppenstärke in Kitas mit<br />

hohem Migrantenanteil, um auf die erhöhten Betreuungsbedarfe<br />

sozialer Einrichtungen in benachteiligten Quartieren aufmerksam<br />

zu machen.<br />

Das Handlungskonzept zur Weiterentwicklung der präventiven<br />

Kinder- und Jugendhilfe im Stadtteil Ostersbaum ist ein strategisches<br />

Konzept des Quartiersmanagements Ostersbaum. Es dient<br />

nur teilweise zur Verdeutlichung von zusätzlichen Förderbedarfen<br />

im Stadtteil. In stärkerem Maße dient es der Koordinierung<br />

von vorhandenen Trägerstrukturen und zur Abstimmung von<br />

bestehenden Angeboten. Die sozialräumliche Ausrichtung von<br />

Stadterneuerung und Sozialplanung wird somit unterstrichen.<br />

Startpunkt e. V. Huppertsberg-Fabrik<br />

Die inzwischen denkmalgeschützte ehemalige Weberei Huppertsberg<br />

im Zentrum von Wuppertal-Ostersbaum ist eines der<br />

am stärksten prägenden Gebäude im Stadtteil. Die Umnutzung<br />

des Gebäudes ist eines der zentralen Ziele des integrierten<br />

Handlungskonzepts für den Stadtteil. Ende der 90er Jahre kristallisierte<br />

sich gemeinsam mit einer im Stadtteil ansässigen<br />

Filmproduktionsfirma die Idee heraus, die ehemaligen Fabrik-<br />

75


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

hallen in ein gewerbliches und kulturelles Stadtteilzentrum umzuwandeln.<br />

Dabei ist es eines der Ziele des Zentrums, die Berufsbilder<br />

im Bereich der neuen Medien (Film, Design, Kunst)<br />

an Jugendliche im Stadtteil zu vermitteln. Dazu werden Kooperationen<br />

mit lokalen Schulen eingegangen, Praktika angeboten<br />

und öffentlichkeitswirksame Projekte durchgeführt.<br />

Zur Umsetzung wurde im Dezember 2001 der Verein „Startpunkt“<br />

in Form eines eingetragenen gemeinnützigen Vereins<br />

gegründet. Zweck dieses Trägervereins ist die Förderung und<br />

Pflege der soziokulturellen Arbeit im Stadtteil Ostersbaum.<br />

Konkret bedeutet dies<br />

• die Durchführung, Unterstützung und Förderung von Qualifizierungsmaßnahmen,<br />

z. B. durch Betriebspraktika für Schüler<br />

und Studenten, Seminare, Workshops oder Arbeitsgemeinschaften<br />

vor allem in Bezug zu neuen Medien und neuen<br />

Medienberufen,<br />

• im kulturellen Bereich die Durchführung/Unterstützung von<br />

Kulturaktionen, Ausstellungen und Präsentationen,<br />

• die Zusammenarbeit mit (vor allem lokalen) sozialen Trägern,<br />

der Stadt Wuppertal und Einrichtungen der Stadt Wuppertal<br />

(besonders mit den Schulen und dem Quartiersmanagement)<br />

sowie die<br />

• aktive Denkmalpflege zum Schutz und zur Erhaltung des<br />

denkmalgeschützten „Fabrikgebäudes Huppertsberg“ als<br />

Zentrum und Ort der Begegnung des Stadtteils.<br />

76<br />

Zur Finanzierung der Umbaumaßnahmen wurden Städtebaufördermittel<br />

durch das nordrhein-westfälische Bauministerium<br />

bewilligt. Die Landesförderung wird durch vergünstigte Mieten<br />

an die Mieter (Künstler und gewerbliche Mieter vor allem im<br />

Medienbereich) weitergegeben. Diese verpflichten sich jeweils<br />

im Gegenzug dazu, im Umfang von 100 Stunden Stadtteilarbeit<br />

zu leisten. Diese Stadtteilarbeit kann beispielsweise durch praxisbezogene<br />

Unterrichtsprojekte in Kooperation mit der lokalen<br />

Gesamtschule oder durch eine Beteiligung an der Öffentlichkeitsarbeit<br />

des Stadtteilmanagements abgegolten werden. Bisherige<br />

Mieter der Huppertsberg-Fabrik sind u. a. eine Filmproduktionsfirma,<br />

zwei Architekturbüros, eine Werbeagentur, Fotographen,<br />

eine freie Schule für Musik und Tanz, verschiedene<br />

Künstler und Künstlerinnen, Rechtsanwälte, Therapeuten und<br />

das dem Wuppertal Institut angegliederte internationale Projekt<br />

„CSCP <strong>–</strong> Centre on Substainable Consumption and Production“.<br />

Die Huppertsberg-Fabrik entwickelt sich zu ein Stadtteilzentrum<br />

für Ostersbaum, das über offene Angebote verfügt und die<br />

unterschiedlichsten Zielgruppen anspricht. Im Erdgeschoss der<br />

ehemaligen Schnürriemenfabrik befindet sich ein großer Veranstaltungsraum,<br />

in dem Konzerte, Aufführungen und Feste stattfinden.<br />

Daneben werden durch die Mieter unterschiedliche Angebote<br />

unterbreitet, die sich zu einem Großteil an die Schüler<br />

der Stadtteilschulen richten und auch gemeinsam mit Lehrern<br />

durchgeführt werden.


Der „Raum für neues Lernen“ stellt ein weiteres zentrales Element<br />

der Huppertsberg-Fabrik dar. Die eigentliche Projektidee<br />

besteht darin, einen neuen Lernraum außerhalb der Schule zu<br />

organisieren, in dem Schülerinnen und Schüler der benachbarten<br />

Schulen selbstbestimmt Themen erarbeiten und präsentieren<br />

können. Zur pädagogischen Betreuung des Projekts wurde<br />

einerseits eine strategische Partnerschaft mit umliegenden <strong>Universität</strong>en<br />

und einem Weiterbildungsinstitut eingegangen,<br />

andererseits mit den stadtteilbezogenen Schulen (drei Grundschulen<br />

und einer Gesamtschule). Für die beteiligten Schulen<br />

und <strong>Universität</strong>en ergibt sich eine Win-Win-Situation: Die Schulen<br />

können das eigene (Lern-)Angebot positiv ergänzen. Studentinnen<br />

und Studenten der <strong>Universität</strong>en und des Weiterbildungsinstituts<br />

können den Lernraum zum praktischen Lernen<br />

nutzen. Im Gegensatz zu den starren Lehrplänen an den Schulen<br />

sollen durch Projektgruppenarbeit gezielt vorhandene<br />

Fähigkeiten der Schüler gefördert werden. Selbstbestimmtes<br />

Lernen mit allen Sinnen wird gerade vor dem Hintergrund sich<br />

verändernder sozialer und ökonomischer Rahmenbedingungen<br />

als optimale Vorbereitung für das Arbeitsleben angesehen. Besonders<br />

Jugendliche aus bildungsfernen Schichten sollen einen<br />

Arbeitsinhalt finden, der ihren persönlichen Interessen und Potenzialen<br />

entspricht. Zudem soll der Übergang von der Schule<br />

und Ausbildung in den Beruf fließender gestaltet werden.<br />

Über die bestehenden Ansätze hinaus ist ein Zentrum für neue<br />

Arbeit geplant. Ziel dieses Zentrums ist es, Alternativen zum Er-<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

werbsleben aufzuzeigen. Es richtet sich somit besonders (aber<br />

nicht nur) an Personen mit Problemen auf dem ersten Arbeitsmarkt.<br />

Der aus den USA stammende Ansatz des Philosophie-<br />

Professors Frithjof Bergmann sucht nach Alternativen zum<br />

gegenwärtigen Job-System. Die Arbeitszeit wird dabei in drei<br />

Abschnitte eingeteilt: Ein Drittel dient der klassischen Erwerbstätigkeit;<br />

ein Drittel verbleibt dem High-Tech-Self-Providing, der<br />

Selbstversorgung auf hohem technologischem Niveau, und ein<br />

Drittel schafft den Freiraum, um herauszufinden, was man<br />

„wirklich, wirklich will“. Das Zentrum für neue Arbeit stellt eine<br />

noch in der Umsetzung befindliche Maßnahme dar. Es soll Ende<br />

des Jahres 2006 eröffnet werden.<br />

Das Konzept der Huppertsberg-Fabrik in Wuppertal-Ostersbaum<br />

verfolgt eine Mehrfachstrategie: Es ist zum einen ein<br />

Gründerzentrum für Firmen, die im Bereich der neuen Medien<br />

arbeiten. Es fördert demnach die lokale Ökonomie im Stadtteil:<br />

Durch die Verpflichtung der Firmen, Stadtteilarbeit zu leisten,<br />

werden zudem nachhaltige Impulse zur Entwicklung des Stadtteils<br />

gegeben. Innovativ an dem Ansatz ist besonders, dass über<br />

den Förderzeitraum des Bund-Länder-Programms „Die Soziale<br />

Stadt“ hinaus Initiativen und Bewohnergruppen im Stadtteil<br />

Unterstützung erfahren. Die koordinierende und initiierende<br />

Arbeit des Quartiersmanagements kann dadurch aber nicht aufgefangen<br />

werden. Zudem werden die Bildungsangebote im<br />

Stadtteil sinnvoll ergänzt, indem die neuen Berufsbilder besonders<br />

im Medienbereich praktisch vermittelt werden.<br />

77


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Stadtporträt <strong>–</strong> Gelsenkirchen<br />

Quelle: Eigene Berechnungen.<br />

5.4 Gelsenkirchen <strong>–</strong> Homogene arme Städte<br />

mit Arbeitsmarktproblemen<br />

Clusterzugehörigkeit der Stadt Gelsenkirchen<br />

Gelsenkirchen steht als Repräsentant des Clusters 7 für sehr<br />

homogene und arme Städte, d. h. die kleinräumigen Unterschiede<br />

innerhalb der Städte sind im Vergleich zu anderen Städten<br />

nicht sehr stark ausgeprägt. Gelsenkirchen unterscheidet sich<br />

von anderen Städten besonders durch die insgesamt problematische<br />

wirtschaftliche Situation und durch ein für die gesamte<br />

78<br />

Bevölkerung und Bevölkerungsentwicklung: Wirtschaftskraft und wirtschaftliche Entwicklung:<br />

Bevölkerung am Hauptwohnsitz 2003: 273.782 verfügbares Einkommen pro Einwohner 2002/2003: 14.610 Euro<br />

Bevölkerungsveränderung 1999 bis 2003: <strong>–</strong> 3,4 % Steuern und steuerähnliche Einnahmen je Einw. 2001: 553 Euro<br />

Wanderungssaldo 2002 je 10.000 Einwohner: <strong>–</strong> 26 Steuern und steuerähnliche Einnahmen je Einw. 2003: 555 Euro<br />

Geborene je 10.000 Einwohner 2003: 84,9 Beschäftigtenentwicklung 1997<strong>–</strong>2002: <strong>–</strong> 8,6 %<br />

Anteil der nicht deutschen Einwohner 2003: 12,7 % Arbeitslosenquote 2003: 17,0 %<br />

Anteil der über 60-Jährigen an der Anteil der Langzeitarbeitslosen an<br />

Bevölkerung am Hauptwohnsitz 2003: 26,5 % allen Arbeitslosen 2002/2003: 44,3 %<br />

Segregationsdimensionen:<br />

Abweichung <strong>–</strong> Faktor „Urbanes Wohnen” 0,22 Mittelwert <strong>–</strong> Faktor „Urbanes Wohnen” <strong>–</strong> 0,34<br />

Abweichung <strong>–</strong> Familienfaktor 0,44 Mittelwert <strong>–</strong> Familienfaktor 0,55<br />

Abweichung <strong>–</strong> Faktor „Ältere und Etablierte” 0,60 Mittelwert <strong>–</strong> Faktor „Ältere und Etablierte” <strong>–</strong> 0,17<br />

Stadt vergleichsweise hohes Niveau sozialer Benachteiligung.<br />

Ein niedriges Niveau sozialer Segregation innerhalb der Stadt<br />

bedeutet aber keineswegs, dass sie nicht mit sozialen Benachteiligungen<br />

zu kämpfen hat.<br />

So finden sich auch in Gelsenkirchen einige typische Ausprägungen<br />

sozialer Segregation. Denn besonders in eher sozial<br />

homogenen Städten treffen soziale und ethnische Segregation<br />

zusammen, da es vergleichsweise wenige nicht deutsche wohlhabendere<br />

Einwohner und Familien gibt.


Hier korreliert der Anteil der nicht deutschen Bevölkerung in<br />

den Stadtteilen Gelsenkirchens signifikant positiv mit dem Anteil<br />

der Sozialhilfebeziehenden in den Stadtteilen. Ebenso hoch<br />

und ebenfalls signifikant ist die Korrelation zwischen dem Anteil<br />

der nicht deutschen an der Bevölkerung und dem Anteil der<br />

Langzeitarbeitslosen an der erwerbsfähigen Bevölkerung der<br />

Stadtteile. Stadtteile in Gelsenkirchen mit den meisten Ausländern<br />

sind demnach trotz des insgesamt niedrigen Wohlstandsniveaus<br />

der Stadt die ärmsten Viertel.<br />

Ebenfalls anhand der Daten feststellbar ist, dass die armen Ausländer<br />

in den Gelsenkirchener Problemstadtteilen nicht nur<br />

schlechte Arbeitsmarktchancen haben, sondern für viele gibt es<br />

keine Arbeitsplätze mehr in Gelsenkirchen und Umgebung:<br />

eine Folge des wirtschaftlichen Strukturwandels im <strong>Ruhr</strong>gebiet,<br />

dessen negative Beschäftigungsentwicklung besonders zulasten<br />

der Arbeitsmigranten erfolgte. Dabei sind die Armen heute<br />

nicht die im Strukturwandel arbeitslos gewordenen Bergleute<br />

und Hüttenarbeiter der ersten Zuwanderergeneration, sondern<br />

eher deren Kinder, für die auf den gewandelten Arbeitsmärkten<br />

kein Platz mehr ist (siehe Strohmeier 2001).<br />

In Gelsenkirchen entstand in den letzten Jahren durch diese<br />

weitgehende Perspektivlosigkeit in einigen Stadtteilen eine besonders<br />

hohe kleinräumige Häufung von Merkmalen sozialer<br />

Benachteiligung der nicht deutschen Bevölkerung, mit besonders<br />

problematischen Auswirkungen für die Lebenschancen<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

von Kindern und Jugendlichen, die in diesen Stadtteilen aufwachsen.<br />

Denn da, wo die höchsten Problempotenziale zu finden<br />

sind, leben in Gelsenkirchen die meisten Kinder und Jugendlichen<br />

unter 18 Jahren, und der Jugendquotient ist am<br />

höchsten. In Stadtteilen wie Schalke-Nord und Neustadt sind<br />

deshalb die Anforderungen an die Daseinsfürsorge und an die<br />

informellen Solidarpotenziale gegenüber der Kindergeneration<br />

besonders hoch und zugleich die Ressourcen der erwerbsfähigen<br />

Bevölkerung hierfür besonders prekär.<br />

Gesamtstädtische Strategien<br />

In Gelsenkirchen wird Segregation nicht nur als Stadtteilproblem<br />

wahrgenommen, sondern auch als Problem der Stadtentwicklung<br />

insgesamt. Dieses zeigt sich besonders darin, dass<br />

„die Sanierung der Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“<br />

als eins von fünf Leitzielen des Stadtentwicklungskonzepts<br />

definiert wurde. Das im Jahr 1994 begonnene Stadtteilprojekt<br />

Gelsenkirchen-Bismarck/Schalke-Nord stellt hier inzwischen<br />

ein wichtiges Lernfeld im Hinblick auf ressortübergreifende<br />

gebietsbezogene Arbeitsweisen dar. 40 So sind einige vor<br />

Ort entwickelte Maßnahmen, wie die Sprachförderung im Elementarbereich,<br />

inzwischen auf die Gesamtstadt ausgedehnt<br />

worden. Durch eine Reorganisation des Stadtplanungsamtes<br />

nach gebietsbezogenen Kriterien ist auch insgesamt eine stärkere<br />

Gebietsorientierung der Stadtverwaltung erfolgt.<br />

40 Das Stadtteilprojekt Gelsenkirchen-Bismarck/Schalke-Nord wurde auch im Zusammenhang mit der Programmbegleitung vor Ort (PvO) im Rahmen des Bund-Länder-<br />

Programms „Soziale Stadt“ im Auftrag des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) vom ILS in Kooperation mit der AGB (Arbeitsgruppe Bestandsverbesserung am Institut<br />

für Raumplanung der <strong>Universität</strong> Dortmund) untersucht. Die Ergebnisse sind in der ILS-Schrift 186 „Integrierte Stadtteilentwicklung auf dem Weg zur Verstetigung <strong>–</strong><br />

Gelsenkirchen-Bismarck/Schalke-Nord“ dokumentiert.<br />

79


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Die Integration von Migrantinnen und Migranten spielt eine<br />

besondere Rolle bei der Gesamtstrategie zur Verhinderung von<br />

Segregation. Im Jahr 2005 wurden zwei kommunale Integrationskonzepte<br />

einstimmig vom Rat der Stadt Gelsenkirchen verabschiedet,<br />

welche durch die Verwaltung in Kooperation mit<br />

einer Vielzahl von relevanten Akteuren erarbeitet wurden. Somit<br />

gehört die Stadt Gelsenkirchen zu den wenigen Kommunen,<br />

die über Integrationskonzepte verfügen. Beinhaltet das erste<br />

„Integrationskonzept Gelsenkirchen“ unter dem Leitbild „Gelsenkirchen<br />

ist DIALOG orientiert“ Handlungsempfehlungen für<br />

die Bereiche Bildung, Arbeit und Beschäftigung, Gesundheit<br />

und Soziales, Stadtentwicklung und Bauen, so enthält das „Gesamtkonzept<br />

zur Interkulturellen Erziehung und Bildung im<br />

Elementar- und Primarbereich“ besondere Handlungsansätze<br />

und Handlungsempfehlungen für diese speziellen Handlungsfelder.<br />

Die Konzepte zielen auf die soziale und ökonomische<br />

Integration von Migrantinnen und Migranten in Gelsenkirchen.<br />

Sie werden als Steuerungsinstrument verstanden, das Einzelaktivitäten<br />

der unterschiedlichen städtischen Ämter bündelt<br />

und vernetzt. Dabei wird der Prozess der Integrationsarbeit in<br />

Gelsenkirchen als „Stückwerktechnik“ angesehen, d. h. als Prozess<br />

in kleinen Schritten. Die Konzepte dienen ebenfalls der<br />

Mobilisierung von bürgerschaftlichem Engagement sowie zur Initiierung<br />

von Austauschprozessen und Kooperationen zwischen<br />

Verwaltung, sozialen Trägern, Vereinen und der Bürgerschaft.<br />

80<br />

Integrationsarbeit bedeutet in Gelsenkirchen auch, eine kommunale<br />

Familienpolitik für benachteiligte Gruppen zu forcieren.<br />

Dass die Integration bereits im Kindesalter angesetzt werden<br />

muss, ist unbestritten. Besonders im Bildungsbereich und bei<br />

Unterstützungsangeboten von Familien sollen bestehende Maßnahmen<br />

vernetzt und abgestimmt sowie weitere Angebote geschaffen<br />

werden. Ein zentrales Ziel der städtischen Integrationskonzepte<br />

ist das Bemühen um Chancengleichheit, d. h.<br />

Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, die aufgrund<br />

ihrer sozialen Schichtzugehörigkeit Defizite im Bildungsbereich<br />

aufweisen, erhalten besondere Unterstützung bei<br />

Spracherwerb, Sprachförderung und beim Erwerb eines qualifizierten<br />

Schulabschlusses. Die Maßnahmen zur sprachlichen<br />

Sozialisation zielen dabei nicht nur auf die Verbesserung des<br />

Spracherwerbs der Kinder mit Migrationshintergrund. Sie werden<br />

auch für Mütter mit Migrationshintergrund angeboten, von<br />

denen sich nach aktuellen Untersuchungen der Stadt Gelsenkirchen<br />

rund ein Drittel nicht in Deutsch verständigen kann.<br />

Um das Konzept <strong>konkret</strong> zu verankern, werden jährliche Integrationskonferenzen<br />

in der Funktion eines öffentlichen Gremiums<br />

durchgeführt. Die Konferenzen setzen sich aus Mitgliedern<br />

relevanter Dienststellen und Ämter, von Wohlfahrtsverbänden,<br />

Kirchen, Migrantenvereinen und -organisationen, Verbänden,<br />

Unternehmen sowie bürgerschaftlichen Institutionen zusammen.<br />

Auf der Grundlage des Gelsenkirchener Integrationsberichts<br />

soll die Konferenz eine steuernde Funktion einnehmen,


indem sie die Fortschritte des Integrationskonzepts überprüft<br />

und Schwerpunkte der Integrationsarbeit festlegt.<br />

Als Teilbaustein des Integrationskonzeptes ist zudem das „Gesamtkonzept<br />

zur Interkulturellen Erziehung und Bildung im<br />

Elementar- und Primarbereich für die Stadt Gelsenkirchen“ im<br />

Dezember 2005 vom Rat der Stadt verabschiedet worden. Eine<br />

wichtige Grundlage für die Handlungsempfehlungen dieses Gesamtkonzepts<br />

bildeten die im Modellversuch „Interkulturelle<br />

Erziehung in Tageseinrichtungen für Kinder“ entwickelten<br />

Standards. In der Konsequenz definieren alle Bildungseinrichtungen<br />

Gelsenkirchens im Elementar- und Primarbereich interkulturelles<br />

Lernen als ihr Ziel und erkennen die kulturelle Vielfalt<br />

und Mehrsprachigkeit an. Das Konzept gliedert sich in die<br />

Bereiche Sprachförderung, Teamarbeit, Elternarbeit und Kooperation<br />

zwischen Tageseinrichtung und Grundschule.<br />

Maßgeblich für die Familienförderung ist das Referat Kinder,<br />

Jugend und Familie <strong>–</strong> Jugendamt <strong>–</strong> der Stadt Gelsenkirchen. Die<br />

Förderung der individuellen und sozialen Entwicklung von jungen<br />

Menschen im Zusammenhang mit der Vermeidung und<br />

dem Abbau von Benachteiligungen obliegt bei der Arbeit des<br />

Jugendamtes einer besonderen Priorität. Das Ziel soll besonders<br />

mit Beratungsleistungen der Erziehungsberechtigten erreicht<br />

werden. Familien sollen frühzeitig, bedarfsgerecht und wohnortnah<br />

mit abgestimmten Angeboten der Familienförderung<br />

und -bildung erreicht werden (siehe Stadt Gelsenkirchen, o. J.). 41<br />

Projekte und Einzelansätze<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Die Stadt Gelsenkirchen setzt in ihrer Familienpolitik auf einen<br />

ganzheitlichen Ansatz, d. h. Hilfsangebote für benachteiligte<br />

Kinder und Jugendliche werden von der Geburt bis ins Erwachsenenalter<br />

angeboten. Beginnend mit den Besuchen von<br />

Erstgeborenen über die interkulturelle Erziehung in bzw. der<br />

Öffnung von Tageseinrichtungen für Kinder bis hin zur Stadtteilgesamtschule<br />

Gelsenkirchen-Bismarck werden für die unterschiedlichen<br />

Altersgruppen und ihre Eltern Unterstützungen<br />

angeboten. Einen besonderen Schwerpunkt bildet dabei die<br />

Unterstützung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund.<br />

Besuche von Erstgeborenen<br />

Die Bekanntmachung und Kommunikation von städtischen<br />

Hilfsangeboten im Bereich der Erziehung ist ein zentrales Ziel<br />

der Jugendhilfe in Gelsenkirchen. Die Eltern von Erstgeborenen<br />

werden deshalb unmittelbar nach der Geburt von Mitarbeitern<br />

des Jugendamtes aufgesucht, um im Hinblick auf Unterstützungsangebote<br />

der Stadt zu informieren. Dabei wird ein Paket<br />

mit Informationsmaterialien übergeben, welches Elternbriefe<br />

(Informationen über die Entwicklungsschritte des Kindes vom<br />

ersten bis zum achten Lebensjahr), einen Leitfaden für Eltern in<br />

deutscher und türkischer Sprache zu den wichtigsten Behördengängen<br />

sowie weitere Broschüren rund um das Baby enthält.<br />

41 Stadt Gelsenkirchen (o. J.): Richtungsziel: „Stärkung der Familienkompetenz und erfolgreiche Familienerziehung durch Familienbildung und Früherkennung von<br />

Problemlagen“. Konzept für die Familienförderung und Familienbildung der Stadt Gelsenkirchen. Gelsenkirchen.<br />

81


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Zudem wird über wohnortnahe, stadtteilbezogene Angebote<br />

informiert und der Austausch mit anderen Eltern forciert.<br />

Gleichzeitig können auch Einschätzungen der Mitarbeiter des<br />

Jugendamtes zur Hilfebedürftigkeit der Familien vorgenommen<br />

und so gezielte Unterstützungsangebote gemacht werden.<br />

Interkulturelle Erziehung in Tageseinrichtungen für<br />

Kinder<br />

Die Unterstützung von Kindern in Tageseinrichtungen stellt<br />

einen besonderen Ankerpunkt in der Familienpolitik für benachteiligte<br />

Bevölkerungsgruppen in Gelsenkirchen dar. In den<br />

Jahren 1999 bis 2003 wurde das Modellprojekt „Interkulturelle<br />

Erziehung in Tageseinrichtungen für Kinder“ durchgeführt.<br />

Grundlage des Projekts ist ein gemeinsames Konzept der Gelsenkirchener<br />

Tageseinrichtungen, das von der Anerkennung<br />

der Zweisprachigkeit ausländischer Kinder und Eltern ausgeht.<br />

Hier wurde besondere pädagogische Konzepte zur Integration<br />

von Kindern mit Migrationshintergrund in die Tageseinrichtungen,<br />

zur gezielten Sprachförderung und zur Intensivierung<br />

der Elterarbeit entwickelt. Durch eine Landesförderung konnten<br />

zudem interkulturelle Fachkräfte eingestellt werden. Dadurch<br />

war es möglich, sowohl den Erwerb der deutschen Sprache als<br />

auch der Muttersprache zu fördern, was eines der zentralen<br />

Ziele des Konzeptes darstellt. Nach Beschluss einer Regelförderung<br />

durch den Rat gibt es in allen städtischen Einrichtungen<br />

mit einem Migrantenanteil von über 50 Prozent (26 Einrichtun-<br />

82<br />

gen) eine durch das Land NRW geförderte, zusätzliche bilinguale<br />

interkulturelle Fachkraft mit jeweils 19,25 Wochenstunden.<br />

Die wissenschaftliche Begleitforschung bescheinigte dem Modellprojekt<br />

sehr positive Ergebnisse. Bei der Aufnahme in die<br />

Tageseinrichtungen verfügte der überwiegende Teil der Kinder<br />

über keine oder nur geringe Deutschkenntnisse. Von 617 Kindern<br />

aus den städtischen Modelleinrichtungen (438 Kinder mit<br />

Migrationshintergrund, 71 Prozent) konnten bei der Einschulung<br />

• 66 Prozent in deutsch frei erzählen, Wünsche und Bedürfnisse<br />

äußern und Fragen stellen,<br />

• 24 Prozent ein begrenztes Repertoire an deutschen Drei-<br />

Wort-Sätzen und<br />

• 10 Prozent kaum Deutsch.<br />

Darüber hinaus können die Leiterinnen der Tageseinrichtungen<br />

und die interkulturellen Fachkräfte qualitative Erfolge und Veränderungen<br />

bei den Kindern und ihren Eltern beobachten. Bezogen<br />

auf die geförderten Kinder mit Migrationshintergrund<br />

werden ein selbstbewusster Umgang mit Sprache und eine<br />

Erweiterung des Wortschatzes (der Muttersprache und der deutschen<br />

Sprache) festgestellt. Bezogen auf Eltern mit Migrationshintergrund<br />

wird konstatiert, dass besonders Frauen sehr viel<br />

mutiger im Gebrauch der deutschen Sprache geworden sind<br />

und Mütter die in den Tageseinrichtungen gemachten Erfahrungen<br />

auch zu Hause umsetzen. Die Beratungsangebote der


Tageseinrichtungen und der sozialen Träger werden intensiv in<br />

Anspruch genommen. Zudem wird ein gesteigertes Interesse an<br />

Fragen der Erziehung registriert. Die verbesserte Sprachfähigkeit<br />

der Kinder aus den am Modellversuch teilnehmenden<br />

Tagesstätten des Modellprojekts wird auch in den Grundschulen<br />

registriert: Auch sie bescheinigten den Kindern bessere<br />

sprachliche Fähigkeiten, einen größeren Wortschatz und bessere<br />

Ergebnisse bei den Schuleingangstests.<br />

Öffnung städtischer Tageseinrichtungen<br />

Tageseinrichtungen als stadtteilbezogene Familienzentren aufzuwerten<br />

ist in Gelsenkirchen schon seit September 1995 Realität.<br />

Der Ausgangsgedanke war, dass Tageseinrichtungen alltägliche<br />

Begegnungsorte und Kristallisationspunkte im Stadtteil<br />

sind. Daraus leitete sich die Idee ab, diese Orte gezielt für den<br />

Stadtteil zu öffnen und auch außerhalb der Öffnungszeiten multifunktional<br />

zu nutzen. Die Öffnung der Einrichtungen beabsichtigte<br />

auch einen engen Bezug zur umliegenden Nachbarschaft.<br />

Es wird angenommen, dass die Einrichtungen durch<br />

einen engeren Kontakt zur Bewohnerschaft anders wahrgenommen<br />

werden.<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Zentrales Ziel des Projektes ist es u. a., den Nachbarschaftsgedanken<br />

aufzugreifen und die Tageseinrichtungen für Kinder als<br />

Treffpunkt für die Eltern zu öffnen und auch den Nachbarn im<br />

Wohnumfeld dort Räume anzubieten. Im Mittelpunkt steht der<br />

Gedanke des „Sich-Öffnens“ für Neues, für Kontakte, für Kommunikation<br />

über Wünsche und Interessen und für Eigeninitiative.<br />

Damit soll auch die Pflege nachbarschaftlicher Kontakte in<br />

der Öffentlichkeit gefördert werden. Ziel ist auch die Aktivierung<br />

des Selbsthilfepotenzials durch „Förderung der Stärken<br />

der Menschen“ unter Einbeziehung des gesamten Stadtteils.<br />

FuN <strong>–</strong> Familie und Nachbarschaft<br />

Neben dem Ansatz, durch die Öffnung von Tageseinrichtungen<br />

für Kinder Treffpunkte der Kommunikation und des Austausches<br />

anzubieten, ist auch der Ansatz „Familie und Nachbarschaft“<br />

(FuN) als Erziehungshilfe für Familien konzipiert. FuN<br />

ist eine niederschwellige Maßnahme, die sich besonders an bildungsungewohnte<br />

Familien richtet und diese durch ihre Ausrichtung<br />

und Gestaltung anspricht. Das Programm hat sich auch<br />

in der Arbeit mit Migrantenfamilien bewährt.<br />

FuN ist ein Konzept zur Stärkung der Erziehungs- und Mitwirkungskompetenz<br />

von Familien. Es stellt ein präventiv wirkendes<br />

Familienbildungsprogramm zur Stärkung von Elternkompetenz<br />

dar, das in Kooperation verschiedener sozialer Dienste der<br />

Stadt Gelsenkirchen durchgeführt wird. Es ist stadtteilbezogen<br />

83


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

ausgerichtet, d. h. es orientiert sich am Sozialraum bzw. Lebensraum<br />

der Familien. Es handelt sich dabei um einen aus dem<br />

amerikanischen Raum übertragenen Ansatz (Families and<br />

Schools together), der dort mit Familien von Grundschulkindern<br />

an ihren Schulen durchgeführt wird. 42<br />

Der schulbezogene Ansatz wurde in Gelsenkirchen zu einem<br />

sozialraumbezogenen Ansatz weiterentwickelt. Anlass ist, dass<br />

besonders Familien, die von gesellschaftlicher Ausgrenzung<br />

durch Arbeitslosigkeit oder Sozialhilfebezug betroffen sind, es<br />

oft schwer haben, in verschiedenen Bereichen von Erziehung<br />

und Lebensgestaltung ihre Positionen einzunehmen. Dies führt<br />

in vielen Fällen zu einer Überforderung der Eltern und häufig<br />

auch zu einem von Gewalt geprägten Familienklima. Kinder<br />

erleben die Unsicherheit und Hilflosigkeit ihrer Eltern, erlernen<br />

aber keine tragfähigen Modelle zur Bewältigung von Kontroversen<br />

und Konflikten. Insofern zielt das FuN-Programm auf die<br />

Steigerung der Elternverantwortung und Erziehungskompetenz<br />

durch erfahrungsorientiertes Lernen. Dies geschieht in Form<br />

von Elternnetzwerken, die durch einen Sozialarbeiter betreut<br />

und moderiert werden. Ziel ist dabei der Austausch von Erfahrungen<br />

und das Erlernen von Techniken zum Umgang mit Problem-<br />

und Stresssituationen im Familienalltag. Der Ansatz ist<br />

darauf ausgerichtet, die Elternnetzwerke nur in der Anfangsphase<br />

mit Know-how zu unterstützen. Ziel ist, dass sie in der<br />

Folgezeit ein Netzwerk zur Selbsthilfe darstellen.<br />

84<br />

Evangelische Gesamtschule Gelsenkirchen-Bismarck (EGG)<br />

Die Evangelische Kirche von Westfalen (EKvW) entschied sich<br />

mit Gelsenkirchen-Bismarck bewusst für den Bau einer Schule<br />

in einem Stadtteil des <strong>Ruhr</strong>gebiets, der durch den Strukturwandel,<br />

eine hohe Arbeitslosigkeit und einen hohen Ausländeranteil<br />

geprägt ist.<br />

Die Evangelische Gesamtschule im Gelsenkirchener Stadtteil<br />

Bismarck (EGG) nahm ihren Betrieb im Sommer 1998 auf und<br />

wird inzwischen von ca. 1150 Kindern besucht. Als Schule in<br />

privater Trägerschaft ist die EGG einem besonderen reformpädagogischen<br />

Ansatz verpflichtet: Die vier Buchstaben „FELS“ stehen<br />

als Kürzel für ein Konzept, das sich so beschreiben lässt:<br />

• Als Familienschule will sie zwar keine Konkurrenz zum häuslichen<br />

Umfeld sein, aber doch durch eine familiäre Atmosphäre<br />

für ein Klima sorgen, in dem sich die Kinder und Jugendlichen<br />

„zu Hause“ fühlen.<br />

• Als Erziehungsschule will sie Akzente setzen gegen eine<br />

Kultur des Wegschauens und die Charakterbildung ebenso<br />

ernst nehmen wie die Wissensvermittlung.<br />

42 FAST ist ein Präventionsprogramm, das 1988 von der amerikanischen Entwicklungspsychologin Dr. Lynn McDonald entwickelt wurde. Mittlerweile führen über 650 Schulen<br />

in den USA, in Kanada, Australien, Österreich und Deutschland den FAST-Ansatz erfolgreich zur Prävention von Sucht, Jugendkriminalität, Missbrauch, aggressivem<br />

Verhalten und Schulversagen durch. Das FAST-Programm basiert auf namhaften wissenschaftlichen Untersuchungen aus den Bereichen der Stress-Theorie, der<br />

Krisentheorie, der Familien- und Spieltherapie. Es soll dazu beitragen, Kinder erfolgreicher zu machen in der Familie, der Schule und in ihrem sozialen Umfeld.


• Der Begriff der Lebensschule verweist auf Lernkonzepte, die<br />

Gottesdienste, Musik, Theater, Handwerk, Sport, Spiel und alljährliche<br />

Klassenfahrten in den Unterrichtsalltag einbeziehen.<br />

• Schließlich versteht sie sich als Stadtteilschule, die in Gelsenkirchen-Bismarck<br />

in vielfältiger Weise mit dem lokalen Umfeld<br />

verknüpft ist.<br />

Gute Voraussetzungen für die Umsetzung der pädagogischen<br />

Konzepte bietet zunächst eine einzigartige und vielfach preisgekrönte<br />

Architektur. Mittelpunkt des Schulbaus ist das großzügige<br />

Hauptgebäude mit Bibliothek, Aula, Mensa, attraktiven Fachräumen<br />

und einem begrünten offenen Lichthof, der eher an ein<br />

Caféhaus als an eine Schule denken lässt. Um das Hauptgebäude<br />

gruppieren sich die Klassenhäuser, die auf zwei Etagen<br />

den Schülerinnen und Schülern viel Raum lassen und für jede<br />

Klasse einen eigenen Garten ebenso wie einen eigenen Sanitärbereich<br />

und Freiräume auf Emporen bereithalten.<br />

Die Besonderheiten des pädagogischen Konzepts der EGG<br />

äußern sich in verschiedenen Maßnahmen, die auf der Gesamtstrategie<br />

FELS basieren. An der EGG als einer Ganztagsschule<br />

verbringen Schülerinnen und Schüler einen Großteil des Tages.<br />

Die EGG will in Ergänzung der Familie als gesellschaftlicher<br />

Institution einen Raum sozialer Nähe schaffen, in dem sich<br />

Kinder und Jugendliche „zu Hause“ fühlen können. Die Lehrer<br />

übernehmen dabei als Klassenlehrertandem (im Idealfall eine<br />

Lehrerin und ein Lehrer) eine zentrale Rolle, die sich im Verlauf<br />

der Sekundarstufe I wandelt: Durch eine möglichst hohe Präsenz<br />

des Klassenlehrertandems entwickelt sich ein intensiver<br />

Kontakt zwischen Schülern und Lehrern. Dieser Kontakt ist<br />

Basis für ein dauerhaftes gegenseitiges Vertrauen. Im Klassenverband<br />

erfahren Schüler an der EGG, dass eigenverantwortliche<br />

Gestaltung von Räumen nur auf der Grundlage fester Regeln<br />

und verbindlicher Zuständigkeiten (Klassendienste) funktionieren<br />

kann. Dieses gemeinschaftliche Gestalten von Raum<br />

und Zeit wird im Klassenlehrerunterricht geplant und durchgeführt,<br />

darüber hinaus in Projektwochen und auf den regelmäßigen<br />

Fahrten erlebt. Dabei werden die räumlichen Gegebenheiten<br />

als Ganzes einbezogen, da nicht nur der einzelne Klassenraum<br />

und Garten, sondern gemeinsame Gänge und Räume gestaltet<br />

und gepflegt werden müssen. Die Klassenräume eines<br />

Jahrgangs bilden als eigenständige Raumeinheiten mit den zugehörigen<br />

Gärten ein Reihenhaus.<br />

Kinder unterschiedlicher Konfession und Nationalität leben und<br />

lernen gemeinsam an der EGG, die einen Schwerpunkt im Bereich<br />

des interkulturellen Lernens setzt. Etwa 20 Prozent der<br />

Schülerschaft haben einen Migrationshintergrund, die meisten<br />

von ihnen sind Muslime. Der Religionsunterricht wird als multikulturelle<br />

und multikonfessionelle Erziehung verstanden.<br />

Insofern gehört auch das Fach „Islamische Unterweisung“ zum<br />

Stundenplan.<br />

85


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Die EGG setzt auf die rege Beteiligung der Familien. Eine zentrale<br />

Rolle spielt hier der Förderverein. Eltern, Schüler und<br />

Lehrer planen gemeinsam Feste und führen diese durch, etwa<br />

den Tag der offenen Tür mit anschließendem Weihnachtsbazar<br />

oder das Sommerfest. Eine weitere Säule für das familiäre Miteinander<br />

ist die enge Zusammenarbeit von Schule und Elternhaus<br />

in Erziehungsfragen, sodass familiäre und schulische Erziehung<br />

in der Regel ineinandergreifen. Mit dem bei der Aufnahme<br />

von beiden Seiten unterschriebenen Schulvertrag bekunden<br />

Erziehungsberechtigte und Schule die Bereitschaft zur<br />

gemeinsamen Erziehungsarbeit.<br />

Erfahrungswerte werden den Kindern durch Projekt- und<br />

Epochenunterricht vermittelt. Eine Vielzahl von Angeboten<br />

(Werkstätten, Musikdepartment, Theater, Experimentierräume,<br />

Sportanlagen) unterstützt den Gedanken, „mit Herz und Hand“<br />

zu lernen. Die Beurteilung der schulischen Leistungen wird<br />

durch eine sogenannte integrierte Leistungsbewertung vollzogen.<br />

Dies entspricht der kombinierten Bewertung durch die üblichen<br />

Schulnoten und durch Lernberichte. Als ökologische<br />

Lernorte wurden beispielsweise Schulgärten angelegt.<br />

Die EGG möchte eine Schule im Stadtteil und für den Stadtteil<br />

sein. Darum wurden einige Gebäude bewusst so geplant, dass<br />

sie unabhängig vom Schulbetrieb von Gruppen aus dem Stadtteil<br />

genutzt werden können, wie z. B. die Sporthalle oder das<br />

Atrium (für Feste und Veranstaltungen). Die Besonderheiten<br />

86<br />

dieses Gesamtprojektes sind so vor allem in dem engen Stadtteilbezug<br />

zu sehen, d. h. die Schule als Infrastruktureinrichtung<br />

ist eng mit dem Stadtteilgeschehen und der Stadtteilkultur verknüpft.<br />

Durch die Orientierung der Schule nach außen, also<br />

zum Stadtteil und seinen Bewohnern hin, bildet sie einen neuen<br />

Begegnungs- und Kommunikationsort für den Stadtteil. Die Planung<br />

und Entwicklung der Schule bzw. der Schulhäuser erfolgte<br />

unter direkter Beteiligung der Lehrer, Schüler und Eltern. Somit<br />

können bestimmte Anforderungen und Bedarfe unmittelbar<br />

eingebracht und realisiert werden, was sich in einem hohen Bekanntheitsgrad<br />

der Schule im Stadtteil sowie in hoher Akzeptanz<br />

der Stadtteilbewohner niederschlägt.<br />

Bildungsoffensive Hassel<br />

Das Projekt „Bildungsoffensive Hassel“ im Stadtteil Hassel ist<br />

im Unterschied zu den zuvor dargestellten Ansätzen kein durch<br />

die Stadtverwaltung initiierter Ansatz. Das Projekt geht auf eine<br />

Gesprächswoche zur „Zukunft in Hassel“ zurück, die durch die<br />

ansässigen Kirchengemeinden und den Türkisch-Islamischen<br />

Kulturverein organisiert wurde. In der Folge bildeten sich sechs<br />

Projektgruppen zu unterschiedlichen Handlungsbereichen. Inzwischen<br />

sind vielfältige, durch bürgerschaftliches Engagement<br />

getragene stadtteilbezogene Ansätze aus der Initiative entstanden<br />

<strong>–</strong> die „Bildungsoffensive Hassel“ bildet einen davon.


Das Konzept sieht den Aufbau eines lokalen Bildungsnetzwerks<br />

im Stadtteil vor. Im Stadtteil Hassel soll ein System integrierter<br />

Kinder- und Jugendförderung aufgebaut werden, das bestehende<br />

Angebote vernetzt und erweitert und eine optimale Erreichbarkeit<br />

für die Stadtteilbevölkerung gewährleistet. Ziel ist die<br />

Entwicklung und Umsetzung einer integrierten Bildungsstrategie<br />

zur Verbesserung der Teilhabechancen und sozialen Lagen<br />

von Kindern und Jugendlichen im Stadtteil. Bei der Bildungsoffensive<br />

Hassel handelt es sich um einen Zusammenschluss<br />

von freien und öffentlichen Trägern, die sowohl formelle als<br />

auch informelle Kinder- und Jugendbildung betreiben. Finanzielle<br />

Unterstützung kommt von ortsansässigen Wirtschaftsbetrieben.<br />

Zudem wurden Förderanträge bei verschiedenen Initiativen,<br />

Ministerien und Stiftungen eingereicht.<br />

Die unter der Bildungsoffensive Hassel zusammengefassten Angebote<br />

sind vielfältig. Das Konzept der Bildungsoffensive geht<br />

dabei vom Sozialraum Stadtteil als Lebensraum und Lernort<br />

aus. D. h. der soziale Kontext, in dem die Kinder und Jugendlichen<br />

aufwachsen, wird als maßgeblich für den Bildungserfolg<br />

angesehen. In der Konsequenz ist es auch die Aufgabe der<br />

Schulen und anderer kommunaler und freier Bildungsträger,<br />

bestehende Defizite des sozialen Alltags der Schüler auszugleichen.<br />

Eine stadtteilbezogene Bildungspolitik ist demnach nicht<br />

nur auf die Kinder und Jugendlichen gerichtet, sondern setzt<br />

auch in ihrem sozialen Umfeld an <strong>–</strong> also auch bei Eltern und<br />

sozialen Netzwerken.<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Besonders innovativ an dem Ansatz ist zum einen, dass es sich<br />

um ein stadtteilbezogenes Gesamtkonzept für Maßnahmen im<br />

Bildungsbereich handelt. Die in Stadtteilen oftmals unüberschaubare<br />

Fülle an Angeboten und Institutionen wird unter<br />

dem Label „Bildungsoffensive Hassel“ abgestimmt und somit<br />

für die Nutzer transparenter gestaltet. Bemerkenswert ist die<br />

Einbindung von bürgerschaftlichem Engagement, auf dem das<br />

Konzept maßgeblich basiert.<br />

87


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Stadtporträt <strong>–</strong> Magdeburg<br />

Quelle: Eigene Berechnungen.<br />

5.5 Magdeburg <strong>–</strong> Stark schrumpfende und<br />

stagnierende Städte in Ostdeutschland<br />

Clusterzugehörigkeit der Stadt Magdeburg<br />

Die Daten des Stadtporträts für Magdeburg zeigen, dass die<br />

Städte dieses Clusters trotz sehr unterschiedlicher Bevölkerungsgröße<br />

mit ähnlichen Problemlagen zu kämpfen haben. Sie<br />

repräsentieren Städte in Ostdeutschland mit großen demographischen<br />

und wirtschaftlichen Problemen. Die negative Bevölkerungsentwicklung<br />

der Stadt Magdeburg resultiert sowohl aus<br />

88<br />

Bevölkerung und Bevölkerungsentwicklung: Wirtschaftskraft und wirtschaftliche Entwicklung:<br />

Bevölkerung am Hauptwohnsitz 2003: 227.028 verfügbares Einkommen pro Einwohner 2002/2003: 14.208 Euro<br />

Bevölkerungsveränderung 1999 bis 2003: <strong>–</strong> 3,2 % Steuern und steuerähnliche Einnahmen je Einw. 2001: 473 Euro<br />

Wanderungssaldo 2002 je 10.000 Einwohner: <strong>–</strong> 55 Steuern und steuerähnliche Einnahmen je Einw. 2003: 426 Euro<br />

Geborene je 10.000 Einwohner 2003: 69,9 Beschäftigtenentwicklung 1997<strong>–</strong>2002: <strong>–</strong> 10,6 %<br />

Anteil der nicht deutschen Einwohner 2003: 3,5 % Arbeitslosenquote 2003: 19,6 %<br />

Anteil der über 60-Jährigen an der Anteil der Langzeitarbeitslosen an<br />

Bevölkerung am Hauptwohnsitz 2003: 28,6 % allen Arbeitslosen 2002/2003: 42,8 %<br />

Segregationsdimensionen:<br />

Abweichung <strong>–</strong> Faktor „Urbanes Wohnen” 0,79 Mittelwert <strong>–</strong> Faktor „Urbanes Wohnen” <strong>–</strong> 0,22<br />

Abweichung <strong>–</strong> Familienfaktor 0,86 Mittelwert <strong>–</strong> Familienfaktor <strong>–</strong> 0,55<br />

Abweichung <strong>–</strong> Faktor „Ältere und Etablierte” 1,09 Mittelwert <strong>–</strong> Faktor „Ältere und Etablierte” 0,85<br />

einem negativen Wanderungssaldo als auch aus einer niedrigen<br />

Geburtenzahl. Obgleich für das Jahr 2003 für die Stadt wieder<br />

ein leichter Wanderungsgewinn zu verzeichnen war, der sich<br />

aus dem Zuzug von Studenten erklären lässt, bleibt bei der<br />

Betrachtung längerfristiger Entwicklungen die insgesamt negative<br />

Bevölkerungsentwicklung prägend für die Stadtentwicklung<br />

(siehe Ley 2006: 18). Ganz ähnlich wie in Leipzig gibt<br />

es aufgrund des großen Bevölkerungsverlustes der letzten 15<br />

Jahre in Magdeburg in allen Stadtteilen und im Grunde für alle<br />

Preissegmente leer stehenden Wohnraum. Der Binnenwanderung<br />

zwischen den Stadtteilen sind hierdurch kaum Grenzen


durch den Wohnungsmarkt gesetzt. Vorhandene Segregationstendenzen<br />

werden durch den weitgehend offenen Wohnungsmarkt<br />

innerhalb der Stadt zusätzlich verstärkt. Besonders bezüglich<br />

der Segregationsdimensionen „Urbanes Wohnen“ und<br />

„Ältere und Etablierte“ lassen sich überdurchschnittliche Segregationstendenzen<br />

in Magdeburg erkennen. Obgleich Magdeburg<br />

<strong>–</strong> wie Leipzig <strong>–</strong> eine ostdeutsche <strong>Universität</strong>sstadt ist, finden<br />

sich hier aber keine Stadtteile mit einer besonders hohen<br />

Konzentration von jüngeren Erwachsenen.<br />

Die hohen Werte bezüglich der Dimension „Ältere und Etablierte“<br />

ist besonders auf eine zunehmende Überalterung der<br />

Bevölkerung <strong>–</strong> 28,6 Prozent der Bevölkerung in Magdeburg ist<br />

älter als 60 Jahre <strong>–</strong> zurückzuführen, denn der Anteil der nicht<br />

deutschen Einwohner ist mit 3,5 Prozent der Bevölkerung ausgesprochen<br />

gering. Die Alterung der Bevölkerung zeigt sich<br />

aber nicht in allen Magdeburger Stadtteilen in gleicher Weise.<br />

So gibt es sechs Stadtteile, in denen der Anteil der Älteren und<br />

Alten über 60 Jahren bereits über 33 Prozent der Bevölkerung<br />

ausmacht: Altstadt, Stadtfeld West, Leipziger Straße, Neustädter<br />

See, Reform und Alte Neustadt. D. h. mehr als jeder dritte Einwohner<br />

in diesen Stadtteilen ist älter als 60 Jahre. In diesen<br />

sechs Stadtteilen lebt etwa ein Drittel der Bevölkerung der Stadt<br />

Magdeburg. Es handelt sich also nicht um kleine, dünner besiedelte<br />

Stadtgebiete.<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Ein Indikator, der das Ausmaß der demographischen Alterung<br />

in bestimmten Stadtgebieten besonders deutlich macht, ist der<br />

Altenquotient. Er betrachtet das Verhältnis der über 60-Jährigen<br />

zu den 18- bis unter 60-Jährigen, also den wirtschaftlich Aktiven<br />

in einem Stadtgebiet. Dabei wird <strong>–</strong> ähnlich wie für den Jugendquotienten<br />

<strong>–</strong> davon ausgegangen, dass die Alten und Ältere in<br />

einem gewissen „Abhängigkeitsverhältnis“ (Unterstützung im<br />

Alltag, Hilfe in bestimmten Lebensbereichen, Pflege) zur „mittleren<br />

Generation“ stehen. Ein sehr hoher Altenquotient bedeutet<br />

also besonders hohe Anforderungen hinsichtlich dieser Unterstützungsleistungen.<br />

Für die sechs genannten Stadtteile in<br />

Magdeburg erreicht der Altenquotient bereits Werte von etwa<br />

60 und mehr Prozent. In der Altstadt liegt der Wert bereits über<br />

80; d. h. 100 Einwohnern im Alter von 18 bis unter 60 Jahren<br />

stehen 80 Einwohner im Alter von über 60 Jahren gegenüber.<br />

Eine solche Altersstruktur prägt die Lebensverhältnisse und die<br />

Nachbarschaften in diesen Stadtgebieten nachhaltig.<br />

In Magdeburg zeigen sich aber im Unterschied zu Städten anderer<br />

Cluster keine eindeutigen Zusammenhänge zwischen der<br />

Altersstruktur bzw. der Familienprägung bestimmter Stadtteile<br />

und der Armutsbetroffenheit in diesen Stadtteilen. Die Stadtteile<br />

mit hohen Anteilen älterer Bürger verzeichnen eher durchschnittliche<br />

oder unterdurchschnittliche Anteile Sozialhilfebeziehender.<br />

Die Überalterung der Stadt geht demnach nicht<br />

grundsätzlich mit einer höheren Armutsbetroffenheit einher.<br />

Vielmehr findet sich auch in Magdeburg die höchste Armutsbe-<br />

89


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

troffenheit in Stadtteilen mit einem vergleichsweise hohen Jugendquotienten<br />

und einer hohen Familienprägung (Anteil der<br />

unter 18-Jährigen). Aber auch dieser Zusammenhang gilt nicht<br />

für alle familiengeprägten Stadtteile.<br />

Eine ausgesprochen hohe Sozialhilfedichte und zugleich eine<br />

hohe Familienprägung (hoher Anteil unter 18-Jähriger) lässt<br />

sich nur für die beiden Stadtteile Neu Olvenstedt und Buckau<br />

finden: Zum einen ein großes Plattenbaugebiet der 80er Jahre<br />

mit mehr als 14.000 Einwohnern, zum anderen ein eher kleineres,<br />

durch die Maschinenbauindustrie geprägtes Altbauviertel<br />

unter 1.000 Einwohnern. Da der Stadtteil Neu Olvenstedt ein<br />

sehr großer Stadtteil ist, fällt (absolut gesehen) die höhere<br />

Armutsbetroffenheit dieses familiengeprägten Stadtteils aber<br />

sehr viel stärker ins Gewicht, da von der Benachteiligung des<br />

sozialen Umfeldes mehr Kinder und Jugendliche in ihrem Alltagsleben<br />

beeinflusst werden. Andere Stadtteile Magdeburgs<br />

90<br />

mit überdurchschnittlichem Anteil von Kindern und Jugendlichen<br />

an der Bevölkerung, wie beispielsweise Pechau, Prester,<br />

Alt Olvenstedt oder Ottersleben, weisen dagegen eine weit unterdurchschnittliche<br />

Armutsbetroffenheit auf. Mit Ausnahme<br />

von Ottersleben handelt es sich hier um vergleichsweise kleinere<br />

Stadtteile.<br />

Kennzeichnend für soziale kleinräumige Segregationstendenzen<br />

in Magdeburg sind besonders Merkmale zur Erwerbs- und<br />

Arbeitslosensituation in den Stadtteilen, die aktuell keine ausgeprägten<br />

Zusammenhänge mit der demographischen Situation<br />

der Stadtteile erkennen lassen. Dies liegt auch an einem insgesamt<br />

hohen Niveau der Arbeitslosigkeit für alle Stadtteile. So<br />

sind die Quoten der Arbeitslosen, die bereits länger als ein Jahr<br />

arbeitslos sind, für alle Magdeburger Stadtteile <strong>–</strong> mit Ausnahme<br />

des Stadtteils Randau-Calenberge (26 Prozent) <strong>–</strong> mit Werten<br />

zwischen 32 bis 49 Prozent ausgesprochen hoch. In 14 der insgesamt<br />

32 betrachteten Stadtteile waren im Jahr 2004 sogar<br />

mehr als 45 Prozent der Arbeitslosen länger als ein Jahr ohne<br />

Erwerbstätigkeit. Dabei lässt sich in der Tendenz eine positive<br />

Korrelation zwischen dem Altersquotienten in den Stadtteilen<br />

und den Anteilen der Dauerarbeitslosen an allen Arbeitslosen<br />

erkennen. Kinderarmut und Benachteiligung von Kindern und<br />

Jugendlichen durch soziale Komplikationen im Wohnumfeld<br />

sind in Magdeburg demnach nur für wenige Stadtgebiete ein<br />

Problem. Soziale Problemlagen und Segregation betreffen eher<br />

ältere Bevölkerungsgruppen. Aber auch für Magdeburg zeigt


sich, dass die Lebenssituation besonders in den Stadtgebieten<br />

prekär ist, in denen die Anforderungen an die Solidarpotenziale<br />

der normalerweise wirtschaftlich aktiven Bevölkerung besonders<br />

hoch sind. Aber anders als in den westdeutschen Städten<br />

der Cluster 6 und 7 betrifft dies verstärkt ältere Bevölkerungsgruppen,<br />

denn soziale Probleme häufen sich besonders in den<br />

Stadtteilen mit der Tendenz zur Überalterung, auch wenn dies<br />

noch nicht durchgehend zu höheren Sozialhilfedichten der<br />

Bevölkerung geführt hat.<br />

Gesamtstädtische Strategien<br />

Die Rahmenbedingungen der Landeshauptstadt Magdeburg<br />

sind <strong>–</strong> wie bei den meisten anderen ostdeutschen Großstädten<br />

auch <strong>–</strong> von deutlichen Einwohnerverlusten und wirtschaftlichem<br />

Strukturwandel geprägt. Die Einwohnerzahl der Landeshauptstadt<br />

Magdeburg sank zwischen 1990 und 2003 um rund<br />

60.000 auf 227.000 Personen. Die Folge war der Leerstand von<br />

ca. 32.000 Wohnungen, was etwa 24 Prozent des Wohnungsbestandes<br />

entspricht. Bezogen auf die demographische Situation<br />

hat durch den Rückgang von Bevölkerung v. a. in den jüngeren<br />

Altersgruppen eine starke Alterung der Bevölkerung eingesetzt.<br />

Zudem besteht eine sehr ungünstige Arbeitsmarktsituation mit<br />

einer Arbeitslosenquote von über 20 Prozent durch massive<br />

vereinigungsbedingte Arbeitsplatzverluste vor allem im produzierenden<br />

Sektor.<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Auf die vorhandenen Rahmenbedingungen des wirtschaftlichen<br />

Strukturwandels und demographischen Wandels reagiert die<br />

Stadt Magdeburg mit einem breiten Maßnahmenspektrum, das<br />

von integrierten Ansätzen der Stadterneuerung und Stadtumbaumaßnahmen<br />

über Ansätze der Beschäftigungsförderung bis<br />

hin zu familien- und sozialplanerischen Maßnahmen reicht. Im<br />

Folgenden werden einige ausgewählte Beispiele beschrieben.<br />

Integrierte Ansätze städtebaulicher Erneuerung: Soziale<br />

Stadt und URBAN 21<br />

Die Stadt Magdeburg konnte im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative<br />

URBAN schon sehr früh Erfahrungen mit integrierten<br />

Handlungsansätzen zur Revitalisierung von benachteiligten<br />

Stadtteilen gewinnen. In der Förderperiode 1994<strong>–</strong>1999 wurde<br />

der Magdeburger Stadtbezirk Cracau mit Fördermitteln der<br />

Europäischen Union gefördert. Ziel des Handlungsprogramms<br />

war es vor allem, durch integrierte Maßnahmen wirtschaftliche<br />

Aktivitäten zu initiieren, Arbeitsplätze zu schaffen und soziale<br />

Infrastrukturen weiterzuentwickeln. Weitere Handlungsschwerpunkte<br />

waren Investitionen in die technische Infrastruktur und<br />

in das Wohnumfeld. Sowohl die Zwischenevaluierung als auch<br />

die projektbegleitende Evaluation bescheinigen der Stadterneuerungsmaßnahme<br />

eine gute Projektsteuerung und -umsetzung<br />

(siehe Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung<br />

2003). 43 Das Management des Stadterneuerungsprozesses hat<br />

sich bewährt und den Koordinations- und Steuerungsaufwand<br />

43 Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung mbH (2003): Schlussbericht des Operationellen Programms für das URBAN-Projekt Magdeburg-Cracau. Ludwigsburg u. a.<br />

91


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

verringert. Die Erfahrungen mit dezentralen Steuerungsmechanismen<br />

konnten so in der Folge fortgesetzt werden. Seit dem<br />

Jahre 1999 nimmt die Stadt Magdeburg am Bund-Länder-Programm<br />

„Soziale Stadt <strong>–</strong> Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf“<br />

teil. Im Jahr 1999 wurde der Stadtteil Neustädter<br />

Feld aufgenommen; im Jahr 2003 folgten zwei weitere Stadtteile:<br />

Neu Olvenstedt und Kannenstieg/Neustädter See. Das<br />

Bundesprogramm „Die Soziale Stadt“ ist in Sachsen-Anhalt mit<br />

der „Landesinitiative Urban Ost 21“ verknüpft. Die Landesinitiative<br />

ist kein selbstständiges Förderprogramm, sie bündelt<br />

Fördermittel des Landes mit weiteren Bundesmitteln sowie Fördermitteln<br />

aus den EU-Strukturfonds. Durch die stadtteil- und<br />

maßnahmebezogene Verkopplung verschiedener Förderprogramme<br />

sollen besonders Projekte der Wirtschafts-, Städtebauund<br />

Qualifizierungsförderung sowie des Umweltschutzes umgesetzt<br />

werden.<br />

Generell steht in der städtebaulichen Planung Magdeburgs die<br />

Erhaltung der Stadtteilkernbereiche dem Abriss und Teilrückbau<br />

von Randflächen und Übergangsbereichen gegenüber. Mit<br />

der Schaffung von Freiflächen sollen hier kinder- und familienfreundliche<br />

Wohnstrukturen vorbereitet werden. Die örtlichen<br />

Schwerpunkte des Bund- und Länderprogramms „Stadtumbau<br />

Ost“ in Magdeburg sind die Stadtteile Neu-Olvenstedt, Südost<br />

und die Altstadt. Mit dem Ziel der Angleichung von Angebot<br />

und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt soll eine sowohl sozialverträgliche<br />

wie auch städtebaulich sinnvolle Reduzierung des<br />

92<br />

Wohnungsüberangebots um ca. 5.400 Wohnungen bis zum Jahr<br />

2008 vorgenommen werden, um den Bevölkerungsverlusten zu<br />

begegnen. Hierfür stehen der Stadt etwa sieben Millionen Euro<br />

Fördermittel zur Verfügung. Gleichzeitig sollen Stadtstrukturen<br />

aufgewertet werden. Im Falle der Altstadt geht es primär um die<br />

Erhaltung von alten Baustrukturen und Wohnfunktionen mit<br />

nur punktuellen Abrissen zur Behebung von Missständen.<br />

Ebenso stehen im ersten Ring der Stadt die Sanierung und Aufwertung<br />

der traditionellen innenstadtnahen Wohnquartiere und<br />

die Erhaltung der Altbausubstanz neben dem notwendigen Abriss<br />

und Rückbau von Seiten- und Hinterhäusern im Vordergrund<br />

stadtplanerischen Handelns.<br />

Der zweite Stadtring Magdeburgs umfasst sowohl komplexe<br />

Großwohnsiedlungen als auch Randzonen und ehemalige Dorflagen.<br />

Während in Dorflagen, die durch Eigenheimneubau eine<br />

Aufwertung erfahren haben, kaum Leerstandsproblematik zu<br />

verzeichnen ist, weisen andere Dorflagen Leerstände von bis zu<br />

40 Prozent auf. Auch im DDR-Großwohnsiedlungsbestand in<br />

städtebaulich nicht integrierten Randlagen (v. a. in den Stadtteilen<br />

Neustädter Feld und Neu Olvenstedt) ist ein Leerstand<br />

von bis zu 30 Prozent zu verzeichnen, der sich bereits auf die<br />

lokale Versorgungsinfrastruktur auswirkt. Mit der Reduzierung<br />

und Auflockerung der vorhandenen Bebauung soll hier nachteiligen<br />

Effekten der Schrumpfungsprozesse zuvorgekommen werden.<br />

In einem ersten Schritt wurden dabei elfgeschossige Plattenbauten<br />

zurückgebaut. Die entstandenen Freiflächen wurden


zur Verbesserung der Wohnumfeldqualität parkähnlich gestaltet.<br />

Um auch die Wohnungsqualität aufzuwerten, wurden aufwendige<br />

und teilweise spektakuläre Sanierungsmaßnahmen an<br />

Gebäuden am Ufer des Neustädter Sees durchgeführt.<br />

Zurzeit erfolgen weitere bauliche Aufwertungen im Zuge der<br />

Internationalen Bauausstellung Stadtumbau. Im Unterschied zu<br />

den Vorgängerinitiativen in Westdeutschland setzt die IBA<br />

Stadtumbau nicht in erster Linie auf teure bauliche Lösungen.<br />

Vielmehr werden neue Wege und Lösungen zum Umgang mit<br />

Schrumpfungsprozessen aufgezeigt. Beispielsweise wurde für<br />

die Stadt Magdeburg ein Kataster für problematische Immobilien<br />

entwickelt. Zudem werden neue Methoden zum Flächenmanagement<br />

in der schrumpfenden Stadt entwickelt. Die Umgestaltung<br />

des alten Handelshafens zum „Wissenshafen“ ist ein<br />

weiteres Ankerprojekt der IBA Stadtumbau in Magdeburg. Dabei<br />

soll die Fläche für Ausgründungen von ansässigen wissenschaftlichen<br />

Forschungsinstitutionen umgestaltet und entsprechend<br />

vermarktet werden (siehe Website IBA Stadtumbau). 44<br />

44 http://www.iba-stadtumbau.de/index.php?magdeburg<br />

Magdeburger Zukunftsdialog<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Ausgangspunkt, sich mit den Herausforderungen des demographischen<br />

Wandels zu beschäftigen, war ein Bericht zur sozialen<br />

Lage in der Stadt Magdeburg, der aktuelle Entwicklungen und<br />

Tendenzen mit den Prozessen des demographischen Wandels<br />

verbindet und Herausforderungen benennt.<br />

Ziel ist die Sensibilisierung der Stadtverwaltung und -politik für<br />

absehbare soziale Veränderungen im Zuge des demographischen<br />

Wandels. So soll einerseits ein Verständnis für anstehende<br />

Maßnahmen (wie z. B. den Umbau von Infrastruktur) erzeugt<br />

werden. Andererseits sollen auch Projekte in öffentlich-privaten<br />

Partnerschaften entwickelt und gefördert werden. Im Magdeburger<br />

Zukunftsdialog werden die aktuellen Tendenzen des<br />

demographischen Wandels erörtert sowie Handlungsfelder und<br />

Projektansätze herausgearbeitet, die in entsprechende Projektstrukturen<br />

eingebettet werden sollen. Dabei wird die ressortübergreifende<br />

Abstimmung von Strategien und Planungen<br />

innerhalb der Handlungsfelder zukunftsbezogen ausgerichtet.<br />

Im Jahr 2006 begann die Stadtverwaltung damit, den Dialog<br />

zwischen Stadtverwaltung, Politik und Bürgerschaft zu intensivieren.<br />

Mit der Veranstaltung „Folgen des demographischen<br />

Wandels in Magdeburg“ wurde im November 2006 eine öffentlichkeitswirksame<br />

Diskussionsreihe begonnen. Ziel der Reihe<br />

ist, die Stadtgesellschaft für das Thema demographischer Wan-<br />

93


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

del zu sensibilisieren und anstehende Maßnahmen zu erklären.<br />

Im ersten Halbjahr 2007 wurden Folgeveranstaltungen zu Detailthemen<br />

des demographischen Wandels durchgeführt (Landeshauptstadt<br />

Magdeburg 2006). 45 Diese themenorientierten<br />

Workshops werden sich thematisch an den Aufgabengebieten<br />

der städtischen Dezernate ausrichten. Vorgesehene Themen<br />

sind bisher Stadt und Umland, Infrastruktur/Wohnen, Wirtschaft/Wissenschaft,<br />

Kultur/Bildung, Soziales und Imageverbesserung<br />

der Landeshauptstadt. Die Workshops verfolgen das<br />

Ziel, die Diskussion von Handlungsmöglichkeiten und Lösungswegen<br />

in Magdeburg weiterzuführen.<br />

94<br />

Familien- und Sozialpolitik<br />

Im November 2004 hat die Stadt das „Magdeburger Bündnis für<br />

Familie“ als bundesweit 100. Bündnis gegründet. Daran sind<br />

Akteure und Einzelpersonen aus verschiedenen Bereichen des<br />

öffentlichen Lebens beteiligt. Das Ziel des Bündnisses ist die<br />

Verbesserung der Lebensbedingungen für Familien in Magdeburg.<br />

Die Rahmenbedingungen für Familien sollen durch die<br />

Initiativen des Bündnisses und die Intensivierung der Diskussion<br />

zu familienpolitischen Handlungsfeldern (wie beispielsweise<br />

Bildung und Erziehung, Arbeitswelt und Familie, Freizeit<br />

und Sport, Rollenverständnis in der Familie, Verkehr und Wohnen)<br />

verbessert werden. In Arbeitsgruppen des Bündnisses<br />

sind zahlreiche Projektideen entwickelt worden. Zudem werden<br />

verschiedene Aktionstage zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit<br />

durchgeführt. Ein Beispiel dafür ist der Aktionstag „Offen<br />

für Familie“, bei dem das Rathaus für einen Tag die Türen explizit<br />

für Kinder, Jugendliche und Familien öffnet.<br />

Das „Kinder- und familienfreundliche Programm der Stadt<br />

Magdeburg“ stellt einen Ansatz der Verwaltung dar, die in der<br />

Stadt vorhandenen Maßnahmen zur Unterstützung von Familien<br />

stärker zu bündeln und aufeinander abzustimmen. Fehlbedarfen<br />

soll mit einer Weiterentwicklung des kommunalen Leistungsspektrums<br />

begegnet werden. In einem ersten Schritt<br />

wurde dazu eine Bestandsaufnahme kommunaler, die Familien<br />

unterstützender Leistungen durchgeführt. Dabei wurden sowohl<br />

45 Landeshauptstadt Magdeburg (2006): Information des Oberbürgermeisters zum Thema Umgang mit den Folgen des demographischen Wandels. 12.12.2006/18.01.2007.<br />

Magdeburg.


Angebote zur Förderung von Familien aufgenommen, die in<br />

kommunaler Trägerschaft oder von freien Trägern erbracht und<br />

durch die Landeshauptstadt Magdeburg gefördert werden, als<br />

auch finanzielle Vergünstigungen für Familien. Mithilfe des<br />

„Kinder- und familienfreundlichen Programms“ ist es das erklärte<br />

Ziel der Stadt, die Lebensbedingungen für Familien in<br />

Magdeburg kontinuierlich zu verbessern. Familien mit Kindern<br />

soll die Teilhabe am wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen<br />

Leben (vor allem im Vergleich zu kinderlosen Erwachsenen) erleichtert<br />

werden. Dabei sollen junge Eltern in ihrer Elternrolle<br />

und in ihrer Erziehungsverantwortung gestärkt werden.<br />

Zum Umsetzungsstand der kinder- und familienfreundlichen<br />

Maßnahmen in Magdeburg wurde im Stadtrat informiert. Eine<br />

Präzisierung dieses Maßnahmenbündels wird mit dem „Kinderund<br />

familienfreundlichen Programm der Stadt Magdeburg“ fortgeschrieben.<br />

Das Programm zielt auf die Aufwertung des Ansehens<br />

von Familien in der Öffentlichkeit, die Bereitstellung von<br />

Baugrundstücken für Familien, die finanzielle Unterstützung<br />

von Familien und die Verbesserung der Wohn- und Freizeitsituation<br />

für Familien. Seit dem Jahr 2002 wird eine Kinderfreundlichkeitsprüfung<br />

bei Entscheidungsvorlagen des Stadtrats<br />

oder seiner Ausschüsse praktiziert. In der Stadt Magdeburg<br />

wurde im Jahr 1995 die Position einer hauptamtlichen Kinderbeauftragten<br />

eingerichtet. Sie nimmt als Interessenvertreterin<br />

von Kindern und Jugendlichen eine verknüpfende Funktion<br />

innerhalb der Stadtverwaltung ein. Wichtige Arbeitsfelder der<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Kinderbeauftragten sind die Koordination des „Magdeburger<br />

Bündnisses für Familie“ (siehe oben), die Förderung eines kinderfreundlichen<br />

Wohnumfeldes und die Unterstützung des<br />

„Jugendforums Magdeburg“.<br />

Im Rahmen des Projektes „test it“ wurden in den Jahren 2005<br />

und 2006 Spielplätze durch Kinder im Alter zwischen drei und<br />

13 Jahren auf ihre Kinderfreundlichkeit getestet. Neben der<br />

Sauberkeit und Sicherheit wurden Kriterien wie Spaßfaktor,<br />

Vielfalt und das Vorhandensein ausreichender Grünflächen kritisch<br />

untersucht. Im Ergebnis wurden die kinderfreundlichsten<br />

Spielplätze mit einem Siegel ausgestattet. Das Projekt wurde<br />

zudem mit einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit begleitet. Ziel<br />

war und ist es, die Öffentlichkeit für saubere und anregungsreiche<br />

Spielplätze und Spielmöglichkeiten zu sensibilisieren. Mit<br />

der Gewinnung von ehrenamtlichen Spielplatzpaten wurde eine<br />

von vielen Ideen des „Magdeburger Bündnisses für Familie“<br />

umgesetzt. Durch die Spielplatzpaten werden eigenständig<br />

Spielplatzfeste, Renovierungsarbeiten und Säuberungsaktionen<br />

durchgeführt. So kann ein wichtiger Beitrag zur Erhöhung der<br />

Attraktivität von öffentlichen Spielplätzen geleistet werden.<br />

95


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Mit dem „Jugendforum Magdeburg“ besteht eine Interessenvertretung<br />

zur kontinuierlichen Beteiligung junger Menschen an<br />

Entscheidungen der kommunalen Verwaltung und Politik. Es<br />

wird durch die ARGE Magdeburg und über städtisch finanzierte<br />

Kräfte unterstützt und verfügt über eigene Räumlichkeiten<br />

sowie über ein selbst zu verwaltendes Finanzbudget. Die im<br />

Rahmen des Jugendforums Aktiven können so eigenständig<br />

Aktivitäten und Projekte durchführen. Beispielsweise wurde<br />

eine Schülerrechtsbroschüre erarbeitet, die allen Magdeburger<br />

Schülerinnen und Schülern kostenlos zur Verfügung gestellt<br />

wird. Zu Beginn des Jahres 2006 wurde ein Aktionstag „Jugend<br />

im Rathaus“ durchgeführt, bei dem Jugendliche die Möglichkeit<br />

hatten, mit den Spitzen der Magdeburger Verwaltung und Politik<br />

aktuelle kommunalpolitische Themen zu diskutieren.<br />

Zur Integration von beruflich benachteiligten Personen und um<br />

negativen Segregationseffekten entgegenzuwirken, hat die Stadt<br />

Magdeburg für den Zeitraum 2006 bis 2008 die Umsetzung des<br />

„Jugendpolitischen Programms zur beruflichen und sozialen<br />

Integration Benachteiligter (BIB-Magdeburg)“ beschlossen. Es<br />

basiert auf den Zielsetzungen des arbeitsmarktpolitischen Programms<br />

der Stadt Magdeburg, des Gender-Mainstreaming-Ansatzes<br />

sowie den Leitlinien der EU zur Beschäftigungsförderung,<br />

zum Abbau von Benachteiligungen am Arbeitsmarkt und<br />

zur Förderung der Chancengleichheit. Es steht unter der Trägerschaft<br />

des städtischen Jugendamts. Unter der Annahme eines<br />

Zusammenhangs von Beschäftigungsunzufriedenheit und Zu-<br />

96<br />

nahme fremdenfeindlicher Tendenzen in der Bevölkerung ist<br />

das BIB-Programm in das Programm gegen Rechtsextremismus<br />

der Stadt Magdeburg eingebunden.<br />

Im Auftrag des Stadtrats kommt dabei dem Jugendamt die Aufgabe<br />

zu, verbindliche Kooperationsstrukturen zu Schulen, dem<br />

Sozial- und Wohnungsamt, der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter<br />

ARGE weiterzuentwickeln. Der eng mit der Jugendsozialarbeit<br />

verknüpfte Programmansatz verfolgt das Ziel, den Anteil<br />

von Schulabgängern mit Schulabschluss zu erhöhen und die<br />

Quote von Schulverweigerern zu senken. Zudem soll die Quote<br />

von Jugendlichen gesenkt werden, die eine Berufsvorbereitung<br />

oder Ausbildung abbrechen. Generell sollen Chancen und Möglichkeiten<br />

für benachteiligte junge Menschen verbessert werden,<br />

um ihre persönlichen Berufs- und Lebensziele entwickeln


und aktiv umsetzen zu können. Zur Realisierung des Programms<br />

stand für das Jahr 2006 ein Etat von rund 1,55 Mio.<br />

Euro zur Verfügung, der bis zum Jahr 2008 auf rund 1,74 Mio.<br />

Euro aufgestockt werden soll. Die geplante Einbindung von<br />

ABM-Projekten, z. B. im Bereich von Freizeitangeboten für Kinder<br />

und Jugendliche oder in Schulen und Schulbibliotheken, geschieht<br />

in Kooperation mit dem kommunalen Beschäftigungsträger.<br />

Die Gesellschaft für Ausbildung, Qualifizierung und Beschäftigung<br />

(AQB mbH) stellt ebenfalls eigene finanzielle Mittel<br />

bzw. Arbeitsressourcen zur Verfügung und stimmt die Personalauswahl<br />

und die Einsatzgebiete der Kräfte sowie die Absicherung<br />

von fachlichen Standards mit den beteiligten städtischen<br />

Ämtern ab.<br />

Projekte und Einzelansätze<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

Wettbewerb Magdeburger Unternehmen für „Work-Life-<br />

Balance“-Maßnahmen<br />

Der Wettbewerb „Work-Life-Balance“ ist ein von der Stadt Magdeburg<br />

initiiertes Projekt in Zusammenarbeit mit der Stadtsparkasse.<br />

Unter der Zielsetzung einer intelligenten Verzahnung<br />

von Arbeits- und Privatleben in Verbindung mit einer gesunden<br />

Lebensweise soll die Innovationsfähigkeit und Kreativität von<br />

Unternehmen im Hinblick auf familienfreundliche Arbeitsstrukturen<br />

ausgezeichnet werden (siehe Website Stadt Magdeburg).<br />

46 Kleine und mittlere Unternehmen (bis zu 250 Beschäftigte)<br />

sollen durch den Wettbewerb angeregt werden, familienfreundliche<br />

Arbeitsbedingungen zu schaffen. Das Projekt<br />

setzt zudem auf die Verbreitung von guten Beispielen. Durch<br />

die öffentlichkeitswirksame Prämierung und Dokumentation<br />

von guten Beispielen werden realisierbare Möglichkeiten für<br />

kleinere und mittlere Unternehmen aufgezeigt. Für die prämierten<br />

Unternehmen ergeben sich positive Imageeffekte.<br />

Hintergrund des Wettbewerbs und der damit verbundenen<br />

Kampagne ist die sich verändernde Lebens- und Arbeitswelt, die<br />

gerade in Städten mit schwierigen Arbeitsmarktsituationen die<br />

Verknüpfung von Arbeits- und Privatleben erschwert. Ziel ist es<br />

einerseits, die Erwerbsbeteiligung von Eltern zu steigern. Andererseits<br />

können durch eine familienfreundliche Unternehmens-<br />

46 http://www.magdeburg.de/index.phtml?sNavID=1.100&La=1&mNavID=1.100&ffmod=suche&ffsm=1&ffmod=tx&object=tx|698.1503.1&FID=698.1503.1<br />

97


5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

führung die Arbeitsmotivation gesteigert und die Personalfluktuation<br />

verringert werden (siehe ebd.). Das „stressfreie“ Arbeiten<br />

von Eltern durch eine gesicherte Kinderbetreuung in der<br />

Nähe ermöglicht mehr Kreativität und Flexibilität.<br />

Die Maßnahmen der im Jahr 2006 erstmals prämierten Unternehmen<br />

sind vielseitig. Der Gewinner des Wettbewerbs hat beispielsweise<br />

einen Betriebskindergarten in nicht benötigten<br />

Büroräumen eingerichtet, in dem die Kinder durch Erzieherinnen<br />

bzw. durch die Mitarbeiter selbst betreut werden. Zudem<br />

wurden besondere Arbeitszeitmodelle geschaffen, die Eltern ein<br />

flexibleres Arbeiten im Betrieb oder zu Hause (Stichwort Telearbeit)<br />

ermöglichen. Im Bereich der gesunden Lebensführung<br />

werden sportliche Aktivitäten und auch ehrenamtliches Engagement<br />

von Mitarbeitern durch Arbeitszeitausgleich unterstützt.<br />

98<br />

Der Work-Life-Balance-Wettbewerb wird von der Stadt Magdeburg<br />

als Erfolg bewertet. Im Ergebnis konnten alle Beteiligten<br />

profitieren: die Unternehmen durch Imageeffekte und gesteigerte<br />

Arbeitsmotivation und die Beschäftigten durch die bessere<br />

Vereinbarkeit von Arbeits- und Familienleben. Zudem resultiert<br />

aus einer gesünderen Lebensführung und einem ehrenamtlichen<br />

Engagement auch ein gesamtgesellschaftlicher bzw.<br />

auch volkswirtschaftlicher Nutzen. Aufgrund des Erfolges soll<br />

der Wettbewerb fortgesetzt werden. Eine Neuauflage des Wettbewerbs<br />

ist von der Stadt Magdeburg bereits angekündigt worden.<br />

Jobpilot Magdeburg<br />

Seit August 2006 wird von der Stadt Magdeburg, unter der Leitung<br />

des SPI Soziale Stadt und Land Entwicklungsgesellschaft<br />

mbH, das arbeitsmarktpolitische Modellprojekt „Jobpilot“<br />

durchgeführt. Das Projekt beschränkt sich mit einer geplanten<br />

Laufzeit von zehn Monaten auf den beschäftigungsstrukturell<br />

benachteiligten Stadtteil Olvenstedt.<br />

Mit dem Ziel, mittels motivierender und kreativer Projektarbeit<br />

Voraussetzungen zur Reintegration von Langzeitarbeitslosen<br />

ins Erwerbsleben zu schaffen, die unter multiplen Vermittlungshemmnissen<br />

leiden, wurden die folgenden Projektbausteine<br />

konzipiert:<br />

• intensive Begleitung von mindestens 40 Teilnehmern durch


Fachkräfte während der gesamten Projektlaufzeit bei regelmäßiger<br />

Rücksprache mit sozialpädagogischen Begleitern<br />

• intensive Stärkung der Sozialkompetenzen durch sozialpädagogische<br />

Gesprächsführung und mittels „DNLA-Profiling“<br />

(welches gemäß der Formel „Discovery of Natural Latent<br />

Abilities“ die persönlichen Stärken der Teilnehmer für deren<br />

Berufsfindung erkennbar und nutzbar machen soll)<br />

• sozialraumorientierte Heranführung an das Thema Beschäftigung,<br />

z. B. durch die individuelle Erfassung von sozialen und<br />

fachlichen Kompetenzen der Teilnehmer und durch eine anschließende<br />

viermonatige Trainingsphase zur Übung entsprechender<br />

Tätigkeiten)<br />

• Aktivierung von vorhandenen Netzwerkstrukturen, z. B. im<br />

Rahmen des Stadtteilmanagements und Kooperationen mit<br />

Akteuren und Einrichtungen vor Ort<br />

• die Durchführung eines sechswöchigen Betriebspraktikums<br />

für jeden Teilnehmer in der freien Wirtschaft<br />

• eine möglichst passgenaue Vermittlung der Teilnehmer in<br />

eine Erwerbstätigkeit auf Basis ihrer wiederhergestellten Beschäftigungsfähigkeit<br />

während einer sechsmonatigen Eingewöhnungs-<br />

bzw. Trainingsphase.<br />

Entsprechend der oben dargestellten Methodik ist die Reintegration<br />

der Langzeitarbeitslosen in fünf Phasen gegliedert. Die<br />

Einstiegsphase bildet ein Kompetenztest- und Qualifizierungsverfahren,<br />

um die persönlichen Stärken und Schwächen der<br />

Teilnehmer festzustellen. Es folgt eine Trainingsphase mit ver-<br />

5 Handlungsansätze guter Praxis<br />

schiedenen Aktionsangeboten an die Teilnehmer. Es werden<br />

Tätigkeiten in Nachbarschaftsprojekten angeboten, wodurch<br />

neben dem Üben der Beschäftigung gleichzeitig die Identifikation<br />

der Teilnehmer mit ihrem Stadtteil und die dortige Anerkennung<br />

ihrer Arbeit erhöht werden soll. Die dritte Phase bildet<br />

ein Betriebspraktikum, das möglichst auf den in der Trainingsphase<br />

gewonnenen positiven Beschäftigungserfahrungen aufbauen<br />

soll. Die Auswertungs- und Klärungsphase dient der<br />

Überprüfung der Praktikumserfahrungen und -erfolge. Das<br />

Ergebnis ist ein daran angelehnter Förderplan für individuellen<br />

Unterstützungsunterricht. Zuletzt folgt eine Stabilisierungsund<br />

Vermittlungsphase mit einem abschließenden zweiten<br />

Praktikum. Dabei ist es das Ziel, die erworbenen Fertigkeiten zu<br />

überprüfen und den Teilnehmern mehr Sicherheit und Routine<br />

zu vermitteln. Gleichzeitig wird in der letzten Phase die Vermittlung<br />

der Teilnehmer in langfristige Arbeitsverhältnisse angestrebt,<br />

wobei Sozialpädagogen und das SPI den Teilnehmern<br />

in der Bewerbungsphase begleitend zur Seite stehen.<br />

Das Projekt „Jobpilot“ verfolgt das Hauptziel, eine berufsbiographische<br />

Perspektive für die Teilnehmer aufzubauen und diese<br />

unter sozialpädagogischer Begleitung direkt umzusetzen. Darüber<br />

hinaus sollen den Teilnehmern durch die Erfahrung des<br />

Projekts auch ein neues Selbstbewusstsein und ein Know-how<br />

vermittelt werden, das ihnen bei einer eventuellen erneuten<br />

Arbeitslosigkeit zu einem höheren Maß an Eigenständigkeit<br />

verhilft.<br />

99


Literaturliste<br />

Literaturliste<br />

Backhaus, Klaus, et al. (2000): Multivariate Analysemethoden.<br />

Eine anwendungsorientierte Einführung. Berlin.<br />

Bertsch, Frank, und Michael-Burkhard Piorkowsky (2005):<br />

„Impulse für die neue Politik der Sozialen Stadt“. Aus Politik<br />

und Zeitgeschichte 3. 32<strong>–</strong>38.<br />

Blotevogel, Heinrich, et al. (2003): Stadt-Umland-Wanderungen<br />

im <strong>Ruhr</strong>gebiet. Abschlussbericht zum Forschungsprojekt, gefördert<br />

durch den Kommunalverband <strong>Ruhr</strong>gebiet. Institut für<br />

Geographie. <strong>Universität</strong> Duisburg-Essen, Campus Duisburg.<br />

Böltken, Ferdinand (2005): „Kommunale Ansätze zur Stadtteiltypisierung“.<br />

Regionale Standards. Eine gemeinsame Empfehlung<br />

des Arbeitskreises Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute<br />

e. V. (ADM), der Arbeitsgemeinschaft Sozialwissenschaftlicher<br />

Institute e. V. (ASI) und des Statistischen Bundesamtes.<br />

AG Regionale Standards. 129<strong>–</strong>131.<br />

Bortz, Jürgen (1998): Statistik für Sozialwissenschaftler. Berlin.<br />

Bourdieu, Pierre (1991): „Physischer, sozialer und angeeigneter<br />

physischer Raum“. Stadt-Räume. Hrsg. Martin Wentz. Frankfurt<br />

am Main und New York. 25<strong>–</strong>34.<br />

100<br />

Breckner, Ingrid, Toralf Gonzalez und Marcus Menzl (1998):<br />

Auswirkungen der Umlandwanderung auf den Hamburger<br />

Wohnungsmarkt. Studie der Technischen <strong>Universität</strong> Hamburg-<br />

Harburg im Auftrag der Baubehörde Hamburg. Hamburg.<br />

Brosius, Felix (2004): SPSS 12. Bonn.<br />

Büttner, Renate, et al. (2003): Bildungsbeteiligung im <strong>Ruhr</strong>gebiet:<br />

Auf der Suche nach einer „neuen Kompensatorik“. Essen.<br />

Dangschat, Jens S., Klaus Brake und Günter Herfert (2001):<br />

Suburbanisierung in Deutschland <strong>–</strong> aktuelle Tendenzen.<br />

Opladen.<br />

Deutscher Städtetag (Hrsg.) (1997): Demographischer Wandel:<br />

Herausforderungen für die kommunale Wohnungspolitik. DST-<br />

Beiträge Reihe E: Beiträge zur Stadtentwicklung und zum<br />

Umweltschutz. Nr. 26. Köln.<br />

Deutscher Städtetag (Hrsg.) (2003): Lebenswert und leistungsfähig:<br />

Städte sind Zukunft. Heft 5. Köln.<br />

DIFU <strong>–</strong> Deutsches Institut für Urbanistik (2003): „Good<br />

Practice in Altbau- und gemischten Quartieren. Eine Analyse<br />

im Rahmen des Bund-Länder-Programms ‚Stadtteile mit besonderem<br />

Entwicklungsbedarf <strong>–</strong> Die Soziale Stadt‘“. Arbeitspapiere<br />

zum Programm Soziale Stadt. Bd. 10. Berlin.


Eichener, Volker (2003): „Auswirkungen der demographischen<br />

Entwicklung auf die Wohnungsmärkte“. Wohnungswirtschaft<br />

und Mietrecht (56) 11 2003. 607<strong>–</strong>612.<br />

Forum Gesunde Stadt Stuttgart e.V. (2004): Wie kommt Lisa<br />

nach Pisa? Dokumentation des Bewegungsprojektes im Kindergarten<br />

an der Evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik<br />

in Botnang, November 2003 <strong>–</strong> Juli 2004. Stuttgart.<br />

Franz, Peter (2005): „Regionalpolitische Optionen für schrumpfende<br />

Städte“. Aus Politik und Zeitgeschichte 3. 10<strong>–</strong>16.<br />

Friedrichs, Jürgen (Hrsg.) (1988): Soziologische Stadtforschung.<br />

Opladen.<br />

Friedrichs, Jürgen (1995): Stadtsoziologie. Opladen.<br />

Friedrichs, Jürgen, und Jörg Blasius (2000): Leben in benachteiligten<br />

Wohngebieten. Opladen.<br />

Harth, Annette, Ulfert Herlyn und Gitta Scheller (1998):<br />

Segregation in ostdeutschen Städten. Opladen.<br />

Häußermann, Hartmut (2005): „Umbauen und Integrieren <strong>–</strong><br />

Stadtpolitik heute“. Aus Politik und Zeitgeschichte 3. 3<strong>–</strong>8.<br />

Literaturliste<br />

Häußermann, Hartmut, und Walter Siebel (1986): „Zukünfte<br />

der Städte: Tendenzen der Stadtentwicklung und Optionen der<br />

Kommunalpolitik“. Leviathan Sonderheft (14) 7 1986. 102<strong>–</strong>118.<br />

Heitmeyer, Wilhelm, zus. mit Rainer Dollase und Otto Backes<br />

(Hrsg.) (1998): Die Krise der Städte. Analysen zu den Folgen<br />

desintegrativer Stadtentwicklung für das ethnisch-kulturelle<br />

Zusammenleben. Frankfurt am Main.<br />

ILS/ZEFIR (2006): Sozialraumanalyse <strong>–</strong> Soziale, ethnische und<br />

demografische Segregation in den nordrhein-westfälischen<br />

Städten. ILS-NRW Schriften Bd. 201. Dortmund.<br />

Institut der deutschen Wirtschaft (Hrsg.) (2004): Perspektive<br />

2050: Ökonomik des demographischen Wandels. Köln.<br />

Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des<br />

Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (2002): Demographische<br />

Entwicklung <strong>–</strong> Schrumpfende Stadt. Bericht für die Sitzung des<br />

ILS-Beirates am 13.2.2002, Dortmund.<br />

Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des<br />

Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (2003): Beiträge zur demographischen<br />

Entwicklung. Dortmund.<br />

Jakubowski, Peter (2005): „Neue Kooperationsformen in der<br />

Stadtentwicklung“. Aus Politik und Zeitgeschichte 3. 17<strong>–</strong>24.<br />

101


Literaturliste<br />

Jens S. Dangschat, Klaus Brake und Günter Herfert (2001):<br />

Suburbanisierung in Deutschland. Aktuelle Tendenzen. Opladen.<br />

Kaufmann, Franz-Xaver (1997): Herausforderungen des Sozialstaates.<br />

Frankfurt am Main.<br />

Klemmer, Paul (2001): Steht das <strong>Ruhr</strong>gebiet vor einer demographischen<br />

Herausforderung? Schriften und Materialien zur<br />

Regionalforschung Nr. 7. Essen.<br />

Landeshauptstadt Stuttgart, Referat Soziales, Jugend und<br />

Gesundheit (2003): Sozialdatenatlas Kinder und Jugendliche.<br />

Daten aus dem Jahr 2002. Stuttgart.<br />

Linde, Hans (1984): Theorie der säkularen Nachwuchsbeschränkung<br />

1800 bis 2000. Frankfurt am Main und New York.<br />

Naroska, Hans-Jürgen (1988): „Urban Underclass und ‚neue‘<br />

soziale Randgruppen im städtischen Raum“. Soziologische<br />

Stadtforschung. Hrsg. Jürgen Friedrichs. Opladen. S. 251<strong>–</strong>271.<br />

Neubauer, Jennifer, und Klaus Peter Strohmeier (1998):<br />

„Kommunale Sozialpolitik“. Kommunalpolitik in Nordrhein-<br />

Westfalen im Umbruch. Schriften zur politischen Landeskunde<br />

Nordrhein-Westfalens. Band 12. Hrsg. Uwe Andersen. Köln.<br />

289<strong>–</strong>307.<br />

102<br />

Neumann, Uwe (2005): Ökonomisch-demographische Segregationsmechanismen<br />

<strong>–</strong> Aktuelle Befunde aus der Rhein-<strong>Ruhr</strong>-<br />

Region. RWI: Materialien. Heft 18. Essen.<br />

Projekt <strong>Ruhr</strong> GmbH (Hrsg.) (2002): Demografischer Wandel im<br />

<strong>Ruhr</strong>gebiet: Bevölkerungsentwicklung und Kommunalfinanzen<br />

im <strong>Ruhr</strong>gebiet <strong>–</strong> Ein Problemaufriss. Essen.<br />

Projekt <strong>Ruhr</strong> GmbH (Hrsg.) (2002): Demographischer Wandel<br />

im <strong>Ruhr</strong>gebiet. Bevölkerungsentwicklung und Sozialraumstruktur<br />

im <strong>Ruhr</strong>gebiet. Essen.<br />

Projekt <strong>Ruhr</strong> GmbH (Hrsg.) (2002): Demographischer Wandel<br />

im <strong>Ruhr</strong>gebiet: Ethnisches Mosaik des <strong>Ruhr</strong>gebiets: Typisierung<br />

der Stadtteile und Potenziale der Migranten. Essen.<br />

Schmidtke, Kerstin (2005): Konzepte und Methoden zur Abbildung<br />

von Lebenslagen <strong>–</strong> Bildung von Lebenslagen-Indices am<br />

Beispiel der Berliner Sozialhilfestatistik. Spezialbericht 2005-1.<br />

Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz.<br />

Berlin.<br />

Schultz, Annett, Peter Strohmeier und Christoph Weischer<br />

(2004): Familienentwicklung im industriellen Ballungsraum.<br />

Lebensformen, Lebenslagen und die Zukunft der Familien im<br />

<strong>Ruhr</strong>gebiet. Expertise für den siebten Familienbericht der<br />

Bundesregierung.


Seipt, Achim (2003): „Das Lichttalerprojekt. Ein Selbsthilfeprojekt<br />

für Kinder und Jugendliche“. Interkulturelle Verständigung<br />

<strong>–</strong> Bildung und Chancengleichheit 2002. Hrsg. Stadt<br />

München, Sozialreferat, Stadtjugendamt der Stadt München.<br />

München. 73<strong>–</strong>80.<br />

Stadt Berlin (Hrsg.) (2004): Sozialstrukturatlas Berlin 2003.<br />

Ein Instrument der quantitativen, interregionalen und intertemporalen<br />

Sozialraumanalyse und -planung. Senatsverwaltung<br />

für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz. Berlin.<br />

Stadt Gelsenkirchen (Hrsg.) (2004): Statistikatlas 2004.<br />

Oberbürgermeister der Stadt Gelsenkirchen. Fachbereich<br />

Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung. Statistikstelle.<br />

Gelsenkirchen.<br />

Stadt Nürnberg <strong>–</strong> Ausländerbeirat (Hrsg.) (2000): Wege zur<br />

Integration. Dokumentation der Bayerischen Projektebörse.<br />

Nürnberg.<br />

Stadt Stuttgart (Hrsg.) (2003): Sozialdatenatlas Kinder und<br />

Jugendliche. Daten aus dem Jahr 2002. Referat Soziales, Jugend<br />

und Gesundheit. Stuttgart.<br />

Stadt Ulm (2005): Bildungsoffensive der Stadt Ulm.<br />

Beschlussvorlage vom 19.01.2005 (öffentlich)<br />

Stadt Ulm (2006): Bildungsoffensive der Stadt Ulm.<br />

Beschlussvorlage vom 30.01.2006 (öffentlich).<br />

Literaturliste<br />

Stadt Ulm (Hrsg.) (2005): Ulmer Statistik 2004. Statistisches<br />

Jahrbuch. Bürgerdienste Sachgebiet Statistik und Wahlen. Ulm.<br />

Stadt Wuppertal (2005): Statistikdaten online. Statistikdatenbank.<br />

Ressort Allgemeine Dienste. Abteilung Infrastruktur,<br />

Statistik und Wahlen. www.wuppertal.de/rathaus/onlinedienste/<br />

db_statistik/.<br />

Stadt Wuppertal (Hrsg.) (2004): Wuppertal Statistik Info Jahr<br />

2004. Ressort Allgemeine Dienste. Abteilung Infrastruktur,<br />

Statistik und Wahlen.<br />

Strohmeier, Klaus Peter (1996): „Die Polarisierung der<br />

Lebensformen in den Städten und Gemeinden <strong>–</strong> soziale<br />

Hintergründe und sozialpolitische Probleme“. Die Stadt in<br />

Deutschland. Soziale, politische und kulturelle Lebenswelt.<br />

Gegenwartskunde, Sonderheft 9. Hrsg. Bernhard Schäfers und<br />

Göttrik Wewer. Opladen. 63<strong>–</strong>84.<br />

103


Literaturliste<br />

Strohmeier, Klaus-Peter (2001): Sozialraumanalyse Gelsenkirchen<br />

<strong>–</strong> stadträumliche Differenzierungen von Lebenslagen<br />

und Lebensformen der Bevölkerung, Armut und politischer<br />

Partizipation <strong>–</strong> Materialien und Analysen zur Begründung der<br />

Auswahl eines Stadtteils mit besonderem Erneuerungsbedarf.<br />

Abschlussbericht ZEFIR. <strong>Bochum</strong>.<br />

Strohmeier, Klaus Peter (2002): „Family Policy? How does it<br />

work?” Family Life and Family Policies in Europe. Volume II:<br />

Problems and Issues in Comparative Perspective. Hrsg. Franz-<br />

Xaver Kaufmann, Anton C. Kuijsten, Hans-Joachim Schulze<br />

und Klaus Peter Strohmeier. Oxford. 326<strong>–</strong>370.<br />

Zimmer-Hegmann, Ralf und Klaus Austermann (2000):<br />

Analysen der Umsetzung des integrierten Handlungsprogramms<br />

für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf. Evaluationsbericht<br />

zum nordrhein-westfälischen Landesprogramm. ILS-<br />

Schriften. Bd. 166. Dortmund.<br />

Zimmer-Hegmann, Ralf, Jan Fasselt und Evelyn Sucato (2004):<br />

„Wohnungsunternehmen als Akteure integrierter Stadt(teil)entwicklung“.<br />

vhw <strong>–</strong> Bundesverband für Wohneigentum und<br />

Stadtentwicklung e. V.: Forum Wohneigentum. Heft 3. Mai <strong>–</strong> Juli<br />

2004. Berlin.<br />

104<br />

Zimmer-Hegmann, Ralf, und Christian Meyer (2004):<br />

„Wohnungsmärkte und Segregation <strong>–</strong> Rahmenbedingungen<br />

für ein Belegungsmanagement“. Institut für Landes- und<br />

Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen des Landes NRW<br />

(ILS NRW) (Hrsg.): Belegungsmanagement in der integrierten<br />

Stadt(teil)entwicklung. Dortmund.


ISBN 978-3-89204-952-4<br />

Adresse | Kontakt<br />

Bertelsmann Stiftung<br />

Carl-Bertelsmann-Straße 256<br />

33311 Gütersloh<br />

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www.bertelsmann-stiftung.de<br />

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Telefon 05241 81-81228<br />

Fax 05241 81-681228<br />

E-Mail carsten.grosse.starmann@bertelsmann.de<br />

www.aktion2050.de<br />

www.bertelsmann-stiftung.de/verlag

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