Der Besuchsdienst - Haus kirchlicher Dienste

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13.02.2013 Aufrufe

hI n t e r g r ü n D e 4 Geheimnis des Weges in kulturellen Formen gesucht wird, die herkömmlich nichts mit der verfassten kirchlichen Religion zu tun haben, aber auch nicht in neue religiöse Bewegungen eingehen. In erster Linie dürfte dabei an die Massenmedien zu denken sein, an die Unterhaltung, die Bücher und Filme gewähren.“ (W. Gräb) Es wäre jedoch ein Fehlschluss, wenn man die wachsende Distanz zur Kirche als Organisation mit einer Distanz zu religiösen Fragen bzw. Glaubensfragen gleichsetzen würde. Der Rückgang an Kirchlichkeit darf nicht mit Religionslosigkeit identifiziert werden. Ein recht großer Teil der aus der Kirche Ausgetretenen in Westdeutschland versteht sich als religiös bzw. gläubig und nimmt für sich ein „Christsein ohne Kirche“ in Anspruch. Aber auch diese Kombination von Distanz zur Kirche und Nähe zu (christlich-)religiösen Fragen darf nicht verallgemeinert werden. Denn anders als in Westdeutschland verstehen sich Konfessionslose in Ostdeutschland überwiegend als nicht christlich und auch als nicht religiös. Grundsätzlich ist festzustellen: Religiosität und Kirchlichkeit, auch wenn sie keineswegs identisch sind, hängen in Deutschland eng zusammen. So besteht z. B. ein enger statistischer Zusammenhang zwischen der Teilnahme am kirchlichen Leben und der Bejahung des Glaubens an Gott. Einige Soziologen rechnen deshalb damit, dass mit dem Rückgang der Bedeutung der Kirchen wohl auch die Bedeutung individueller Religiosität, von Glaubensüberzeugungen und religiöser Sinnsuche abnimmt. Untersuchungen in europäischen Staaten haben gezeigt, es gibt beides: „Believing without belonging“ (wörtlich: „glauben, ohne dazuzugehören“) – also (christlich-) religiöse Glaubensüberzeugungen ohne Teilhabe an kirchlichen Aktivitäten - wie auch das Umgekehrte: „Belonging without believing“ – also Kirchenzugehörigkeit und Engagement in der Kirche ohne ausgeprägte (christlich-)religiöse Überzeugungen. Ferner ist zu bedenken: Nähe und Distanz, Zustimmung und Abgrenzung im Blick auf Kirche und Religion können je nach Lebensphase und Lebenssituation wechseln. Es gibt in Deutschland auch unter den Kirchenmitgliedern eine große Zahl von Menschen, für die eine gewisse Unbestimmtheit und Gleichgültigkeit (Indifferenz) im Verhältnis zu Kirche und Religion kennzeichnend ist. Doch für die Mehrheit gilt: Religiöse Fragen, Glaubensfragen spielen in ihrem Leben eine Rolle, ganz gleich in welcher Beziehung sie zur Organisation Kirche stehen. Es sind vor allem biographische Umbruchssituationen, Krisen und Sinnfragen, in denen Religion und Glaubensfragen für viele Menschen, auch für „Kirchlich-Distanzierte“, Bedeutung gewinnen. Es geht ihnen um die Integration von Alltagserfahrung in ein sie überbietendes Sinngefüge, um Sinnvergewisserung in den Zufälligkeiten (Kontingenzen) des Alltagslebens, um Anerkennung

des Unverfügbaren. Erfahrungen mit Brüchen und Schuldverstrickungen im Lebenslauf, mit Glück und Unglück, mit Gesundheit, Krankheit und Tod und das Bewusstsein der Endlichkeit des eigenen Lebens lassen viele Menschen nach orientierenden religiösen Antworten suchen. Eine große Mehrheit der Bürger/innen hält die Frage nach dem Sinn des Lebens für sehr wichtig, (immerhin oder nur?) knapp die Hälfte der Befragten versteht diese Frage als „Frage nach Gott“. In der dritten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD wurden Frauen und Männer, die von sich behaupteten, wenig oder gar nichts mit der Kirche zu tun zu haben, nach ihrer Meinung zu „Kirche, Glaube, Christentum, Religion“ befragt. In diesen Erzählinterviews zeigte sich: Die Religiosität der Befragten kam nicht mehr in Formulierungen traditioneller christlicher Dogmatik zum Ausdruck. In die Erzählungen flossen auch Motive der Volksreligion, des „Aberglaubens“ sowie fernöstlicher Weisheiten ein. Typisch waren Äußerungen wie die folgenden: - Anke, 35 Jahre: „Der Glaube is ja so’n Teil dieser spirituellen Sicht, die man von der Welt hat, da hab’ ich natürlich auch meine eigenen Ansichten. Ich weiß nicht, ob das jetzt interessant ist, es hat ja mit Kirche überhaupt nichts zu tun.“ - Uschi, 42 Jahre: „Also, ich hab immer Glück. Ich hab’ immer ’nen Schutzengel. Ja, und da glaube ich dran.“ - Lutz, 30 Jahre, Sozialarbeiter in einem Altersheim, spricht von einer Frau, „die alles so durchgemacht hat und mit diesen Glaubensrichtungen konfrontiert wurde und entdeckt hat, dass alles nichts richtig bringt für sie selbst. Trotzdem eben das Suchen nach Gott und … nach Religiosität und so. .. Und da sehe ich wiederum Parallelen eigentlich auch so bei mir, nicht?“ - Gisela, 35 Jahre: „Also ich glaub auch an was. Aber nicht das, was mir da erzählt wird. Also, ich sondiere schon aus. ..Ich will mal sagen, ich bin gläubig, aber was da von der Kanzel manchmal runterkommt oder so, da streiche ich einiges.“ Ein Viertel der befragten Evangelischen erklärte: „Ich glaube an Gott, obwohl ich immer wieder zweifle und unsicher bin.“ Ein weiteres Viertel antwortete: „Ich glaube an eine höhere Kraft, aber nicht an einen Gott, wie ihn die Kirche beschreibt.“ Die Begrifflichkeit der kirchlichen Tradition ist offensichtlich nur für eine Minderheit der Kirchenmitglieder (und der Konfessions- losen) zugänglich und akzeptabel. Bei vielen Kirchenmitgliedern kann man - gemessen an dogmatisch-kirchlichen Normen - wie z. B. dem Apostolischen Glaubensbekenntnis - von einem „Alltagssynkretismus“ , von einer Mischung von Elementen aus ganz unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Traditionen sprechen. So gibt es z.B. Kirchenmitglieder, die christliche Gottesdienste besuchen, ihr Horoskop lesen und an Reinkarnation glauben – und darin keinen Widerspruch sehen. Viele, auch unter denen, die Gottesdienste besuchen und an kirchlichen Veranstaltungen teilnehmen, auch unter den mit Kirche hochverbundenen Ehrenamtlichen, sind in religiöser Hinsicht Fragende, Suchende und auch Zweifelnde. Für die Mitarbeiter/innen in kirchlichen Besuchsdiensten stellt sich die Aufgabe, die Vielfalt gegenwärtiger Religiosität und die Wahlmentalität im Blick auf Kirche und Religion bei sich selbst (!) und anderen wahrzunehmen und ernst zu nehmen. Sie sollten Äußerungen der Menschen, denen sie begegnen, nicht an der Elle einer „kirchlich-theologischen Korrektheit“ messen (und dann wohlmöglich verurteilen). Viele Menschen sind bei ihrer Suche nach Wahrheit und Lebenssinn durch dogmatischbezeugende Rede nicht zu erreichen, sondern eher durch dialogische Kommunikation, die ihre Zweifel und Anfragen ernst nimmt, durch eine Abkehr von der in der Kirche oft verbreiteten „Behauptungskultur“. Für die Mitarbeiter/innen eines Besuchsdienstes bedeutet das: Sie sollten sich in einer Haltung der Menschenfreundlichkeit darum bemühen, die hinter den Aussagen ihrer Gesprächspartner/ innen stehenden Anliegen und Sehnsüchte zu verstehen. Dafür müssen sie zunächst sensibel wahrnehmen, was Menschen über ihren Alltag, ihre Probleme, ihre Ängste, über „Brüche“ und Verstrickungen in ihrer Biographie äußern oder auch nur andeuten. Dann kann es auch möglich werden, dass Besuchsdienstmitarbeiter/innen erspüren, was in den Alltagsgesprächen – meist verschlüsselt oder indirekt – an religiösen Fragen, an Fragen zum Sinn des Lebens und zur Lebensbewältigung, an Fragen nach Gott, an Fragen nach Trost und Lebenszuversicht enthalten sind. Nicht nur für berufliche Mitarbeiter/innen der Kirche, sondern auch für Mitarbeiter/innen eines Besuchsdienstes ist es eine sicher nicht einfache, aber auch bereichernde Aufgabe, mit dem, was ihnen religiös „entgegenkommt“, verständnisvoll umzugehen und dies mit lebensdienlichen biblisch-christlichen Traditionen in Beziehung zu setzen. hI n t e r g r ü n D e 5

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Geheimnis des Weges<br />

in kulturellen Formen gesucht wird, die herkömmlich<br />

nichts mit der verfassten kirchlichen<br />

Religion zu tun haben, aber auch nicht in neue<br />

religiöse Bewegungen eingehen. In erster Linie<br />

dürfte dabei an die Massenmedien zu denken<br />

sein, an die Unterhaltung, die Bücher und Filme<br />

gewähren.“ (W. Gräb)<br />

Es wäre jedoch ein Fehlschluss, wenn man<br />

die wachsende Distanz zur Kirche als Organisation<br />

mit einer Distanz zu religiösen Fragen<br />

bzw. Glaubensfragen gleichsetzen würde. <strong>Der</strong><br />

Rückgang an Kirchlichkeit darf nicht mit Religionslosigkeit<br />

identifiziert werden. Ein recht<br />

großer Teil der aus der Kirche Ausgetretenen<br />

in Westdeutschland versteht sich als religiös<br />

bzw. gläubig und nimmt für sich ein „Christsein<br />

ohne Kirche“ in Anspruch. Aber auch diese<br />

Kombination von Distanz zur Kirche und Nähe<br />

zu (christlich-)religiösen Fragen darf nicht verallgemeinert<br />

werden. Denn anders als in Westdeutschland<br />

verstehen sich Konfessionslose in<br />

Ostdeutschland überwiegend als nicht christlich<br />

und auch als nicht religiös.<br />

Grundsätzlich ist festzustellen: Religiosität<br />

und Kirchlichkeit, auch wenn sie keineswegs<br />

identisch sind, hängen in Deutschland eng zusammen.<br />

So besteht z. B. ein enger statistischer<br />

Zusammenhang zwischen der Teilnahme<br />

am kirchlichen Leben und der Bejahung des<br />

Glaubens an Gott. Einige Soziologen rechnen<br />

deshalb damit, dass mit dem Rückgang der Bedeutung<br />

der Kirchen wohl auch die Bedeutung<br />

individueller Religiosität, von Glaubensüberzeugungen<br />

und religiöser Sinnsuche abnimmt.<br />

Untersuchungen in europäischen Staaten<br />

haben gezeigt, es gibt beides: „Believing<br />

without belonging“ (wörtlich: „glauben, ohne<br />

dazuzugehören“) – also (christlich-) religiöse<br />

Glaubensüberzeugungen ohne Teilhabe an<br />

kirchlichen Aktivitäten - wie auch das Umgekehrte:<br />

„Belonging without believing“ – also<br />

Kirchenzugehörigkeit und Engagement in der<br />

Kirche ohne ausgeprägte (christlich-)religiöse<br />

Überzeugungen. Ferner ist zu bedenken: Nähe<br />

und Distanz, Zustimmung und Abgrenzung im<br />

Blick auf Kirche und Religion können je nach<br />

Lebensphase und Lebenssituation wechseln.<br />

Es gibt in Deutschland<br />

auch unter den Kirchenmitgliedern<br />

eine große<br />

Zahl von Menschen,<br />

für die eine gewisse<br />

Unbestimmtheit und<br />

Gleichgültigkeit (Indifferenz)<br />

im Verhältnis<br />

zu Kirche und Religion<br />

kennzeichnend ist.<br />

Doch für die Mehrheit<br />

gilt: Religiöse Fragen,<br />

Glaubensfragen spielen<br />

in ihrem Leben eine<br />

Rolle, ganz gleich in<br />

welcher Beziehung sie<br />

zur Organisation Kirche<br />

stehen. Es sind vor<br />

allem biographische<br />

Umbruchssituationen,<br />

Krisen und Sinnfragen,<br />

in denen Religion<br />

und Glaubensfragen<br />

für viele Menschen,<br />

auch für „Kirchlich-Distanzierte“,<br />

Bedeutung<br />

gewinnen. Es geht ihnen<br />

um die Integration<br />

von Alltagserfahrung in<br />

ein sie überbietendes<br />

Sinngefüge, um Sinnvergewisserung<br />

in den<br />

Zufälligkeiten (Kontingenzen)<br />

des Alltagslebens,<br />

um Anerkennung

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