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Der Besuchsdienst - Haus kirchlicher Dienste

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hI n t e r g r ü n D e<br />

20<br />

<strong>Der</strong> Psalmbeter wusste, dass Erinnerung stärkt,<br />

darin, dass mein Leben nicht vergeblich war,<br />

dass ich es bis hierher geschafft habe, dass<br />

ich einen großen Schatz an Erfahrungen mit<br />

mir trage. Wir haben keinen Psalm gesprochen,<br />

aber Gott war gegenwärtig im Erinnern.<br />

Leben im Rückblick<br />

– mit Klage und Lob<br />

Kyrie eleison und Gloria<br />

Wir saßen über Eck an ihrem Küchentisch.<br />

Plötzlich ergriff sie meine beiden Hände, zog<br />

mich ein wenig zu sich heran und fing wieder<br />

an, von damals zu erzählen. Wie ihr das Neugeborene<br />

auf der Flucht starb und sie es zurücklassen<br />

musste, von der erfahrenen Gewalt und<br />

der Feindseligkeit, die ihnen als Flüchtlingen<br />

entgegenschlug. „Meine Kinder wollen das alles<br />

nicht mehr hören, sie sagen, ich solle es vergessen,<br />

aber das kann ich nicht, vor allem nicht die<br />

Trauer und die Angst.“ Im Laufe der Jahre hat<br />

sie mir viele ihrer traumatischen Erfahrungen<br />

anvertraut, meist mit den gefassten Händen.<br />

Wie ein Gebet, wie eine Litanei: Wieder und<br />

wieder erzählt. Kyrie eleison – Herr erbarme<br />

dich, Christe eleison – Christus erbarme dich,<br />

Kyrie eleison – Herr erbarme dich. Meinem Gefühl<br />

nach hätte es oft mehr als dieses unausgesprochene<br />

dreimalige Kyrie eleison gebraucht,<br />

um all das Erlebte zu bewältigen. Und oft hatte<br />

wunderbarerweise das Andere wieder Raum:<br />

Die Dankbarkeit für die neue Heimat, dass aus<br />

den Kindern und Enkeln etwas Ordentliches<br />

geworden war, dass sie mit ihrem O. noch die<br />

Goldene Hochzeit feiern konnte, „dafür sage ich<br />

meinem Herrgott jeden Abend danke. Und nun<br />

warte ich nur darauf, dass ich endlich meine<br />

Rückfahrkarte zu ihm einlösen darf.“ Allein Gott<br />

in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade,<br />

darum, dass nun und nimmermehr uns rühren<br />

kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns<br />

hat, nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd<br />

hat nun ein Ende. Leben im Rückblick –mit<br />

Klage und Lob.<br />

Plötzlich fiel mir eine Geschichte ein<br />

Verkündigung und Bekenntnis<br />

Sie hatte mir viel erzählt von ihrem Leben, in<br />

dem sie sich so von anderen ausgenutzt und<br />

inzwischen ganz kraft- und leblos fühlt. Plötzlich<br />

fiel mir eine Geschichte aus der Apostelgeschichte<br />

ein, die Auferweckung der Tabitha. ...<br />

Die war voll guter Werke und Almosen, die sie<br />

gab. Es begab sich aber zu der Zeit, dass sie<br />

krank war und starb. ... Petrus kniete nieder,<br />

betete und wandte sich zu dem Leichnam und<br />

sprach: Tabitha, steh auf! Und sie tat ihre Augen<br />

auf. ... Nach kurzer Überraschung, was dieser<br />

alte Text mit ihrem Leben zu tun haben könnte,<br />

waren wir schnell in einem Dialog miteinander<br />

und mit dem Text, der wie von selbst predigte,<br />

kraftvoll und lebendig.<br />

Eine Schuldenlast löste sich<br />

Beichte<br />

Seine Stimme war leise geworden in dem<br />

großen unruhigen Krankenhauszimmer. Ich<br />

musste mit dem Stuhl dichter rücken, um seine<br />

Worte zu verstehen, eigentlich waren es eher<br />

Wortfetzen, langes Schweigen, Gedanken in die<br />

Ferne. Aus den wenigen gestammelten Worten<br />

konnte ich nur erahnen, dass es um Bilder aus<br />

dem Krieg ging, die jetzt kurz vor dem Tod<br />

wieder bedrohlich nahe waren. Eigene Schuld.<br />

Entsetzen, die Unfähigkeit, jemals darüber zu<br />

sprechen. Ich bekenne dir, dass ich gesündigt<br />

habe mit Gedanken, Worten und Werken.<br />

<strong>Der</strong> allmächtige Gott erbarme sich unser. Er<br />

vergebe uns unsere Sünde und führe uns zum<br />

ewigen Leben. Amen. Dieser Mann hatte wenig<br />

weinen können in seinem Leben. Jetzt konnte<br />

er es. Eine Schuldenlast löste sich. Er griff nach<br />

meiner Hand. Lösende Worte waren in diesem<br />

trubeligen Krankenhauszimmer nicht möglich,<br />

aber die Veränderung seiner Gesichtzüge<br />

zeigte mir, dass mit der Geste der Berührung<br />

der Segen angekommen war.<br />

„Oh, ich habe Ihnen ja gar nichts<br />

angeboten“<br />

Abendmahl<br />

„Gott sei Dank, dass Sie kommen“, sagte er<br />

bei der Begrüßung. Er meinte das wörtlich. Auf<br />

dem Tisch lag eine Bibel, daneben ein kindlicher<br />

Engel. Er sprach sehr laut, gestenreich,<br />

manchmal fast verschwörerisch. Von seiner<br />

Erkrankung sprach er, von der körperlichen<br />

und der psychischen, die ihm anzusehen war.<br />

„Keiner sieht mich, alle gehen mir aus dem Weg,<br />

es ist so vieles in meinem Leben falsch gelaufen“.<br />

Er war einsam geworden, hatte Angst.<br />

Langsam wurde sein Klagen leiser. Vielleicht<br />

hatte er sich in seiner verfahrenen Situation ein<br />

bisschen gesehen, ein bisschen gehört gefühlt,<br />

wie Zachäus. Jesus kam an die Stätte, sah<br />

auf zu dem Maulbeerbaum, auf den der kleine<br />

Zöllner Zachäus gestiegen war, und sprach zu<br />

ihm: Zachäus, steig eilend hernieder, denn ich<br />

muss heute in deinem <strong>Haus</strong> einkehren. Und<br />

er stieg eilend hernieder und nahm ihn auf mit<br />

Freuden. Plötzlich hielt er inne: „Oh, ich habe Ihnen<br />

ja gar nichts angeboten“. Es tat uns beiden<br />

gut, schweigend zusammen eine Tasse Kaffee<br />

zu trinken und einige Kekse zu essen, uns<br />

wahrhaftig zu stärken nach diesem intensiven<br />

Reden und Zuhören. “Das stärke und bewahre<br />

euch zum ewigen Leben“. Sein Blick ruhte<br />

auf dem Engel auf dem Tisch. <strong>Der</strong> schien das<br />

Erlebte zum Himmel zu tragen. Kein Brot, kein<br />

Kelch – und dennoch: Wir wurden gestärkt und<br />

Gott saß mit am Tisch. Später, beim Abschied,<br />

sagte er noch einmal: „Gott sei Dank, dass Sie<br />

gekommen sind.“

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