Ausgabe 1975 - Hohenzollerischer Geschichtsverein
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Michel Buck hat im Gedicht „Dr Roualaih" mehrere<br />
herumflatternde Sagenteile mit bewundernswertem Feingefühl<br />
zusammengefügt. Ich entnehme die einzelnen Teile<br />
der jüngsten und vollständigsten Sagensammlung des<br />
Altkreises Saulgau: Walter Bleicher, Geschichten, Sagen,<br />
Märchen und Ortsneckereien 1969:<br />
1. Die Sage vom Grab des Heerführers<br />
In Ertingen erzählt man sich, daß hier Erik v. Dietenburg<br />
(?) 3 , der Anführer der Bauern im Bauernkrieg, gefallen<br />
und bestattet worden sei.<br />
Nach einer anderen Sage sollen hier im 30jährigen Krieg<br />
schwedische Soldaten ihren toten Führer beerdigt und<br />
über seinem Leichnam den Hügel in der Weise aufgeschüttet<br />
haben, daß sie in ihren Helmen die Erde zu diesem<br />
Denkmal zusammentrugen(Bleicher).<br />
„Denn im Laihberg leit sei' Obrist<br />
- an der Stell vom Feindsvolk taidt -<br />
Und dea Burra haund die Seini<br />
In de Bleachhüat zeema trait."<br />
Diese Sage ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine uralte<br />
Geschichte während ihrer Überlieferung durch die Jahrhunderte<br />
jünger gemacht wird - man verlegt sie in eine<br />
besser bekannte Zeit. Ähnliches ist der Sage von Altbuchau<br />
widerfahren. Sie macht die Bewohner der Inselstadt<br />
zu Christen, die von Heiden angegriffen werden.<br />
Die Wasserburg Buchau aber, an welche diese Sage erinnert,<br />
ist 1000 Jahre vor Christus untergegangen. Michel<br />
Buck hat die zeitliche Verschiebung, wie die Funde von<br />
1934 beweisen, völlig richtig korrigiert.<br />
2. Die Sage von den Geistern im Rauhen Leh<br />
Michel Buck schreibt: Im Rauhen-Laihberg hausen 2<br />
alte, graue, langbärtige Männer mit noch anderen Geistern.<br />
An den 3 ersten Märzfreitagen hört man Musik in<br />
dem Berg, wodurch Unkundige vom rechten Weg abgeleitet<br />
werden. Meiner Mutter Mägde behaupteten, die<br />
beiden Männer einmal am hellen Tage gesehen zu haben,<br />
als sie neben dem Berg Garben banden. Auch hätten die<br />
Pferde anfangen stark zu schnaufen, bis die langkuttigen<br />
Gestalten hinter dem Berg verschwunden seien (Bleicher).<br />
„An die Mözafreitig, wenn do<br />
D' Sonna sinkt<br />
Und se blosat uff de Höaner,<br />
Und ma hairt a grousigs Gschroi,<br />
Waffa auch und Glöser klinga<br />
Bis am Moanzi umma zwoi."<br />
3. Die Sage vom Muetes Heer<br />
Recht wohl bekannt war bis vor kurzem s'Muetes Heer.<br />
So zieht es wie auf andern Heerstraßen auch auf der im<br />
Donautal (Römerstraße) bei Ertingen. Dort findet seine<br />
Fahrt im Rauhen Leh ihr Ende (Beschreibung d. O. A.<br />
Riedlingen 1923).<br />
„Föhrt dr Heunaburger König<br />
Uffam letzschta Sonnastrohl<br />
Übers Tal im goldna Waga<br />
Rum gern Roualaih zum Mohl.<br />
Jeatza reit der roschtig Reiter<br />
Pfeilgschneall uss em Roualaih<br />
Und ear schreit: Iahr Leut, jeatz weichet,<br />
daß koim Menscha gschiecht koi Waih!<br />
Und ma hairt noch Waga rassla,<br />
Hengscht und Reiter schreia lout,<br />
Bealla, blosa, tromma, johla,<br />
Daß s oim gruslat uff dr Hout.<br />
44<br />
Und se fahrat nouff in d Lüfta<br />
Und kassei bis übers Meer.<br />
Wear es hairt, leit na' und beattat:<br />
„Bhüat üs Gott voarm Muatis Heer!"<br />
Man hat sich daran gewöhnt, Muetes-Heer als Wodans<br />
Heer zu übersetzen. H. Chr. Schöll 4 gibt eine andere<br />
Deutung, die durchaus Beachtung verdient:<br />
Muetesheer = Mutters Heer = Totenheer der Mondmutter<br />
Wilbet und Wildes Heer = Wilbets Heer.<br />
4. Die Sage vom Heuneburger König<br />
Den Heuneburger König suchen wir in den Sagensammlungen<br />
vergeblich. Sollte er Michel Bucks Begeisterung<br />
über die Goldfunde von 1876 im sogenannten Hundersinger<br />
Fürstengrab entsprungen sein?<br />
Die Lösung dieser Frage verdanke ich dem verdienten<br />
Heimatforscher und Erzähler Dr. Josef Hepp, Mengen<br />
(1889-<strong>1975</strong>).<br />
In seiner Jugendzeit, so berichtete er, durfte er manchmal<br />
seinen Vater, der Gerbermeister in Mengen war, auf<br />
den Riedlinger Markt begleiten. Meister Hepp machte<br />
den Weg stets zu Fuß in der Frühe des Markttages (ca.<br />
19 km!). Das Leder, das er verkaufen wollte, hatte er am<br />
Vortage durch einen Mengener Fuhrmann nach Riedlingen<br />
speditieren lassen. Die damals neumodische Eisenbahn<br />
wurde nicht benutzt, teils wegen der umständlichen<br />
Verladerei, teils aus Rücksicht auf den Stolz der Mengener<br />
Fuhrleute, die glaubten, der Eisenbahn Paroli bieten<br />
zu können.<br />
Der Fußweg nach Riedlingen hielt sich an die alte Römerstraße<br />
durchs Donauried. Jedesmal, wenn sie an der<br />
Heuneburg vorbeikamen, sagte Gerbermeister Hepp zu<br />
seinem Sohn: „Guck, Josef, der Berg do, des ist d'<br />
Heunaburg. Vor langer Zeit ist amol an König von<br />
Italien rauf komma und hot do oba a' Schloß baut."<br />
Josef Hepp erinnerte sich später als Student wieder an<br />
den Hinweis seines Vaters und suchte mit Eifer unter<br />
den römischen Kaisern nach demjenigen, der auf der<br />
Heuneburg residiert haben soll, - natürlich vergeblich.<br />
Seine Enttäuschung war groß; die Sage vom Heuneburger<br />
König blieb aber um so fester in seinem Gedächtnis<br />
haften.<br />
Ein glücklicher Zufall hat uns diese Sage erhalten. Er<br />
beweist, daß Michel Buck als treuer Sachverwalter der<br />
Überlieferung jeden Baustein des Rauha Laih dem Sagenschatz<br />
entnommen hat. Die Entdeckung der Lehmziegelmauer<br />
aber macht diesen einst für unnütz erachteten<br />
Sagensplitter plötzlich zum gewichtigsten Indiz, daß die<br />
Überlieferung aus der Heuneburgzeit nicht abgerissen<br />
war.<br />
Die Beziehungen der Heuneburgherren zur mittelmeerischen<br />
Welt sind immer noch Gegenstand lebhafter wissenschaftlicher<br />
Diskussionen. Eine angenommene Verbindung<br />
Heuneburg-Marseille über die Burgund. Pforte und<br />
das Rhonetal wird von der deutschen Vorgeschichtsforschung<br />
an erster Stelle genannt. Wer möchte auch der<br />
damaligen Zeit Handelsstraßen über die Alpenpässe zumuten?<br />
Und doch können Verbindungen über die Hochgebirgsbarriere<br />
hinweg nicht geleugnet werden; zu zahlreich<br />
sind die etruskischen bzw. italo-griechischen Funde.<br />
Die Franzosen halten überraschenderweise nichts von<br />
der Rhoneverbindung, obwohl sie im Mont Lassois an<br />
der jungen Seine bei Chatillon ein hallstattzeitliches<br />
Machtzentrum besitzen, das, was die Großartigkeit der<br />
Funde betrifft, die Heuneburg in den Schatten stellt.