13.02.2013 Aufrufe

Der Besuchsdienst - Haus kirchlicher Dienste

Der Besuchsdienst - Haus kirchlicher Dienste

Der Besuchsdienst - Haus kirchlicher Dienste

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

hI n t e r g r ü n D e<br />

34<br />

Eine Andacht<br />

• Einleitung<br />

Jeden Tag gehen die Frauen aus dem Dorf hinunter zum Fluss. In großen Tonkrügen holen sie<br />

Wasser, denn im Dorf gibt es keine Quelle. Eines Morgens schaut eine der Frauen verträumt einem<br />

Schmetterling hinterher. Dabei stolpert sie, und der Krug wird beschädigt. Einen zweiten hat sie<br />

nicht, auch kein Geld für einen neuen, und so umwickelt sie den Krug notdürftig mit ihrem Tuch.<br />

Aber das Wasser tropft an den Bruchstellen heraus, und als sie im Dorf ankommt, ist die Hälfte<br />

weg. „Ach“, klagt sie, „was für ein Unglück, warum war ich bloß so unvorsichtig? Alle anderen<br />

bringen mehr Wasser nach <strong>Haus</strong>e! Meine Mutter hat Recht, ich bin wirklich zu nichts nütze!“<br />

Eines Morgens aber, als die Frauen wieder zum Fluss gehen, ist der schmale Pfad gesäumt von<br />

grünen Gräsern und vielen kleinen Blumen, rot, gelb und weiß leuchten sie. „Das waren deine<br />

Wassertropfen“, lachen die Frauen, „sie haben den staubigen Weg zum Blühen gebracht.“ 1<br />

•<br />

Reflexion:<br />

Als ich diese Geschichte las, musste ich an unseren <strong>Besuchsdienst</strong> denken. Auch wir gehen<br />

manchmal staubige Wege, die uns zu unseren Geburtstagsbesuchen führen. Auch wir hinterlassen<br />

Spuren, die sich nicht sofort entdecken lassen, die aber dennoch einen Nachhall<br />

in den Anderen und in uns selbst hervorrufen. Ich möchte das an drei Beispielen lebendig<br />

werden lassen.<br />

Frau M. wird 84 Jahre alt. Ich stehe vor ihrer <strong>Haus</strong>tür, läute, keiner öffnet. Ich läute noch einmal,<br />

Stille, ich schaue um das <strong>Haus</strong> herum, nichts rührt sich. Ich stecke mein kleines Heft mit herzlichen<br />

Geburtstagsgrüßen von der Kirchengemeinde in den Briefkasten und denke: Vielleicht<br />

wird sich Frau M. nach ihrer Rückkehr ein wenig freuen an den bunten Bildern, den Texten und<br />

auch darüber, dass jemand an sie an ihrem Geburtstag in dieser Weise gedacht hat.<br />

Ein anderer Geburtstagsbesuch. Herr F. feiert in großer Runde seinen 86. Geburtstag. Seine<br />

Kinder, Enkel und Urenkel, Nachbarn und Freunde sitzen um die Kaffeetafel herum, unterhalten<br />

sich angeregt über das neueste vom Tage und über Erlebnisse von früher. Ich gratuliere dem<br />

Jubilar, sage mein Sprüchlein von der Kirchengemeinde und überreiche ihm das Geburtstagsheft.<br />

Ein Stuhl ist noch frei, ich sitze zwischen zwei Frauen, und langsam entwickelt sich ein<br />

Gespräch links und rechts und gegenüber. „Ach, Sie kommen von der Kirche? Machen Sie<br />

das schon lange, die Geburtstagsbesuche?“ Eine andere: „Ich bin zwar noch in der Kirche, war<br />

aber schon lange nicht mehr im Gottesdienst“. Die Frau gegenüber: „Letztes Jahr Weihnachten<br />

war es so voll in der Kirche, man bekam kaum noch einen Platz.“ Und eine Großmutter: „Mike,<br />

mein Enkel, geht sonnabends manchmal zur Kinderkirche. Die machen im Sommer immer so<br />

ein Zeltlager im Kirchgarten, da geht dann die ganze Familie hin“. Ich denke: „Kirche, mitten<br />

unter uns!“<br />

Ein dritter Geburtstagsbesuch: Frau G., eine rüstige und resolute Frau, ist an ihrem 87. Geburtstag<br />

allein. „Ich feiere meinen Geburtstag am kommenden Samstag, das ist praktischer<br />

für meine berufstätigen Kinder“. Sie stellt eine Platte mit Schnittchen und zwei Gläsern auf<br />

den Tisch und schenkt einen Sherry ein. „Ich habe damit gerechnet, dass Sie kommen und<br />

vielleicht auch der eine oder andere aus der Nachbarschaft.“ Ich sage mein Sprüchlein von<br />

der Kirchengemeinde auf und überreiche ihr das Geburtstagsheft. Sie sagt: „Sie wissen ja,<br />

dass ich eigentlich mit der Kirche nichts am Hut habe, aber unser Gespräch beim letzten Mal<br />

hat mir viele Denkanstöße gegeben, die mich noch lange beschäftigt haben. Wie heißt doch<br />

noch das Buch, das Sie mir empfohlen hatten?“ Ich erinnere mich, es war „Ein weites Herz“,<br />

die zwei Leben der Isa Vermehren von Matthias Wegner. Ich denke: Dieser unerschütterliche<br />

christliche Glaube der Isa Vermehren muss sie mächtig beeindruckt haben.<br />

Soweit drei unterschiedliche Geburtstagsbesuche.<br />

Spuren, die wir bei unseren Besuchen hinterlassen, können wir nicht benennen. Über das,<br />

was uns zu diesen Besuchen veranlasst, nämlich unser gemeinsames Christsein und damit<br />

unser Glaube, wird wortwörtlich nicht oft gesprochen. Aber unsere Besuche sind ein Zeichen<br />

der Nächstenliebe, sind das Zeichen der Kirche „Wir nehmen Dich wahr“ und sie sind ein<br />

Brückenschlag von Mensch zu Mensch.<br />

1 „Wassertropfen“ aus dem Buch „Typisch“ – Kleine Geschichten für andere Zeiten

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!