Ausgabe 1975 - Hohenzollerischer Geschichtsverein
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• m<br />
HÖH ENZOLLERISCHE<br />
HEIMAT<br />
Herauegegeben oom<br />
W 3828 F<br />
Hohenzollerifchen Gelchichteoerein<br />
25. Jahrgang Nr. 1 / Februar <strong>1975</strong><br />
Das Laucherttal zwischen Gammertingen und Hettingen. Links die Lauchert, rechts ein<br />
Hauptgraben mit zwei Holzrinnen, deren Wasser aus dem nächst höheren Hauptgraben<br />
stammt. Man sieht deutlich, wie sich die Gräben in den Wiesen immer mehr verzweigen.<br />
Foto von A. Herre, Gammertingen, 1955
HERBERT BURKARTH<br />
Die Wässerwiesen - Das Ende einer alten Kulturform<br />
Es gibt zahlreiche uralte Dinge, die heute sang- und<br />
klanglos verschwinden, ohne daß sich jemand Gedanken<br />
darüber machen würde. Noch vor etwa 20 Jahren standen<br />
im Lauchert- und Fehlatal in jedem Frühjahr und<br />
Sommer die Wiesen unter Wasser. Hunderte, ja tausende<br />
von kleineren und größeren Gräben durchzogen das Tal.<br />
Zu jedem größeren Graben gehörte eine Wasserfalle, ein<br />
galgenförmiges Gebilde mit einem Brett, das man heben<br />
und senken konnte.<br />
Wässerwiesen gab es auch in anderen Tälern der Alb, so<br />
z. B. im Seckachtal und im Echaztal. Dort sind sie aber<br />
schon vor längerer Zeit verschwunden. Die Münsinger<br />
Oberamtsbeschreibung kennt keine Wässerwiesen. Demnach<br />
scheint es in den Tälern des alten Oberamtes (Lautertal<br />
usw.) diese Kulturform nicht gegeben zu haben.<br />
Man sieht übrigens dort auch nirgends Spuren, die auf<br />
alte Wässerwiesen hinweisen würden. So darf man sicher<br />
mit Recht die Wässerwiesen als besonders charakteristisch<br />
für das Lauchert- und Fehlatal ansehen. Am Oberlauf<br />
der beiden Flüsse verschwanden sie allerdings schon<br />
vor dem zweiten Weltkrieg. Besonders gepflegt wurden<br />
sie aber noch bis in die fünfziger Jahre auf den Markungen<br />
Mariaberg, Gammertingen, Hettingen und Hermentingen.<br />
Die Gemeinden Neufra, Gammertingen und Hettingen<br />
teilten sich die Wässerwiesen im Fehlatal.<br />
Urkundliche Angaben über die Wässerwiesen in diesem<br />
Bezirk gibt es seit dem 15. Jahrhundert; es ist aber anzunehmen,<br />
daß sie noch um einige hundert Jahre älter sind.<br />
Vermutlich war der Talgrund ursprünglich mit Auenwald<br />
bedeckt, der aber sicher teilweise schon in vorgeschichtlicher<br />
Zeit gerodet wurde. Die Nutzung als Wiesen<br />
und Weiden war jedoch durch Versumpfung sehr<br />
eingeschränkt und Ackerbau kam im Hochwassergebiet<br />
nicht in Frage. Als bei größerer Siedlungsdichte der<br />
landwirtschaftlich nutzbare Boden knapper wurde, war<br />
man gezwungen, auch schlechtere Böden zu nutzen. Die<br />
Einrichtung der Wässerwiesen war ein Projekt, dessen<br />
Größenordnung man zunächst unterschätzt. Der ganze<br />
Flußlauf mußte praktisch kanalisiert werden. In Abständen<br />
von einigen hundert Metern wurden in den Bach<br />
Wehre eingebaut. Dabei benützte man sicher natürliche<br />
Höhenunterschiede, denn der Abstand der Wehre ist<br />
ganz verschieden. Von jedem Wehr wurden ein oder<br />
zwei Hauptgräben abgeleitet, die teilweise die Größe eines<br />
Baches haben. Der Hauptgraben wurde am Rand des<br />
Talgrundes geführt mit geringem Gefälle. Nicht selten<br />
kam es vor, daß man das Wasser des Hauptgrabens in<br />
einer Holzrinne über den Bach leitete, um auch die andere<br />
Talseite zu bewässern. Vom Hauptgraben wurden<br />
Seitengräben zu den einzelnen Grundstücken geführt, die<br />
jeweils einzeln durch Wasserfallen abgesperrt werden<br />
konnten. Auch die Wasserführung des Hauptgrabens<br />
konnte durch eine große Wasserfalle reguliert werden.<br />
Jeder Seitengraben verzweigte sich auf dem Grundstück<br />
bis in kleine, ca. 20 cm breite Gräben, die etwa 4-5<br />
Meter voneinander entfernt waren. So war es möglich,<br />
die Wiesen völlig unter Wasser zu setzen. Andererseits<br />
konnte man während der Heuernte oder bei Wasserknappheit<br />
die Grundstücke auch ganz trocken legen.<br />
2<br />
Die Wässerwiesen waren die einzige Kulturform in unserem<br />
Gebiet, welche drei „Ernten" im Jahr lieferte: Heu,<br />
Oehmd und Schindgras. Wegen des großen Ertrages waren<br />
die Grundstücke zum Teil sehr klein parzelliert.<br />
Auch Bauern von den Albgemeinden hatten nicht selten<br />
Wässerwiesen an Lauchert und Fehla. Der große Ertrag<br />
der Wässerwiesen hatte seine Ursache nicht nur in der<br />
Bewässerung, sondern vor allem in der Düngung. Natürlich<br />
war die Verschmutzung der Gewässer nicht mit dem<br />
zu vergleichen, was heute geboten wird. Immerhin führte<br />
das Wasser schon früher eine ganze Menge organischer<br />
Bestandteile. Was an Abwässern nicht versickerte, das<br />
lief irgendwo in den Bach. Auch Wasservögel wie Enten<br />
und Gänse wurden in großer Zahl gehalten. Da ein<br />
großer Teil des Wassers in den Wiesen versickerte, waren<br />
sie immer reichlich gedüngt. Die Bedeutung dieser Düngung<br />
wird erst klar, wenn man sich vor Augen hält, daß<br />
das Hauptproblem der alten Landwirtschaft der Düngermangel<br />
war (z. B. Dreifelderwirtschaft wegen Erschöpfung<br />
des Bodens). Obwohl Gradmann die Wässerwiesen<br />
recht summarisch unter „Feuchte Oehmdwiesen"<br />
abhandelt, betont er, daß außer der Feuchtigkeit auch<br />
„Pflanzennährstoffe" zugeführt werden.<br />
Besonders eindrucksvoll waren die Wässerwiesen im<br />
Frühling. Durch die konstante Wassertemperatur wurden<br />
sie schon grün, wenn die übrige Natur noch braun und<br />
grau im Winterschlaf lag. Kaum war die ganze Wiese<br />
begrünt, wurde sie von einem Meer von Schlüsselblumen<br />
bedeckt, das nur an besonders feuchten Stellen von der<br />
Sumpfdotterblume (Calthra palustris) unterbrochen wurde.<br />
Seit dem 15. Jahrhundert gibt es zahlreiche urkundliche<br />
Belege zu den Wässerwiesen. 1482 wurde vor dem Gericht<br />
in Gammertingen ein Streit über die Bewässerung<br />
im Gsöd (Wiesengelände bei Gammertingen) verhandelt.<br />
Zum Jahr 1584 hat sich eine Bewässerungsordnung aus<br />
dem Fehlatal erhalten. Die Bewässerungsordnung betraf<br />
alle Grundstücksbesitzer, die an einen Hauptgraben angeschlossen<br />
waren. Der Hauptgraben, um den es hier<br />
geht, ist heute noch vorhanden (in der „Wanne", unterhalb<br />
des alten Schlosses). Es heißt, das Bewässern solle<br />
im Februar beginnen und bis Bartholomäus (24. August)<br />
dauern. Es war genau eingeteilt, wie lange jeder Wiesenbesitzer<br />
das Wasser haben sollte, und in welcher Reihenfolge<br />
bewässert wurde. Wer einem anderen das Wasser<br />
nahm, sollte einen Gulden Strafe zahlen. Als Aufsicht<br />
wurden zwei Verordnete aufgestellt, die auch einen Tag<br />
zum Grabenräumen ansetzen konnten. Wer beim Grabenräumen<br />
verhindert war, mußte eine Ersatzperson<br />
stellen, oder 1 /t Gulden Strafe zahlen.<br />
1669 wurde zwischen den drei Speth'schen Herrschaften<br />
Gammertingen, Hettingen und Neufra ein Vertrag über<br />
die Bewässerung der Wiesen im Fehlatal abgeschlossen.<br />
Die Verantwortlichen werden in dem Vertrag als Wassermeister<br />
bezeichnet, einen Titel, der noch im 19. Jahrhundert<br />
vorkommt. 1728 gab die Speth'sche Herrschaft<br />
Gammertingen die Genehmigung zur Erneuerung der Bewässerungsanlagen<br />
im Sinawog unterhalb von Gammertingen.<br />
Dies sind nur einige Beispiele.
Die Pflege der Anlagen verursachte ständig eine Menge<br />
Arbeit. Ein typisches Arbeitsgerät war die Wässerhaue,<br />
die auf einer Seite eine Schneide, auf der anderen eine<br />
Hacke hatte. Mit der Schneide schlug man die Grasnarbe<br />
ab und mit der Hacke wurde der Graben vertieft. Vor<br />
allem die kleineren Gräben mußten jährlich erneuert<br />
werden. Aber auch die übrigen Einrichtungen wie Rinnen,<br />
Wasserfallen usw. mußten instand gehalten werden.<br />
Schon vor dem 2. Weltkrieg wurde am Oberlauf von<br />
Lauchert und Fehla mit Flußbegradigungen und Senkung<br />
des Grundwasserspiegels begonnen. Damit entfielen<br />
natürlich die Wässerwiesen. Während sich früher die<br />
Verteilung von Äcker und Wiesen genau an die Hochwassergrenze<br />
hielt, findet man heute auch im Talgrund<br />
Äcker. Die Aufgabe der Wässerwiesen auf den Markungen<br />
Mariaberg, Gammertingen, Hettingen und im Fehlatal<br />
erfolgte vor allem aus arbeitstechnischen Gründen. Es<br />
war unmöglich, die von zahlreichen Gräben durchzogenen,<br />
feuchten Wiesen mit Maschinen zu bearbeiten. Die<br />
JOHANNES WANNENMACHER<br />
Die Mundart wird wieder geschätzt und gepflegt<br />
Es gab eine Zeit, da wurde die Mundart stark zurückgedrängt,<br />
und es galt als unfein, sie zu sprechen. Sogar mit<br />
den Kleinsten in der Schule sollte man nur hochdeutsch<br />
sprechen. Jeder einsichtige Erzieher jedoch hat aus innerer<br />
Verbundenheit mit seinen Kindern ein solch lebensfernes<br />
Verlangen von vorneherein mehr oder weniger<br />
abgelehnt. Seine Unterrichtserfolge waren deswegen<br />
nicht geringer - im Gegenteil. Sein Unterricht blieb zudem<br />
lebensnaher, froher und wärmer. - Heute hat sich<br />
nun im Gebrauch der Mundart so manches zum Guten<br />
gewendet. Erfreulich ist vielfach zu hören und zu lesen,<br />
wie überall Mundartvereine gegründet werden, Mundartkurse<br />
und Leseabende in großen Städten stattfinden,<br />
Theaterspiele in Mundart aufgeführt werden, Fernsehen<br />
und Hörfunk mit mundartlichen Stücken und Darbietungen<br />
zahlreiche Freunde gewinnen usf. Flüchtlinge<br />
und Heimatvertriebene sind ebenfalls so in die Gesellschaft<br />
hineingewachsen, daß sie die Mundart nicht nur<br />
verstehen, sondern oft recht originell sprechen. Das gleiche<br />
gilt auch von den Kindern der Gastarbeiter.<br />
Unsere heimische Mundart gebraucht eine große Zahl<br />
althergebrachter Ausdrücke und Redewendungen von<br />
urtümlicher Ausdruckskraft. Hierzu einige Beispiele aus<br />
Rangendingen: Das kleine Kind liegt im Wägelchen.<br />
Neugierig betrachtet und mustert es eine Bekannte, und<br />
weil es so gut aussieht und gedeiht, meint diese freudig:<br />
„Aber dös „groanet" no"! Das Gegenteil drückt das<br />
Wort „hollaos" aus. Da hört man: „Dös ischt aber a hollaos<br />
Kendle - oder Tröpfle"! Im übertragenen Sinne<br />
nennt man auch einen Erwachsenen, der unregelmäßig<br />
lebt, überall herum streicht und oft nicht Wort hält, einen<br />
„hollausen" Denger. Hat er vielleicht dazu noch<br />
eine unglückliche Figur, dann bezeichnet ihn die Mundart<br />
als einen baisa „Hailiacher". Mit dem Hailiacher,<br />
einem etwa meterlangen Stock mit einem Eisenhaken,<br />
wird das festgesessene Heu aus dem Heustock in der<br />
Scheune herausgezogen. Die Mundart hat auch einen wachen<br />
Sinn für die Tatsache der Vererbung. Da hört man:<br />
„Dear schlegt ganz seim Vadder no (nach); ischt seim<br />
Vadder wiea aus em Gsicht rausgschnitta; hots gleich<br />
Gräben wurden deshalb aufgefüllt. Meistens sind die<br />
Hauptgräben noch vorhanden; sie liegen am Randi des<br />
Wiesengeländes und stören deshalb nicht. Flußkorrekturen<br />
wurden glücklicherweise bisher nur innerhalb der<br />
Ortsbereiche vorgenommen. Hoffen wir, daß uns der<br />
Anblick von Lauchert und Fehla als begradigte Abwasserrinnen<br />
noch für einige Zeit erspart bleibt.<br />
Die Änderung der Wirtschaftsform hat sich schon deutlich<br />
auf die Flora ausgewirkt. Vor allem Schlüsselblumen<br />
werden es jedes Jahr weniger. Die Sumpfdotterblumen<br />
sind fast schon selten geworden. Leider werden viele<br />
Wiesen überhaupt nicht mehr abgemäht und versteppen.<br />
An einigen Stellen wurden auch Wiesen aufgeforstet,<br />
was natürlich ein barbarischer Eingriff in das Landschaftsbild<br />
ist. Mit den Wässerwiesen fiel eine uralte<br />
Kulturform dem Fortschritt zum Opfer. Es ist nur zu<br />
hoffen, daß uns wenigstens das schöne Wiesental erhalten<br />
bleibt.<br />
Glaef (Gang) wiea sei Vadder; ischt dr gleich Trialer<br />
wiea sei Vadder usf." Von Frauen sagt man: „Dia ischt<br />
so schaffeg wiea ihre Muadder; dia ka ihr Gschlächt au<br />
it verleugna; dia hot a Mondwerk wiea ihre Muadder<br />
usw." Eine, die an allen Ecken herumsteht, schwatzt und<br />
tratscht, dabei auch eine gewisse Portion Dummheit an<br />
den Tag legt, ischt a „Hätschabä". Wer anderen nichts<br />
gönnt, neidisch und giftig sein kann, ist „nisseg". Man<br />
kann sich auch „vermoona", d. h. Menschen, Dinge oder<br />
Vorgänge falsch sehen oder deuten. Und wer nicht aus<br />
sich herausgeht, ist a „Drucksmuller". Das Haar wird in<br />
der Mundart nicht gekämmt, sondern mit dem<br />
„Schträhl" gschtrählet. Bei großer Hitze im Sommer bekommt<br />
das Brot in der Schublade „Zoosama", lange,<br />
dünne Fäden. Fleisch, das nicht mehr so ganz frisch auf<br />
dem Teller liegt, ist a „loomaleges" Zeug. Es kann einer<br />
auch „loomaleg umeinander hanga", (nicht ganz auf der<br />
Höhe sein).<br />
Nur „a gotzegs" (einzigs) Stückle Brot bettelt das kleine<br />
Kind. Lauf „gotteg"! (schnell) ruft die Mutter dem Kinde<br />
nach. Was macht denn der für „Fiesamadenta"? frag<br />
man sich, wenn einer sich zuviel mit unpassenden Nebensächlichkeiten<br />
und Kleinigkeiten abgibt. - Der Bauernwagen<br />
hat keine Bremse, sondern eine „Wicke". Und<br />
eine Geschäftsfrau erzählt ihrer Nachbarin, einer älteren<br />
Bauersfrau, wie sie Tag und Nacht arbeiten müßte. Darauf<br />
entgegnete letztere seelenruhig: „Ja, 's - reich wäara<br />
tuat waih!" Wenn jemand bald etwas abgeben muß,<br />
das ihm sehr ans Herz gewachsen ist, so hört man: „Dös<br />
wird deam no „ahnd" (weh) toa!" Ist jemand irgendwo<br />
wohl gelitten und beliebt, dann „hot ear an Schtoa<br />
(Stein) em Britt!" Die Zahlwörter zwei und drei haben<br />
in der Mundart je nach dem Geschlecht des nachfolgenden<br />
Dingwortes auch verschiedene Formen. Es gibt<br />
„zwe" Manna, „zwua" Henna, „zwo" Goßlea und drei<br />
Manna, drei Henna, aber „druu" Häuser.<br />
Wie die Natur allüberall die größte Vielfalt in der Einheit<br />
zeugt, so ist es auch mit der urgewachsenen, so ausdruckskräftigen<br />
Mundart. Schätzen wir sie als unverlierbare<br />
Mitgift unserer Heimat.<br />
3
MAREN KUHN-REHFUS<br />
Die Grundherrschaft am Quellenbeispiel einer bäuerlichen Leihurkunde<br />
Bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, bis zur Ablösung<br />
der Grundlasten und der sogenannten Bauernbefreiung,<br />
hatte nicht der Bauer die freie Verfügungsgewalt<br />
über den Großteil des landwirtschaftlichen Grund<br />
und Bodens, sondern der Grundherr. Große Grundherren<br />
waren der Adel und die Kirche, aber auch Stadtgemeinden<br />
und einzelne Stadtbürger konnten Grundherren sein.<br />
Sie hatten das Grundeigentum entweder geerbt oder gekauft,<br />
oder aber - wie es vor allem bei Kirchen und<br />
Klöstern der Fall war - sie hatten es als Almosen, als<br />
Stiftungen zum Seelenheil der Gläubigen oder als Mitgift<br />
für Mönche und Nonnen bei deren Klostereintritt<br />
geschenkt bekommen. Auf diese Weise war auch das<br />
1134 gegründete Zisterzienserkloster Salem zum Eigentümer<br />
weitausgedehnter Ländereien geworden, die sich<br />
zwischen dem Bodensee, den Städten Ulm und Eßlingen<br />
und dem Schwarzwald erstreckten, sich aber besonders<br />
um einige Mittelpunkte konzentrierten. Solche Mittelpunkte<br />
waren in unserem engeren Raum z. B. Bachhaupten,<br />
Tiefenhülen, Ostrach und Riedlingen. Dieser landwirtschaftliche<br />
Grundbesitz, aus Hofgütern, Wäldern,<br />
Seen und Wasserläufen, einzelnen Äckern und Wiesen<br />
bestehend, bildete zusammen mit gewerblichen Betrieben,<br />
wie Gasthäuser, Brauereien, Mühlen, Ziegelhütten,<br />
Schmieden usw. und mit den leibeigenen Leuten die<br />
wirtschaftliche Basis des Klosters.<br />
Der Grundherr konnte seine Liegenschaften im Eigenbau<br />
durch sein Gesinde bewirtschaften lassen. Diese Bewirtschaftungsform,<br />
Gutswirtschaft genannt, wurde bei den<br />
Zisterzienserklöstern während der Frühzeit des Ordens<br />
in sehr ausgedehntem Maße praktiziert, spielte bei anderen<br />
Grundherren aber im allgemeinen eine untergeordnete<br />
Rolle. Er konnte den Boden aber auch zur Bebauung<br />
und Nutzung gegen jährliche Zahlung von Zinsen und<br />
Gülten und gegen die Leistung von Frondiensten an Bauern<br />
ausgeben und von den eingezogenen Abgaben leben,<br />
seinen Unterhalt bestreiten und Vermögen bilden. Diese<br />
sogenannte Rentenwirtschaft auf der Basis der Grundherrschaft<br />
dominierte in Südwestdeutschland.<br />
Bei diesen bäuerlichen Leihen oder Lehen unterscheidet<br />
man je nach Dauer des Leihevertrages verschiedene Formen.<br />
Allen gemeinsam aber war, daß das Eigentumsrecht<br />
am verliehenen Grundbesitz durch die Leihe aufgespalten<br />
wurde in ein Ober- und ein Untereigentum: Der<br />
Bauer erlangte das Untereigentum, ein Verfügungsrecht<br />
am verliehenen Gut, das Obereigentum verblieb beim<br />
Grundherrn.<br />
Die für das bäuerliche Besitzrecht günstigste Leiheform<br />
war das Erblehen. Es zeichnete sich dadurch aus, daß<br />
der Lehenhof beim Tod des Vaters an seine Kinder verliehen<br />
werden mußte, und daß die Verfügungsgewalt des<br />
Bauern über das Gut beträchtlich war: Er konnte es sogar<br />
versetzen und verkaufen, wenn nur die Abgaben an<br />
den Grundherrn unangetastet blieben. Von unschätzbarem<br />
Wert war darüber hinaus, daß Zins, Gült und Dienste<br />
vom Grundherrn weder gesteigert noch verändert<br />
werden konnten, sondern für alle Zeiten feststanden.<br />
Damit war der Bauer auf diesem Gebiet vor herrschaftlicher<br />
Willkür sicher.<br />
Die in Oberschwaben am weitesten verbreitete Leiheform<br />
war jedoch das Fall- oder Leiblehen, gelegentlich<br />
4<br />
auch als Schupflehen bezeichnet. Im Gegensatz zum Erblehen<br />
war das Fall-Lehen ein Zeitlehen, das nur auf<br />
eine begrenzte Zeitspanne dem Bauern verliehen war:<br />
Zumeist umfaßte die Leihedauer die Lebenszeit des Bauern,<br />
der Hof war auf „einen Leib" (Leiblehen) verliehen.<br />
Fall-Lehen konnten aber auch auf mehrere Leiber verliehen<br />
werden, etwa auf die „drei Lebtage" von Vater,<br />
Mutter und einem Kind. Sie konnten allerdings auch nur<br />
auf eine befristete Anzahl von Jahren beschränkt sein,<br />
im ungünstigsten Fall mußte der Hof sogar jährlich neu<br />
verliehen werden. Nach Ablauf der Leihezeit - beim<br />
Leiblehen beim Tod des Bauern — fiel der Hof wieder<br />
an den Lehensherrn zurück (Heimfall) und konnte von<br />
diesem ohne Berücksichtigung der Erben des verstorbenen<br />
Inhabers nach Belieben erneut verliehen werden. In<br />
der Praxis gab der Grundherr den Hof allerdings häufig<br />
wieder an ein Kind aus. Jedoch hatte die Familie keinen<br />
Rechtsanspruch auf das Gut, sondern war von der herrschaftlichen<br />
Gnade abhängig. Ferner behielt sich der<br />
Grundherr regelmäßig die Absetzung des Bauern bei bestimmten<br />
Verstößen vor, so bei Mißwirtschaft und Säumigkeit<br />
in den Zinszahlungen (Lehensfälligkeit).<br />
Als Gegenleistung für die Nutzung eines Lehensgutes<br />
war der Bauer zu jährlichen Abgaben und Fronen für<br />
den Leiheherrn verpflichtet, deren Höhe und Art nicht<br />
geändert werden durften solange er den Hof bewirtschaftete.<br />
Dagegen konnte der Herr bei jeder Neuverleihung<br />
eines Fall-Lehens die auf dem Gut lastenden Reichungen<br />
und Dienste steigern.<br />
Die Abgaben, auch Zins und Gült genannt, setzten sich<br />
üblicherweise aus einem Geldbetrag (Zins), aus Getreideabgaben<br />
(Gült) und den „Küchengefällen" - Eiern,<br />
Hühnern, Hennen, Gänsen usw. - zusammen, die zu<br />
unterschiedlichen Terminen entweder direkt an den<br />
Herrn oder an einen seiner Verwaltungssitze, etwa einen<br />
klösterlichen Pflegehof, geliefert werden mußten: Geld<br />
und Gänse an Martini (11. November, daher „Martinigans"),<br />
Hennen oft an Fasnacht („Fasnachtshennen"),<br />
Hühner zumeist im Herbst („Herbsthühner"), Eier an<br />
Ostern, das Getreide nach der Ernte. Die Getreidegült<br />
wurde entweder in der Form von Garben erhoben, die<br />
aus den auf dem Feld aufgestellten Garben ausgezählt<br />
wurden (meist die 3. oder 4. Garbe) und „Landgarbe"<br />
hießen, oder aber in der Form der „gedroschenen" Gült,<br />
die aus einer feststehenden Menge gedroschenen Getreides<br />
bestand (Maße waren die Hohlmaße Malter, Viertel,<br />
Scheffel, Imi, Meßle usw.).<br />
Im allgemeinen hatte ein Lehenbauer bei Ablieferung<br />
seiner Gültreichungen Anspruch auf gewisse Gegengaben<br />
des Grundherrn, meist Brot, Wein oder Bier oder kleinere<br />
Geldbeträge.<br />
Neben den Gültreichungen waren die Bauern zur Leistung<br />
von Frondiensten verpflichtet, die jedoch oft Leistungen<br />
für den Gerichtsherrn, nicht für den Grundherrn<br />
waren. Die Fronen waren entweder „gemessen", d. h. sowohl<br />
nach Anzahl pro Jahr als auch nach Art genau<br />
festgelegt, oder „ungemessen", d. h. in erster Linie zeitlich<br />
unbegrenzt. In beiden Fällen aber wirkte das alte<br />
Herkommen, das Gewohnheitsrecht, sich hemmend auf<br />
herrschaftliche Willkür aus, so daß auch für die ungemessenen<br />
Dienste faktisch eine Begrenzung galt und
unübliche Arbeiten nicht verlangt werden durften. Außerdem<br />
wurde unterschieden zwischen Zugfronen bzw.<br />
Spanndiensten, die mit Pferd und Wagen ausgeführt<br />
wurden, und Handfronen, die vor allem von den Bevölkerungsschichten<br />
gefordert wurden, die kein Zugvieh besaßen,<br />
also von Tagwerken, Häuslern, Seidnern usw. Es<br />
war allgemein üblich, daß die fronenden Personen samt<br />
ihrem Zugvieh während der Fronen vom Herrn verköstigt<br />
wurden oder Geld erhielten.<br />
Gegen die Gefahr, daß der Lehenbauer die einzelnen<br />
Punkte des Leihevertrags nicht einhielt und der Lehensherr<br />
dadurch zu Schaden kam, sicherte sich der Grundherr<br />
dadurch ab, daß er sich in diesem Fall gerichtliche<br />
Schritte vor weltlichen und geistlichen Gerichten vorbehielt.<br />
Im schlimmsten Fall konnte das Vermögen des<br />
Bauern gepfändet und versteigert werden.<br />
Jede Verleihung wurde in Form eines Vertrages vorgenommen,<br />
der für Verleiher und Belehnten Rechte und<br />
Pflichten festlegte. Als Zeichen seiner Zustimmung beschwor<br />
der Bauer den Leihevertrag und stellte seinerseits<br />
für den Grundherrn eine Urkunde, den sogenannten<br />
„Lehenrevers" aus, in welchem er den Text der Leiheurkunde<br />
in vollem Wortlaut wiederholte und sein beschworenes<br />
Einverständnis ausdrücklich bestätigte. Dieser<br />
Revers wurde dem Grundherrn, die Leiheurkunde<br />
dem belehnten Bauern ausgehändigt.<br />
Die Bedingungen eines Leiblehens werden in einer Leiheurkunde<br />
des Klosters Salem aus dem Jahr 1577 wie<br />
folgt beschrieben:<br />
„Wir Mattheus, von Gottes Gnaden Abt, auch Prior und<br />
der Konvent gemeinlich des Gottshaus Salmansweiler<br />
[Kloster Salem] bekennen öffentlich und tun kund allermänniglich<br />
mit diesem Brief [Urkunde], daß wir um unseres<br />
Gottshaus besseren Nutzen willen Jakob Mayer<br />
von Burgau [Kreis Sigmaringen] auf seinen alleinigen<br />
Leib so lange er leben wird und nicht füro noch länger<br />
zu einem Leiblehen und in Leiblehensweise recht und<br />
redlich geliehen und verliehen haben unseren und unseres<br />
Gottshaus Hof zu Burgau gelegen, nämlich mit Haus,<br />
Hofreite, Scheuern, Garten, Äckern, Wiesen, Wunn,<br />
Weide und sonst mit allen Gewohnheiten, Rechten und<br />
Zugehörungen, davon nichts ausgenommen, als für unser<br />
und unsers Gottshaus recht Eigen, männiglichshalb unverkümmert<br />
[unbelastet], welchen Hof dann vormals<br />
Agatha Mayerin und Hans Mayer, seine liebe Mutter<br />
und Bruder selig, auch von uns und unserm Gottshaus zu<br />
Leiblehen innegehabt und bebaut haben. Und auf das<br />
soll er also hinfüro sein Leben lang den obbestimmten<br />
Hof mit seinen Zugehörungen - wie oben steht - in<br />
guten wesentlichen Ehren und Zeit bauen, unwüstlich<br />
[unverwüstet], unzergänglich, auch unversetzt, unverkauft<br />
und unzertrennt innehaben, bauen, nutzen, nießen,<br />
brauchen und mit seinem selbst Leib [in eigener Person]<br />
besitzen, wie dann um [bei] andere unsere Leiblehen<br />
sitt- und gewöhnlich ist, von uns und unsern Nachkommen<br />
ganz unverhindert. Doch haben wir mit sonderm<br />
Namen alle unsere und unsers Gottshaus Hölzer, so zu<br />
und in solchen Hof gehören, uns selbst vorbehalten und<br />
ausgedingt, also daß er sich solcher Hölzer mit Holzhauen<br />
- es sei zum Zimmern, zum Brennen oder anderem,<br />
ganz nichts ausgenommen - gänzlich und aller Ding<br />
müßigen [enthalten] und ohne unsere Gunst, Wissen<br />
und Willen kein Holz darin hauen noch jemand erlauben<br />
solle; wenn er aber dawider täte, und sich solches<br />
wahrlich erfände, soll uns die Strafe wie gegen Andere<br />
und Fremde darum gegen ihn vorbehalten sein ohne Gefährde<br />
[ohne böse Absicht]. Und vornehmlich soll er<br />
uns, unserm Gottshaus und Nachkommen nun hinfort<br />
die Zeit seines Inhabens gedachten Hofs alle Jahre jährlich<br />
und ein jedes Jahr alleine und besonders allweg aus<br />
und ab dem berührten Hof, nämlich ab allen Äckern,<br />
was darauf erwächst und gebaut wird, den vierten Teil<br />
und dazu zu rechtem Hofzins 2 Pfund und 10 Schillinge<br />
Pfennig Konstanzer Währung 1 , 8 Hühner, 2 Fasnachtshennen<br />
und 4 Viertel Eier [480 Eier] gütlich [ent]richten<br />
und geben, und uns nämlich die Landgarben ab dem<br />
Feld in unsere Scheur daselbst zu Burgau, und - so die<br />
[Landgarben] ausgedroschen werden — das Korn gen<br />
Riedlingen in die Stadt in unsere Behausung führen,<br />
auch das Geld auf Sankt Martins Tag, Hühner, Hennen<br />
und Eier jedes zu seiner gewöhnlichen Zeit daselbst zu<br />
Riedlingen zu unseren oder unserer Amtleute sicheren<br />
Händen und Gewalt antworten gänzlich für alle Irrungen<br />
[ohne Streit] und Einträge [Beeinträchtigungen]<br />
und ohne alle unsere Kosten und Schaden. Bei solcher<br />
obengemeldeten Gült wir ihn auch sein Lebenlang gütlich<br />
bleiben lassen und um höheren Zins und Landgarbe<br />
nicht steigern noch anstrengen sollen keineswegs. Und<br />
auf das so sollen wir ihm auch allweg von den Landgarben<br />
Stroh und Brüts [beim Dreschen abfallendes Kurzfutter]<br />
wiederum verfolgen [zurückgeben] lassen, auch<br />
dazu ihm alljährlich von einer jeden vierten Jauchert<br />
[etwa 0,46 ha] mit Winterfrucht 18 Pfennige und von<br />
einer jeden vierten Jauchert mit Sommerfrucht 9 Pfennige<br />
obgemeldeter Währung zu Schnittergeld geben. Und<br />
haben wir auch mit sondern Namen anbedingt, so<br />
[wenn] wir unsere Landgarben ausdreschen lassen wollen,<br />
daß wir dann allweg zu dem Dreschen zwei und er<br />
einen Drescher haben sollen, doch soll er denselben Dreschern<br />
zu essen geben, und aber ihm darum einen jeden<br />
Tag welcherlei Korn desselben Tags gedroschen würde,<br />
1 Viertel Riedlinger Maß 2 gegeben werden zu [für] solchem<br />
Dreschen; er dann alles Zeug, damit man das Korn<br />
ausmacht und zubereitet, geben soll, ausgenommen die<br />
Säcke sollen wir selbst haben und dargeben, auch ungefährlich.<br />
Er soll auch von solchem Hof jemand kein<br />
Vogtrecht - weder von Korn, Geld noch anderem -<br />
geben, dann es ein freier und recht eigener Hof unseres<br />
Gottshaus ist, damit keine Gerechtigkeit einer Beschwerde<br />
[Rechtsanspruch auf Belastung] deshalb auf solchen<br />
Hof [er] wachsen möchte. Und hierauf soll er sein Lebenlang<br />
uns und unserm Gottshaus mit Gebot und Verbot,<br />
auch reisen und Reissteuern [Kriegsdienst und<br />
Kriegssteuern] wie andere unsers Gottshaus Leute gehorsam<br />
und gewärtig sein, auch sonst keinen Schirm ohne<br />
unsere Gunst, Wissen und Willen annehmen, desgleichen<br />
auch jedes Jahr zwei Wagenfahrten von Riedlingen gen<br />
Pfullendorf, was man ihm auferlegt, zu führen, oder so<br />
man ihn zu solchen zwei Wagenfahrten nicht brauchen<br />
wollte, für jede der zwei Fahrten 10 Batzen 1 geben, in<br />
dem uns dann die Wahl vorbehalten, die Fahrten oder<br />
das Geld anzunehmen. Dagegen soll man ihm, so er die<br />
Fahrten tun würde, zu essen und den Rossen gewöhnliches<br />
Futter geben. Und dazu soll er auch im Jahr, wie<br />
oft das die Notdurft erfordert, zu unserem Haus gen<br />
Riedlingen, auch um und bei Riedlingen gelegen an welchen<br />
Ort wie ihn bescheiden [schicken], aus Befehl je zu<br />
Zeiten unseres Pflegers zu Pfullendorf oder Hauswirts<br />
zu Riedlingen Frondienst zu tun schuldig sein, als [wie]<br />
er dann das und anderes, wo vor und hernach geschrieben<br />
steht, wie andere unsere Hintersassen zu halten gelobt<br />
und geschworen hat. Wäre aber Sach, daß er den<br />
gedachten Hof mit seiner Zugehörung - wie oben steht<br />
- nicht in guten wesentlichen Ehren und Bau hätte oder<br />
Zins und Gült alljährlich nicht [entrichten und antworten,<br />
inmaßen vorsteht, oder ein oder mehrere andere<br />
obengeschriebenen Stücke nicht vollstrecken täte, und<br />
sich solches wahrlich erfände, so soll uns und unsern<br />
Nachkommen der obenbestimmte Hof mit aller seiner<br />
Zugehörde wiederum frei, ledig und los heimgefallen<br />
5
sein, und mögen wir ihn und seine Erben um all das, so<br />
er uns nach Laut dieses Briefs zu tun schuldig wäre, angreifen<br />
[belangen], mahnen und umtreiben mit welchen<br />
geistlichen oder weltlichen Gerichten wir wollen, solange<br />
und viel, bis wir und unser Gottshaus nach Laut dieses<br />
Briefs völlig ausgerichtet [befriedigt] sind ohne alle unsere<br />
Kosten und Schaden. Wenn und so bald er auch mit<br />
Tod abgegangen und erstorben ist, alsdann zur Stund<br />
soll genannter Hof mit seiner Zugehörung uns, unserm<br />
Gottshaus und unsern Nachkommen gänzlich wiederum<br />
frei, ledig und los heimgefallen sein, also daß wir den<br />
dannenthin in anderweg wie und wem wir wollen, verleihen<br />
und damit gefahren [verfahren], handeln und<br />
schaffen mögen, wie uns füglich und eben ist, von ihm<br />
und seinen Erben und männiglich von ihretwegen ganz<br />
unverhindert und ungesäumt in allweg, alles getreulich<br />
und ungefährlich [redlich]. Und des zu wahrem Urkund,<br />
so haben wir unser Abteisekret- und gemeinen<br />
MAREN KUHN-REHFUS<br />
Die Leibeigenschaft am Beispiel einer Manumission und<br />
einer Leibeigenschaftsergebung<br />
In Südwestdeutschland entwickelte sich seit ungefähr<br />
dem 14. Jahrhundert eine neue Form der Leibeigenschaft,<br />
die nicht mit der alten Unfreiheit, wie sie bis<br />
etwa in das 12. Jahrhundert hinein bestanden hatte, zusammenhing<br />
und sich von dieser wesentlich unterschied.<br />
Im Gegensatz zu früher standen dem Leibherrn nurmehr<br />
bestimmte und begrenzte Rechte über seine Leibeigenen<br />
zu. Diese Rechte wurden regional verschieden stark<br />
durchgesetzt und waren wirtschaftlich unterschiedlich<br />
drückend. Der soziale Status aber wurde durch die Leibeigenschaft<br />
nicht gemindert. Es gab z. B. in Württemberg<br />
Prälaten, Landtagsabgeordnete und hohe Beamte, die<br />
leibeigen waren.<br />
In Südwestdeutschland bildeten sich zwei Formen der<br />
Leibeigenschaft heraus:<br />
1. Die Realleibeigenschaft, bei der Höfe und Güter nur<br />
an Eigenleute des betreffenden Eigentümers (Grundherrn)<br />
verliehen wurden; hier war also die Ergebung<br />
in die Leibeigenschaft die Voraussetzung für die Belehnung<br />
mit einem Gut.<br />
2. Die Lokalleibeigenschaft, bei der „die Luft eigen<br />
machte", so daß alle in einem Dorf oder in einem<br />
Herrschaftsgebiet ansässigen Personen Eigenleute des<br />
betreffenden Gerichtsherrn waren.<br />
Die Form der Lokalleibherrschaft war besonders in<br />
Oberschwaben verbreitet. Geistliche Herrschaften -<br />
z. B. Klöster - und weltliche Herren setzten sie innerhalb<br />
ihrer Gebiete durch, um auf einer einheitlichen Untertanenschicht<br />
ihr Territorium, oftmals sogar ihre Landeshoheit,<br />
aufbauen zu können. Dadurch wandelte sich<br />
aber gerade hier die Leibeigenschaft bis zum 18. Jahrhundert<br />
oftmals zu einer bloßen Untertanenschaft, zu einer<br />
Art „Staatsuntertänigkeit", die den Eigenleuten z. B.<br />
das Recht auf Niederlassung und obrigkeitlichen Schutz<br />
sicherte.<br />
Leibeigene Personen waren folgenden Beschränkungen<br />
unterworfen und mit folgenden Abgaben belastet:<br />
1. Sie waren nicht freizügig, d.h. sie durften ohne Erlaubnis<br />
ihres Leibherrn nicht fortziehen.<br />
6<br />
Konvents Siegel öffentlich tun hängen lassen an diesen<br />
Brief, der geben ist auf den Sonntag Letare zu Mittfasten<br />
nach Christi, unsers lieben Herrn, Geburt gezählt<br />
1577 Jahre.<br />
(Pergament, Original, die beiden Siegel in Holzkapseln,<br />
Siegel des Abts fehlt. Staatsarchiv Sigmaringen, Bestand<br />
Ostrach, Urkunden).<br />
1 1 Pfund = 20 Schillinge = 240 Pfennige, 1 Schilling =<br />
12 Pfennige, 1 Batzen = 4 Kreuzer, 1 Pfund = 10 Batzen<br />
= 40 kr (so gerechnet in Hechingen 1599 und in Veringenstadt<br />
1568). Zur Kaufkraft des Geldes: 1554 wurden in<br />
Veringenstadt 15 Jauchert (ca. 6,9 ha) um 30V2 Pfund<br />
Pfennige verkauft. 2 Schilling konnten an einem Vormittag<br />
mit Waldarbeit verdient werden.<br />
2 1 Malter Rauhfrucht (Dinkel, Haber, Gerste) = 4 Scheffel<br />
= 16 Viertel. 1 Malter Glattfrucht (Roggen) = 2 Scheffel<br />
= 8 Viertel. In Riedlingen enthielt 1 Malter 174,8 Liter.<br />
2. Sie benötigten zur Heirat die Erlaubnis ihres Leibherrn,<br />
der seine Zustimmung auch zur Wahl des Ehepartners<br />
geben mußte, weil von den Heiraten der Eigenleute<br />
seine wirtschaftlichen Interessen betroffen<br />
wurden. Damit hängen die in manchen Gegenden üblichen<br />
besonderen Heiratsabgaben - Gürtelgewand<br />
oder Brautlauf genannt - zusammen, die Anerkennungsgaben<br />
für dieses leibherrliche Recht darstellten.<br />
Zu Zeiten der alten Unfreiheit hatten verschiedene<br />
Leibherrschaften den Heiratszwang ausgeübt, um sich<br />
die benötigten Arbeitskräfte zu sichern. Später verboten<br />
viele Leibherren Heiraten ihrer Eigenleute mit<br />
Leibeigenen fremder Leibherren - die sog. Ungenoßsame<br />
- ganz, weil sie fürchteten, das Recht auf die<br />
Kinder aus solchen Ehen und auf Abgaben und Dienste<br />
der Leute an den fremden Leibherrn zu verlieren.<br />
In der Regel galt nämlich der Grundsatz, daß bei<br />
Heiraten zwischen Eigenleuten verschiedener Leibherren<br />
die Kinder dem Leibherren der Mutter gehörten.<br />
Eine andere - beispielsweise im Allgäu praktizierte<br />
Übung war, die Kinder aus ungenoßsamen Ehen unter<br />
die beiderseitigen Leibherren aufzuteilen.<br />
Andere Herren wiederum verlangten, daß stets der in<br />
ihre Herrschaft einheiratende Ehepartner sich von<br />
seiner alten Leibherrschaft loskaufte und sich anschließend<br />
in seine Leibeigenschaft ergab, so daß über<br />
die Zugehörigkeit der Kinder von vorneherein kein<br />
Zweifel aufkommen konnte.<br />
Weit verbreitet war auch die Übung, in solchen Fällen<br />
Eigenleute zwischen den einzelnen Herrschaften<br />
auszutauschen.<br />
3. Der Leibherr forderte von seinen Eigenleuten eine<br />
jährliche Leibsteuer, die entweder aus einer geringen<br />
Geldgebühr oder aus der sog. Leibhenne bestand und<br />
als Anerkennung der Leibherrschaft galt. Die Leibhenne<br />
konnte auch andere Bezeichnungen tragen, besonders<br />
in Gegenden, wo mit der Leibherrschaft auch<br />
noch die Grund- und Gerichtsherrschaft verbunden<br />
war, so z. B. Fasnachtshenne.<br />
4. Wirtschaftlich sehr viel drückender wirkten sich die<br />
beim Tod des Leibeigenen fälligen Abgaben aus. Ur-
sprünglich hatte der Unfreie als vermögensunfähig<br />
gegolten, so daß der Leibherr seine gesamte Hinterlassenschaft<br />
eingezogen hatte. Mit dem Verschwinden<br />
der alten Unfreiheit wurde auch das Recht des Herrn<br />
am Erbe seiner Leibeigenen eingeschränkt. Übrig blieben<br />
zum einen der sog. Tod- oder Leibfall bzw. Laß<br />
und zum anderen das Hauptrecht oder Besthaupt.<br />
Der Fall oder Laß bestand aus einer festen Quote der<br />
Hinterlassenschaft des Leibeigenen, die der Leibherr<br />
für sich forderte, und die bis zu einem Drittel der<br />
Erbschaft - in Einzelfälle sogar bis zur Hälfte -<br />
umfassen konnte. Das Hauptrecht bzw. Besthaupt bestand<br />
aus dem besten Stück Vieh, meist dem besten<br />
Pferd oder der besten Kuh, oft aber auch aus dem besten<br />
Gewand. Während manche Herrschaften sowohl<br />
Laß als auch Hauptrecht einzogen, begnügten sich<br />
andere mit dem Hauptrecht, wobei sie häufig nur das<br />
zweitbeste Stück Vieh beanspruchten oder ersatzweise<br />
andere Tiere, Bienen, Wachs, Honig oder eine Geldablösung<br />
annahmen. Der Leibherr konnte nämlich<br />
nicht daran interessiert sein, seine Eigenleute durch<br />
die Todfallabgaben in die Verarmung zu treiben, weil<br />
damit auch seine eigenen wirtschaftlichen Belange beeinträchtigt<br />
worden wären.<br />
In der alten Unfreiheit konnte eine unfreie Person ohne<br />
weiteres verkauft bzw. verschenkt werden. Solohe Verkäufe<br />
und Schenkungen lassen sich noch im 13. Jahrhundert<br />
feststellen. Mit dem Wandel der Leibeigenschaft jedoch<br />
erhielten die Leibeigenen in einem Herrschaftsgebiet<br />
oder auf einem Hofgut, das seinen Eigentümer<br />
wechselte, lediglich einen neuen Herrn, dem sie die gleichen<br />
Abgaben wie dem alten Leibherrn entrichten mußten.<br />
Veräußerungen von Personen dagegen verschwinden<br />
aus den Urkunden.<br />
Normalerweise wurde eine Person in die Leibeigenschaft<br />
„hineingeboren", d. h. ein von leibeigenen Eltern - insbesondere<br />
von einer leibeigenen Mutter - geborene<br />
Kind war von Geburt an ebenfalls leibeigen. Andererseits<br />
aber konnte man sich auch freiwillig in die Leibeigenschaft<br />
ergeben, was meist dann geschah, wenn man<br />
im Herrschaftsgebiet eines Leibherrn sich niederlassen<br />
wollte, etwa um dort zu heiraten oder einen Lehenhof<br />
zu bewirtschaften. Der Eintritt in die Leibeigenschaft<br />
geschah stets mit Leib und Gut, d. h. Vermögen.<br />
Ebenso konnte sich ein Leibeigener aus der Leibeigenschaft<br />
freikaufen, wenn er beispielsweise fortziehen<br />
wollte, um anderswo seßhaft zu werden. Solche „Leibsledigungen"<br />
wurden nach Bezahlung einer Geldsumme,<br />
die als Ablösung von Todfall und Hauptrecht zu betrachten<br />
ist und sich nach dem Vermögen des betreffenden<br />
Leibeigenen richtete, durch einen „Manumissionsbrief"<br />
vollzogen.<br />
Die beiden folgenden Urkunden aus dem Staatsarchiv<br />
Sigmaringen - eine Manumission und eine Leibeigenenergebung<br />
- dokumentieren die Freilassung und den<br />
darauf folgenden Eintritt in ein neues Leibeigenschaftsverhältnis<br />
einer Frau, die aus der Herrschaft des Klosters<br />
Salem unter die Leibherrschaft der Schenken von<br />
Stauffenberg übersiedelte.<br />
Wir Johanns, von Gottes Gnaden Abt, und der Konvent<br />
gemeinlich [gemeinsam] des Gottshaus [Klosters]<br />
Sallmenschwyler [Salem] bekennen öffentlich für<br />
uns, unsere Nachkommen und Gottshaus und tun kund<br />
allermänniglich mit diesem Brief [Urkunde], daß wir<br />
vereinten, freien, guten Willens Barbara Widergrinin,<br />
weiland Kaspar Widergrins und Anna Mayerins von Erringen<br />
1 selig eheliche verlassene [hinterlassene] Tochter,<br />
und alle ihre Kinder, so [die] von ihr geboren werden,<br />
auf beschehene Bitte und getanen Abtrag [Entschädigung],<br />
den sie uns bis an unser gut Begnügen [Zufriedenheit]<br />
erlegt und bezahlt hat, ihrer Leibeigenschaft,<br />
damit sie uns und unserm Gottshaus bisher verbunden<br />
gewesen und noch hätten werden mögen [nämlich die<br />
zukünftigen Kinder], gnädiglich erlassen haben und sie<br />
hiermit quitt, frei, ledig und los zählen [erklären] und<br />
sagen, auch wir uns hierauf aller Eigenschaft [Eigentum],<br />
Gewaltsame, Gewere [Besitz], Forderung und Gerechtigkeit,<br />
so wir, unsere Nachkommen und Gottshaus<br />
von solcher Leibeigenschaft wegen zu ihr oder ihren<br />
Kindern, so von ihr geboren werden, jetzt vor oder nach<br />
Tod haben oder füro mit oder ohne Recht - geistlichem<br />
oder weltlichem - überkommen [bekommen] oder suchen<br />
[begehren] möchten,. .. gänzlich verzichtet und<br />
begeben haben, also daß wir, unsere Nachkommen und<br />
Gottshaus sie solcher Leibeigenschaft weiter nicht ansuchen<br />
noch bekümmern sollen noch mögen in keinem<br />
Weg; besonders dieselbe Barbara Widergrinin und alle<br />
ihre Kinder, so von ihr geboren werden, nun hinfüro<br />
wohl andere Herrschaft, Schirm oder Bürgerrecht, wie<br />
und wo sie will, nach ihrem Willen und Gefallen suchen<br />
und an sich nehmen [annehmen] mögen, von uns, unseren<br />
Nachkommen und Gottshaus ganz unverhindert;<br />
und [wir] tun das alles hiermit wissentlich und inkraft<br />
dieses Briefes, daran wir unser Abtei- und gemeinen [gemeinschaftlichen]<br />
Konvents Sekretinsiegel [Siegel] öffentlich<br />
hängen lassen. Geben auf Donnerstag nach dem<br />
heiligen hochlöblichen Fest Pfingsten nach Christi Geburt<br />
1556 Jahre.<br />
Pergamenturkunde mit zwei Wachssiegeln.<br />
Staatsarchiv Sigmaringen, Depositum 38, Gräfl. Schenk<br />
v. Stauffenbergisches Familienarchiv Jettingen, II Wiblingen,<br />
Ulli.<br />
Ich, Barbara Widergrenne von Hermentingen, bekenn<br />
öffentlich und tu kund männiglich mit diesem Brief, daß<br />
ich mit wohlbedachtem Mut, vernünftig meiner Sinne,<br />
durch [um] meinen besseren und frommen Nutzen damit<br />
zu schaffen, auch Schaden soviel möglich zu verhüten,<br />
dieweil ich dann eine Person bin, so [die] mit keinem<br />
Halsherrn beladen, sondern freieigen, so hab ich mich<br />
mit meinen Leib, Leben, Hab und Gütern, auch mit meinen<br />
Kindern, so ich durch Schickung Gottes des Allmächtigen<br />
erbären würde, freiwilliglich, ungezwungen<br />
und ungedrungen ergeben an den edlen und vesten Sebastian<br />
Schenk von Stauffenberg zu Wilflingen; meinen gebietenden<br />
günstigen lieben Junker, alle seiner Veste [Titel]<br />
Erben und Nachkommen, also daß dieselbigen, seine<br />
Veste, Erben und Nachkommen mich, meine Kinder und<br />
all diejenigen, so von meinem Stamm und Namen herkommen<br />
würden, zu einem recht leibeigenen Menschen<br />
frei auf- und angenommen haben, auch daß oftermeldeter<br />
mein günstiger Junker, seiner Veste Erben und Nachkommen<br />
mich und meine Kinder und alle meine Erben<br />
freien, frieden, besitzen, besetzen, beschirmen, behelfen<br />
und in allweg Hand ob mir halten sollen und wollen,<br />
wie dann ein Halsherr seinem leibeigenen Menschen zu<br />
tun gebührt; dagegen gerede und verspreche ich bei meinen<br />
weiblichen Treuen und Ehren für mich und meine<br />
Kinder, auch Kindes Kinder und was von meinem<br />
Stamm und Namen herrührt, in Ewigkeit genannten<br />
meinem Junker, seiner Veste Erben und Nachkommen<br />
getreu, gehorsam ihren Frommen zu schaffen, Schaden<br />
soviel [wie] möglich zu verhüten, auch die Fasnachtshenne,<br />
Fälle oder Hauptrecht, wie sich dann gebührt<br />
und von mir und meinen Kindern und Erben erfordert<br />
würde, allweg zu jeder Zeit tugendlich, freundlich<br />
[ent] richten und bezahlen ohne alle Widerrede und Fürrede,<br />
wie dann ein Eigenmensch seinem Leib- oder Hals-<br />
7
herrn zu tun schuldig [ist] und [ihm] wohl ansteht.<br />
Darauf so hab ich, Barbara Widergrenne, bei meinen<br />
weiblichen Treuen und Eiden zugesagt und versprochen,<br />
was dieser Brief mit allen vor- und nachgesetzten Punkten<br />
und Artikeln [be]inhalt[et] und vermag, für mich<br />
und meine Erben zu ewigen Zeiten und Tagen wahr, fest<br />
und stet zu halten und dawider nimmermehr zu reden<br />
noch zu tun, sondern ich mich dessen freiwilliglich für<br />
mich und meine Erben und alle diejenigen, so von meinem<br />
Stamm und Namen herrühren, ungezwungen und<br />
ungedrungen ergeben habe und tu das wissentlich mit<br />
und inkraft dieses Briefs. Vor solchem allem und jedem<br />
soll mich, meine Kinder und ab derselbigen Gesipp und<br />
Geschlechts nicht freien, frieden, schützen, schirmen keine<br />
Gnade, Freiheit, Gebot, Verbot, Gericht noch Geleit<br />
der Kaiser, Könige, Fürsten, Herren, Städte noch Landgerichte<br />
noch sonst nichts überall, so mir und dann meinen<br />
Kindern und Erben zu Schirm oder Behelf [Hilfe]<br />
erdacht [werden] könnten oder möchten, sondern deren<br />
. . . ganz und gar verzichtet und begeben haben will<br />
JOSEF MÜHLEBACH<br />
Glashütte bei Wald - Ein Gang durch die<br />
Das Dorf Glashütte an der Landesstraße Krauchenwies-<br />
Wald darf unter den Gemeinden des Kreises Sigmaringen<br />
für sich eine siedlungsgeschichtliche Eigenart in Anspruch<br />
nehmen. Es ist wohl die einzige Siedlung im<br />
Kreis, die geschichtlich sehr spät, erst kurz nach 1700 n.<br />
Chr. ins Leben getreten ist. Als die Glashütte im Jahre<br />
1701 als ein Betrieb zur Glasherstellung errichtet wurde,<br />
gab es noch kein Dorf und keine Gemeinde dieses Namens.<br />
Es war eine natürliche Entwicklung, daß sich<br />
manche Beschäftigte der Glashütte an deren Sitz ein Eigenheim<br />
erbauten und daß so im Lauf der Jahrzehnte<br />
eine kleine Siedlung entstand. Als die Siedlung als Gemeinschaftswesen<br />
groß genug war, erfolgte 1830 die Bildung<br />
der politischen Gemeinde Glashütte.<br />
Die Glashütte<br />
Am 7. August 1701 richtete Frau Äbtissin Maria Jakobina<br />
von Bodmann des Hochadligen Stiftes Kloster Wald<br />
an Fürst Meinrad von Hohenzollern-Sigmaringen<br />
schriftlich die Bitte, zu genehmigen, daß auf Grund eines<br />
Angebotes eines Glasmeisters aus Liptingen (bei Stokkach)<br />
in dem dem Kloster gehörenden Wald eine Glashütte<br />
errichtet und zu diesem Zweck der Waldbestand in<br />
erforderlichem Umfang abgeholzt werden dürfe. Der zuständige<br />
Fürstlich-Hohenzollernsche Forstmeister halte<br />
die Errichtung der Glashütte und die Abholzung des<br />
Buchwaldes für den Forst nicht für schädlich. Auch das<br />
Gotteshaus Wald werde durch den Holzeinschlag nicht<br />
geschädigt. Fürst Meinrad genehmigte schon am folgenden<br />
Tag, dem 8. August 1701, die Errichtung der Glashütte<br />
und den Holzhieb mit der Auflage, daß der Glasmacher<br />
an das Fürstlich-Hohenzollernsche Forstamt jährlich<br />
3 Gulden pro recognitione bezahlen müsse. Das Holz<br />
müsse vom Gallustag bis Ende April des nächsten Jahres<br />
gefällt und aufgemacht sein. Daraufhin wurde nach Abschluß<br />
eines Vertrages zwischen dem Kloster Wald und<br />
Glasermeister Abraham Schmid aus den „Schweingruben"<br />
vom 27. September 1701 und nach den erforderlichen<br />
vorbereitenden Maßnahmen die Glashütte eingerichtet<br />
und in Betrieb genommen. Der Vertrag enthielt<br />
8<br />
und tu das wissentlich hiermit inkraft dieses Briefes.<br />
Und das zu wahrer Urkunde und mehrerer Befestigung,<br />
so habe ich, Barbara Widergrenne von Hermentingen,<br />
für mich und meine Erben, [um] alle obgeschriebenen<br />
Punkte und Artikel wahr, stet und fest zu besagen, mit<br />
Ernst und Fleiß gebeten und erbeten den edlen und vesten<br />
Jörg Dietrich Speth von Pflummern, daß er sein eigenes<br />
angeborenes Sekretinsiegel öffentlich an diesen<br />
Brief hat tun aufdrücken, doch ihm auch dero Erben<br />
und Nachkommen in all anderer Weg ohne Schaden.<br />
Geben auf den siebten Tag Novembris, nach Christi Geburt<br />
gezählt 1556 Jahre.<br />
Papierurkunde, Siegel mit Papierdecke.<br />
Staatsarchiv Sigmaringen, Depositum 38, Gräfl. Schenk<br />
v. Stauffenbergisches Familienarchiv Jettingen, II Wiblingen,<br />
U 113.<br />
1 Kr. Biberach.<br />
2 Gem. Veringenstadt Kr. Sigmaringen.<br />
Geschichte des Dorfes<br />
unter anderem für Abraham Schmid die Auflage, jährlich<br />
2000 Glasscheiben an das Kloster Wald zu liefern.<br />
Das Stift Kloster Wald hat dem jeweiligen Glasermeister<br />
von Anfang an und laufend immer wieder Holzeinschläge<br />
im eigenen Wald zum Betrieb der Glashütte genehmigt.<br />
Immer wieder sind auch die vertraglichen Bestimmungen<br />
für den Glashüttenbetrieb geändert und der<br />
Entwicklung des Wirtschaftslebens angepaßt worden. So<br />
hat unter anderem die Äbtissin Maria Antonie Freiin<br />
von Falkenstein im Jahre 1725 dem Glasermeister Abraham<br />
Schmid 9000 Klafter Holz zugesagt. Frau des Glasermeisters<br />
Schmid war Sibilla Schmidin. Sie war am 7.<br />
November 1739 tot. Abraham Schmid ist am 30. Oktober<br />
1745 gestorben. Nach seinem Tod verblieb den Erben<br />
ein ziemlich großer Vorrat an Materialien. Ob der<br />
Betrieb vom November 1745 ab ruhte oder eingeschränkt<br />
weitergeführt wurde, läßt sich nicht ermitteln.<br />
Im Jahre 1749 hat sich dann Balthasar von Schmiedsfelden,<br />
ältester Sohn des Abraham und der Sibilla Schmid,<br />
Glasermeister auf der Herrenberger Glashütte am Eisenbach<br />
bei Isny, um die Glasermeisterstelle in der Waldischen<br />
Glashütte beworben. Das Kloster Wald hat der<br />
Bewerbung entsprochen und dem Balthasar Schmid -<br />
die Schreibweise in archivalischen Aufzeichnungen<br />
wechselt hier von Schmid zu Schmied - am 17. November<br />
1749 „die fernere Fortführung der Glashütte bei<br />
Wald gleich seinem Vater" genehmigt. Balthasar<br />
Schmied war - vielleicht nach einer kurzen Ausbildungszeit<br />
im väterlichen Betrieb - offensichtlich bestrebt,<br />
sich in einer größeren auswärtigen Glashütte besonders<br />
gründliche Kenntnisse und Erfahrungen in der<br />
Glasherstellung anzueignen. Er ist 1761 gestorben. Die<br />
Leitung der Glashütte wurde im gleichen Jahr seinem ältesten<br />
Sohn Abraham von Schmiedsfelsen übertragen.<br />
Dieser stand bei der Fürstlich-Hohenzollernschen Landesregierung<br />
in hohem Ansehen und galt wegen seiner<br />
Leistungen und seiner vortrefflichen Charaktereigenschaften<br />
als eine sehr geachtete Persönlichkeit, erscheint<br />
er doch um 1784 als „Hochfürstlich-Hohenzollern-Sigmaringischer<br />
Hof rat". Nach seinem Tod - das Todesjahr<br />
ist in den Akten nicht verzeichnet - übernahm sei-
Kapelle in Glashütte Bild: Anton Müller, Wald<br />
ne Frau, die verwitwete Hofrätin Maria Regine von<br />
Schmiedsfelsen, die Leitung der Glashütte. 1793 werden<br />
ihr vom Stift Wald, nachdem schon 1784 dem verstorbenen<br />
Ehemann 6000 Klafter Holz aus der Stiftswaldung<br />
genehmigt waren, weitere 3500 Klafter Holz für das<br />
Glaswerk zugesichert.<br />
In einer Beschreibung der der Gnädigsten Herrschaft<br />
Wald um 1780 zugehörenden Schupflehensgüter auf der<br />
Glashütte wird u. a. Glasinspektor Anton Batsch genannt.<br />
Später um 1860 erscheinen als Glasmacher Andreas<br />
Eisele, Pius Dilger und Bernhard Eisele.<br />
Um 1811 hat sich Glasermeister Jakob von Schmiedsf eisen<br />
bei der Fürstlich-Hohenzollernschen Landesregierung<br />
in Sigmaringen um den Aschenbestand im Fürstentum<br />
zur Verwendung in der Glashütter Pottaschensiederei<br />
beworben. Er begründete seinen Antrag mit dem Hinweis,<br />
daß der Aschenbestand des Fürstentums ihm zur<br />
Fortführung seiner Glasfabrik unentbehrlich sei, da ihm<br />
alle Akkorde im Großherzogtum Baden aufgekündigt<br />
worden seien. Die Landesregierung genehmigte dem Jakob<br />
von Schmiedsf eisen die Aschensammlung im Fürstentum<br />
mit Ausnahme des Ortes Thalheim. Die Holzasche<br />
war der Grundstoff für die Gewinnung der Pottasche.<br />
Jakob von Schmiedsfelsen hatte für die Erlaubnis<br />
zur Aschensammlung für die nächsten 6 Jahre einen<br />
Pachtbetrag von 150 fl. an das Fürstlich-Hohenzollernsche<br />
Rentamt zu entrichten (F. Widemann: Die Pottaschengewinnung<br />
in Laiz. „Hohenz. Heimat", 1960,<br />
S. 63).<br />
In einem in Mehrdrucken in Sigmaringer Bibliotheken<br />
vorhandenen Stahlstich aus 1845 (hergestellt vermutlich<br />
bei Tappen) mit den Portraits der Mitglieder der Museumsgesellschaft<br />
Sigmaringen ist u. a. ein Hofrat von<br />
Schmiedsfelsen dargestellt.<br />
Etwa ab 1860 war die Glashütte im Besitz des Glasfabrikanten<br />
Joseph Faller und eines Teilhabers (Faller und<br />
Comp.). Schon um 1780 war ein Franz Joseph Faller in<br />
Glashütte als Inhaber eines Schupflehens der Klosterherrschaft<br />
Wald genannt. Um 1871 war Teilhaber der<br />
Werkleiter Böhringer und um 1874 Glasfabrikant Torna<br />
(Thoma). Joseph Faller blieb mit seinem Teilhaber Besit-<br />
zer der Glasfabrik bis zu deren Auflösung im Jahr 1881.<br />
Die Waldische Glashütte, in der neben den einheimischen<br />
Arbeitskräften auch „Pendler" aus den Nachbargemeinden<br />
Kappel, Rengetsweiler, Otterswang, vorwiegend<br />
aber aus Göggingen beschäftigt waren, betrieb hauptsächlich<br />
die Herstellung von Hohlglas; dieses konnte<br />
farblos, grün, gelb oder braun gefärbt sein. Das farblose<br />
Glas wurde als Weißhohlglas bezeichnet. Daneben wurde<br />
auch Scheibenglas, vorwiegend für Fenster, hergestellt.<br />
Als wichtigste Rohstoffe für die Glasherstellung dienten<br />
Quarzsand, Soda oder Glaubersalz, auch Pottasche (kohlensaures<br />
Kali und Kalk (= Stein) oder Kreide. Den<br />
Quarzsand lieferte lange Zeit das nahe Gelände der Bittelschießer<br />
Riedwiesen und des Walder Berges. Erzeugnisse<br />
waren Flaschen, Trinkgläser, Schüsseln, Röhren,<br />
Vasen, Röhren für Quecksilber-Barometer, ballonartige<br />
Glaskugeln als Fliegenfänger. Das Hohlglas, die einfachste<br />
Art der verschiedenen Glasarten, wurde in einem bestimmten<br />
technischen und chemischen Verfahren hergestellt<br />
und mit Lungenkraft (Mundblasen mit der Glasmacherpfeife)<br />
geformt.<br />
Im Jahr 1874 arbeiteten in der Glashütte bei einer sechsstündigen<br />
Arbeitszeit 44 Jugendliche zwischen 13 und 16<br />
Jahren, 3 Arbeiterinnen und 46 Arbeiter. Die Jugendlichen<br />
mußten, soweit sie zum Schulbesuch verpflichtet<br />
waren, die durch die Beschäftigung versäumten Unterrichtsstunden<br />
wenigstens zum Teil durch Privatunterricht<br />
nachholen. Die Arbeitszeit der Frauen betrug einschließlich<br />
einer Stunde Pause 8 Stunden. Sie begann<br />
morgens um 4 Uhr und endete mittags um 12 Uhr. Der<br />
durchschnittliche Wochenlohn der Arbeiterinnen betrug<br />
8 Mark. Die Werkleitung begründete der amtlichen Gewerbeaufsicht<br />
(Oberamt und Regierung) gegenüber die<br />
Notwendigkeit der Beschäftigung Jugendlicher mit dem<br />
Hinweis, daß es sich um ganz leichte, nicht ermüdende<br />
Arbeit handle, für die der Einsatz erwachsener Arbeiter<br />
nicht lohnend sei. In der Hauptsache bestehe die Arbeit<br />
darin, daß die Kinder fertige Gläser mit einer Gabel den<br />
Glasmachern abnehmen und in den Kühlofen legen müßten.<br />
Für solche Arbeit seien ältere Arbeiter überhaupt<br />
nicht zu bekommen, und so wäre das Werk ohne Mitarbeit<br />
der Jugendlichen in seiner Existenz gefährdet.<br />
9
Dem Betrieb der Glashütte diente ein Werkgebäude, das<br />
erstmals kurz nach 1800 als Glasfabrik bezeichnet ist.<br />
Neben dem Hauptwerkgebäude bestanden ein Pottaschen-Siederei-Gebäude,<br />
ein Azetylengas-Gebäude und<br />
ein Motorgebäude. Als Wohnhaus der letzten Inhaber<br />
der Glashütte gilt das heute im Besitz der Familie Friedrich<br />
Schmieder befindliche stattliche Anwesen, im Volksmund<br />
noch vereinzelt Herrenhaus geheißen (Haus Nr.<br />
18).<br />
Absatzgebiet der Erzeugnisse der Walder Glashütte war<br />
neben dem einheimischen Markt vor allem die nahe<br />
Schweiz, die jedoch nach dem Deutsch-Französischen<br />
Krieg 1870/71 sich Lieferanten aus dem Elsaß zuwandte.<br />
Der Rückgang der Absatzmöglichkeiten war e i n<br />
Grund für die Gefährdung der Wirtschaftlichkeit unserer<br />
Glashütte. Dazu kam der Mangel an Rohstoffen<br />
für die Glasbereitung. Ein weiterer, sich noch bedenklicher<br />
auswirkender Grund war, daß sich im Zuge der Industrialisierung<br />
die Massenglasherstellung auf technisch<br />
hochleistungsfähige Glasverarbeitungsbetriebe verlagert<br />
hat. (So werden z. B. heute von einer einzigen vollautomatischen<br />
Maschine 100 000 Flaschen in 24 Stunden erzeugt).<br />
Die technische Entwicklung zur industriellen<br />
Massenfabrikation in der Glasherstellung hat sich für<br />
unsere Glashütte leider dahin ausgewirkt, daß sie mit ihrem<br />
vorwiegend handwerklichen Betrieb dem steigenden<br />
Bedarf an Glasartikeln nicht mehr entsprechen konnte<br />
und gegenüber industriellen Großfabriken nicht mehr<br />
konkurrenzfähig war. So kam es im Jahr 1881 zur Einstellung<br />
des Betriebes der Walder Glashütte, ein Schicksal,<br />
das andere Glashütten in ähnlicher Lage auch getroffen<br />
hat. Die Werkgebäude der Glashütte sind im Jahre<br />
1887 abgebrochen worden.<br />
Die Gemeinde<br />
Die Wohnsiedlung ist mit der Leistungssteigerung des<br />
Glaswerkes langsam und stetig gewachsen. Immerhin<br />
brauchte es rund 130 Jahre, bis sie so groß war, daß sie<br />
eine wirtschaftlich selbständige und lebensfähige Gemeinschaft<br />
bildete. Das Jahr 1830 brachte dann die Anerkennung<br />
der Siedlung als politische Gemeinde durch<br />
folgende Verordnung der Fürstlich-Hohenzollernschen<br />
Landesregierung Sigmaringen vom 18. Oktober 1830:<br />
„Nachdem die Glasfabrikation auf der Glashütte bei<br />
Wald zur Zeit aufgehört hat und die dortigen Bewohner<br />
sich die geeigneten Wohnungen sammt einigen Grundstücken<br />
erworben haben, so verleihen Wir den daselbst<br />
angesiedelten Familien für ihre Wohnungen die erforderlichen<br />
Hofstattrechte und die Berechtigung, eine eigene<br />
Gemeinde unter dem Namen Glashütte zu bilden . . .<br />
Dieselben haben hiernach von ihren Häusern, Gründen<br />
und übrigem Vermögen alle Steuern und Abgaben vom<br />
1. November 1830 angefangen gleich anderen Unterthanen<br />
zu tragen." (Sammlung der Gesetze und Verordnungen<br />
für das Fürstenthum Hohenzollern-Sigmaringen<br />
3. Band. 1830. S. 252).<br />
Das Kloster Wald und die der Klosterherrschaft zugehörenden<br />
Einwohner, also auch die Bewohner in Glashütte,<br />
waren Untertanen der Fürstlich-Hohenzollernschen<br />
Herrschaft Sigmaringen. Als 1806 durch die Rheinbundakte<br />
das Kloster aufgehoben wurde, fiel das Gebiet der<br />
Klosterherrschaft an das Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen.<br />
Das die Klosterherrschaft umfassende Gebiet<br />
wurde ein Oberamt der Fürstlich-Hohenzollernschen<br />
Herrschaft. Das Oberamt blieb nach dem Übergang Hohenzollerns<br />
an Preußen (1850) noch bis 1862 bestehen,<br />
wurde in jenem Jahr in das Preußische Oberamt Sigmaringen<br />
und nach dessen Umwandlung in einen Kreis<br />
1925 in den Landkreis Sigmaringen eingegliedert.<br />
10<br />
Die Gemeinde Glashütte mit einer Gemarkungsfläche<br />
von 179 Hektar, 643 M - NN, hat zur Zeit 90 Einwohner.<br />
Im Jahre 1875, als der Glashüttenbetrieb noch<br />
einigermaßen gute Beschäftigungsmöglichkeiten bot, hatte<br />
die Gemeinde 158 Einwohner.<br />
Das Erwerbsleben gründete sich nahezu ausschließlich<br />
auf die Landwirtschaft. Zwei Branntweinbrennereien,<br />
eine Bierbrauerei, der Gasthof „Adler", der schon 1831/<br />
32 als Wirtshaus genannt wird, gehören als ehemalige<br />
Gewerbebetriebe der Vergangenheit an. Eine Schreinerei<br />
kleineren Umfanges und die moderne Kegelbahn im<br />
„Adler" haben sich noch in die Gegenwart gerettet. Wenige<br />
Pendler finden in Betrieben der Nachbargemeinden<br />
Beschäftigung.<br />
Für die Gemeinde Glashütte konnten folgende Bürgermeister<br />
ermittelt werden:<br />
ab 1831 Josef Batsch<br />
ab 1837 Johann Halder<br />
ab 1846 Georg Halmer<br />
ab 1856 Johann Nepomuk Bauer (Baur)<br />
ab 1861 Thaddä Halder<br />
ab 1871 Pius Dilger (gestorben im Dezember 1877)<br />
ab 1878 Thaddä Halder<br />
ab 1905 Adolf Fischer<br />
ab 1921 Albert Halder<br />
ab 1923 Andreas Batsch<br />
ab 1949 Paul Halder<br />
ab 1963 Liberat Schlachter<br />
Kirchliches und Schulisches<br />
Im Jahr 1702 hat die Glashütte für ihre Beschäftigten<br />
eine dem hl. Jakob geweihte Kapelle erhalten. Da damals<br />
Freifrau Maria Jakobina von Bodmann Äbtissin<br />
des Klosters Wald war (1681 bis 1709), liegt die Vermutung<br />
nahe, daß die Jakobskapelle dieser Äbtissin, die den<br />
Bau betrieben hat, ihren Heiligen verdankt. Die Kapelle<br />
ist 1846 abgebrochen worden. Im gleichen Jahr wurde<br />
eine neue, wieder dem hl. Jakob geweihte Kapelle erbaut.<br />
1910 wurde sie - vermutlich irrtümlicherweise,<br />
vielleicht auch deshalb, weil um jene Zeit die Verehrung<br />
des hl. Josef der Volksfrömmigkeit näher stand als die<br />
Verehrung des hl. Jakob - dem hl. Josef geweiht. Die<br />
neue Kapelle ist ein einfach verputzter Backsteinbau mit<br />
einer lichten Höhe von 4,30 Meter, einem biberschwanzbedeckten<br />
Satteldach mit offenem hölzernem Glockenbock<br />
und zinkbedecktem Spitzhelm. Die Ausstattung<br />
umfaßt einen Tabernakel aus Holz, bemalt, Mitte 18.<br />
Jahrhundert, eine mittelalterliche Josefsstatue, bemalt,<br />
ein Kruzifix aus dem 18. Jahrhundert und ein neuzeitliches<br />
Herz-Jesu-Altarbild im Nazarenerstil.<br />
Glashütte war bis 1835 Filiale der Pfarrei Wald. Schon<br />
am 22. Mai 1706 hat die Äbtissin des Zisterzienserinnen-<br />
Klosters Wald dem Prälaten der Zisterzienser-Abtei Salem<br />
berichtet, die Bewohner der Glashütte seien angewiesen,<br />
die Pfarrkirche Wald zu besuchen, eine naheliegende<br />
Regelung, weil die Glashütte dem Stift Wald seine<br />
Entstehung verdankte. Das im Jahr 1212 gegründete Zisterzienserinnen-Kloster<br />
Wald war schon bald nach seiner<br />
Gründung der Zisterzienser-Abtei Salem unterstellt<br />
worden. Im Jahr 1835, also rund 30 Jahre nach der<br />
Aufhebung des Walder Klosters, wurde Glashütte als Filiale<br />
der Pfarrei Walbertsweiler zugeteilt. Die Pfarrei<br />
Walbertsweiler gehörte mit den Filialen Glashütte und<br />
Kappel zum Dekanat Sigmaringen.<br />
Glashütte hat bis vor wenigen Jahren zur Volksschule<br />
Kappel gehört. Seit 1970 ist Glashütte schulisch der<br />
Grundschule Rengetsweiler (1. bis 4. Schuljahr) und der<br />
Hauptschule Wald (5. bis 9. Schuljahr) zugeordnet.
Aus der Vorgeschichte<br />
In der bewaldeten Hochebene nordöstlich von Kappel,<br />
etwa halbwegs zwischen Glashütte und Otterswang, liegen,<br />
besser gesagt, lagen in dem Walddistrikt Grubenjagen<br />
vier späthallstattzeitliche Grabhügel von ungleicher<br />
Größe nahe beieinander. Uber die Ausgrabung eines der<br />
größeren Grabhügel im Juli 1882 berichtet Pfarrer<br />
J. Baur in Dietershofen im 17. Jahrgang 1883/84 der<br />
Hohenzollerischen Mitteilungen S. 49. Die Ausgrabung<br />
habe höchst interessante und aufschlußreiche Funde erbracht,<br />
u. a. Bronceringe, Ohrringe, zerbrochene Urnen,<br />
Fibeln (Gewandnadeln), einen breiten eisernen Dolch,<br />
kleine Stücke grünes Tafelglas (nicht von der Glashütte<br />
herrührend), einen schlanken Dolch aus Eisen. Die Grabhügel<br />
von Harthausen/Scher, Habsthal und Ziegelholz<br />
gen, der Fürstengrabhügel von Vilsingen und die Grabhügel<br />
von Harthausen/Scher, Habsthal und Ziegelholz<br />
bei Sigmaringen in die jüngere Hallstattzeit (Früheisenzeit),<br />
und zwar in die Kulturstufe Hallstatt D, etwa 700<br />
bis 500 v. Chr., zu datieren. Im Fürstlichen Museum in<br />
Sigmaringen sind die Funde entsprechend dieser Vorgeschichtsperiode<br />
eingereiht. Die Funde von Kappel,<br />
Habsthal, Ziegelholz und Harthausen sind ähnlich: Sogenannte<br />
Antennendolche, broncene Gürtelbleche u. a.<br />
(Nach Aufzeichnungen von Gewerbeschuldirektor a. D.<br />
Joh. Jerg, Sigmaringen).<br />
Eine bedeutsame Ringburg der frühgeschichtlichen Zeit<br />
ist die zwischen Glashütte und Weihwang liegende<br />
Volksburg, heute „Schloßbühl" genannt. In früheren geschichtlichen<br />
Aufzeichnungen erscheint das Bodendenkmal<br />
als Hünaburg oder Heunenburg. Der österreichische<br />
Geometer Bleicher, Saulgau, der 1784 das Amt Wald<br />
vermessen hat, wußte mit der Bezeichnung „Hünaburg"<br />
nichts anzufangen und hat dem Bergzug den katasteramtlichen<br />
Namen „Schloßbühl" gegeben. Die Ringburg<br />
als solche wurde 1881 von Oberst von Cohausen entdeckt<br />
und skizziert. Sie hat eine Länge von 194 Metern<br />
und eine Breite von 82 Metern. Die Hünaburg hat doppelten<br />
Wall und Graben. Die Zufahrt ging vom Kehlbach<br />
auf. Das Walder Urbar vom Jahr 1501 nennt die<br />
Anhöhe wiederholt Hünaburg. In einer Grenzbeschreibung<br />
des Walder Amtes von 1602 lautet der Name Heunenburg<br />
und Hünenburg. In einer Aufzeichnung über<br />
die Errichtung der Glashütte heißt es, daß 8 Stück Vieh<br />
und 2 Pferde um die Glashütte gegen die Heunenburg<br />
ausgetrieben werden dürfen. Heute wird diese Heuneburg<br />
als früh mittelalterlich angesehen, ähnlich wie die<br />
Alte Burg von Langenenslingen.<br />
Ein Haigerloch-Buch<br />
Kleinodien aus einer großen Vergangenheit nennen die<br />
Herausgeber das neue Bildbuch über Haigerloch. Es ist<br />
schon ein paar Monate auf dem Markt, aber da es sich<br />
bei solchen Werken allgemein — und bei diesem im Besonderen<br />
- um Arbeiten handelt, die Marken setzen<br />
und für lange gültig bleiben werden, darf man an dieser<br />
Stelle auch heute noch (und erst) darauf eingehen. Sieht<br />
man die Namen der beiden Herausgeber, ist Garantie<br />
für gutes Gelingen eigentlich gegeben: Marquart Guide<br />
und Hermann Zöhrlaut. Der eine ein wirklich altgedienter<br />
Heimatfreund und Freund Haigerlochs insbesondere,<br />
als Priester und als Kunstverständiger; der andere als ein<br />
Mäzen, deren es viel zu wenige gibt. Die Fotos steuerten<br />
bei Bert Boger, Stuttgart und Foto-Weber, Haigerloch,<br />
in der großen Mehrzahl aber Dr. Hellmut Hell, der be-<br />
Das Gemeindewappen<br />
Der Gemeinde Glashütte ist vom Staatsministerium<br />
Württemberg-Hohenzollern am 19. September 1947 die<br />
Führung eines eigenen Wappens genehmigt worden. Das<br />
Wappen zeigt - in gespaltenem Schild - vorne ( = links<br />
vom Beschauer) in schwarz einen doppelreihig rot-silbern<br />
geschachteten Schrägbalken, hinten (= rechts) in<br />
Gold ein kelchförmiges rotes Glas. Der Zisterzienserbalken<br />
erinnert an die frühere Zugehörigkeit zum Kloster<br />
Wald. Das Kelchglas weist darauf hin, daß der Ort seine<br />
Entstehung der hier vom Zisterzienserinnenkloster Wald<br />
im Jahr 1701 ins Leben gerufenen Glashütte verdankt.<br />
Die Selbständigkeit der Gemeinde, die auch im Gemeindewappen<br />
zum Ausdruck kommt, hat leider mit dem<br />
Ende des Jahres 1974 aufgehört. Zum 1. Januar <strong>1975</strong> ist<br />
die Gemeinde Glashütte zusammen mit anderen Gemeinden<br />
der Umgebung im Zuge der Gemeindereform in die<br />
Gemeinde Wald eingegliedert worden. Der bisherigen<br />
Gemeinde Glashütte verbleiben ein Ortsvorsteher (zusammen<br />
mit Kappel) und ein Vertreter im Gemeinderat<br />
Wald.<br />
Quellen:<br />
Gemeindearchiv Glashütte.<br />
Akten im Fürstl. Hohenz. Haus- und Domänenarchiv Sigmaringen.<br />
Staatsarchiv Sigmaringen. Preuß. Oberamt Sigmaringen. Ho<br />
199. VIII. 64.4.<br />
Kloster Wald. 62.2.<br />
Genzmer: Die Kunstdenkmäler Hohenzollerns. Bd. Kreis Sigmaringen,<br />
Sigmaringen 1948, S. 125.<br />
Friedrich Eisele: Die Patrozinien in Hohenzollern. Freib. Diözesan-Archiv.<br />
N. F. 33. Bd. 1932, S. 114.<br />
Edmund Bercker: Die Kirchen-, Kapellen- und Altarpatrozinien<br />
im Kreis Sigmaringen. Arbeiten zur Landeskunde Hohenzollerns.<br />
Heft 6. Sigmaringen 1967.<br />
Dr. Joh. Schupp. Hohenzollerische Regesten aus den Pfullendorfer<br />
Archiven. Hohenz. Jahreshefte. 9. Bd. 1941-1949.<br />
In den Regesten ist von Dr. Schupp für Glashütte für das<br />
Jahr 1688 folgende Aufzeichnung gemacht: „Heinrich Gros<br />
Naar, Kohlbrenner ab der Glashütte, hat dem Spital 2 Haufen<br />
„mit Koll" gebrannt binnen 35 Tagen und Nächten." Diese<br />
Aufzeichnung kann für unsere Glashütte nicht zutreffen, weil<br />
um 1688 die Glashütte noch nicht bestand. Während in den<br />
weiteren Regesten der Ortsbezeichnung Glashütte die Kennzeichnung<br />
„bei Wald" oder „beim Stift Wald" beigefügt ist,<br />
fehlt diese Angabe für das Jahr 1688. Hier muß es sich also<br />
um eine andere Glashütte handeln.<br />
Wappenbuch des Landkreises Sigmaringen. Verlag Kohlhammer<br />
Stuttgart. 1958, S. 25.<br />
kannte Reutlinger Kunstfotograf . . . und darin liegt<br />
schon unsere eigene Schwierigkeit und unsere Grenze:<br />
ein Bildband, zumal einen so hervorragenden nach Blickwinkel,<br />
Einfühlungsvermögen und handwerklicher Gediegenheit,<br />
muß betrachtet, nicht in Worten beschrieben<br />
werden. Mit seinem knappen Text, den Stadtpfarrer<br />
Guide schrieb, der auch die ganze Ausstattung besorgte,<br />
will das Buch bewußt und ausdrücklich anschließen an<br />
das übrige, vorausgegangene Schrifttum über Haigerloch,<br />
angefangen seit 1950. - Dieses „Haigerloch" ist ein<br />
Buch, dessen Aufnahmen besonders wohltun nach derr.<br />
heute täglich erzwungenen Blick auf die trostlose Wohnund<br />
öffentliche Architektur, wie sie weithin zu sehen ist.<br />
Ein Buch aber auch, das einem fern lebenden Hohenzoller<br />
vielleicht einmal zum Geschenk höchst willkommen<br />
wäre. Es sei ohne Einschränkung hiermit empfohlen.<br />
11
MANFRED HERMANN<br />
Zum Barockmaler Johann Schiander in Trochtelfingen<br />
Verschiedene archivalische Funde machen es notwendig,<br />
einen Nachtrag zum Artikel „Die Maler Schiander in<br />
Inneringen und Trochtelfingen" 1 zu schreiben. Der Aufenthalt<br />
der aus Altingen (Kr. Tübingen) stammenden<br />
Familie Schiander in Inneringen begann mit der Anstellung<br />
des Georg Anton als Mesner und Schulmeister (ludimoderator)<br />
durch die dortige Pfarrgemeinde am<br />
26. 7. 1697 1 . Offensichtlich versah jedoch der Vater Silvester<br />
den Mesnerdienst bis zur Heirat seines Sohnes am<br />
24. 10. 1700, da ihn das Inneringer Taufbuch am<br />
12. 1. 1699 „aedituus" nennt. Neben dem Vater und der<br />
Mutter Anna Maria Rösch (t 2. 6. 1699) war sicherlich<br />
noch ein zweiter Sohn dort ansässig, nämlich der Maler<br />
Johann Schiander, der 1699, als Maler von Inneringen<br />
bezeichnet, für die St. Georgskirche zu Burladingen tätig<br />
war. Indirekt finden wir ihn in den Verhörsprotokollen<br />
der Herrschaft Jungnau zum 26. 4. 1706 erwähnt, als er<br />
- „der Bruder des Mesners" - im Wirtshaus mit dem<br />
Schultheiß Peter Metzger in eine Auseinandersetzung geriet.<br />
Zu meiner Überraschung fand ich im Neufraer Ehebuch<br />
3 den Heiratseintrag für den Maler: „1. Mai 1706<br />
- Sponsalia contraxerunt Joannes Schiander et Maria<br />
Anna Emmin". Bei der Braut handelt es sich möglicherweise<br />
um eine Trochtelfinger Bürgerstochter, die Trauzeugen<br />
gehören nach Neufra. Wie aber kam der Maler,<br />
zu dessen Familie sich dort keine weitere Angaben finden<br />
lassen, in den Ort an der Fehla?<br />
Das Schicksal der Familie des Johann Schiander läßt<br />
sich in Trochtelfingen, der damals fürstenbergischen<br />
Oberamtsstadt, weiterverfolgen. Hier war er nach dem<br />
Tod des Malers Josue Klingenstein, der verschiedentlich<br />
in Trochtelfinger Heiligenpflege-Rechnungen erscheint 4 ,<br />
der einzige Vertreter seines Berufes. Fünf Kinder schenkte<br />
ihm in den folgenden Jahren seine Ehefrau (Franz Ignaz<br />
* 30. 11. 1706 5 , Maria Antonia * 27. 11. 1707, Maria<br />
Josepha * 6. 9. 1709, Christian Tiberius 25. 12. 1710<br />
und Joseph Benedikt * 30. 3. 1713). Bemerkenswert sind<br />
deren Paten, die sich zum Zeichen der Verbundenheit<br />
mit dem Ehepaar zur Verfügung stellten: Einmal ist<br />
es bei allen Kindern der Trochtelfinger Stadtpfarrer<br />
Benedikt Schmid 6 , dann bei den ersten vier das wohledle<br />
Freifräulein Maria Antonia Speth von Zwiefalten<br />
zu Neufra 7 . Diese persönlichen Beziehungen des Malers<br />
verdienen Beachtung, da sie auf Aufträge schließen<br />
lassen. Vermutlich fanden die Sponsalien deswegen in<br />
Neufra statt, weil Johann Schiander im dortigen Schloß<br />
mit Malerarbeiten beschäftigt war. Offensichtlich hatte<br />
er sich das Vertrauen der Neufraer Ortsherrin verdient.<br />
Als sicher erscheint es, daß der Maler für die Trochtelfinger<br />
Pfarrkirche St. Martin gearbeitet hat, die ja nicht<br />
weniger als sechs Altäre besaß. Leider sind alle diese<br />
nicht mehr vorhanden, und zu allem Unglück fehlen<br />
auch noch die Heiligenpflege-Rechnungen aus der Zeit<br />
von Schlanders Aufenthalt in Trochtelfingen, so daß wir<br />
uns kein Bild seiner Tätigkeit am Ort mehr machen<br />
können. Mitentscheidend für die Niederlassung im fürstenbergischen<br />
Oberamtsstädtchen dürften die persönlichen<br />
Beziehungen Schlanders zu den Pfarrern Daniel<br />
Ülin (1698-1715 Seelsorger in Inneringen) und Benedikt<br />
Schmid, dessen Nachfolger in Trochtelfingen, gewesen<br />
sein.<br />
12<br />
Nach Notizen des allerdings nur kurz in Trochtelfingen<br />
tätigen Pfarrverwesers Roman Hohl 8 ist 1711 der Maler<br />
Johann „Schwander" um 57 fl. als Bürger angenommen<br />
worden. Dabei hatte er wie jeder Neubürger in Trochtelfingen<br />
einen Feuerkübel zu liefern. Die Aufnahme in<br />
das Bürgerrecht wurde in der Regel von der Einzünftung<br />
abhängig gemacht. Die Trochtelfinger Zunftordnung<br />
9 bestimmte 1716: „Kein Lediger oder Verheirateter<br />
soll ohne Verwilligung der Zunft für sich selbst arbeiten<br />
oder eine Werkstätte führen, es sei denn, daß er<br />
als Meister anerkannt ist und sich der Zunft einverleibt<br />
hat, auch seine Gebühr nach Brauch abgestattet hat".<br />
Dies bedeutet jedoch nicht, daß Schiander vor 1711<br />
nicht hätte selbständig arbeiten können. Ohne Zweifel<br />
hatte man ihn gegen eine jährliche Gebühr als Hintersassen<br />
angenommen. Ab dem 2. 4. 1717 gehörte er als Maler<br />
zu der damals errichteten sogenannten „Geschenkten<br />
Zunft", deren Herberge sich im Gasthaus „Zur Krone"<br />
befand 10 . Am 24. 1. 1718 kaufte sich Johann Schiander<br />
ein eigenes Haus, ein Zeichen, daß er sich einen bescheidenen<br />
Wohlstand erworben hatte. Wie bereits berichtet,<br />
starb der Maler am 14. 11. 1737 in Trochtelfingen ohne<br />
vorausgehende Krankheit und unversehen eines plötzlichen<br />
Todes. Weitere Feststellungen zu seiner Familie,<br />
etwa über ihr späteres Schicksal, sind mir nicht mehr gelungen.<br />
Jedenfalls übernahm keiner der Söhne, sondern<br />
der Mitarbeiter Johann Bommer aus Aulendorf 11 die<br />
Malerwerkstätte.<br />
Beim sorgfältigen Studium der Neufraer Heiligenpflege-<br />
Rechnungen 12 (HR) zeigte sich, daß Johann Schiander<br />
als der „Maler von Trochtelfingen" öfters mit kleineren<br />
Arbeiten betraut wurde. HR 1710/11: „Dem Mahler<br />
vmb die schwarze fahnen Stangen zu mahlen geben 1 fl 4<br />
xr. Dem Mahler von Trochtelfingen wegen zwei Pahlen<br />
zu mahlen bezalt 24 xr". Allerdings erhielt er den Auftrag<br />
für ein Fahnenblatt nicht: „Item Joseph Riegel maurer<br />
von dem schwarzen fahnenblatt auf Pfullendorf und<br />
den fahnen wider herunder zu tragen vollen lohn geben<br />
30 xr". Wahrscheinlich ließ man das Blatt bei Dominik<br />
Kretzdorn 13 oder bei dem 1712 als Bürger in Pfullendorf<br />
angenommenen Anton Maulbertsch 14 aus Rottweil<br />
fertigen. HR 1712/13: „Dem mahler von Trochtelfingen<br />
wegen 2 Bluemensteckh 20 xr". HR 1716/17: „Dem<br />
schreiner von Ringingen 15 von 2 blindtrammen zue machen<br />
1 fl 30 xr. Item vor das Altarblath bezalt 30 fl.<br />
Vor 2 Antependia bezalt 3 fl 5 xr. Dem Mahler von<br />
Trochtelfingen wegen 4 Bluemensteckhen zue mahlen geben<br />
22 xr". Dabei ist es fraglich, ob man Schiander ein<br />
großes Altargemälde anvertraut hat. Zudem ist in Neufra<br />
keine Arbeit mehr erhalten geblieben, die sich mit<br />
Schiander in Verbindung bringen ließe. HR 1720/21:<br />
„Item dem mahler von Trochtelfingen fasserlohn von<br />
zwey Engel 2 Fl". HR 1722/23: „dem Mahler von<br />
Trochtelfingen vor ein antipendium zu mahlen bezalt 2<br />
fl 15 xr". HR 1725/26: „Dem Mahler von Trochtelfingen<br />
vor ein fahnenblättlein und Stangen 4 fl 24 xr".<br />
Letztmals wird Schiander in HR 1726/27 allerdings<br />
ohne Angabe eines genauen Auftrages erwähnt. Aus all<br />
diesen kleinen Beschäftigungen wird deutlich, daß<br />
Schiander nicht so sehr ein Kunstmaler war, sondern mit<br />
handwerklichen Anstreicherarbeiten das tägliche Brot<br />
verdiente. Hinzu kamen öfters die Fassung von Schnitz-
arbeiten und gelegentlich ein Tafelbild. Immerhin<br />
scheint er zwischen 1700 und 1730 im Raum Gammertingen<br />
und Trochtelfingen der meistbeschäftigste Mann<br />
seines Berufes gewesen zu sein. Dabei ist es möglich, daß<br />
der Stammvater der Gammertinger Malersippe Reiser,<br />
Anton 16 , 1720/25 bei ihm seine erste Ausbildung emp-<br />
zeichnend für die Einschätzung Schlanders durch die<br />
Klosterfrauen von Mariaberg ist jedoch, daß sie das<br />
Hauptblatt des Altares nicht ihm, sondern einem jungen<br />
und modernen Meister übertrugen, nämlich dem 31 jährigen<br />
Franz Joseph Spiegier 17 . Im Vergleich mit ihm<br />
wirkt Schlanders Gemälde altertümlich und hausbacken.<br />
Kettenacker, Pfarrkirche. Ölgemälde auf Holz an der nördlichen Chorwand: ölberg<br />
von Joh. Schiander um 1720. Bild: M. Hermann<br />
fing. Jedenfalls kommt dem Trochtelfinger Maler auf<br />
Grund seiner Stellung doch eine gewisse Bedeutung zu.<br />
Für den Hinweis Dr. Burkarths in Gammertingen 1 auf<br />
das Rundbild „Die Flucht nach Ägypten" am Antipendium<br />
des Altares in der Bronner Filialkirche, die einst zu<br />
Mariaberg gehörte, müssen wir dankbar sein. Ist dieses<br />
Gemälde neben den acht Kartuschenbildern am Hochaltar<br />
der Marienkapelle in Melchingen das bisher einzigbelegte<br />
für den Trochtelfinger Maler Schiander, da es in<br />
den Klosterrechnungen Mariabergs 1719/20 heißt: „Dem<br />
Maler von Trochtelfingen für das Josephs-Antipendium<br />
bezahlt - 11 fl". Dabei bezieht sich der Eintrag deutlich<br />
auf die Bronner Kirche. Das Bild vermittelt uns eine<br />
Vorstellung vom Malstil Schlanders um 1720; es ist das<br />
Werk eines einfachen, aber doch künstlerisch geschulten<br />
Meisters, der Beachtung verdient. Als besondere Eigenart<br />
erscheinen am Mantel der Gottesmutter und am Umhang<br />
des Joseph parallellaufende, zuweilen auch gedrehte Faltenstege<br />
mit dunklen Tälern dazwischen, ein Merkmal,<br />
das uns bei Zuschreibungen helfen kann. - Be-<br />
Gleichwohl sich in den Kirchen rund um Trochtelfingen<br />
und Gammertingen nur noch wenige Gemälde zwischen<br />
1700 und 1730 finden, läßt sich immerhin ein Bild aufgrund<br />
obengenannter Merkmale Johann Schiander zuschreiben:<br />
Ein Ölberg-Gemälde 18 , an der nördlichen<br />
Chorwand der Pfarrkirche in Gammertingen-Kettenakker.<br />
Es ist auf zwei breite Holzbretter gemalt, von breitem<br />
Rahmen umgeben, der oben in einen von einem<br />
Kreuz gekrönten Halbkreis mit Inschriftmedaillon ausläuft:<br />
„Vater/ nicht mein Wille, sondern/ der deine geschehe./<br />
Luk XXII K. XLII V". Es ist ein Nachtbild, in<br />
dunklen Farben gemalt. Niedergebeugt von der Last der<br />
Sünden, kniet Christus in der oberen Bildmitte mit betend<br />
erhobenen Händen, den Kopf zum Engel empor gewandt,<br />
der links oben im lichterfüllten Wolkenkranz erscheint<br />
und dem Herrn in der Linken einen Kelch, in der<br />
Rechten das Kreuz darbietet. Der Stoff seines hellen Gewandes<br />
ist eng gefältelt, wie wir es auf dem Antipendium<br />
der Bronner Kirche beobachten konnten; von der<br />
Schulter Jesu ist der Mantel niedergeglitten und am<br />
13
Rücken umgeschlagen, beidseitig läuft er in einem Zipfel<br />
am Boden aus. Im Vordergrund unten sitzen bzw. liegen<br />
im Schlaf versunken drei Apostel. Petrus hat seinen Rükken<br />
gegen eine Erhöhung gelehnt und stützt das müde<br />
Haupt mit der rechten Hand, quer über den Schoß hält<br />
er mit der Linken das Schwert in breiter Scheide. Die<br />
Züge seines Gesichtes erinnern an den Joseph in Bronnen.<br />
Links sitzt der jugendliche Johannes, im Gegensinn<br />
zu Petrus ausgeführt, ihm ist der Kopf auf die linke<br />
Schulter gesunken, die Arme hält er übereinander auf<br />
den Schoß gelegt. Hinter ihm liegt Jakobus auf einer<br />
kleinen Anhöhe mit angewinkelten Armen, das aufrechte<br />
Haupt in der linken Armbeuge, von der rechten Hand<br />
Anmerkungen:<br />
1 Hohenz. Heimat (HH) 24. Jhg/1974, S. 45 f.<br />
2 Laut Mesner-Besoldungsordnung vom 27. 7. 1777, in: Liber<br />
Anniversariorum Ecclesiae Inneringanae - begonnen 1733,<br />
pag 62 f. PfArchiv Inneringen.<br />
3 PfArchiv Neufra, Ehebuch 1649-1724.<br />
4 Erwähnt seit 1630-1653.<br />
5 Das Kind starb vier Tage später, der Eintrag im Totenbuch<br />
nennt den Vater „pictor" = Maler.<br />
6 Pfarrer Benedikt Schmid wurde als Nachfolger des nach<br />
Inneringen gewechselten Dekans Daniel Ülin am 30. 6. 1698<br />
auf die Pfarrei Trochtelfingen präsentiert. Er starb als Dekan<br />
am 10.9. 1716 im Alter von 57 Jahren. Vgl. Friedrich<br />
Eisele, Zur Geschichte Trochtelfingens, in: Mitteilungen des<br />
Vereins für Geschichte und Altertumskunde in Hohenzollern,<br />
Jhg. 1908/09, 104 f.<br />
7 Tochter des Neufraer Ortsherrn Hans Dietrich Speth von<br />
Zwiefalten (1631-1704) und der Anna Eleonora geb.<br />
Schnewlin-Bärlapp zu Bollschweil. Nach dem Tod des Vaters<br />
wird sie das „hochwohlgeborene Freyle" bzw. Domiceila<br />
genannt. Sie starb am 15. 4. 1735, vom Totenbuch als<br />
„wahrhafte Mutter der Armen und Bedrängten" gepriesen.<br />
Ein weiteres Zeichen für ihre Verbundenheit mit dem Volk<br />
ist die Tatsache, daß sie sich unzählige Male als Taufpatin<br />
zur Verfügung stellt.<br />
8 Ca. 1824 in Trochtelfingen. Die Notizen sind mitgeteilt von<br />
Johann Adam Kraus in HH 1956, S. 14.<br />
ROBERT FRANK<br />
gehalten. Rechts im Hintergrund naht sich der Verräter<br />
Judas mit einer Rotte Soldaten.<br />
Genau wie das Bronner Rundbild auf dem Antipendium<br />
des Altares zeigt das Gemälde in Kettenacker keine besondere<br />
Qualität, steht andererseits doch weit über naiver<br />
Volkskunst. Es ist das Werk eines ländlichen, freilich<br />
künstlerisch geschulten Meisters, der einfache Ansprüche<br />
voll zufrieden stellen konnte. In der Feinheit der Pinselführung<br />
kann sich Schiander jedoch kaum mit dem Meister<br />
des Kettenacker Hochaltar-Bildes 19 messen, das<br />
wohl in einer Rottenburger Werkstatt 1693 entstanden<br />
ist.<br />
9 Friedrich Eisele, s. Anm. 6, Mitteilungen 1904/05, S. 64.<br />
10 wie Anm. 9, S. 68.<br />
11 S. Anm. 1.<br />
Weildorf im 1 6. Jahrhundert (Fortsetzung und Schluß)<br />
3.3. Leibherrschaft<br />
Die Leibeigenschaft war unabhängig von der Größe des<br />
Besitzes (es konnte auch der Leibherr sein, dem kein<br />
Grundbesitz des Leibeigenen gehörte). Sie ging von der<br />
Mutter auf sämtliche Kinder über (war also die Mutter<br />
zollerisch, so wurden ihre Kinder auch zollerische Leibeigenen).<br />
Für den Leibherrn war es äußerst wichtig, daß seine<br />
Leibeigenen, wollten sie vielleicht nach auswärts (in ein<br />
anderes Dorf z. B.) heiraten, sie die Erlaubnis des Leibherrn<br />
einholen mußten. Denn: Der Leibherr mußte wissen,<br />
wo seine Leibeigenen aufzufinden sind. Die Leibherrschaft<br />
war nämlich ein einträgliches Geschäft, da dem<br />
Leibherrn das Hauptrecht zustand. Dieses bestand ursprünglich<br />
beim Manne aus dem besten Stück Vieh oder<br />
der besten Wehr mit Gewand, und bei der Frau aus dem<br />
besten Gewand, das sie an kirchlichen Festtagen trug. Das<br />
Hauptrecht wurde beim Tode des Leibeigenen eingezogen<br />
und entspricht heute in etwa der Erbschaftssteuer.<br />
14<br />
12 im PfArchiv Neufra.<br />
18 Johann Schupp, Künstler und Kunsthandwerker der Reichsstadt<br />
Pfullendorf, 1952, S. 11, Nr. 25.<br />
14 wie Anm. 13, S. 10, Nr. 22. Ausstellungskatalog Franz Anton<br />
Maulbertsch, Wien-Halbturn-Heiligkreuztal/Gutenbrunn<br />
1974, S. 13 u. 19.<br />
15 Wohl Raimund Hascher von Hechingen, der 1716 nach<br />
Ringingen heiratete und 1726 starb. Oder einer seiner Brüder<br />
Hansjörg und Philipp. Johann Adam Kraus, Kunst<br />
und Kultur in den Heiligenrechnungen von Burladingen, in:<br />
HH 1959, S. 44.<br />
16 Manfred Hermann, Volkskunst auf dem Hochberg bei<br />
Neufra, Sigmaringen 1974, S. 33.<br />
17 Hermann Ginter, Südwestdeutsche Kirchenmalerei des<br />
Barock - Konstanzer und Freiburger Meister des 18. Jahrhunderts,<br />
Augsburg 1930, S. 168. Das Gemälde zeigt die<br />
Vermählung Mariens und ist signiert und datiert: Franz<br />
J. Spiegier invenit et pinxit 1722.<br />
18 öl auf Holz, 77 x 69.5 cm.<br />
19 öl a. Leinwand, 132.5x96 cm ohne Rahmen. Das Gemälde<br />
zeigt eine Kreuzigung mit Maria und Magdalena, dazu<br />
Engel mit Leidenswerkzeugen, darüber Gott Vater. Maler<br />
Bartholomäus örtle aus Rottenburg?<br />
Dieses Hauptrecht (auch Hauptfall genannt) bestand um<br />
die Mitte des 16. Jahrhunderts in der Grafschaft Zollern<br />
(somit auch in der Herrschaft Haigerloch) schon aus einer<br />
Geldabgabe, wie ich aus den Nachträgen im Leibeigenenverzeichnis<br />
von 1548 entnehmen konnte. Das Hauptrecht<br />
stand damals den Zollern zu, bzw. sie nahmen es für<br />
sich in Anspruch.<br />
Wenn eine Verknüpfung von Leibeigenschaft mit dem<br />
Besitz vorhanden ist, spricht man von Realleibeigenschaft<br />
38 . Dies war in Weildorf und wohl in ganz Zollern<br />
nicht der Fall. Denn Leibeigene anderer Leibherren<br />
als den Zollern z. B. haben trotzdem von den Zollern<br />
Besitz als Lehen bekommen.<br />
Ist eine Verknüpfung von Leibeigenschaft mit der Gerichtsherrschaft<br />
vorhanden, nennt man dies Lokalleibeigenschaft.<br />
Eisele nennt es personale Leibeigenschaft 39 .<br />
So sind in Weildorf und in der ganzen Grafschaft die<br />
Zollern wohl die Gerichtsherren; sie sind aber noch nicht<br />
die alleinigen Leibherren. Die Zollern haben also um die
Mitte des 16. Jahrhunderts die Lokalleibeigenschaft noch<br />
nicht erreicht, aber sie versuchen, diese zu erreichen, was<br />
gleich gezeigt werden soll. So verhauptrechten die Zollern<br />
solche Leibeigene, die gar nicht die ihrigen sind 40 .<br />
Die anderen Leibherren werden gar nicht gefragt, gar<br />
nicht beachtet. Desweiteren werden diejenigen, die keinen<br />
Herrn haben, also solche, die ihren Leibherrn entweder<br />
vergessen haben oder denen er nicht mehr nachjagt (z. B.<br />
zu große Entfernung: die Verhauptrechtung ist nicht<br />
mehr rentabel), einfach zu Zollern gezählt. Sie werden<br />
auch in das Leibeigenenverzeichnis aufgenommen, das<br />
„alle und jede leibaigen leut, in und usserthalb baider<br />
Grafschaft Zollern und Herschafft Haigerloch" 41 enthält.<br />
Eisele hat zudem in den Nachträgen feststellen können,<br />
daß auch die „Freien" verhauptrechtet wurden 4ä .<br />
Aus all diesem kann man erkennen, daß die Zollern versuchten,<br />
alleiniger Leibherr in ihrem Territorium zu<br />
werden.<br />
3.3.1. Die Einwohnerschaft Weildorfs um die Mitte des<br />
16. Jahrhunderts<br />
Weildorf zählt laut dem Leibeigenenverzeichnis von<br />
1548 43 175 Einwohner, davon 69 Erwachsene (32 Männer,<br />
37 Frauen), das sind nicht ganz 40 Prozent der Einwohnerschaft.<br />
Bei den Kindern überwiegen die Knaben<br />
mit 58 an der Zahl, die Mädchen mit 48.<br />
Besonders auffallend ist der hohe Anteil derjenigen unter<br />
den Einwohnern, die keinen Herrn haben (siehe oben),<br />
nämlich 53,75 Prozent. Unter diesen gibt es selten Freie,<br />
in Weildorf jedenfalls nicht. Von der Leibeigenschaft befreite<br />
bzw. losgekaufte gibt es zwei Männer, Alt Benedict<br />
Fischer 44 hat sich von den Bubenhofern für 20 Gulden<br />
losgekauft. Hans Wolff 45 hat sich vom Bistum<br />
Augsburg „der Leibeigenschaft erkauft". Die Höhe des<br />
Betrages ist nicht genannt.<br />
Der Anteil der Zollern beträgt zu dieser Zeit rein rechnerisch<br />
knapp 16 Prozent (28 Leibeigene). Es folgen<br />
Österreich mit 12, der adlige Hans v. Stein zu Uttenweiler<br />
mit elf, die Herrschaft Wehrstein mit neun Leibeigenen.<br />
Noch Georg v. Ow zu Hirrlingen hat sechs<br />
Leibeigene, Württemberg lediglich zwei. Rechnet man<br />
nun die Einwohner, die keinen Herrn haben, zu den zollerischen<br />
Leibeigenen, was faktisch ja schon geschieht, so<br />
hat Zollern schon einen Anteil von knapp 70 Prozent an<br />
der Einwohnerschaft.<br />
Man darf natürlich die aus dem Leibeigenenverzeichnis<br />
ermittelte Einwohnerzahl Weildorfs nicht absolut nehmen.<br />
So fehlen in diesem Verzeichnis z. B. vier Hofinhaber;<br />
umgekehrt sind solche Leute aufgeführt, für die ich<br />
keinen Lehenbesitz feststellen konnte (dies sind wahrscheinlich<br />
dann Tagelöhner).<br />
Hauptfall (Hauptrecht)<br />
Der Hauptfall, fällig beim Tode eines Leibeigenen, stand<br />
um die Mitte des 16. Jahrhunderts zum größten Teil der<br />
Herrschaft zu. Bei der Einziehung dieser Abgabe mußte<br />
notgedrungen auf die Vermögensverhältnisse des Verstorbenen<br />
Rücksicht genommen werden. So heißt es ein-<br />
Johann Wiest gestorben<br />
Am 2. März wurde in seinem Heimatort Rangendingen<br />
Oberlehrer i. R. Josef Wiest beerdigt. In der letzten<br />
Nummer der „Hohenz. Heimat" hatten wir ihm noch zu<br />
seinem 80. Geburtstag gratulieren können und seine Verdienste<br />
um unsere Zeitschrift und die hohenzollerische<br />
mal von einer Frau, sie war „gar arm der vall vertragen<br />
um 5 ß". Wo nicht viel ist, kann nicht viel gefordert<br />
werden.<br />
Der Hauptfall bestand in der Grafschaft Zollern um die<br />
Mitte des 16. Jahrhunderts schon aus einer Geldabgabe.<br />
So konnte ich im Leibeigenenverzeichnis und in den Renteirechnungen<br />
der Herrschaft Haigerloch u. a. folgende<br />
Werte ermitteln: sechs Gulden, drei Gulden, vier Gulden,<br />
viereinhalb Gulden.<br />
Leibhenne<br />
Ausleute mußten zur Erweisung der Leibeigenschaft, soweit<br />
ich feststellen konnte, jährlich auf Martini eine<br />
„Leibsteuer" von einer Fastnachtshenne (Leibhenne in<br />
diesem Fall) und fünf Schilling entrichten. Hier ist die<br />
Fastnachtshenne eine leibherrliche Abgabe (sie ist auch<br />
eine gerichtsherrliche Abgabe).<br />
Ausleute<br />
Unter Ausleuten, die zu Weildorf gehören, konnte ich<br />
eine „Anna Pfisterin" 46 , Tochter des Jörg Pfisters feststellen.<br />
Sie hatte sich unerlaubt nach Bildechingen (bei<br />
Horb) verheiratet und muß deshalb zur Strafe 30 Pfund<br />
Heller (eine ungeheure Summe) bezahlen, die sie dem<br />
Keller zu Haigerloch abliefern muß, der auch verhauptrechtet.<br />
Desweiteren hat sie dem Amtmann (Vogt) in<br />
Weildorf jährlich zur Fastnachtszeit eine Fastnachtshenne<br />
zur Erweisung der Leibeigenschaft abzuliefern.<br />
Schluß<br />
Wie man sehen konnte, war das Leben der Bauern von<br />
der Herrschaft genau reglementiert. Vor allem waren die<br />
Bauern mit einer Unzahl von Abgaben auf Grund und<br />
Boden, Abgaben für Frondienste, Abgaben für die eigene<br />
Person (Leibeigenschaft) belastet. Sie mußten den „Staat"<br />
tragen, wozu sich Zollern anschickte einer zu werden.<br />
Einem Teil der Bauern mit den großen Lehen mag es ein<br />
bißchen besser ergangen sein als denen mit ihren Kleinund<br />
Kleinstlehen. Doch allen wird gemeinsam gewesen<br />
sein, daß sie ihr ganzes Leben von Kindheit auf schuften<br />
mußten.<br />
Wir geben diese Arbeit verkürzt wieder und lassen die<br />
zahlreichen und sehr aufschlußreichen Tabellen weg. Sie<br />
führen zu weit in das Spezielle, während die Arbeit auch<br />
ohne sie sehr informativ ist.<br />
D. Red.<br />
Anmerkungen:<br />
38 Zu Real- und Lokalleibeigenschaft siehe Th. Knapp, Der<br />
Bauer im heutigen Württemberg . . ., S. 88-100.<br />
39 Eisele, Studien zur Geschichte . . ., S. 35.<br />
40 FAS 103,9; Blatt 44 a.<br />
41 Ebenda, Vorwort.<br />
42 Eisele, Studien zur Geschichte . . ., S. 35.<br />
43 Die Erneuerung der Leibeigenen fand in Weildorf am<br />
21. 12. 1548 statt.<br />
44 FAS 103,9; Blatt 44 a.<br />
45 Ebenda, Blatt 45 a.<br />
46 Ebenda, Blatt 41 a.<br />
Geschichtsforschung gewürdigt. Wiest war Ehrenmitglied<br />
des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>es. Vom<br />
Verein wurde am Grabe ein Kranz niedergelegt und in<br />
einer Ansprache auf die Verdienste des Verstorbenen<br />
hingewiesen. Für die „Hohenz. Heimat" wird er als<br />
langjähriger Schriftleiter unvergessen bleiben.<br />
15
Register 1974<br />
Albgemeinden Melchingen, Ringingen, Salmendingen bäuerlichen Vorfahren 6<br />
im 16. Jahrhundert 18 Kraus, Johann Adam, Zum 70. Geburtstag 5<br />
Baudenkmäler, Verluste 32 Mauz, Dr. Joseph (Ivo Mauthner) 39<br />
Benzingen und Steinhilben, Adelsgeschlechter 40 Mundart<br />
Daigger, Herkunft, Name und Verbreitung 28<br />
Mundart<br />
Mundart<br />
26<br />
44<br />
Neufra, Muttergotteskapelle (Geburt Christi)<br />
Dehner, Karl, Verfasser der Sigmaringendorfer Neufra, Obere Mühle 15<br />
Chronik 39 Neufra, Speth'sches Schlößle 64<br />
Denkmalspflege, Mengen 32 Oberamtmänner und Landräte in Hohenz. 1. Teil 9<br />
Fabrikordnung von Karlstal (Quellenbeispiel) 56 Oberamtmänner und Landräte in Hohenz. 2. Teil 22<br />
Gabele, Anton, Großvater mußte brummen 47 Ostrach, Die Schlacht von Ostrach (Bild) 1-2<br />
Galluskapelle, Ringingen 4 Rangendingen, Alte Advents-, Weihnachts- und<br />
Gammertingen und das Kloster St. Gallen 54 Neujahrslieder 50<br />
Hechingen als Reisetip 64 Sanitätsberichte über das Fürstentum Hohenzollern-<br />
Hettingen, Mühlen 15 Sigmaringen 1833/34 (Dr. Heyfelder) 34<br />
Heufeld, Hechinger Wege 3 Schiander, Maler in Inneringen und Trochtelfingen 45<br />
Heyfelder, Joh. Ferdinand, Dr. med. 33 Schmeie, Verschmutzung 48<br />
Hochalblandschaft (Entstehung) 42 Schilling, Xaver, Meersburg 38<br />
Hochberg bei Neufra, Volkskunst 21 Steinhilben, Adelsgeschlechter 40<br />
Hohenz. Geschichte, Arbeiten zur Hohenz. Gesch. 32 Veringenstadt, Postgeschichte 30<br />
Hohenz. Geschichte, Veröffentlichungen 1973 15 Volksmedizin (Fortsetzung) 41<br />
Inneringen, die einstige Sebastianskapelle 51 Volkssprüche von der Alb 54<br />
Inneringen, Hl. Kümmernis 7 Wand- und Bodenfliesen 27, 56<br />
Inneringen, Zur Pfarr- und Kunstgeschichte 13 Weildorf im 16. Jahrhundert 59<br />
Junginger Pfarrerliste 55 Wiest Josef, Zum 80. Geburtstag 64<br />
Kalenderjahr, Tage und Gezeiten unserer Wildenstein wieder offen 17<br />
Aufgeklärtes „Bilderrätsel"<br />
Aus den alten Glas-Negativen, die sich in der Hohenzollerischen<br />
Landessammlung befinden, hat Dr. Herbert<br />
Burkardt in Heft 4/1973 ein hohes Fachwerkhaus abgebildet,<br />
das gerade abgebrochen wurde, und die Frage<br />
gestellt, ob jemand wüßte, wo das war. Die Aufnahme<br />
entstand vermutlich vor der Jahrhundertwende. Jetzt<br />
hat H. H. Pfarrer Justinus Bernhardt in Tuttlingen<br />
uns geschrieben und die Lösung vorgelegt: es handelt<br />
sich nicht um einen Bau in Hohenzollern, sondern um<br />
die sogenannte „Hochwacht" in Mühlheim an der Donau.<br />
Vor wenigen Wochen ist das Richtfest zu einem Nachfolge-Bau<br />
gefeiert worden; der Abbruch des Hauses hat<br />
sich, wie Pfarrer Bernhardt schreibt, über Jahrzehnte<br />
HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />
herausgegeben vom Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />
in Verbindung mit den Staatlichen<br />
Schulämtern Hechingen und Sigmaringen.<br />
Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />
748 Sigmaringen, Karlstr. 3.<br />
Drude: M. Liehners Hofbuchdruckerei KG,<br />
748 Sigmaringen, Karlstraße 10.<br />
Die Zeitschrift „Hohenzollerische Heimat"<br />
ist eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie<br />
will besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />
mit der Geschichte ihrer Heimat<br />
vertraut machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />
auch populär gehaltene Beiträge<br />
aus der Geschichte unseres Landes.<br />
Sie veröffentlicht bevorzugt Beiträge, die<br />
im Schulunterricht verwendet werden<br />
können.<br />
Bezugspreis: 2,00 DM halbjährlich<br />
Konten der „Hohenzollerischen Heimat":<br />
802 507 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />
123 63 Postscheckamt Stuttgart<br />
Die Autoren dieser Nummer:<br />
Dr. Herbert Burkarth, Gammertingen<br />
Josef Mühlebach,<br />
Landesverwaltungsrat i. R., Sigmaringen<br />
Johannes Wannenmacher, Schulrat i. R.,<br />
Gammertingen<br />
Dr. Maren Kuhn-Rehfus,<br />
Staatsarchiv, Sigmaringen<br />
Manfred Hermann, Pfarrer, Neufra<br />
Robert Frank, Lehrer, Weildorf<br />
Redakteur:<br />
Dr. med. Herbert Burkarth,<br />
7487 Gammertingen<br />
49<br />
hingezogen. Er selber sah noch den Rest davon vor wenigen<br />
Jahren. „Inzwischen ist die alte ,Hochwacht' völlig<br />
verschwunden", schreibt der Genannte, „an ihrer Stelle<br />
wird jetzt eine neue gebaut. Diese wird allerdings nicht<br />
in Fachwerkbauweise, sondern in Massivbauweise errichtet,<br />
allerdings in der Form der alten ,Hochwacht' sehr<br />
ähnlich." Aus einem Artikel des „Gränz-Bote" vom<br />
26. 11. 1974 und einem beigefügten Foto ist ersichtlich,<br />
daß das Haus das älteste in Mühlheim war und aus<br />
dem 14. Jahrhundert stammte. Da es nie unter Denkmalschutz<br />
stand, verschwand es allmählich, nachdem 1972<br />
Bemühungen des Denkmalamtes, es zu erhalten, gescheitert<br />
waren. Immerhin erhält es einen einigermaßen entsprechenden<br />
Nachfolgebau. Wir danken Herrn Pfarrer<br />
Bernhardt für seine freundliche Mühe. fr.<br />
Redaktionsausschuß:<br />
Hubert Deck, Konrektor<br />
745 Hechingen, Tübinger Straße 28<br />
Telefon (07471) 2937<br />
Waither Fridc, Journalist<br />
748 Sigmaringen, Hohe Tannen<br />
Telefon (07571) 8341<br />
Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />
die persönliche Meinung der Verfasser<br />
wieder; diese zeichnen für den Inhalt<br />
der Beiträge verantwortlich. Mitteilungen<br />
der Schriftleitung sind als solche gekennzeichnet.<br />
Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />
werden an die Adresse des Schriftleiter!<br />
oder Redaktionsausschusses erbeten.<br />
Wir bitten unsere Lrser, die „Hohenzollerische<br />
Heimat" weiter zu empfehlen.
HÖH ENZOLLERISCHE<br />
HEIMAT<br />
Herauagegeben oom<br />
W3828 F<br />
Hohenzollerifchen Gefchichtaocrein<br />
25. Jahrgang Nr. 2 /Juli <strong>1975</strong><br />
ßn. st heute eine große, noch immer wachsende Industriegemeinde,<br />
die auch bei der Kreisreform ihre Selbständigkeit bewahren konnte. Foto: H. Burkarth<br />
Die Stadt Ebingen besaß neben dem Dorf Ehestetten das<br />
Dorf Bitz. Am 26. September <strong>1975</strong> sind 143 Jahre verflossen,<br />
seit sich Bitz von der Stadtgemeinde Ebingen<br />
loskaufte. Nicht von heute auf morgen konnte aber Bitz<br />
seine Selbständigkeit erwerben, vielmehr mußten langwierige<br />
Prozesse und Streitigkeiten ausgefochten werden,<br />
bis endlich die streitenden Parteien zu einer friedlichen<br />
Einigung gelangten. Nur mit schwerem Geld, einer Ablösungssumme<br />
von 23 000 Gulden, wurden die Hoheitsrechte<br />
erkauft. Für die 1832 erst etwa 700 Einwohner<br />
zählende Gemeinde Bitz mag diese Summe keine Kleinigkeit<br />
gewesen sein, da dieses Geldopfer dem dürftigen<br />
Boden abgerungen werden mußte. Dazu gehörten ehrba-<br />
FRITZ SCHEERER<br />
Bitz und Ebingen<br />
re, biedere Menschen, voll schaffensmutigem, freiem<br />
Sinn, denen heute noch Dank und Anerkennung geziemt.<br />
Wie es zu der Abhängigkeit gekommen ist, wie die Selbständigkeit<br />
errungen wurde und wie die Freiheit weder<br />
zum Schaden noch zur Schande geworden ist, möchte in<br />
folgendem gezeigt werden.<br />
Die Landschaft um Bitz<br />
Die Markung Bitz liegt auf der Hochfläche der Alb, inmitten<br />
der Hügellandschaft der Kuppenalb, zwischen<br />
dem Schmeiental im Westen und Fehlatal im Norden<br />
und Osten, in einer Hche von 774 bis 928 m. Das Dorf
ist an zwei durch eine flache Mulde getrennten Hügeln<br />
südlich angelehnt. Die beiden einstigen Quelläste des<br />
Harthauser Tales, das heute infolge der Verkarstung<br />
trocken ist, umfassen in einem nordöstlichen und südwestlichen<br />
Talbogen das Kerngebiet der Markung. Dieses<br />
liegt fast ganz wie das Harthauser Tal innerhalb des<br />
Hohenzollerngrabens, der hier von Nordwesten nach<br />
Südosten durchstreicht und dessen Grabenfüllung sich<br />
beim „Auchten" etwa 50 m, im Südosten beim Hof Hermannslust<br />
etwa 45 m tiefer stellt. So werden die dichten<br />
Felsenkalke und die zuckerkörnigen Kalke, die außerhalb<br />
des Einbruchs die Buckel bilden, neben die weniger<br />
widerstandsfähigen Gesteinsschichten des obersten Weißjura<br />
gestellt. Die geschichteten Plattenkalke und die tonreichen<br />
Zementmergel sind außerhalb des Einbruchs<br />
schon abgetragen, während sie im Graben erhalten geblieben<br />
sind und sanfte Hänge oder weitausgedehnte<br />
ebene Flächen bilden, wie bei Freudenweiler, bei Hermannslust<br />
und im Harthauser Tal. Die große, lichte<br />
Mulde zwischen „Schlichte" (Ebene) und „Kienerhalde"<br />
liegt in den Zementmergeln, im „Trieb" dagegen ist nahezu<br />
die ganze einstige Schichtfüllung bis auf einige<br />
Plattenkalkreste entfernt, so daß in einem großen Bogen<br />
um diese „Schüssel" die Felsenkalkränder mit ihren typischen<br />
Schwammstotzen freigelegt sind. Die engen und<br />
die weiten Talformen haben ihren Grund im fortwährenden<br />
Wechsel des Gesteins.<br />
Die Plattenkalkvorkommen sind bevorzugte Ackerplatten<br />
infolge der guten, milden Böden, der größeren<br />
Feuchtigkeit des Untergrundes und der sanfteren Böschung<br />
der Hänge. So legt sich eine geschlossene Ackerflur<br />
rund um den Ort, wo die Flurteile „Auchten" und<br />
„Banweg" über Bankkalken, „Trieb" über Plattenkalken<br />
liegen. Im Süden schließt sich die große Weitung im<br />
Harthauser Tal an, wo die Mergelböden tiefgründiger<br />
sind. Auf wasserführenden Weiß-Zeta-Schichten liegen<br />
die Wiesen zwischen „Auchten" und „Hutzenbiihl",<br />
ebenso zwischen „Ried" und „Riedbühl". Im großen<br />
ganzen bildet die Wiesenflur meist einen schmalen Gürtel<br />
und neigt oft zur Austrocknung („Ehrenbuch"), da<br />
wir nirgends eine obere Entwässerung finden. Die „Zetaschüsseln"<br />
sind heute rings von höheren bewaldeten<br />
Kuppen des Massenkalks umrahmt, wie die Gruppe beim<br />
„Bocksberg" in der südlichen Markung, wie beim „Riedbühl",<br />
„Kitzesberg" usw.<br />
Frühzeitig erkannten die Siedler, daß die Buckel für Akkerbau<br />
wenig geeignet sind, und so erklärt sich auch die<br />
heutige Verteilung des Gemeindewaldes auf die Buckel<br />
und die Steilhänge der Täler, die die Gemarkung rings<br />
umgeben. Nadelwald wechselt mit Buchenwald, Heide<br />
und Mischwald. Aber eines fehlt, das leise Dahinmurmeln<br />
eines munteren Bächleins. Dafür begegnet man aber<br />
immer wieder den wuchtigen Felsen gleich trotzigen<br />
Recken als Hüter des Waldes.<br />
Wer die Markung durchwandert, hat das Gefühl, ja die<br />
bestimmte Überzeugung, daß diese bald muldenartig<br />
breiten, bald zwischen Felsen oder waldigen Buckeln<br />
eingeengten Hohlformen einst Wasser führten, wie die<br />
Täler der Starzel, Fehla und Schmiecha. Nur ist es größtenteils<br />
schwer, in diesem Wirrwarr von Mulden und<br />
Senken die Richtung der einstigen Gewässer festzustellen.<br />
Ein großes Netz von Trockentälern schneidet sich<br />
im „Degerfeld", andere umziehen Bitz nach allen Richtungen<br />
(nach Burladingen, Gauselfingen, Neufra, Harthausen,<br />
Winterlingen, hinab zum Schmeiental bei Ehestetten).<br />
Die Durchlässigkeit des Gesteins, das Fehlen einer<br />
wasserstauenden tonigen Schicht, Erdfälle, Höhlen<br />
und Spalten und damit das Absinken des Grundwasserspiegels<br />
unter die Talsohle der Haupttäler sind die<br />
18<br />
Gründe für ihre Trockenlegung. Durch weite Felder von<br />
Dolinen sind das Hermannsdorfer- und Teufelstal, das<br />
Winterlinger-, Roßberg- und Tiefental unterirdisch angezapft.<br />
Dabei entstand ihr ungleichförmiges Gefälle.<br />
Wie weit diese Verkarstung gediehen ist, zeigte sich vor<br />
Jahren deutlich in der Verunreinigung der Hermentinger<br />
Quelle durch Abwässer von Bitz.<br />
Das Landschaftsbild um Bitz weist also einen reichen<br />
Wechsel von Wald, Wiese, Steppenheide und Feld auf.<br />
Der Gesichtskreis ist belebt durch die auf- und absteigenden<br />
Linien der waldigen Buckel. Im Kranze seiner<br />
Hügel und Wälder gelegen ist Bitz außer von Inneringen<br />
wohl von keiner der Albhöhen aus sichtbar, gewährt<br />
aber bei klarem Wetter eine wunderbare Fernsicht. Wer<br />
sich dem Dorf aus irgend einer Richtung nähert, sieht es<br />
meist erst aus geringer Entfernung durch eine Waldoder<br />
Hügellücke.<br />
Einblick in frühere wirtschaftliche Verhältnisse gewähren<br />
und vor allem die Flurnamen. Da die Böden ziemlich<br />
mager, das Klima rauher als im Albvorland und in den<br />
Tälern ist und der Ort lange in einem beengenden Abhängigkeitsverhältnis<br />
gestanden hat, ist die Zahl der<br />
Flurnamen verhältnismäßig gering und galt es immer<br />
wieder, freies Feld für Weide und Ackerbau zu schaffen.<br />
Der Wald mußte gerodet werden. So haben wir in vielen<br />
Namen das Stammwort „Reut" („Ried", „Kritter").<br />
Auch andere Flurnamen weisen auf einstigen Wald hin,<br />
wie „Hauen", „Gairen", „Schwant". 1683 wurden 535<br />
Morgen Reutäcker gegenüber nur 190 Morgen Zelgäkkern<br />
vermerkt.<br />
In älterer Zeit war die Weidewirtschaft von großer Bedeutung,<br />
vor allem auch im Verhältnis mit Ebingen<br />
(s. unten), worauf „Auchten" (= Nachtweide), „Roßstelle",<br />
„Kuhstelle", „Trieb", „Viehstrichen", „Ochsenweide"<br />
hinweisen. Im „Schweigstall" und „Galthaus" wurde<br />
das Vieh untergebracht. „Kitzesberg" und „Geißenkanzel"<br />
weisen darauf hin, daß die Ziegen dort ihre Weiden<br />
hatten. „Gausers Gärtie" war der Platz für die Gänse.<br />
„Bräunenen" mag von braun herkommen, der Farbe dieses<br />
Weidelandes im Sommer. Der Weidebetrieb ging erst<br />
zurück, als die Bitzer nach dem Loskauf über ihre Markung<br />
frei verfügen konnten und die Stallfütterung allgemein<br />
üblich wurde. Immer hat sich aber, je mehr die Bevölkerung<br />
zunahm, ein Landhunger bemerkbar gemacht.<br />
Ja, die Markung reichte zum Unterhalt der Einwohner<br />
des Ortes nicht mehr aus; es mußten neue Wege beschritten<br />
werden. Doch davon weiter unten.<br />
In vorgeschichtlicher Zeit<br />
Bitz ist keineswegs eine Siedlung aus jüngster Zeit, wenn<br />
auch der Name des Ortes erst am Anfang des 14. Jahrhunderts<br />
in „Bützer velt" auftritt, 1356 als „Bütz", 1431<br />
als „Bütze" (Bitz = eingezäuntes Landstück). Der Name<br />
deutet auf eine herrschaftliche Siedlung des Hochmittelalters,<br />
und zwar auf eine Neusiedlung, deren Anlegung<br />
jedoch undurchsichtig bleibt.<br />
Mag es in der Steinzeit auf den Höhen von Bitz zu keiner<br />
Dauersiedlung gekommen sein, so waren doch Menschen<br />
auf dem Durchzug oder zu kurzem Aufenthalt auf<br />
unseren Bergen. Aus Grabhügeln der Bronze- und Hallstattzeit<br />
rund um den Ort oder von dem umfangreichen<br />
Siedlungsplatz in der Flur „Kritter" kamen reiche Funde<br />
zum Vorschein. Im benachbarten Degerfeld herrschte<br />
vor 2500 Jahren ein vielfältiges Leben. Um das Jahr 75<br />
n. Chr. verschoben die Römer ihre Reichsgrenze an den<br />
Nordwestrand der Alb. Dem Albrand entlang errichteten<br />
sie mit einer Kastell-Linie und einer Straße den sogenannten<br />
Alblimes. Von Süden herkommend führte über
Die ehemalige Dorfkirche von Bitz<br />
den „Dürrenbühl" die Römerstraße Laiz-Burladingen.<br />
Scherbenfunde lassen Sennhütten vermuten, die vielleicht<br />
zu den großen römischen Höfen in Ebingen gehörten.<br />
Die im „Steigle" gefundenen alemannischen Reihengräber<br />
bezeugen, daß sich an der Stelle des heutigen Bitz<br />
spätestens im 7. Jahrhundert alemannische Siedler niedergelassen<br />
haben. Der Name für diese Siedlung ist nicht<br />
überliefert, so daß anzunehmen ist, daß sie bald wieder<br />
eingegangen ist. Die Markung wurde von Ebingen beansprucht,<br />
denn im 7./8. Jahrhundert dürfte sie zum<br />
Pfarrsprengel Ebingen geschlagen worden sein, bei dem<br />
sie bis 1841 verblieb.<br />
Die Herren von Lichtenstein<br />
Eine Urkunde aus dem Jahr 1386 sagt uns, daß Bitz damals<br />
und wohl schon längere Zeit vorher zu dem Besitz<br />
der Herren von Lichtenstein gehörte, die auf einer Doppelburg<br />
über dem Fehlatal bei Neufra, PU Stunden von<br />
Bitz entfernt, saßen, deren Ruinen von den Bitzern heute<br />
noch „D'Schlösser" heißen. Die beiden durch einen<br />
Grat verbundenen Burgen gehörten zusammen. Erstmals<br />
urkundlich erwähnt werden die Lichtensteiner 1278. Die<br />
Grafen von Zollern nennen sie „unsere Diener". Sie waren<br />
also Lehensmannen der Zollerngrafen. Swenger von<br />
Lichtenstein stiftete 1332 eine Nikolauskapelle zu Neufra.<br />
Auch die Kapelle zu Bitz, die 1386 erstmals genannt<br />
wird, war dem heiligen Nikolaus geweiht und mit einem<br />
Widumhof ausgestattet. Nach einer alten Urkunde sorgte<br />
Swigger von Lichtenstein dafür, „daß die Armen Leüth<br />
zu Bütz mit einem Priester versehen würden". Uber das<br />
weitere Verhältnis der Grundherren zu Bitz ist außer<br />
dem Kaufvertrag mit Ebingen nichts bekannt. Das neue<br />
Wappen von Bitz mit einem silbernen Flügel im Schild<br />
auf blauem Grund erinnert noch an die Herren von<br />
Lichtenstein.<br />
Bitz unter Ebinger Herrschaft<br />
Am 4. November 1386 ging Bitz durch Kauf in den Besitz<br />
der Stadt Ebingen über. Mit Einwilligung Schweikharts<br />
von Lichtenstein des Alten und Hans und Ulrich<br />
Gebrüder, seiner Söhne, wurde das Dorf verkauft „mit<br />
Leut, Gut, Gericht, Hirtenstab, Bannlehen, Holz, Feld,<br />
Aecker, Wies usw. als ein Recht ledig und unbekümmert<br />
Eigen um 210 Pfund Heller dem Schultheißen und Bürgern<br />
gemeiniglich". Von da ab fühlten sich die Ebinger<br />
auch wirklich als die Herren von Bitz. Das Dorf wurde<br />
behandelt, als ob die Stadt Landesherr wäre, ähnlich wie<br />
die Reichsstädte ihre untertänigen Dörfer. 1744 unterzeichnete<br />
sogar der Bürgermeister Krimmel als „Seigneur<br />
de Bitz", und in Ebingen hieß es: „Bitz ist unser!" Es ist<br />
wohl selten, daß eine württembergische Stadt, die nicht<br />
Reichsstadt war, eine derartige Territorialherrschaft bis<br />
in die neuere Zeit ausgeübt hat. Die Stadt war auch<br />
stolz, eigenen Landbesitz zu haben.<br />
Ebingen erhob Umgeld und Landgarbe, legte selbständig<br />
Strafen und Bußen auf; es übte bis 1590 sogar „die malefizische<br />
Obrigkeit oder Kriminaljurisdiktion" selbst<br />
aus. Es durfte in Bitz ohne Zuziehung der Stabsbeamten<br />
den Dorfvogt wählen und Ruggericht halten. Die hohe<br />
Gerichtsbarkeit trat dann die Stadt 1590 an den Herzog<br />
ab. Alle übrigen landesherrlichen und niedergerichtlichen<br />
Rechte blieben der Stadt bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts.<br />
Die Stadt Ebingen behauptete wiederholt, daß<br />
19
die Bewohner ihres Dorfes samt und sonders städtische<br />
Leibeigene seien, was von den Bitzern stets energisch bestritten<br />
wurde. Es ist aber anzunehmen, daß die Bitzer<br />
Bauern sicherlich nicht Leibeigene waren, sondern als<br />
Pächter auf den Gütern der Herren von Lichtenstein saßen.<br />
Zur Zeit des Kaufes war das Dorf Bitz noch sehr klein.<br />
1527 waren es „7 Huser", 1583 dann 11 Maier und nach<br />
dem Dreißigjährigen Krieg, in dem es viel unter Seuchen<br />
und Plünderungen zu leiden hatte und viele Bewohner in<br />
die Mauern von Ebingen geflohen waren, zählte man 96<br />
Einwohner. Von da ab vermehrte sich dann die Bevölkerung<br />
ziemlich rasch. Auf der verhältnismäßig kleinen<br />
Markung (883 ha) hatte Ebingen 120 Morgen erworben,<br />
dazu später noch 61 Morgen von dem Lehen, das das<br />
Klösterlein Margrethausen in Bitz besaß. Die Bitzer waren<br />
in die beiden gleichberechtigten Hauptmühlen in<br />
Ebingen, die Stadt- und die Spitalmühle, gebannt. Doch<br />
dieser Bann wurde zuweilen sehr locker gehandhabt. Da<br />
auf der ganzen Bitzer Markung keine Quelle und man<br />
nur auf Zisternen- und Hülenwasser angewiesen war,<br />
mußte bei Wassermangel das Wasser aus Ebingen bezogen<br />
werden.<br />
Noch im Jahr 1759 wurde die Wehrhoheit der Stadt anerkannt.<br />
Ihr wurde überlassen, „aus diesem ihrem Flekken<br />
die junge Mannschaft mit in Concurrenz zu ziehen".<br />
Die Einwohner von Bitz mußten nie dem herzoglichen<br />
Hause huldigen. Erst später wurden die Wehrpflichtigen<br />
auf Anordnung des württembergischen Oberamtsmannes<br />
ausgemustert. Von Seiten Württembergs wurde in Bitz<br />
kein Zoll und keine Accise erhoben, während die Bitzer,<br />
wenn sie in das Württembergische „kontrahierten", den<br />
ausländischen Zoll und Accise geben mußten. Da Bitz<br />
nicht zur württembergischen Landschaft gehörte, konnte<br />
es von Württemberg auch nicht zu entsprechenden Steuerzahlungen<br />
herangezogen werden. Daher wurde 1718<br />
der württembergische Steuerrevisor abgewiesen. Zur<br />
Aufsicht über den Ort bestellte die Stadt einen ihrer<br />
Richter zum Schultheißen und Vogt. Mit dem Stadtschreiber<br />
zusammen hielt er jährlich ein Vogt- oder Ruggericht<br />
ab. Als 1753 der württembergische Oberamtmann<br />
sich der Gemeinde Bitz annehmen wollte, wurden<br />
ihm zur juristischen Prüfung nur die Akten vorgelegt;<br />
weiter konnte er nichts erreichen. Die Stadt wollte dem<br />
eigenen Ort die Behandlung zuteil werden lassen, wie sie<br />
dieses unter den früheren adeligen Eigentümern gewohnt<br />
gewesen. Die Bitzer wurden aber so streng als möglich in<br />
Untertänigkeit gehalten. Doch waren sie durchaus nicht<br />
willens, sich in diese Abhängigkeit von Ebingen und in<br />
die manchmal reichlich willkürliche Behandlung ohne<br />
Widerstand zu fügen. Die Abhängigkeit von Ebingen,<br />
die nicht immer klaren Rechtsverhältnisse gaben daher<br />
oft Grund zu vielen Klagen und Streitigkeiten. Die noch<br />
vorhandenen Urkunden in den Gemeinderegistraturen<br />
berichten von manchen Schlichtungsversuchen und Neuregelungen.<br />
Es ging manchmal hart auf hart, und von<br />
mütterlicher Sorge für das Pflegekind und von kindlicher<br />
Liebe und Unterordnung ist wenig zu spüren. Der<br />
Hartnäckigkeit der Bitzer begegneten die Ebinger vielfach<br />
mit verbissener Unnachgiebigkeit und Verschlagenheit.<br />
1462 wurde wegen der Kernensteuer, die vom<br />
„Saatgut" 4 Simri Dinkel je Morgen betrug, zwischen<br />
Ebingen und Haintz Widerspohn gestritten. Im Vertrag<br />
von 1517 erreichten die Bitzer, daß sie und die Stadtbürger<br />
von Ebingen bei Fronen gleich behandelt wurden.<br />
1619 stritt man wegen der Umlegung der Kernensteuer,<br />
des Bezugs von Bau- und Brennholz durch die Bitzer in<br />
den Wäldern ihrer Markung, wegen Zuziehung eines Bitzers<br />
als Pfleger bei der Heiligenpflege. Die Bitzer wand-<br />
20<br />
ten sich an den Herzog und klagten, daß sie als „gebannete<br />
Khunden so sehr liederlich in den Mühlen gefertigt<br />
werden", daß die Ebinger statt 100 Stück Galtvieh 300<br />
Stück auf ihrer Weide in Bitz laufen lassen, dazu noch<br />
krankes darunter, das ihre Herde auch noch anstecke.<br />
1625 stritt man um den Abzug. 1690 beklagten sich die<br />
Bitzer, daß sie ohne Erlaubnis Ebingens kein Allmandland<br />
umbrechen dürfen und daß die Ebinger Holz in<br />
den Bitzer Wäldern hauen lassen und nicht dulden wollten,<br />
daß die Bitzer „in dem aigenthumblich angehörigen<br />
Wald dem sogenannten Riedt und Bocksberg" Holz hauen<br />
und verkaufen dürfen. „Um unseren völligen Untergang<br />
und schändlichen Ruin zu befördern", habe Ebingen<br />
20 Jauchert Ackerland „von unseren Bahn" an ihre<br />
Bürger verteilt. Die Klage der „blutarmen Leute" endet:<br />
„Aus diesem allem nun erhellet zur Genüge, daß die<br />
Statt Ebingen uns gänzlich zu underdruckhen und vor<br />
ihre Fueßtuch zu halten suche".<br />
Von den im Lagerbuch eingetragenen Gütern heißt es<br />
einmal: „Waren den Inwohnern von Bütz äußerst zuwider".<br />
Ebingen gab an, es habe in den letzten 50 Jahren<br />
viel von seinem Feld eingebüßt, es seien „die Marken abund<br />
ausgeführt" worden. Manche Äcker seien nicht<br />
mehr aufzufinden. Der Dorfvogt drohte dem Vermesser<br />
mit Tätlichkeiten, „dahero man genötigt, dieses Geschäft<br />
einstweilig zu sistieren". Jahrelang zogen sich manchmal<br />
Streitigkeiten hin. Die Bitzer verteidigten ihre Rechte<br />
und Freiheiten sehr zäh, die ihnen Ebingen schmälern<br />
wollte und ihnen „zu äußerstem Nachtheil gereichende<br />
Eingang uff den Hals treschen, die uns die längin zu gedulden<br />
ganz beschwerlich und unverträglich fallen wollen,<br />
wenn ihnen nicht geholfen würde, sie samt Weib<br />
und Kindern in das äußerste höchste Verderben und an<br />
den Bettelstab gerichtet und ins Epilium vertrüben". So<br />
1619 an den Herzog.<br />
Neue Verträge kamen 1711 wegen der Viehweide und<br />
1740 wegen der Kriegskosten zustande, wonach die Bitzer<br />
an den der Stadt Ebingen entstandenen Kosten Vi»<br />
tragen sollten. 1789 ging es wieder um die Kernensteuer<br />
aus etwa 90 Morgen Stadtgütern, aus denen jährlich 35<br />
Scheffel Dinkel und ebensoviel Haber zu entrichten waren.<br />
1812 wurde ein neuer Vertrag geschlossen. Während<br />
Bitz bisher den 28. Teil der Ebinger Steuer getragen hatte,<br />
sollte es nun der 16. Teil sein.<br />
Im Jahre 1781 wurden die Streitenden von Herzog Karl<br />
Eugen zurechtgewiesen, denn aus der Untersuchung ergab<br />
sich, „daß die Bürger gegen den Magistrat zu Ebingen<br />
als ihrer vorgesetzten Obrigkeit sich sehr animos<br />
und heftig bezeuget haben: Als hast Du jene anzuweisen,<br />
sich künftighin mehrer Mäßigung gegen denselben zu befleißen,<br />
dem Magistrat zu Ebingen aber zu erkennen geben,<br />
wie man sich auch zu demselben gnädigst versehen<br />
wolle, daß er die Bitzer mit aller Bescheidenheit und ihnen<br />
kein begründete Ursache zu Beschwerden geben<br />
werde".<br />
Bei der zunehmenden Einwohnerzahl wurden jedoch die<br />
Verhältnisse fast unerträglich. Die Markung reichte nicht<br />
mehr zum Unterhalt des Ortes aus, und so kämpften die<br />
Bitzer hartnäckig um ihre Befreiung. Als gar zu Ende<br />
des 18. Jahrhunderts junge Mitbürger und Handwerker<br />
„naturalistische Schriften", auch Bücher von Voltaire in<br />
die Gemeinde gebracht hätten und an Abenden, besonders<br />
sonntags gemeinschaftlich darin lasen, kam es<br />
schließlich zum Steuerstreik. Bitz weigerte sich, Kernensteuer<br />
und Schloßgeld, d. h. Pachtzins für die Stadtgüter,<br />
zu bezahlen. Bei den immer währenden Streitigkeiten<br />
fühlte sich der Dorfvogt als Vertreter des Fleckens, obwohl<br />
er von der Stadt Ebingen bestellt war und drohte<br />
z. B. 1766 der Stadt mit Tätlichkeiten.
Der Bitzer Viehzucht waren enge Grenzen gesetzt, denn<br />
die Ebinger hatten ganz in der Nähe des Ortes ihr Galthaus.<br />
Die Schafzucht war gering. Die Ebinger behaupteten<br />
zwar, daß die Bitzer ihre großen Weiden nicht genügend<br />
nützten. Überall waren die Bitzer in der wirtschaftlichen<br />
Entwicklungsmöglichkeit eingeengt. Die<br />
zahlreich vertretenen Handwerker hatten nicht genügend<br />
Aufträge. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts wollte<br />
man zwar die Not durch Einführung der Strumpfweberei<br />
auf Rechnung eines Ebinger Meisters beheben. Aber<br />
der Erfolg blieb aus. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts<br />
wanderten 23 Personen nach „Preußisch-Polen" aus.<br />
Truppendurchmärsche und Einquartierungen, gelegentlich<br />
auch Plünderungen erhöhten die Not. Von 1744 bis<br />
1815 stieg die Einwohnerzahl von 216 auf 557. Bei dieser<br />
wachsenden Einwohnerzahl war die Bodenfläche<br />
gleich geblieben, und der Ertrag konnte bei den wenig<br />
günstigen natürlichen Erzeugungsbedingungen nicht gesteigert<br />
werden. Viele Häuser waren auch auf Stadtgütern<br />
erbaut und daher von Ebingen mit Zinsen belastet.<br />
Die Armut in dem Dorf und damit die Unzufriedenheit<br />
erreichten ihren Höhepunkt. Das Joch mußte abgeschüttelt<br />
werden.<br />
Endlich 1824 begann die Befreiung von der Stadtherrschaft.<br />
Bitz wurde in Steuerdingen selbständig. 1828 hatte<br />
beim Bitzer Ruggericht erstmals der Oberamtmann<br />
Johann Christoph von Seeger statt der bisherigen Ebinger<br />
Herren den Vorsitz, und 1830 bemühte sich die Regierung,<br />
einen Vergleich herbeizuführen, denn Forderungen<br />
und Gegenforderungen standen sich gegenüber. Keine<br />
der Parteien wollte nachgeben. Der Rechtsanwalt der<br />
Bitzer schrieb: „Und wie überall und zu allen Zeiten die<br />
Herren ihre wirklichen und angemaßten Rechte gegen<br />
die Untertanen immer mehr und mehr auszudehnen<br />
suchten, diese dagegen meist ohne Hilfe und Ursurpation<br />
blieben, die ihnen zustehenden Befugnisse nicht einmal<br />
gehörig kennen lernten, viel weniger üben konnten und<br />
häufig noch anmaßender sich benimmt als der geborene<br />
Herr, so liefern auch hier die vorliegenden Urkunden<br />
das deutliche Bild eines solchen zwischen Ebingen und<br />
Bitz stattgefundenen widerrechtlichen Verhältnisses, und<br />
es spricht sich dies besonders in den verschiedenen Reichnissen<br />
aus, welche Ebingen von Bitz erhob und im Laufe<br />
der Zeit immer mehr steigerte, ohne auch nur für eines<br />
einen rechtlichen Grund zu geben".<br />
Am 26. September 1832 löste ein Vertrag das unhaltbar<br />
gewordene Verhältnis. Ebingen trat sämtliche auf Bitzer<br />
Markung gelegenen Stadtgüter ab, verzichtete auf<br />
Schloßgelder, Zinsen aus Hofstätten und Stadtgütern,<br />
Kernensteuer und Landgarbe. Die Besoldung des Lehrers,<br />
des Schützen und der Hebamme hatte fürderhin Bitz zu<br />
tragen. Das Ebinger Weiderecht wurde abgetreten, das<br />
Galthaus auf die Ebinger Markung verlegt. Die alte<br />
Hülbe kam an Bitz. Bitz zahlte für alles dies 23 000<br />
Gulden und war damit selbständig geworden. Nur die<br />
Kirche war nicht ganz von Ebingen gelöst. Die kirchliche<br />
Versorgung von Ebingen aus dauerte noch bis 1841.<br />
Die kirchlichen Verhältnisse von Bitz<br />
Bitz gehörte bis 1830 dem Ebinger Pfarrsprengel an. Im<br />
Zusammenhang mit dem Verkauf von 1386 scheint eine<br />
vertragliche Regelung getroffen worden zu sein, wonach<br />
die Ebinger verpflichtet worden waren, für die seelsorgerische<br />
Betreuung der Bewohner von Bitz aufzukommen,<br />
widrigenfalls der Bitzer Zehnte und das Pfründengut<br />
dem heiligen Nikolaus zu Bitz zufallen sollten.<br />
Schon Schweikart von Lichtensteins Frau bekam Mitleid<br />
mit ihren „armen Leuten" und bat ihren Gemahl<br />
dringend, auf Abhilfe bedacht zu sein. Den Ebingern<br />
wurde daher zur Auflage gemacht, sie müßten dafür sor-<br />
21
gen, daß wöchentlich an zwei Werktagen und außerdem<br />
an jedem 2. Sonntag in Bitz eine Messe gelesen werde<br />
und daß auch sonst im Bedarfsfall den Bitzern ein Priester<br />
zur Verfügung stehe. Doch wie aus Urkunden ersichtlich<br />
ist, wurde das nicht eingehalten. Es kam daher<br />
zum Streit. 1520 wurde angeordnet, daß alle 14 Tage<br />
drei Messen zu Bitz zu lesen seien. Auch wegen der zwei<br />
Heiligenpfleger, von denen der eine ein Ebinger, der andere<br />
ein Bitzer war, gab es Streitigkeiten mit der Stadt.<br />
Da man diese Stelle mit Leuten besetzen wollte, die sich<br />
gegenüber den Ebingern behaupten konnten, wurden<br />
häufig Männer ausgewählt, denen eine „heftige, rauhe<br />
und unheilige Sprache" eigen war. Der große Fruchtzehnten,<br />
der Heuzehnten und der Kleinzehnt gehörten<br />
der Pfarrei Ebingen.<br />
Mit der Einführung der Reformation in Württemberg<br />
wurde Bitz evangelisch. Seitdem lag die kirchliche Versorgung<br />
von Bitz bei dem jeweiligen Ebinger Diakon.<br />
„Von Martini (11. November) bis Georgi (23. April) hat<br />
der Geistliche einen reitenden oder fahrenden Begleiter<br />
von der Gemeinde anzusprechen, der ihn sowohl in<br />
Ebingen abholt, als wiederum dahin zurückbegleitet.<br />
Von dieser Begleitung wird aber gewöhnlich nur Gebrauch<br />
gemacht in der Zeit, wo Schnee liegt oder die<br />
Steige wegen Eis gefährlich zum passieren, oder bei besonders<br />
neblichem Wetter, sonst nicht". Im Winter<br />
scheint es aber manchmal wegen der Verkehrsverhältnisse<br />
überhaupt unmöglich gewesen zu sein, von Ebingen<br />
nach Bitz zu gelangen. Die „Kilsteig" (= Kirchensteig)<br />
wird schon 1365 erwähnt. Noch 1856 heißt es: „nach allen<br />
Orten schlechte, meist unfahrbare, über Viehweiden<br />
führende Wege, nur nach Ebingen ein chaussiertes Sträßchen".<br />
Es mag daher für den Ebinger „Helfer" oft ein<br />
kaltes und schwieriges Reiten gewesen sein. So wird bei<br />
den Nachkommen noch öfters der „Bitzer Mantel" eines<br />
solchen Helfers erwähnt.<br />
Das Jahr 1830 brachte in der kirchlichen Entwicklung<br />
einen wichtigen Einschnitt. Während Bitz seither ein unselbständiger<br />
Teil der Kirchengemeinde Ebingen war,<br />
wurde es 1830 zur selbständigen Pfarrei erklärt und erhielt<br />
das Recht, Kirchen- und Schulvisitation vorzunehmen.<br />
Der Ebinger Helfer war nun zugleich Pfarrer von<br />
Bitz.<br />
Zum Konfirmandenunterricht mußten aber die Bitzer<br />
Kinder nach wie vor nach Ebingen. 1838 schreibt der<br />
Ebinger Diakon Zais: „Die Konfirmanden von Bitz sollen<br />
nach Ebingen kommen, um an dem Unterricht teil zu<br />
nehmen, den dort der Diakonus den Kindern von Ebingen<br />
erteilt. Sie können aber nur selten kommen, teils wegen<br />
des oft ungebahnten, IV2 Stunden langen, im Winter<br />
mitunter gefährlichen Weges, teils wegen der strengen<br />
Kälte, in welcher den langen Weg zu machen den meistens<br />
leicht und schlecht gekleideten Kindern nicht ohne<br />
Gefahr für ihre Gesundheit zugemutet werden<br />
kann . . . Der Unterricht in Ebingen wird nämlich<br />
von 11 bis 12 Uhr erteilt. Um den IV2 stündigen Weg in<br />
die Stadt zurückzulegen, müssen die Kinder um 9 Uhr in<br />
Bitz abgehen, kommen dann um 11 Uhr in Ebingen an<br />
und werden um 12 Uhr wieder entlassen, verzehren<br />
dann ihr Mittagsbrot, das sie bei sich haben, suchen da<br />
und dort bei einem Bekannten eine warme Stube, kommen<br />
um 1 Uhr wieder aus der Stadt und um 3 Uhr nach<br />
Bitz. So ist für sie der Schulunterricht fast ganz verloren.<br />
Um dieser Umstände willen muß der Konfirmandenunterricht<br />
größtenteils durch den Schulmeister gegeben<br />
werden." Erst der Konsistorialerlaß vom<br />
16. März 1841 brachte die Errichtung einer besonderen,<br />
vorerst durch einen Verweser zu versehenden Pfarrei.<br />
Damit hatte die Zähigkeit der Bitzer, denen die Ebinger<br />
22<br />
1832 eine „übertriebene Wertschätzung zeitlicher Güter<br />
und eine daraus hervorgehende Verschmitztheit im Handel<br />
und Wandel" nachsagten, endgültig ihre Ziele erreicht.<br />
Die Freude ob der Steig war groß, und Bitz<br />
konnte sich als Sieger fühlen.<br />
Wenn G. Hummel in der „Geschichte der Stadt Ebingen"<br />
erzählt, Ebingen habe für die 23 000 Gulden Abkaufsumme<br />
auf dem Ziegelplatz einen „arthesischen<br />
Brunnen" erbohren wollen, allerdings ohne Erfolg, und<br />
es sei deshalb das Wort umgelaufen, Ebingen habe Bitz<br />
auf dem Ziegelwasen „vergraben", so war Bitz durchaus<br />
nicht tot; vielmehr war es so, das Dorf Bitz mit seinen<br />
Bewohnern lebte jetzt erst auf.<br />
Die Hüle als Dorfmittelpunkt<br />
Nach 1832<br />
Die 40er und 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts waren<br />
zwar noch sehr mager, so daß viele Bitzer nach<br />
Amerika auswanderten. Aber dann begann der wirtschaftliche<br />
Aufstieg.<br />
Die Bitzer sind ein sehr fleißiges, umtriebliches Völklein<br />
und ringen auch dem magersten Boden noch erstaunlich<br />
hohen Ertrag ab. Das Land freilich in 800-900 m Höhe<br />
hätte nicht den Wohlstand bringen können, denn die<br />
Bitzer sind zwar „steinreich", aber wasserarm. Ohne die<br />
Industrie, die sich in den 60er und den folgenden Jahren<br />
entwickelte, wäre es nicht gegangen. Und hier waren es<br />
wieder die Ebinger, die sich des großen Fleißes, der Ordnungsliebe<br />
und Pünktlichkeit und des Sparsamkeitssinnes<br />
der Bitzer erinnerten und daher Verbindung mit der<br />
hochgelegenen Gemeinde aufnahmen. Allerdings diesmal<br />
in anderer Richtung.<br />
Anfang der 60er Jahre hatte Theodor Groz in Ebingen<br />
die Herstellung von Korsettschließen aufgenommen. Da<br />
er diesen Artikel nicht in größeren Mengen liefern koryite,<br />
wandte er sich an den Mechaniker Karl Theodor<br />
Beck in Bitz und veranlaßte diesen zur Herstellung von<br />
Schließen. Beide arbeiteten daran, die Metallschließen in<br />
immer größeren Mengen und auf immer vollkommenere<br />
Weise herzustellen. Sie konnten dabei auch etwa zehn<br />
Jahre ein gutes Geschäft machen. Inzwischen waren aber<br />
die Rundwirkmaschine und die Strickmaschine erfunden,<br />
die größere Mengen Nadeln benötigten. Und diese Nadeln<br />
wurden für Bitz von größter Bedeutung.<br />
Theodor Groz, der bisher schon die Nadeln für die<br />
Strumpfwirkstühle geliefert hatte, wandte sich sofort der<br />
Herstellung der neuen Nadeln zu. Beck fertigte dazu die<br />
ersten einfachen Werkzeuge, bis der Mechaniker Ferdinand<br />
Binder in Ebingen mit der Herstellung der erforderlichen<br />
Werkzeuge und Maschinen zur Nadelfabrikation<br />
betraut wurde. Beck konnte nun seine ganze Kraft<br />
der Nadelfabrikation widmen; Groz stellte Maschinen<br />
und Material und Beck lieferte die Fertigwaren an Groz.
1884 konnte Beck ein größeres Fabrikgebäude in der<br />
Kirchgasse erstellen und mit einer Dampfmaschine ausstatten,<br />
Groz 1890 das Anwesen des von Ebingen zugezogenen<br />
Friedrich Rehfuß im „Gäßle" käuflich erwerben.<br />
Damit war eine räumliche Ausdehnung ermöglicht.<br />
Schon 1885 ließ Groz eine Telefonleitung nach Bitz bauen.<br />
1895 wurde dann der Betrieb Beck von der Firma<br />
Groz und Söhne ganz übernommen. Und dieser Betrieb<br />
entwickelte sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte zu<br />
einem bedeutenden Großunternehmen.<br />
Bis vor einem Vierteljahrhundert waren viele Bitzer noch<br />
Industriebauern.<br />
DR. MAREN KUHN-REHFUS<br />
Die „Gäßlefabrik" wurde 1901 an die Firma Linder &<br />
Schmid Ebingen verkauft. Damit faßte nämlich neben<br />
der Feinmechanik auch die Textilindustrie in Bitz Fuß.<br />
Später entstanden im Ort weitere ähnliche Betriebe. Die<br />
Industrie hat nicht nur die soziale Struktur und das ganze<br />
Wirtschaftsleben des Ortes umgestaltet, sondern auch<br />
das Bild des alten Dorfes überformt. In auffallender<br />
Konzentration erheben sich heute um den Kirchhügel die<br />
stattlichen, vielfenstrigen Werkbauten der Nadelfabrik,<br />
der Textilfabriken sowie der Waagenfabrik. An sie<br />
schließen sich dann die modernen Wohnbezirke. Der Ort<br />
zeigt das Abbild einer stürmischen Aufwärtsentwicklung<br />
der letzten Jahrzehnte.<br />
Seit das 884 m hoch gelegene Albdorf seine politische<br />
Freiheit hat und vom einstigen Bauerndorf zur Industriegemeinde<br />
wurde, konnte es die bebaute Fläche um<br />
ein Vielfaches vergrößern und von 700 auf weit über<br />
3000 Einwohner anwachsen. Der Fremde, der von Ebingen<br />
oder Freudenweiler herkommend das frei gelegene,<br />
saubere Dorf mit seinen roten Dachziegeln zum erstenmal<br />
erblickt, vermeint, es sei eine Neuanlage. Niemand<br />
sieht dem schmucken Dorf an, daß es lange Zeit zu den<br />
ärmsten Dörfern des Landes zählte, in dem eine magere<br />
Landwirtschaft vorherrschte und Kräutersammeln und<br />
Stricken den Frauen; Weben, Dreschen bei Einheimischen,<br />
Erntehilfe bei auswärtigen Bauern den Männern<br />
meist nur zeitweiligen und spärlichen Nebenverdienst<br />
gaben. Eine harte Vergangenheit hat reife Früchte getragen!<br />
Die Parolen der französischen Revolution in volkstümlichen Versen<br />
Ein Quellenbeispiel<br />
Nachdem im Januar 1793 neben anderen europäischen<br />
Staaten auch das Deutsche Reich dem von Österreich<br />
und Preußen schon zuvor geschlossenen Bündnis gegen<br />
das revolutionäre Frankreich beigetreten war, stand weiten<br />
Kreisen der Bevölkerung in den einzelnen deutschen<br />
Staaten die ständige Gefahr vor Augen, aktiv in den<br />
Kampf mit Frankreich verwickelt zu werden.<br />
In dieser Situation wurde von unbekannter Seite versucht,<br />
durch Verse auf Tabaksdosen, die von über Land<br />
wandernden Krämern hauptsächlich an kleinbürgerliche<br />
Städter und an die Landbevölkerung verkauft wurden,<br />
Stimmung gegen den Krieg mit Frankreich zu machen<br />
und die berühmten Parolen der französischen Revolution<br />
„Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" den breiten Schichten<br />
nahezubringen. Ob diese volkstümlichen Sprüche, in<br />
mehr als holprige Verse gesetzt, und die in ihnen ausgedrückte<br />
schlichte Vorstellungswelt bei den angesprochenen<br />
Bevölkerungskreisen wirklich den erhofften Zweck<br />
erfüllten, muß bezweifelt werden. Dennoch hielt die<br />
Verwaltung der vorderösterreichischen Lande es für nötig,<br />
durch eine an alle unterstellten Behörden gerichtete<br />
Rundverfügung einzugreifen, nach den Tabaksdosenhändlern<br />
zu fahnden und den Verkauf zu unterbinden.<br />
Solche Vorfälle wie der des Jahres 1793 in Villingen<br />
hätten durchaus als Vorlage für Heinrich Heines späteres<br />
politisches Gedicht „Erinnerungen aus Krähwinkels<br />
Schreckenstagen" dienen können.<br />
Das in Stockach amtierende Oberamt der vorderösterreichischen<br />
Landgrafschaft Nellenburg, eine Mittelinstanz<br />
der österreichischen Verwaltung, sandte am<br />
9. März 1793 an die ihm unterstellten Herrschaften und<br />
Unterbehörden folgende Verordnung, die sich als Abschrift<br />
im Staatsarchiv Sigmaringen unter der Signatur<br />
Neuverzeichnete Akten II 2087 befindet:<br />
„Die hohe Landesstelle [die Regierung für Vorderösterreich<br />
in Freiburg] hat uns mittelst Reskripts vom 4. dieses<br />
[Monats] eine Abschrift aufrührerischer und aufwiegender<br />
Verse zugeschickt, welche auf Tabaksdosen geschrieben<br />
in der Gegend von Villingen, auch in dem Hegäuischen<br />
und Hohenbergischen durch Landkrämer verkauft<br />
worden sein sollen.<br />
Da der Inhalt dieser Verse bedenklich ist und durch derselben<br />
Verbreitung widrige Folgen entstehen könnten, so<br />
wird in der Anlage eine Abschrift gedachter Verse mitgeteilt,<br />
um auf die Verkäufer sowohl als die Verbreiter<br />
sorgsame Aufsicht zu tragen, solche - wie und wo immer<br />
sie angetroffen werden - zu unterdrücken, jene in<br />
Verhaft zu nehmen, zu konstituieren [Untersuchungen<br />
anstellen] und den weiteren Erfolg anher berichtlich anzuzeigen.<br />
Ex constitfutioni] des k[aiserlich]<br />
k[öniglichen] Oberamts<br />
Stockach am 9. März 1793"<br />
In der Anlage zu dieser Verordnung wurde neben dem<br />
Text der beanstandeten Verse auch die Abschrift eines<br />
anonymen Briefs mitgesandt, dessen Absender die Sache<br />
erst ins Rollen gebracht hatte:<br />
„Insonders geehrter Herr Wirt!<br />
Geht hin und zeigt's dem Magistrat an, es werden auf<br />
dem Land herum nagelneue Tabaksdosen um Spottgeld<br />
verkauft, inwendig am Deckel sind allerlei wunderliche<br />
Verse zu lesen, die kuriose Sachen verursachen können.<br />
23
Ich habe in Eil, da der Krämer am Ofen zu hat geschlafen,<br />
in Eil etliche Verse abgeschrieben, wie folgen tut.<br />
Ich ermahne also Euch gütlich, dem Magistrat anzuzeigen,<br />
daß nichts ungerades entstehe.<br />
Ein Untertan in Villingen, den 8. Februar 1793<br />
Wie ich hör, sollen in dem Fürstenbergischen und im<br />
Hegau und im Hohenbergischen gar viel verkauft worden<br />
sein davon."<br />
Die „aufwieglerischen" Verse auf dem Innendeckel der<br />
Tabaksdosen, die den braven Villinger Untertan so erschreckten,<br />
daß er eine Anzeige zwar für erforderlich<br />
hielt, sich selbst aber nicht zu exponieren traute, lauteten<br />
folgendermaßen:<br />
1. Dose: „Die Menschen sind sich alle gleich,<br />
Adelsstolz ist nichts als Narrenstreich,<br />
Der Tugendhafte bloß allein<br />
Verdient geschätzt zu sein."<br />
2. Dose: „War nur kein Edelmann auf Erden,<br />
Dann wird es bald auch besser werden."<br />
3. Dose: „Viel werden das Schlucken wohl vergessen.<br />
Die die Franken 1 wollen fressen."<br />
4. Dose: „Was wird der Deutsche damit gewinnen,<br />
Wann er die Franken 1 hilft bezwingen?<br />
Er wird nach wie vor ein Sklav halt sein.<br />
Wohl besser wär's, er bleibt daheim."<br />
5. Dose: „Deutsche!<br />
Was gebt ihr doch nur Geld und Kinder her.<br />
Wollt ihr aus Franken 1 neue Sklaven machen?<br />
Seht doch auf euren eignen Herd<br />
Und mischt euch nicht in fremde Sachen."<br />
6. Dose: „Wahrlich, Gott im Himmel hat die Franken 1<br />
auferweckt,<br />
Daß des Adels Übermut wird das Ziel<br />
gesteckt."<br />
JOHANN ADAM KRAUS<br />
Von der Hainburg und ihrer Kapelle<br />
Das haben wir Unterprimaner des Sigmaringer Gymnasiums<br />
im Juli 1921 nicht ahnen können, daß einer von<br />
ihnen nach über 50 Jahren sich mit der Vergangenheit<br />
eines Burgplatzes beim Unteren Homburger Hof der<br />
Markung Grosselfingen befassen würde. Wir standen damals<br />
mit unseren beiden Lehrern Kalbhenn und Alb.<br />
Müller anläßlich einer geologischen Wanderung durch<br />
den Schwarzwald vor den Ruinen der ehemaligen Hainburg.<br />
In fünftägigem Fußmarsch hatten wir die Orte<br />
St. Georgen, Triberg, Nußbach, Schramberg, Schapbach,<br />
Kniebis, Freudenstadt, Dornstetten, Neckarhausen, Dehlingen,<br />
Weildorf, Haigerloch und Owingen besucht und<br />
nach Besichtigung der alten Weilerkirche in Oberowingen<br />
die Höhe gegen Osten erklommen und fanden einen<br />
kleinen Bergvorsprung ins Eyachtal, den zwei Quellarme<br />
eines Seitenbächleins des Sägentäles aus der Terrasse des<br />
Stubensandsteins herausgeschnitten hat. Der Vorsprung<br />
fällt nach drei Seiten steil ab und ist auf der vierten Seite<br />
gegen den genannten Hof hin durch einen tiefen<br />
Halsgraben vom Hinterland getrennt. Bei Anlegung dieses<br />
Grabens hat man zweifellos die Sandsteine zum verhältnismäßig<br />
kleinen Burgenbau genommen, wie Michael<br />
Walter bei seiner ausführlichen Würdigung der Hainburg<br />
dartat 1 . Noch ragt die mächtige, 3 m starke<br />
Schildmauer gegen Nordosten etwa 10 m hoch<br />
und 19 m lang empor, teils mit schönen Bossenquadern<br />
24<br />
7. Dose: „Es ist und bleibt halt immer wahr,<br />
Bei großen Höfen ist die Tugend rar."<br />
8. Dose: „Bei Prinzen und Edelleuten in Franken 2<br />
War Pracht und Übermut ohne Ziel und<br />
Schranken.<br />
Der Bauer ward gepreßt, gedrückt, geplagt,<br />
Mit Recht hat er das äußerste jetzt gewagt."<br />
9. Dose: „Bauer, warum bist du so mager und so schmal,<br />
So dürr, so hager und so rahn?<br />
Hm, der Herren Opera, Komödia, Ball,<br />
Die sind wahrlich schuld daran."<br />
10. Dose: „Wenn ein Monarch auch so viel hat<br />
Wird er dennoch niemals satt:<br />
Stehn Millionen Menschen unter seinem Joch,<br />
So will er doch Millionen noch."<br />
11. Dose: „Nicht die Mäuse, auch nicht die Ratten,<br />
Nur die Edelleut und Aristokraten<br />
Machen, daß Gott erbarm!<br />
Land und Leute so arm."<br />
12. Dose: „Das ist doch eine üble Sache,<br />
Daß die Geburt Regenten mache.<br />
Daher kommen Herrscher und Regenten<br />
Ohne Verstand, Weisheit und Talenten."<br />
13. Dose: „Glücklich, die in freien Ländern wohnen,<br />
Wo keine Fürsten, Grafen und Barone."<br />
14. Dose: „Daß doch die Könige und Monarchen<br />
Der Menschen Leben so wenig achten<br />
Und nur Krieg auf Kriege häufen<br />
Und ganze Kriegsscharen in Blut ersäufen."<br />
15. Dose: „Ach Gott im Himmel sieh doch auf die Erde!<br />
Schaff, daß des Adels Brut bald zerstöret<br />
werde."<br />
1 Franzosen<br />
2 Frankreich<br />
mit Randschlag, im übrigen unregelmäßigen Verband<br />
aus Sandstein erbaut. Das Tor hat eine Weite von 2,60 m.<br />
An der rechten Torseite ist die Öffnung zum Einschieben<br />
des Verschluß-Riegelbalkens zu erkennen. Auch<br />
auf der Südwestseite sind noch einige Mauerreste vorhanden<br />
und am Steilabfall des Berges, etwas tiefer als<br />
der Hauptbau, sind noch Reste der Ringmauer sichtbar 2 .<br />
Doch damals interessierten uns die vorhandenen Trümmer<br />
wegen Müdigkeit nur nebenbei, mehr dagegen die<br />
würzige Erbensuppe, die auf dem erwähnten Hof die<br />
Verschwägerten Kalbhenns uns freigebig spendierten.<br />
Der Platz liegt etwa 2,5 km westlich von Grosselfingen,<br />
530 m hoch in ziemlicher Abgeschiedenheit. Es ist die<br />
ehemalige „Vestin Hainburg", die später mundartlich zu<br />
Huenburg und Homburg wurde, wovon auch der Hof<br />
seinen Namen hat. Nach Walters anderen Ausführungen<br />
3 könnte der Name Hainburg aus „Hagenburg"<br />
entstanden sein, so wie im 14. Jahrhundert in Norddeutschland<br />
das Wort Hagenbuche zu Hainbuche wurde.<br />
Hagen bedeutet ursprünglich eine Dornhecke und dann<br />
einen „eingehagten Wald". Im Jahre 1225 nannte sich<br />
ein niederadeliges Rittergeschlecht, das um Grosselfingen-Weilheim<br />
begütert war, „von Hagenbach", das vielleicht<br />
schon damals an dieser Stelle seinen Sitz hatte. Das<br />
Zwischenglied „bach" müßte dann freilich ausgelassen<br />
worden sein. Graf Friedrich von Zollern 4 , der im Jahre
1328 Viztum (Güterverwalter) des Bistums Augsburg<br />
war und sich „Clericus" nannte (ohne höhere Weihen<br />
also!), war 1313 laut seines Siegels Kirchherr einer Marienkirche,<br />
vermutlich von Killer 5 , von 1325 bis 1360<br />
aber Kirchherr von Pfullingen (mit einer Martinskirche!)<br />
und 1339 Administrator oder „gewalthabender Pfleger"<br />
für seine Stammesvettern auf der Zollerburg 3 . Er erscheint<br />
in einer Urkunde vom 19. Juni 1344 als Verwandter<br />
dreier Zollergrafen und heißt hier: „der Alte,<br />
dessen (Eigentum) die Hainburg ist" 5 . Dies war die erstmalige<br />
Nennung der Hainburg. Walter vermutet in diesem<br />
Friedrich den Erbauer der Burg als einen Jagdsitz.<br />
Am 13. November 1348 verzichtete er auf der Hainburg<br />
auf alle Erbansprüche, die er von seiner Mutter her an<br />
das Haus Baden zu machen hatte 5 . Noch am 15. Dezember<br />
1360 wird er aufgeführt als „Graf Friedrich von<br />
Ruine Hainburg Foto: Hans Landenberger<br />
Zollern der älter, ehemals Viztum von Augsburg, jetzt<br />
Herr in Castro (Burg) Hainburg". Dagegen lebte er 1362<br />
nicht mehr. Walter hat mit dem ihm eigenen Scharfblick<br />
den 15. Dezember 1361 als Todestag aus dem Nekrolog<br />
des Klosters Stetten erschlossen 3 . Es darf angenommen<br />
werden, daß bei dem alten Herrn und seinen zahlreichen<br />
adeligen Besuchern und Verwandten neben dem Hausgesinde<br />
auf dem anschließenden Bauernhof und dem<br />
Schlößlein ein prunkvoll höfisches Leben geherrscht hat.<br />
Bei der zollerischen Erbteilung im Jahre 1362 erhielt<br />
Gr. Friedrich der junge Schwarzgraf u. a. die Hainburg<br />
mit Besitz zu Grosselfingen, Owingen und Stetten<br />
b. Haigerloch, und am 1. März 1379 5 war seine Witwe<br />
Adelheid von Hohenberg Inhaberin der Burg. Uber die<br />
Angabe eines Verzeichnisses von ca. 1370 in den Mon.<br />
Hohenbergica Nr. 889 „Hainburg in Hand der Zollern<br />
sei hohenbergisches Lehen" haben Zingeler 6 und Walter<br />
Überlegungen angestellt. Doch fragt sich, ob der Eintrag<br />
nicht irrig war. Ums Jahr 1387 saß ein Burkart von Reischach<br />
zu Hainburg, die er mit Grosselfingen pfandweise<br />
innehatte. Er starb 1389 und wurde in Bohlingen (Konstanz)<br />
beerdigt Eine mit Ritter Burkart von „Hainburg"<br />
im Jahre 1450 verheiratete Anna von Stain heißt<br />
später als Witwe „von Homburg, geborene von Stain",<br />
gehörte also wohl nach Homburg am Bodensee.<br />
In der Folge hört man 30 Jahre zwar von Streubesitz<br />
Ulrichs von Lichtenstein und seiner Verwandten Hans<br />
und Reinhard v. L. zu Grosselfingen, Owingen, Stetten,<br />
Weilheim, der 1401 käuflich an die Weitinger Adeligen<br />
kam, aber nichts von der Hainburg. Sie war offenbar<br />
bedeutungslos geworden, vielleicht zerstört oder zerfallen,<br />
eben ein Burgstall, wie die Zimmerische Chronik<br />
jede Burgruine bezeichnete 7 . Sie erzählt, Konrad von<br />
Bubenhofen, der dem bekannten schwäbischen Adelsgeschlecht<br />
(1190-1814) aus dem Bubenhofer Tal bei Binsdorf<br />
angehörte und seit 1418 zu Grosselfingen begütert<br />
genannt wird, habe im Jahre 1420 das Schloß Hainburg<br />
wieder neu erbaut, was wohl stimmen dürfte, wenn auch<br />
das Jahr selber nicht über alle Zweifel erhaben ist. Walter<br />
glaubt, der wehrhafte Charakter der noch erhaltenen<br />
Reste gehe auf diese Wiederherstellung zurück. Er gibt<br />
von 1420 bis 1522 für Hainburg drei Bubenhofer Herren<br />
an: Konrad I., Konrad II. und endlich Hans Henrich,<br />
der ihm als Gründer des bekannten Grosselfinger Narrengerichtes<br />
gilt l . Dieser starb 1522 und wurde im Kloster<br />
Bebenhausen begraben. Ein Spurius der Bubenhofer<br />
von Hainburg dürfte jener Konrad Haimburger von<br />
Grosselfingen gewesen sein, der am 17. November 1487<br />
auf die Frühmesse des Marienaltars zu Unterowingen<br />
durch Hans Heinrich v. B. präsentiert wurde. Er resignierte<br />
bereits im Jahr darauf und wurde Pfarrer zu<br />
Grosselfingen 8 . Laut Zimmerischer Chronik hat Konrad<br />
von Bubenhofen einen Bauern namens Scharpf aus<br />
Owingen auf sein Schloß Hainburg geschleppt, ohne ihn<br />
dem gerechten Gericht zu überlassen. M. Dunker hat dieses<br />
Ereignis ins Jahr 1465 gesetzt, als er sich ausführlich<br />
über die ganze Familie der Bubenhofer verbreitete 9 . Der<br />
Bruder Hans Heinrichs v. B., Matthäus, war Domherr<br />
und dann Dekan zu Konstanz (tot 1526), hatte als Erbe<br />
nicht viel Interesse an dem abgelegenen Bürgle und veräußerte<br />
„Homburg, das Schloß und den Schafhof dabei"<br />
an Hans von Weitingen am 25. November 1522 um 7500<br />
Gulden 10 . Dieser Hans kommt in der Folge öfter in Urkunden<br />
als Bewohner der Hainburg vor. Er übergab jedoch<br />
1529 das Schloß mit dem Maierhof und allem Zubehör<br />
seinem Sohn Hans Jörg, was eine Grenzbeschreibung<br />
des Besitzes mit der Gemeinde Grosselfingen zur<br />
Folge hatte. Doch schon ein Jahr darauf bot Hans (der<br />
Vater) alles wieder um 5913 Gulden dem Freiherrn Georg<br />
von Hewen an. Eine genaue Beschreibung liegt vor,<br />
obwohl aus den Verhandlungen nichts wurde. Schon<br />
1531 wohnte Hans von Weitingen im früher Bubenhofen'schen<br />
Schloß zu Grosselfingen, und am 3. November<br />
1534 veräußerte er endgültig dem Fritz Jakob von<br />
Anweil, badischem Landvogt zu Rötteln, der bisher<br />
schon Mitinhaber der Dörfer Owingen und Stetten gewesen,<br />
das Schloß Hainburg mit Zubehör um 5300<br />
Goldgulden 10 . Dieser blieb jedoch nicht lange Inhaber<br />
Schon am 3. Februar 1539 gab er den gesamten Besitz<br />
mit Hainburg um 10 460 Gulden ab an den Grafen Jos<br />
Nikiaus von Zollern 10 .<br />
Beim Hause Hohenzollern, das 1623 die Fürstenwürde<br />
erhielt, sollte die Hainburg bis in unsere Tage bleiben,<br />
doch deren schöne Tage waren vorbei. Im Jahr 1589<br />
wird noch ein hohenzollerischer Burgvogt hier erwähnt,<br />
der dann als solcher 1603/5 Kaspar Schwab hieß 11 . Im<br />
schrecklichen Pestjahr 1610 starb im Schlößlein Homburg<br />
der 13jährige Hugo Heinrich von Lichtenstein, der<br />
Sohn des fürstlichen Rates und Hofmeisters zu Hechingen<br />
12 . Im 30jahrigen Krieg sollen die Widerhold'schen<br />
Horden vom Hohentwiel hier übel gehaust haben, wiewohl<br />
das unsicher ist. Die letzte Nachricht über das<br />
Schloß Homburg läßt tief blicken: Im Jahre 1656 gestattete<br />
das fürstlich hohenzollerische Oberamt in He-<br />
25
chingen einem Heinrich dem Dirken (wohl mit Namen<br />
„Türck") „gewestem Soldat auf Zollern", daß er sich<br />
noch diesen Winter über in dem Schloß zu Homburg<br />
aufhalten konnte. Das für den Hausbrand nötige Holz<br />
durfte er auf den verwachsenen Äckern der Brandhalde<br />
hauen und mußte auf Georgentag drei Gulden als Pacht<br />
bezahlen 13 . Offenbar war das Schlößle nicht mehr in<br />
bestem Zustand und galt praktisch als überflüssig, so daß<br />
man es dem armen Veteran als Unterschlupf überließ.<br />
Nicht lange hernach wird es verlassen und als Steinbruch<br />
benutzt worden sein.<br />
Im Jahre 1745 wurde unweit der Ruine eine Scheuer<br />
samt Wohnhaus und Viehstall, wohl an Stelle des alten<br />
Schafhofes, erbaut, eine „Schwyzerey mit Käsküche und<br />
Obstdarre eingerichtet. Nach Walter sei damals auch<br />
eine neue Kapelle in Nähe des Haupteingangs erbaut<br />
worden, in der monatlich eine hl. Messe gelesen werden<br />
durfte. Diese Kapelle (die den Hl. Drei Königen geweiht<br />
war, wie wir später sehen werden) dürfte jedoch schon<br />
von früher her bestanden haben. Dieses Patrozinium<br />
scheint nicht erst ins 18. Jahrhundert zu weisen 13 *.<br />
Auch die Kapellen der Ehrenburg und Guttenburg am<br />
Neckar stehen außerhalb der Innenburg, und die Nikolauskapelle<br />
der 1448 zerstörten Feste Hohenberg bestand<br />
noch nach 300 Jahren! Auf einem Lageplan von Georg<br />
Ad. Rübel des Jahres 1776 1 ist die Kapelle zu sehen.<br />
Heute findet sich nichts mehr davon, wie aus der Beschreibung<br />
bei Zingeler hervorgeht 6 .<br />
Urkundliche Hinweise auf die Burgkapelle finden sich,<br />
wenn auch nicht sehr zahlreich. Am 1. Juni 1470 wurde<br />
Heinrich Vögeli von Rosenfeld durch den Burgherrn<br />
Konrad von Bubenhofen als Kaplan für die Hainburg,<br />
Pfarrei Weilheim, präsentiert 14 (Grosselfingen wurde<br />
erst 1472 abgeteilt und selbständige Pfarrei). Ums Jahr<br />
1513 haben Margaretha von Bubenhofen und ihr geistlicher<br />
Sohn Matthäus, der Konstanzer Kanoniker, vom<br />
Bischof Hugo v. Konstanz die Erlaubnis erwirkt, für die<br />
Aufbewahrung des Allerheiligsten in der konsekrierten<br />
Kapelle zu Hainburg, und zwar in der Oktav von Fronleichnam,<br />
weil damals eine Krankheit umging 15 . Interessant<br />
sind die dabei gestellten Bedingungen. Offenbar hat<br />
die Dame auf Hainburg gewohnt und scheute den Weg<br />
zur Pfarrkirche nach Oberowingen, wohin damals die<br />
Kapelle gehörte.<br />
Auch ums Jahr 1523 bewilligte Bischof Hugo am<br />
12. Oktober, daß im Schloß Hainburg das hl. Sakrament<br />
aufbewahrt werde 16 , und am 14. Juni des folgenden<br />
Jahres wurde Kaspar Pflanzer auf die Kaplanei Hainburg<br />
präsentiert nach Abgang des Vitus Walther (wohl<br />
von Grosselfingen), und zwar von Hans von Weitingen,<br />
dem neuen Herrn. Doch ist zu beachten, daß die Kaplanei<br />
damals nach Owingen verlegt war 17 . Eine letzte Urkunde<br />
vom Jahr 1784 über die Kapelle hat in unseren<br />
Tagen Herr Hans Landenberger (Grosselfingen) aus dem<br />
Dekanatsarchiv Hechingen bekannt gemacht. Am<br />
Anmerkungen<br />
1<br />
Blätter d. Schwab. Albvereins 1954, 30 f.<br />
2<br />
Ing. Hans Landenberger, Grosselfingen, in: Hohenzollerische<br />
Zeitung vom 15. Februar <strong>1975</strong>.<br />
3<br />
Zeitschrift f. Gesch. d. Oberrheins 1948, 309 f., 322.<br />
4<br />
Friedrich Nr. 437 in Genealogie des Gesamthauses Hohenzollern<br />
1905.<br />
5<br />
Mon. Zoll. I, SS 128, 164, 174, 200 und 234.<br />
0<br />
Zingeler-Buck, Zollerische Burgen etc. 1906, 85.<br />
,a<br />
Seine Witwe Adelheid v. Stain und ihr Sohn Burkart<br />
v. Reischach quittierten 1393 den Rückempfang der Pfandsumme<br />
(K. v. Knoblauch, Oberbad. Geschlechterbuch III,<br />
477).<br />
7<br />
Zimmerische Chronik II, 456: „Haimburg war vorhin ain<br />
26<br />
Burgstall gewesen".<br />
12. August jenes Jahres hat nämlich der Konstanzer<br />
Weihbischof und Generalvikar Wilhelm Joseph Leopold<br />
von Baden gestattet, daß auf einem vom Bischof geweihten<br />
Tragaltar in der zur Pfarrei Grosselfingen gehörenden<br />
„Kapelle der Hl. Drei Könige der Homburg" das hl.<br />
Meßopfer dargebracht werden darf. Der Kirchenfürst<br />
hielt sich anläßlich der Generalvisitation auf dem Lindich<br />
bei Hechingen auf, und die gegebene Erlaubnis dauerte<br />
bis zur nächsten Gen. Visitation. Die Erlaubnis soll<br />
in der Kapelle gut sichtbar angeheftet werden, andernfalls<br />
wäre sie null und nichtig. Die Urkunde ist besiegelt<br />
und unterschrieben vom Ehrenkaplan Joseph Anton<br />
Rickhermann. Bemerkenswert für uns heute sind die barocken<br />
Titel des Weihbischofs und seines Chefs: „Wilhelm<br />
Joseph Leopold, Freiherr von Baaden, durch Gottes<br />
und des Apostolischen Stuhles Gnaden Bischof von<br />
Milah (Algier), Kapitular der Kathedralkirche Konstanz,<br />
Kapitularkanoniker respektive Cantor von Augsburg,<br />
Generalvikar in Pontifikalhandlungen des hochwürdigsten<br />
und höchsten Vaters in Christo, des Herrn<br />
Maximilian Christophorus (von Rodt), von Gottes Gnaden<br />
Bischof von Konstanz, des hl. römischen Reichs<br />
Fürst, Herr von der Reichenau und Oehningen, Balleivorsteher<br />
und Protektor des hohen Ordens des hl. Johannes<br />
von Jerusalem".<br />
Hans Landenberger berichtet neuestens 2 : Am Nordostgiebel<br />
der Scheuer des Unteren Homburger Hofes von 1745<br />
befindet sich ein gekröntes Hohenzollernwappen samt<br />
der Jahreszahl. Da eine Burg ohne einen zugehörigen<br />
Wirtschaftshof mit Pferdeställen in der Nähe ehemals<br />
undenkbar war, dürften die Gebäude anstelle des früheren<br />
Schafhofes errichtet worden sein. „Am 5. Mai 1933<br />
ist das Wohnhaus des Hofes abgebrannt und die Scheuer<br />
brannte aus. Vom Wohnhaus ist das Kellergewölbe noch<br />
erhalten. Das Dach der Scheuer wurde unschön erneuert,<br />
vordem hatte sie ein Krüppelwalmdach."<br />
„Der Untere Homburger Hof samt der Ruine Hainburg<br />
ist vor wenigen Wochen (Februar <strong>1975</strong>) in Privathand<br />
übergegangen. Die gegebene Oase der Ruhe will der neue<br />
Besitzer zur Freizeitgestaltung benützen. Dem Vernehmen<br />
nach soll der Zugang zur Burgruine für Natur- und<br />
Wanderfreunde offen bleiben. 2 " Erwähnt sei, daß auch<br />
ein Teil des Haigerlocher Schlosses, das Straßberger<br />
Schloß, das Schlößle zu Neufra an der Fehla und die<br />
St. Luzenkirche vom hohenzollerischen Fürstenhaus in<br />
den letzten Jahren abgestoßen wurden.<br />
P. S. Von Interesse ist eine Mitteilung der Hohenzollerischen<br />
Zeitung vom 28. XII. 1967 bzw. 3.1.1968: „In<br />
Owingen wurde bis zum Jahr 1923 ein Jahrtag mit Vigil<br />
und zwei Messen gehalten für den „Grafen Sigismund<br />
von Hohenberg und Hainburg (f 1486) und seine Gattin<br />
Ursula von Rhäzüns (f 1477)". Die Stiftung dürfte mit<br />
der Hainburger Kaplanei zu Owingen zusammenhängen.<br />
Somit scheint der Graf S. von Hohenberg noch als Oberlehensherr<br />
der Hainburg gegolten zu haben.<br />
8 Krebs, Invest. Prot., in: Freib. Diöz. Arch. 1939, 644.<br />
9 Zeitschr. f. Württ. L. Gesch. 1937, 349.<br />
10 Mitt. d. Vereins f. Gesch. Hohenz. 8 (1874), 95 f., 99 u.<br />
101.<br />
11 Zollerheimat 1940, 7-8.<br />
12 Mitt. Hohenz. 31, 133.<br />
13 Zollerheimat 1939, 23-24 und Albv. Blatt. 1954, 31.<br />
,3 a Die Hl. 3 Könige sind z. B. Nebenpatrone der Burg Zollern<br />
schon im 12. Jahrhundert, wie die alte Reliefplatte in der<br />
Kapelle beweist.<br />
14 Zollerheimat 1938, 79.<br />
15 Hohenz. Heimat 1953, 47.<br />
16 Mitt. Hohenz. 8, 95.<br />
17 Zeitschrift f. Hohenz. Gesch. 1966, 121.
Oberlehrer i. R. Josef Wiest t Ein geschätzter Pädagoge und verdienter Heimatforscher<br />
Im 81. Lebensjahr verstarb mit Oberlehrer i. R. Josef<br />
Wiest ein hochqualifizierter Pädagoge und ein verdienter<br />
Heimatforscher, der weit über die Grenzen der Heimat<br />
hinaus einen Namen hatte. Die Stadt Gammertingen, der<br />
er mit einer zweibändigen Stadtgeschichte sein Lebenswerk<br />
vermachte, ernannte ihn für seine bleibenden Verdienste<br />
zum Ehrenbürger.<br />
Der gebürtige Rangendinger besuchte nach der Volksschule<br />
die frühere Präparandie in Hechingen und anschließend<br />
das königlich-preußische Lehrerseminar in<br />
Boppard am Rhein, an dem er 1914 auch die erste<br />
Staatsprüfung für das Lehramt ablegte. Anschließend<br />
startete er seine Berufslaufbahn als Lehrer in seinem<br />
Heimatort Rangendingen, wurde jedoch schon nach<br />
zwei Monaten zum Kriegsdienst eingezogen.<br />
Nach dem Ende des ersten Weltkrieges fand Josef Wiest<br />
seine erste richtige Anstellung als Lehrer in Wilflingen<br />
bei Rottweil. Bereits 1920 führte ihn dann sein Berufsweg<br />
nach Gammertingen, das für ihn und seine Familie<br />
für 40 Jahre zur zweiten Heimat werden sollte. Als engagierter<br />
Pädagoge und vielseitig interessierter Mann erwarb<br />
er sich bald das Vertrauen der Bevölkerung, war<br />
er als Lehrer und Schulleiter bei Kollegen, Eltern und<br />
Schülern geschätzt.<br />
Darüber hinaus prägte Oberlehrer Wiest das kulturelle<br />
Leben in der Stadt Gammertingen entscheidend mit. So<br />
stellte er sich in seiner Freizeit jahrzehntelang dem Kirchenchor<br />
und dem Männerchor als Dirigent zur Verfügung.<br />
Dies wußte der Männerchor mit der Ernennung<br />
zum Ehrendirigenten besonders zu würdigen. Daneben<br />
leitete Josef Wiest eine Gewerbeschule in Gammertingen,<br />
an der er auch selbst unterrichtete. Als leidenschaftlicher<br />
Heimatforscher widmete er sich auch eingehend der Er-<br />
MANFRED HERMANN<br />
forschung der heimatlichen Flora und gründete dazu<br />
eine Lehrerarbeitsgemeinschaft, die von 1923 bis 1930<br />
bestand.<br />
Insbesondere wußte sich der Verstorbene jedoch der<br />
Heimatgeschichte verpflichtet, einem Arbeitsgebiet, das<br />
ihn faszinierte und weder ruhen noch rasten ließ. Sein<br />
unermüdliches Schaffen über drei Jahrzehnte hinweg<br />
trug reiche Früchte. Mit den nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten<br />
erarbeiteten Werken „Geschichte der Stadt<br />
Gammertingen unter der Speth'schen Herrschaft 1524<br />
bis 1827" und „Geschichte der Stadt Gammertingen"<br />
machte er seiner Wahlheimat ein Geschenk von beispiellosem<br />
Wert. In Verbindung mit dem übrigen reichen<br />
kulturellen Wirken bildete dafür die Ernennung zum<br />
Ehrenbürger die verdiente Anerkennung. Der Würdigung<br />
bedarf außerdem seine 15jährige fruchtbare Tätigkeit<br />
in der Hauptschriftleitung der „Hohenzollerischen<br />
Heimat", die auch dank seiner Mitarbeit zu einer Fundgrube<br />
für den heimatgeschichtlich Interessierten geworden<br />
ist.<br />
Nach seiner Zurruhesetzung im Jahr 1960 kehrte Oberlehrer<br />
Wiest zusammen mit seiner Frau Balbine geborene<br />
Leins, mit der er noch im vergangenen Jahr die Goldene<br />
Hochzeit feiern konnte, in seine Heimatgemeinde Rangendingen<br />
zurück, wo er bereits 1952 ein Wohnhaus in<br />
der Heimgartenstraße gebaut hatte. Der geschätzte Pädagoge<br />
und profilierte Heimatforscher wird allen, die ihn<br />
kennengelernt haben, unvergessen bleiben. Die herzliche<br />
Anteilnahme eines großen Freundes- und Bekanntenkreises<br />
gilt seiner Ehefrau sowie seinen Kindern, von denen<br />
eine Tochter in Rangendingen als Konrektorin wirkt,<br />
während die andere in Tübingen verheiratet ist, und den<br />
beiden Söhnen, die als Oberstudienrat in Balingen und<br />
als Pfarrer in Stetten a.k.M. leben. Frick<br />
Josue Klingenstein (ca. 1595-1655), ein vergessener Maler des Frühbarock<br />
aus Trochtelfingen.<br />
Trotz der Kunstdenkmälerbände der Altkreise Hechingen<br />
und Sigmaringen 1 ist die Kenntnis der barocken<br />
Schnitzerei und Malerei hierzulande noch recht unbefriedigend.<br />
Unsere einheimischen Kirchen und Kapellen enthalten<br />
eine Fülle künstlerischen Materials, das nur oberflächlich<br />
gesichtet ist und nur in wenigen Fällen bestimmten<br />
Meistern zugeordnet werden konnte. Oftmals konzentrierte<br />
man die ganze Aufmerksamkeit auf die herausragenden<br />
Künstler und vergaß darüber die minder<br />
begabten lind weniger bedeutenden Kunsthandwerker,<br />
die doch einen wesentlichen Teil des Reichtums an<br />
schöpferischen Kräften ausmachten. Selbst wenn in den<br />
Kirchenrechnungen so vieler Pfarreien Maler und<br />
Schnitzer mit nebensächlichen Beschäftigungen aufgeführt<br />
werden, lohnt es sich dennoch, ihrem Leben und<br />
Werk nachzuspüren. Denn bei der Einordnung eines Bildes<br />
in einen künstlerischen Zusammenhang ist es wichtig<br />
zu wissen, welche Werkstätten dafür überhaupt in Frage<br />
kommen<br />
Ein bisher völlig unbekannter Name erscheint in den<br />
Heiligenpflege-Rechnungen (HR) der Martinskirche<br />
Trochtelfingen 2 zwischen 1630 und 1655; der des Malers<br />
Josue Klingenstein. Das hat mich gereizt, aus den<br />
dortigen Kirchenbüchern dessen Lebensdaten zu erheben,<br />
damit seine Person für uns Gestalt und Farbe gewinnt.<br />
Nach der Altersangabe beim Todeseintrag ist der Maler<br />
etwa 1595 geboren, wohl als Sohn des Jerg Klingenstein,<br />
der möglicherweise den gleichen Beruf besaß. HR 1584/<br />
85 enthält den Eintrag: „Item Jerg Klingenstein vom<br />
Crucifix ze leimen, zu mahlen und von St. Martin ußzestreichen<br />
x lb (Pfund) x ß (Schilling)". Andererseits hatte<br />
Jerg auch die Kirchenuhr zu richten und auszubutzen,<br />
dazu Fenster in der Kapelle vor dem Oberen Tor auszubessern.<br />
Vielleicht hatte man ihn auch als Mesner angestellt.<br />
Freilich dürfen wir in ihm keinen großen Künstler<br />
sehen. Denn 1598 hat der Riedlinger Maler Michael<br />
Sattler 3 die Ausmalung der Haidkapelle besorgt 4 , ein<br />
Auftrag, der jedenfalls die Fähigkeiten des Jerg Klingenstein<br />
überstieg. Nach der Ausbildung in der Werkstätte<br />
des Vaters zog wohl der junge Mann als Geselle in die<br />
weite Welt hinaus. Offensichtlich kam er dabei über den<br />
Bodensee bis nach Vorarlberg, denn von Feldkirch<br />
brachte Josue seine Braut Margaretha Felixe mit. Am<br />
7. 11. 1620 schlossen die beiden vor Pfarrrer und Dekan<br />
Martin Benkler 5 in Trochtelfingen die Sponsalien, kurz<br />
darauf die Ehe. Der Malersfamilie wurde eine ganze Anzahl<br />
Kinder geschenkt (» 1621/22 NN., f 17. 3. 1623;<br />
* 8.4. 1623 Martha; » 23.1.1626 Wolf Theoderich,<br />
t 30. 4. 1626; * im Februar Maria Salome; * 29. 5. 1629<br />
Clara, »Dez. 1631 Johann Jakob, » 10.6.1633 Magdalena,<br />
* 6. 11. 1635 Franziska, » 21.6.1738 Johanna,<br />
» 13. 5. 1643 Christina, » 13. 11. 1646 Johann Adam und<br />
27
» 1. 8. 1648 Franz). Es ist bemerkenswert, daß zwischen<br />
1635 und 1646 die Frau des Obervogtes Georg<br />
Schweizer, Elisabeth Schweizerin, zum Zeichen der Verbundenheit<br />
mit der Malerfamilie sich jeweils als Patin<br />
zur Verfügung stellte. Das spricht auch für das Ansehen<br />
des Josue Klingenstein innerhalb der Stadt Trochtelfingen.<br />
Übrigens scheint die Familie gut die schrecklichen<br />
Pestjahre 1630 und 1635 überstanden zu haben, die in<br />
Trochtelfingen einen hohen Tribut an Menschenleben<br />
forderten. Etwa 1648 bestellte man unseren Maler zum<br />
Mesner der St. Martinspfarrkirche, verschiedentlich erscheint<br />
er in der folgenden Zeit als Trauzeuge im dortigen<br />
Ehebuch. Der älteste Sohn Johann Jakob zeichnete<br />
sich offensichtlich durch besondere geistige Gaben aus,<br />
denn am 29. 10. 1653 schrieb er sich zum Studium der<br />
Rhetorik in die Matrikel der Universität Salzburg ein u .<br />
Schwerlich dürfte der Vater mehr die Priesterweihe seines<br />
Sohnes erlebt haben, denn ein plötzlicher Tod nahm<br />
ihm am 10. August 1655 den Pinsel aus der Hand. Das<br />
Trochtelfinger Totenbuch widmete ihm einen längeren<br />
Nachruf, vor allem ging es näher auf den merkwürdigen<br />
Tod des Josue Klingenstein ein 7 . Der etwa 60jährige<br />
Maler, seit sieben Jahre Mesner, habe, wie man allgemein<br />
annahm, neulich einen vergifteten Becher leergetrunken.<br />
Jedenfalls zerfielen rasch Verstand und<br />
Kräfte. Nachdem er sich fünf Tage niedergelegt<br />
hatte, verlöschte durch eine böse Macht sein Lebenslicht,<br />
ohne mehr durch eine Arznei Rettung zu finden. Kurz<br />
zuvor habe er am Jubiläumstag Papst Alexander VII.<br />
sowohl Büß- wie Altarsakrament empfangen, im Todeskampf<br />
konnte er nur noch die Krankensalbung erhalten.<br />
Sein Tod bereitete allen Trauer, da er sein Amt mit besonderer<br />
Sorgfalt versehen habe und im übrigen ein guter<br />
Mann gewesen sei. Offensichtlich führte die Witwe<br />
noch kurze Zeit die Malerwerkstätte weiter. - Der<br />
Sohn Johann Jakob erscheint wenig später als Kaplan<br />
im Heimatort, ab 1657 verwaltete er bis zu seinem Tod<br />
im Jahr 1698 die Pfarrei Oberstetten, seit 1671 war er<br />
sogar Dekan des Landkapitels Trochtelfingen 8 .<br />
Wenden wir uns der Tätigkeit des Malers zu, die durch<br />
die Ereignisse des 30jährigen Krieges und das Grauen<br />
der Pestzeit sicherlich stark eingeschränkt wurde. Allerdings<br />
dürfte Klingenstein an der Neuausstattung mancher<br />
Kirche und Kapelle nach 1648 beteiligt gewesen<br />
sein, da es vieles in Stand zu setzen galt. Meist sind es<br />
bescheidene Aufträge, die in den Trochtelfinger Heiligenpflege-Rechnungen<br />
genannt werden. HR 1630/31:<br />
„Item Josue Klingensteinen Mahlern vor Arbait bezahlt<br />
32 xr. Item Josue Klingensteinen Mahlern vor daß Gätter<br />
in der Kirchen anzustreichen geben 2 fl". HR 1631/<br />
Anmerkungen:<br />
1 Die Kunstdenkmäler Hohenzollerns, hgbn. von Walther<br />
Genzmer - Bd. I, Kr. Hechingen, Hechingen 1939 - Bd.<br />
II, Kr. Sigmaringen, Stuttgart 1948.<br />
2 Im Pfarrarchiv Trochtelfingen.<br />
3 Dieser bisher unbekannte Meister malte 1598 die Haidkapelle<br />
aus: „Jtem Michael Sattlern Malern von Riedlingen<br />
von der Haid Cappel zu malen, für färben und alles andere<br />
1 C XXXV lb. xß." (HR Trochtelfingen). Ebenso hatte er<br />
1604 für die neuerbaute Pfarrkirche in Neufra den Hochaltar<br />
zu fassen, den der Schreiner Martin Kadus von Mengen<br />
angefertigt hatte (Rechnung über Einnahmen und <strong>Ausgabe</strong>n<br />
zum Kirchenneubau 1603-05, im Pfarrarchiv Neufra). Sein<br />
Sohn war sicherlich der Maler Johann Jacob Sattler in<br />
Riedlingen, der sich am 13. 6. 1617 mit Maria Anna Rapp<br />
verheiratete und bis 1630 mit acht Kindern im Riedlinger<br />
Taufbuch verzeichnet ist. Von Michael Sattler stammt wahrscheinlich<br />
das gemalte Rollwerk um die Langhausfenster der<br />
Trochtelfinger Pfarrkirche, das typische Renaissanceformen<br />
um 1600 zeigt.<br />
28<br />
32: „Item Josue Klingenstein Mahlern für die 3 Mergen<br />
außzustreichen l(aut) z(etel) 10 fl". Sollte damit die Neufassung<br />
der drei trauernden Frauen (Mergen-Marien) aus<br />
der Zeit des Weichen Stils (um 1430), die heute zu Füßen<br />
des mächtigen Kreuzes an der Chorwand der Pfarrkirche<br />
angebracht sind, gemeint sein? Jedenfalls handelte<br />
es sich um eine größere Arbeit. HR 1639/40: „Item dem<br />
„Jtem M. Josue Klingenstein von dem grab auszumachen,<br />
zalt 30 xr". HR 1645/46: „Jtem dem Mahler Josue<br />
Klingenstein vor die Uhrtafel zu mahlen 3 fl<br />
20 xr. Jtem M. Josue Klingenstein von dem Grab aufzurichten<br />
36 xr". HR 1647/48 „Josue M. Klingenstein<br />
mahlern bezahlt 1 fl 34 xr". HR 1650/51: „Josue<br />
Klingenstein mahlern 3 fl. Dem Mahler wegen aufmachung<br />
d. grabs 30 xr". HR 1652/53: „Jtem Josue<br />
Klingenstein dem mahler wegen etlicher Kirchenzierdt<br />
1 fl 34 xr". Damit könnte eine Hilfe des Malers bei der<br />
Aufrichtung zweier Altäre gemeint sein, die der Schreiner<br />
Mathäus Schoßer zu reparieren hatte. Sicherlich war<br />
eine teilweise Neufassung notwendig geworden. Im<br />
gleichen Jahr wurde auch an der Haidkapelle renoviert:<br />
„Jtem dem mahler von der Sonnen Uhr an der Haidt<br />
Capell zu ernewern zahlt 1 fl. Jtem Jhme ferner zahlt,<br />
so er an einem Altar in dise Capellen verdient 40 xr".<br />
Hier handelte es sich um einen Nebenaltar, den der vorgenannte<br />
Schreiner geschaffen hatte. Außerdem hatte<br />
„der Bildhauer von Hechingen" 9 von zwei Schachern<br />
einen repariert, den anderen ganz neu geschnitzt. Beide<br />
hatte Josue Klingenstein um 14 fl zu fassen. In HR<br />
1655/56 finden wir den letzten Hinweis auf unseren<br />
Maler bzw. seine Werkstatt: „Jtem Balthas Schnitzern<br />
vmb färben zur Sacristei und Beinhaus 1 fl 8 xr. Jtem<br />
der mahlerin in gleichem vmb färben anzumachen".<br />
Man könnte daraus schließen, daß die Witwe noch<br />
etliche Zeit durch einen Gesellen die Werkstatt weiterbetrieben<br />
habe.<br />
In der Zusammenschau der Aufträge erweist sich Josue<br />
Klingenstein mehr als Faß-, denn als Flachmaler. Um<br />
das tägliche Brot zu verdienen, dürfte er sogar öfters<br />
handwerkliche Anstreicherarbeiten durchgeführt haben.<br />
Immerhin mag er auch das eine oder andere Gemälde geschaffen<br />
haben. So könnte die älteste in Hohenzollern<br />
erhaltene Votivtafel der Gräfin Franziska Elisabeth von<br />
Fürstenberg von 1655 in der Haidkapelle Trochtelfingen<br />
10 von seiner Hand stammen. Allerdings ist das Bild<br />
nach der Restaurierung der Kapelle noch nicht an seinen<br />
alten Platz zurückgekehrt, so daß es an dieser Stelle nicht<br />
vorgestellt werden kann. Auch wenn für ihn keine belegte<br />
Arbeit mehr erhalten ist, soll Josue Klingenstein unter<br />
den ländlichen Kunsthandwerkern nicht vergessen sein.<br />
4 Vielleicht stammt die Ausmalung der Fensterlaibungen der<br />
Haidkapelle von Sattler. Vgl. Walther Genzmer, Denkmalpflege<br />
in Hohenzollern von 1959 bis 1965, in: Z. f. Hohz.<br />
Gesch., Bd. 1/1965, S. 191 f.<br />
5 Von 1612 bis zu seinem Tod am 29. Mai 1650, also während<br />
des ganzen 30jährigen Krieges Seelsorger in Trochtelfingen,<br />
ab 1617 auch Dekan. Friedrich Eisele, Zur Geschichte<br />
Trochtelfingens, in: Mitteilungen d. Vereins f. Gesch. in<br />
Hohenzollern, 42. Jhg/1908-09, S. 103 f.<br />
6 Maximilian Schaitel, Hohenzollerische Studenten in der<br />
Universität Salzburg (1639-1810), in: HH 1964, S. 56.<br />
7 ToBuch Trochtelfingen 1650-77.<br />
8 Friedrich Eisele, wie oben, in: Mitteilungen 47./49.Jhg/<br />
1913-16, S. 48. Johann Adam Kraus, Aus den Visitationsakten<br />
des ehem. Kapitels Trochtelfingen, in: Freib.<br />
Diöz. Archiv, Bd. 73/1953, S. 175 ff.<br />
9 Ein unbekannter Meister. Zachäus Taubenschmid war 1645<br />
gestorben. Lebte um diese Zeit noch Konrad Gilg, der 1627<br />
nach Burladingen eine Madonna lieferte?<br />
10 Kunstdenkmäler Hohenzollerns - II. Bd., Kr. Sigmaringen<br />
1948, S. 374 f.
Foto: Keidel-Daiker<br />
Am 25. April <strong>1975</strong> konnte in Burladingen-Melchingen<br />
Pfarrer Albert Waldenspul in großer geistiger Frische<br />
seinen 90. Geburtstag feiern. Den Freunden der hohenzollerischen<br />
Kunstschätze ist der Jubilar als Kunstgeschichtler<br />
wohlbekannt. Sein grundlegendes Werk ist die<br />
Bearbeitung der Kunstdenkmäler des ehemaligen Oberamtes<br />
Haigerloch in dem von Walther Genzmer herausgegebenen<br />
Kunstdenkmälerband von Hechingen (Hechingen<br />
1939).<br />
Schon früh hat sich in dem aus Klosterwald stammenden<br />
Theologen die Freude an der Kunstgeschichte gezeigt.<br />
Grundlegende Kenntnisse erwarb er sich bei Freiburgs<br />
geistlichem Kunstwissenschaftler Professor Dr. Joseph<br />
Sauer. Wen wundert es, daß er als junger Vikar von<br />
Veringendorf aus nach Tübingen zu Professor Dr. Georg<br />
Weise pilgerte, um in dessen Kunstseminar mitzuarbeiten.<br />
Weise setzte seine Studenten besonders auf die Erfassung<br />
aller gotischen Plastiken im schwäbischen Raum<br />
an. Fortan sah man den kunstbegeisterten Vikar, eine<br />
Plattenkamera im Rucksack verpackt durch das Laucherttal<br />
und über die anschließenden Höhen der Alb radeln,<br />
um gotische Madonnen und Heilige auf die Platte<br />
zu bannen. Auf diese Weise kam eine kostbare Fotosammlung<br />
zusammen, um die jedes kunstwissenschaftliche<br />
Seminar ihn beneiden würde und die manchem Buch<br />
als Illustrationsmaterial diente. Die Frucht seiner Mühe<br />
war das schmale Bändchen „Die gotische Holzplastik des<br />
Laucherttales in Hohenzollern", erschienen als zweites<br />
Heft der „Forschungen zur Kunstgeschichte Schwabens<br />
und des Oberrheins - herausgegeben von Professor<br />
Dr. Georg Weise in Tübingen, 1923". Sehr gerne hätte<br />
ihn der Professor für weitere kunstgeschichtliche Forschungen<br />
herangezogen und ihm dafür den Doktorgrad<br />
verliehen. In seiner Bescheidenheit hat dies Albert Wal-<br />
Pfarrer Albert Waldenspul<br />
zum 90. Geburtstag<br />
denspul rundweg abgelehnt. Auch der Weg zum geistlichen<br />
Studienrat hätte ihm offen gestanden, doch wollte<br />
er lieber der einfache Seelsorger vom Land bleiben, der<br />
er eben war.<br />
Schon als Vikar hat er sich durch den Neubau der Kapelle<br />
in Hochberg bei Jungnau, für das er als Vikar von<br />
Veringendorf zuständig war, Verdienste erworben. Als<br />
kunstsinniger Pfarrer wirkte er in den drei Gemeinden<br />
Gruol, Imnau und Melchingen. In der ersten Pfarrei war<br />
ihm besonders die bekannte Friedhofskapelle mit dem<br />
reizenden Fachwerkturm ans Herz gewachsen, die er liebevoll<br />
herrichtete. In seiner Gruoler Zeit trug er auch<br />
die Unterlagen zum Haigerlocher Teil des Hechinger<br />
Kunstdenkmälerbandes zusammen, der noch heute die<br />
Grundlage und Ausgangspunkt aller kunstwissenschaftlichen<br />
Forschung über diesen Raum bildet. Besondere Verdienste<br />
erwarb sich Albert Waldenspul um die Pfarrkirche<br />
von Melchingen, die er zusammen mit Restaurator<br />
Josef Lorch aus Sigmaringen zu einem wahren Schmuckstück<br />
herausputzte (1952). Seine Wertschätzung der Melchinger<br />
Heiligtümer kommt in der kleinen Festschrift<br />
zum 200jährigen Jubiläum (1969) der Pfarrkirche<br />
St. Stephan zum Ausdruck. Was Waldenspuls Schriften<br />
auszeichnet, sind seine die geistigen Hintergründe aufzeigenden<br />
Gedanken zur Stilgeschichte und Ikonographie.<br />
Bei einem volkstümlichen Ton wird überall der Theologe<br />
und Seelsorger spürbar.<br />
Es würde zu weit führen, alle seine Schriften und Artikel<br />
zu meist hohenzollerischen Themen aus Geschichte<br />
und Kunst aufzuzählen. Es sind insgesamt über 70 Beiträge,<br />
eine stattliche Zahl auch in unserer Zeitschrift, zuletzt<br />
„Kunde von der Burren-Burg bei Wald (Hohenzollern)"<br />
in HH 1973 aus der Feder des 88jährigen.<br />
Was Pfarrer Waldenspul bekannt gemacht hat, das sind<br />
seine zahlreichen Lichtbildervorträge, nach 1950 teilweise<br />
im Auftrag der „Kunst und Kultur" in Sigmaringen.<br />
Landauf, landab zeigte er in volkstümlichen Ausführungen<br />
die Schönheit der heimischen Kunstwerke.<br />
Heute, da er Fotoapparat und die Feder auf die Seite gelegt<br />
hat, liest er stets mit Aufmerksamkeit die Hohenzollerische<br />
Heimat und freut sich im voraus auf das nächste<br />
Heft. Aufgeschlossen wie eh und je unterhält er sich<br />
auch gerne noch über die eine oder andere darin erörterte<br />
Frage. Dabei stellt der Besucher erstaunt fest, daß<br />
noch dem 90jährigen nahezu der ganze Reichtum seines<br />
Wissens gegenwärtig ist.<br />
Wir, die Mitarbeiter und Leser der Hohenzollerischen<br />
Heimat, wünschen dem Jubilar Gottes Segen, einen gesunden<br />
und erfüllten Lebensabend und noch das eine<br />
oder andere Jahr, so Gott will. Vor allem danken wir<br />
ihm für alles Wissen um die Schönheit und den Wert der<br />
heimischen Kunstwerke, das er uns erschlossen hat. H.<br />
29
JOHANNES WANNENMACHER<br />
Von den Zugtieren unserer bäuerlichen Vorfahren.<br />
Erinnerungen aus Rangendingen<br />
In den Tagen der Ölkrise tauchte bei manchem alten<br />
Bauersmann die Erinnerung auf an jene schöne Zeit, da<br />
es noch keine motorisierten Zugmaschinen und dergleichen<br />
gab und Pferde, Ochsen und Kühe die einzigen Gespanne<br />
waren. Unabhängig von außen und frei von allen<br />
geschäftlichen Machenschaften konnte sich der Bauer jederzeit<br />
auf seine Zugtiere verlassen.<br />
Im Leben unserer bäuerlichen Vorfahren hatten die Zugtiere<br />
einen ganz besonderen Platz. Sie gehörten zu ihnen,<br />
waren ein wesentlicher Teil ihrer Existenzgrundlage und<br />
wurden von ihnen meist liebevoll umsorgt und betreut.<br />
Die Tiere wiederum dankten dies durch ihre Arbeit,<br />
durch Gaben aller Art und zuletzt mit ihrem Leben. -<br />
Seit undenklichen Zeiten wurde das Pferd als Haus- und<br />
Zugtier gehalten. Es war schon in grauer Vorzeit der<br />
Gehilfe des Menschen bei der Jagd, als Reittier bei<br />
Überwindung von weiten Entfernungen, beim Tragen<br />
und Transport von schweren Lasten, bei der Landnahme<br />
und bei Kämpfen und Streitigkeiten aller Art. Und später,<br />
als die Menschen seßhaft wurden, als Wagen und<br />
Pflug aufkamen, war das Pferd ein getreues Zugtier bei<br />
allen Arbeiten auf dem Feld, im Wald und an den Straßen.<br />
Es bestimmte jahrhundertelang auch das Höchsttempo<br />
an Schnelligkeit bis zu der Zeit, da es von der<br />
Technik und dem Motor überholt wurde. - Unsere<br />
Vorfahren waren stolz auf ihre Pferde. Sie gaben ihnen<br />
Namen nach ihren Haarfarben und nannten sie Fuchs,<br />
Rappen und Schimmel. Wieder andere gaben ihnen sogar<br />
Personennamen, wie Fritz, Hans, Liesel und dergleichen.<br />
Mit dem Aufkommen der Maschinen nahm der<br />
Pferdebestand am Orte rasch ab. Nach dem ersten Weltkrieg<br />
liefen hier noch etwa zwei Dutzend Zugpferde,<br />
heute sind es nur noch zwei Stück. Im ausgehenden Mittelalter<br />
muß der Pferdebestand am Orte besonders hoch<br />
gewesen sein. In einem alten Bericht ist zu lesen, daß im<br />
30jährigen Kriege (1618-1648), als auch die Schweden<br />
hier hausten, „Obrist Brink im Jahre 1633 aus Rangendingen<br />
92 gute Pferde mitgenommen hat".<br />
Die größte Zahl der Zugtiere bildeten immer Ochsen<br />
und Kühe. Neben den „Roßbauern" galten die „Stierbauern"<br />
(Ochsenbauern) als eine besondere Gruppe. Sie<br />
besaßen meist eine größere Landwirtschaft und konnten<br />
es sich leisten, ihre milchgebenden Kühe zu schonen und<br />
nicht einzuspannen. Die Ochsen wurden dann durchweg<br />
alle Jahre gewechselt. Wenn im Herbst die Feldarbeit zu<br />
Ende war, wurden sie „abgesetzt" (verkauft). Vor Beginn<br />
des Frühjahrs sah man sich dann wieder um ein anderes<br />
Gespann um. Von dem Erlös aus dem alten Ochsengespann<br />
blieben beim Kauf des jungen Paares meistens<br />
ein- bis zweihundert Mark übrig. Dieser Betrag<br />
war damals für den Haushalt der bäuerlichen Familie<br />
eine sehr wichtige und notwendige Einnahmequelle. Die<br />
Zugochsen waren treue Tiere, wetterhart, anspruchslos<br />
und konnten zu schweren Lasten herangezogen werden.<br />
Das Kuhfuhrwerk war bis vor wenigen Jahrzehnten am<br />
Ort in der Überzahl. Gemächlich zogen die Kühe Wagen,<br />
Pflug und Egge. In langen Reihen ging es morgens<br />
auf das Feld und abends wieder heim. „Bläß", „Scheck"<br />
und „Bleamle" waren die Hauptbezeichnungen für die<br />
Tiere. Und mit „hü" wurden sie nach vorne getrieben<br />
30<br />
und mit „hot" und „wüscht" nach rechts oder links gelenkt.<br />
Mußte eine Kleinigkeit rückwärts gegangen werden.<br />
so hieß es „hendersche" und vorwärts „fiersche"!<br />
Wollte man sie aus dem Gange zum Stehen bringen, so<br />
rief man ihnen ein lautes „Oha"! zu. Wenn die Kühe so<br />
den ganzen Tag eingespannt waren, konnte man abends<br />
nicht allzuviel Milch mehr von ihnen erwarten. Schwer<br />
war oft die Arbeit für das trächtige Vieh, besonders in<br />
den Erntezeiten. Heute sieht man kein Kuhfuhrwerk<br />
mehr auf unseren Straßen und Feldern.<br />
Interessant sind auch die Ausdrücke, die man für die<br />
Brunst der Zugtiere hatte. Bei der Stute hieß es, sie ist<br />
„rossig" oder sie „moiet". Die Kuh hingegen „rinderet"<br />
- oder etwa feiner gesagt „ooßnet". Diese Tage wurden<br />
von den Bauersleuten meist in dem Hauskalender gut<br />
vermerkt. In jedem Ort war ehemals ein Farrenstall.<br />
Auf gute „Häga" (Farren) wurde von der Ortsverwaltung<br />
und den Bauern viel Gewicht gelegt. Heute ist auch<br />
diese Einrichtung in den Dörfern fast restlos verschwunden<br />
und durch die künstliche Besamung, die vom Tierarzt<br />
vorgenommen wird, ersetzt worden. Hierfür hatten<br />
die Bauersleut anfangs kein so rechtes Zutrauen. Bezeichnend<br />
dafür ist eine Begebenheit, die sich am Ort wie<br />
folgt zugetragen hat. Der alte Jerg führte eine junge<br />
Kuh, die rinderte, zum Farrenstall. Das Tier ließ sich<br />
vor Brunst kaum halten. Nach einer Weile kehrte er<br />
wieder zurück. Die Kuh, naturgemäß nicht entspannt,<br />
stellte den Schwanz hoch, schnaubte und stampfte und<br />
riß ihren Herrn wild hin und her. Ein humorvoller<br />
Nachbar sah dies und fragte „Ha, Jerg, was ischt denn<br />
au mit deira Kua los?" Der Jerg machte darauf eine<br />
wegwerfende Handbewegung und entgegnete verdrießlich:<br />
„Komm, la(ß) me gau, seit d'Herra Kälble machet,<br />
ischt d'Welt nemme reacht"!<br />
Als noch ausschließlich Pferde, Ochsen und Kühe die<br />
Zugarbeit leisteten, war es auf Straßen, Feldern und in<br />
den Wäldern noch ruhig und still. Nichts verpestete die<br />
Luft und den würzigen Erdgeruch der Scholle beim<br />
Pflügen. Stare und Raben trippelten in der Furche hinterher<br />
und suchten ihre Nahrung. In der Luft trillerte<br />
die Lerche ihr frohes Liedchen.<br />
Die Maschine hat hier vollständigen Wandel geschaffen,<br />
wenn auch nicht immer zum Vorteil des Menschen. Menschen,<br />
Tiere und Landschaft standen in einer beständigen<br />
Wechselwirkung untereinander. Der Mensch erfreute sich<br />
an seinen Zugtieren, hegte und pflegte sie vertrauensvoll.<br />
Die Tiere andererseits gaben durch ihr Verhalten, ihre<br />
Arbeit und Treue sowie durch ihr naturgebundenes Wesen<br />
dem Menschen manches Rätsel auf. Und die Landschaft<br />
umschloß mit ihrer geheimen Seele Mensch und<br />
Tier, regte vor allem die Phantasie an, in der die schöpferische<br />
Natur mit ihren unergründlichen Gesetzen<br />
durch uns hindurch wirkt. - Die kalte, harte Maschine<br />
nimmt uns wohl viel Arbeit ab, ist aber niemals imstande,<br />
das Humane, rein Menschliche so zu erhalten, zu<br />
stärken und zu bereichern, wie es bei der lebenserfüllten<br />
Dreiheit Mensch, Tier und Landschaft in ununterbrochener<br />
Wirksamkeit geschieht. Diese Tatsache sollten wir<br />
bei allen technischen Fortschritten im Leben niemals<br />
übersehen.
W. OEXLER<br />
Dem Lehrer Lukas Dreher von Vilsingen zur dankbaren Erinnerung (1886-1912)<br />
Pius, Markus, Lukas und Johannes waren vor mehr als<br />
100 Jahren 4 ehrenswerte Söhne des Bauern Fidel Dreher<br />
in der hohenzollerischen Gemeinde Frohnstetten. Von<br />
ihnen blieben die beiden ersten dem Beruf des Vaters<br />
treu. Lukas und Johannes wirkten beinahe 4 Jahrzehnte<br />
lang in Vilsingen und Liggersdorf segensreich als preußische<br />
Volksschullehrer.<br />
Nach Beendigung der im Lehrerseminar Brühl (Rheinland)<br />
erfolgten Ausbildung war Lukas zunächst 2 Jahre<br />
in Benzingen und dann 6 Jahre in Hitzkofen als „Provisor"<br />
einstweilig angestellt. 29 Jahre war er alt, als er<br />
1876 als definitiver Lehrer mit einer jungen Frau und<br />
einem Väjährigen Töchterlein Maria in Vilsingen herzliche<br />
Aufnahme fand. Unsere fleißige Storchentante,<br />
Frau Rosalie Bix, ging in den nun folgenden Jahren mit<br />
Vorliebe ins Schulhaus. Kaum waren dem jüngsten Töchterchen<br />
die ersten Gehversuche gelungen, so wurde schon<br />
wieder dem nächsten Schwesterlein das Taufglöckchen<br />
geläutet. Als sich auf diese Weise der Bestand auf 5<br />
Mägdlein erhöhte, sollten diese endlich ein Brüderlein<br />
bekommen. Tatsächlich ging 1887 der Wunsch der Eltern<br />
und der ganzen Einwohnerschaft in Erfüllung. Jubel und<br />
aufrichtige Mitfreude herrschten in jedem Haus. Sogar<br />
die „Böller" erdröhnten wie am Kaisertag. Bereits 12<br />
Tage nachher bewegte sich ein merkwürdig ernster Leichenzug<br />
vom Schulhaus zum stillen Gottesacker. Ein winziges<br />
Särglein, getragen von 4 Schulknaben, folgte einem<br />
weißen Kreuzlein mit der Inschrift „Joseph Rudolf Dreher<br />
10 Tage alt". Zum Abschluß kam noch die 6. und<br />
letzte Tochter, die spätere, lange Jahre in Bingen (Hohenz.)<br />
beruflich tätige, allgemein beliebte Lehrerin Theresia<br />
Dreher. Leider sollte die Gute keinen längeren Ruhestand<br />
erleben.<br />
Das Einkommen des Lehrers Dreher befand sich damals<br />
noch im Anfangsstadium, d. h. es betrug noch kaum mehr<br />
als 100 M im Monat. Die sogen. Alterszulagen hielten in<br />
manchem Lehrerhaus leider nicht gleichen Schritt mit dem<br />
Wachstum der Familie. Die Existenzmöglichkeit eines<br />
Volksschullehrers wurde damals wesentlich beeinflußt<br />
von des Vaters Geldkasse und von einer möglichst hochmitgiftigen<br />
Lebensgefährtin. Das bescheidene Einkommen<br />
mußte oft durch verschiedene Nebenbeschäftigungen<br />
gestreckt werden. In den 80er Jahren hatte in Hohenzollern<br />
die Schule Vilsingen die größte Kinderzahl (über<br />
100), die von einem alleinstehenden Lehrer unterrichtet<br />
werden mußte. Heute wird es kaum noch einen Lehrer<br />
geben, der 8 Jahrgänge mit über 100 Schülern im selben<br />
Raum gleichzeitig einen vorschriftsmäßigen Unterricht<br />
erteilen könnte. Außerdem gab es für die 14-16jährigen<br />
Knaben im Winter wöchentlich 2 Stunden Abendschule<br />
und für die Mädchen während des ganzen Jahres 1 Stunde<br />
Sonntagsschule. Im Schulgarten war nach Verfügung<br />
der Preußischen Regierung eine Baumschule, in der die<br />
Buben der Oberstufe Anleitung in der Aufzucht und Veredlung<br />
von jungen Obstbäumen erhielten. Erst als die<br />
Schule 120 und mehr Kinder zählte, kam 1895 Provisor<br />
A. Singele als 2. Lehrkraft an die Vilsinger Schule.<br />
Etwa 40-60 Turner (Knaben vom 4. - 8. Schuljahr)<br />
mußten alljährlich dem gestrengen Kreisturnlehrer Gelle<br />
zur Prüfung vorgestellt werden. Unerbittlich forderte<br />
dieser von den künftigen Vilsinger Soldaten den vorge-<br />
schriebenen preußisch militärischen Schneid. Bis dieses<br />
Ziel erreicht war, kostete es unsern Lehrer als Vorturner<br />
viel Mühe und unzählige Schweißtropfen. Mustergültig<br />
waren seine Leistungen an Reck, Barren und Klettergerüst.<br />
Die tadellosen Klemmzüge am Reck und das Armbeugen<br />
und -strecken im Stütz am Barren machte ihm nur<br />
der Schüler Jakob Winz nach.<br />
Der Meister der Schule stellte aber auch als Chorleiter<br />
und Küster seinen Mann. In den vielen Probestunden<br />
mühte er sich ab, seine Chormitglieder im guten Vortrag<br />
deutscher und lateinischer Messen zu üben. Seine Männer:<br />
Pius Bücheler, Joh. Lutz, Eduard Wetzel, Severin Vögtle,<br />
Fridolin Fries, Konrad Winz, Johann Weber, Hugo Winter,<br />
Konrad Bücheler hielten ihm lange Jahre die Treue,<br />
ebenso die Sopranistinnen Brigitte Grom, Magdalena<br />
Fröhlich und Josefa Wetzel bis zu ihrer Verheiratung.<br />
Etwa 20 Jahre lang mußte er sich abquälen mit dem alten<br />
Harmonium, dann erst wurde vom Orgelbauer Ruf<br />
in Sigmaringendorf die erste Orgel erbaut. Der Sonnund<br />
Feiertagsgottesdienst verpflichtete den Mesner an<br />
erster Stelle für den Dienst in der Sakristei. Erst dann<br />
gings im Laufschritt nach dem Hauptportal der Kirche<br />
und die Wendeltreppe empor bis auf den Orgelsitz. Dann<br />
waltete der eifrige Chorregent seines Hohen Amtes nicht<br />
nur am Vormittag sondern auch nachmittags. Er war<br />
zweifellos der Mann des Dorfes, der am wenigsten von<br />
einer Sonntagsruhe verspürte. In langen Jahren hat er<br />
manchem zur Trauung gespielt und Hunderte am Ende<br />
ihrer Pilgerreise über die Schwelle der Ewigkeit hinüber<br />
gesungen. Seine Mesnerfunktionen, die ich als Ministrant<br />
in der Sakristei, bei Taufen, Versehgängen und Begräbnissen<br />
beobachten konnte, zählen zu meinen erbaulichsten<br />
Erlebnissen. Von der ersten Tagesstunde bis zum<br />
Beginn der Nachtruhe zog er wohl ein halbes Dutzend<br />
mal an den Strängen der Kirchenglocken. Auch die Betreuung<br />
der Turmuhr lag in der Hand des ehrsamen<br />
Küsters.<br />
Bezüglich der Entlohnung für den wenig beneidenswerten<br />
Dienst weiß ich noch, daß jeder Bauer jährlich ein<br />
Quantum (einige Simri) Mesnervesen abgeben mußte.<br />
Dazu kam noch der Ertrag von 4 Morgen Mesneräckern.<br />
Nach und nach erwarb er durch Kauf weitere 8 Morgen.<br />
12 Morgen Felder, 3 Kühe, einige Stück Jungvieh, ein<br />
paar Schweine und eine Schar Hühner machten ihn zum<br />
größten Bauern unter der hohenz. Lehrerschaft. Des Bauern<br />
Sommerzeit forderte mehr Arbeitstage als des Lehrers<br />
Winterhalbjahr. Diese Zeit stand ihm vom Mai bis<br />
November zur Verfügung, weil damals die Großen<br />
(4.-8.) von 6 bis 8 Uhr und die Kleinen (1.-3.) von 8 bis<br />
10 Uhr unterrichtet wurden. Landw. Maschinen gab es<br />
noch nicht. Ausschließlich war Lehrer Dreher auf menschliche<br />
Kräfte angewiesen, anfangs auf Frau und Schwester<br />
Sophie, später auch auf die größeren Töchter.<br />
Ein unvergeßlicher Verdienst der tüchtigen Hausfrau und<br />
Mutter der Familie wird es bleiben, daß sie auch für die<br />
Kirchenwäsche, sowie für die Reinigung der Kirche, des<br />
Schulzimmers und Ratzimmers zu sorgen hatte.<br />
Nach Erreichung der gesetzlichen Altersgrenze (1912) zog<br />
der durch langjährige strenge Arbeit ermattete Lehrergreis<br />
zu seiner Tochter, der Bahnhofswirtin Hulda Beil<br />
nach Gutenstein. Ein unstillbares Heimweh nach Vilsin-<br />
31
gen hat ihn dort bis zum letzten seiner Tage nicht verlassen.<br />
Während des ersten Weltkrieges war er fleißig<br />
am Bahnhof und begrüßte voller Freude seine einstigen<br />
Schüler, die als Kriegsmänner in Urlaub fahren durften.<br />
Er begleitete sie dann den steinigen Weg hinauf bis zur<br />
„Hudelann", einem sagenhaften Felsen im Donautal.<br />
Von jener Höhe aus sandte er ungezählte Male einen<br />
tränenfeuchten Blick nach dem in der Ferne stolz aufragenden<br />
Vilsinger Kirchturm.<br />
36 Jahre voll Schweiß und menschenfreundlicher Mühen<br />
waren ihm schnell wie ein Traumbild entflohen. Voll<br />
Vertrauen auf Gott hat er edlen Samen auf gutes Land<br />
gesät. Am Rande des Lebens sah er nun beglückt auf die<br />
Ernte zurück und froh in die Zukunft hinaus. 6 Jährlein<br />
redlich verdienter Ruhe waren ihm noch zugemessen.<br />
Dann verkündigten die Glocken des schlummernden<br />
Greises selige Nacht, jenseits des irdischen Grabes.<br />
Oscar Heck, letzter Landeskonservator<br />
der Hohenzollerischen Lande<br />
Im Alter von 73 Jahren verstarb in Hechingen Oscar<br />
Heck. Seit 1967 war Heck Landeskonservator in Hohenzollern.<br />
Seine letzten unvergesslichen Verdienste waren<br />
die Aufstellung der Hohenzollerischen Landessammlung<br />
im Alten Schloß in Hechingen und die Einleitung<br />
der Restaurierung von St. Lützen. 1972, mit Aufhebung<br />
des Kommunalverbandes, endete seine Tätigkeit.<br />
Oscar Heck ist geborener Hechinger. Nach dem Abitur<br />
in Hechingen studierte er Architektur. Nach Beendigung<br />
des Studiums beteiligte er sich an zwei großen archäologischen<br />
Expeditionen in Palästina und Kleinasien. 1930<br />
begann Heck seine Laufbahn als Staatskonservator im<br />
preußischen Kultusministerium. 1936 wurde er Direktor<br />
bei der Staatlichen Bildstelle Berlin mit dem Auftrag,<br />
wichtige Kunst- und Baudenkmäler aufzunehmen. Durch<br />
die Verluste des 2. Weltkrieges erlangte diese Arbeit eine<br />
ungeahnte Bedeutung. Nach dem Krieg kehrte Heck in<br />
die Heimat zurück und wurde Hauptkonservator beim<br />
Staatlichen Amt für Denkmalspflege in Tübingen. Als<br />
Heck 1967 in den Ruhestand trat, konnte er vom Landeskommunalverband<br />
als Nachfolger für Landeskonservator<br />
Walther Genzmer gewonneji werden. Fast in allen<br />
hohenzollerischen Gemeinden war Heck in den letzten<br />
Jahren tätig und konnte viel Kulturdenkmäler erhalten<br />
und schützen. In der „Hohenzollerischen Heimat" hat<br />
Heck mehrfach über die Denkmalspflege in Hohenzollern<br />
berichtet.<br />
HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />
herausgegeben vom Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />
in Verbindung mit den Staatlichen<br />
Schulämtern. Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong><br />
<strong>Geschichtsverein</strong> 748 Sigmaringen,<br />
Karlstr. 3. Druck: M. Liehners Hofbuchdruckerei<br />
KG, 748 Sigmaringen, Karlstr. 10.<br />
Die Zeitschrift „Hohenzollerische Heimat"<br />
ist eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie<br />
will besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />
mit der Geschichte ihrer Heimat<br />
vertraut machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />
auch populär gehaltene Beiträge<br />
aus der Geschichte unseres Landes.<br />
Sie veröffentlicht bevorzugt Beiträge, die<br />
im Schulunterricht verwendet werden<br />
können.<br />
Bezugspreis: 2,00 DM halbjährlich<br />
Konten der „Hohenzollerischen Heimat":<br />
802 507 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />
123 63 Postscheckamt Stuttgart<br />
32<br />
Die Autoren dieser Nummer:<br />
Fritz Scheerer, Rektor i. R.<br />
746 Balingen, Am Heuberg 42<br />
Dr. Maren Kuhn-Rehfus<br />
Sigmaringen, Staatsarchiv<br />
Johann Adam Kraus<br />
Erzb. Archivar i. R.<br />
Freiburg/Br., Badstr. 2<br />
Walther Frick, Journalist<br />
Sigmaringen, Hohe Tannen 4<br />
Manfred Hermann, Pfarrer<br />
7451 Neufra/Hohenzollern<br />
Johannes Wannenmacher, Schulrat i. R.<br />
Gammertingen, Goethestr.<br />
Schriftleitung:<br />
Dr. med. Herbert Burkarth<br />
7487 Gammertingen<br />
Die Hohenzollerische Landesbücherei jetzt<br />
im Eigentum des Landkreises Sigmaringen<br />
Die Hohenzollerische Landesbücherei, eine Einrichtung<br />
des ehemaligen Landeskommunalverbandes der Hohenzollerischen<br />
Lande, ist nach dessen Auflösung am 1. Januar<br />
1973 in das Eigentum des Landkreises Sigmaringen<br />
übergegangen. Sie ist eine Sammelstelle für das geschichtliche<br />
und landeskundliche Schrifttum aus und<br />
über Hohenzollern und will vor allem der geschichtlichen,<br />
kunst- und kulturgeschichtlichen und landeskundlichen<br />
Forschung in unserem heimatlichen Bereich dienen.<br />
Die natürlichen und geschichtlichen Gegebenheiten lassen<br />
für einen Großteil des in der Bücherei gesammelten<br />
Schrifttums eine Begrenzung auf das Gebiet der ehemaligen<br />
Hohenzollerischen Lande nicht zu, vielmehr greift<br />
das Schrifttum für einen großen Teil der Bestände in den<br />
schwäbischen und alemannischen Raum hinein. So sind<br />
vor allem Oberschwaben, die mittlere und westliche Alb,<br />
der ganze Raum der oberen Donau, der nördliche Bodenseeraum<br />
mit dem Linzgau, die an Hohenzollern angrenzenden<br />
baden-württembergischen Kreise in das Sammelgut<br />
der Bücherei einbezogen. Es liegt im Charakter<br />
einer solchen Bücherei, daß sie auch Schrifttum allgemeiner<br />
Art umfaßt, wie Lexika, Namensbücher, Flurnamenbücher,<br />
Wörterbücher, u. a. das fünfbändige Schwäbische<br />
Wörterbuch, Urkundenbücher für den schwäbischen<br />
Raum. Ebenso gehören zum Sammelgut die geschichtlichen<br />
und landeskundlichen Zeitschriften, die irgendwie<br />
Hohenzollern berühren. Der heimatkundliche Forscher<br />
findet hier Schrifttum der verschiedensten und vielgestaltigen<br />
Wissensgebiete. Genannt seien als Beispiel Vorund<br />
Frühgeschichte, Geologie und Geographie, Siedlungsgeschichte,<br />
Landschafts- und Naturdenkmalpflege,<br />
süddeutsche, im besonderen hohenzollerische Geschichte,<br />
letztere mit den Verflechtungen der preußischen Geschichte,<br />
Kulturgeschichte, Volks- und Landeskunde,<br />
Kunstgeschichte, Recht, Verfassung, Gesetze und Verordnungen<br />
- auch aus den ehemaligen Fürstentümern<br />
Hohenzollern-Sigmaringen und Hohenzollern-Hechingen,<br />
Genealogie, Wappen, Siegel, Schulwesen, Wirtschaft.<br />
Zu den Beständen zählen auch wissenschaftliches<br />
und schöngeistiges Schrifttum von hohenzollerischen Autoren<br />
und Bilder, Stiche und Drucke aus dem hohenzollerischen<br />
Raum.<br />
Die Bücherei steht jedem Interessenten zur Benützung<br />
offen. Sie ist im Gebäude des Fürstlich-Hohenzollerischen<br />
Haus- und Domänenarchivs, Karlstraße 32, untergebracht.<br />
Benützungszeit ist vormittags, Montag bis<br />
Freitag von 11 bis 12 Uhr, nachmittags Montag bis Donnerstag<br />
von 15.30 bis 17 Uhr. J. Mühlebach<br />
Redaktionsausschuß:<br />
Hubert Deck, Konrektor<br />
745 Hechingen, Tübinger Straße 28<br />
Telefon (07471) 2937<br />
Walther Frick, Journalist<br />
748 Sigmaringen, Hohe Tannen<br />
Telefon (07571) 8341<br />
Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />
die persönliche Meinung der Verfasser<br />
wieder; diese zeichnen für den Inhalt<br />
der Beiträge verantwortlich. Mitteilungen<br />
der Schriftleitung sind als solche gekennzeichnet.<br />
Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />
werden an die Adresse des Schriftleiters<br />
oder Redaktionsausschusses erbeten.<br />
Wir bitten unsere Leser, die „Hohenzollerische<br />
Heimat" weiter zu empfehlen.
HÖH ENZOLLERISCHE<br />
HEIMÄT<br />
Alphorn Bilharz<br />
WERNER P. HE YD<br />
Herauegegeben com<br />
W 3828 F<br />
Hohenzollerifchen Gelchichteoerein<br />
Sum ergo cogito -<br />
Zum Gedenken an Alphons Bilharz am 50. Todestag<br />
85. Jahrgang Nr. 3/September <strong>1975</strong><br />
Erweitertertes Manuskript einer Rundfunksendung im Süddeutschen Rundfunk, 2. Programm,<br />
am 24. Mai <strong>1975</strong>, 15.40-16.00 Uhr<br />
Die Stadt Sigmaringen gedachte am 23. Mai des 150.<br />
Geburtstages von Theodor Bilharz und des 50. Todestages<br />
von Alphons Bilharz. Während der Name des<br />
Arztes, Anatomen und Naturforschers Theodor Bilharz<br />
unsterblich geworden ist dank seinen Entdeckungen auf<br />
dem Gebiet der Seuchenbekämpfung im Orient, ist der<br />
Arzt und Philosoph Alphons Bilharz fast ganz vergessen.<br />
Wären seine großen Verdienste als leitender Kran-<br />
kenhausarzt in Sigmaringen nicht, man spräche wohl<br />
sogar hier kaum mehr von ihm, obwohl unter vielen<br />
anderen seine Freunde Gottfried Graf und Dr. Erwin<br />
Beck aus Mengen nicht nur gelehrige treue Schüler des<br />
Einsamen waren, sondern auch seine besten Propagandisten.<br />
An diesem doppelten Gedenktag soll deshalb der<br />
Philosoph aus dem Schatten des Entdeckers gehoben<br />
werden.
„ . .. Wir haben alle Ursache, in Bilharz einen der Unsrigen<br />
zu sehen und zu verehren, der in seiner Einsamkeit<br />
eine denkerische Leistung von hohem Rang vollbracht<br />
hat. Mag sie jetzt noch von Wenigen in ihrem wissenschaftlichen<br />
Wert erkannt werden, so wird sie eine spätere<br />
Zeit mit klarerem Überblick als die jetzige unzweifelhaft<br />
als eine leuchtende Geistestat herausstellen, zum<br />
Ruhme der Heimat" x .<br />
Der das zehn Jahre nach dem Tod des Geheimrats<br />
Dr. med. Alphons Bilharz in Sigmaringen geschrieben<br />
hat, das war der Professor an der Kunstakademie in<br />
Stuttgart, Gottfried Graf 2 . Graf, genau 45 Jahre jünger<br />
als der von ihm so hoch verehrte Philosoph, hat dessen<br />
Lehre nicht nur zu seiner eigenen Sache, ja zur Grundlage<br />
seines künstlerischen Schaffens und Lehrens gemacht<br />
3 , er hat auch alle Hebel in Bewegung gesetzt, um<br />
der Lehre des greisen Freundes und Landsmannes in der<br />
Welt Gehör zu verschaffen. Deshalb war er auch empört,<br />
als ein anderer Schüler von Bilharz, der Heidelberger<br />
Professor Rudolf Metz, schon 1927 im 14. Jahrbuch<br />
der Schopenhauergesellschaft, am Ende einer Würdigung<br />
des Verhältnisses von Bilharz zu Schopenhauer schrieb:<br />
„Bilharzens Tag ist vielleicht schon vorüber, ohne einen<br />
nennenswerten Glanz verbreitet zu haben." Und es sei<br />
„Bilharzens Philosophie, die die Wahrheit mit einem<br />
Griff in ihren Besitz gebracht zu haben glaubte, heute<br />
durchaus unzeitgemäß, und daher ist nicht anzunehmen,<br />
daß unsere Zeit sie erwecken und zur lebendigen Kraft<br />
gestalten wird" 4 .<br />
Wer war dieser Alphons Bilharz, von dem Kröners Philosophisches<br />
Wörterbuch 1921 kein Wort erwähnt, der<br />
bei anderen, wie Metz sagt, mit bloßer Namensnennung<br />
oder einem äußerst bescheidenen Plätzchen vorlieb nehmen<br />
mußte?<br />
Nach eigenem Zeugnis 5 ist Alphons Bilharz am 2. Mai<br />
1836 in Sigmaringen als 7. Kind unter neun Geschwistern<br />
geboren. Sein Vater war Beamter an der Fürstlichen<br />
Hofkammer. Er stammte aus Herbolzheim bei Freiburg,<br />
die Mutter, eine geborene Fehr, aus Frauenfeld im<br />
Kanton Thurgau. „Beide Eltern bekunden somit die rein<br />
alemannische Art unseres Geschlechtes", bekennt der<br />
88jährige stolz in der „Philosophie der Gegenwart in<br />
Selbstdarstellungen", noch kurz vor seinem Tode.<br />
Und weiter heißt es da, er habe nach dem Besuch des<br />
Gymnasiums 1854 die Universität Freiburg bezogen, um<br />
sich zunächst allgemeinen, vorzugsweise naturhistorischen<br />
Studien zu widmen. Schließlich entschied er sich<br />
für Medizin, studierte in Heidelberg, Würzburg, Berlin<br />
und Wien und machte 1859 das medizinische Doktorexamen.<br />
Danach, so heißt es weiter, sei er einer Einladung<br />
des elf Jahre älteren Bruders Theodor gefolgt, der damals<br />
schon ein weltberühmter Professor der Anatomie an<br />
der medizinischen Schule in Kairo gewesen ist.<br />
Schweifen wir kurz ab: Theodor Bilharz, am 23. März<br />
1825, also vor 150 Jahren, geboren, gehört zu jenen<br />
deutschen Pionieren, die in dem Nachbarkontinent mit<br />
wissenschaftlicher Akribie und Leidenschaft dem noch<br />
Unerforschten nachspürten und dabei für das Gesundheitswesen<br />
dieser Länder Ungewöhnliches geleistet haben.<br />
Theodor Bilharz aus Sigmaringen hat den Saugwurm<br />
Schistosoma mansoni als Urheber einer bis heute<br />
bei Mensch und Tier trotz dem Einsatz aller möglichen<br />
Mittel noch nicht ausgerotteten Krankheit entdeckt, die<br />
vor allem in den tropischen afrikanischen, asiatischen<br />
und südamerikanischen Ländern heute noch Millionen<br />
Menschen heimsucht. Die nach dem Entdecker benannte<br />
„Bilharziose" ist eine unerhört schmerzhafte Krankheit<br />
und galt bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts als unheil-<br />
34<br />
bar. Bilharz hat damals schon Mittel und Wege zur Verhütung<br />
und Bekämpfung der Krankheit gezeigt. Dem<br />
Bruder Theodor rühmt der jüngere Alphons nach, er<br />
habe ihm schon frühzeitig den Sinn für genaue und systematische<br />
Beobachtung der Naturgegenstände geschärft.<br />
Dem Bruder dankt er sicher auch das Thema seiner<br />
Doktorarbeit: »Descriptio anatomica organorum genitalium<br />
eunuchi Aetheopis" die 1859 in den Berliner<br />
Medizinischen Disserationen erschienen ist. Demnach<br />
war Alphons Bilharz - ohne daß er es in seinem Lebensbericht<br />
erwähnt — während seiner Studienzeit vor<br />
1859 in Afrika und kehrte auf Einladung seines Bruders<br />
1859/60 dahin zurück. Er hat die erste Abbildung einer<br />
von Bilharziose befallenen menschlichen Harnblase gezeichnet,<br />
die heute noch bekannt ist 7 .<br />
Der junge Wissenschaftler wollte nicht Arzt werden. Er<br />
ging nach dem Ende seiner Studien in das physiologische<br />
Laboratorium von Emil Du Bois Reymond, um dort die<br />
Nervenphysik genauer kennenzulernen. Du Bois Reymond<br />
hatte 1841 seine revolutionären Untersuchungen<br />
über tierische Elektrizität aufgenommen, und Bilharz<br />
fand hier ein Betätigungsfeld, auf dem sich der junge<br />
Wissenschaftler gleich mit neuen Ideen beschäftigen<br />
konnte. Er glaubte auf Grund seiner Beobachtungen und<br />
Messungen die dreidimensionale Materie durch die dreidimensionale<br />
Kraft definieren zu können. Das schien<br />
eine Aufgabe, der gegenüber jede andere an Bedeutung<br />
verlieren mußte. Sie führte ihn zu Gustav Robert Kirchhoff,<br />
der seit 1854 als Professor der Physik in Heidelberg<br />
lehrte und dessen nach ihm benanntes Gesetz die<br />
Elektrizitätslehre revolutionierte.<br />
Bilharz erfuhr aber hier, daß er die sich selbst gestellte<br />
Aufgabe in einem Menschenleben allein würde kaum lösen<br />
können. Ein anderer Plan, über den er nichts weiter<br />
sagt, zerschlug sich. In dieser Lage kam ihm der Rat eines<br />
Freundes wie gerufen: Dr. Castelhun, Arzt in<br />
St. Louis im US-Staat Missouri, riet ihm, sein Glück in<br />
Amerika zu versuchen. Alphons Bilharz fuhr im Frühjahr<br />
1865 nach New York und ließ sich in der Nähe<br />
von St. Louis, später in dieser Stadt selbst, als praktizierender<br />
Arzt nieder. Aber er wurde in den Staaten nicht<br />
seßhaft.<br />
Am 3. März 1877 trat ein Ereignis ein, das sein ganzes<br />
Leben grundlegend veränderte. Er nannte diesen Tag<br />
später einmal seinen „Tag von Damaskus". Darüber berichtet<br />
er in einem „offenen Brief" an Gottfried Graf<br />
in den „Gelben Blättern" 8 , die damals in Stuttgart erschienen<br />
und in denen Persönlichkeiten und Themen des<br />
öffentlichen Lebens, der Kunst, des Theaters, der Literatur,<br />
Natur und Technik zu Wort kamen. Hier erfahren<br />
wir also, in ihm sei während eines Morgenrittes in der<br />
amerikanischen Prärie plötzlich der Gedanke aufgetaucht:<br />
„Erkenntnis als eine Übereinstimmung oder Gleichung<br />
zwischen den Gegensätzen Denken und Sein aufzufassen."<br />
„Mir war damals", schreibt er" im Gelben<br />
Blatt, „als spaltete sich die Erde unter mir und ich sähe<br />
bis zu ihrem Mittelpunkt hinunter. Denn in demselben<br />
Augenblick erhob sich auch die klare Einsicht, daß,<br />
wenn das Subjekt beim Aufbau dieser Gleichung von<br />
sich, seinem Denken ausgehe, dieses also an erster Stelle<br />
stehen müsse, die Begriffsfolge sich sofort umdrehe,<br />
wenn man statt der Abstrakta (Denken und Sein) die<br />
konkreten Begriffe ins Auge faßt: Dann müsse das Seiende<br />
dem Gedachten vorangehen, dieses mit jenem in<br />
Ubereinstimmung gebracht werden, wenn von wirklicher<br />
oder Wahrheitserkenntnis die Rede sein solle . . . Sein<br />
geht vor Denken, die Folgeordnung innerhalb der Wahrheitsgleichung<br />
ist nicht umkehrbar."
lb" i<br />
Das Geburtshaus von Alphons BilharZj heute Bilharz-Apotheke<br />
Mit diesem Augenblick nahm das Leben von Alphons<br />
Bilharz eine grundsätzlich neue Wendung. Der Entschluß,<br />
zur Ausarbeitung dieser Gedanken nach Deutschland<br />
zurückzukehren, war schnell gefaßt und wurde deshalb<br />
erleichtert, weil um diese Zeit in der Heimatstadt<br />
die Stelle des Direktors am Fürst-Carl-Landesspital frei<br />
wurde und man dort dann auch zwei Jahre später der<br />
Bewerbung des Arztes entsprach.<br />
Im Spätsommer 1878 kehrte er nach Sigmaringen zurück,<br />
schon 1879 erschien die erste philosophische Schrift<br />
von Bilharz „Der heliozentrische Standpunkt der Weltbetrachtung"<br />
9 , in der er sich mit der Philosophie Kants<br />
und Schopenhauers auseinandersetzt und dann seinen eigenen<br />
philosophischen Standpunkt mit der Akribie und<br />
den Mitteln des Naturwissenschaftlers in Formeln und<br />
geometrischen Darstellungen fixiert. Noch spielt, wie er<br />
später gesteht, Schopenhauers philosophisches Weltbild<br />
eine wichtige, alles überstrahlende Rolle, die immer weniger<br />
tragend wird, je mehr in der folgenden Zeit Bilharz<br />
seine eigenen Gedanken fortsetzt und modifiziert.<br />
Im Mittelpunkt seines Philosophierens stehen von Anfang<br />
an, wie wir gesehen haben, die beiden Begriffe Denken<br />
und Sein. Diese Erkenntnis ist als Übereinstimmung<br />
oder Gleichung zwischen diesen Gegensatzbegriffen aufzufassen,<br />
aus diesem Grundgedanken bildet er die Gleichung<br />
S = D. Diese Gleichung erschöpft sich nicht in<br />
formaler Identität, in der Gleichsetzung und Gleichheit<br />
der beiden Glieder, die auch nicht einfach vertauschbar<br />
sind. Vielmehr hat das Sein den Vorrang über das Denken,<br />
das Denken ist im Sein gegründet. Descartes hat mit<br />
seinem berühmten Satz Cogite ergo sum die Gewißheit<br />
des Seins aus dem Denken geschlossen, Bilharz dreht die<br />
funktionale Verbundenheit der beiden Begriffe um und<br />
gründet das Denken auf das im Vorbewußten gelegene<br />
Sein - Sum ergo cogito.<br />
Die beiden obersten Begriffe der Bilharzschen Philosophie<br />
stehen im Verhältnis der Gegensätzlichkeit zueinander.<br />
Sie sind echte und reine Gegensätze, die sich gegenseitig<br />
ausschließen. Diese Gegensätzlichkeit wird anschaulich<br />
durch die Richtungsverschiedenheit. Bilharz<br />
sagt dazu: Echte Gegensatzbegriffe stehen aufeinander<br />
senkrecht. Erst die beiden in ihrer Gegensätzlichkeit<br />
durch die Gleichung verbundenen Begriffe S und D, wobei<br />
S — das Sein - der Primat über D - das Denken<br />
- zukommt, sind der adäquate Ausdruck des Weltproblems.<br />
Dabei hängt aber alles davon ab, die beiden Seiten der<br />
Gleichung in voller Reinheit zu erhalten. Der Seinsbegriff<br />
darf durch das Denken noch nicht hindurchgegangen<br />
sein, er liegt im Vorbewußten.<br />
Hieraus entspringt eine Antinomie, die Bilharz wohl gesehen<br />
hat, die er aber nicht völlig auflösen konnte. Die<br />
Philosophie muß - nach Bilharz - zum reinen, vom<br />
Denken noch unberührten Sein vordringen. Dabei wußte<br />
der Denker wohl, daß dieser von der Philosophie gebildete<br />
Begriff des reinen Seins kein echter Begriff sei, weil<br />
er keinen Gegensatz hat. Bilharz nennt ihn deshalb einen<br />
Pseudobegriff, dessen Inhalt dem Erkennen transzendent<br />
ist, den aber das Denksystem als seinen Abschluß fordert,<br />
gleichsam als Spitze der Pyramide. Das Denken<br />
kann also das reine Sein gar nicht fassen, es kann sich<br />
nur durch Entdeckung der Grenze am Sein seiner bemächtigen,<br />
die zugleich Grenze am Denken ist. Auf der<br />
Stufe des Denkens verwandelt sich das reine Sein in den<br />
Seinsinhalt, das Denken als sein Gegensatz in die Seinsform.<br />
Das Sein ist begrenztes Sein - das ist für Bilharz<br />
der synthetische Satz der Metaphysik, den Kant vergeblich<br />
gesucht und als unauffindbar bezeichnet hat. Von<br />
hier aus zerfällt das Sein in zwei Seinshälften - in die<br />
subjektive und die objektive.<br />
35
Das Sein liegt als unbewiesene Voraussetzung dem<br />
Denksystem unseres Philosophen zugrunde, es wird dogmatisch<br />
statuiert, unkritisch hingenommen. Der Neukantianismus<br />
konnte dem Philosophen dieses Dogma nicht<br />
verzeihen. Man sprach von einem Rückfall in vorkantische,<br />
ontologische Metaphysik. Bilharz aber wollte -<br />
wie der Titel einer seiner Schriften heißt - „Mit Kant<br />
- über Kant hinaus."<br />
Der Philosoph, der unermüdlich weiterforscht, seine Erkenntnis<br />
kritisch prüft, bleibt im praktischen Leben<br />
nicht untätig. Während seiner Amtszeit bis 1907 hat das<br />
Landesspital in Sigmaringen eine außerordentliche Entwicklung<br />
genommen. Bilharz hat dank seinen Kenntnissen<br />
der Bedürfnisse des Landes und seiner Bewohner,<br />
dank seiner reichen Erfahrung als Arzt und Wissenschaftler<br />
die Wege zu dieser Entwicklung gewiesen. Besonders<br />
am Herzen lag ihm, dem Menschenfreund, der<br />
Ausbau der damals wenig beachteten sogenannten Irrenabteilung.<br />
Er sorgte dafür, daß an dem Spital für diese<br />
Patienten nicht nur zweckmäßige, sondern neuzeitliche,<br />
menschliche räumliche Verhältnisse geschaffen wurden.<br />
Und als Alphons Bilharz 1907 wegen eines sich immer<br />
mehr verschlechternden Augenleidens das Amt in jüngere<br />
Hände übergab, hatte er den Hohenzollerischen Landeskommunalverband<br />
veranlaßt, vier neue Stationsgebäude<br />
und ein zeitgemäßes Wirtschafts- und Verwaltungsgebäude<br />
zu errichten. Was bei seinem Amtsantritt<br />
eine höchst unbefriedigend ausgestattete, in veralteten<br />
Gebäuden unzulänglich untergebrachte, wenig beachtete<br />
Anstalt gewesen war, entsprach nun den modernen Anforderungen<br />
und Erkenntnissen.<br />
Bis dahin hatte sich jedoch nicht nur das philosophische<br />
Werk auf sechs Bände ausgedehnt, auch der Umfang der<br />
medizinisch wissenschaftlichen Arbeiten war gewachsen,<br />
und diese Abhandlungen fanden mehr Beachtung, als das<br />
Werk des schwäbischen Denkers, dem jedoch bald zwei<br />
treue unverbrüchliche, wenn auch wesentlich jüngere<br />
Freunde und Anhänger seiner Lehre sich gesellten.<br />
Allerdings: trotz der exakten Darstellung des Gedachten,<br />
trotz dem Erkenntnisinhalt dieser denkerischen Ergebnisse,<br />
die Anerkennung der Fachwelt blieb seltsamerweise<br />
aus. Es war immer nur ein kleiner Kreis, der sich<br />
mit den Gedanken des Philosophen Bilharz beschäftigte.<br />
Es schien also, als sollte der erblindende Arzt und Philosoph,<br />
der sich lange Zeit bei fast allen seinen wissenschaftlichen<br />
Arbeiten der Hand einer seiner Töchter bedienen<br />
mußte, vereinsamen, als ihm das Land Hohenzollern<br />
noch einmal dringend brauchte. Er sollte die Leitung<br />
des Landesspitals noch einmal übernehmen, weil sein<br />
Nachfolger während des Krieges plötzlich gestorben<br />
war. „Jetzt gehe ich halt wieder zu meinen Narren, da<br />
gehöre ich hin", soll er damals gesagt haben.<br />
„Gelassenheit ist eine Tugend", war eine seiner Weisheiten,<br />
die auf eine schwere Probe gestellt wurde, als 1914<br />
die Gattin starb, 1917 der einzige Sohn gefallen ist. Aber<br />
dies samt der Enttäuschung, die es ihm bereitete, daß seine<br />
Lehre so geringes Echo fand, machte ihn nicht zum<br />
Misanthropen. Der Arzt und Gelehrte blieb im Grunde<br />
immer der gütige Mensch. Das offenbart sich auch in<br />
den Altersbriefen an Gottfried Graf 10 . Diese Briefe<br />
stammen aus den letzten drei Lebensjahren des Philosophen<br />
und der zweitletzte Brief 11 an den Maler ist so etwas<br />
wie ein Vermächtnis, so etwas wie eine letzte Interpretation<br />
seiner Lehre.<br />
Er schrieb am 26. Februar 1925, drei Monate vor seinem<br />
Tod:<br />
„Verehrter Freund. Das ganze letzte Jahr hindurch war<br />
meine Gesundheit so wacklich, daß ich nicht glaubte,<br />
36<br />
noch einmal zur Feder greifen zu können. Nun aber<br />
scheint es sich doch wieder etwas bessern zu wollen, und<br />
es ist Aussicht vorhanden, daß Ihr Horoskop sich erfüllen<br />
könnte, so daß ich nun den Mut habe, meine Einladung<br />
(natürlich für beide) zu wiederholen.<br />
Doch zum Gegenstand dieses Briefes.<br />
Sie werden zum Grund der Sache, das heißt zu meinem<br />
Seinsbegriff nie gelangen, wenn Sie nicht von vornherein<br />
die Welt (nicht dem Denken, sondern dem Sein nach) in<br />
zwei Hälften teilen, von denen Sie die eine (subjektive)<br />
ganz und ausschließlich mit ihrem Sein einnehmen. Das<br />
ist das vereinende oder denkende Sein. Die ganze andere<br />
Seinshälfte ist gedachtes Sein, Objekt, und Ihnen sonst<br />
völlig unbekannt, als Seinsinhalt für Ihr rein formales<br />
Erkennen transzendent, außerdem durch die zwischen<br />
den zwei Seinsinhalten durchlaufende, bisher ganz<br />
unbeachtet gebliebene Seinsgrenze für immer von der<br />
Erkenntnis ausgeschlossen: Ding an sich.<br />
Diese drei gegensätzlichen Seinsbegriffe bilden die<br />
Grundlage der Dreidimensionalität des synthetisch construierten<br />
gedachten Weltenraumes und aller darin unterbrachten<br />
Gegenstände. Wo Ausdehnung, da ist gedachtes<br />
Wesen. Sein ist nur punktual, muß aber mit Ausdehnung<br />
begabt werden, wenn es gedacht und vorgestellt<br />
werden soll. Daher ist das Quadrat der erste und einzige<br />
Ausdruck unseres Denkens als Darstellung der begrenzten<br />
Seinsgröße — und die Wiederholung dieser Synthese<br />
ergibt den Weltraum, den Cubus. Ganz eng an die Betrachtung<br />
schließt sich das Verhältnis von Raum und<br />
Zeit an. Hier hat Kant den Meisterstreich geführt, indem<br />
er diese beiden Kategorien als Begriffe der transzendentalen<br />
Ästhetik trennte und vereinigte, das heißt<br />
als formal und subjektiv. Die Gegensätzlichkeit tritt bei<br />
richtiger Anordnung sofort hervor. Ihre Gleichung verwischt<br />
alles. Erkenntnistheoretisch richtig ist, s/t = a.<br />
Hier trennt das Gleichheitszeichen die Welthälften Subjekt<br />
= Objekt, und die Bedeutung der Zeit als Formbegriff<br />
in seinem Reziprozitätsverhältnis zu dem Constanten<br />
a, dem objektiven Seinsinhaltsklumpen, tritt sofort<br />
hervor. Man sieht, wie der in dünne Schichten zerlegte<br />
Laib der formalen Erkenntnis zugeführt werden und die<br />
objektive Welthälfte trotz der Seinsgrenze in eine Erkenntnis<br />
übergeführt werden kann . . .<br />
Es wäre merkwürdig wenn die direkten Erben der Descartes'schen<br />
Philosophie die von uns dargebotenen Ideen<br />
zuerst erfassen würden. Was haben wir uns mit Navier<br />
und Duhamel herumquälen müssen! Besonders ersterer<br />
stand im Ruf, so klar zu sein, daß nur der Dümmste ihn<br />
nicht verstehen könne. Trotzdem verhielt ich mich dem<br />
Unendlich kleineren gegenüber ganz refraktär. Wie<br />
leicht ist es aber jetzt, einzusehen, was man synthetisch<br />
aufgebaut hat, auch analytisch wieder auseinanderlegen<br />
kann. Und das 3mal wiederholt.<br />
Dadurch allein unterscheidet sich die menschliche Vernunfterkenntnis<br />
von der tierischen, daß sie durch die<br />
Sprache ihre neuen Differentialbegriffe festhalten kann,<br />
z. B. den Mittelbegriff beim Pferd, Einhufigkeit, oder<br />
c ' \ mit aller Exaktheit,<br />
dx-<br />
Trotzdem weiß ich nicht, was der in Gefühlen schwelgende<br />
Künstler mit diesem exakten Wissen anzufangen<br />
gedenkt, wozu er es braucht.<br />
Das Schreiben wird mir schwer und ich bitte um Entschuldigung.<br />
Also senden wir einstweilen noch herzliche<br />
Grüße an Sie und Ihre liebe Frau<br />
Ihr Dr. Bilharz
Empfehlen Sie doch den Herren zur Lektüre den 5. Band<br />
der Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen 12<br />
bei Felix Meiner Leipzig."<br />
Diese ausführliche, von dem fast blinden Bilharz selbst<br />
geschriebene und nur an extrem unleserlichen Stellen von<br />
seiner Tochter Bertha verdeutlichte Brief scheint Graf<br />
tief verletzt zu haben, weil er ihn wohl als Schulmeistere!<br />
empfand, als ob er, Graf, die Philosophie, die er so<br />
oft öffentlich vertreten und gewürdigt hatte, nicht verstünde.<br />
In einem für den viel Jüngeren dem alten Philosophen<br />
gegenüber vermutlich sehr unangebrachten Ton<br />
scheint er geantwortet zu haben, denn in dem letzten erhaltenen,<br />
der an Graf gerichteten Briefe entschuldigt sich<br />
der 89jährige am 4. März 1925 - noch einmal eigenhändig:<br />
Verehrter Freund!<br />
Daß ich Sie in meinem Briefe nicht verletzen wollte, ist<br />
ganz gewiß. Wenn es dennoch geschah, so muß ich nach<br />
einer Erklärung suchen.Ich finde sie darin, daß ich, während<br />
ich schrieb, Sie eigentlich gar nicht vor Augen hatte,<br />
sondern ihre französischen Freunde, die ich mir vorstellte,<br />
als Sie um Hilfe bittend zur Aufklärung dunkler<br />
Punkte, und hierzu suchte ich die kürzesten Richtlinien.<br />
Aber die Hauptsache liegt doch in der Abnahme der<br />
Denkkraft. Entschuldigen Sie mein törichtes Gerede. Für<br />
jeden schlägt eben einmal die Stunde. Ich aber bleibe Ihr<br />
treuer Freund und dankbar ergebener<br />
Dr. A. Bilharz<br />
Dem fügte die um den Vater sehr und zu Recht besorgte<br />
Tochter des alten Herren zurechtweisend hinzu:<br />
„Sehr geehrter Herr Graf,<br />
wenn ich auch von einer Abnahme der Denkkraft nichts<br />
bemerke, so würde ich es immerhin für besser halten, Sie<br />
redeten mit ihm mündlich über die Ihnen am Herzen liegenden<br />
Fragen. Bei Rede und Gegenrede geht die Sache<br />
leichter. Wir hoffen, Sie und Ihre liebe Frau bald mal<br />
wieder hierzusehen und grüßen Sie beide inzwischen<br />
herzlich<br />
Bertha Bilharz<br />
Diese letzte Begegnung scheint nicht mehr zustandegekommen<br />
zu sein.<br />
Am 23. Mai 1925 schrieb Dr. Erwin Beck an Gottfried<br />
Graf:<br />
1<br />
Sigmaringer Volkszeitung 2. 5. 1936 „Der Wahrheitsbegriff<br />
in der Philosophie".<br />
- Gottfried Graf, in Mengen geboren, war Gründer der Malergruppe<br />
Üecht und der Kantgesellschaft in Stuttgart sowie<br />
Professor an der Akademie der bildenden Künste in<br />
Stuttgart und Gründer der Suttgarter Holzschnittschule. Er<br />
starb 1938 in Stuttgart.<br />
3 Vgl. Sein Buch „Der neue Holzschnitt" 1. Aufl. 1927, Neuausgabe<br />
von W. P. Heyd in Cicero-Verlag Stuttgart 1976.<br />
4 Bilharz und Schopenhauer, Alfons Bilharz (1836-1925)<br />
zum Gedächtnis. Von Rudolf Metz, Heidelberg im 14. Jahrbuch<br />
der Schopenhauer-Gesellschaft für das Jahr 1927, ausgegeben<br />
am 22. 2. 1927, Sonderdruck.<br />
5 Die Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen, hg.<br />
von Raymund Schmidt, Band V, Verlag von Felix Meiner,<br />
Leipzig Seite 25 ff.<br />
6 „Anatomische Beschreibung der Geschlechtsorgane bei äthiopischen<br />
Eunuchen" (nach dem Katalog der Württembergischen<br />
Landesbibliothek Stuttgart).<br />
7 Ciba-Symposium Band 9, Heft 3, 1961, Seite 104.<br />
8 Nr. 10 vom 24. Mai 1919.<br />
„Unser teurer, verehrter Herr Geheimrat ist nicht mehr.<br />
Heute früh 6 1/2 Uhr sei er sanft entschlafen, wurde<br />
uns soeben telefonisch mitgeteilt.<br />
Es stand schon länger schlecht um ihn. Am Montag war<br />
ich noch bei ihm, es war schlimm, jedoch konnten wir<br />
noch nicht die Hoffnung aufgeben, daß er sich noch einmal<br />
etwas erholt; denn er war in den letzten zwei Jahren<br />
oft schlecht daran und hat sich immer wieder wunderbar<br />
erholt.<br />
Nun ist sein Erlöser Tod, nach dem er sich so gesehnt,<br />
endlich ganz leise gekommen. Am Montag früh wird Beerdigung<br />
sein."<br />
„Er war schließlich nur noch er selbst, sah nur noch sich<br />
selbst und die anderen nur noch getrübt im Spiegel seines<br />
eigenen Ich . . .<br />
So war der Gesamtverlauf der Philosophiegeschichte für<br />
Bilharz nur die Folie dessen, was er selbst zu verkünden<br />
hatte ..."<br />
schreibt Metz im Jahrbuch der Schopenhauer-Gesellschaft<br />
1927 ls .<br />
Was blieb von einem Menschenfreund, von einem Einsamen,<br />
von einem scharfen Denker, sind neun inhaltsschwere<br />
Bücher, deren letztes 1912 erschienen ist, und<br />
eine Fülle unveröffentlichter Manuskripte und Briefe,<br />
was blieb ist eine Gedenktafel am Elternhaus, die Bilharzapotheke<br />
und die Bilharzschule, die eher an den Bruder<br />
in Kairo erinnern als an den Philosophen und schwäbischen<br />
Grübler.<br />
„Wir forschen vergeblich nach den Gründen, die schuld<br />
daran waren, daß man sich nicht einmal die Mühe genommen<br />
hat, sich mit diesem mit hervorragender Denkund<br />
Schaukraft begabten Mann auseinanderzusetzen.<br />
. . . Man hat ihm nicht einmal die Ehre der Widerlegung<br />
angetan, man hat ihn einfach totgeschwiegen. Und all<br />
dies zu einer Zeit, in der man philosophierende Schwätzer<br />
und Hohlköpfe zu Dutzenden auf den Thron gehoben<br />
und gepriesen hat. An einem Denker, der aus echtem<br />
philosophischen Holz geschnitzt war, ist man achtungslos<br />
vorübergegangen," sagt Metz 1925 in einem Nachruf<br />
14 .<br />
Seine Freunde glaubten, sein Tag müsse noch kommen -<br />
uns scheint heute genug, wenn wir uns seiner erinnern.<br />
9 Cotta-Verlag Stuttgart 1879.<br />
10 Wir zitieren aus den Briefen, die sich im Nachlaß von Prof.<br />
Gottfried Graf befinden und aus dem Jahr 1922 bis 1925<br />
datieren.<br />
11 Diesem Brief muß eine Anfrage Gottfried Grafs vorausgegangen<br />
sein, der uns bis jetzt noch nicht bekannt ist. Aus<br />
der Antwort von Bilharz und dem folgenden Brief an Graf<br />
ist zu schließen, daß Graf den Philosophen gefragt habe, wie<br />
er dessen Lehre seinen französischen Freunden um Albert<br />
Gleizes, den Wortführer der französischen Kubisten, erläutern<br />
solle, da sie ihn, Graf, offenbar nicht verstünden. Graf<br />
muß in dieser Anfrage auch so etwas wie einen Interpretationsvorschlag<br />
gemacht haben, den Bilharz im Eingang zum<br />
Hauptteil des Briefes „Sie werden zum Grund der Sache . . .<br />
nie gelangen .. .") kritisiert. Diese Kritik von Bilharz muß<br />
den sehr empfindsamen Graf verletzt haben (siehe Briefzitate<br />
auf Seite 36).<br />
12 Siehe oben Anmerkung 5.<br />
13 Siehe oben Anmerkung 4.<br />
14 Deutsche Allgemeine Zeitung, Sonntagsbeilage „Welt und<br />
Wissen" Mai 1925.<br />
37
MANFRED HERMANN<br />
Das Rosenkranz-Altarbild aus der Pfarrkirche zu Inneringen<br />
Gleichwohl die aus dem Mittelalter stammende und 1739<br />
barock umgestaltete Pfarrkirche St. Martin 1861/62<br />
durch einen Neubau nach Plänen des fürstlichen Oberbaurats<br />
Joseph Laur in Sigmaringen ersetzt wurde, blieb<br />
doch eine Reihe von Ölbildern des alten Gotteshauses erhalten.<br />
Leider befinden sie sich zum Teil in bemitleidenswertem<br />
Zustand, da sie, auf einem Dachboden aufbewahrt,<br />
besonders Staub und Hitze ausgesetzt sind.<br />
Neben dem alten Hochaltarbild mit der Himmelfahrt<br />
Mariens 1 und dem bereits besprochenen Ölberg-Gemälde<br />
des einst auf der Frauenseite stehenden Allerseelenaltars,<br />
das die Gammertinger Malerbrüder Ambros und Anton<br />
Reiser 1779 geschaffen haben 2 , steht dort auch das<br />
Hauptblatt des ehemaligen Rosenkranz-Altares auf der<br />
Männerseite. In Form und Maßen entspricht es völlig<br />
dem Gegenüber 3 . Als Erinnerung an die einstige Rosenkranz-Bruderschaft<br />
stellt man es im Monat Oktober jeden<br />
Jahres auf den Marienaltar der heutigen Pfarrkirche.<br />
Rosenkranz-Bruderschaften entstanden in größerer Zahl<br />
in der Zeit des 30jährigen Krieges und kurz danach im<br />
Zug der religiösen Erneuerung und des geistigen Wiederaufbaus<br />
nach einer starken Verwilderung der Sitten<br />
während der Kriegsereignisse. Im Blick auf den gewaltigen<br />
Seesieg bei Lepanto über die Türken (1571), der von<br />
vielen Gläubigen dem Rosenkranz-Gebet zugeschrieben<br />
wurde, half diese Gebetsform zahlreichen Katholiken, im<br />
Aufblick zur Schutzmantelfrau die schweren Kriegs- und<br />
Pestjahre glücklich zu bestehen. Als Beispiele sollen die<br />
Rosenkranz-Bruderschaften von Pfullendorf (1615),<br />
Owingen bei Uberlingen (1627), Uberlingen (1632) und<br />
jene von Radolfzell aus dem gleichen Jahr dienen 4 . An<br />
allen vier Orten entstand sogleich durch die Bruderschaft<br />
ein prachtvoll geschmückter Rosenkranzaltar 5 . In<br />
Überlingen wird auch der Zusammenhang mit dem Dominikanerorden<br />
sichtbar, dessen Ordensgeneral die Errichtung<br />
einer Rosenkranz-Bruderschaft seit Pius V.<br />
(1566-72 Papst) vorbehalten war 6 : Am Fest Mariä<br />
Heimsuchung (2. 7.) 1632 setzte der Prior des Dominikanerklosters<br />
in Konstanz, P. Ambros Engelmann, die dortige<br />
Rosenkranz-Bruderschaft feierlich ein. Die Dominikaner<br />
waren es auch, die ein wenig später den Inhalt der<br />
Rosenkranz-Bilder festlegten: In der oberen Bildhälfte<br />
steht oder setzt Maria mit ihrem göttlichen Kind, den in<br />
der unteren Bildhälfte knienden hl. Dominikus und der<br />
hl. Katharina von Siena den Rosenkranz überreichend.<br />
So wurde auch in Inneringen durch den persönlichen<br />
Einsatz und Eifer des Pfarrers Jakob Schuler (1660 bis<br />
zu seinem Tod 1669 in Inneringen) am Sonntag Sexagesima,<br />
dem 12. Februar 1662, eine Erzbruderschaft des<br />
hl. Rosenkranzes, Jesu und Mariens feierlich gegründet 7 .<br />
Daß daran auch ein Pater aus dem Dominikanerkloster<br />
Konstanz, das im 18. Jahrhundert öfters von der Bruderschaft<br />
ein Almosen bekam, beteiligt war, steht zu vermuten.<br />
Die Bedeutung dieses religiösen Ereignisses<br />
kommt dadurch zum Ausdruck, daß sich als oberster<br />
Schutzherr Graf Hermann Egon von Fürstenberg, Heiligenberg<br />
und Werdenberg (1627-74) mit seiner Gemahlin<br />
Maria Franziska geb. Gräfin von Fürstenberg-Stühlingen<br />
(1638-80) in das Mitgliedsbuch eintragen ließ.<br />
Neben dem Namen des Begründers und Präses finden<br />
wir den des damaligen Pfarrers von Dürrenwaldstetten,<br />
des Paters Ambrosius Revellio, Konventuale des Benediktinerklosters<br />
Zwiefalten. Einige Zeit darauf ließ sich<br />
38<br />
Christian Wiedmann, von 1663-73 Pfarrer in Harthausen<br />
a. d. Scher einschreiben, ferner Johann Franz<br />
Schwab, Kurat in Inneringen. Als Präfekt der Bruderschaft<br />
erscheint Johann Christoph Gumppert, Vogt der<br />
fürstenbergischen Herrschaft Jungnau; als Sekretär<br />
Isaak Andreas Täglin, Amtsschreiber der Herrschaft. Die<br />
Liste der Inneringer Mitglieder führte Schultheiß Johann<br />
Böglin an.<br />
Das Titularfest der Erzbruderschaft begingen die Mitglieder<br />
in feierlicher Form jeweils am ersten Sonntag des<br />
Rosenkranzmonats Oktober. Es kam stets eine große<br />
Menge Beichtender zusammen, um den vollkommenen<br />
Ablaß zu gewinnen. Vor dem Festgottesdienst gab es<br />
eine Prozession um die Kirche; am Nachmittag nach der<br />
Vesper eine zweite feierliche Prozession mit dem Allerheiligsten<br />
im Ziborium durch das Dorf, angeführt von<br />
Kreuz und Fahnen, der Priester unter dem Traghimmel,<br />
mit 15 Mädchen bzw. Jungfrauen, die die Bruderschaftsschilde<br />
mit den aufgemalten Rosenkranzgeheimnissen<br />
und eine Kerze trugen, dazu sechs bis acht Jungfrauen,<br />
die auf einem Traggestell eine Madonnenfigur mit<br />
Kind 8 bei sich führten. Es ist selbstverständlich, daß die<br />
Mitglieder angehalten waren, eifrig das Rosenkranzgebet<br />
zu pflegen. Darüber hinaus wurde jeweils am ersten<br />
Sonntag eines Monats, dann auch an den Marienfesten<br />
nach der Vesper dieselbe Prozession, wie vorhin beschrieben,<br />
abgehalten. Es ist keine Frage, daß diese Veranstaltungen<br />
Höhepunkte des kirchlichen Lebens in Inneringen<br />
dargestellt u. ein prachtvoll-buntes Bild abgegeben<br />
haben. Nach den vier Marianischen Hauptfesten<br />
(Lichtmeß, Verkündigung, Himmelfahrt und Geburt)<br />
feierte man für die verstorbenen Mitglieder am Bruderschaftsaltar<br />
- daher auch seine Bedeutung - eine<br />
hl. Messe 9 . Somit wird deutlich, wie sehr auch eine solche<br />
Bruderschaft auf die Sicherung des Seelenheiles hin<br />
angelegt war: Jedes Mitglied hatte die Garantie, daß es<br />
auch über seinen Tod hinaus in das Gebet und das<br />
hl. Opfer der Gemeinschaft eingeschlossen blieb.<br />
Auch in Inneringen dürfte sogleich nach der Gründung<br />
der Bruderschaft der dortige Rosenkranzaltar durch die<br />
Mitglieder in Auftrag gegeben worden sein, wahrscheinlich<br />
noch 1662. Leider haben wir darüber keine Unterlagen<br />
mehr. Nur das Altarbild gibt noch Zeugnis von ihm,<br />
der Aufbau ist mit all seinem Zierat leider verloren.<br />
Entsprechend der durch die Dominikaner gelieferten<br />
Bildvorlage sitzt in der oberen Bildhälfte die Madonna<br />
mit Kind auf einer Wolkenbank, ihr lichtumflossenes<br />
Haupt trägt eine Krone. Unter ihr kniet - vom Beschauer<br />
aus gesehen - links der hl. Dominikus, den Rosenkranz<br />
aus der Hand der Gottesmutter empfangend<br />
und, das Gesicht im Profil wiedergegeben, zu ihr und<br />
ihrem Sohn aufblickend. Als Attribut ist dem Ordensmann<br />
ein Hund beigegeben, der eine Fackel im Maul<br />
trägt, auf das Wortspiel hinweisend „Domini canis = des<br />
Herren Hund" und auf den Traum seiner Mutter vor<br />
der Geburt, ihr Sohn werde durch sein Wirken gleichsam<br />
die Welt in Brand stecken. Rechts neben Dominikus<br />
kniet die hl. Katharina von Siena, dargestellt im Gewand<br />
der Dominikaner-Terziarinnen. Mit der emporgehaltenen<br />
Rechten erhält auch sie, diesmal aber aus der<br />
Hand des Kindes, den Rosenkranz überreicht; in der<br />
Linken trägt sie eine weiße Lilie als Zeichen der Jungfräulichkeit,<br />
auf dem Haupt eine Dornenkrone als Hin-
weis, daß die He ge bei ihrer Wahl zwischen Rosen<br />
und Dornen sich für die letzten und damit für ein leiderfülltes<br />
Leben entschied. Oben und seitlich rahmen 15<br />
ovale Medaillons mit den Darstellungen der Rosenkranzgeheimnisse<br />
das Gemälde, die Berührungspunkte werden<br />
hüben und drüben von Rosen geschmückt.<br />
In welchen kunstgeschichtlichen Zusammenhang ist das<br />
Bild einzuordnen? Die Handschrift des nicht urkundlich<br />
belegten Meisters weist deutlich in die Zeit vor 1700, näherhin<br />
ist eine Entstehung vor 1670 anzunehmen. Zum<br />
Glück geben die Gesichter der Heiligen etliche Hinweise.<br />
Sie zeigen deutliche Verwandtschaft mit solchen auf Gemälden<br />
im Raum Heiligkreuztal, die vom dortigen Klostermaler<br />
Hans Erhard Veser und seinem Sohn Jerg Ferdinand,<br />
beide in Andelfingen, geschaffen wurden. Ein sicheres<br />
Werk des Vaters Hans Erhard ist das Altarbild<br />
„Hl. Eligius in der Schmiede, über ihm auf Wolken der<br />
hl. Antonius mit Christkind und Gottesmutter" vom linken<br />
Seitenaltar der Kapelle Unserer Lieben Frau in Andelfingen<br />
10 . Übrigens ist der Altaraufbau rückseitig mit<br />
„M. Bernhardt Feyrstein 1669", dem Namen des Altarbauers<br />
und Schwagers von Hans Erhard Veser, bezeichnet.<br />
Das Bild zeigt eine recht flotte Malweise, andererseits<br />
ist es von nur durchschnittlicher Qualität; eine Feststellung,<br />
die auch für das Inneringer Rosenkranzbild<br />
gilt. Gerade Arme und Hände sind dem Maler nicht<br />
überzeugend gelungen.<br />
Hans Erhard Veser, Stammvater einer in vier Generationen<br />
tätigen und vielbeschäftigten Malerfamilie Andelfin-<br />
gens n , war der Sohn des Heiligkreuztaler Amtmanns<br />
(„praefectus") Melchior Veser, der für den Frauenchor<br />
in Heiligkreuztal ein Ölgemälde mit der Darstellung<br />
Christi am Kreuz stiftete, versehen mit den Buchstaben<br />
M. V. und der Zahl 1658, dazu das Wappen des Heiligkreuztaler<br />
Amtmanns. Natürlich hat dieser niemand anders<br />
als seinen Malersohn mit dem Bild beauftragt. Nach<br />
dem Ende des 30jährigen Krieges (1650/51) heiratete<br />
Hans Erhard eine Maria Schmidin, die ihm vier Kinder<br />
schenkte, bei der Geburt des letzten 1658 jedoch starb.<br />
Als am 16. 4. 1652 der älteste Sohn und Werkstatt-<br />
Nachfolger Georg Ferdinand getauft wurde 12 , konnte<br />
der Vater erlauchte Paten aufbieten: Freiherrn Baltasar<br />
Ferdinand von Hornstein zu Grüningen und die Äbtissin<br />
M. Euphrosine Precht von Hochwarth aus Heiligkreuztal,<br />
die allerdings nicht selbst anwesend war. Diese persönlichen<br />
Beziehungen werfen nicht nur Licht auf die<br />
Wertschätzung des Malers, sondern auch auf geschäftliche<br />
Verbindungen. Ohne Zweifel war Hans Erhard Veser,<br />
gefördert durch den Vater, so etwas wie der Heiligkreuztaler<br />
Klostermaler. Einen Monat nach dem Verlust<br />
der Gattin schloß der Witwer, um seinen unversorgten<br />
Kindern wieder eine Mutter zu geben, am 16. Mai 1658<br />
mit Anna Maria Aichin aus Meßkirch, der Schwester des<br />
Andelfinger Pfarrers Sebastian Aichin, die Sponsalien<br />
und am 4. Juni die Ehe. Dies zeigt, wie sehr Veser mit<br />
dem heimischen Pfarrhaus verbunden war. Die zweite<br />
Frau schenkte dem Maler acht weitere Kinder, von denen<br />
etliche jedoch im Kleinkindalter starben. Bemerkenswert<br />
ist die Beziehung zum Altarbauer und Gelegenheitsschnitzer<br />
Bernhard Feuerstein 13 , der am<br />
10. Mai 1663 mit Catharina Aichin die Sponsalien und<br />
am 10.. Juni die Ehe schloß und somit der Schwager Vesers<br />
wurde. Beide haben nicht nur beim linken Seitenaltar<br />
der Kapelle ULF in Andelfingen, sondern gewiß<br />
auch in vielen anderen Fällen zusammengearbeitet.<br />
Höchstwahrscheinlich hat die Inneringer Rosenkranzbruderschaft<br />
nicht nur beim Maler in Andelfingen ein<br />
neues Altarblatt bestellt, sondern gleich einen ganzen<br />
Altaraufbau, den kein anderer als Feuerstein ausgeführt<br />
haben konnte. Er dürfte sich kaum vom genannten Altar<br />
in der Kapelle zu Andelfingen unterschieden haben. Der<br />
Maler Hans Erhard Veser starb relativ früh am 13. Februar<br />
1676 in einem Alter von 50 bis 55 Jahren. Dabei<br />
trat der Tod so rasch ein, daß er nur noch die Absolution<br />
des Priesters empfangen konnte 14 .<br />
Uber die Renovation des Rosenkranz-Altars in Inneringen<br />
im Jahr 1778 berichtet Johann Otts Dorf-Chronik<br />
15 : „Ist in dieser Zeit unser Lieben Frauen Bruderschaft<br />
Altar neyerdingen durch Herrn Pfarrer (Alois<br />
Lindau) wie auch die Liebe Mutter Gottes zue Ehren<br />
durch den Maller von Gammertingen aufgerichtet und<br />
gemallet worden". Im Rechnungsbuch der Rosenkranz-<br />
Bruderschaft 16 werden dazu folgende <strong>Ausgabe</strong>n vermerkt:<br />
„Bey Fassung des Bruderschaft Altars, auch des<br />
Bildnuß Maria, welche bei denen Monat sontäglichen andachten<br />
umbgetragen wird, sind nachfolgendte posten liquidiret<br />
worden, Bey Verdingung der Faßarbeit, nicht<br />
minder da die Maler an Sontagen ohne arbeitt den halben<br />
tag zugebracht, haben selbige Verzehrt 1 fl 36 xr.<br />
Anton Reiser arbeidet 32 Tag, für Zörung des Tags, bett<br />
und quartier, auch 1 Maaß Bier über Tisch, habe des tages<br />
für Zöhrung angerechnet 32 xr, als in 32 Tagen 17 fl<br />
4 xr. Sein Bruder Ambrosy Reiser arbeittet 17 Tag, für<br />
Zöhrung wie oben 9 fl 4 xr. Taglohn wurde laut gepflogene<br />
Verabredung iedem des tags accordiret 40 xr, also<br />
dem Anton Reiser für 32 tag entrichtet 21 fl 20 xr. Seinem<br />
Bruder Ambros für 17 tag 11 fl 20 xr. Denenselben<br />
wegen gelieferten Farben 2 fl. Denenselben für V2 Maaß<br />
39
spanischen Fürniß 2 fl. Denenselben nach gutt ausgefallener<br />
arbeitt doceur 2 fl 24 xr". Weitere kleinere und<br />
größere Posten wurden ausgegeben, der Gesamtaufwand<br />
für die Renovierung kam auf 128 fl 11 xr. Die Neufassung<br />
der Muttergottes-Statue kostete 16 fl. Wie schon<br />
früher ausgeführt, überrascht der Auftrag an die Gammertinger<br />
Malerbrüder nicht wenig 17 , da doch in dem<br />
einheimischen Lukas Flöß (1751-1834) ein tüchtiger<br />
Faßmaler zur Verfügung stand. Offensichtlich befand<br />
sich dieser jedoch auf Wanderschaft. Erst am 6.2. 1786<br />
heiratete er zuhause Magdalena Steinhart 18 und übernahm<br />
die seit Vaters Tod im Jahr 1772 verwaiste<br />
Werkstatt.<br />
Verständlicherweise entsprach der Rosenkranz-Altar von<br />
1662/70 nicht mehr dem Geschmack des 19. Jahrhunderts,<br />
so daß er bei der Ausstattung des Kirchenneubaus<br />
1862 ersetzt wurde, zumal er bei einem flachen Aufbau<br />
mit einem Säulenpaar und naiven, knorpelhaften Ornamentschnitzereien<br />
auch nicht sonderlich attraktiv ausgesehen<br />
haben mag.<br />
Eigentum der Rosenkranz-Bruderschaft war auch die<br />
oben angeführte Madonna, die auf einem Traggestell<br />
von Jungfrauen bei der Prozession mitgeführt wurde.<br />
Vermutlich ist sie die Muttergottesfigur, die heute am<br />
Südpfeiler des Chorbogens der Pfarrkirche aufgestellt<br />
ist. Die Plastik stammt ohne Zweifel noch aus dem<br />
17. Jahrhundert und zeigt eine recht gute Qualität. Aus<br />
daß sie bereits 1715 vorhanden war. 1734 hatte der<br />
Schreiner für sie ein neues Traggestell zu fertigen. Am<br />
dem Rechnungsbuch der Bruderschaft geht nur hervor,<br />
20. April 1735 kaufte man 12 Ellen halbseidenen Damast<br />
zu einem Baldachin und einem Mantel für die Madonna<br />
(dem Tragbild der hl. Jungfrau) ein. Am 18. Juli gleichen<br />
Jahres gab man 5 fl für die Vergoldung der beiden<br />
neugeschaffenen Kronen der Muttergottes und des<br />
Christkinds aus 19 .<br />
Die Figur zeigt eine schlanke Gestalt in hochgegürtetem<br />
Kleid mit senkrecht niedergleitenden Falten, umgeben<br />
von einem weitauswehenden, windgeblähten Mantel. Das<br />
liebliche Antlitz wird von fülligem, wellenförmig fließendem<br />
Haar gerahmt, das sich über den Ohren aufbauscht.<br />
Während die Rechte das Himmelsszepter hält,<br />
umschließt der linke Arm locker das segnende und mit<br />
den Beinchen zappelnde Jesuskind. Beide tragen auf dem<br />
1<br />
Das 210 x 140 cm messende Ölgemälde auf Leinwand ist<br />
rissig, verzogen und verbeult, die Farbschicht an vielen<br />
Stellen spröde geworden. Dennoch ist die sehr gute Qualität<br />
zu erkennen, es könnte von Meinrad von Au, 1739 wohl<br />
noch in Riedlingen, gemalt sein. Leider tragt das Bild keine<br />
Signatur.<br />
2<br />
Manfred Hermann, Zur Pfarr- und Kunstgeschichte Inneringens,<br />
in HH 1974, S. 12-15, Abb.<br />
3<br />
öl auf Leinwand, mit Rahmen 186 x 110 cm. Keine Signatur<br />
oder Datum.<br />
4<br />
Claus Zoege von Manteuffel, Die Bildhauerfamilie' Zürn<br />
1606-66, Bd. II S. 329 ff., 477 ff., 390 und 393 f. Vgl. Josef<br />
Schneider, Jahrhundertelang das religiöse Leben der<br />
Heimat geformt - Rosenkranzmonat Oktober noch heute<br />
stark betont, Wertvolle alte Andachtsbilder, in: HH 1960,<br />
S. 59-61. Abb. v. Rosenkranzbildern in Gruol, Haigerloch,<br />
Rangendingen und Kirchberg.<br />
5<br />
s. Anm. 4: Claus Zoege, Abb. 37-53, 188-204, 212-13,<br />
WU 94 S 478/79.<br />
6<br />
Lex. f. Theologie u. Kirche, hgbn. v. J. Höfer u. K. Rahner,<br />
Bd. 9 (1964), Sp. 47.<br />
7<br />
PfA Inneringen, Liber - continens nomina omnium Sodalium<br />
Archifraternitatis SSmi Rosarij, Jesu et Mariae etc, ab<br />
1662.<br />
8<br />
Heute am südl. Pfeiler des Chorbogens der Pfarrkirche.<br />
40<br />
Haupt, das zusätzlich von einem Strahlenkranz umgeben<br />
ist, eine reichverzierte Krone. Offensichtlich war die<br />
Madonnenfigur für eine Standplatte konzipiert, später<br />
aber durch eine Erdkugel mit Schlange ergänzt worden,<br />
als das Fest der Unbefleckten Empfängnis 1708 allgemein<br />
in der Kirche durch Papst Klemens XI. eingeführt<br />
wurde. So trifft zwar der linke Fuß Mariens die Schlange,<br />
der andere jedoch schwebt frei in der Luft.<br />
Die Frage nach dem Bildhauer ist nur schwer zu beantworten,<br />
da sich kaum vergleichbare Plastiken finden.<br />
Immerhin ist an einen Riedlinger Bildhauer vor 1700 zu<br />
denken, etwa an Georg (Jörg) Martini, der in Hohenzollern<br />
vor allem für Habstal gearbeitet hat 20 .<br />
GesH. 163 cm, alte Fassung wiederhergestellt. Rückseite<br />
durch Deckbrett verschlossen.<br />
9<br />
PfA Inneringen, Anniversarienbuch II S. 39. Das Buch ist<br />
angelegt 1733 von Pfarrer Joh. Konrad Arbogast Gauch<br />
(1732-47 in Inneringen).<br />
10<br />
Die Kunst und Altertums-Denkmale in Württemberg -<br />
Kreis Riedlingen, bearb. v. W. v. Matthey u. H. Klaiber,<br />
Stuttgart/Berlin 1936, S. 50.<br />
11 2<br />
Beschreibung des OA. Riedlingen, Stuttgart 1923 . Darin:<br />
Th. Selig, Namhafte Persönlichkeiten, unter: Andelfingen,<br />
S. 569.<br />
12<br />
PfA Andelfingen, Tauf-, Ehe- und Totenbücher.<br />
13<br />
S. Anm. 12. Bernhard Feuerstein-starb am 23. Feb. 1715 lt.<br />
Totenbuch.<br />
14<br />
PfA Andelfingen, Totenbuch.<br />
15<br />
PfA Inneringen, „Gedenkh- und Merkh-würdige Sachen, die<br />
sich bey meinen Lebzeiten hin und wieder zue getragen haben<br />
. .., den Anfang darzue gemacht In Anno 1722".<br />
16<br />
PfA Inneringen, geführt ab 1715.<br />
17<br />
Manfred Hermann, Volkskunst auf dem Hochberg bei Neufra<br />
- Zeugnisse der Volksfrömmigkeit auf der Zollernalb,<br />
Sigmaringen 1974, S. 33 f.<br />
18 19<br />
PfA Inneringen, Ehebuch. S. Anm. 16.<br />
20<br />
Kunstdenkmäler Kr. Sigmaringen, Stuttgart 1948,<br />
S. 127-29.
FRITZ SCHEERER<br />
Aus der Geschichte der Lauchert<br />
Wandern wir durch das mittlere und untere Laucherttal,<br />
so fallen uns zwei ganz ungleiche Talabschnitte auf. Von<br />
Veringendorf bis zum „Weitenried" (Name!) beim Bahnhof<br />
Hanfertal schlängelt sich die Lauchert in dem weiten<br />
Tal in Nord-Süd-Richtung gemächlich in vielen Schlingen<br />
dahin. Noch 1955 konnte sie hier weite Teile des<br />
Tales überschwemmen. Mit scharfem Knick schwenkt sie<br />
nun in westöstliche Richtung ein, um erst wieder ab<br />
Hitzkofen die alte Richtung einzuschlagen. Vergebens<br />
suchen wir bei Hornstein in einer breiten Mulde die Lauchert:<br />
sie zwängt sich hinter einem Waldhügel durch<br />
eine enge Felsenklamm, durchs „Bittelschießer Täle", das<br />
Glanzstück des Laucherttales, und quert darnach ein<br />
Tal. Ab Hitzkofen bleibt ihr mit Kalktuff bedecktes Tal<br />
bis zur Mündung in die Donau bei Sigmaringendorf eng.<br />
Auch das Donautal zeigt bei Sigmaringen die größten<br />
Gegensätze. Von Laiz bis zur Stadt ist die Talsohle 600<br />
bis 900 m breit. Zwischen Schloßfelsen und Mühlberg<br />
muß sich die Donau durch einen felsigen Engpaß von<br />
nur 70 m zwängen, in dem man für Straße und Bahn<br />
erst Raum durch Sprengungen gewinnen konnte. Unterhalb<br />
der Engstelle ist dann das Tal wieder 300 bis 600 m<br />
breit.<br />
Man könnte diese Gegensätze im Donau- und Laucherttal<br />
auf das Gestein zurückführen wollen. Denn im Massenkalk,<br />
Riffkalk (Beuron, Schloßfelsen, unteres Laucherttal<br />
usw.) sind die Täler eng. Aber eine Einengung<br />
der Talsohle auf 1/10 geht über den Einfluß des Gesteins<br />
hinaus (Wagner). Und zudem zeigt die geologische<br />
Karte noch 1 km flußauf vom Sigmaringer Engpaß Massenkalk,<br />
dagegen aber, wie auch die in den letzten Jahren<br />
erfolgte Donaukorrektion zeigte, Aufschüttung bis<br />
zu 8 m. Ähnlich liegen die Verhältnisse vom „Weitenried"<br />
an Lauchert aufwärts, wo abgelagerte Bändertone,<br />
Sande und Jurakies in der Talsohle den kompakten Jurafels<br />
viele Meter bedecken, wie zwei Bohrungen bei<br />
Veringendorf bewiesen haben. Täler, wo so unvermittelt<br />
Talengen und Talweiten abwechseln, ohne daß das Gestein<br />
eine ausreichende Erklärung bietet, sind verdächtig:<br />
es handelt sich hier meist um Flußverlegungen, die durch<br />
Schotter nachgewiesen werden können.<br />
Wie steht es nun bei der unteren Lauchert? Sind bei ihr<br />
Laufverlegungen im Zusammenhang mit Donauverlegungen<br />
festzustellen? Wenn ja, kann das alte Gewässernetz<br />
noch gezeichnet und daraus die Geschichte des Flusses<br />
und der Landschaft rekonstruiert werden? Um diese Fra-<br />
gen beantworten zu können, wollen wir die Sedimentfüllungen<br />
der im Gelände vorhandenen Rinnen kennenlernen.<br />
Der Landesgeologe Dr. Karl Schädel und andere Geologen<br />
konnten aufgrund der in den letzten Jahren feldgeologisch<br />
durch Refraktions-Seismik (unterschiedliche<br />
Schallgeschwindigkeiten im geologischen Untergrund)<br />
und durch Bohrungen durchgeführten Untersuchungen<br />
die verschiedenen eiszeitlichen Rinnenfüllungen weitgehend<br />
aufhellen und zu Ergebnissen kommen.<br />
Vom Landeskrankenhaus Sigmaringen führt nördlich der<br />
langgezogenen, waldbedeckten Felskuppe des Mühlbergs<br />
bis zum Schützenhaus im unteren Hanfertal eine mit<br />
Schotter und Moränematerial verfüllte flache Rinne, die<br />
dann von der neuen Siedlung zum Laucherttal (Bahnhof<br />
Hanfertal) hinüberführt. Nördlich davon schließt sich<br />
die vermoorte Senke des „Weitenrieds" an, aus der einzelne<br />
Massenkalkklötze herausragen. Weiter nach Nordosten<br />
bildet das heutige Laucherttal die Fortsetzung der<br />
Rinne, östlich Hitzkofen liegt zwischen dem Weißjura<br />
eine Scharte, durch die die Straße nach Mengisch-Heudorf<br />
führt. Diese Rinne ist ebenfalls mit quartärem<br />
Schottermaterial verfüllt, ähnlich wie der Sattel des<br />
Hanfertals, in dem in einer Höhe von 573 bis 575 m<br />
ü .NN Donauschotter des Schwarzwaldes und darüber<br />
bis 586 m ü. NN hochglaziale alpine Schotter der Rißeiszeit<br />
liegen. In der Rinne muß also ein altes, rißeiszeitliches<br />
Donautal begraben sein, das auf der ganzen<br />
Strecke im Massenkalk lag. Seine Sohle hatte eine Breite<br />
von 170 bis 200 m. Da der tiefste Punkt des Sattels etwa<br />
620 m ü. NN war, ergeben sich rund 60 m quartärer<br />
Verfüllung. Die Lauchert mündete so beim Weitenried<br />
(570 m), also ungefähr 35 m unter der heutigen Talaue<br />
(605 m). Diese Rinne Sigmaringen-Hanfertal-Laucherttal-Hitzkofen-Mengisch-Heudorf<br />
wird von den Geologen<br />
„Lauchert-Rinne" genannt.<br />
Bis zur Mindeleiszeit mündete aber die Lauchert sehr<br />
wahrscheinlich oberhalb Hitzkofen etwa 2 km westlich<br />
Mengisch-Heudorf in die Donau, die damals ihren Lauf<br />
nicht durch die „Lauchert-Rinne", sondern durch die<br />
„Scheer-Rinne" (s. Zeichnung) über Sigmaringendorf,<br />
dann mit weiter Talschlinge nach Süden westlich des<br />
Hipfelberges ausbog (dortige Bohrung mit viel Schwarzwaldmaterial),<br />
quert oberhalb Scheer das heutige Donautal,<br />
um gegenüber der Scheerer Altstadt nach Norden<br />
in das heutige Hochgebiet einzutreten (s. Geol. Karte),<br />
zwischen den Weißjurahöhen „Stauden", „Dominisbühl"<br />
im Westen und „Finsteres Wäldle", „Rückhau" im Osten<br />
etwa parallel dem heutigen Laucherttal weiterzog, um<br />
die obengenannte Scharte der nördlichen Donaurinne<br />
westlich Heudorf zu erreichen und weiter ihren Lauf<br />
über Wilflingen, Altheim, Waldhausen bei Riedlingen zu<br />
nehmen. Dieser Donauverlauf ist durch Bohrungen nachgewiesen;<br />
auf ihn kann aber hier nicht weiter eingegangen<br />
werden. Die Ursachen für den Übertritt der Donau<br />
aus der „Scheer-Rinne" in die „Lauchert-Rinne", die bis<br />
dahin nur von der Lauchert benützt wurde, konnten bis<br />
jetzt nicht geklärt werden.<br />
Als in -der Rißeiszeit die Gletscher zwischen Laiz und<br />
Zwiefaltendorf die Donau überschritten, wurde nicht<br />
nur das Donautal, sondern auch das damalige untere<br />
Laucherttal von Gletscherschutt aufgefüllt. Ein Stausee<br />
entstand im Laucherttal, der durch den Lauchertgrabenbruch<br />
noch begünstigt wurde. Die Donau wurde bei<br />
Dietfurt/Vilsingen aufgestaut. Der Spiegel des Lauchert-<br />
41
sees dürfte zur Zeit des maximalen Gletscherstandes höher<br />
als 650 m hoch gelegen haben. Sein Stauraum reichte<br />
flußaufwärts mindestens bis Mägerkingen. In ihm wurden<br />
Kies und Bändertone abgelagert, wie die schon oben<br />
genannten zwei Bohrungen nordwestlich vom Bahnhof<br />
Veringendorf bewiesen haben.<br />
Nach dem Rückzug des Rißgletschers fanden Donau und<br />
Lauchert ihr altes, jetzt verschüttetes Tal nicht wieder,<br />
sie „entgleisten". Die Donau schuf sich weiter südlich<br />
(zwischen Schloßfelsen und Mühlberg usw.) einen Weg.<br />
Der Abfluß der Lauchert von Hitzkofen nach Mengisch-<br />
Heudorf war durch Moräneschutt versperrt. Sie mußte<br />
sich daher einen neuen Weg suchen. So entstand von<br />
Hitzkofen an eine geradlinige Fortsetzung des Mosteltales.<br />
der heutige in Massenkalk eingegrabene enge Unterlauf<br />
der Lauchert, der sich nun durch die Südverlegung<br />
der Donau um fast 10 km verlängerte. Vom Weitenried<br />
bis Hitzkofen benützte sie die alte Donaustrecke, geriet<br />
aber bei Hornstein neben dieses alte Tal und war gezwungen,<br />
sich in den Massenkalk einzuschneiden („Bittelschießer<br />
Täle") (s. oben).<br />
Zur Ermittlung baulicher Anlagen des 1707 gegründeten<br />
Fürstlich-Hohenzollerischen-Hüttenwerks Laucherthal<br />
wurden 1959 35 Bohrungen bis auf den kompakten Jurafels<br />
der Talsohle niedergebracht. Dabei mußte eine<br />
mächtige Kalktuffverfüllung durchsunken werden. Der<br />
an der Kalktuffbasis angefahrene Torf wurde pollenana-<br />
HERMANN BAUER<br />
Die Heuneburg im Spiegel der Sage<br />
100 Jahre Spatenforschung (seit 1876), davon die letzten<br />
25 Jahre intensive Ausgrabungsarbeit auf der Burg selber,<br />
haben den Bannbereich der Donau-Heuneburg zur<br />
„klassischen Quadratmeile der Vorgeschichte Süddeutschlands"<br />
1 werden lassen.<br />
Das Bild einer frühkeltischen Akropolis dämmert herauf,<br />
mit vielfältigen Beziehungen zur geschichtlichen Welt<br />
des Mittelmeeres.<br />
Wie steht es da mit der mündlichen Überlieferung? Verwahrt<br />
der Sagenschatz irgendwelche Erinnerung an diese<br />
frühe glanzvolle Vergangenheit?<br />
Im Heuneburgführer 2 lesen wir: „Da jedoch die geschichtliche<br />
Überlieferung abgerissen war, half man sich<br />
bei der Namengebung mit Bezeichnungen mythenhaften<br />
Charakters".<br />
Diese kurze Abfertigung der Überlieferung durch den<br />
Vorgeschichtsforscher darf uns nicht beirren. Ein Wissenschaftler,<br />
der gewohnt ist ausschließlich und buchstäblich<br />
auf dem Boden harter Tatsachen zu arbeiten,<br />
taucht nicht gern in den Nebel der Sagenwelt, um dem<br />
heimlichen Flüstern vergangener Geschlechter zu lauschen.<br />
Wollen wir Genaueres über die Sagen erfahren, werden<br />
wir in den Repräsentationsräumen der heutigen Wissenschaft<br />
vergeblich suchen. Wir müssen schon an die armselige<br />
Gesindekammer des Aschenbrödels Volkskunde<br />
klopfen. Da öffnet uns kein Geringerer als der Altmeister<br />
der Volkskunde im Bussenländle Dr. Michel Buck.<br />
Er gibt uns bereitwillig Auskunft über das, was er als<br />
Ertinger über den dortigen Grabhügel Rauher Leh und<br />
die Heuneburg gehört hat, gereimt und verdichtet in bester<br />
schwäbischer Mundart:<br />
42<br />
lytisch untersucht und erlaubte eine genaue zeitliche Einstufung<br />
der 14-15 m starken Talfüllung. Die Torfbildungen<br />
(spätpleistozän und holozän = früher Diluvium<br />
und Alluvium) dauerten rund 4200 Jahre (von 12 500<br />
bis 8300). Die Bildung des auf dem Torf lagernden pollenleeren<br />
Tuffes begann mit dem Einsetzen der Vorwürmzeit,<br />
also seit etwa 8300.<br />
Zusammenfassend können wir feststellen, daß der Oberlauf<br />
der Lauchert bis zum Weitenried beim Bahnhof<br />
Hanfertal immer Laucherttal war, während der Unterlauf<br />
vom Weitenried ab bis Sigmaringendorf erst seit der<br />
großen Rißvereisung endgültig von der Lauchert durchflössen<br />
wird. Ihre Wechselgeschichte hängt mit den<br />
Laufverlegungen der Donau in der Mindel- und Rißeiszeit<br />
zusammen. Das Laucherttal besteht so aus zwei<br />
flußgeschichtlich sehr ungleichen Abschnitten.<br />
Literatur:<br />
Göttlich, K. H. und Werner, /., Zur Flußgeschichte der Lauchert.<br />
Jahrb. u. Mitteilungen d. Oberrh. Geol. Vereins. 1968.<br />
Schädel, K., Untersuchungen zur Aufdeckung glazial erfüllter<br />
Täler im Donaugebiet von Sigmaringen bis Riedlingen. Jahresh.<br />
d. geologischen Landesamtes Baden-Württemberg.<br />
1965.<br />
Wagner, G., Epigenese bei Sigmaringen. Jahrb. d. Vereins vaterländerischer<br />
Naturkunde Württemberg. 1955.<br />
Schmitt, M., Geolog. Blatt Sigmaringen 1:25 000. 1935.<br />
Dr Roualaih<br />
An die Mözafreitig, wenn do<br />
D'Sonna sinkt in Praacht und Stolz<br />
Und beim Schoida 's Land vergoldat,<br />
d'Schnaiberg glüahat übram Holz,<br />
Föhrt dr Heunaburger König<br />
Uffam letzschta Sonnastrohl<br />
Übers Tal im goldna Waga<br />
Rum gem Roualaih zum Mohl.<br />
Denn im Laihberg leit sei' Obrist<br />
- an der Stell vom Feindsvolk taidt -<br />
Und.dea Burra haund di Seini<br />
In de Bleachhüat zeema trait.<br />
Und am Obad, wo-n-er gfalla,<br />
Stoht er ouf und guckt vom Stoi',<br />
Ob en gauh sei alter König,<br />
Suach au huiar wieder hoi'.<br />
Und se blosat uff de Höaner,<br />
Und ma hairt a grousigs Gschroi,<br />
Wofa au und Glöser klinga<br />
Bis am Moanzi umma zwoi.<br />
Jeatza reit der roschtig Reiter<br />
Pfeilgschneall uss em Roualaih<br />
Und ear schreit: „Iahr Leut, jeatz weichet,<br />
Daß koim Menscha gschiecht koi Waih!"<br />
Und ma hairt noch Waga rassla,<br />
Hengscht und Reiter schreia lout,<br />
Bealla, blosa, tromma, johla,<br />
Daß s oim gruslat uff dr Hout.<br />
Und se fahrat nouff in d Lüfta<br />
Und kassei bis über' s Meer,<br />
„Bhüat üs Gott voarm Muatis Heer!"<br />
Wear es hairt, leit na' und beattat:
WANDERM6E ZU DEN FmGESCHICHTUCHEN DENK"<br />
MALEH a BEI DER HEUHEBURG<br />
L L<br />
ft t- ffl-<br />
A. L 4 ' ' ' ' •'<br />
*<br />
Legende :<br />
ü HEUNEBURG,befestigte Höhensiedlung in 3 Kulturperioden :<br />
mittl.Bronzezeit frühes Mittelalter<br />
nao ««v. rfWi U>6 . 7 ttt lettm efi Olrittuf<br />
Wehrdorf mit<br />
Wall u.Graben<br />
• 1<br />
Adelssitz<br />
ummauert<br />
Fliehburg<br />
doppelt.Halsgraben<br />
= GROSSGRABHÜGEL, heuneburgzeitlich; im Zentrum Holzkammer,<br />
Bestattung mit Wagen und Pferdegeschirr,noch in keltischer Zeit<br />
Ziel von Grabräubern • Nachbestattungen ohne Kammer.<br />
BAUMBURG , im Mittelalter zu einem Burghügel umgestaltet; Sage<br />
vom weißen Fräulein läßt vorchristliche Kultstätte vermuten .<br />
HÜGEL 1 BIS 4, an Stelle einer Heuneburgrandsiedlung errichtet ;<br />
Hügel 1 u. 2 1876 fast ganz abgetragen; aus Hügel 1 reiche Funde<br />
von 5 Wachbestattungen "Hundersinger Fürstengrab ";<br />
Hügel 4 1954 bis i960 ausgegraben.<br />
HOHMICHELE , größter Grabhügel Mitteleuropas, d=78m, h=13,5m ;<br />
1937/38 ausgegraben ; Grabmal des Ahnherrn der Heuneburgdynastie(?);<br />
im Umkreis viele kleine Grabhügel («••).<br />
BUKELTISCHES VIERECKHE1LIGTTJM, nachheuneburgzeitlich, ca.100 v.Chr.<br />
Der Rauhe Leh ist ein 7 m hoher Grabhügel, der, wie<br />
Funde beweisen, während des Bestehens der Lehmziegelmauer<br />
der Heuneburg aufgeschüttet worden ist (Kimmig).<br />
Die gemachten Funde stammen aus einer Grabkammer<br />
3-4 m über der Hügelsohle, ähnlich dem Frauengrab<br />
im Hohmichele.<br />
Auffallend ist die isolierte Lage des Rauhen Leh, von<br />
der Heuneburg jenseits des Donautales (5 km Luftlinie).<br />
Neben ihm befindet sich die Rauhen-Leh-Lache, ein<br />
sumpfiger Tümpel, vermutlich die Grube, aus der das<br />
Hügelmaterial entnommen wurde. Bei keinem anderen<br />
Grabhügel ist mir eine ähnliche Grube bekannt.<br />
Funde in der Nähe auf einem Sporn der Hochterrasse<br />
beweisen, daß bei Ertingen schon in der Hallstattzeit<br />
eine Siedlung bestand. Es muß wohl angenommen werden,<br />
daß sie zum Herrschaftsgebiet der Heuneburg gehörte.<br />
43
Michel Buck hat im Gedicht „Dr Roualaih" mehrere<br />
herumflatternde Sagenteile mit bewundernswertem Feingefühl<br />
zusammengefügt. Ich entnehme die einzelnen Teile<br />
der jüngsten und vollständigsten Sagensammlung des<br />
Altkreises Saulgau: Walter Bleicher, Geschichten, Sagen,<br />
Märchen und Ortsneckereien 1969:<br />
1. Die Sage vom Grab des Heerführers<br />
In Ertingen erzählt man sich, daß hier Erik v. Dietenburg<br />
(?) 3 , der Anführer der Bauern im Bauernkrieg, gefallen<br />
und bestattet worden sei.<br />
Nach einer anderen Sage sollen hier im 30jährigen Krieg<br />
schwedische Soldaten ihren toten Führer beerdigt und<br />
über seinem Leichnam den Hügel in der Weise aufgeschüttet<br />
haben, daß sie in ihren Helmen die Erde zu diesem<br />
Denkmal zusammentrugen(Bleicher).<br />
„Denn im Laihberg leit sei' Obrist<br />
- an der Stell vom Feindsvolk taidt -<br />
Und dea Burra haund die Seini<br />
In de Bleachhüat zeema trait."<br />
Diese Sage ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine uralte<br />
Geschichte während ihrer Überlieferung durch die Jahrhunderte<br />
jünger gemacht wird - man verlegt sie in eine<br />
besser bekannte Zeit. Ähnliches ist der Sage von Altbuchau<br />
widerfahren. Sie macht die Bewohner der Inselstadt<br />
zu Christen, die von Heiden angegriffen werden.<br />
Die Wasserburg Buchau aber, an welche diese Sage erinnert,<br />
ist 1000 Jahre vor Christus untergegangen. Michel<br />
Buck hat die zeitliche Verschiebung, wie die Funde von<br />
1934 beweisen, völlig richtig korrigiert.<br />
2. Die Sage von den Geistern im Rauhen Leh<br />
Michel Buck schreibt: Im Rauhen-Laihberg hausen 2<br />
alte, graue, langbärtige Männer mit noch anderen Geistern.<br />
An den 3 ersten Märzfreitagen hört man Musik in<br />
dem Berg, wodurch Unkundige vom rechten Weg abgeleitet<br />
werden. Meiner Mutter Mägde behaupteten, die<br />
beiden Männer einmal am hellen Tage gesehen zu haben,<br />
als sie neben dem Berg Garben banden. Auch hätten die<br />
Pferde anfangen stark zu schnaufen, bis die langkuttigen<br />
Gestalten hinter dem Berg verschwunden seien (Bleicher).<br />
„An die Mözafreitig, wenn do<br />
D' Sonna sinkt<br />
Und se blosat uff de Höaner,<br />
Und ma hairt a grousigs Gschroi,<br />
Waffa auch und Glöser klinga<br />
Bis am Moanzi umma zwoi."<br />
3. Die Sage vom Muetes Heer<br />
Recht wohl bekannt war bis vor kurzem s'Muetes Heer.<br />
So zieht es wie auf andern Heerstraßen auch auf der im<br />
Donautal (Römerstraße) bei Ertingen. Dort findet seine<br />
Fahrt im Rauhen Leh ihr Ende (Beschreibung d. O. A.<br />
Riedlingen 1923).<br />
„Föhrt dr Heunaburger König<br />
Uffam letzschta Sonnastrohl<br />
Übers Tal im goldna Waga<br />
Rum gern Roualaih zum Mohl.<br />
Jeatza reit der roschtig Reiter<br />
Pfeilgschneall uss em Roualaih<br />
Und ear schreit: Iahr Leut, jeatz weichet,<br />
daß koim Menscha gschiecht koi Waih!<br />
Und ma hairt noch Waga rassla,<br />
Hengscht und Reiter schreia lout,<br />
Bealla, blosa, tromma, johla,<br />
Daß s oim gruslat uff dr Hout.<br />
44<br />
Und se fahrat nouff in d Lüfta<br />
Und kassei bis übers Meer.<br />
Wear es hairt, leit na' und beattat:<br />
„Bhüat üs Gott voarm Muatis Heer!"<br />
Man hat sich daran gewöhnt, Muetes-Heer als Wodans<br />
Heer zu übersetzen. H. Chr. Schöll 4 gibt eine andere<br />
Deutung, die durchaus Beachtung verdient:<br />
Muetesheer = Mutters Heer = Totenheer der Mondmutter<br />
Wilbet und Wildes Heer = Wilbets Heer.<br />
4. Die Sage vom Heuneburger König<br />
Den Heuneburger König suchen wir in den Sagensammlungen<br />
vergeblich. Sollte er Michel Bucks Begeisterung<br />
über die Goldfunde von 1876 im sogenannten Hundersinger<br />
Fürstengrab entsprungen sein?<br />
Die Lösung dieser Frage verdanke ich dem verdienten<br />
Heimatforscher und Erzähler Dr. Josef Hepp, Mengen<br />
(1889-<strong>1975</strong>).<br />
In seiner Jugendzeit, so berichtete er, durfte er manchmal<br />
seinen Vater, der Gerbermeister in Mengen war, auf<br />
den Riedlinger Markt begleiten. Meister Hepp machte<br />
den Weg stets zu Fuß in der Frühe des Markttages (ca.<br />
19 km!). Das Leder, das er verkaufen wollte, hatte er am<br />
Vortage durch einen Mengener Fuhrmann nach Riedlingen<br />
speditieren lassen. Die damals neumodische Eisenbahn<br />
wurde nicht benutzt, teils wegen der umständlichen<br />
Verladerei, teils aus Rücksicht auf den Stolz der Mengener<br />
Fuhrleute, die glaubten, der Eisenbahn Paroli bieten<br />
zu können.<br />
Der Fußweg nach Riedlingen hielt sich an die alte Römerstraße<br />
durchs Donauried. Jedesmal, wenn sie an der<br />
Heuneburg vorbeikamen, sagte Gerbermeister Hepp zu<br />
seinem Sohn: „Guck, Josef, der Berg do, des ist d'<br />
Heunaburg. Vor langer Zeit ist amol an König von<br />
Italien rauf komma und hot do oba a' Schloß baut."<br />
Josef Hepp erinnerte sich später als Student wieder an<br />
den Hinweis seines Vaters und suchte mit Eifer unter<br />
den römischen Kaisern nach demjenigen, der auf der<br />
Heuneburg residiert haben soll, - natürlich vergeblich.<br />
Seine Enttäuschung war groß; die Sage vom Heuneburger<br />
König blieb aber um so fester in seinem Gedächtnis<br />
haften.<br />
Ein glücklicher Zufall hat uns diese Sage erhalten. Er<br />
beweist, daß Michel Buck als treuer Sachverwalter der<br />
Überlieferung jeden Baustein des Rauha Laih dem Sagenschatz<br />
entnommen hat. Die Entdeckung der Lehmziegelmauer<br />
aber macht diesen einst für unnütz erachteten<br />
Sagensplitter plötzlich zum gewichtigsten Indiz, daß die<br />
Überlieferung aus der Heuneburgzeit nicht abgerissen<br />
war.<br />
Die Beziehungen der Heuneburgherren zur mittelmeerischen<br />
Welt sind immer noch Gegenstand lebhafter wissenschaftlicher<br />
Diskussionen. Eine angenommene Verbindung<br />
Heuneburg-Marseille über die Burgund. Pforte und<br />
das Rhonetal wird von der deutschen Vorgeschichtsforschung<br />
an erster Stelle genannt. Wer möchte auch der<br />
damaligen Zeit Handelsstraßen über die Alpenpässe zumuten?<br />
Und doch können Verbindungen über die Hochgebirgsbarriere<br />
hinweg nicht geleugnet werden; zu zahlreich<br />
sind die etruskischen bzw. italo-griechischen Funde.<br />
Die Franzosen halten überraschenderweise nichts von<br />
der Rhoneverbindung, obwohl sie im Mont Lassois an<br />
der jungen Seine bei Chatillon ein hallstattzeitliches<br />
Machtzentrum besitzen, das, was die Großartigkeit der<br />
Funde betrifft, die Heuneburg in den Schatten stellt.
René Joffroy 5 , der das berühmte Fürstengrab von Vix<br />
beim Mont Lassois ausgegraben hat, schreibt:<br />
„Wohl wäre es näherliegend, an einen Handelsweg nach<br />
Marseille durch das Rhône-Saonetal zu denken; aber<br />
ein Argument der Archäologie, das gegen diese Hypothese<br />
spricht, ist, daß man noch nie zwischen der Provence<br />
und Dijon italo-griechische Gegenstände gefunden<br />
hat. Demgegenüber ist der Weg durch die Schweiz durch<br />
charakteristische Funde markiert (Hydria von Grächwil-<br />
Meikirch Kt. Bern, schwarzfigurige griechische Scherben<br />
Camp du Chateau bei Salins (franz. Jura)."<br />
Auf der Suche nach den Grundlagen für die engen Beziehungen<br />
zwischen den frühen Kelten und dem Süden,<br />
kommt René Joffroy zu folgender Vermutung:<br />
„Abgesehen von Eisenerz, das in der nächsten Umgebung<br />
des Monts Lassois reichlich vorkommt, kann man sich<br />
kein einheimisches Erzeugnis vorstellen, das als Gegenwert<br />
in Frage gekommen wäre. Es scheint vielmehr, daß<br />
auf dem Mont Lassois überregionale Märkte abgehalten<br />
wurden, zu welchen die Waren von weit hergebracht<br />
wurden, um sie gegen italo-griechische Erzeugnisse zu<br />
tauschen.<br />
Man kann sich der Vorstellung nicht erwehren, daß es<br />
sich um einen Zinnmarkt gehandelt haben könnte, zu<br />
dem das Zinn von weit entfernten Vorkommen, möglicherweise<br />
sogar von Cornwall in Südengland herbeigeschafft<br />
wurde. Den mächtigen keltischen Fürsten auf<br />
dem Mont Lassois wäre dann das Recht zugefallen, einen<br />
nicht geringen Wegzoll zu erheben von den etruskischen<br />
Kaufleuten, nachdem diese den Julierpaß überschritten,<br />
das Schweizer Mittelland und die Franche-Comté durchquert<br />
und schließlich auf dem Plateau von Langres ihre<br />
Waren abgesetzt hatten."<br />
Angesichts der Tatsache, daß die Franzosen mit guten<br />
Gründen annehmen, daß die Verbindung des Mont Lassois<br />
zum Süden über Rheintal-Chur-Julierpaß erfolgte,<br />
einem Paß also, dem die Heuneburg rund 300 km nä-<br />
her liegt als der Mont Lassois (!), sollte man bei uns prüfen,<br />
ob nicht die Hypothese einer Verbindung Heuneburg-Marseille<br />
zugunsten der Verbindung über den Julier<br />
nach Italien zurückgestellt werden sollte.<br />
Als Schirmherrn des Zinnhandels hätten die frühkeltischen<br />
Fürsten in der antiken Welt eine beachtliche politische<br />
Rolle gespielt. So wie der Mont Lassois den Weg<br />
von Oberitalien zu den englischen Zinnvorkommen in<br />
Cornwall halbiert, so halbiert die Heuneburg den Weg<br />
von Oberitalien zu den alten böhmischen Zinngruben.<br />
Die Vorstellung einer politischen Aufgabe der frühen<br />
Keltenfürsten in der antiken Welt, beginnt sich in jüngster<br />
Zeit auch bei uns durchzusetzen, und zwar mit einer<br />
interessanten Erweiterung:<br />
Keltenfürsten sichern mit ihrer Kriegerkaste nicht nur<br />
den transalpinen Handel der Etrusker, sie lassen sich mit<br />
ihren Gefolgsleuten nach Italien abwerben und treten<br />
dort in fremden Sold.<br />
E. Neuffer e , Tübingen, schreibt 1974:<br />
„Man fragt sich unwillkürlich, was denn die hallstättischen<br />
Kelten als Gegengabe anzubieten gehabt haben<br />
mögen, die es ihnen erlaubte, sich an die mittelmeerische<br />
Kultur anzuschließen. Man hat lange daran gedacht, daß<br />
als Handelsgüter etwa Bernstein oder Sklaven in Frage<br />
kämen, doch hat sich herausgestellt, daß man einen Teil<br />
des Importes aus dem regulären Handel ausklammern<br />
muß. Zürn hat vermutet, daß es sich um Staatsgeschenke<br />
handeln könnte, eine Überlegung, der Fischer 7 nachgegangen<br />
ist und durch Belege wahrscheinlich gemacht hat.<br />
Als ein solches Staatsgeschenk wäre etwa der Krater von<br />
Vix anzusehen, wohl auch der Greifenkessel mit Dreifuß<br />
aus dem benachbarten Grab von Ste. Colombe. Gerade<br />
beim Mont Lassois, bei dem die genannten Gräber liegen,<br />
aber auch bei Heuneburg und Hohenasperg können politische<br />
Beziehungen zum Süden bestanden haben, die Fischer<br />
als „vordergründige Zweckallianzen" in den Beziehungen<br />
der Herrscher untereinander bezeichnet. Er<br />
45
schließt es nicht aus, daß bereits in jener Zeit kleinere,<br />
oder sogar größere Gefolgschaftsheere durch die südlichen<br />
Machthaber angeworben worden sind, wie es für<br />
die darauffolgenden Zeiten bekannt ist 8 . Dies würde<br />
auch eine sehr reale Basis für die gutnachbarschaftlichen<br />
Beziehungen beider Siedlungs- und Kulturräume abgeben,<br />
wobei Staatsgeschenke dann eine wichtige Rolle<br />
spielen. Für einen anderen Teil der Importgüter wird<br />
eine Erklärung als Heiratsgut erwogen, was entweder so<br />
enge politische Bindungen zwischen den befreundeten<br />
Fürstenhäusern als erstrebenswert voraussetzt, daß es<br />
beiden Seiten ratsam erscheinen mußte, sie durch familiäre<br />
Bande zu kräftigen oder aber, daß es tatsächlich<br />
solche Gefolgschaften von Hallstattleuten in südländischen<br />
Diensten gegeben hat und der Anführer einer solchen<br />
Schar, sicher aus einem Fürstengeschlecht stammend,<br />
sich eine Frau aus dem Süden mitgebracht hat."<br />
Diesen Gedanken folgend dürfen wir in dem sagenhaften<br />
Heuneburger König einen erfolgreichen jungen Söldnerführer<br />
sehen, der reich beschenkt im Triumphe heimkehrt,<br />
mit dem festen Willen, sein väterliches Erbe zu einer<br />
Stadtherrschaft nach mittelmeerischen (etruskischem)<br />
Muster auszubauen.<br />
Nach den neuesten Forschungsergebnissen, die die Bauperioden<br />
V, VI der Heuneburg in die mittlere Bronzezeit<br />
verweisen und damit die Lehmziegelmauer (Periode IV)<br />
in die Gründungszeit des frühkeltischen Fürstensitzes zurückverlegen<br />
9 , dürfen wir im Heuneburger König, wenn<br />
nicht den Gründer, so doch den Vollender des Machtzentrums<br />
an der oberen Donau sehen.<br />
Die Sage vom Geist auf dem Hohmichele<br />
Nicht nur der Rauhe Leh hat unsere Vorfahren mit Ehrfurcht<br />
und Schauder erfüllt. Unter den anderen Grabhügeln<br />
ist an erster Stelle der mächtigste im Heuneburgbereich<br />
zu nennen, der 13,5 m hohe Hohmichele. Er liegt<br />
zusammen mit den 4,5 m hohen Resten des Kleinmichele<br />
inmitten eines großen Grabhügelfeldes im Heiligkreuztaler<br />
Wald, östlich von ihm befindet sich ein heiliges Viereck<br />
der späten Kelten, eine sogenannte Viereckschanze.<br />
Von dem solchermaßen ausgezeichneten Hohmichele berichtet<br />
die Sagensammlung:<br />
„Auf und um den Hohmichele soll es nicht geheuer sein.<br />
Da geht ein Waldgeist, der Wanderer irreführt (Bleicher).<br />
Eine weitere Sage konnte ich in Beuren erfahren. Gewährsmann<br />
ist Altbürgermeister Johann Reck, geb.<br />
1894:<br />
6. Die Sage vom Grabraub im Hohmichele<br />
Herrn Reck ist aus seiner Kindheit der Beurener Schuster<br />
Richard Käsberger, ein Lehrersohn, in lebhafter Erinnerung<br />
geblieben. Dieser konnte viele Geschichten erzählen,<br />
und so besuchten ihn die Kinder gerne in seiner<br />
Werkstatt. Einmal kam der Schuster auf den Hohmichele<br />
zu sprechen. Er erzählte von einem großen Schatz, der<br />
mitten unter dem Hügel in einem Grab verborgen sei.<br />
Seine Schilderung weckte die Begierde und Abenteuerlust<br />
in den Herzen der Buben. Sie wollten den Schatz<br />
heben. Der Schuster, der ein Schalk war, bestärkte sie in<br />
ihrem Vorhaben. Anderntags zogen die Buben heimlich<br />
mit allerlei Grabgeräten versehen aus, um dem Hohmichele<br />
zuleibe zu rücken.<br />
Abgeschunden und enttäuscht mußten sie am Abend einsehen,<br />
daß sie mit ihren geringen Kräften an dem gewaltigen<br />
Hügel verliegen mußten. Mit hängenden Köpfen<br />
46<br />
trotteten sie heim. Der knitze Schuster aber erwartete sie<br />
mit den Worten: „O Buaba, warum seid ihr so traurig,<br />
weil ihr den Hohmichele itt zwunga hond? O, des macht<br />
gar nix. Gfunda hättet ihr sowieso nix; denn ihr kommet<br />
zu spät. S' Grab ist leer, dr Schatz ist fort. Scho vor<br />
viele hundert Johr hond oine a tiefs Loch in d Hohmichele<br />
graba und d Schatz rausgstohla."<br />
Als 38 Jahre später Prof. G. Riek den Hohmichele ausgrub<br />
und untersuchte, fand er den Stollen und die Spuren<br />
der Grabräuber, von denen der Schuster erzählt hatte.<br />
7. Die Sage vom weißen Fräulein in der Baumburg<br />
Zwischen der Heuneburg und Hundersingen grüßen 2<br />
Großgrabhügel vom Steilhang des Donautales, der Lehenbühl<br />
und die Baumburg.<br />
Die etwa 10 m hohe Baumburg ist noch nicht untersucht,<br />
aber es wird nicht daran gezweifelt, daß in dem mittelalterlichen<br />
Burghügel ein hallstattzeitlicher Fürstengrabhügel<br />
steckt.<br />
Eine merkwürdige Beobachtung sei hier erwähnt:<br />
Bei der Sommersonnwende geht die Sonne, von der<br />
Baumburg aus gesehen, genau hinter dem Bussengipfel<br />
auf! War die Baumburg in vorchristlicher Zeit Schauplatz<br />
von Sonnwendfeiern? Auch in der Sage vom weißen<br />
Fräulein scheinen sich Erinnerungen an die vorchristliche<br />
Religion zu verbergen.<br />
Bei der Baumburg bestellte ein Bauer von Hundersingen<br />
jahraus jahrein seinen Acker. Seine Frau wunderte sich,<br />
weil ihr Mann weder Brot, Käs oder Speck, noch einen<br />
Krug Most mitnahm, wenn er dort draußen zu schaffen<br />
hatte. Kurz entschlossen fragte sie eines Tages, wie er es<br />
beim „Brotessen" auf dem Baumburgacker hielte. Da erzählte<br />
der Bauer von dem weißen Fräulein. Schon seit<br />
vielen Jahren war es zu ihm gekommen, wenn er sich am<br />
Ackerrain zum Vespern niedersetzen wollte. Das weiße<br />
Fräulein gab ihm dann allemal aus einem Henkelkorb<br />
feines Weißbrot, Wein, Käs und Kuchen. Er durfte mit<br />
einer zierlichen, silbernen Gabel nehmen, so viel er wollte<br />
und natürlich auch kräftig aus dem bauchigen Krug<br />
trinken, den es ihm hinstellte. Der Bauer konnte jedoch<br />
nicht sagen, woher das Fräulein kam. Es stand halt unversehens<br />
neben ihm, schaute ihn freundlich an und gab<br />
ihm zu essen. Einige Wochen nach dem Tag, an dem der<br />
Bauer seiner Frau von dem weißen Fräulein erzählt hatte,<br />
mußte der Knecht auf den Baumburgacker hinaus. Er<br />
hatte inzwischen von der Bäuerin erfahren, wie es beim<br />
Brotessen dort draußen zuginge. Bevor er sich nun auf<br />
den Weg machte, redete der Hausherr noch einmal davon<br />
und schärfte dem Knecht ein, recht freundlich und<br />
dankbar für die Gaben zu sein. Er sollte dem Fräulein<br />
vor allem die zierliche, silberne Gabel wieder in den<br />
Henkelkorb legen. Gegen zehn Uhr morgens bekam der<br />
Knecht Weißbrot, Käs, Wein und Kuchen, wie es der<br />
Bauer gesagt hatte. Er aß und trank. Aber der rohe und<br />
habgierige Bursche gab die silberne Gabel nicht mehr<br />
her. Das weiße Fräulein schaute in flehend an. Er achtete<br />
nicht darauf und steckte die Gabel in seinen Kittelsack.<br />
Verzweifelt rang das Fräulein die Hände und fing<br />
zu schluchzen an. Der Knecht gab die Gabel nicht heraus.<br />
Da nahm es seinen Henkelkorb und verschwand im<br />
Hügel. Seither ist es nie mehr mit seinen Gaben gesehen<br />
worden.<br />
Diese Fräuleinsage wird fast unverändert auch vom<br />
Schloßberg bei Saulgau und von der Ringgenburg beim<br />
Pfrunger Ried überliefert. Die Sage vom Buhraweible<br />
bei Ursendorf (Bleicher 92) könnte als Entstellung der
Fräuleinsage verstanden werden 10 . Vom Schloßberg sind<br />
2 Versionen überliefert. Die eine gleicht der Baumburgsage<br />
(Bleicher 107), die andere der Burrensage (Bleicher<br />
S. 16).<br />
Von Baumburg und Schloßberg werden außerdem noch<br />
Schatzsagen erzählt: Der Schatz in den Kohlehäfen auf<br />
Gegenüberstellung der Fräuleinsagen<br />
1. Ort<br />
5. ihre Gaben<br />
6. Sie wendet sich an:<br />
7. Der undankbare<br />
Knecht behält zurück:<br />
Das weiße Fräulein<br />
in der Baumburg<br />
Bleicher 64<br />
2. Zeit der Erscheinungen Vesperzeit<br />
3. Gewand des Fräuleins weiß<br />
4. ihre Eigenschaften freundlich<br />
Acker b. d. Baumburg<br />
feines Weißbrot, Käse,<br />
Kuchen, Krug m. Wein<br />
Bauer und Knecht<br />
silberne Gabel<br />
8. Reaktion des Fräuleins schaute flehend, rang<br />
verzweifelt die Hände,<br />
schluchzte, verschwand<br />
im Hügel<br />
9. sein Schicksal seither ist es nie mehr<br />
gesehen worden<br />
Damit sind als Themen des Heuneburgsagenkreises<br />
vorgestellt:<br />
der Baumburg (Bleicher 63) und die Sage vom Goldloch<br />
auf dem Schloßberg (Bleicher S. 15).<br />
Der Schatz in der Baumburg wird von einem schwarzen<br />
Pudel gehütet. Die Stelle, wo der Schatz liegt, ist immer<br />
schneefrei (Beschrbg. d. OA Riedlingen 1923 S. 216).<br />
Das Fräulein vom<br />
Schloßberg<br />
Bleicher 107<br />
Äcker östlich<br />
vom Schloßberg<br />
Vesperzeit<br />
weiß<br />
Der Heuneburger König<br />
und sein Feldherr,<br />
die Grabräuber vom Hohmichele,<br />
der Glaube an die Geister der Toten,<br />
an das Muetes-Heer<br />
und an eine im weißen Fräulein sich verbergende mütterliche<br />
Gottheit.<br />
Ergänzend sind noch zu erwähnen die Sage vom Rauhenlehweible<br />
(Bleicher S. 1) und die Sage von der Glocke<br />
im Bettelbühl (Bleicher S. 12) und vom Schloß auf dem<br />
Bettelbühl (Beschr. d. OA Saulgau 1829).<br />
Eine Liste der Namen, die mit heuneburgzeitlichen<br />
Denkmalen verknüpft sind, soll diese Darlegung abschließen.<br />
Heuneburg<br />
Heunen - 1.) vordeutsche Bevölkerung. Die, durch das<br />
Vor-Augen-haben von Hünengräbern und großen Wallanlagen,<br />
mit Heunen verbundene Vorstellung von riesenhaft<br />
dürfte sekundär sein. - 2.) Die Hunnen (ebenso<br />
Awaren und Ungarn) wurden ehemals durchweg als<br />
ein gar gütig. Wesen<br />
Laib Weißbrot,<br />
Krüglein Wein<br />
Bauer und Knechte<br />
silbernes Messer (Bl. 16)<br />
Das silberne Messerchen<br />
(Bleicher 115)<br />
Felder beim Hof a. d. Ringgenburg<br />
Brotessen, 10 Uhr und zwischen<br />
16 und 17 Uhr<br />
schwarzseiden<br />
ausnehmend schön, freundliche helle<br />
Augen<br />
Laible Weißbrot, Krug mit Wein<br />
Knechte und Mägde<br />
silbernes Messerchen<br />
herzzerbrech. Schrei, flehte u. schluchzte, klagte u. weinte:<br />
entfernte sich weinend „Gebt mir mein silb. Messerle wieder!"<br />
Zerraufte sein Haar, zerriß sein<br />
Gewand, u. verschwand plötzlich als<br />
hätte es der Erdboden verschlungen<br />
seither hat es sich nie<br />
wieder gezeigt<br />
Von der Zeit an kam das schwarze<br />
Fräulein nie mehr wieder. An der<br />
Stelle hört man noch oft ein schluchzen<br />
und leises Klagen.<br />
Heunen bezeichnet. Nach Keinath, Württ. Flurnamenbüchlein<br />
1926<br />
Grabhügel<br />
Leh — künstlicher Hügel, also Grabhügel, aber auch<br />
Grenzhügel. Bei ihnen finden sich häufig alte Gerichtsstätten,<br />
am berühmtesten der nicht mehr existierende<br />
Gunzenleh bei Augsburg. Buck, Oberdeutsches Flurnamenbuch<br />
1931.<br />
Lehenbühl bei Hundersingen<br />
Rauher Leh bei Ertingen<br />
Ringenleh südlich von Ertingen (eingeebnet)<br />
Hohmichele - mhd. michel = groß, also Hoher Michelleh<br />
= Hoher Großleh<br />
Bettelbühl - ein Großgrabhügel bei Herbertingen. - Bettel<br />
von Beten, könnte an die Verehrung der drei Beten<br />
erinnern.<br />
Beten = keltisch-germanische Muttergottheiten, Erdmutter,<br />
Sonnenmutter, Mondmutter. Schöll, Die drei Ewigen,<br />
Jena 1936.<br />
Ring - Flurnamen an der Donau, unterhalb der Baumburg.<br />
- Ring bedeutet nach Buck Gerichtsplatz oder<br />
auch Hexentanzplatz.<br />
47
' Rudolf Pörtner, Bevor die Römer kamen 1961.<br />
2<br />
Wolfgang<br />
1968.<br />
Kimmig, Die Heuneburg an der oberen Donau<br />
3<br />
Von Dietenburg, um 1300 als landauische Lehenleute genannt,<br />
die mit der Dietenburg über der Donau unterhalb<br />
Riedlingen vermutl. nichts zu tun haben. B. d. O. A. Riedlingen<br />
1923 S. 709.<br />
4 Hans Christoph Schöll, Die 3 Ewigen, eine Untersuchung<br />
über den germanischen Bauernglauben, Eugen Diederich<br />
Jena 1936.<br />
5 René Joffroy, La Tombe Princiere de Vix, Chatillon sur<br />
Seine 1968.<br />
6 Eduard M. Neuffer, Hallstatt-frühe Kelten in Bad. Württ.<br />
Führer zu einer Sonderausstellung d. Ld. Denkm. Amt<br />
Freibg. 1974.<br />
7<br />
Prof. Fischer, Nachfolger von Prof. Kimmig, der 1974 in<br />
den Ruhestand getreten ist.<br />
8<br />
Brigitte Merz, Tailfingen weist 1972 in einem unveröffentlichten<br />
Aufsatz über die „Beziehungen der südwestdeutschen<br />
Hallstattkultur zur großgriechischen Welt" auf die politischen<br />
Umwälzungen hin, die sich im 6. und 5. vorchristlichen<br />
Jahrhundert im westlichen Mittelmeerraum vollzogen.<br />
Die eindringenden Griechen errangen die Vorherrschaft im<br />
überseeischen Handel durch Seesiege über die Etrusker (508<br />
vor Chr. und 471 vor Chr.) und über die Karthager (480<br />
v. Chr.). Die etruskisch-karthag. Allianz wurde durch das<br />
junge Rom gestört (röm-karthag. Vertrag 508 v. Chr.). Was<br />
lag für die Etrusker näher als handelspolitische und militärische<br />
Bündnisse mit den Kelten zu suchen? Diese könnten<br />
noch 386 v. Chr. eine Rolle gespielt haben beim Keltensturm<br />
auf Rom, brachte er doch dem etruskischen Reiche<br />
Rettung in höchster Not. - 10 Jahre zuvor (396 v. Chr.)<br />
war der römischen Expansion bereits der südliche Vorposten<br />
des etruskischen Reiches, die Felsfeste Veji zum Opfer<br />
gefallen. Bemerkenswerte etruskisch-frühkeltische Gemeinsamkeiten:<br />
Adelsherrschaft, Freiheit u. Rechtsstellung der<br />
Frau, Wagen als Zeichen besonderer Würde (Heerführer),<br />
Prunksucht, Hügelgräber, Blütezeit der Reiche im 6. und 5.<br />
vorchrist. Jahrhundert. Schließlich waren die Etrusker Träger<br />
einer eng an Herrensitze sich anlehnenden Stadtkultur,<br />
der ersten in Mittelitalien.<br />
9 H. W. Böhme, Katalog z. Ausstellung d. Rom. Germ. Zentralmuseums<br />
„Ausgrabungen in Deutschland", in Mainz,<br />
<strong>1975</strong>.<br />
10 Das überirdische, mildtätige Fräulein verwandelt die Burrensage<br />
in eine ob ihrer Hartherzigkeit verfluchte Burgfrau,<br />
deren büßende Seele als furchterregendes Weib geistern<br />
muß. Die Reichung von Brotlaib u. Messer wird zur Bußhandlung.<br />
Endlich nimmt ein beherzter Wanderer die Gabe<br />
an u. erlöst so die Seele. - In der 2. Fassung d. Schloßbergsage<br />
verwandelt sich die büßende Seele wieder i. d. weiße<br />
Fräulein, das durch den Verlust des Messerleins in Klagen<br />
ausbricht und nie mehr gesehen wird.<br />
HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />
herausgegeben vom Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />
in Verbindung mit den Staatlichen<br />
Schulämtern. Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong><br />
<strong>Geschichtsverein</strong> 748 Sigmaringen,<br />
Karlstr. 3. Druck: M. Liehners Hofbuchdruckerei<br />
KG, 748 Sigmaringen, Karlstr. 10.<br />
Die Zeitschrift „Hohenzollerische Heimat'<br />
ist eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie<br />
will besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />
mit der Geschichte ihrer Heimat<br />
vertraut machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />
auch populär gehaltene Beiträge<br />
aus der Geschichte unseres Landes.<br />
Sie veröffentlicht bevorzugt Beiträge, die<br />
im Schulunterricht verwendet werden<br />
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Die Autoren dieser Nummer:<br />
Dr. Werner P. Heyd, Redakteur<br />
„Schwarzwälder Bote"<br />
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Manfred Hermann, Pfarrer<br />
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Fritz Scheerer, Rektor i. R.<br />
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748 Sigmaringen, Hohe Tannen 4<br />
Schriftleitung:<br />
Dr. med. Herbert Burkarth<br />
7487 Gammertingen<br />
Auf ein Buch sei hier verwiesen, das die Stadt Mengen<br />
im Faksimile herausgegeben hat, schon vor drei Jahren,<br />
das aber wohl verdient, auch hier zur Kenntnis gebracht<br />
zu werden. Es ist der Neudruck der „Geschichte der<br />
vormaligen fünf Donaustädte in Schwaben. Mit übersichtlicher<br />
Beschreibung der politischen Verhältnisse Vorder-österreichs,<br />
insbesondere Schwäbisch-Österreichs,<br />
bearbeitet von Joseph Laub, Stadtschultheiß in Mengen".<br />
Laub schrieb dieses Buch „im Wonnemonat 1894",<br />
wie er vermerkt. Er war Stadtschultheiß zu Mengen von<br />
1882 bis 1911. Die Stadt hat das Buch vollständig im<br />
Gewand seiner Zeit samt dem jugendstil-verzierten,<br />
goldgepreßten Ledereinband herausgebracht. Der jetzige<br />
Bürgermeister Hermann Zepf, Mitglied des Kreistags,<br />
würdigt in einem Vorwort die viereinhalbjährige Forschungsarbeit,<br />
die sein Vorgänger Laub auf dieses Buch<br />
verwandte, und meint, daß trotz der bescheidenen Auflage<br />
von nur 3000 Exemplaren es vielen Heimatfreunden<br />
willkommen sei. - Die fünf Donaustädte sind bekanntlich<br />
Mengen, Saulgau, Riedlingen, Munderkingen und<br />
Bad Waldsee. Von ihnen liegen jetzt zwei im Kreis Sigmaringen,<br />
nämlich Mengen und Saulgau, und damit im<br />
Bereich des historischen Interesses unserer Leser. Die Arbeit<br />
ist ausgezeichnet, namentlich, was die Verwaltungsund<br />
Verfassungsgeschichte und die politische und gesellschaftliche<br />
Situation des Bürgers angeht. Landwirtschaft,<br />
Handel und Gewerbe, das Armenwesen, die Schulen,<br />
selbst die Hygiene, es ist nichts vergessen, um ein genaues<br />
Bild der Zustände in diesen fünf Städten vor allem<br />
gegen Ende der österreichischen Zeit um 1800 zu geben.<br />
Mehr als 3000 Besucher<br />
Frick<br />
Im Sigmaringer Staatsarchiv haben im Juni/Juli mehr<br />
als 3000 Besucher die Ausstellung „30 Jahre danach"<br />
über Zusammenbruch und Neubeginn nach 1945 gesehen.<br />
Dies ist ein außerordentlich gutes Ergebnis, wobei<br />
Archivdirektor Dr. Gregor Richter besonders darüber erfreut<br />
war, daß so viele Jugendliche sich die Zeugnisse jener<br />
Zeit besahen, an die sie keine Erinnerung haben, in<br />
der sie größtenteils noch nicht geboren waren. Die Ausstellung<br />
zeigte nicht nur Lebensmittelkarten, Bezugsscheine,<br />
Aufrufe, Befehle, Warnungen vor Spionage und<br />
dergleichen, sondern auch originale Fliegerbomben und<br />
u. a. Uniformen der Wehrmacht. Für diejenigen, die den<br />
Krieg mitgemacht haben, war die Ausstellung natürlich<br />
ganz besonders eindringlich und ließ die Verzweiflungen<br />
und Hoffnungen jenes Schicksalsjahres wieder deutlich<br />
werden. Frick<br />
Redaktionsausschu ß:<br />
Hubert Deck, Konrektor<br />
745 Hechingen, Tübinger Straße 28<br />
Telefon (07471) 2937<br />
Walther Frick, Journalist<br />
748 Sigmaringen, Hohe Tannen<br />
Telefon (07571) 8341<br />
Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />
die persönliche Meinung der Verfasser<br />
wieder; diese zeichnen für den Inhalt<br />
der Beiträge verantwortlich. Mitteilungen<br />
der Schriftleitung sind als solche gekennzeichnet.<br />
Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />
werden an die Adresse des Schriftleiters<br />
oder Redaktionsausschusses erbeten.<br />
Wir bitten unsere Leser, die „Hohenzollerische<br />
Heimat" weiter zu empfehlen.
HÖH ENZOLLERISCHE<br />
HEIMÄT<br />
Herausgegeben com<br />
W 3828 F<br />
Hohenzollerifchen Gefchichteoerein<br />
25. Jahrgang Nr. 4/Dezember <strong>1975</strong><br />
Foto: M. Hermann<br />
Als Gruß zu Weihnachten und zum Neuen Jahr zeigen wir Ihnen ein Dreikönigsbild aus<br />
der Pfarrkirche zu Hettingen von der Hand des Malers Johann Herz aus Immenstaad<br />
am Bodensee (1715). Einst war es im Auszug des Hochaltars angebracht, heute in der<br />
Taufkapelle.
MAREN KUHN-REHFUS<br />
Der Übergang der Fürstentümer Hohenzollern-Hechingen und<br />
Hohenzollern-Sigmaringen an Preußen<br />
Ein Quellenbeispiel<br />
Die bürgerlich-liberale Revolution der Jahre 1848/49<br />
war für die beiden Fürsten von Hohenzollern-Hechingen<br />
und Hohenzollern-Sigmaringen der Anlaß, abzudanken<br />
und ihre Kleinststaaten an Preußen abzutreten. Noch nie<br />
hatten die Fürsten von Hohenzollern ihren Untertanen<br />
so machtlos gegenübergestanden wie im März 1848 In<br />
dieser Lage machte Friedrich Wilhelm Konstantin von<br />
Hohenzollern-Hechingen, der nach den im März und<br />
April 1848 ihm abgerungenen Zugeständnissen - vor<br />
allem Durchsetzung des Verfassungsstaates — Koliken<br />
bekam und seine Psyche pflegen mußte, „um einen Ersatz<br />
hierin zu finden für meine nun entblätterte materielle<br />
und politische Existenz" 2 , den Anfang und bot<br />
sein Land zunächst seinem Sigmaringer Verwandten an,<br />
nach dessen Ablehnung aber dem preußischem Königshaus,<br />
dem im Familienvertrag von 1695 die Anwartschaft<br />
auf die schwäbischen Stammlande der preußischen<br />
Königsfamilie zugesichert worden war. Konstantin war<br />
zwar den „Staatsgeschäften und ernster Arbeit wenig<br />
zugetan" 3 , konnte aber seine Entmachtung nicht verwinden.<br />
Fürst Karl von Hohenzollern-Sigmaringen hingegen<br />
fürchtete in erster Linie die Verstaatlichung der<br />
Domänen, die von den Sigmaringer Demokraten in- und<br />
außerhalb des Landtages immer dringender gefordert<br />
wurde. Aus seiner Sicht war die Revolution ein Vertrauensbruch<br />
der Untertanen und bewies Undankbarkeit gegen<br />
seine Verdienste um das Land. Den neuen politischen<br />
Ideen fremd gegenüberstehend, enttäuscht und regierungsmüde<br />
folgte er dem Beispiel seines Hechinger Verwandten,<br />
um seiner Familie den Domänenbesitz zu erhalten<br />
4 . Er verhandelte zunächst mit Preußen über die<br />
Abtretung der Souveränität und nach dessen ablehnender<br />
Haltung mit der deutschen Zentralgewalt in Frankfurt.<br />
Im August 1848 dankte Fürst Karl jedoch zugunsten<br />
seines Sohnes Karl Anton ab. Dieser, noch in der<br />
Tradition aufgeklärt-absolutistischer und patriarchalischer<br />
Vorstellungen befangen, war anfänglich nicht zum<br />
Verzicht auf die Landesherrschaft bereit, wurde aber<br />
durch die Sigmaringer Septemberrevolution, die radikale<br />
Züge annahm, und durch die Befürchtungen vor einer<br />
Annektion durch Württemberg oder Bayern bewogen,<br />
mit der Frankfurter Zentralgewalt einen Vertragsentwurf<br />
über die Übertragung des Landes auf die provisorische<br />
Reichsregierung aufzusetzen. Auch für ihn stand<br />
das Wohl seines Hauses im Vordergrund 5 .<br />
Gegen diesen mit der Frankfurter Regierung aufgesetzten<br />
Vertrag nun protestierte Preußen, worauf die beiden<br />
hohenzollerischen Fürsten in abermalige, sich über ein<br />
Jahr hinziehende Verhandlungen über die Übernahme<br />
ihrer Länder durch Preußen eintraten. Friedrich Wilhelm<br />
IV. von Preußen lehnte einerseits die Vergrößerung<br />
der preußischen Monarchie durch Hohenzollern ab,<br />
wollte andererseits die Fürstentümer, auf die Preußen ein<br />
Erbrecht hatte, aber auch keinem anderen Staat überlassen.<br />
Ausschlaggebend wurde die romantische Zuneigung zu<br />
den schwäbischen Stammlanden, zum Ursprung der Hohenzollern<br />
auf dem preußischen Königsthron, und am<br />
7. Dezember 1849 wurde der Staatsvertrag unterzeichnet,<br />
der den Fürsten den Domänenbesitz garantierte und<br />
ihnen als Ersatz für die abgetretenen Hoheitsrechte eine<br />
Jahresrente zusicherte. Am 6. April 1850 wurde das<br />
50<br />
Land Hohenzollern-Sigmaringen, am 8. April das Land<br />
Hohenzollern-Hechingen feierlich an Preußen übergeben.<br />
Die abgedruckten Dokumente zeigen zunächst, in welcher<br />
Form die Übergabe von Staaten an neue Herrscher<br />
vor 125 Jahren vollzogen wurde. Aufschlußreicher jedoch<br />
ist das in ihnen zum Ausdruck kommende Selbstverständnis<br />
der souveränen Landesherren noch Mitte des<br />
vorigen Jahrhunderts, die das Heil ihrer Länder nur<br />
durch die Alleinherrschaft des Monarchen verwirklicht<br />
sehen konnten. Die Verfassungen wurden von ihnen widerwillig<br />
eingeführt, denn das patriarchalische System<br />
schien ihnen für die für unmündig gehaltene Bevölkerung<br />
die beste Staatsform zu sein 6 . Die Mitwirkung der<br />
Ständeversammlung faßten sie vor allem als Behinderung<br />
ihrer Regierungsgewalt auf. Den Zielen der Revolution<br />
mußten sie zwangsläufig ablehend gegenüberstehen,<br />
weil sie in ihr nur Negatives sahen wie Umsturz aller<br />
bestehenden Werte, Untergrabung von Sittlichkeit,<br />
Moral, Religion und Autorität, Verlust von Anhänglichkeit<br />
und Vertrauen, Angriffe auf die Rechte der Besitzenden.<br />
Verständnislos standen sie der Tatsache gegenüber,<br />
daß die Bevölkerung ihre Regierungsarbeit nicht<br />
mehr kritiklos akzeptierte, sondern mit angeblicher Undankbarkeit<br />
beantwortete 7 .<br />
Besonders deutlich tritt diese Haltung des sich für einen<br />
wohlmeinenden aber mißverstandenen und ungerecht behandelten<br />
Landesvater haltenden Fürsten in der Abschiedsrede<br />
Konstantins an seine Untertanen zutage: Als<br />
patriarchalisch regierender Fürst betrachtete er die ihm<br />
von Gott übertragene Pflicht als Legitimation und das<br />
ihm von seinen Untertanen entgegengebrachte Vertrauen<br />
und ihre kindliche Anhänglichkeit als Grundlage seiner<br />
Herrschaft. Dieses Vertrauen, das das eigene Geschick<br />
vorbehaltlos in die Hände des Vaters legen muß, wurde<br />
in seinen Augen durch die „Katastrophe" von 1848 zerstört:<br />
Die Untertanen wollten mit einemmal ihr politisches<br />
Geschick selbst gestalten und nicht mehr vom Monarchen<br />
bestimmen lassen. Diese Undankbarkeit drohte<br />
seiner Auffassung nach die Menschen ins Verderben zu<br />
stürzen. Die Auffassung seiner Regierung als landesväterliche<br />
Fürsorge erforderte daher, daß Konstantin als<br />
stets dem Wohl seines Landes verpflichteter Herrscher<br />
das Schlimmste zu verhüten versuchte, indem er nach einer<br />
festen Hand suchte, die der Entwicklung Einhalt gebieten<br />
konnte. Diese fand er im König von Preußen,<br />
dem er nun Land und Untertanen zu ihrem eigenen Besten<br />
— wie der Fürst es sah - anvertraute. Die betroffene<br />
Bevölkerung wurde selbstverständlich nicht nach<br />
ihrer Zustimmung zum Wechsel ihrer Staatsangehörigkeit<br />
gefragt.<br />
Auch der Zuruf des preußischen Königs an seine neuen<br />
hohenzollerischen Untertanen beschwört die Ereignisse<br />
der Jahre 1848/49 und weist warnend auf den aus der<br />
Untreue der Untertanen entspringenden Unsegen für<br />
Land und Leute hin. Daher ermahnte er sie zu Treue<br />
und Gehorsam, wofür er ihnen seine landesväterliche<br />
Fürsorge und seinen Schutz zusagte. Auch hier zeigt sich<br />
also das patriarchalische Herrschaftsverständnis. Als<br />
weiteres Moment in diesem Zuruf kommt jedoch die gefühlsbetonte<br />
Beziehung Friedrich Wilhelms von Preußen<br />
zu dem ihm an sich völlig fremden süddeutschen Hohenzollern<br />
zum Ausdruck. Dieses Land war für ihn zualler-
erst Stammland seines Geschlechtes, hier stand seine<br />
Stammburg, deren Ruinen er zu einem repräsentativen<br />
Bau wieder aufbauen ließ. Deshalb auch waren die Bewohner<br />
schon bisher seinem Haus und seinem Herzen<br />
nicht fremd gewesen.<br />
Abdankung des Fürsten Friedrich Wilhelm Konstantin<br />
von Hohenzollern-Hechingen am 27. Februar 1850 (Original<br />
im Staatsarchiv Sigmaringen, Ho 1 A 3. Die Urkunde<br />
wurde als gedruckter Aushang vervielfältigt und im<br />
Verordnungs- und Anzeigeblatt für das Fürstentum Hohenzollern<br />
Hechingen vom 10. April 1850 veröffentlicht):<br />
Wir Friedrich Wilhelm Constantin, von Gottes Gnaden<br />
souveräner Fürst zu Hohenzollern-Hechingen, Burggraf<br />
zu Nürnberg, Herzog von Sagan, Graf zu Sigmaringen,<br />
Veringen, Castilnovo und Villalva del alcor, Herr zu<br />
Haigerloch, Wehrstein usw., haben mit Rücksicht auf die<br />
zwischen dem Königlich Preußischen und dem Fürstlich<br />
Hohenzollernschen Hause bestehenden stammverwandtlichen<br />
Verhältnisse und Erbeinigungsverträge mittels<br />
Staatsvertrags vom 7. Dezember 1849 und von Uns ratifiziert<br />
den 12. Februar 1850 für Uns, Unsere Erben und<br />
Nachfolger der Regierung über Unser Fürstentum Hohenzollern-Hechingen<br />
mit allen Souveränitäts-, Regierungs-<br />
und eventuellen Erbfolgerechten über dasselbe zu<br />
Gunsten der Krone Preußens entsagt.<br />
Nachdem nunmehr in dessen Gemäßheit die Übergabe<br />
Unseres Fürstentums an Seine Majestät den König von<br />
Preußen durch die hierfür bestellten Commissarien erfolgen<br />
wird, so entbinden Wir mittels dieses feierlichen Aktes<br />
die Landesangehörigen und Staatsdiener Unseres Fürstentums<br />
von den Uns geleisteten Eiden, und übertragen<br />
Unsere diesfallsigen Rechte und Ansprüche an Seine Majestät<br />
den König von Preußen, Unsern gnädigsten Herrn.<br />
Möge der Himmel Unserem Werke den Segen verleihen!<br />
Schloß Holstein den 27. Februar 1850<br />
Friedrich Wilhelm Constantin<br />
Abschiedsansprache des Fürsten Konstantin (Staatsarchiv<br />
Sigmaringen, Ho 1 A 3. Veröffentlicht im Verordnungsund<br />
Anzeigeblatt vom 10. April 1850).<br />
Meine Lieben Untertanen!<br />
In dem Augenblicke, in welchem Ich die Regierung in<br />
die Hände seiner Majestät des Königs von Preußen niederlege,<br />
erfülle Ich eine letzte Pflicht, indem Ich Euch<br />
für alle dem Fürsten bewiesene Liebe und Treue danke<br />
und Euch ermahne, dieselbe auf Eueren neuen Landesherrn<br />
zu übertragen.<br />
Es bedarf wohl keiner Versicherung, daß die tiefste<br />
Wehmut Mich bei dem Gedanken durchdringt, daß es<br />
Mir nicht mehr vergönnt sein soll, auf die Geschicke<br />
Meines Stammlandes in dem Sinne einzuwirken, wie es<br />
bisher Mein eifrigstes Bestreben war; wo aber eine höhere<br />
Notwendigkeit eintritt, zu deren Erkenntnis Ich gelangt<br />
bin, und welche wohl viele von Euch ebenfalls teilen,<br />
kann die Neigung allein nicht mehr Richterin über<br />
Meine Entschlüsse sein; vielmehr muß diese der Erkenntnis<br />
sich fügen, und das zerrissene Gemüt kann seinen<br />
Trost und seine Beruhigung nur in dem Bewußtsein wiederfinden,<br />
daß es seine Gefühle dem allgemeinen Wohle<br />
zum Opfer gebracht hat.<br />
Die Bande des Vertrauens und der kindlichen Anhänglichkeit,<br />
welche noch vor kurzem wohl fester als irgendwo<br />
die Bewohner des Fürstentums an ihren Landesherrn<br />
fesselten, sind durch die gewaltigen Stürme, welche Europa<br />
erschütterten, auf eine Weise gelockert worden, daß<br />
es dem Landesherrn unmöglich geworden war, die ihm<br />
von Gott anvertrauten Pflichten für das Wohl seiner<br />
Untergebenen zu erfüllen. Die einzige Kraft, auf welche<br />
er sich stützen konnte, das Vertrauen war ihm entzogen;<br />
- hiemit erlosch seine Wirksamkeit. Kehrte dasselbe<br />
auch nach und nach zurück, so mußte inzwischen doch<br />
zu viele unschätzbare Zeit verloren gehen, in welcher<br />
der Wohlstand der Einzelnen immer mehr versinken<br />
mußte. Eine festere mächtige Hand war nötig, welche<br />
neue Einrichtungen schnell ins Leben rufen konnte, da<br />
das Alte zerstört war. Ich habe Mich für Mein Land an<br />
dieselbe gewendet und glaube durch diesen Schritt am<br />
meisten gezeigt zu haben, daß meine Liebe zu ihm ungemessen<br />
ist. -<br />
Wohl ward es mir schwer, zu solchem Entschlüsse zu gelangen.<br />
Ich gedachte der schönen Zeit, in welcher Ihr<br />
mit dem Jünglinge alle Hoffnungen auf eine lachende<br />
Zukunft teiltet; der Zeit, in welcher ich Euch eine Fürstin<br />
zuführte, welche Glück und Zufriedenheit, Segen<br />
und Wonne in Mein Land brachte; eine Fürstin, welche<br />
bestimmt war, die Stütze der Armen und Notleidenden,<br />
die treue Ratgeberin der Bedrängten, das leuchtende Beispiel<br />
der Gläubigen zu werden; einen Engel, den der Allmächtige<br />
Mir und Euch zu frühe entzog! Ich erinnerte<br />
Mich aller jener Liebe und Treue, die Ihr mir bei Meinem<br />
Regierungsantritte bewiesen, da ich mit dem Vollgefühle<br />
des Mannes, der seine Stellung begreift, und mit<br />
dem festesten Entschlüsse, nur das Beste Meines Vaterlandes<br />
zu wollen, dem allein mein Herz gehört, die heilige<br />
Mission ergriff, welche Mir geworden. Es trat Mir die<br />
Hoffnung lockend entgegen, daß wo so viele Liebe, so<br />
viel Vertrauen, so viel patriarchalischer Sinn noch vor<br />
kurzem geherrscht, dies alles nicht ganz entschwunden<br />
sein könnte, und daß Mein Volk in gleicher Erinnerung<br />
jener Tage zu den alten Gefühlen zurückkehren und mit<br />
Mir vereint das Gute erstreben werde. - Ich erinnerte<br />
Mich aber auch, daß mitten in Meinem Glücke Ich<br />
längst mit bangem Herzen den Einfluß bemerkt hatte,<br />
welchen die allgemeinen Zustände Deutschlands auch<br />
auf unsere Heimat übten, indem sie den gleichen inneren<br />
Übeln wie das Gesamt-Vaterland erlag; die Zunahme<br />
der Bevölkerung, das Steigen der Bedürfnisse, die<br />
Gleichgültigkeit im Religiösen, eine im Stillen zunehmende<br />
Unzufriedenheit und alle die nationalpolitischen<br />
Krankheitssymptome, welche das alte Europa durchzogen,<br />
hatten meine Besorgnis rege gemacht, deren Bestätigung<br />
der verhängnisvolle März des Jahres 1848 Mir<br />
brachte.<br />
Die Versuche, welche nach dieser Katastrophe angestellt<br />
wurden, die Ordnung und die Gesetze zu befestigen,<br />
hatten sich bei der andauernden Aufregung als ungenügend<br />
erwiesen; Ich war daher genötigt, solche Entschlüsse<br />
zu ergreifen, welche allein im Stande sind, Euer Wohl<br />
wieder dauernd zu befestigen.<br />
Ich habe sie gefaßt und ausgeführt und hege nur den einen<br />
Wunsch, daß der Allmächtige Mein Beginnen durch<br />
Gewährung aller jener Gaben segnen möge, welche ein<br />
Land beglücken können.<br />
Ich konnte es um so eher, als keinerlei Rücksichten im<br />
Wege stunden, welche sonst wohl derlei Schritte hindern.<br />
Keine neue Dynastie wird Eure Pfade leiten; die Burg<br />
Hohenzollern wird einen ihrer glorreichen Nachkommen<br />
in dem neuen Herrscher begrüßen. Hohenzollern wird<br />
unter dem milden Szepter eines erhabenen mächtigen<br />
Regenten aus seinem tausendjährigen Fürstengeschlechte<br />
neu aufblühen, geschützt und geschirmt durch Preußens<br />
ruhmgekrönten Adler.<br />
Geht also mit Liebe und Vertrauen, geht mit Gottes<br />
mächtiger Hilfe Euerem künftigen Schicksale entgegen!<br />
Seid treu, bieder und fromm: seid deutsch!<br />
Ich scheide wohl als Regent, nimmer als Freund von<br />
Euch, Ihr Lieben! Euer Freund will und werde Ich verbleiben<br />
bis zum Ende Meiner Tage!<br />
Friedrich Wilhelm Constantin Fürst zu Hohenzollern<br />
51
Die Abdankung des Fürsten Karl Anton, von Gottes<br />
Gnaden souveränen Fürsten zu Hohenzollern-Sigmaringen,<br />
Burggrafen zu Nürnberg, Grafen zu Sigmaringen,<br />
Veringen und Berg, Herrn zu Haigerloch und Wehrstein,<br />
am 6. April 1850 in Sigmaringen hat den gleichen Wortlaut<br />
wie die Abdankung des Fürsten Konstantin von<br />
Hohenzollern-Hechingen. (Gedruckter Aushang im<br />
Staatsarchiv Sigmaringen, Ho 1 A 4. Veröffentlichung im<br />
Verordnungs- und Anzeigeblatt für das Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen<br />
vom 6. April 1850, Beiblatt zu<br />
Nr. 14).<br />
Abschiedsrede an Seine Hoheit den Fürsten Carl Anton<br />
von Hohenzollern-Sigmaringen, gehalten bei Höchstdessen<br />
Regierungs-Abdikation am 6. April 1850 durch den<br />
Fürstlichen Regierungspräsidenten v. Sallwürk. (Staatsarchiv<br />
Sigmaringen, Ho 1 A 4 und Verordnungs- und<br />
Anzeigeblatt vom 6. April 1850, Beiblatt zu Nr. 14).<br />
Erlauben Euer Hoheit, daß ich vor Ihrem Scheiden in<br />
meinem und der übrigen hier versammelten Staatsdiener<br />
Namen noch ein Wort an Höchstdieselbe richte. Wollen<br />
Euer Hoheit nicht befürchten, daß ich den Schmerz<br />
schildern wolle, der bei dem Gedanken an die bevorstehende<br />
Trennung meine Brust erfüllt. Wie sollte ich es<br />
auch unternehmen, das Unnennbare in Worte zu kleiden?<br />
Mag das Herz bluten, wir müssen uns dem unvermeidlichen<br />
Geschicke fügen. Ich weiß es, wir müssen ehrerbietig<br />
anerkennen, daß Euer Hoheit der Erste unter Ihren<br />
fürstlichen Brüdern auf dem Opferaltar für Deutschlands<br />
Einheit und Größe die Würde eines fürstlichen<br />
Herrschers niedergelegt haben.<br />
Daran darf ich aber den Dank dafür anknüpfen, daß<br />
Euer Hoheit unbeirrt durch so viele betrübende Vorgänge<br />
unabläßig bemüht waren, Ihre Regentenpflichten zu<br />
üben, das Recht zu handhaben, dem reuigen Verirrten<br />
Gnade und dem armen Hilfsbedürftigen Wohltat zu<br />
spenden.<br />
Dann sei mir die Bitte gestattet, daß mein hoher Herr<br />
die warme Liebe, mit welcher er sein Volk umfaßte, uns<br />
auch nach der Trennung bewahren, daß er auch ferner<br />
derer freundlich gedenken möge, die ihm treu geblieben<br />
in den Stürmen der jüngsten Zeit, wohl erkennend, daß<br />
die junge Volksfreiheit nur in ihrem innigsten Verbände<br />
mit der Achtung bestehenden Rechts die Gewährschaft<br />
ihrer eigenen Dauer finden könne.<br />
Euer Hoheit! Zwei Denkzeichen sind es, die der Edle<br />
sich setzt im öffentlichen Leben. Beide erblühen Euer<br />
Hoheit in verwelklicher Schöne. Das eine ist die zarte<br />
Pflanze, die Sie Sich gesetzt in eigener Brust auf dem<br />
Grunde eines reinen Gemüts und die Sie groß gezogen<br />
mit fester Willenskraft am hellen Sonnenlicht klarer Erkenntnis<br />
der Forderungen der Zeit. Sie wird Euer Hoheit<br />
den reinsten Seelengenuß gewähren in den Zeiten<br />
des Glückes, sie wird Ihr bester Trost sein in Tagen des<br />
Mißgeschicks, die der Himmel von dem Haupte Euer<br />
Hoheit abwenden möge, und sie wird Ihre festeste Stütze<br />
bilden bis zum späten Alter. Ihr Name ist: Bewußtsein<br />
erfüllter Pflicht.<br />
Das andere ist ein Denkmal, welches Sie Sich gesetzt im<br />
eigenen Lande. Mit Freuden hat die lebende Generation<br />
es erstehen sehen, es ist aber für die Nachwelt errichtet<br />
und wird fortleben in unseren Söhnen und Enkeln. Es ist<br />
das ehrende Andenken der Besten Ihres Volkes.<br />
So möge denn ein günstiges Geschick Euer Hoheit geleiten<br />
auf der neuen Bahn, die Sie Sich gewählt: Es möge<br />
Ihr Fürstliches Haus neuen Glanz und neues Wohl erlangen<br />
unter dem mächtigen Schutze, dem Sie es anvertraut;<br />
es mögen glückliche Sterne Euer Hoheit leuchten<br />
bis in die ferne Zukunft, und es möge dieser Sterne<br />
52<br />
schönster auch uns stets mit seinem milden Scheine beglücken<br />
- der Hoffnungsstern des Wiedersehens!<br />
Patent wegen Besitznahme des Fürstentums Hohenzollern-Hechingen<br />
und des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen.<br />
(Urkunde im Staatsarchiv Sigmaringen, Neuverzeichnete<br />
Akten II 4486. Als gedruckter Aushang<br />
vervielfältigt: ebenda Ho 1 A 4 und veröffentlicht im<br />
Verordnungs- und Anzeigenblatt der Königlich Preußischen<br />
Regierung zu Sigmaringen vom 7. April 1850).<br />
Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden König von<br />
Preußen, Markgraf zu Brandenburg, souveräner und<br />
oberster Herzog von Schlesien wie auch der Grafschaft<br />
Glatz, Großherzog vom Niederrhein und von Posen,<br />
Herzog zu Sachsen, Engern und Westfalen, in Geldern,<br />
zu Magdeburg, Cleve, Jülich, Berg, Stettin, Pommern,<br />
der Cassuben und Wenden, zu Mecklenburg und Crossen,<br />
Burggraf zu Nürnberg, Landgraf zu Thüringen,<br />
Markgraf der Ober- und Niederlausitz, Prinz von Oranien,<br />
Neuenburg und Valendis, Fürst zu Rügen, Paderborn,<br />
Halberstadt, Münster, Minden, Camin, Wenden,<br />
Schwerin, Ratzeburg, Moers, Eichsfeld und Erfurt, Graf<br />
zu Hohenzollern, gefürsteter Graf zu Henneberg, Graf<br />
zu Ruppin, der Mark, Ravensberg, Hohenstein, Tecklenburg,<br />
Schwerin, Lingen und Pyrmont, Herr der Lande<br />
Rostock, Stargard, Lauenburg und Bütow, tun hiermit<br />
Jedermann kund:<br />
Nachdem das Fürstentum Hohenzollern-Hechingen und<br />
das Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen mittels des<br />
am 7. Dezember vorigen Jahres abgeschlossenen und<br />
demnächst nach erfolgter Zustimmung beider Kammern<br />
Unseres Landtages ratifizierten Staatsvertrages an Uns<br />
als das erbberechtigte Haupt des Hohenzollernschen<br />
Hauses von den durchlauchtigen Fürsten und Herren,<br />
Herren Friedrich Wilhelm Constantin und Herren Carl<br />
Anton souveränen Fürsten zu Hohenzollern-Hechingen<br />
und Hohenzollern-Sigmaringen, Burggrafen zu Nürnberg,<br />
Grafen zu Sigmaringen und Veringen, Herren zu<br />
Haigerloch und Wehrstein usw., Unseren vielgeliebten<br />
Herren Vettern, mit allen Hoheits- und Regierungsrechten<br />
abgetreten und deren Einwohner ihrer Pflichten gegen<br />
ihre bisherigen Landesherren ausdrücklich entlassen<br />
worden, Wir sonach in den Besitz der Stammlande Unseres<br />
Königlichen Hauses gelangt sind, so nehmen Wir<br />
diese obenbezeichneten Lande in Kraft des gegenwärtigen<br />
Patents in Besitz und einverleiben dieselben Unseren<br />
Staaten mit allen Rechten der Landeshoheit und Oberherrlichkeit.<br />
Wir nehmen in Unseren Königlichen Titel zu dem bisher<br />
schon geführten Titel eines Grafen zu Hohenzollern<br />
noch die Titel eines Grafen zu Sigmaringen und Veringen<br />
und eines Herren zu Haigerloch und Wehrstein an.<br />
Wir lassen an den Grenzen zur Bezeichnung Unserer<br />
Landeshoheit die Preußischen Adler aufrichten, auch wo<br />
Wir es nötig finden, Unser Königliches Wappen anheften<br />
und die öffentlichen Siegel mit dem Preußischen Adler<br />
versehen.<br />
Wir erklären hierdurch in den in Besitz genommenen<br />
Landen die Preußische Staatsverfassung für eingeführt,<br />
womit gleichzeitig die bisherige Vertretung des Landes<br />
ihre Endschaft erreicht.<br />
Wir beauftragen Unseren Regierungspräsidenten Freiherrn<br />
von Spiegel-Borlinghausen die Besitznahme hiernach<br />
in Unserem Namen auszuführen und die solchergestalt<br />
in Besitz genommenen Lande Unseren Ministerialbehörden<br />
zur verfassungsmäßigen Verwaltung zu überweisen.<br />
Für die Regelung derjenigen Angelegenheiten, welche<br />
das Verhältnis Unseres Königlichen Hauses zu den Häusern<br />
der durchlauchtigen Herren Fürsten zu Hohenzollern-Hechingen<br />
und Hohenzollern-Sigmaringen betref-
fen, wird dem genannten Kommissarius Unser Vize-<br />
Oberzeremonienmeister Freiherr von Stillfried-Rattonitz<br />
zur Seite stehen.<br />
Hiernach geschieht Unser Königlicher Wille.<br />
Gegeben Charlottenburg den 12. März 1850.<br />
Friedrich Wilhelm<br />
Gegengezeichnet von Graf von Brandenburg, von Ladenberg,<br />
von Manteuffel, von der Heydt, von Rabe, Simons,<br />
von Schleinitz, von Stockhausen.<br />
Zuruf an die Bewohner der Hohenzollernschen Lande<br />
(Original im Staatsarchiv Sigmaringen, Neuverzeichnete<br />
Akten II 4486. Als gedruckter Aushang vervielfältigt:<br />
ebenda Ho 1 A 4 und veröffentlicht im Verordnungsund<br />
Anzeigeblatt der Königlich Preußischen Regierung<br />
zu Sigmaringen vom 7. April 1850).<br />
Bewohner der Hohenzollernschen Lande!<br />
Den wiederholten dringenden Anträgen Eurer Fürsten<br />
nachgebend, habe Ich die Landeshoheit über ihre Fürstentümer<br />
übernommen; Ich habe hierauf durch Patent<br />
vom heutigen Tage die Besitznahme derselben angeordnet<br />
und Mein Regierungspräsident Freiherr von Spiegel-Borlinghausen<br />
wird in Eurer Mitte erscheinen, um in<br />
Meinem Namen den Besitz der Fürstentümer zu ergreifen.<br />
Eure bisherigen Landesherren haben Euch Eurer<br />
Pflichten gegen sie ausdrücklich entlassen. Ich begrüße<br />
Euch als Meine Untertanen. Ich gebiete Euch, Mich forthin<br />
als Euren rechtmäßigen König und Landesherrn anzuerkennen,<br />
Mir und Meinen Nachfolgern den Eid der<br />
Treue zu leisten und Meinen Gesetzen, Verfügungen und<br />
Befehlen gehorsam nachzuleben. Ich versichere Euch dafür<br />
Meiner landesväterlichen Fürsorge und Meines<br />
Schutzes. Meine schwäbischen Untertanen stehen hinfort<br />
Mir gleich nahe, wie die Bewohner Meiner alten Lande.<br />
Ihr seid schon bisher Meinem Hause und Meinem Herzen<br />
nicht fremd gewesen. Die Stammburg Meines Geschlechtes<br />
krönt einen Eurer Berge, ein Teil der von<br />
Euch bewohnten Gebiete bildet das Stammland Meines<br />
Hauses. Euer Fürstengeschlecht und das Königliche Haus<br />
STEPHAN WIEST<br />
Bibliographie der Hohenzollerischen Geschichte<br />
von Preußen haben dieselben Stammväter. Die Königliche<br />
Linie des Hohenzollernschen Hauses tritt nur in<br />
Rechte ein, welche durch alte Verträge ihr vorbehalten<br />
waren. Durch ein Gesetz vom heutigen Tage sind die<br />
Gebiete, die ihr bewohnt, mit dem Preußischen Staate<br />
vereinigt, und in Folge dessen habe Ich durch das Besitznahmepatent<br />
vom heutigen Tage die Einführung der<br />
Preußischen Staatsverfassung in den Hohenzollernschen<br />
Fürstentümer verkündet. Ihr tretet dadurch in die Rechte<br />
und Pflichten Meiner übrigen Untertanen in vollstem<br />
Umfange ein. Euere Söhne werden fortan in den Reihen<br />
des Preußischen Kriegsheeres dienen, und es werden die<br />
schwäbischen Krieger Preußens keine mindere Zierde<br />
Meines Heeres sein, als die Niedersachsen und Rheinländer,<br />
deren gastliche Aufnahme in Eueren Bergen Mich<br />
hoch erfreut hat. Eure Religion findet in der Preußischen<br />
Verfassung vollständigen Schutz. Euren Schulen<br />
wird die sorgsamste Pflege gewidmet werden. Euerm<br />
Gewerbefleiß und dem Ackerbau wird jede Beförderung<br />
zu Teil werden. Ich aber vertraue, daß Ihr eingedenk<br />
des Unsegens, der nach den Erfahrungen der letzten Jahre<br />
an der Untreue haftet, Mir treue Untertanen sein und<br />
Euch des Preußischen Namens würdig zeigen werdet.<br />
Gegeben Charlottenburg, den 12. März 1850.<br />
Friedrich Wilhelm<br />
Gegengezeichnet von Graf von Brandenburg, v. Ladenberg,<br />
v. Manteuffel, v. d. Heydt, v. Rabe, Simons, v.<br />
Schleinitz, v. Stockhausen.<br />
1 Eberhard Gönner, Die Revolution von 1848/49 in den hohenzollerischen<br />
Fürstentümern und deren Anschluß an<br />
Preußen. Arbeiten zur Landeskunde Hohenzollerns. Heft 2.<br />
1952, S. 161.<br />
2 Ebenda, S. 70.<br />
3 Ebenda, S. 69.<br />
4 Ebenda, S. 168 f.<br />
5 Ebenda, S. 169, 173.<br />
6 Ebenda, S. 168.<br />
7 Ebenda, S. 168-170.<br />
überblick über 10 260 Veröffentlichungen von Historikern und Heimatkundlern<br />
Mit der „Bibliographie der Hohenzollerischen Geschichte"<br />
als 97./98. Band der „Zeitschrift für Hohenzollerische<br />
Geschichte" überreicht der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong><br />
in diesen Tagen seinen Mitgliedern eine<br />
ebenso umfang- wie inhaltsreiche Gabe für das vergangene<br />
und das laufende Vereinsjahr. Ihre Treue zu dieser<br />
letzten Klammer landsmannschaftlicher Verbundenheit<br />
von lange politisch und kulturell zusammengehörenden<br />
Gebieten wird damit reichlich belohnt. Mit ihrem bescheidenen<br />
Beitrag haben sie mitgeholfen, daß der fast<br />
siebenhundert Seiten starke gelbe Band bearbeitet und<br />
herausgegeben werden konnte. Er stellt eine unerschöpfliche<br />
Fundgrube für jede heimatkundliche und landesgeschichtliche<br />
Nachfrage dar. Sein Erscheinen ist um so<br />
mehr zu begrüßen, als das bisherige Fehlen einer Gesamtübersicht<br />
über hohenzollerisches Schrifttum neben<br />
andern, in der Enge des Gebietes liegenden Gründen, die<br />
Geschichtsforschung in unserer Heimat im Vergleich zu<br />
Nachbargebieten außerordentlich erschwert hat.<br />
Zwar hat der aus Hechingen stammende Heimatforscher<br />
Dr. Ernst Senn, dem, wie es in der Einleitung heißt, „die<br />
Landesforschung Bleibendes verdankt", bereits im Jahr<br />
1925 mit der systematischen Erfassung hohenzollerischen<br />
Schrifttums begonnen; er konnte sie aber nicht weiterführen<br />
und resignierend erschien es ihm unvorstellbar,<br />
daß jemand „die geistig selbstmörderische Arbeit nochmals<br />
auf sich nehmen wollte". Zwei anerkannte, mit der<br />
hohenzollerischen Forschung beruflich und aus Neigung<br />
verbundene Fachleute, Dr. Walter Bernhardt und<br />
Dr. Rudolf Seigel, haben es fünfzig Jahre danach mit einem<br />
kleinen Stab idealgesinnter Mitarbeiter gewagt und<br />
es auch geschafft; sie haben damit spät zwar, doch nicht<br />
zu spät, der von Dr. Senn befürchteten „katastrophalen<br />
und nicht mehr gutzumachenden Verschleuderung" Einhalt<br />
geboten.<br />
Schon ein kurzer Blick in die übersichtliche Gliederung<br />
gibt Auskunft über den bedeutenden Umfang einschlägigen<br />
Schrifttums, das sich mit hohenzollerischen Angelegenheiten<br />
befaßt, ihre Verfasser, ihre Fundorte, Erscheinungsdaten<br />
sowie <strong>Ausgabe</strong>- und heute noch gegebene<br />
Aufbewahrungsstellen wie Archive, Bibliotheken, Museen<br />
und Sammlungen. Die ausführliche Inhaltsübersicht,<br />
durch je eine Seite Abkürzungs- und Siegelverzeichnis<br />
ergänzt, tut auf den ersten neun Seiten kund, wie zahlreich<br />
und vielseitig die Gebiete sind, über die Kenner<br />
und Könner, Liebhaber und Fachkräfte über hohenzolle-<br />
53
ische Verhältnisse, Orte und Personen geschrieben haben:<br />
Wappen und Siegel, Geschichte, Herrschaftsgebiete,<br />
Recht und Verwaltung, Kirchen- und Schulwesen, Kultur<br />
und Sozialgebiete, Wirtschaftszweige, Militär, Familien<br />
und viele andere Einzelheiten. Neben der Landesgeschichte<br />
sind Hinweise auf Literaturtitel aus den verschiedensten<br />
Bereichen der Landeskunde gesammelt.<br />
Ging schon der erste Versuch zur Herausgabe eines solchen<br />
Übersichtswerkes von einem Hechinger aus, so ist<br />
auch jetzt im vorliegenden Band das hohenzollerische<br />
Unterland unter den aufgeführten Autoren zahlenmäßig<br />
wie jeweils in der Fülle der Erscheinungen stark vertreten.<br />
Soweit sie es noch erlebt haben, mag es für sie eine<br />
Befriedigung sein, in dieser stattlichen Übersicht die Ergebnisse<br />
und Zeugnisse ihres Forschens und Sammeins,<br />
meist gewonnen in den kargen Mußestunden eines arbeitsreichen<br />
Berufslebens, so vorbildlich festgehalten zu<br />
sehen. Mit über sechshundert Stellen erreicht Johann<br />
Adam Kraus die Höchstzahl, gefolgt von Willy Baur<br />
MANFRED HERMANN<br />
Die Schreiner und Altarbauer Widmann<br />
Die Plünderungen und Zerstörungen des 30jährigen<br />
Krieges haben nicht allein zahlreiche Bürgerhäuser der<br />
Städtchen und Dörfer auf der Zollernalb hart getroffen,<br />
sie richteten sich häufig auch gegen Kirchen und Kapellen.<br />
Laut Visitations-Protokoll des Kapitels Trochtelfingen<br />
von 1650 1 befanden sich zwar die meisten Gotteshäuser<br />
wieder in Ordnung, gar oft jedoch wird ihre Ausstattung<br />
ärmlich genannt. Es sollte in der Regel noch<br />
zwanzig Jahre dauern, bis sich die Gemeinden wieder<br />
soweit erholt hatten, daß sie zur Anschaffung neuer Altäre<br />
fähig wurden. An den blatt- und rebenumkränzten<br />
Säulen und den blumenreichen Verzierungen können wir<br />
heute ablesen, wie sich dann doch recht rasch wieder die<br />
Freude am Leben regte und Beklemmung Angst und<br />
Schwermut überwand. Bis nach 1700 freilich blieben die<br />
Altar-Retabel eine streng waagrecht und senkrecht gegliederte<br />
Welt, in die einzig die nach Berninis Vorbild<br />
gestalteten gedrehten Säulen Bewegung bringen.<br />
Erhaltene Altaraufbauten aus der 2. Hälfte des 17. Jhs.<br />
im Laucherttal und in angrenzenden Gemeinden (Veringendorf,<br />
Hermentingen, Kettenacker und Neufra 2 ) machen<br />
deutlich, daß man im ländlichen Raum sich gewöhnlich<br />
kaum für aufwendige Retabel entscheiden<br />
konnte. Einmal fehlte das nötige Geld, zum anderen hätte<br />
man aus relativ entfernten Städten die Kunsthandwerker<br />
herbeiholen müssen, wie die Altaraufträge Gammertingens<br />
zeigen 3 . So fertigte für die dortige Michaelskapelle<br />
der Bildhauer Hans Thomas Kutzberger 4 aus Biberach<br />
in Oberschwaben einen Altar von beachtlicher<br />
Qualität und zwei weitere Plastiken (1675). Zwei<br />
Schweizer Kunsthandwerker aus Rottenburg am Neckar,<br />
der Bildhauer Heinrich Karl Amrhein 5 und dessen Bruder<br />
Hieronymus, ein Schreiner, schufen 1680 den St. Katharinenaltar<br />
und ein Jahr später den St. Sebastiansaltar<br />
für die Pfarrkirche. 1682 lieferten sie auch den reich geschmückten<br />
Hoch-, zugleich Rosenkranz-Altar mit umfangreichem<br />
Bildprogramm. Leider ist die gesamte Altarausstattung<br />
des 17. Jhs. der Pfarrkirche nicht erhalten<br />
geblieben. Offensichtlich bildeten aber diese aufwendigen,<br />
mit Figuren versehenen Retabel in den ländlichen<br />
Gotteshäusern die Ausnahme. In der Regel zeigten die<br />
einfachen, flachen Aufbauten außer den Säulenkapitellen,<br />
etlichen Engelsköpfchen und Knorpelwerk keine<br />
weiteren Schnitzereien. Meistens bildete ein Gemälde das<br />
54<br />
mit mehr als eineinhalbhundert, Maximilian Schaitel und<br />
Walter Sauter mit über hundert Nennungen.<br />
Ihnen folgen mit rund einem Dreiviertelhundert Anton<br />
Pfeffer und Michael Walter. Weiter sind aus dem Hechinger<br />
Raum stark vertreten Ludwig Egler, Heinrich<br />
Fassbender, Anton Buckenmaier, die beiden Rangendinger<br />
Josef Wiest und Johann Wannenmacher neben vielen<br />
anderen. In einem zwölf Seiten umfassenden Orts-, Personen-<br />
und Sachregister und einem Verfasserverzeichnis<br />
von dreiunddreißig Seiten können die 10 260 Veröffentlichungen<br />
nachgesucht werden und jedem Auskunft geben,<br />
der Unterlagen sucht über Teilgebiete heimatlichen<br />
Lebens in Zeit und Vergangenheit.<br />
Wie im Vorwort vermerkt, gebührt neben den Vereinsmitgliedern<br />
wohlverdienter Dank allen Personen, Körperschaften<br />
und Stellen, die durch finanzielle Beihilfen<br />
die Herausgabe und gute Drucklegung ermöglicht haben.<br />
Besonderer Dank aber gebührt den fleißigen Bearbeitern<br />
für ihre Ausdauer und ihren Idealismus.<br />
in Hettingen<br />
Mittelstück, zu dem hin und wieder ein kleineres im<br />
Auszug dazukam. Beim Hermentinger Hochaltar trat<br />
der nicht allzuhäufige Fall ein, daß der barocke Altarbauer<br />
pietätvoll die drei Plastiken des mittelalterlichen<br />
Retabels in den Aufbau miteinbezog. War es ein Beispiel<br />
früher „Denkmalpflege" oder eine Notlösung bescheidener<br />
Mittel halber? Wir wissen es nicht.<br />
Schreiner und Altarbauer Baltus Widmann I<br />
In Heiligenpflege-Rechnungen von Kirchen und Kapellen<br />
der Hettinger Umgebung erscheint bei Anschaffung<br />
von Altären und anderen Ausstattungsstücken öfters der<br />
Name des Schreiners Baltasar Widmann. Offensichtlich<br />
war er nicht nur ein angesehener Handwerker, vielmehr<br />
bewies er darüber hinaus besondere Kunstfertigkeit.<br />
Um 1650 in Frohnstetten geboren, gelang es dem Gesellen<br />
Baltasar Widmann, in Ursula Schneider in Hettingen,<br />
der 34jährigen Witwe und dritten Ehefrau des am<br />
10. 1. 1673 im Alter von über 80 Jahren dort gestorbenen<br />
Schreiners Georg Haller, nicht nur eine Ehegefährtin<br />
zu gewinnen, sondern auch gleichzeitig eine größere<br />
Werkstatt zu übernehmen. Er führte seine Braut am<br />
22. 5. 1673 in Hettingen zum Traualtar 6 . Nach dem<br />
Tod des Gatten, der laut Totenbuch von Hettingen 6 40<br />
Jahre lang ein Schützer und Förderer der Pfarrkirche<br />
St. Martin, auch der Stifter eines goldenen Kelches war,<br />
ging es der Ursula Schneider sicher darum, für ihre unmündigen<br />
Kinder Anna Maria und Johann Baptist Haller<br />
(* 1664) wieder einen Vater und Ernährer zu finden.<br />
In der Folgezeit wurden dem Ehepaar vier Kinder geschenkt,<br />
darunter die Buben Hans Jakob (* 1675) und<br />
Baltasar (* 1684). Alle drei Jungen hat Baltasar Widmann<br />
im Schreinerhandwerk ausgebildet. Nach einer für<br />
Meistersöhne wenigstens ein Jahr dauernden Wanderzeit<br />
hatte der Vater in ihnen tüchtige Gesellen zur Hand, die<br />
ihm auch größere Aufträge auszuführen erlaubten.<br />
Offensichtlich brachte dem Meister seine Tätigkeit im<br />
Städtchen hohes Ansehen, denn 1691 oder schon früher<br />
wurde er zum Schultheiß von Hettingen bestellt (das<br />
Taufbuch nennt ihn am 16. 8. 1691 „scultetus"). Bei der<br />
Gründung der drei Hettinger Zünfte am 21. 1. 1698<br />
scheint er als Ortsvorsteher eine der treibenden Kräfte<br />
gewesen zu sein. Aus dem Meisterverzeichnis 7 anläßlich<br />
der Gründung geht hervor, daß ihn die Handwerker<br />
zum ersten Zunftmeister wählten, ein Zeichen für deren
volles Vertrauen zu ihm. Dabei ist es beachtenswert, ihn<br />
fast jedes Jahr erneut in seinem Amt bestätigt zu finden<br />
(zuletzt 1720). Aus dem erwähnten Meisterverzeichnis<br />
kann man auch entnehmen, daß Bakus Widmann außer<br />
seinem Stiefsohn Johann Baptist Haller (Heirat 1693)<br />
und seinem ältesten Sohn Hans Jakob (Heirat 1697) in<br />
Hettingen keine Konkurrenz zu fürchten hatte. Selbst<br />
wenn die beiden nach ihrer Heirat eine eigene Werkstätte<br />
gegründet hätten, gab es zwischen den drei Meistern<br />
sicher eine gute Zusammenarbeit. Den Jungen Baltasar<br />
stellte der Vater am 16. 7. 1700 einem versammelten<br />
„Ehrsamen Handwerk" vor, das ihn zum Gesellen erklärte.<br />
Bald aber sollte der Zunftmeister mit seinen beiden<br />
eigenen Söhnen viel Kummer haben. Laut Hettinger<br />
Verhörsprotokoll 8 wurde 1705 dem Schreiner Hans Jakob<br />
Widmann lebenslänglich das Betreten des herrschaftlichen<br />
Forstes und das Fischen in der Lauchert und<br />
Fehla verboten, weil er wiederholt wilderte und dabei<br />
auf Hirsche, Rehe, Hasen und Wildschweine schoß 9 .<br />
Am 30. 5. 1712 zahlte er an die Herrschaft, da er mit<br />
Frau und sieben Kindern nach Ungarn auswanderte, bei<br />
einem Vermögen von 120 fl. 12 fl. Abzugssteuer und<br />
weitere 12 fl. für den Freikauf aus der Leibeigenschaft<br />
10 . Offensichtlich mag es zu weiteren Spannungen<br />
mit den herrschaftlichen Beamten gekommen sein, die<br />
Hans Jakob Widmann auf diese Weise lösen wollte.<br />
Aber auch der jüngere Bruder hatte sich zusammen mit<br />
drei anderen jungen Leuten verschiedene Diebereien zu<br />
Schulden kommen lassen, wofür die Herrschaft Baltas<br />
am 19. Februar 1706 auf 15 Jahre aus der Herrschaft<br />
auswies. Er sollte erst dann zurückkehren dürfen, wenn<br />
er ein glaubwürdiges Zeugnis über seine Besserung mitbringe.<br />
Dem Ortsschultheiß dürften diese Verfehlungen<br />
höchst peinlich gewesen sein; offensichtlich brachte er es<br />
fertig, die Herrschaft bzw. deren Obervogt von der reumütigen<br />
Umkehr seines Jüngsten zu überzeugen, da dieser<br />
zwei Jahre später in Hettingen heiraten durfte. - In<br />
der Folgezeit ließ Bakus Widmann der Ältere eine Reihe<br />
von Lehrjungen aufdingen und lossprechen, den letzten<br />
am 4. Juni 1719. Unter ihnen stand in der Zeit von 1713<br />
bis 1715 jener Johann Haberbosch aus Langenenslingen<br />
bei Widmann in Ausbildung, der 1733/34 für Benzingen<br />
sehr schön geschnitzte Kirchenstühle lieferte n . Nach<br />
1719 dürfte dann der Vater seinem gleichnamigen Sohn<br />
die Werkstätte übertragen haben. Leider ist das Todesdatum<br />
des Meisters nicht aus den Kirchenbüchern zu entnehmen,<br />
da sie nach 1720 nur flüchtig geführt wurden<br />
und zwischen 1732 und 1740 gar eine große Lücke aufweisen.<br />
In Harthausen auf der Scher stoßen wir 1675 auf das erste<br />
Werk des noch jungen Schreiners. Nach den Beilagen<br />
zu den dortigen Kirchenrechnungen, die leider nicht für<br />
die jüngsterschienene Ortschronik 12 ausgewertet wurden,<br />
rechnete „Balteß Widman" am 10. 9. dieses Jahres mit<br />
Pfarrer Jodok Schneider (auch Sartori, 1673-78 in<br />
Harthausen) und den Heiligenpflegern ab. Für die<br />
Schreinerarbeit zum neuen Choraltar erhielt er laut<br />
„Verding" die ansehnliche Summe von 54 fl.; „weilen<br />
Ich mer gemacht hab alß verdingt ist worden", weitere<br />
2 fl. 30 kr. Sein Bub (= Johann Bapt. Haller mit 11 Jahren)<br />
bekam als Trinkgeld 10 Kreuzer. Die Fassung des<br />
„Koraltars" besorgte für 58 fl. der Andelfinger Hans Erhard<br />
Veser (f 1676) 13 , der Stammvater einer umfangreichen<br />
Malersippe. Wer das ornamentale Beiwerk schnitzte,<br />
wird nicht gesagt. Bakus Widmann wird jedenfalls<br />
dafür nicht in Frage kommen, sehr wohl aber könnte der<br />
Schwager Vesers, der Gelegenheitsbildhauer Bernhard<br />
Feuerstein, ebenfalls aus Andelfingen 14 , der Gesuchte<br />
sein. Offensichtlich bildeten die drei Kunsthandwerker<br />
zu dieser Zeit ein festes Team, dem mehrere Altäre zu<br />
Hermentinger Hochaltar (1680)<br />
—
haben die Bearbeiter des Kunstdenkmälerwerks von<br />
1948 16 dazu verleitet, den Altar auf 1650 zu datieren.<br />
Diese geschnitzten Ornamente in altertümlichen Formen,<br />
die nicht von der Hand des Schreiners stammen, finden<br />
sich ganz ähnlich an dem sicherlich von Feuerstein geschaffenen<br />
und mit 1671 datierten östlichen Seitenaltarpaar<br />
im Münster zu Heiligkreuztal 11 . So hat auch hier<br />
der Maler, diesmal Jerg Ferdinand Veser, mittlerweile<br />
28jährig, seinen Verwandten mit den Schnitzarbeiten betraut,<br />
wie es ausdrücklich für den im folgenden Jahr in<br />
Harthausen a. d. Scher entstandenen Seitenaltar belegt<br />
Hermentinger Hochaltarblatt ]. F. Vesers<br />
ist. Beim Hermentinger Gemälde verrät jeder Zug die<br />
Handschrift des Andelfinger Malers, die uns von zahlreichen<br />
in Heiligkreuztal erhaltenen Gemälden her geläufig<br />
ist. Das Bild zeigt Maria, am Fuß des Kreuzes sitzend,<br />
vor ihr auf dem Boden gegen den Schoß der Mutter<br />
gelehnt den Leichnam Jesu. Hinter der Gruppe wird<br />
die weinende Maria Magdalena sichtbar. Zu beiden Seiten<br />
des Kreuzstammes schweben Engel mit den Marterwerkzeugen.<br />
Übrigens zeigt der Aufbau des Retabels<br />
eine handwerklich solide, einwandfreie Arbeit, die dem<br />
Schreiner Widman ohne Zweifel Ansehen eingebracht<br />
hat.<br />
Laut Beilagen der Harthauser Kirchenrechnungen lieferte<br />
Bakus Widmann am 21. September 1679 in die Sakristei<br />
der dortigen Pfarrkirche einen Kleiderkasten um<br />
16 fl. 15 kr. Zwei Jahre später erstellte er für dasselbe<br />
Gotteshaus einen weniger aufwendigen Seitenaltar, wofür<br />
er am 30. 7. 1681 40 fl. erhielt. Die Malerarbeit dazu<br />
fertigte wiederum Jerg Ferdinand Veser aus Andelfingen<br />
um 58 fl. Offensichtlich waren hier das Gemälde eingeschlossen,<br />
sicher aber die Schnitzarbeiten, wie ausdrücklich<br />
gesagt ist. Leider ist auch dieser Altar nicht mehr<br />
vorhanden.<br />
56<br />
Um die gleiche Summe wie in Harthausen a. d. Scher erstellte<br />
1684 „der Schreiner von Hettingen" einen wieder<br />
verlorenen St. Veits-Altar in der Burladinger St. Georgskirche<br />
18 . Als Trinkgeld erhielt der Schreinerbube<br />
(diesmal wohl der 9jährige Hans Jakob Widmann) 26<br />
Kreuzer. 1686 beauftragten die Burladinger Heiligenpfleger<br />
erneut unseren Meister, diesmal für 33 fl. einen<br />
weiteren Seitenaltar, der dem hl. Sebastian geweiht war,<br />
anzufertigen. Hier erhielt der Schreinergeselle (Johann<br />
Haller) ein Trinkgeld von 30 kr. Schließlich übertrug<br />
man Bakus Widmann auch noch die Errichtung eines<br />
neuen Choraltars für 55 fl., der 1694 entstand. In allen<br />
drei Fällen dürfte es der Andelfinger Jerg Ferdinand<br />
Veser gewesen sein, der den nicht erhaltenen Altären die<br />
farbige Fassung gab, dazu auch die Ölbilder lieferte.<br />
Die Jahreszahl 1695 tragen die beiden, einst in der Muttergotteskapelle<br />
zu Neufra stehenden, seit deren Renovation<br />
(1962) aber in der Schloßkapelle zu Wolf ach befindlichen<br />
Seitenaltäre 19 . Das Spethsche Wappen im<br />
Auszug macht deutlich, daß sie Stiftungen des damaligen<br />
Ortsherren Johann Dietrich Speth von Zwiefalten zu<br />
Neufra und seiner Gemahlin Anna Eleonore geb. Freifrau<br />
von Schnewelin zu Bollschweil 20 waren. Das noch<br />
in Neufra hängende Sieben-Zuflucht-Altarblatt und das<br />
mit dem Retabel nach Wolfach gekommene Bild mit<br />
dem Tod und der Himmelfahrt Mariens tragen wieder<br />
die unverkennbaren Merkmale der Veser-Gemälde. Es ist<br />
keine Frage, daß für den Aufbau Schreiner Bakus Widmann<br />
und Schnitzer Bernhard Feuerstein als Schöpfer<br />
genannt werden müssen. Neben dem Hermentinger<br />
Hochaltar vermitteln sie am besten eine Vorstellung von<br />
Widmanns Altarretabeln.<br />
Schließlich dürfte auch der einst mächtige, aber wieder<br />
nicht mehr erhaltene Aufbau des Hettinger Hochaltars<br />
aus dem Jahr 1715, von dem noch die beiden Altarblätter<br />
mit der Anbetung der Hirten von Bethlehem und der<br />
hl. Dreikönige von Johann Hertz aus Immenstaad am<br />
Bodensee, ferner die Figuren der hl. Bischöfe Martin und<br />
Konrad vorhanden sind, aus der Werkstatt des Baltus<br />
Widmann stammen 21 . Es erscheint undenkbar, daß man,<br />
solange ein einheimischer, tüchtiger Altarbauer zur Verfügung<br />
stand, einen auswärtigen Meister beauftragt hätte.<br />
Zudem erschwerten die Zunftartikel Hettingens die<br />
Vergabe nach auswärts: „Unnd wan ein Frembder Maister<br />
etwaß herein zu machen verdingte, so darff ein hiesiger<br />
Maister wohl / :doch mit disem beding: / darein<br />
stehen, daß die sach so gueth unnd recht, alß der frembde<br />
machen solle. Da aber dem Frembden die arbaith verblibe,<br />
solle er schuldig sein, von einem großen Verding<br />
von iedem Gulden drey Kreitzer, von einem kleinen<br />
Verding 10 Kreuzer, vnnd waß vnder zehen Gulden<br />
aber ist, ein Pfundt Wax nach erkhandtnuß der Zunftmaister<br />
in die Laden zu geben" 22 .<br />
Die hier aufgeführten Arbeiten sind zweifellos nur ein<br />
Bruchteil von Baltus Widmanns Schaffen. Das meiste davon<br />
blieb uns nicht erhalten. Aus all diesen Aufträgen<br />
wird deutlich, daß er innerhalb der Herrschaft und darüber<br />
hinaus ein begehrter Kunstschreiner und Altarbauer<br />
war.<br />
(Zweiter Teil folgt.)<br />
1 J. A. Kraus, Aus den Visitationsakten des ehem. Kapitels<br />
Trochtelfingen, in Freib. Diöz. Arch. 1953, S. 156 ff.<br />
2 Kunstdenkmäler Hohenzollerns - Bd. II. Kreis Sigmaringen,<br />
Stuttgart 1948, S. 384 (Nr. 3 u. 4); S. 146 (Nr. 1); S. 212<br />
(Nr. 1-3) und S. 256 (Nr. 2 u. 3), heute in der Schloßkapelle<br />
in Wolfach i. Kinzigtal.<br />
3 M. Hermann, Zur Kunst- und Baugeschichte der St. Michaelskapelle<br />
und der Pfarrkirche in Gammertingen, Z. f. Hhz.<br />
Gesch. 9. Bd./1973, 143-153 m 13 Abb.
4<br />
1607-84. Er stammte aus einer bekannten Biberacher Baumeistersfamilie.<br />
Mehr und mehr erweist sich Kutzberger als<br />
einer der bedeutendsten Bildhauer Oberschwabens in den<br />
drei Jahrzenten nach dem 30jährigen Krieg. Seit 1974<br />
stieß ich auf einen Altarentwurf (Hauptstaatsarch. Stuttgart,<br />
B 535 Bü 82) für den Rosenkranz-Bruderschaftsaltar<br />
der Stiftskriche Wiesensteig von 1662. Vgl. Wunder, Altäre<br />
der Stiftskirche Wiesensteig, in: Arch. f. christl. Kunst Nr.<br />
8/1909, S. 78. Dort ist der Name des Bildhauers verfälscht<br />
wiedergegeben (Purzberg). Dr. K. Diemer, Kreisarchivar in<br />
Biberach/R., machte mich auf eine Anna-selb-dritt im kath.<br />
Pfarrhaus Biberach aufmerksam, die ohne Zweifel von<br />
Kutzberger stammt.<br />
5<br />
S. Anm. 3, S. 152. Auch bei diesem fruchtbarsten Bildhauer<br />
im Rottenburger/Tübinger Raum zwischen 1675 und 1700<br />
schält sich allmählich eine bedeutende künstlerische Persönlichkeit<br />
heraus. Vgl. D.Manz, Amrhein Heinrich Karl, in:<br />
Thieme-Beckers Künstler-Lexikon Bd. 1, Leipzig 1976 2 .<br />
6<br />
PfArch. Hetlingen, Standesbücher Bd. I 1611 (1652)-1708,<br />
Bd. II 1708-32. Bd. III 1740-1802.<br />
7<br />
StArch. Hettingen, Fasz. 57: Zunftbuch der Stadt Hettingen,<br />
ab 1697.<br />
8<br />
Staats-Arch. Sigmaringen, Abt. Gammertingen-Hettingen,<br />
Het PrZ 11/11 560.<br />
9<br />
A. Lieb, Aus 500 Jahren Hettinger Geschichte. Württemberg<br />
- Bubenhofen - Speth - Hohenzollern, in: Festschrift d.<br />
Musikver. Hettingen 1957, S. 24-37.<br />
10<br />
W. Hacker, Auswanderung aus dem Raum der späteren Hohenzollerischen<br />
Lande nach Südosteuropa im 17. und<br />
18. Jahrhundert, in: Z. f. Hhz. Gesch. Bd. 5/1969, S. 222<br />
Nr. 2145.<br />
11<br />
KDM Kr. Sigmaringen 1948, S. 61.<br />
12<br />
M. D. Siepmann, Harthausen auf der Scher - Aus der Geschichte<br />
einer Albgemeinde, Sigmaringen 1974.<br />
13<br />
Manfred Hermann, Das Rosenkranz-Altarbild aus der<br />
Pfarrkirche zu Inneringen in: HH <strong>1975</strong>, 38-41.<br />
14<br />
S Anm. 13. Wenigstens seit 1663, da Feuerstein die Schwester<br />
des Andelfinger Pfarrers Sebastian Aichin und der Frau<br />
des Hans Erhard Veser heiratete, arbeiteten Maler und<br />
Schreiner zusammen.<br />
15<br />
1652-1725. Unter seinen 15 Kindern bildete er vier als Maler<br />
aus (Johann Josef * 1687, später Maler in Sigmaringen;<br />
Franz Anton 1689-1762, starb ledig; Gabriel 1698-1753<br />
Metzger und Maler; Georg Ferdinand 1700-1746). In der<br />
Werkstatt arbeitete wohl auch Georg Haile (f 1717 pictor).<br />
16<br />
KDM Kr. Sigmaringen 1948, S. 146, Nr. 1.<br />
17<br />
KDM Kr. Riedlingen 1936 (Abb.). Alfons Kasper, Kunstwanderungen<br />
kreuz und quer der Donau, Schussenried<br />
1964, S. 112. Altäre Nr. 1 u. 2.<br />
18<br />
Joh. Adam Kraus, Kunst und Kultur in den Heiligenpflege-<br />
Rechnungen von Burladingen, in: HH 1959, S. 24-26,<br />
44-46; bes. S. 26.<br />
19<br />
Da sie die qualitätsvoll gemalte Chorbogenumrahmung von<br />
ca. 1592 verdeckt hätten, entschloß man sich, die Seitenaltäre<br />
nicht mehr zu verwenden.<br />
20<br />
Nachdem Johann Dietrich Speth seine Tätigkeit als kaiserlicher<br />
Rat und Obervogt in Horb am Neckar wohl altershalber<br />
aufgegeben hatte, erbaute er sich 1690 das reizvoll restaurierte<br />
Neufraer Schlößle. Das Grabmal des Ehepaares in<br />
der Neufraer Pfarrkiche.<br />
21<br />
KDM Kr. Sigmaringen 1948, S. 154, Nr. 19 (fälschlich als<br />
Donatus bezeichnet) und Nr. 20, 155, Nr. 35 u. 33.<br />
22<br />
StArch Hettingen, Fasz. 58 (Art. 21 der Zunftordnung).<br />
Ein wenig bekanntes Werk von<br />
Pater Desiderius Lenz<br />
Im Schrifttum über Pater Desiderius Lenz, den Begründer<br />
der Beuroner Kunst, wird immer wieder versucht, die<br />
"Werke des Künstlers möglichst lückenlos zu erfassen. In<br />
einer der letzten Veröffentlichungen „Pater Desiderius<br />
Lenz OSB von Beuron - Theorie und Werk - Zur<br />
Wesensbestimmung der Beuroner Kunst", Verlag der<br />
Bayerischen Benediktinerabtei München, 1957, bietet die<br />
Verfasserin Martha Dreesbach aus Düsseldorf im Ab-<br />
schnitt „Biographie und Werkverzeichnis der drei Meister<br />
der Beuroner Kunstschule" eine Zusammenstellung der<br />
von Pater Lenz geschaffenen Werke. Dazu darf - zur<br />
Ergänzung - darauf hingewiesen werden, daß Peter<br />
Desiderius Lenz, geboren am 12. März 1832, im Jahr<br />
1855, also im Alter von 23 Jahren, für die 1853 bis 1855<br />
erbaute Pfarrkirche in Hausen am Andelsbach eine<br />
Petrus-Statue geschaffen hat. Die mannsgroße Petrus-<br />
Statue, aus Lindenholz geschnitzt, mit Lasierfarbe<br />
gefaßt, ist zum 1. Juni 1855 geliefert worden und kostete<br />
70 Gulden. Sie ist ein Frühwerk des Künstlers und darf,<br />
wenn man Martha Dreesbach folgt, zu den Werken mit<br />
„klassizistischem Charakter" gerechnet werden. Die ursprüngliche<br />
Fassung ist vermutlich später übermalt worden.<br />
Das Bildwerk stand von 1855 bis 1947 als Mittelstück<br />
auf dem rechten Seitenaltar der Pfarrkirche<br />
Hausen. Bei der Renovation der Kirche 1946/47 erhielt<br />
der Seitenaltar eine Bildtafel mit dem Bild des heiligen<br />
Petrus, flankiert von vier charakteristischen Einzeldarstellungen<br />
aus dem Leben des Heiligen von Kunstmaler<br />
Albert Burkart, Riedlingen/München. Der heilige Petrus<br />
ist der zweite Kirchenpatron der Pfarrkirche Hausen.<br />
Erster Kirchenpatron ist die heilige Ottilia. Die Petrus-<br />
Statue von Pater Lenz steht jetzt wohlverwahrt im<br />
Pfarrhaus in Hausen am Andelsbach.<br />
Josef Mühlebach<br />
Festschrift zur Einweihung des<br />
Hohenzollern-Gymnasiums in Sigmaringen<br />
am 3. Oktober <strong>1975</strong><br />
Mit Beginn des Jahres <strong>1975</strong> ging das bisher staatliche<br />
Gymnasium in die Trägerschaft der Stadt Sigmaringen<br />
über. Nach genau 157 Jahren endete die Geschichte des<br />
alten Hedinger Gymnasiums, der klassischen Bildungsstätte<br />
von Hohenzollern. Äußerlich wird dieser Wandel<br />
durch die Einweihung des Neubaues auf dem Sandbühl<br />
dokumentiert. Die Festschrift trägt dem Rechnung mit<br />
geschichtlichen Rückblicken und Beiträgen zur Gegenwart.<br />
Unser Leserkreis ist natürlich vorwiegend geschichtlich<br />
interessiert. Er sei besonders auf die beiden<br />
Beiträge von Frau Dr. Kuhn-Rehfus hingewiesen, die<br />
„Schulchronik von der Gründung bis zur Gegenwart" und<br />
„Unterricht und Erziehung am Gymnasium während des<br />
19. Jahrhunderts". Als „Ehemaliger" sucht man natürlich<br />
auch nach sentimentalen Erinnerungen. Dieses Bedürfnis<br />
wird, wenigstens teilweise, gestillt durch den Beitrag<br />
von Alex Frick über die „gute alte Zeit".<br />
Leider fand sich kein Chronist für die Dreißiger und<br />
Vierziger Jahre, obwohl sich die Redaktion der Festschrift<br />
darum bemüht hat. Zu loben ist auch das Bildmaterial,<br />
welches die alten Hedinger Klostergebäude und<br />
das Gymnaisum auf dem Ochsenbuckel zu verschiedenen<br />
Zeiten zeigt. Als Beispiele sieht man auch das Kollegium<br />
von 1911 und Sexta und Abiturienten von 1909.<br />
Bezeichnend ist, daß sich drei Beiträge mit dem Studienheim<br />
St. Fidelis befassen. Durch das Fidelishaus ist das<br />
alte Gymnaisum zu einer Bildungsanstalt für ganz Hohenzollern<br />
geworden und es gibt auch der neuen Schule<br />
eine gewisse überregionale Bedeutung.<br />
Selbstverständlich ist der Neubau eingehend beschrieben<br />
und in verschiedenen Aufsätzen werden aktuelle Probleme<br />
behandelt. Den Abschluß bildet eine Zusammenstellung<br />
von J. Mühlebach über bedeutende Persönlichkeiten,<br />
die aus dem alten Gymnasium hervorgegangen sind.<br />
B.<br />
(Die Festschrift kann zum Preis von DM 6.00 beim Hohenzollern-Gymnasium<br />
Sigmaringen bestellt werden).<br />
57
WALTHER FRICK<br />
Ein Heimatfreund mit vielen Verdiensten<br />
Johann Jerg starb drei Tage<br />
nach römischem Brückenfund<br />
Spät kommen wir an dieser Stelle dazu, Johann Jergs zu<br />
gedenken, der am 9. März gestorben ist, drei Tage, nachdem<br />
ein Ziel seiner lebenslangen Forschungsarbeit sichtbar<br />
vor ihm aus dem Wasser der Donau stieg: die römische<br />
Brücke. Was niemals zuvor festgestellt wurde und<br />
was nur möglich war wegen der starken Absenkung der<br />
Donau für ihren seit Jahren andauernden Umbau, trat<br />
hier zutage: Unweit der Laizer Mühle wurden Pfosten<br />
und Schwellen sichtbar, über die jetzt, im August, seitens<br />
der Fachleute noch nicht das letzte Wort gesprochen ist,<br />
die aber ohne Zweifel jener Ubergang über die Donau<br />
sind, von der die Römerarchäologen<br />
heute längst als<br />
dem wichtigsten in Baden-<br />
Württemberg sprechen.<br />
Vielleicht hat Johann Jerg<br />
die Freude getötet. Zwei<br />
Tage vor seinem Tod fuhren<br />
wir ihn nach Laiz; wie so<br />
viele Male hatte er uns von<br />
einem Fund benachrichtigt,<br />
und er entschuldigte sich: er<br />
könne nicht mehr so weit<br />
laufen. Bei der Fahrt hin<br />
und zurück, am Fundort -<br />
nichts von bevorstehendem<br />
jähem Herztod. Er sagte<br />
58<br />
Die Römerbrücke bei Laiz<br />
Fotos: L. Frick<br />
allerdings auf unsere Frage, Herzkrankheiten seien in seiner<br />
Familie üblich, und auch er werde „eines Tages" so<br />
sterben. Genau fünfzig Stunden später war er tot.<br />
Den Verewigten kennzeichnet wenig so, wie ein Satz,<br />
den er 1957 einmal zum Verfasser sagte, als wir in finsterer<br />
Nacht vom Hohmichele zurück zum "Wagen tappten,<br />
der an einem Waldweg abgestellt war. Wir sprachen<br />
von den Kelten, deren wieder hergestellter Fürsten-<br />
Grabhügel an jenem Abend durch den damaligen Landeskonservator<br />
Dr. Adolf Rieth aus Tübingen eingeweiht<br />
worden war, und Jerg sagte: „Ich tat' ein Jahr von meinem<br />
Leben geben, wenn ich nur einmal so einem Kerle<br />
begegnen könnte, so hier auf dem Weg". - Er ist solchen<br />
„Kerlen" viele Male begegnet, wenn auch nicht<br />
leibhaftig. Es gab kein steinzeitliches Pfostenloch, keine<br />
Scherben eines Gefäßes oder einer Getreidestampfe, aus<br />
der er nicht abgelesen hätte, was die Archäologen nachher<br />
immer bestätigten. Er „roch" beinahe Fundstellen,<br />
und es kam vor, daß er jahrelang erzählte: da und dort,<br />
wenn man da einmal gräbt, kommt bestimmt etwas heraus.<br />
Wurde dann nach Jahren dort eine Straße gebaut<br />
oder ein Keller ausgehoben, prompt kamen auch die<br />
Funde. Jerg konnte sich so in Bandkeramiker oder Keltenbauern,<br />
in römische Siedler und Alemannen hineindenken,<br />
daß er wußte, wo sie gewesen sein mußten.<br />
Sein äußeres Leben ist schnell erzählt: ein Bauernbub aus<br />
Walbertsweiler, ein Fidelishäusler und Abiturient in Sigmaringen,<br />
Teilnehmer am ersten Weltkrieg. Später Gewerbelehrer<br />
an verschiedenen Orten, seit den 20er Jahren<br />
in Sigmaringen, nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur<br />
Pensionierung als Nachfolger des Jungingers Anton Bumiller<br />
Leiter der Kreisberufsschule. Seine freien Stunden<br />
aber galten der Heimat, der Bodenforschung, wie schon<br />
gesagt, dem Natur- und Umweltschutz lange, bevor der<br />
Begriff überhaupt bestand, dem Schwäbischen Albverein.<br />
Er hat lange Jahre als Obmann des Gaus Obere Donau<br />
und als dessen Wegewart die immerhin rund 500 km<br />
Wanderwege betreut. Seine ad-hoc-Vorträge bei Wanderungen<br />
oder wo immer im Gelände, das war, als stieße<br />
man eine Nadel in einen Ballon voller Flüssigkeit: das<br />
lief und lief, Jahrhunderte, Jahrtausende wurden sichtbar,<br />
Querverbindungen taten sich auf, Verwandtes wurde<br />
verknüpft; eine ungeheure Fülle von Wissen und lebenslanger<br />
Erfahrung wußte den kleinsten Bachlauf zu<br />
nötigen, seine eigene Geschichte sprudeln zu lassen. Jergs<br />
Wissen und seine Kenntnisse, sein unermüdlicher Fleiß<br />
hätten Hohenzollern noch lange zugute kommen können,<br />
aber er wurde nur 77 Jahre alt.
Zum Tode von Fritz Staudacher<br />
Der Heimatforschung verschrieben — Als Organist gehörte seine Liebe St. Luzen<br />
Als bei seinen vielen Freunden bekannt wurde, daß Fritz<br />
Staudacher am Tage nach dem ersten großen Festgottesdienst<br />
in St. Luzen, bei dem er an der Orgel mitwirkte,<br />
in bedenklichem Gesundheitszustand das Krankenhaus<br />
aufsuchen mußte, hat das einen bitteren Wermutstropfen<br />
in der Festfreude über das große Werk bedeutet. Nun ist<br />
er seinem Leiden erlegen und es bleibt für seine Angehörigen<br />
wie seine Freunde nur der Trost, daß er diese Tage<br />
noch erleben und dabei mitwirken durfte. Sehr viele<br />
Darstellungen und Aufschlüsse, die bei dieser Gelegenheit<br />
veröffentlicht worden sind, gehen auf Staudachers<br />
umfangreiche und grundlegende Forschungen zurück, denen<br />
er sich neben der Sorge um die Erhaltung der Kirche<br />
lebenslang gewidmet hat.<br />
Staudacher gehörte zu der Nachkriegsgeneration des ersten<br />
Weltkrieges, die in den Wirrnissen der Zeit und den<br />
Schwierigkeiten, einen entsprechenden Lebensberuf zu<br />
erlangen, in ihren Freistunden sich der Heimatforschung<br />
und Heimatpflege in weitestem Sinne gewidmet haben.<br />
Beruflich war er wegen seiner Zuverlässigkeit ein geschätzter<br />
Mitarbeiter des Vermessungsamtes, einen wahren<br />
Lebensinhalt hat er aber in unablässiger Arbeit um<br />
die Geschichte und Kulturgeschichte seiner Heimatstadt<br />
gefunden.<br />
Was in Hechingen in den letzten vierzig Jahren in dieser<br />
Beziehung geleistet worden ist, ob die Gründung der<br />
Heimatbücherei, das Kunstinventar, die Ordnung des<br />
Stadtarchivs, die Sorge für die Erhaltung kirchlicher Archivalien<br />
und schließlich auch die Betreuung der an die<br />
Stadt übergegangenen Landessammlung, Staudacher war<br />
überall tatkräftig mit dabei und leistete dazu meist in aller<br />
Stille wertvolle Beiträge. Ungezählten Interessierten,<br />
Studenten, Lehrern, hat er die Ergebnisse seiner umfassenden<br />
und mühevollen Kleinarbeit zur Verfügung ge-<br />
JOHANN ADAM KRAUS<br />
Über Grenzen<br />
Lauchen, Marksteine, Kugelwälzen, Untergänger<br />
Die heute übliche Bezeichnung Grenze kam in unser<br />
Land erst lange nach dem Jahr 1500. Sie stammt aus<br />
dem Deutschordensland Ostpreußen und lautete russischpolnisch<br />
„graniza". Der alte deutsche Name dafür dagegen<br />
ist „Mark" (von merken). Im 8. Jahrhundert bedeutete<br />
marca Gegend, Umkreis, Grenzland, Markung. Daran<br />
erinnern noch unsere Marksteine und Gemarkungen.<br />
Die Gvtnzsteine sind erst im Lauf der Jahrhunderte als<br />
zweckmäßige, weil ausdauernde, Markierungen aufgekommen.<br />
Vorher begnügte man sich meist mit Pfählen<br />
und Bäumen, in die man gewisse Zeichen einritzte, z. B.<br />
Kerben oder Kreuze, oder Fleckenzeichen, oder bohrte<br />
auch Löcher darein. Die Freiburger Marksteine an den<br />
Grundstücken zeigen heute auf der Oberseite ein Kreuz<br />
als Stadtzeichen. Grenzbeschreibungen des 15. bis<br />
18. Jahrhunderts geben oft die Entfernung von einer<br />
Marke zur anderen in Schritten an und nennen den betr.<br />
Flurnamen. Die Einkerbungen in Bäume (später Steine)<br />
nannte man seit uralter Zeit Lachen (mit langem a, daher<br />
manchmal Laachen geschrieben). Später wurde das<br />
Wort in unserer Mundart zu Loochen und Lauchen. Michel<br />
Buck, der Flurnamenforscher, kennt schon einen<br />
Lächbaum vom Jahr 1012.<br />
stellt, Anregungen gegeben und sie beraten. Für sich<br />
selbst war er bis in die letzten Lebenstage immer bemüht,<br />
sein bewundernswertes Wissen um die Einzelheiten<br />
zu erweitern und es mit den Erscheinungen der Gegenwart<br />
nicht ohne kritischen Sinn zu verbinden, Dauerndes<br />
von Vergänglichem, wahre Werte vom äußerlichen<br />
Schein zu scheiden.<br />
Er hat sich dabei keineswegs nur auf das Buchwissen<br />
verlassen. Weder amtliche noch andere Denkmalspfleger<br />
kannten die kirchlichen Bau- und Kunstdenkmälern aus<br />
eigener Anschauung bis in den letzten Winkel über und<br />
unter der Erde so genau und konnten daher so oft den<br />
Fachleuten wertvolle Hinweise geben. Seine Forschungsergebnisse<br />
hat er in zahlreichen Veröffentlichungen niedergelegt<br />
und damit auch für die Zukunft erhalten und<br />
nutzbar gemacht. Bei Tagungen und Versammlungen gab<br />
er in den Diskussionen immer wieder entscheidende Hinweise,<br />
in privater Unterhaltung konnte man von ihm oft<br />
erstaunliche Richtigstellungen erfahren.<br />
Als Organist gehörte seine ganze Liebe der St. Luzen-<br />
Orgel mit ihren barocken Registern. Uneingeschränkt zu<br />
jeder Zeit stellte er sich aber auch in der Stiftskirche zur<br />
Verfügung und hat jahrzehntelang rings um Hechingen<br />
bei den Gottesdiensten in den Kirchen ausgeholfen.<br />
Hechingen ist mit seinem Heimgang um eine liebenswerte<br />
Persönlichkeit von ganz eigener Prägung ärmer geworden.<br />
Es ist ärmer geworden um einen Bürger, der<br />
sich scheinbar kleiner, aber oft wesentlicher Dinge angenommen<br />
hat und der mit ganzem Herzen an seiner Heimat<br />
hing. Er wird für die ältere Generation unvergessen<br />
bleiben, aber auch die jüngere wird in späteren Zeiten<br />
sich an ihn erinnern, wenn sie seine hinterlassenen<br />
Schriften in die Hand bekommt.<br />
(Schwarzwälder Bote)<br />
Bei Emmingen ob Eck gab es einen „lachenden<br />
Stein". Sprachlich sind die Grenzlachen wohl zu<br />
scheiden von den Wasserlachen, dem Wasserloch und<br />
Loch als lichten Wald (lat. lucus). Da man die vergänglichen<br />
Holzstöcke, Pfähle und Bäume später durch Steine<br />
ersetzte (anfangs kaum behauen), war man gezwungen,<br />
diese als echte Grenzzeichen zu „bezeugen", indem man<br />
unter sie Kohlen, oder Glas, Ziegelreste, Topfscherben<br />
oder gar extra gerichtete Tontäfelchen eingrub, sogenannte<br />
„Zeugen" Die Gemeinden hatten Interesse an<br />
ihren unversehrten Grenzen und bestimmten zur Überwachung<br />
sogenannte „Untergänger" (bzw. einen „Untergang"),<br />
d. h. Männer, die von Zeit zu Zeit die<br />
Grenzen zu „untergehen" hatten und fehlende<br />
Loochen erneuerten. Dabei nahmen sie gewöhnlich einige<br />
helle Buben mit, die nach Setzung eines Grenzzeichens<br />
eine saftige Ohrfeige verabreicht bekamen, damit<br />
sie sich für ihr Lebtag diese Stelle gut merkten! Nach<br />
dem Bericht eines „ben" aus Jungingen in der Hohenzollerischen<br />
Zeitung vom 16. August <strong>1975</strong> soll anderwärts<br />
dabei das Sprüchlein gesagt worden sein: „Mark, wo der<br />
Stein steht; merk wo die Grenze geht. Daß ich dafür<br />
dein Gedächtnis stärk, nimm von meiner Hand diesen<br />
59
Merk!" Das in Jungingen noch vorhandene „Steinbuch"<br />
dürfte ein altes Lauchenbuch darstellen. Landesgrenzen<br />
sind seit dem 16. Jahrhundert durch große Steine markiert,<br />
die kunstvoll Jahrzahl, Wappen und Inschriften<br />
zeigen, heute aber dem Raritätendiebstahl ausgesetzt<br />
sind. Eine Grenzbeschreibung von 1584 zwischen Fürstenberg<br />
und Zollern findet sich in „Mitteilungen d.<br />
hohz. <strong>Geschichtsverein</strong>s" 1931, 63-74, eine andere zwischen<br />
Ringingen und Burladingen von 1404 in „Zollernheimat"<br />
1937, 6.<br />
Gelegentlich, so auch in der erstgenannten, begegnet uns<br />
die Bezeichnung Kugel- bzw. Schlegelwälze. Damit hat<br />
es folgende Bewandtnis: An Berggraten entlang, wie am<br />
Heufeldrand gegen das Killertal, war es mangels Bäumen<br />
oft schwer, die Grenze zu fixieren. An solchen Stellen<br />
hat man eine Kugel oder einen Holzhammer bzw.<br />
Schlegel geworfen. Das Gelände, in dem die Kugel oder<br />
der Schlegel abwärts rollte, gehörte zum Killertal nach<br />
Jungingen, wo aber der Schlegel liegen blieb, zum Salmendinger<br />
Heufeld. Die Kugelwälze ist eine uralte<br />
Grenzprobe aus der Zeit vor der Steinsetzung und vor<br />
der Geometertätigkeit. Unverständlicherweise meinte<br />
obiger „ben", man habe die Kugel die Halde hinunterlaufen<br />
lassen und der Hammerstil habe beim Werfen<br />
JOH. WANNENMACHER<br />
Wie sagt und meint es die Mundart<br />
Sprichwörter und Redensarten<br />
Die Mundart ist eine Mitgift der Heimat. Alle Einsichten<br />
und Erfahrungen, alle leiblichen und seelischen Erfahrungen<br />
wurden und werden in der Urform von ihr<br />
aufgenommen, sprachlich gestaltet und zum Ausdruck<br />
gebracht. Daher rührt auch ihre Urwüchsigkeit, ihr seelischer<br />
Reichtum und ihre Erfahrungsweisheit. Da hört<br />
man z.Beispiel: „D'Guatheit ischt a Stückle vo dr Lieadregkeit!"<br />
Mit „Guatheit" ist in diesem Zusammenhang<br />
ein ungesundes Maß von Liebe und Entgegenkommen<br />
gemeint, ein ständiges Nachgeben und Übersehen von<br />
Fehlern und Schwächen, ein alles Treiben- und Gehenlassen,<br />
die Erfüllung aller Wünsche besonders bei Erziehung<br />
der Kinder. Ein solches Tun und Lassen kann<br />
nach aller Erfahrung zu keinem guten Ergebnis führen.<br />
Die Grundtugenden des Lebens wie: Zucht und Ordnung,<br />
Verzicht und Mitverantwortung müssen schon in<br />
der Jugend anerzogen und geübt werden. Sie sind für<br />
das Wohl des Einzelnen und der Gesamtheit unabdingbar.<br />
- Da hört man weiter: „Wenn der liabe Gott an<br />
Narr will, no lot er ama Ma(nn) s' Weib sterba." - Einen<br />
solchen schweren Verlust überwindet erfahrungsgemäß<br />
nicht jeder Mann. Plötzlich steht der bis jetzt so<br />
Treuumsorgte ganz alleine da, ist einsam geworden, fällt<br />
aus der festgefügten Ordnung heraus und verliert mitunter<br />
jeden Halt. Damit kommt er zu einer Lebensweise,<br />
die vom Normalen abweicht und dann in obigem<br />
Sprichwort ihren Namen findet. Und - „Alte Lieabe<br />
roschtet it, und wenn se roschtet, bricht se it" - hört<br />
man scherzhafter Weise über jene sagen, die einstens<br />
nicht zusammenkommen konnten, aber bei Gelegenheit<br />
oft noch nach vielen Jahren gegenseitig einen Schimmer<br />
früheren Glücks ausstrahlen. -<br />
„Wer sich uffs Erba verlot (verläßt), kommt z' früah<br />
und z' schpot!" Dieses Sprichwort faßt sehr treffend zusammen,<br />
was menschliche Schwächen und Unwägbarkeiten,<br />
die jede Sicherheit in Frage stellen, beim Erben für<br />
eine Rolle spielen können.<br />
60<br />
den richtigen Besitzer angezeigt!<br />
Erwähnt sei noch, daß man früher auch gelegentlich die<br />
Markungsgrenzen prozessionsweise mit Heiligenreliquien<br />
(z. B. im Kloster Kirchberg) oder mit dem Allerheiligsten<br />
Sakrament „umging", wobei Pfarrer und Honoratioren<br />
oft Reitpferde benützten. Der berühmte Blutritt<br />
von Weingarten und die Pferdesegnung am Eulogiustag<br />
in Bingen könnten noch Überreste solcher Flurritte sein.<br />
1 Noch in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts fertigte<br />
der hochbetagte Hafner Bernhard Klaiber in Gauselfingen<br />
solche gebrannte Tontäfelchen als Marksteinzeugen für Ringingen.<br />
Sie zeigten neben dem Wappen (drei Ringe auf einem<br />
Schrägbalken) die Jahrzahl und den Buchstaben R. Als<br />
Modell diente ein Gispbrocken, in den das Negativ eingeschnitten<br />
war. Inzwischen führt der Urenkel Klaiber das<br />
Geschäft in anderer Weise weiter. Längst werden keine kätenen<br />
Öfen mit kunstvoll entworfenen Wappen mehr hergestellt<br />
wie damals. Der Brennofen, in dem damals Meister<br />
Kaspar Klaiber Töpfe, Häfen, Schüsseln, Ofenkacheln und<br />
anderes härtete, ist erloschen. Die mächtige Holzbeig aus<br />
Fichtenscheitern verschwand und die einst fußgetriebenen<br />
Töpferscheiben haben ausgedient. Der Häfnerfamilie Klaiber<br />
in Gauselfingen sollte eigentlich einmal ein Heimatfreund<br />
nachgehen.<br />
„Ma därf alles probiera - nau it treiba!" ruft man besonders<br />
jungen Leuten zu. Das uneingeschränkte Probieren<br />
ist wohl angebracht. Man kann sich damit vielerlei<br />
Kenntnisse und Erfahrungen verschaffen, soll aber auswählen<br />
und das Ungute sich nicht zu eigen machen, ausscheiden<br />
und nicht „treiba".<br />
Passiert auf dem Wasser oder in der Luft ein Unglück,<br />
dann heißt es bedauernd: „'s Wasser ond d' Luft hend<br />
koine Balka!" Man kann sich dort im Notfalle nirgendwo<br />
festhalten, besondere Gefahr ist somit immer gegeben.<br />
Wiederum heißt es zutreffend: „Kender ond d' Narra<br />
saget d' Wohret" (Wahrheit). Wie oft sind schon Eltern<br />
durch die Offenheit und Natürlichkeit ihrer Kinder in<br />
Verlegenheit gebracht worden! Hierzu zwei nette Begebenheiten<br />
aus einer schönen Dorfschule. Der Lehrer hat<br />
an einem heißen Tage Unterricht bei den Kleinen. Da<br />
zieht er plötzlich seinen Rock aus und sagt: „Jetzt ist es<br />
mir aber zu warm!" „Jo", meint darauf der kleine Albert<br />
aus dem 1. Schuljahr, „zieahet se nau da Kittel aus,<br />
mei Vadder und mei Muater zieahet ällaweil no s- Hemmet<br />
(Hemd) aus, wenn se am Obed ins Bett gehnd, weils<br />
ana au z'warm ischt!"<br />
Und am Josef sein Vater ist als Altersjubilar in einer Betriebfeier<br />
besonders geehrt worden. Hierüber schrieb der<br />
Lehrer auf Wunsch des Betriebsführers einen kleinen Bericht<br />
in die Heimatzeitung. Am darauffolgenden Tag begleitete<br />
der Josef den Lehrer wie herkömmlich zur Schule.<br />
Dabei sagte der Lehrer: „Josef, dei Vadder hot aber a<br />
groß Fest ghet!" „Jo", meint der Josef, der etwas stottert,<br />
„er ischt no em Blättle komma", zieht den Zeitungsbericht<br />
aus der Hosentasche und reicht ihn seinem<br />
Lehrer. Dieser lächelt und meint, das wäre aber schön!<br />
Darauf sagt der Josef: „Jo, mei mei Vadder hot gsaet, ii<br />
möcht nau au wissa, wa-w-a für en Dackel, daß dös<br />
gschrieba hot!"
JOHANN ADAM KRAUS<br />
Aus der Vergangenheit Jungingens - Erste Nennung vor 900 Jahren<br />
Trotzdem die auf -ingen endenden Ortsnamen meist ins<br />
4. bis 6. nachchristliche Jahrhundert zurückreichen, kennen<br />
wir unser Jungingen erst aus einer Urkunde vom<br />
14. September 1075, also seit 700 Jahren. Anläßlich der<br />
Wiederherstellung des Klosters Hirsau im Schwarzwald<br />
wird darin als Zeuge der Adelige Altrich von Jungingen<br />
als Zeuge genannt x . Zwar war dieses Schriftstück lange<br />
Zeit als Fälschung angesehen worden 2 , aber die heutigen<br />
Forscher halten nur für eine Überarbeitung, die jedoch<br />
die wesentlichen Tatsachen nicht veränderte. Die seltene<br />
Namensform „Altrich" dürfte mit der häufigeren Waltrich<br />
oder Walderich zusammenhängen. Uber die ursprünglich<br />
hochadeligen Herren unseres Dorfes, die später<br />
in den niederadeligen Stand absanken, hat Friedrich<br />
Eisele 1931 ausführlich berichtet 3 . Zwei Dinge konnte<br />
der eifrige Forscher jedoch noch nicht klären, den Übergang<br />
Jungingens an den Johanniterorden, und das Datum<br />
des Aussterbens der Herren von Jungingen.<br />
Dieses ist dann durch eine im Münster zu Salem aufgehängt<br />
gewesene Totentafel bekannt geworden. Der<br />
Holzschild zeigte das spätere Wappen weiß-blau gevierteilt<br />
mit der Umschrift: „Anno 1501 auf Marzelli des<br />
Papstes Tag (d. i. 16. Januar) ist gestorben Ulrich von<br />
Jungingen, dem Gott gnädig sei" 4 . Vor dem Jahr 1367<br />
führten die Junginger Herren bekanntlich im Wappen<br />
eine aufrechte offene Schere, vielleicht in Anlehnung an<br />
die alte Landschaftsbezeichnung „Uf der Scheer" 5 . Einige<br />
später aufgetauchte Junginger Urkunden sind in<br />
„Hohenzollerische Heimat" 1957, 60 mitgeteilt.<br />
Eisele konnte nicht wissen, wieso Jungingen im 13. Jahrhundert<br />
auf einmal in Hand der Johanniter war, während<br />
die hiesigen Adeligen fortzogen, 1316 in Schiltau<br />
(später Jungnau genannt) auftauchten und dann sich auf<br />
Burg Schmeien und Neuhohenfels bei Liggersdorf fanden.<br />
Der Johanniterorden hat im Jahr 1300 seine Burg<br />
und Dorf Jungingen an den Grafen Eberhard von Wirtemberg<br />
vertauscht, und zwar mit allen Ordensgütern<br />
von Hechingen an das Tal hinauf und ganz oben im Tal<br />
an der Scherr und Alb, wie sie zur Burg Jungingen gehörten.<br />
Nur das seit 1256 erwähnte Hospiz Jungental<br />
(westlich von Starzein) mit Zubehör behielten die Johanniter<br />
vor 6 .<br />
Wie war nun Jungingen an den Johanniterorden gekommen?<br />
Im Jahre 1970 tauchte im Stuttgarter Hauptstaatsarchiv<br />
an versteckter Stelle (B 352, Nr. 406) eine Urkunde<br />
aus dem Jahre 1278 auf, die teilweise Aufklärung<br />
gibt. Es heißt darin:<br />
„Bischof Rudolf von Konstanz (gb. Graf von Habsburg-<br />
Laufenburg, reg. 1274-1293) bestätigt an 15. November<br />
1278 die Schenkung des edlen Ritters Eberhard von Jungingen<br />
an das Johanniterhaus Jungental. Diese Schenkung<br />
umfaßt die Hälfte des Dorfes Jungingen und den<br />
ganzen Bereich, der zur Burg Jungingen gehört, einen<br />
Bereich, der gewöhnlich „Burgstall" genannt wird, mit<br />
all seinem Zubehör an Vogtei, Wiesen, Weiden, Wäldern,<br />
Hainen, Wasser, Wasserläufen, Mühlen, Wegen, Unwegsamem,<br />
Bannrecht und Jurisdiktion, genannt „Zwing<br />
und Bann" (Äcker sind keine erwähnt!). All dies hatte<br />
Eberhard bisher als Lehen der Bischofskirche von Konstanz<br />
besessen und gab es als freies Eigentum zurück,<br />
worauf es nun mit Zustimmung des Domkapitels an die<br />
Johanniter übergeht." Zeuge ist u. a. Graf Heinrich von<br />
Veringen der Ältere.<br />
Daß die Burg damals noch stand, ist anzunehmen, trotzdem<br />
sie nicht ausdrücklich als solche erwähnt wird. Die<br />
Junginger Herren hatten wohl der Sitte der Zeit gemäß<br />
einen Teil ihres Besitzes zur Sicherung gegen mächtigere<br />
Herren dem Bischof geschenkt und als Lehen zurückerhalten.<br />
Der Name Jungental ist vermutlich bei Gründung<br />
der Niederlassung von viel älteren Jungingen abgeleitet<br />
worden, wozu vielleicht die Herren von Jungingen<br />
selbst mithalfen. Statt Jungingen findet man nämlich<br />
auch (z.B. 1292) die Form „Jungen". Damals dürfte<br />
auch die in der Nähe gelegene Burg Berstein (auf dem<br />
Hausener Kapf gegen dem Tiefental) verlassen worden<br />
sein, wie auch die Burghalde auf Schnait und das Burgstallwiesle<br />
bei Starzein.<br />
Im Kampf der Stadt Reutlingen mit Wirtemberg wurde<br />
die Junginger Burg im Jahre 1311 zerstört 7 und wohl<br />
nicht mehr aufgebaut. Doch fehlt jede Nachricht. Dagegen<br />
nennen sich weiterhin einige Herren nach Jungingen,<br />
die von Wirtemberg das Dorf als Lehen trugen. Im Jahre<br />
1306 finden wir einen „Ritter H. von Winterstetten,<br />
genannt von Jungingen". Ein „Wolf von Stain zu Jungingen"<br />
war 1378 Bürger zu Ulm und steht (vor 1410)<br />
im Totenbuch der Benediktiner zu Urspring. Seine Tochter<br />
„Anna von Stain-Jungingen", die an einem 20. Juli<br />
starb, ist in Urspring nach 1410 begraben. Im Jahre<br />
1409 gab Graf Eberhard von Wirtemberg seinem Dienstmann<br />
Rudolf von Baldeck die Dörfer Jungingen und<br />
Starzein mit dem Weiler Killer gegen 600 fl zu lebenslänglicher<br />
Nutzung. Rudolf lebte noch 1442. Dagegen<br />
verkaufte am 31. Mai 1449 „Wilhelm von Stain von<br />
Jungingen" einen Hof zu Kirchen bei Mochental 8 . Wirtemberg<br />
hat dann 1473 seine Killertalbesitzungen an<br />
Zollern vertauscht, das dann 1612 auch den Johanniterhof<br />
Jungental käuflich erwarb 6 .<br />
1 2<br />
WUB I, 280. WVJ 1892, 225.<br />
3<br />
Mitt. Hohz. Jg. 62 und 63 (1931 f).<br />
4<br />
Zeitschr. f. Gesch. d. Oberrheins 1916, 196.<br />
5 8<br />
HJH 1960, 142-144. Zollerheimat 1941, 13-17.<br />
7<br />
WVJ 1883, 3 in lateinischem Gedicht enthalten.<br />
8<br />
Uhrle, Gundelfinger Regesten i. Staatsarchiv Stuttgart. Nr.<br />
1429.<br />
Die Heuneburg im Spiegel der Sage (Nachtrag)<br />
8. Die Sage von der verglasten Mauer<br />
Ein in Riedlingen lebender pensionierter Lehrer erinnert<br />
sich an ein sehr altes Buch, das er als Bub bei seinem<br />
Großvater in Esslingen in Händen gehabt hat. Darin<br />
war auch die Gegend an der oberen Donau beschrieben.<br />
Von der Heuneburg bei Hundersingen wurde berichtet,<br />
daß dort einst ein mächtiges Schloß gestanden habe.<br />
Seine Mauern seien verglast gewesen, so daß jeder, der<br />
sie erklimmen wollte, abrutschte. Das Schloß war also<br />
uneinnehmbar.<br />
Es mag interessieren, daß es „verglaste Mauern" wirklich<br />
gibt. Große Hitze kann die Oberschicht von Gesteinen<br />
zum Schmelzen bringen. Nicht nur beim Ziegelbrand ist<br />
das möglich, auch bei Burgmauern werden solche angeschmolzenen<br />
Steine gefunden. Am bekanntesten sind die<br />
im Glutfluß ausströmender Lava verglasten Gerölle, wie<br />
sie zum Beispiel in der Eifel gefunden werden.<br />
Auch diese Sage hat durch die Entdeckung der Lehmziegelmauer<br />
eine unvorhersehbare Bestätigung erhalten.<br />
Damit tritt uns die Lehmziegelmauer aus der Überlieferung<br />
in zwei beeindruckenden Bildern entgegen: 1. als<br />
Schloß des aus Italien gekommenen Heuneburger Königs,<br />
2. als die wundersam verglaste Mauer, die dieses Schloß<br />
uneinnehmbar machte.<br />
61
WALTHER FRICK<br />
Die vielgenannte Zimmern'sche Chronik<br />
Wer auch nur ein wenig für Heimatkundliches Interesse<br />
hat, wer Beilagen der Tageszeitungen liest, etwa die<br />
„Oberländer Chronik" des Südkuriers oder die „Melodie<br />
der Heimat" des Schwarzwälder Boten - um wenige<br />
für zahlreiche zu nennen - stößt immer wieder auf die<br />
Zimmern'sche Chronik. Das bedeutet nicht, daß die Autoren,<br />
die sie heranziehen, zu faul wären für eigene Arbeit;<br />
es liegt vielmehr daran, daß es sozusagen nichts<br />
gibt, das nicht in dieser Chronik steht, und dies gilt für<br />
den ganzen Bereich der südwestdeutschen Geschichte<br />
vom 13. bis zum 16. Jahrhundert. Es gilt sogar im negativen<br />
Sinn für weite Zeiträume davor, bis über die<br />
christliche Zeitwende hinunter; im negativen Sinn deshalb,<br />
weil märchenhafte Genealogien im ersten Band<br />
breit ausgeführt werden, die vermutlich keinerlei historischen<br />
Grund haben, die aber dennoch für sich interessant<br />
sind. Sie geben nämlich auch Kunde von der Geschichtsauffassung<br />
jenes Verfassers, der diese Chronik schrieb.<br />
Der Autor des riesigen Werkes, dessen Originale in der<br />
Fürstlich Fürstenbergischen Bibliothek zu Donaueschingen<br />
liegen, heißt Graf Froben von Zimmern, 40 Jahre<br />
alt. Die Altersangabe bezieht sich auf das Jahr<br />
1564, in welchem er sein Werk begann. Er hat<br />
drei Jahre, 64, 65 und 66 darauf verwendet, und das ist<br />
angesichts der Fülle des Dargestellten eine erstaunlich<br />
kurze Zeit, zumal alles von Hand geschrieben wurde.<br />
Liest man in der Chronik dieses Meßkircher Geschlechtes,<br />
hat man ständig den Eindruck, der Autor hätte<br />
im Sinn des horazischen „Aere perennius" in dem Bewußtsein<br />
geschrieben, sich damit ein Denkmal geschaffen<br />
zu haben „dauerhafter als Erz", das heißt, er hätte gewußt,<br />
daß noch nach Jahrhunderten sein Werk fortbestünde.<br />
Das hat er nicht, denn er schreibt nicht für<br />
ein breites Publikum und schon gar nicht für den Druck,<br />
sondern für ihre eigene Familie, für die Nachgeborenen<br />
des Geschlechtes, und er tat dies in der zweiten Hälfte<br />
eines Jahrhunderts, die Familie auf Fortunas Rad hoch<br />
hinauf, tief hinab bis in die Reichsacht und den Verlust<br />
ihrer Güter, und wieder hinauf in erträgliche Verhältnisse<br />
geführt hatte. Was der Autor nicht wußte, war, daß er<br />
den Abgesang seines Hauses schrieb: schon 1594 starb<br />
der letzte der Zimmern. Übrig blieben acht Mädchen,<br />
von denen eine einen Fürstenberg heiratete, und eine<br />
kurzlebige Linie Fürstenberg-Meßkirch gründete, die<br />
dann ausmündete in das heute bestehende Haus Fürstenberg-Donaueschingen.<br />
Dies erklärt, warum bis vor<br />
drei Jahren der Wildenstein, und warum bis heute die<br />
Ruine Falkenstein bei Thiergarten fürstenbergisch waren<br />
und sind. Auf dem gleichen Erbweg kamen schließlich<br />
auch die Handschriften der Chronik nach Donaueschinen<br />
- um dann vergessen zu sein, für mehr als 200 Jahre.<br />
Erster Wiederentdecker war Joseph von Laßberg, der<br />
berühmte Humanist und Germanist, der 1770 in Donaueschingen<br />
geboren wurde, der spätere Schwager der<br />
Dichterin Annette von Droste-Hülshoff. Er ist der<br />
Mann, der als Bibliothekar die Fürstenberger bestimmte,<br />
Wertvolles hinzuzukaufen, so vor allem die<br />
Handschrift C des Nibelungenliedes, die heute wohl das<br />
wertvollste Werk in Donaueschingen ist. Laßberg, später<br />
Schloßherr in Eppishofen in der Schweiz, dann auf der<br />
Meersburg, hat sich die größten Verdienste erworben um<br />
die Wiederentdeckung und -erweckung des mittelhochdeutschen<br />
und althochdeutschen Schrifttums. 1820 gab<br />
er seinen „Deutschen Liedersaal" heraus, in dem er einige<br />
Stücke aus der Chronik abdruckte. Sachgerecht und<br />
vollständig herausgegeben hat die Chronik ein späterer<br />
62<br />
Eines der Haupt- und Standardwerke unserer Geschichte<br />
Bibliothekar in Donaueschinen, August Barrack, 1869.<br />
Auf ihm fußen die späteren Herausgaben und Nachdrukke,<br />
auf ihm auch Auszüge, z. B. Johannes Bühlers Buch<br />
„Wappen, Becher, Liebesspiel" von 1940. Gegenwärtig<br />
wird die Chronik wiederum neu herausgegeben vom<br />
Thorbecke-Verlag in Sigmaringen; sie erscheint in mehreren<br />
Lieferungen, die noch nicht alle erschienen sind.<br />
Soviel zum Sprichwort „Habent sua fata libelli", auch<br />
Bücher haben ihre eigenen Schicksale.<br />
Die ganze Chronik läuft an einem sehr dünnen, oft viele<br />
Seiten lang kaum mehr sichtbaren Faden, dem der Genealogie,<br />
der eigenen Geschlechts- und Hausgeschichte,<br />
vom sagenhaften Ursprung bis in die 1560-er Jahre. Da<br />
wird alles und jedes erzählt, von der Heirat von Wem<br />
mit Wem über das Heiratsgut und wer den Kontrakt mit<br />
unterschrieb; von Dorf- und Hofkäufen, Verkäufen,<br />
Verpfändungen und Wiedereinlösungen, von Kriegszügen<br />
und überhaupt von Lebensläufen, von Begräbnissen<br />
und Seel-Stiftungen und vieles dieser Art mehr. Dazwischen<br />
aber läuft - und darin liegt die eigentliche Stärke<br />
des Buches und das hohe Vergnügen der Lektüre - alles<br />
mit, war nur je das Theatrum humanum bevölkert:<br />
Reichsgeschichte, Territorialgeschichte, Kirchengeschichte,<br />
Volksglaube, Schwänke, Abenteuer, Verkehrsverhältnisse,<br />
Liebeshändel, Gespenstergeschichten in großer<br />
Zahl, sittliche (eher oft un-) Zustände, Kunstgeschichtliches,<br />
Festungsbau, Märkte und Handel, Literatur aber<br />
auch, Gedichte sind eingestreut, kurz: man muß dies alles<br />
selber lesen, des Aufzählens wäre kein Ende. Immer<br />
wieder wird abgeschweift mit Redewendungen wie:<br />
„diesem bemelten (gemeldeten, das heißt eben erwähnten)<br />
Grafen schah einst eine lecherliche Begebenhait. .<br />
und die wird dann erzählt. Und weil einem Edelmann<br />
aus Sachsen oder aus Frankreich Ähnliches auch einmal<br />
widerfuhr, und möglicherweise noch irgendeinem Dritten,<br />
kommen auch diese Geschichten gleich mit dazu.<br />
Oft genügt es, daß die Chronik erwähnt, dieser und jener<br />
sei als Richter ans Kammergericht oder als Pfarrer<br />
auf diese und jene Pfarrei berufen worden, daß gleich<br />
erzählt wird, wie es einmal seinem Vor- oder Vorvorgänger<br />
auf dem gleichen Posten erging. So geht das vom<br />
Hundertsten ins Tausendste; der Meßkircher Autor<br />
läuft förmlich über von Geschichten und Geschichtchen,<br />
da gab es „ein lecherliche Sach", dort „gehuben<br />
sich die Mönche gar übel", oder es geschah „ein seltsame<br />
histori" die man nicht „unvermeldt" liegen lassen durfte.<br />
Hinterher heißt es dann fast ebenso oft ein bischen<br />
schuldbewußt „... daß ich aber wieder auf meine angefengt<br />
materi komme", und dann geht die eigentliche<br />
Haus- und Familiengeschichte weiter.<br />
Für uns, die wir von unseren Zeitläuften durchs Leben<br />
förmlich gehetzt werden, für uns unselige Erben dessen,<br />
was einmal als Aufklärung so verheißungsvoll begann<br />
und nun in allgemeiner Anarchie auszuufern droht, für<br />
uns bedeutet die Chronik ein beinahe fassungloses Staunen<br />
vor der Naivität der Lebensauffassung, vor der<br />
Kunst zu leben, die diese Leute besaßen, auch der Kunst<br />
zu sterben, und auch ein Staunen darüber, wozu sie Zeit<br />
fanden. Und worüber sie lachten, was überhaupt passieren<br />
konnte. Für das Letztere nur ein Beispiel: dem Bürgermeister<br />
von Buchhorn (heute Friedrichshafen) „Entwischte",<br />
wie die Chronik berichtet, vor dem Kaiser, der<br />
an den Bodensee gekommen war, „ain zierlich fürtzlein",<br />
und darüber lachte der Kaiser unmäßig. Das Malheur<br />
passierte dem aufgeregten Bürgermeisterlein just in<br />
dem Augenblick, als er seinen tiefen Bückling in allgemei-
nem Schweigen machte, und er „schampte sich gar übel".<br />
Als der Kaiser Jahre später wieder einmal nach Buchhorn<br />
kam, hatte er den Vorfall nicht vergessen, und seine<br />
erste Frage war: „Wo ist denn der Farzer von Buchhorn?"<br />
Und das ist noch das Mildeste unter solchen Geschichten,<br />
die anderen kann man kaum wiedergeben. -<br />
Einmal trieben die Zimmern, zusammen mit Spießgesellen<br />
aus dem Volk, den Göggingern alle Gänse von der<br />
Weide heimlich weg und veranstalteten ein gewaltiges<br />
Gänseessen. Darauf großes Zeter und Mordio, worauf die<br />
Grafen alle Gänse in guter Münze bezahlten, was sie<br />
aber vorher schon vorgehabt hatten.<br />
Bemerkenswert ist, daß nicht allein der Adel seine Vergnügungen<br />
hatte, sondern ebenso „der gemeine Mann",<br />
und gerade die Zimmern'sche Chronik ist ein Beweis dafür,<br />
wie - und das war bewußt, das wird oft in dieser<br />
Schrift betont - volksnah die Zimmern lebten, „auf die<br />
gute alte teutsche Art" wie es heißt. Sie tanzten mit den<br />
Bauern, sie feierten das Kirchenjahr mit den Gläubigen<br />
und sie sahen auch, so ungern das heute vielerorts gehört<br />
wird, sogar darauf, daß sie mit Lasten und Fronen nicht<br />
zu hart bedrückt wurden.<br />
Was die Anliegen der Heimat- und Geschichtsforschung<br />
in Hohenzollern angeht, um darauf zum Schluß noch<br />
besonders zu verweisen, so würden die Teile der Chronik,<br />
die sich darauf beziehen, selber ein kleines Buch ausmachen.<br />
Die Jahre der Abfassung fielen zwar gerade<br />
noch in die allerersten Anfänge des heutigen Hohenzollern,<br />
wenn man die Belehnung Karls mit der Grafschaft<br />
Sigmaringen 1535 als Anfang setzen will. Aber selbst<br />
darüber, und über jene Zeit, als Zollern „auf zwei Augen"<br />
stand, zur Zeit von Jost Niklas von Zollern, wird<br />
viel erzählt, viel mehr noch über die voraufgegangene<br />
WALTHER FRICK<br />
Saxa loquuntur Neue Straßen - alte Bezeichnungen<br />
Im Hohenzollerischen tönt seit Jahren wie aus einer immer<br />
wieder gedrehten tibetanischen Gebetsmühle die<br />
Forderung nach mehr und besseren Straßen, und so weit<br />
die Meinungen in den Kreistagen dann und wann auseinandergehen,<br />
oder im verblichenen Kommunallandtag<br />
auseinandergingen - in der Forderung nach Straßen<br />
waren sich alle und sind sich alle Verordneten gleich.<br />
Nun tauchen allerdings mit diesen neuen Straßen, die<br />
nicht nur gefordert, sondern geplant und dann und<br />
wann sogar gebaut werden, alte Namen auf; genauer gesagt:<br />
sie tauchen nicht nur auf, sie waren meist immer<br />
schon da, und das bezieht sich nicht allein auf Straßen,<br />
sondern auch auf örtlichkeiten.<br />
Zum Beispiel: In den Planungen zur Westumgehung Sigmaringens<br />
heißt es immer wieder „Die neue Trasse von<br />
der B 32 zum Torwartshaus", und so etwas ist schon<br />
sprachlich bedeutsam. Denn mit dem nüchternen „B 32"<br />
paart sich hier in einem einzigen Atemzug etwas, das<br />
ganz nach Vergangenheit klingt und an den bekannten<br />
Haigerloch-Roman der 20er Jahre „Am Torwartshäuschen"<br />
erinnert. Dieses Torwartshaus besteht nicht mehr,<br />
nur die Scheune mit eingebautem, seit Jahren leeren Stall<br />
steht noch da, wo einst zwischen den beiden hirschbekrönten<br />
Säulen, die auch noch da sind, am Beginn des<br />
Wildparks Josefslust die Straße nach Krauchenwies ging.<br />
Das war noch nicht die L 456 von Sigmaringen am<br />
Friedhof vorbei nach Krauchenwies, sondern das war<br />
vom Runden Turm in der Stadt den steilen Josefsberg<br />
hinauf ein miserabler Weg, der später vom „Ochsenberg"<br />
abgelöst wurde, welche Bezeichnung für die Josefi-<br />
werdenbergische Zeit, und hier spielt eine ganz große<br />
Rolle die Feindschaft zwischen Sigmaringen und Meßkirch,<br />
Werdenberg und Zimmern, die auf dem Tiefpunkt<br />
zimmernschen Unglückes soweit führte, daß Sigmaringen<br />
die Stadt und Grafschaft Meßkirch besetzte. In jene Zeit<br />
fällt unter anderem auch die dramatische Erzählung, wie<br />
ein Zimmern einen Werdenberger um die Stadt Sigmaringen<br />
herumjagt, die heutige Antonstraße entlang -<br />
das war alles Wiesen oder Gartenland bis nach Hedingen<br />
hinaus - und wie der Gejagte durch ein enges Pförtlein<br />
gerade noch ins Kloster Hedingen kommt, so daß man<br />
nachher fast an ein Wunder glaubte, wie Roß und Reiter<br />
durch einen so winzigen Einlaß im vollen Gallopp unbeschädigt<br />
hindurchkamen.<br />
So gibt es Geschichten aus Hechingen und aus Ebingen,<br />
von Trochtelfingen viel und vom Kloster Wald, und<br />
über die Fülle des historischen Materials hinaus macht<br />
schließlich dies den Reiz der Chronik aus, daß wir heute<br />
noch durch dieselben Straßen gehen, zum großen Teil<br />
noch dieselben Gebäude sehen oder doch wissen, wo die<br />
beschriebenen einst standen, wo auch jene gingen, was<br />
auch jene sahen; ein Eindruck, der sich bis zur Gänsehaut<br />
steigern kann, so, wenn man zwischen den Bronce-<br />
Epitaphien der Zimmern und der „Anbetung der Könige"<br />
in Sankt Martin zu Meßkirch steht und weiß, daß im<br />
Auftrag jener Toten der „Meister von Meßkirch" dieses<br />
Bild malte; oder erst recht, wenn die Glocke auf dem<br />
Wildenstein mit ihrem scheppernden Klang ertönt, die<br />
Graf Gottfried Werner jahrelang täglich zu Messe und<br />
Andacht rief, und die ihm nachläutete, als er zum letztenmal,<br />
im Gefühl des nahenden Todes vom Wildenstein<br />
nach Meßkirch hinüberritt und zu seinen Leuten sagte:<br />
den Wildenstein sehe ich heute zum letztenmal..<br />
nenstraße immer noch gebraucht wird. Der Name kam<br />
vom Ochsenvorspann, den man brauchte, um Fuhrwerke<br />
hinaufzubringen, bis beim heutigen Sägewerk Steidle der<br />
Weg dann weniger steil ansteigt. Die Fuhrleute durchfuhren<br />
also ein Stück des Wildparks, und wurden daher<br />
vom Torwart von Josefslust aus- und eingelassen. Daß<br />
der Wildpark soweit nach Osten reichte (was er nicht<br />
mehr tut), hat die verzweifelte Umwohnerschaft sogar<br />
bis zu einer Delegation nach Wien zu Maria Theresia getrieben.<br />
Und wenn demnächst die neue Trasse bis zu den<br />
Laizer Wiesen herab gebaut wird, verschwindet das ganze<br />
Idyll „am Torwartshaus", mit dem Wohnhäusle, dem<br />
schönen alemannischen Scheunenhaus, dem Kastanienbaum<br />
und dem Brunnen, an dem wir als Buben tranken,<br />
vollkommen von der Bildfläche.<br />
Ein anderes Beispiel: vor 50 Jahren las man noch in<br />
Bruno Stehles Lesebüchern für die hohenzollerischen<br />
Volksschulen von dem Fuhrmann, der spät von Jungnau<br />
nach Sigmaringen fuhr, ein Gespenst aufsitzen ließ, ohne<br />
daß er wußte, was für einen Fahrgast er hatte, der ihm<br />
dann zum Dank heimlich die Geldkatze öffnete, so daß<br />
die Taler herausfielen und der Mann nachts noch einmal<br />
den ganzen Weg zurückfahren mußte, um sie bis Jungnau<br />
aufzusammeln. Das war keineswegs die unfallträchtige<br />
Rennbahn durch das Jungnauer Ried, die vorhin<br />
genannte B 32, sondern ein auf Karten gelegentlich<br />
als Römerweg eingetragener Waldweg, der auf der Südseite<br />
von Jungnau sich in einiger Höhe über dem Ried<br />
entlangwindet und beim Nollhof auf der kleinen Paßhöhe<br />
in die heutige B 32 einmündet. Ein Fuhrmann mit rü-<br />
63
stigen Pferden brauchte nach Sigmaringen wohl eine<br />
Stunde, das Auto, bei den Geschwindigkeiten, die gerade<br />
da gefahren werden, vielleicht fünf Minuten.<br />
Ein drittes Beispiel liegt den Heimatfreunden derzeit<br />
schwer im Magen: eine andere Römerstraße, das Hochstraß,<br />
Teil der alten römischen Straße von Stein am<br />
Rhein an Meßkirch vorbei über Laiz und Winterlingen<br />
bis nach Rottenburg, soll ausgebaut werden. Die neue<br />
Straße soll von Straßberg heraufsteigen bis in die Nähe<br />
der Fürstenhöhe, unterhalb ihrer diese Römerstraße einnehmen<br />
bis zu einem Punkt beim sogenannten Weintal<br />
und von da in einer breiten, in die Wälder zu schlagenden<br />
Schneise zum genannten Nollhof weiterführen. Dies<br />
bedeutet einen Straßenbau in bisher weithin unberührter<br />
Landschaft, wo nur Bauern, Waldarbeiter und Albvereinler<br />
zu finden sind. Von der Fürstenhöhe bis Laiz ist<br />
die Straße übrigens auf mehreren Stücken bereits geteert,<br />
wenn auch nicht verbreitert worden.<br />
Saxa loquuntur, die Steine reden, für den, der ein wenig<br />
die Geschichte kennt. So ist allerdings den Wenigsten bekannt,<br />
daß der wüste Bauplatz am neuen Kreiskrankenhaus<br />
auf dem Dettinger Berg östlich von Sigmaringen,<br />
wo Baumaschinen stehen und Material sich türmt, einmal<br />
ein römischer Gutshof war. Der Flur heißt: auf den Steinenäckern,<br />
und die Villa rustica lag gerade dort, wo bisher<br />
der Feldweg nördlich des Dettinger Berges umbog zu<br />
den Sieben Krisenbäumen. Aus dem Feldweg wird eine<br />
Viele unserer Leser warten schon lange darauf,<br />
aber nun ist es wirklich so weit: Wir müssen den<br />
Bezugspreis erhöhen. Die „Hohenz. Heimat" kostet<br />
in Zukunft halbjährlich DM 3.00. Es sind wirklich<br />
nur die reinen Druckkosten, die Sie als Leser<br />
bezahlen. Weder Autoren, noch die Schriftleitung<br />
bekommen ein Honorar. Deshalb sind wir sicher,<br />
daß Sie für die Maßnahme Verständnis haben.<br />
neue Straße, die immerhin Hohenzollern-Straße heißen<br />
wird, aber von dem Gutshof verwischt sich jede Spur.<br />
Wer wissen will, wie er aussah, möge in den „Kunstdenkmälern<br />
Hohenzollerns" Band 2, Seite 490 nachsehen.<br />
Dort findet man eine Rekonstruktion.<br />
Manchmal reden die Steine aber auch nicht, wo man<br />
meinen sollte, ihre Sprache zu hören, und dieses letzte<br />
Beispiel betrifft nicht einen Straßen- sondern den Bau<br />
der Erweiterung der Hohenzollerischen Landesbank,<br />
wiederum in Sigmaringen. An der offenen Baugrube<br />
stand unser verewigter Freund Johann Jerg, der Bodendenkmalpfleger<br />
des Kreises, tagelang, denn hier mußte<br />
die alte Sigmaringer Stadtmauer in nordöstlicher Richtung<br />
gezogen sein. Jerg fand aber auch nicht einen Stein<br />
von ihr. Quandoque saxa tacent, manchmal schweigen<br />
die Steine - offenbar.<br />
HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />
herausgegeben vom Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />
in Verbindung mit den Staatlichen<br />
Schulämtern. Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong><br />
<strong>Geschichtsverein</strong> 748 Sigmaringen,<br />
Karlstr. 3. Druck: M. Liehners Hofbuchdruckerei<br />
KG, 748 Sigmaringen, Karlstr. 10.<br />
Die Zeitschrift „Hohenzollerische Heimat"<br />
ist eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie<br />
will besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />
mit der Geschichte ihrer Heimat<br />
vertraut machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />
auch populär gehaltene Beiträge<br />
aus der Geschichte unseres Landes.<br />
Sie veröffentl. bevorzugt Beiträge, die im<br />
Schulunterricht verwendet werden können.<br />
Bezugspreis: 3,00 DM halbjährlich<br />
Konten der „Hohenzollerischen Heimat":<br />
802 507 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />
123 63 Postscheckamt Stuttgart<br />
Die Autoren dieser Nummer:<br />
Dr. Maren Kuhn-Rehfus, Staatsarchivassessorin,<br />
748 Sigmaringen<br />
Stephan Wiest, Oberstudiendir. a. D.,<br />
745 Hechingen, Ludwig-Egler-Str. 12<br />
Manfred Hermann, Pfarrer,<br />
7451 Neufra/Hhz.<br />
Josef Mühlebach, Landesverw.-Rat<br />
a. D., 748 Sigmaringen, Leopoldstr. 41<br />
Johann Adam Kraus, Erzb. Archivar<br />
i. R., 78 Freiburg/Br., Badstraße 2<br />
Walther Frick, Journalist, 748 Sigmaringen,<br />
Hohe Tannen 4<br />
Joh. Wannenmacher, Schulrat i. R.,<br />
7487 Gammertingen, Goethestraße<br />
Schriftleitung:<br />
Dr. med. Herbert Burkarth<br />
7487 Gammertingen<br />
Wo man nachschlagen kann<br />
In der letzten Nummer der Hohenzollerischen Heimat<br />
hat der Betreuer der Hohenzollerischen Landesbücherei,<br />
Herr Josef Mühlebach, in dankenswerter Weise darauf<br />
hingewiesen, daß diese Sammlung jetzt im Besitz des<br />
Landkreises und räumlich in der Obhut des Fürstlich<br />
Hohenzollernschen Haus- und Domänenarchives ist. Er<br />
wies auch darauf hin, daß die geschichtlichen und landeskundlichen<br />
Schriften der Umgebung hier zu finden<br />
sind. Diese Feststellungen dürfen dahin erweitert werden,<br />
daß es mitunter geradezu abenteuerlich ist, den<br />
Querverbindungen nachzugehen. Auch ist es angebracht,<br />
darauf zu verweisen, daß es wiederum Herr Mühlebach<br />
selber (und wahrscheinlich auch allein) ist, der ungezählte<br />
solcher Verbindungen im Kopf hat und einem daher<br />
weiterhelfen kann.<br />
Für das Erstere möchte ich anführen, daß die vielleicht<br />
umfassendste Veröffentlichung über die Geschichte der<br />
Stadt Meßkirch sich befindet, wo man sie gewiß nicht<br />
sucht: in einer Festschrift zum 70. Geburtstag des Fürsten<br />
Max Egon zu Fürstenberg aus dem Jahre 1933.<br />
Sieht man sich den Herausgeber an, kommt man der Sache<br />
näher: „Verein für Geschichte und Naturgeschichte<br />
der Baar und der angrenzenden Landesteile in Donaueschingen"<br />
heißt es da. Das bedeutet, man muß solchen<br />
Nebensätzen nachgehen wie hier: „und der angrenzenden<br />
Landesteile", wobei allerdings Meßkirch und seine<br />
Umgebung ein wenig kühn zum Angrenzer der Baar gemacht<br />
wurde. - Im gleichen Heft übrigens auch eine in<br />
Hohenzollern ebenfalls interessierende erschöpfende Behandlung<br />
des Streites um die Frage, wie viele Quellen die<br />
Donau hat; ein Streit von beiläufig zweitausend Jahren.<br />
Für die Behauptung, daß der Bibliothekar Hohenzollerns<br />
so viele Dinge im Kopf hat, darf folgendes angeführt<br />
werden: die Burg Falkenstein wird gegenwärtig, wie<br />
man aus den Tageszeitungen ersehen konnte, von einem<br />
neugegründeten Verein wieder einigermaßen hergerichtet.<br />
Dieser wandte sich an den Schreiber dieses um nähere<br />
Hinweise zur Geschichte, und ich selber geriet über<br />
den allezeit paraten Zingeler-Buck „Burgen und Schlösser"<br />
von 1907 nicht hinaus. Herr Mühlebach aber spürte<br />
in den „Blättern des Schwäbischen Albvereins" und in<br />
Veröffentlichungen eines badischen <strong>Geschichtsverein</strong>s sowohl<br />
Veröffentlichungen als auch Zeichnungen zur Rekonstruktion<br />
auf; solcher Fälle gibt es viele. Das Elend<br />
mit der Heimatkunde kann gerade in der Fülle des seit<br />
hundert Jahren Veröffentlichten liegen, das eben zwar<br />
gedruckt in Regalen steht, aber man muß es wissen, sonst<br />
ackert jemand im Jahre <strong>1975</strong> wieder mühsam aus, was ein<br />
anderer vielleicht schon vor 50 Jahren fand und darlegte.<br />
Zum vielseitigen Bibliothekar, den wir zum Glück haben,<br />
muß daher auch noch eigenes Glück kommen — wenn es<br />
kommt! Fortuna ist ein launisches Weib. Frick<br />
Redaktionsausschu ß:<br />
Hubert Deck, Konrektor<br />
745 Hechingen, Tübinger Straße 28<br />
Telefon (07471) 2937<br />
Walther Frick, Journalist<br />
748 Sigmaringen, Hohe Tannen<br />
Telefon (07571) 8341<br />
Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />
die persönliche Meinung der Verfasser<br />
wieder; diese zeichnen für den Inhalt<br />
der Beiträge verantwortlich. Mitteilungen<br />
der Schriftleitung sind als solche gekennzeichnet.<br />
Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />
werden an die Adresse des Schriftleiters<br />
oder Redaktionsausschusses erbeten.<br />
Wir bitten unsere Leser, die „Hohenzollerische<br />
Heimat" weiter zu empfehlen.