Der Besuchsdienst - Haus kirchlicher Dienste
Der Besuchsdienst - Haus kirchlicher Dienste
Der Besuchsdienst - Haus kirchlicher Dienste
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Dass sich der Wunsch nach Selbstbestimmung<br />
nicht immer verwirklichen lässt, wissen Männer<br />
aus Erfahrung. Vor allem die Berufswelt,<br />
aber auch Teile des Familienlebens werden<br />
von ihnen als fremdbestimmter Lebensbereich<br />
wahrgenommen. Hier haben sie durchgängig<br />
das Gefühl, in einer Welt zu agieren, in der sie<br />
in erster Linie Anforderungen zu erfüllen haben<br />
und sich an Regeln anpassen müssen, die nicht<br />
ihre eigenen sind.<br />
Dieser „Welt“ stellen sie ihre „Gegenwelt“ gegenüber.<br />
Es ist der Ort der kleinen Fluchten,<br />
der Bereich der Selbstbestimmung und Zurückgezogenheit,<br />
in dem sie Kraft tanken für<br />
die Anforderungen in der „Welt“. Leider zählen<br />
die befragten Männer die Kirche nicht zur „Gegenwelt“.<br />
Weil die Kirche als nicht wirklich gesprächsfähig<br />
wahrgenommen wird, kommt sie<br />
als Ort der Selbstbestimmung für viele Männer<br />
nicht in Frage. Kirche ist für sie nicht ein Ort der<br />
Freiheit, sondern eine Stätte der Bevormundung<br />
und des Zwangs.<br />
Wenn Männer von Begegnungen mit der Kirche<br />
erzählen, machen sie ihre negativen Urteile<br />
in der Regel an Situationen fest, in denen sie<br />
die Erfahrung machen mussten, bevormundet<br />
zu werden. Männer wollen – wenn sie schon<br />
bereit sind, in das Gespräch mit der Kirche<br />
einzutreten – ihre Gedanken und Vorstellungen<br />
auf „Augenhöhe“ mit dem kirchlichen „Bodenpersonal“<br />
diskutieren können. Sie fühlen sich<br />
sehr wohl spirituell kompetent. Doch legen sie<br />
hohen Wert darauf, ihre religiösen Erfahrungen<br />
selbst bestimmt zu gestalten und ihnen ihre<br />
eigene männliche Stimme zu geben.<br />
Interessant ist, dass von den meisten der befragten<br />
Kirchenmitglieder ein Kirchenaustritt<br />
nicht in Erwägung gezogen wird. Sie wollen vor<br />
allem um der Kinder willen in der Kirche bleiben.<br />
Denn Kirche ist – so einer der Befragten – für<br />
die moralische Entwicklung der Kinder „genau<br />
so wichtig wie Lebertran oder Spinat für ihre<br />
Gesundheit“. Die meisten der Befragten aber<br />
können für sich gut und gerne auf die Angebote<br />
der Kirche verzichten.<br />
Auch ist der Glaube an einen persönlichen Gott<br />
vielen Männern fremd. „Die Vorstellung eines<br />
Gottes, der in das individuelle Leben schützend<br />
und führend eingreift, wird im ganzen Materialpool<br />
nur von zwei Personen vertreten“, heißt<br />
es in der Studie. Die Studie resümiert als Gesamtbild,<br />
das sich aus dem Material ergibt: „Es<br />
ist das Bild einer sich religiös pluralisierenden<br />
Welt, in der sich weltanschaulich kompetent<br />
fühlende Männer ... Ansprüchen einer Institution<br />
entziehen, der sie nicht oder nur noch in Gestalt<br />
einzelner charismatischer Vertreter vertrauen,<br />
und deren möglicher Nutzen zwar für die meisten<br />
noch die Entrichtung einer Kirchensteuer,<br />
aber kein persönliches Engagement mehr lohnt,<br />
geschweige denn erforderlich macht.“<br />
Sich mit Männern auf den Weg<br />
machen<br />
Und doch bietet die Studie Ansatzpunkte, mit<br />
Männern ins Gespräch zu kommen. Männer<br />
beschreiben in den Interviews ihre Kompetenzen<br />
und Begabungen, benennen aber auch<br />
Unfähigkeiten und Grenzen. Und sie wissen,<br />
dass Sinn nicht nur erarbeitet werden kann,<br />
sondern einem auch widerfährt. Die eigene<br />
Leistung wird also im Zusammenhang mit<br />
anderen förderlichen Faktoren und glücklichen<br />
Umständen wahrgenommen. Wo die Vielfalt<br />
der mitwirkenden Faktoren beachtet wird, ist es<br />
möglich, zusammen mit der Freude über den<br />
Erfolg und dem Stolz auf die eigene Leistung<br />
ein Gefühl von Dankbarkeit zu entwickeln – eine<br />
Dankbarkeit, zu der sich die Mitarbeiter der<br />
<strong>Besuchsdienst</strong>arbeit und die besuchten Männer<br />
gegenseitig anstecken könnten.<br />
Die Erfahrung in der Männerarbeit ist: Wo<br />
Männer ihre eigene Stärke spüren und mit<br />
sich in Kontakt sind, werden sie auch offen für<br />
andere, unangenehmere Themenbereiche. So<br />
können sich z. B. bei einer Bergtour, intensive<br />
Gespräche „über das Aufsteigen und Absteigen<br />
als wichtige Erfahrungen im Männerleben“ entwickeln.<br />
In solch intimen und vertrauten Runden<br />
ist eine Annäherung an die Schattenseiten des<br />
Männerlebens möglich. Um die Kraft, die in der<br />
Schwäche liegt, zu erfahren, braucht es bei<br />
Männern in der Regel eine längere Wegstrecke.<br />
Vielen wird die Annäherung an das Kreuz Jesu<br />
oft erst durch leidvolle persönliche Erfahrungen<br />
z.B. durch eine plötzliche Arbeitslosigkeit, eine<br />
gescheiterte Beziehung oder überraschende<br />
Krankheit möglich. In einer solchen Situation ist<br />
es wichtig, dass Menschen in der Nähe sind, die<br />
die Bereitschaft zum Zuhören mitbringen.<br />
hI n t e r g r ü n D e<br />
15