Predigtimpuls von Jorge Gerhard, Diakoniepastor der ierp - Haus ...
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Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters und die<br />
Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen!<br />
Liebe Schwestern,<br />
liebe Brü<strong>der</strong>,<br />
ich (überbringe die Grüße und Segenswünsche unseres Kirchenpräsidenten Pfarrer<br />
Fe<strong>der</strong>ico Schäfer und unserer Kirchenleitung und) danke Ihnen für die Einladung, heute<br />
etwas <strong>von</strong> unseren Erfahrungen in <strong>der</strong> diakonisch-missionarischen Arbeit in<br />
Armenvierteln <strong>von</strong> Gross-Buenos Aires mit Ihnen zu teilen,- wo evangelische<br />
Gemeinden entstehen, hoffentlich mit allem drum und dran, was für ein Leben im<br />
Armenviertel nötig ist. – Danke im voraus für Ihre ökumenische Geduld.<br />
Wir stellen unsere Besinnung unter das Wort <strong>der</strong> Jahreslosung, wie es geschrieben steht<br />
im Evangelium nach Johannes im XIV. Kapitel, Vers 19 :<br />
Jesus Christus spricht:<br />
„Ich lebe und ihr sollt auch leben“<br />
Fährt man an das seit 20 Jahren bestehende Armenviertel <strong>von</strong> San Ambrosio heran,<br />
stößt man auf neu gebaute Hütten auf dem vormals freien Wiesenstreifen unter <strong>der</strong><br />
Hochspannungsleitung. Der Zuzug armer Familien aus dem Inland will nicht enden. Sie<br />
gehören meistens zu den 3,5 Millionen Menschen, die im Nahrungsmittel-Exportland<br />
Argentinien nicht einmal genügend zu essen haben.<br />
Trommeln, die zum akrobatischen Murga-Tanz einladen, rufen vom Ende <strong>der</strong> Erdstraße,<br />
in die nach vielen Regentagen alte PKW’s tiefe Furchen hinterließen.<br />
Eine Gruppe Mädchen und Jungen übt auf <strong>der</strong> Straße, <strong>von</strong> Magdalena, <strong>der</strong> Lehrerin für<br />
Tanz und Bildende Kunst, angeleitet. Sie sind ganz dabei und sehr vergnügt !<br />
Nicht so die Nachbarn, für die es am Samstagmorgen im Gemeindezentrum Casa San<br />
Pablo, <strong>Haus</strong> des Heiligen Paulus, doch ein bisschen zu heftig zugeht. Doch letztlich sind<br />
auch die Nachbarn für alle pädagogische Mühe dankbar und pflichten <strong>der</strong> Parole bei:<br />
„Lieber Tanz und Trommeln für die Jugend als Drogen und Diebstahl.“<br />
Jesus Christus spricht: „Ich lebe und ihr sollt auch leben“<br />
Mit einem Kürbisbehälter mit Mate-Tee in <strong>der</strong> Hand und unsicherem, schaukeligem<br />
Schritt kommt Doña Julia auf mich zu; ihr faltenreiches Gesicht strahlt freundlich;<br />
gerade erst 65 geworden, ist sie in Casa San Pablo <strong>von</strong> Anfang an dabei.<br />
Mit ihrem Mann und den 12 Kin<strong>der</strong>n hatte sich Doña Julia vor 25 Jahren am unweit<br />
entfernten Flussufer (des Reconquista) eine Hütte gebaut, als sie sich am Rande <strong>von</strong><br />
Gross-Buenos Aires nie<strong>der</strong>ließen. Sie verließen Corrientes, die Provinz <strong>der</strong> unendlichen<br />
Farmen und riesigen Rin<strong>der</strong>herden, weil es dort für sie keine Arbeit gab. Die Hauptstadt<br />
schien einen Ausweg zu bieten.
Harte Arbeit fürchteten sie nicht. Schon als kleines Schulkind musste Doña Julia<br />
morgens um 5 Kühe melken, den Hühnerstall säubern und die Tiere versorgen, bevor<br />
sie zur Schule ging. Ihre alleinerziehende Mutter hatte nämlich die Kleine einem<br />
reicheren kin<strong>der</strong>losen Ehepaar überlassen, damit sie ein besseres Leben hätte.<br />
Doch <strong>der</strong> Bauarbeiter-Tageslohn in Buenos Aires ermöglichte <strong>der</strong> Familie nur ein<br />
kümmerliches Dasein am Ufer eines Flusses, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Regenzeit über die Ufer trat, die<br />
Hütten unter Wasser setzte und schließlich zusammenfallen ließ.<br />
Darum beschlossen sie mit an<strong>der</strong>en Familien auf einer Anhöhe eine freie Koppel zu<br />
besetzen. Unzählige an<strong>der</strong>e Obdachlose strömten hinzu, um ein Stück Zukunft zu<br />
ergreifen. Grundstücke wurden abgesteckt und Plastikplanen gespannt, in <strong>der</strong> Hoffnung<br />
<strong>von</strong> einer polizeilichen Räumung verschont zu bleiben.<br />
Jesus Christus spricht: „Ich lebe und ihr sollt auch leben“.<br />
Die große Landbesetzung machte Schlagzeilen. Ein Theologiestudenten-Ehepaar<br />
unserer Kirche schloss sich den Besetzern an und errichtete eine weitere Hütte.<br />
„Schon wie<strong>der</strong> diese lästigen Evangelischen, die einen voll labern“, gesteht Doña Julia,<br />
damals gesagt zu haben, als sie zwischen Protestanten, Mormonen und Zeugen Jehovas<br />
noch nicht unterscheiden konnte.<br />
„Doch die Theologiestudenten halfen uns, das Viertel zu organisieren“, erzählt sie. „Aus<br />
ihrer Hütte enstand mit Hilfe des Gustav-Adolf-Werkes ein Gemeindezentrum.<br />
- Und als die grosse Teuerung kam, haben wir Frauen dreihun<strong>der</strong>t<br />
Essensportionen am Tag gekocht mit Unterstützung <strong>der</strong> Kommune und <strong>der</strong><br />
Spenden aus <strong>der</strong> Schweiz und aus Deutschland.<br />
- Ein Kin<strong>der</strong>bibelnachmittag, <strong>Haus</strong>aufgabenhilfe und Workshops für Jugendliche<br />
wurden eingerichtet. Alles wird getan, damit sie die Schule nicht abbrechen und<br />
auf <strong>der</strong> Straße `rumhängen. Und bald haben wir unsere ersten<br />
Hochschulstudenten und einer unserer Jungs ist <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong><br />
Kirchenkreisjugend“, fügt Doña Julia stolz hinzu; sichtbare, große Erfolge nach<br />
mühevollen Jahren, in denen viele Menschen, auch viele Freiwillige aus dem<br />
Ausland, ihre Gaben eingebracht haben.<br />
„Gott hat uns auf diesem Wege des Miteinan<strong>der</strong>s geholfen, im Glauben zu wachsen“,<br />
bekennt Doña Julia, die sich trotz aller Nöte, Mühen und Arbeit <strong>von</strong> Gott gehalten und<br />
beschenkt weiß.<br />
Jesus Christus spricht: „Ich lebe und ihr sollt auch leben“.<br />
Sandra, eine junge Frau aus <strong>der</strong> Frauengruppe, tritt strahlend in die mate-Runde unter<br />
den Pappeln au dem Gemeindehof. Sie ist froh, weil <strong>der</strong> Marsch durch das Viertel<br />
gegen sexuellen Missbrauch und häusliche Gewalt … ein Erfolg gewesen ist; über 300<br />
Leute hätten sich an <strong>der</strong> Aktion beteiligt.<br />
Sandra erzählt mir, wie es dazu kam: „An den Treffen <strong>der</strong> Frauengruppe nimmt eine<br />
junge Mutter mit ihrem kleinen Sohn teil. Sie war immer dabei, hörte sich alles an, was<br />
die an<strong>der</strong>en Frauen <strong>von</strong> sich erzählten, sagte aber kein Wort. Warum sagst du nichts?<br />
haben wir sie gefragt. Da erzählte sie ihre Geschichte: Ihr Vater habe sie gezwungen,<br />
bei einer Familie im Viertel zu putzen., wo sie vom Mann regelmässig vergewaltigt und
unter Mordandrohung zum Schweigen angehalten wurde bis zur Geburt des Kindes.<br />
Nun spreche sie in diesem Kreise zum ersten Mal darüber.“<br />
Erfahrungen erlittener Misshandlungen kamen bei den Frauen in <strong>der</strong> Gruppe hoch.<br />
Sandra selber hat durch eine Tracht Prügel ihr erstes Kind verloren. „Von <strong>der</strong> Polizei ist<br />
wenig Gutes zu erwarten und die Anklagen wegen Kindesmissbrauchs verstauben in<br />
den Schubladen des Gerichtes. Wir waren uns einig: Es reicht !“, sagt Sandra.<br />
In unendlichen Gesprächen einigten sich die Frauen auf Gewaltverzicht. Aber das Böse<br />
müsse beim Namen genannt werden und die Wahrheit ans Licht kommen ! Schluss mit<br />
Gewalt und Missbrauch gegen Frauen und Kin<strong>der</strong>! – war die Parole.<br />
In einem schwachen Rechtsstaat sehen sich die Menschen genötigt, für Gerechtigkeit<br />
und gegen herrschende Gewalt auf die Straße zu gehen. Protestanten sollten mit dem<br />
Beispiel voran gehen.<br />
Jesus Christus spricht: „Ich lebe und ihr sollt auch leben!“<br />
Überwältigt <strong>von</strong> Sandras Entschiedenheit und ihrem aufrechten Gang frage ich sie:<br />
„Woher nimmst du so viel Kraft?“<br />
„Ich war früher auch so wie diese Frau“, antwortet sie. „Aber hier in <strong>der</strong> Gemeinde fand<br />
ich einen Ort, wo an<strong>der</strong>e mir zugehört, mich ermuntert und aufgerichtet haben; jetzt<br />
kann ich meinen Weg gehen. Jetzt bin ich wie ein Baum, fest in <strong>der</strong> Erde verwurzelt, die<br />
Äste gen Himmel gestreckt“.<br />
Während wir im Schatten <strong>der</strong> Pappeln sitzen, nehmen Sandras Kin<strong>der</strong> an <strong>der</strong><br />
Kin<strong>der</strong>bibelstunde teil.<br />
Auch sie sollen den Samen des Glaubens empfangen und im Glauben wachsen,<br />
damit sie aufrecht ihren Weg gehen,<br />
wissend, dass das Böse nicht mit Gewalt überwunden wird.<br />
Und dass sie in allem Tun letztlich <strong>der</strong> Stimme ihres Gewissens zu folgen haben,<br />
das <strong>von</strong> den Worten Jesu immer wie<strong>der</strong> aufs Neue geschärft wird<br />
(lutherisch ausgedrückt: tägliche Busse).<br />
Sie sollen das Gottvertrauen lernen und glauben,<br />
dass es auch für sie ein gelobtes Land gibt,<br />
ein Land, in dem Recht und Gerechtigkeit<br />
und darum auch Frieden wie Milch und Honig fliessen.<br />
Im geschwisterlichen – also im freien - Gespräch miteinan<strong>der</strong> sollen die Kin<strong>der</strong> lernen,<br />
das Leben <strong>der</strong> Gemeinde und des Armenviertels mitzugestalten,<br />
füreinan<strong>der</strong> Zeit zu haben, einan<strong>der</strong> zuzuhören,<br />
miteinan<strong>der</strong> Lasten zu teilen und einan<strong>der</strong> das Brot <strong>der</strong> Solidarität zu reichen;<br />
Die Kin<strong>der</strong> sollen lernen, einan<strong>der</strong> Worte <strong>der</strong> Hoffnung,<br />
<strong>der</strong> Vergebung und des Trostes zu sagen<br />
füreinan<strong>der</strong> Schwester, Bru<strong>der</strong>, Priester zu sein.<br />
Dann werden sie sein wie ein Baum, gepflanzet an Wasserbächen,<br />
die Äste gen Himmel gestreckt,
das Laub, Licht und Wärme <strong>der</strong> Sonne <strong>der</strong> Gerechtigkeit empfangend,<br />
Und sie werden Gott, den gütigen und gnädigen Gott des Lebens, loben.<br />
Jesus Christus spricht: „Ich lebe und ihr sollt auch leben“ .<br />
Und <strong>der</strong> Friede Gottes, <strong>der</strong> alles menschliche Verstehen übersteigt, bewahre unsere<br />
Herzen und Sinne in Christus Jesus.<br />
Amen<br />
<strong>Jorge</strong> <strong>Gerhard</strong> <strong>Diakoniepastor</strong> <strong>der</strong> <strong>ierp</strong>