Der Besuchsdienst - Haus kirchlicher Dienste
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des Unverfügbaren. Erfahrungen mit Brüchen<br />
und Schuldverstrickungen im Lebenslauf, mit<br />
Glück und Unglück, mit Gesundheit, Krankheit<br />
und Tod und das Bewusstsein der Endlichkeit<br />
des eigenen Lebens lassen viele Menschen<br />
nach orientierenden religiösen Antworten suchen.<br />
Eine große Mehrheit der Bürger/innen<br />
hält die Frage nach dem Sinn des Lebens für<br />
sehr wichtig, (immerhin oder nur?) knapp die<br />
Hälfte der Befragten versteht diese Frage als<br />
„Frage nach Gott“.<br />
In der dritten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung<br />
der EKD wurden Frauen und Männer, die<br />
von sich behaupteten, wenig oder gar nichts mit<br />
der Kirche zu tun zu haben, nach ihrer Meinung<br />
zu „Kirche, Glaube, Christentum, Religion“ befragt.<br />
In diesen Erzählinterviews zeigte sich: Die<br />
Religiosität der Befragten kam nicht mehr in Formulierungen<br />
traditioneller christlicher Dogmatik<br />
zum Ausdruck. In die Erzählungen flossen auch<br />
Motive der Volksreligion, des „Aberglaubens“<br />
sowie fernöstlicher Weisheiten ein. Typisch<br />
waren Äußerungen wie die folgenden:<br />
- Anke, 35 Jahre: „<strong>Der</strong> Glaube is ja so’n Teil<br />
dieser spirituellen Sicht, die man von der Welt<br />
hat, da hab’ ich natürlich auch meine eigenen<br />
Ansichten. Ich weiß nicht, ob das jetzt interessant<br />
ist, es hat ja mit Kirche überhaupt nichts<br />
zu tun.“<br />
- Uschi, 42 Jahre: „Also, ich hab immer Glück.<br />
Ich hab’ immer ’nen Schutzengel. Ja, und da<br />
glaube ich dran.“<br />
- Lutz, 30 Jahre, Sozialarbeiter in einem Altersheim,<br />
spricht von einer Frau, „die alles so<br />
durchgemacht hat und mit diesen Glaubensrichtungen<br />
konfrontiert wurde und entdeckt hat,<br />
dass alles nichts richtig bringt für sie selbst.<br />
Trotzdem eben das Suchen nach Gott und …<br />
nach Religiosität und so. .. Und da sehe ich<br />
wiederum Parallelen eigentlich auch so bei<br />
mir, nicht?“<br />
- Gisela, 35 Jahre: „Also ich glaub auch an was.<br />
Aber nicht das, was mir da erzählt wird. Also,<br />
ich sondiere schon aus. ..Ich will mal sagen,<br />
ich bin gläubig, aber was da von der Kanzel<br />
manchmal runterkommt oder so, da streiche<br />
ich einiges.“<br />
Ein Viertel der befragten Evangelischen erklärte:<br />
„Ich glaube an Gott, obwohl ich immer wieder<br />
zweifle und unsicher bin.“ Ein weiteres Viertel<br />
antwortete: „Ich glaube an eine höhere Kraft,<br />
aber nicht an einen Gott, wie ihn die Kirche<br />
beschreibt.“ Die Begrifflichkeit der kirchlichen<br />
Tradition ist offensichtlich nur für eine Minderheit<br />
der Kirchenmitglieder (und der Konfessions-<br />
losen) zugänglich und akzeptabel. Bei vielen<br />
Kirchenmitgliedern kann man - gemessen an<br />
dogmatisch-kirchlichen Normen - wie z. B. dem<br />
Apostolischen Glaubensbekenntnis - von einem<br />
„Alltagssynkretismus“ , von einer Mischung<br />
von Elementen aus ganz unterschiedlichen<br />
religiösen und weltanschaulichen Traditionen<br />
sprechen. So gibt es z.B. Kirchenmitglieder, die<br />
christliche Gottesdienste besuchen, ihr Horoskop<br />
lesen und an Reinkarnation glauben – und<br />
darin keinen Widerspruch sehen.<br />
Viele, auch unter denen, die Gottesdienste<br />
besuchen und an kirchlichen Veranstaltungen<br />
teilnehmen, auch unter den mit Kirche hochverbundenen<br />
Ehrenamtlichen, sind in religiöser<br />
Hinsicht Fragende, Suchende und auch<br />
Zweifelnde.<br />
Für die Mitarbeiter/innen in kirchlichen <strong>Besuchsdienst</strong>en<br />
stellt sich die Aufgabe, die Vielfalt<br />
gegenwärtiger Religiosität und die Wahlmentalität<br />
im Blick auf Kirche und Religion bei sich<br />
selbst (!) und anderen wahrzunehmen und<br />
ernst zu nehmen. Sie sollten Äußerungen der<br />
Menschen, denen sie begegnen, nicht an der<br />
Elle einer „kirchlich-theologischen Korrektheit“<br />
messen (und dann wohlmöglich verurteilen).<br />
Viele Menschen sind bei ihrer Suche nach<br />
Wahrheit und Lebenssinn durch dogmatischbezeugende<br />
Rede nicht zu erreichen, sondern<br />
eher durch dialogische Kommunikation, die ihre<br />
Zweifel und Anfragen ernst nimmt, durch eine<br />
Abkehr von der in der Kirche oft verbreiteten<br />
„Behauptungskultur“.<br />
Für die Mitarbeiter/innen eines <strong>Besuchsdienst</strong>es<br />
bedeutet das: Sie sollten sich in einer Haltung der<br />
Menschenfreundlichkeit darum bemühen, die<br />
hinter den Aussagen ihrer Gesprächspartner/<br />
innen stehenden Anliegen und Sehnsüchte zu<br />
verstehen. Dafür müssen sie zunächst sensibel<br />
wahrnehmen, was Menschen über ihren Alltag,<br />
ihre Probleme, ihre Ängste, über „Brüche“ und<br />
Verstrickungen in ihrer Biographie äußern oder<br />
auch nur andeuten. Dann kann es auch möglich<br />
werden, dass <strong>Besuchsdienst</strong>mitarbeiter/innen<br />
erspüren, was in den Alltagsgesprächen –<br />
meist verschlüsselt oder indirekt – an religiösen<br />
Fragen, an Fragen zum Sinn des Lebens und<br />
zur Lebensbewältigung, an Fragen nach Gott,<br />
an Fragen nach Trost und Lebenszuversicht<br />
enthalten sind.<br />
Nicht nur für berufliche Mitarbeiter/innen der<br />
Kirche, sondern auch für Mitarbeiter/innen<br />
eines <strong>Besuchsdienst</strong>es ist es eine sicher nicht<br />
einfache, aber auch bereichernde Aufgabe,<br />
mit dem, was ihnen religiös „entgegenkommt“,<br />
verständnisvoll umzugehen und dies mit lebensdienlichen<br />
biblisch-christlichen Traditionen in<br />
Beziehung zu setzen.<br />
hI n t e r g r ü n D e<br />
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