13.02.2013 Aufrufe

Ausgabe 1975 - Hohenzollerischer Geschichtsverein

Ausgabe 1975 - Hohenzollerischer Geschichtsverein

Ausgabe 1975 - Hohenzollerischer Geschichtsverein

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

1<br />

1<br />

• m<br />

HÖH ENZOLLERISCHE<br />

HEIMAT<br />

Herauegegeben oom<br />

W 3828 F<br />

Hohenzollerifchen Gelchichteoerein<br />

25. Jahrgang Nr. 1 / Februar <strong>1975</strong><br />

Das Laucherttal zwischen Gammertingen und Hettingen. Links die Lauchert, rechts ein<br />

Hauptgraben mit zwei Holzrinnen, deren Wasser aus dem nächst höheren Hauptgraben<br />

stammt. Man sieht deutlich, wie sich die Gräben in den Wiesen immer mehr verzweigen.<br />

Foto von A. Herre, Gammertingen, 1955


HERBERT BURKARTH<br />

Die Wässerwiesen - Das Ende einer alten Kulturform<br />

Es gibt zahlreiche uralte Dinge, die heute sang- und<br />

klanglos verschwinden, ohne daß sich jemand Gedanken<br />

darüber machen würde. Noch vor etwa 20 Jahren standen<br />

im Lauchert- und Fehlatal in jedem Frühjahr und<br />

Sommer die Wiesen unter Wasser. Hunderte, ja tausende<br />

von kleineren und größeren Gräben durchzogen das Tal.<br />

Zu jedem größeren Graben gehörte eine Wasserfalle, ein<br />

galgenförmiges Gebilde mit einem Brett, das man heben<br />

und senken konnte.<br />

Wässerwiesen gab es auch in anderen Tälern der Alb, so<br />

z. B. im Seckachtal und im Echaztal. Dort sind sie aber<br />

schon vor längerer Zeit verschwunden. Die Münsinger<br />

Oberamtsbeschreibung kennt keine Wässerwiesen. Demnach<br />

scheint es in den Tälern des alten Oberamtes (Lautertal<br />

usw.) diese Kulturform nicht gegeben zu haben.<br />

Man sieht übrigens dort auch nirgends Spuren, die auf<br />

alte Wässerwiesen hinweisen würden. So darf man sicher<br />

mit Recht die Wässerwiesen als besonders charakteristisch<br />

für das Lauchert- und Fehlatal ansehen. Am Oberlauf<br />

der beiden Flüsse verschwanden sie allerdings schon<br />

vor dem zweiten Weltkrieg. Besonders gepflegt wurden<br />

sie aber noch bis in die fünfziger Jahre auf den Markungen<br />

Mariaberg, Gammertingen, Hettingen und Hermentingen.<br />

Die Gemeinden Neufra, Gammertingen und Hettingen<br />

teilten sich die Wässerwiesen im Fehlatal.<br />

Urkundliche Angaben über die Wässerwiesen in diesem<br />

Bezirk gibt es seit dem 15. Jahrhundert; es ist aber anzunehmen,<br />

daß sie noch um einige hundert Jahre älter sind.<br />

Vermutlich war der Talgrund ursprünglich mit Auenwald<br />

bedeckt, der aber sicher teilweise schon in vorgeschichtlicher<br />

Zeit gerodet wurde. Die Nutzung als Wiesen<br />

und Weiden war jedoch durch Versumpfung sehr<br />

eingeschränkt und Ackerbau kam im Hochwassergebiet<br />

nicht in Frage. Als bei größerer Siedlungsdichte der<br />

landwirtschaftlich nutzbare Boden knapper wurde, war<br />

man gezwungen, auch schlechtere Böden zu nutzen. Die<br />

Einrichtung der Wässerwiesen war ein Projekt, dessen<br />

Größenordnung man zunächst unterschätzt. Der ganze<br />

Flußlauf mußte praktisch kanalisiert werden. In Abständen<br />

von einigen hundert Metern wurden in den Bach<br />

Wehre eingebaut. Dabei benützte man sicher natürliche<br />

Höhenunterschiede, denn der Abstand der Wehre ist<br />

ganz verschieden. Von jedem Wehr wurden ein oder<br />

zwei Hauptgräben abgeleitet, die teilweise die Größe eines<br />

Baches haben. Der Hauptgraben wurde am Rand des<br />

Talgrundes geführt mit geringem Gefälle. Nicht selten<br />

kam es vor, daß man das Wasser des Hauptgrabens in<br />

einer Holzrinne über den Bach leitete, um auch die andere<br />

Talseite zu bewässern. Vom Hauptgraben wurden<br />

Seitengräben zu den einzelnen Grundstücken geführt, die<br />

jeweils einzeln durch Wasserfallen abgesperrt werden<br />

konnten. Auch die Wasserführung des Hauptgrabens<br />

konnte durch eine große Wasserfalle reguliert werden.<br />

Jeder Seitengraben verzweigte sich auf dem Grundstück<br />

bis in kleine, ca. 20 cm breite Gräben, die etwa 4-5<br />

Meter voneinander entfernt waren. So war es möglich,<br />

die Wiesen völlig unter Wasser zu setzen. Andererseits<br />

konnte man während der Heuernte oder bei Wasserknappheit<br />

die Grundstücke auch ganz trocken legen.<br />

2<br />

Die Wässerwiesen waren die einzige Kulturform in unserem<br />

Gebiet, welche drei „Ernten" im Jahr lieferte: Heu,<br />

Oehmd und Schindgras. Wegen des großen Ertrages waren<br />

die Grundstücke zum Teil sehr klein parzelliert.<br />

Auch Bauern von den Albgemeinden hatten nicht selten<br />

Wässerwiesen an Lauchert und Fehla. Der große Ertrag<br />

der Wässerwiesen hatte seine Ursache nicht nur in der<br />

Bewässerung, sondern vor allem in der Düngung. Natürlich<br />

war die Verschmutzung der Gewässer nicht mit dem<br />

zu vergleichen, was heute geboten wird. Immerhin führte<br />

das Wasser schon früher eine ganze Menge organischer<br />

Bestandteile. Was an Abwässern nicht versickerte, das<br />

lief irgendwo in den Bach. Auch Wasservögel wie Enten<br />

und Gänse wurden in großer Zahl gehalten. Da ein<br />

großer Teil des Wassers in den Wiesen versickerte, waren<br />

sie immer reichlich gedüngt. Die Bedeutung dieser Düngung<br />

wird erst klar, wenn man sich vor Augen hält, daß<br />

das Hauptproblem der alten Landwirtschaft der Düngermangel<br />

war (z. B. Dreifelderwirtschaft wegen Erschöpfung<br />

des Bodens). Obwohl Gradmann die Wässerwiesen<br />

recht summarisch unter „Feuchte Oehmdwiesen"<br />

abhandelt, betont er, daß außer der Feuchtigkeit auch<br />

„Pflanzennährstoffe" zugeführt werden.<br />

Besonders eindrucksvoll waren die Wässerwiesen im<br />

Frühling. Durch die konstante Wassertemperatur wurden<br />

sie schon grün, wenn die übrige Natur noch braun und<br />

grau im Winterschlaf lag. Kaum war die ganze Wiese<br />

begrünt, wurde sie von einem Meer von Schlüsselblumen<br />

bedeckt, das nur an besonders feuchten Stellen von der<br />

Sumpfdotterblume (Calthra palustris) unterbrochen wurde.<br />

Seit dem 15. Jahrhundert gibt es zahlreiche urkundliche<br />

Belege zu den Wässerwiesen. 1482 wurde vor dem Gericht<br />

in Gammertingen ein Streit über die Bewässerung<br />

im Gsöd (Wiesengelände bei Gammertingen) verhandelt.<br />

Zum Jahr 1584 hat sich eine Bewässerungsordnung aus<br />

dem Fehlatal erhalten. Die Bewässerungsordnung betraf<br />

alle Grundstücksbesitzer, die an einen Hauptgraben angeschlossen<br />

waren. Der Hauptgraben, um den es hier<br />

geht, ist heute noch vorhanden (in der „Wanne", unterhalb<br />

des alten Schlosses). Es heißt, das Bewässern solle<br />

im Februar beginnen und bis Bartholomäus (24. August)<br />

dauern. Es war genau eingeteilt, wie lange jeder Wiesenbesitzer<br />

das Wasser haben sollte, und in welcher Reihenfolge<br />

bewässert wurde. Wer einem anderen das Wasser<br />

nahm, sollte einen Gulden Strafe zahlen. Als Aufsicht<br />

wurden zwei Verordnete aufgestellt, die auch einen Tag<br />

zum Grabenräumen ansetzen konnten. Wer beim Grabenräumen<br />

verhindert war, mußte eine Ersatzperson<br />

stellen, oder 1 /t Gulden Strafe zahlen.<br />

1669 wurde zwischen den drei Speth'schen Herrschaften<br />

Gammertingen, Hettingen und Neufra ein Vertrag über<br />

die Bewässerung der Wiesen im Fehlatal abgeschlossen.<br />

Die Verantwortlichen werden in dem Vertrag als Wassermeister<br />

bezeichnet, einen Titel, der noch im 19. Jahrhundert<br />

vorkommt. 1728 gab die Speth'sche Herrschaft<br />

Gammertingen die Genehmigung zur Erneuerung der Bewässerungsanlagen<br />

im Sinawog unterhalb von Gammertingen.<br />

Dies sind nur einige Beispiele.


Die Pflege der Anlagen verursachte ständig eine Menge<br />

Arbeit. Ein typisches Arbeitsgerät war die Wässerhaue,<br />

die auf einer Seite eine Schneide, auf der anderen eine<br />

Hacke hatte. Mit der Schneide schlug man die Grasnarbe<br />

ab und mit der Hacke wurde der Graben vertieft. Vor<br />

allem die kleineren Gräben mußten jährlich erneuert<br />

werden. Aber auch die übrigen Einrichtungen wie Rinnen,<br />

Wasserfallen usw. mußten instand gehalten werden.<br />

Schon vor dem 2. Weltkrieg wurde am Oberlauf von<br />

Lauchert und Fehla mit Flußbegradigungen und Senkung<br />

des Grundwasserspiegels begonnen. Damit entfielen<br />

natürlich die Wässerwiesen. Während sich früher die<br />

Verteilung von Äcker und Wiesen genau an die Hochwassergrenze<br />

hielt, findet man heute auch im Talgrund<br />

Äcker. Die Aufgabe der Wässerwiesen auf den Markungen<br />

Mariaberg, Gammertingen, Hettingen und im Fehlatal<br />

erfolgte vor allem aus arbeitstechnischen Gründen. Es<br />

war unmöglich, die von zahlreichen Gräben durchzogenen,<br />

feuchten Wiesen mit Maschinen zu bearbeiten. Die<br />

JOHANNES WANNENMACHER<br />

Die Mundart wird wieder geschätzt und gepflegt<br />

Es gab eine Zeit, da wurde die Mundart stark zurückgedrängt,<br />

und es galt als unfein, sie zu sprechen. Sogar mit<br />

den Kleinsten in der Schule sollte man nur hochdeutsch<br />

sprechen. Jeder einsichtige Erzieher jedoch hat aus innerer<br />

Verbundenheit mit seinen Kindern ein solch lebensfernes<br />

Verlangen von vorneherein mehr oder weniger<br />

abgelehnt. Seine Unterrichtserfolge waren deswegen<br />

nicht geringer - im Gegenteil. Sein Unterricht blieb zudem<br />

lebensnaher, froher und wärmer. - Heute hat sich<br />

nun im Gebrauch der Mundart so manches zum Guten<br />

gewendet. Erfreulich ist vielfach zu hören und zu lesen,<br />

wie überall Mundartvereine gegründet werden, Mundartkurse<br />

und Leseabende in großen Städten stattfinden,<br />

Theaterspiele in Mundart aufgeführt werden, Fernsehen<br />

und Hörfunk mit mundartlichen Stücken und Darbietungen<br />

zahlreiche Freunde gewinnen usf. Flüchtlinge<br />

und Heimatvertriebene sind ebenfalls so in die Gesellschaft<br />

hineingewachsen, daß sie die Mundart nicht nur<br />

verstehen, sondern oft recht originell sprechen. Das gleiche<br />

gilt auch von den Kindern der Gastarbeiter.<br />

Unsere heimische Mundart gebraucht eine große Zahl<br />

althergebrachter Ausdrücke und Redewendungen von<br />

urtümlicher Ausdruckskraft. Hierzu einige Beispiele aus<br />

Rangendingen: Das kleine Kind liegt im Wägelchen.<br />

Neugierig betrachtet und mustert es eine Bekannte, und<br />

weil es so gut aussieht und gedeiht, meint diese freudig:<br />

„Aber dös „groanet" no"! Das Gegenteil drückt das<br />

Wort „hollaos" aus. Da hört man: „Dös ischt aber a hollaos<br />

Kendle - oder Tröpfle"! Im übertragenen Sinne<br />

nennt man auch einen Erwachsenen, der unregelmäßig<br />

lebt, überall herum streicht und oft nicht Wort hält, einen<br />

„hollausen" Denger. Hat er vielleicht dazu noch<br />

eine unglückliche Figur, dann bezeichnet ihn die Mundart<br />

als einen baisa „Hailiacher". Mit dem Hailiacher,<br />

einem etwa meterlangen Stock mit einem Eisenhaken,<br />

wird das festgesessene Heu aus dem Heustock in der<br />

Scheune herausgezogen. Die Mundart hat auch einen wachen<br />

Sinn für die Tatsache der Vererbung. Da hört man:<br />

„Dear schlegt ganz seim Vadder no (nach); ischt seim<br />

Vadder wiea aus em Gsicht rausgschnitta; hots gleich<br />

Gräben wurden deshalb aufgefüllt. Meistens sind die<br />

Hauptgräben noch vorhanden; sie liegen am Randi des<br />

Wiesengeländes und stören deshalb nicht. Flußkorrekturen<br />

wurden glücklicherweise bisher nur innerhalb der<br />

Ortsbereiche vorgenommen. Hoffen wir, daß uns der<br />

Anblick von Lauchert und Fehla als begradigte Abwasserrinnen<br />

noch für einige Zeit erspart bleibt.<br />

Die Änderung der Wirtschaftsform hat sich schon deutlich<br />

auf die Flora ausgewirkt. Vor allem Schlüsselblumen<br />

werden es jedes Jahr weniger. Die Sumpfdotterblumen<br />

sind fast schon selten geworden. Leider werden viele<br />

Wiesen überhaupt nicht mehr abgemäht und versteppen.<br />

An einigen Stellen wurden auch Wiesen aufgeforstet,<br />

was natürlich ein barbarischer Eingriff in das Landschaftsbild<br />

ist. Mit den Wässerwiesen fiel eine uralte<br />

Kulturform dem Fortschritt zum Opfer. Es ist nur zu<br />

hoffen, daß uns wenigstens das schöne Wiesental erhalten<br />

bleibt.<br />

Glaef (Gang) wiea sei Vadder; ischt dr gleich Trialer<br />

wiea sei Vadder usf." Von Frauen sagt man: „Dia ischt<br />

so schaffeg wiea ihre Muadder; dia ka ihr Gschlächt au<br />

it verleugna; dia hot a Mondwerk wiea ihre Muadder<br />

usw." Eine, die an allen Ecken herumsteht, schwatzt und<br />

tratscht, dabei auch eine gewisse Portion Dummheit an<br />

den Tag legt, ischt a „Hätschabä". Wer anderen nichts<br />

gönnt, neidisch und giftig sein kann, ist „nisseg". Man<br />

kann sich auch „vermoona", d. h. Menschen, Dinge oder<br />

Vorgänge falsch sehen oder deuten. Und wer nicht aus<br />

sich herausgeht, ist a „Drucksmuller". Das Haar wird in<br />

der Mundart nicht gekämmt, sondern mit dem<br />

„Schträhl" gschtrählet. Bei großer Hitze im Sommer bekommt<br />

das Brot in der Schublade „Zoosama", lange,<br />

dünne Fäden. Fleisch, das nicht mehr so ganz frisch auf<br />

dem Teller liegt, ist a „loomaleges" Zeug. Es kann einer<br />

auch „loomaleg umeinander hanga", (nicht ganz auf der<br />

Höhe sein).<br />

Nur „a gotzegs" (einzigs) Stückle Brot bettelt das kleine<br />

Kind. Lauf „gotteg"! (schnell) ruft die Mutter dem Kinde<br />

nach. Was macht denn der für „Fiesamadenta"? frag<br />

man sich, wenn einer sich zuviel mit unpassenden Nebensächlichkeiten<br />

und Kleinigkeiten abgibt. - Der Bauernwagen<br />

hat keine Bremse, sondern eine „Wicke". Und<br />

eine Geschäftsfrau erzählt ihrer Nachbarin, einer älteren<br />

Bauersfrau, wie sie Tag und Nacht arbeiten müßte. Darauf<br />

entgegnete letztere seelenruhig: „Ja, 's - reich wäara<br />

tuat waih!" Wenn jemand bald etwas abgeben muß,<br />

das ihm sehr ans Herz gewachsen ist, so hört man: „Dös<br />

wird deam no „ahnd" (weh) toa!" Ist jemand irgendwo<br />

wohl gelitten und beliebt, dann „hot ear an Schtoa<br />

(Stein) em Britt!" Die Zahlwörter zwei und drei haben<br />

in der Mundart je nach dem Geschlecht des nachfolgenden<br />

Dingwortes auch verschiedene Formen. Es gibt<br />

„zwe" Manna, „zwua" Henna, „zwo" Goßlea und drei<br />

Manna, drei Henna, aber „druu" Häuser.<br />

Wie die Natur allüberall die größte Vielfalt in der Einheit<br />

zeugt, so ist es auch mit der urgewachsenen, so ausdruckskräftigen<br />

Mundart. Schätzen wir sie als unverlierbare<br />

Mitgift unserer Heimat.<br />

3


MAREN KUHN-REHFUS<br />

Die Grundherrschaft am Quellenbeispiel einer bäuerlichen Leihurkunde<br />

Bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, bis zur Ablösung<br />

der Grundlasten und der sogenannten Bauernbefreiung,<br />

hatte nicht der Bauer die freie Verfügungsgewalt<br />

über den Großteil des landwirtschaftlichen Grund<br />

und Bodens, sondern der Grundherr. Große Grundherren<br />

waren der Adel und die Kirche, aber auch Stadtgemeinden<br />

und einzelne Stadtbürger konnten Grundherren sein.<br />

Sie hatten das Grundeigentum entweder geerbt oder gekauft,<br />

oder aber - wie es vor allem bei Kirchen und<br />

Klöstern der Fall war - sie hatten es als Almosen, als<br />

Stiftungen zum Seelenheil der Gläubigen oder als Mitgift<br />

für Mönche und Nonnen bei deren Klostereintritt<br />

geschenkt bekommen. Auf diese Weise war auch das<br />

1134 gegründete Zisterzienserkloster Salem zum Eigentümer<br />

weitausgedehnter Ländereien geworden, die sich<br />

zwischen dem Bodensee, den Städten Ulm und Eßlingen<br />

und dem Schwarzwald erstreckten, sich aber besonders<br />

um einige Mittelpunkte konzentrierten. Solche Mittelpunkte<br />

waren in unserem engeren Raum z. B. Bachhaupten,<br />

Tiefenhülen, Ostrach und Riedlingen. Dieser landwirtschaftliche<br />

Grundbesitz, aus Hofgütern, Wäldern,<br />

Seen und Wasserläufen, einzelnen Äckern und Wiesen<br />

bestehend, bildete zusammen mit gewerblichen Betrieben,<br />

wie Gasthäuser, Brauereien, Mühlen, Ziegelhütten,<br />

Schmieden usw. und mit den leibeigenen Leuten die<br />

wirtschaftliche Basis des Klosters.<br />

Der Grundherr konnte seine Liegenschaften im Eigenbau<br />

durch sein Gesinde bewirtschaften lassen. Diese Bewirtschaftungsform,<br />

Gutswirtschaft genannt, wurde bei den<br />

Zisterzienserklöstern während der Frühzeit des Ordens<br />

in sehr ausgedehntem Maße praktiziert, spielte bei anderen<br />

Grundherren aber im allgemeinen eine untergeordnete<br />

Rolle. Er konnte den Boden aber auch zur Bebauung<br />

und Nutzung gegen jährliche Zahlung von Zinsen und<br />

Gülten und gegen die Leistung von Frondiensten an Bauern<br />

ausgeben und von den eingezogenen Abgaben leben,<br />

seinen Unterhalt bestreiten und Vermögen bilden. Diese<br />

sogenannte Rentenwirtschaft auf der Basis der Grundherrschaft<br />

dominierte in Südwestdeutschland.<br />

Bei diesen bäuerlichen Leihen oder Lehen unterscheidet<br />

man je nach Dauer des Leihevertrages verschiedene Formen.<br />

Allen gemeinsam aber war, daß das Eigentumsrecht<br />

am verliehenen Grundbesitz durch die Leihe aufgespalten<br />

wurde in ein Ober- und ein Untereigentum: Der<br />

Bauer erlangte das Untereigentum, ein Verfügungsrecht<br />

am verliehenen Gut, das Obereigentum verblieb beim<br />

Grundherrn.<br />

Die für das bäuerliche Besitzrecht günstigste Leiheform<br />

war das Erblehen. Es zeichnete sich dadurch aus, daß<br />

der Lehenhof beim Tod des Vaters an seine Kinder verliehen<br />

werden mußte, und daß die Verfügungsgewalt des<br />

Bauern über das Gut beträchtlich war: Er konnte es sogar<br />

versetzen und verkaufen, wenn nur die Abgaben an<br />

den Grundherrn unangetastet blieben. Von unschätzbarem<br />

Wert war darüber hinaus, daß Zins, Gült und Dienste<br />

vom Grundherrn weder gesteigert noch verändert<br />

werden konnten, sondern für alle Zeiten feststanden.<br />

Damit war der Bauer auf diesem Gebiet vor herrschaftlicher<br />

Willkür sicher.<br />

Die in Oberschwaben am weitesten verbreitete Leiheform<br />

war jedoch das Fall- oder Leiblehen, gelegentlich<br />

4<br />

auch als Schupflehen bezeichnet. Im Gegensatz zum Erblehen<br />

war das Fall-Lehen ein Zeitlehen, das nur auf<br />

eine begrenzte Zeitspanne dem Bauern verliehen war:<br />

Zumeist umfaßte die Leihedauer die Lebenszeit des Bauern,<br />

der Hof war auf „einen Leib" (Leiblehen) verliehen.<br />

Fall-Lehen konnten aber auch auf mehrere Leiber verliehen<br />

werden, etwa auf die „drei Lebtage" von Vater,<br />

Mutter und einem Kind. Sie konnten allerdings auch nur<br />

auf eine befristete Anzahl von Jahren beschränkt sein,<br />

im ungünstigsten Fall mußte der Hof sogar jährlich neu<br />

verliehen werden. Nach Ablauf der Leihezeit - beim<br />

Leiblehen beim Tod des Bauern — fiel der Hof wieder<br />

an den Lehensherrn zurück (Heimfall) und konnte von<br />

diesem ohne Berücksichtigung der Erben des verstorbenen<br />

Inhabers nach Belieben erneut verliehen werden. In<br />

der Praxis gab der Grundherr den Hof allerdings häufig<br />

wieder an ein Kind aus. Jedoch hatte die Familie keinen<br />

Rechtsanspruch auf das Gut, sondern war von der herrschaftlichen<br />

Gnade abhängig. Ferner behielt sich der<br />

Grundherr regelmäßig die Absetzung des Bauern bei bestimmten<br />

Verstößen vor, so bei Mißwirtschaft und Säumigkeit<br />

in den Zinszahlungen (Lehensfälligkeit).<br />

Als Gegenleistung für die Nutzung eines Lehensgutes<br />

war der Bauer zu jährlichen Abgaben und Fronen für<br />

den Leiheherrn verpflichtet, deren Höhe und Art nicht<br />

geändert werden durften solange er den Hof bewirtschaftete.<br />

Dagegen konnte der Herr bei jeder Neuverleihung<br />

eines Fall-Lehens die auf dem Gut lastenden Reichungen<br />

und Dienste steigern.<br />

Die Abgaben, auch Zins und Gült genannt, setzten sich<br />

üblicherweise aus einem Geldbetrag (Zins), aus Getreideabgaben<br />

(Gült) und den „Küchengefällen" - Eiern,<br />

Hühnern, Hennen, Gänsen usw. - zusammen, die zu<br />

unterschiedlichen Terminen entweder direkt an den<br />

Herrn oder an einen seiner Verwaltungssitze, etwa einen<br />

klösterlichen Pflegehof, geliefert werden mußten: Geld<br />

und Gänse an Martini (11. November, daher „Martinigans"),<br />

Hennen oft an Fasnacht („Fasnachtshennen"),<br />

Hühner zumeist im Herbst („Herbsthühner"), Eier an<br />

Ostern, das Getreide nach der Ernte. Die Getreidegült<br />

wurde entweder in der Form von Garben erhoben, die<br />

aus den auf dem Feld aufgestellten Garben ausgezählt<br />

wurden (meist die 3. oder 4. Garbe) und „Landgarbe"<br />

hießen, oder aber in der Form der „gedroschenen" Gült,<br />

die aus einer feststehenden Menge gedroschenen Getreides<br />

bestand (Maße waren die Hohlmaße Malter, Viertel,<br />

Scheffel, Imi, Meßle usw.).<br />

Im allgemeinen hatte ein Lehenbauer bei Ablieferung<br />

seiner Gültreichungen Anspruch auf gewisse Gegengaben<br />

des Grundherrn, meist Brot, Wein oder Bier oder kleinere<br />

Geldbeträge.<br />

Neben den Gültreichungen waren die Bauern zur Leistung<br />

von Frondiensten verpflichtet, die jedoch oft Leistungen<br />

für den Gerichtsherrn, nicht für den Grundherrn<br />

waren. Die Fronen waren entweder „gemessen", d. h. sowohl<br />

nach Anzahl pro Jahr als auch nach Art genau<br />

festgelegt, oder „ungemessen", d. h. in erster Linie zeitlich<br />

unbegrenzt. In beiden Fällen aber wirkte das alte<br />

Herkommen, das Gewohnheitsrecht, sich hemmend auf<br />

herrschaftliche Willkür aus, so daß auch für die ungemessenen<br />

Dienste faktisch eine Begrenzung galt und


unübliche Arbeiten nicht verlangt werden durften. Außerdem<br />

wurde unterschieden zwischen Zugfronen bzw.<br />

Spanndiensten, die mit Pferd und Wagen ausgeführt<br />

wurden, und Handfronen, die vor allem von den Bevölkerungsschichten<br />

gefordert wurden, die kein Zugvieh besaßen,<br />

also von Tagwerken, Häuslern, Seidnern usw. Es<br />

war allgemein üblich, daß die fronenden Personen samt<br />

ihrem Zugvieh während der Fronen vom Herrn verköstigt<br />

wurden oder Geld erhielten.<br />

Gegen die Gefahr, daß der Lehenbauer die einzelnen<br />

Punkte des Leihevertrags nicht einhielt und der Lehensherr<br />

dadurch zu Schaden kam, sicherte sich der Grundherr<br />

dadurch ab, daß er sich in diesem Fall gerichtliche<br />

Schritte vor weltlichen und geistlichen Gerichten vorbehielt.<br />

Im schlimmsten Fall konnte das Vermögen des<br />

Bauern gepfändet und versteigert werden.<br />

Jede Verleihung wurde in Form eines Vertrages vorgenommen,<br />

der für Verleiher und Belehnten Rechte und<br />

Pflichten festlegte. Als Zeichen seiner Zustimmung beschwor<br />

der Bauer den Leihevertrag und stellte seinerseits<br />

für den Grundherrn eine Urkunde, den sogenannten<br />

„Lehenrevers" aus, in welchem er den Text der Leiheurkunde<br />

in vollem Wortlaut wiederholte und sein beschworenes<br />

Einverständnis ausdrücklich bestätigte. Dieser<br />

Revers wurde dem Grundherrn, die Leiheurkunde<br />

dem belehnten Bauern ausgehändigt.<br />

Die Bedingungen eines Leiblehens werden in einer Leiheurkunde<br />

des Klosters Salem aus dem Jahr 1577 wie<br />

folgt beschrieben:<br />

„Wir Mattheus, von Gottes Gnaden Abt, auch Prior und<br />

der Konvent gemeinlich des Gottshaus Salmansweiler<br />

[Kloster Salem] bekennen öffentlich und tun kund allermänniglich<br />

mit diesem Brief [Urkunde], daß wir um unseres<br />

Gottshaus besseren Nutzen willen Jakob Mayer<br />

von Burgau [Kreis Sigmaringen] auf seinen alleinigen<br />

Leib so lange er leben wird und nicht füro noch länger<br />

zu einem Leiblehen und in Leiblehensweise recht und<br />

redlich geliehen und verliehen haben unseren und unseres<br />

Gottshaus Hof zu Burgau gelegen, nämlich mit Haus,<br />

Hofreite, Scheuern, Garten, Äckern, Wiesen, Wunn,<br />

Weide und sonst mit allen Gewohnheiten, Rechten und<br />

Zugehörungen, davon nichts ausgenommen, als für unser<br />

und unsers Gottshaus recht Eigen, männiglichshalb unverkümmert<br />

[unbelastet], welchen Hof dann vormals<br />

Agatha Mayerin und Hans Mayer, seine liebe Mutter<br />

und Bruder selig, auch von uns und unserm Gottshaus zu<br />

Leiblehen innegehabt und bebaut haben. Und auf das<br />

soll er also hinfüro sein Leben lang den obbestimmten<br />

Hof mit seinen Zugehörungen - wie oben steht - in<br />

guten wesentlichen Ehren und Zeit bauen, unwüstlich<br />

[unverwüstet], unzergänglich, auch unversetzt, unverkauft<br />

und unzertrennt innehaben, bauen, nutzen, nießen,<br />

brauchen und mit seinem selbst Leib [in eigener Person]<br />

besitzen, wie dann um [bei] andere unsere Leiblehen<br />

sitt- und gewöhnlich ist, von uns und unsern Nachkommen<br />

ganz unverhindert. Doch haben wir mit sonderm<br />

Namen alle unsere und unsers Gottshaus Hölzer, so zu<br />

und in solchen Hof gehören, uns selbst vorbehalten und<br />

ausgedingt, also daß er sich solcher Hölzer mit Holzhauen<br />

- es sei zum Zimmern, zum Brennen oder anderem,<br />

ganz nichts ausgenommen - gänzlich und aller Ding<br />

müßigen [enthalten] und ohne unsere Gunst, Wissen<br />

und Willen kein Holz darin hauen noch jemand erlauben<br />

solle; wenn er aber dawider täte, und sich solches<br />

wahrlich erfände, soll uns die Strafe wie gegen Andere<br />

und Fremde darum gegen ihn vorbehalten sein ohne Gefährde<br />

[ohne böse Absicht]. Und vornehmlich soll er<br />

uns, unserm Gottshaus und Nachkommen nun hinfort<br />

die Zeit seines Inhabens gedachten Hofs alle Jahre jährlich<br />

und ein jedes Jahr alleine und besonders allweg aus<br />

und ab dem berührten Hof, nämlich ab allen Äckern,<br />

was darauf erwächst und gebaut wird, den vierten Teil<br />

und dazu zu rechtem Hofzins 2 Pfund und 10 Schillinge<br />

Pfennig Konstanzer Währung 1 , 8 Hühner, 2 Fasnachtshennen<br />

und 4 Viertel Eier [480 Eier] gütlich [ent]richten<br />

und geben, und uns nämlich die Landgarben ab dem<br />

Feld in unsere Scheur daselbst zu Burgau, und - so die<br />

[Landgarben] ausgedroschen werden — das Korn gen<br />

Riedlingen in die Stadt in unsere Behausung führen,<br />

auch das Geld auf Sankt Martins Tag, Hühner, Hennen<br />

und Eier jedes zu seiner gewöhnlichen Zeit daselbst zu<br />

Riedlingen zu unseren oder unserer Amtleute sicheren<br />

Händen und Gewalt antworten gänzlich für alle Irrungen<br />

[ohne Streit] und Einträge [Beeinträchtigungen]<br />

und ohne alle unsere Kosten und Schaden. Bei solcher<br />

obengemeldeten Gült wir ihn auch sein Lebenlang gütlich<br />

bleiben lassen und um höheren Zins und Landgarbe<br />

nicht steigern noch anstrengen sollen keineswegs. Und<br />

auf das so sollen wir ihm auch allweg von den Landgarben<br />

Stroh und Brüts [beim Dreschen abfallendes Kurzfutter]<br />

wiederum verfolgen [zurückgeben] lassen, auch<br />

dazu ihm alljährlich von einer jeden vierten Jauchert<br />

[etwa 0,46 ha] mit Winterfrucht 18 Pfennige und von<br />

einer jeden vierten Jauchert mit Sommerfrucht 9 Pfennige<br />

obgemeldeter Währung zu Schnittergeld geben. Und<br />

haben wir auch mit sondern Namen anbedingt, so<br />

[wenn] wir unsere Landgarben ausdreschen lassen wollen,<br />

daß wir dann allweg zu dem Dreschen zwei und er<br />

einen Drescher haben sollen, doch soll er denselben Dreschern<br />

zu essen geben, und aber ihm darum einen jeden<br />

Tag welcherlei Korn desselben Tags gedroschen würde,<br />

1 Viertel Riedlinger Maß 2 gegeben werden zu [für] solchem<br />

Dreschen; er dann alles Zeug, damit man das Korn<br />

ausmacht und zubereitet, geben soll, ausgenommen die<br />

Säcke sollen wir selbst haben und dargeben, auch ungefährlich.<br />

Er soll auch von solchem Hof jemand kein<br />

Vogtrecht - weder von Korn, Geld noch anderem -<br />

geben, dann es ein freier und recht eigener Hof unseres<br />

Gottshaus ist, damit keine Gerechtigkeit einer Beschwerde<br />

[Rechtsanspruch auf Belastung] deshalb auf solchen<br />

Hof [er] wachsen möchte. Und hierauf soll er sein Lebenlang<br />

uns und unserm Gottshaus mit Gebot und Verbot,<br />

auch reisen und Reissteuern [Kriegsdienst und<br />

Kriegssteuern] wie andere unsers Gottshaus Leute gehorsam<br />

und gewärtig sein, auch sonst keinen Schirm ohne<br />

unsere Gunst, Wissen und Willen annehmen, desgleichen<br />

auch jedes Jahr zwei Wagenfahrten von Riedlingen gen<br />

Pfullendorf, was man ihm auferlegt, zu führen, oder so<br />

man ihn zu solchen zwei Wagenfahrten nicht brauchen<br />

wollte, für jede der zwei Fahrten 10 Batzen 1 geben, in<br />

dem uns dann die Wahl vorbehalten, die Fahrten oder<br />

das Geld anzunehmen. Dagegen soll man ihm, so er die<br />

Fahrten tun würde, zu essen und den Rossen gewöhnliches<br />

Futter geben. Und dazu soll er auch im Jahr, wie<br />

oft das die Notdurft erfordert, zu unserem Haus gen<br />

Riedlingen, auch um und bei Riedlingen gelegen an welchen<br />

Ort wie ihn bescheiden [schicken], aus Befehl je zu<br />

Zeiten unseres Pflegers zu Pfullendorf oder Hauswirts<br />

zu Riedlingen Frondienst zu tun schuldig sein, als [wie]<br />

er dann das und anderes, wo vor und hernach geschrieben<br />

steht, wie andere unsere Hintersassen zu halten gelobt<br />

und geschworen hat. Wäre aber Sach, daß er den<br />

gedachten Hof mit seiner Zugehörung - wie oben steht<br />

- nicht in guten wesentlichen Ehren und Bau hätte oder<br />

Zins und Gült alljährlich nicht [entrichten und antworten,<br />

inmaßen vorsteht, oder ein oder mehrere andere<br />

obengeschriebenen Stücke nicht vollstrecken täte, und<br />

sich solches wahrlich erfände, so soll uns und unsern<br />

Nachkommen der obenbestimmte Hof mit aller seiner<br />

Zugehörde wiederum frei, ledig und los heimgefallen<br />

5


sein, und mögen wir ihn und seine Erben um all das, so<br />

er uns nach Laut dieses Briefs zu tun schuldig wäre, angreifen<br />

[belangen], mahnen und umtreiben mit welchen<br />

geistlichen oder weltlichen Gerichten wir wollen, solange<br />

und viel, bis wir und unser Gottshaus nach Laut dieses<br />

Briefs völlig ausgerichtet [befriedigt] sind ohne alle unsere<br />

Kosten und Schaden. Wenn und so bald er auch mit<br />

Tod abgegangen und erstorben ist, alsdann zur Stund<br />

soll genannter Hof mit seiner Zugehörung uns, unserm<br />

Gottshaus und unsern Nachkommen gänzlich wiederum<br />

frei, ledig und los heimgefallen sein, also daß wir den<br />

dannenthin in anderweg wie und wem wir wollen, verleihen<br />

und damit gefahren [verfahren], handeln und<br />

schaffen mögen, wie uns füglich und eben ist, von ihm<br />

und seinen Erben und männiglich von ihretwegen ganz<br />

unverhindert und ungesäumt in allweg, alles getreulich<br />

und ungefährlich [redlich]. Und des zu wahrem Urkund,<br />

so haben wir unser Abteisekret- und gemeinen<br />

MAREN KUHN-REHFUS<br />

Die Leibeigenschaft am Beispiel einer Manumission und<br />

einer Leibeigenschaftsergebung<br />

In Südwestdeutschland entwickelte sich seit ungefähr<br />

dem 14. Jahrhundert eine neue Form der Leibeigenschaft,<br />

die nicht mit der alten Unfreiheit, wie sie bis<br />

etwa in das 12. Jahrhundert hinein bestanden hatte, zusammenhing<br />

und sich von dieser wesentlich unterschied.<br />

Im Gegensatz zu früher standen dem Leibherrn nurmehr<br />

bestimmte und begrenzte Rechte über seine Leibeigenen<br />

zu. Diese Rechte wurden regional verschieden stark<br />

durchgesetzt und waren wirtschaftlich unterschiedlich<br />

drückend. Der soziale Status aber wurde durch die Leibeigenschaft<br />

nicht gemindert. Es gab z. B. in Württemberg<br />

Prälaten, Landtagsabgeordnete und hohe Beamte, die<br />

leibeigen waren.<br />

In Südwestdeutschland bildeten sich zwei Formen der<br />

Leibeigenschaft heraus:<br />

1. Die Realleibeigenschaft, bei der Höfe und Güter nur<br />

an Eigenleute des betreffenden Eigentümers (Grundherrn)<br />

verliehen wurden; hier war also die Ergebung<br />

in die Leibeigenschaft die Voraussetzung für die Belehnung<br />

mit einem Gut.<br />

2. Die Lokalleibeigenschaft, bei der „die Luft eigen<br />

machte", so daß alle in einem Dorf oder in einem<br />

Herrschaftsgebiet ansässigen Personen Eigenleute des<br />

betreffenden Gerichtsherrn waren.<br />

Die Form der Lokalleibherrschaft war besonders in<br />

Oberschwaben verbreitet. Geistliche Herrschaften -<br />

z. B. Klöster - und weltliche Herren setzten sie innerhalb<br />

ihrer Gebiete durch, um auf einer einheitlichen Untertanenschicht<br />

ihr Territorium, oftmals sogar ihre Landeshoheit,<br />

aufbauen zu können. Dadurch wandelte sich<br />

aber gerade hier die Leibeigenschaft bis zum 18. Jahrhundert<br />

oftmals zu einer bloßen Untertanenschaft, zu einer<br />

Art „Staatsuntertänigkeit", die den Eigenleuten z. B.<br />

das Recht auf Niederlassung und obrigkeitlichen Schutz<br />

sicherte.<br />

Leibeigene Personen waren folgenden Beschränkungen<br />

unterworfen und mit folgenden Abgaben belastet:<br />

1. Sie waren nicht freizügig, d.h. sie durften ohne Erlaubnis<br />

ihres Leibherrn nicht fortziehen.<br />

6<br />

Konvents Siegel öffentlich tun hängen lassen an diesen<br />

Brief, der geben ist auf den Sonntag Letare zu Mittfasten<br />

nach Christi, unsers lieben Herrn, Geburt gezählt<br />

1577 Jahre.<br />

(Pergament, Original, die beiden Siegel in Holzkapseln,<br />

Siegel des Abts fehlt. Staatsarchiv Sigmaringen, Bestand<br />

Ostrach, Urkunden).<br />

1 1 Pfund = 20 Schillinge = 240 Pfennige, 1 Schilling =<br />

12 Pfennige, 1 Batzen = 4 Kreuzer, 1 Pfund = 10 Batzen<br />

= 40 kr (so gerechnet in Hechingen 1599 und in Veringenstadt<br />

1568). Zur Kaufkraft des Geldes: 1554 wurden in<br />

Veringenstadt 15 Jauchert (ca. 6,9 ha) um 30V2 Pfund<br />

Pfennige verkauft. 2 Schilling konnten an einem Vormittag<br />

mit Waldarbeit verdient werden.<br />

2 1 Malter Rauhfrucht (Dinkel, Haber, Gerste) = 4 Scheffel<br />

= 16 Viertel. 1 Malter Glattfrucht (Roggen) = 2 Scheffel<br />

= 8 Viertel. In Riedlingen enthielt 1 Malter 174,8 Liter.<br />

2. Sie benötigten zur Heirat die Erlaubnis ihres Leibherrn,<br />

der seine Zustimmung auch zur Wahl des Ehepartners<br />

geben mußte, weil von den Heiraten der Eigenleute<br />

seine wirtschaftlichen Interessen betroffen<br />

wurden. Damit hängen die in manchen Gegenden üblichen<br />

besonderen Heiratsabgaben - Gürtelgewand<br />

oder Brautlauf genannt - zusammen, die Anerkennungsgaben<br />

für dieses leibherrliche Recht darstellten.<br />

Zu Zeiten der alten Unfreiheit hatten verschiedene<br />

Leibherrschaften den Heiratszwang ausgeübt, um sich<br />

die benötigten Arbeitskräfte zu sichern. Später verboten<br />

viele Leibherren Heiraten ihrer Eigenleute mit<br />

Leibeigenen fremder Leibherren - die sog. Ungenoßsame<br />

- ganz, weil sie fürchteten, das Recht auf die<br />

Kinder aus solchen Ehen und auf Abgaben und Dienste<br />

der Leute an den fremden Leibherrn zu verlieren.<br />

In der Regel galt nämlich der Grundsatz, daß bei<br />

Heiraten zwischen Eigenleuten verschiedener Leibherren<br />

die Kinder dem Leibherren der Mutter gehörten.<br />

Eine andere - beispielsweise im Allgäu praktizierte<br />

Übung war, die Kinder aus ungenoßsamen Ehen unter<br />

die beiderseitigen Leibherren aufzuteilen.<br />

Andere Herren wiederum verlangten, daß stets der in<br />

ihre Herrschaft einheiratende Ehepartner sich von<br />

seiner alten Leibherrschaft loskaufte und sich anschließend<br />

in seine Leibeigenschaft ergab, so daß über<br />

die Zugehörigkeit der Kinder von vorneherein kein<br />

Zweifel aufkommen konnte.<br />

Weit verbreitet war auch die Übung, in solchen Fällen<br />

Eigenleute zwischen den einzelnen Herrschaften<br />

auszutauschen.<br />

3. Der Leibherr forderte von seinen Eigenleuten eine<br />

jährliche Leibsteuer, die entweder aus einer geringen<br />

Geldgebühr oder aus der sog. Leibhenne bestand und<br />

als Anerkennung der Leibherrschaft galt. Die Leibhenne<br />

konnte auch andere Bezeichnungen tragen, besonders<br />

in Gegenden, wo mit der Leibherrschaft auch<br />

noch die Grund- und Gerichtsherrschaft verbunden<br />

war, so z. B. Fasnachtshenne.<br />

4. Wirtschaftlich sehr viel drückender wirkten sich die<br />

beim Tod des Leibeigenen fälligen Abgaben aus. Ur-


sprünglich hatte der Unfreie als vermögensunfähig<br />

gegolten, so daß der Leibherr seine gesamte Hinterlassenschaft<br />

eingezogen hatte. Mit dem Verschwinden<br />

der alten Unfreiheit wurde auch das Recht des Herrn<br />

am Erbe seiner Leibeigenen eingeschränkt. Übrig blieben<br />

zum einen der sog. Tod- oder Leibfall bzw. Laß<br />

und zum anderen das Hauptrecht oder Besthaupt.<br />

Der Fall oder Laß bestand aus einer festen Quote der<br />

Hinterlassenschaft des Leibeigenen, die der Leibherr<br />

für sich forderte, und die bis zu einem Drittel der<br />

Erbschaft - in Einzelfälle sogar bis zur Hälfte -<br />

umfassen konnte. Das Hauptrecht bzw. Besthaupt bestand<br />

aus dem besten Stück Vieh, meist dem besten<br />

Pferd oder der besten Kuh, oft aber auch aus dem besten<br />

Gewand. Während manche Herrschaften sowohl<br />

Laß als auch Hauptrecht einzogen, begnügten sich<br />

andere mit dem Hauptrecht, wobei sie häufig nur das<br />

zweitbeste Stück Vieh beanspruchten oder ersatzweise<br />

andere Tiere, Bienen, Wachs, Honig oder eine Geldablösung<br />

annahmen. Der Leibherr konnte nämlich<br />

nicht daran interessiert sein, seine Eigenleute durch<br />

die Todfallabgaben in die Verarmung zu treiben, weil<br />

damit auch seine eigenen wirtschaftlichen Belange beeinträchtigt<br />

worden wären.<br />

In der alten Unfreiheit konnte eine unfreie Person ohne<br />

weiteres verkauft bzw. verschenkt werden. Solohe Verkäufe<br />

und Schenkungen lassen sich noch im 13. Jahrhundert<br />

feststellen. Mit dem Wandel der Leibeigenschaft jedoch<br />

erhielten die Leibeigenen in einem Herrschaftsgebiet<br />

oder auf einem Hofgut, das seinen Eigentümer<br />

wechselte, lediglich einen neuen Herrn, dem sie die gleichen<br />

Abgaben wie dem alten Leibherrn entrichten mußten.<br />

Veräußerungen von Personen dagegen verschwinden<br />

aus den Urkunden.<br />

Normalerweise wurde eine Person in die Leibeigenschaft<br />

„hineingeboren", d. h. ein von leibeigenen Eltern - insbesondere<br />

von einer leibeigenen Mutter - geborene<br />

Kind war von Geburt an ebenfalls leibeigen. Andererseits<br />

aber konnte man sich auch freiwillig in die Leibeigenschaft<br />

ergeben, was meist dann geschah, wenn man<br />

im Herrschaftsgebiet eines Leibherrn sich niederlassen<br />

wollte, etwa um dort zu heiraten oder einen Lehenhof<br />

zu bewirtschaften. Der Eintritt in die Leibeigenschaft<br />

geschah stets mit Leib und Gut, d. h. Vermögen.<br />

Ebenso konnte sich ein Leibeigener aus der Leibeigenschaft<br />

freikaufen, wenn er beispielsweise fortziehen<br />

wollte, um anderswo seßhaft zu werden. Solche „Leibsledigungen"<br />

wurden nach Bezahlung einer Geldsumme,<br />

die als Ablösung von Todfall und Hauptrecht zu betrachten<br />

ist und sich nach dem Vermögen des betreffenden<br />

Leibeigenen richtete, durch einen „Manumissionsbrief"<br />

vollzogen.<br />

Die beiden folgenden Urkunden aus dem Staatsarchiv<br />

Sigmaringen - eine Manumission und eine Leibeigenenergebung<br />

- dokumentieren die Freilassung und den<br />

darauf folgenden Eintritt in ein neues Leibeigenschaftsverhältnis<br />

einer Frau, die aus der Herrschaft des Klosters<br />

Salem unter die Leibherrschaft der Schenken von<br />

Stauffenberg übersiedelte.<br />

Wir Johanns, von Gottes Gnaden Abt, und der Konvent<br />

gemeinlich [gemeinsam] des Gottshaus [Klosters]<br />

Sallmenschwyler [Salem] bekennen öffentlich für<br />

uns, unsere Nachkommen und Gottshaus und tun kund<br />

allermänniglich mit diesem Brief [Urkunde], daß wir<br />

vereinten, freien, guten Willens Barbara Widergrinin,<br />

weiland Kaspar Widergrins und Anna Mayerins von Erringen<br />

1 selig eheliche verlassene [hinterlassene] Tochter,<br />

und alle ihre Kinder, so [die] von ihr geboren werden,<br />

auf beschehene Bitte und getanen Abtrag [Entschädigung],<br />

den sie uns bis an unser gut Begnügen [Zufriedenheit]<br />

erlegt und bezahlt hat, ihrer Leibeigenschaft,<br />

damit sie uns und unserm Gottshaus bisher verbunden<br />

gewesen und noch hätten werden mögen [nämlich die<br />

zukünftigen Kinder], gnädiglich erlassen haben und sie<br />

hiermit quitt, frei, ledig und los zählen [erklären] und<br />

sagen, auch wir uns hierauf aller Eigenschaft [Eigentum],<br />

Gewaltsame, Gewere [Besitz], Forderung und Gerechtigkeit,<br />

so wir, unsere Nachkommen und Gottshaus<br />

von solcher Leibeigenschaft wegen zu ihr oder ihren<br />

Kindern, so von ihr geboren werden, jetzt vor oder nach<br />

Tod haben oder füro mit oder ohne Recht - geistlichem<br />

oder weltlichem - überkommen [bekommen] oder suchen<br />

[begehren] möchten,. .. gänzlich verzichtet und<br />

begeben haben, also daß wir, unsere Nachkommen und<br />

Gottshaus sie solcher Leibeigenschaft weiter nicht ansuchen<br />

noch bekümmern sollen noch mögen in keinem<br />

Weg; besonders dieselbe Barbara Widergrinin und alle<br />

ihre Kinder, so von ihr geboren werden, nun hinfüro<br />

wohl andere Herrschaft, Schirm oder Bürgerrecht, wie<br />

und wo sie will, nach ihrem Willen und Gefallen suchen<br />

und an sich nehmen [annehmen] mögen, von uns, unseren<br />

Nachkommen und Gottshaus ganz unverhindert;<br />

und [wir] tun das alles hiermit wissentlich und inkraft<br />

dieses Briefes, daran wir unser Abtei- und gemeinen [gemeinschaftlichen]<br />

Konvents Sekretinsiegel [Siegel] öffentlich<br />

hängen lassen. Geben auf Donnerstag nach dem<br />

heiligen hochlöblichen Fest Pfingsten nach Christi Geburt<br />

1556 Jahre.<br />

Pergamenturkunde mit zwei Wachssiegeln.<br />

Staatsarchiv Sigmaringen, Depositum 38, Gräfl. Schenk<br />

v. Stauffenbergisches Familienarchiv Jettingen, II Wiblingen,<br />

Ulli.<br />

Ich, Barbara Widergrenne von Hermentingen, bekenn<br />

öffentlich und tu kund männiglich mit diesem Brief, daß<br />

ich mit wohlbedachtem Mut, vernünftig meiner Sinne,<br />

durch [um] meinen besseren und frommen Nutzen damit<br />

zu schaffen, auch Schaden soviel möglich zu verhüten,<br />

dieweil ich dann eine Person bin, so [die] mit keinem<br />

Halsherrn beladen, sondern freieigen, so hab ich mich<br />

mit meinen Leib, Leben, Hab und Gütern, auch mit meinen<br />

Kindern, so ich durch Schickung Gottes des Allmächtigen<br />

erbären würde, freiwilliglich, ungezwungen<br />

und ungedrungen ergeben an den edlen und vesten Sebastian<br />

Schenk von Stauffenberg zu Wilflingen; meinen gebietenden<br />

günstigen lieben Junker, alle seiner Veste [Titel]<br />

Erben und Nachkommen, also daß dieselbigen, seine<br />

Veste, Erben und Nachkommen mich, meine Kinder und<br />

all diejenigen, so von meinem Stamm und Namen herkommen<br />

würden, zu einem recht leibeigenen Menschen<br />

frei auf- und angenommen haben, auch daß oftermeldeter<br />

mein günstiger Junker, seiner Veste Erben und Nachkommen<br />

mich und meine Kinder und alle meine Erben<br />

freien, frieden, besitzen, besetzen, beschirmen, behelfen<br />

und in allweg Hand ob mir halten sollen und wollen,<br />

wie dann ein Halsherr seinem leibeigenen Menschen zu<br />

tun gebührt; dagegen gerede und verspreche ich bei meinen<br />

weiblichen Treuen und Ehren für mich und meine<br />

Kinder, auch Kindes Kinder und was von meinem<br />

Stamm und Namen herrührt, in Ewigkeit genannten<br />

meinem Junker, seiner Veste Erben und Nachkommen<br />

getreu, gehorsam ihren Frommen zu schaffen, Schaden<br />

soviel [wie] möglich zu verhüten, auch die Fasnachtshenne,<br />

Fälle oder Hauptrecht, wie sich dann gebührt<br />

und von mir und meinen Kindern und Erben erfordert<br />

würde, allweg zu jeder Zeit tugendlich, freundlich<br />

[ent] richten und bezahlen ohne alle Widerrede und Fürrede,<br />

wie dann ein Eigenmensch seinem Leib- oder Hals-<br />

7


herrn zu tun schuldig [ist] und [ihm] wohl ansteht.<br />

Darauf so hab ich, Barbara Widergrenne, bei meinen<br />

weiblichen Treuen und Eiden zugesagt und versprochen,<br />

was dieser Brief mit allen vor- und nachgesetzten Punkten<br />

und Artikeln [be]inhalt[et] und vermag, für mich<br />

und meine Erben zu ewigen Zeiten und Tagen wahr, fest<br />

und stet zu halten und dawider nimmermehr zu reden<br />

noch zu tun, sondern ich mich dessen freiwilliglich für<br />

mich und meine Erben und alle diejenigen, so von meinem<br />

Stamm und Namen herrühren, ungezwungen und<br />

ungedrungen ergeben habe und tu das wissentlich mit<br />

und inkraft dieses Briefs. Vor solchem allem und jedem<br />

soll mich, meine Kinder und ab derselbigen Gesipp und<br />

Geschlechts nicht freien, frieden, schützen, schirmen keine<br />

Gnade, Freiheit, Gebot, Verbot, Gericht noch Geleit<br />

der Kaiser, Könige, Fürsten, Herren, Städte noch Landgerichte<br />

noch sonst nichts überall, so mir und dann meinen<br />

Kindern und Erben zu Schirm oder Behelf [Hilfe]<br />

erdacht [werden] könnten oder möchten, sondern deren<br />

. . . ganz und gar verzichtet und begeben haben will<br />

JOSEF MÜHLEBACH<br />

Glashütte bei Wald - Ein Gang durch die<br />

Das Dorf Glashütte an der Landesstraße Krauchenwies-<br />

Wald darf unter den Gemeinden des Kreises Sigmaringen<br />

für sich eine siedlungsgeschichtliche Eigenart in Anspruch<br />

nehmen. Es ist wohl die einzige Siedlung im<br />

Kreis, die geschichtlich sehr spät, erst kurz nach 1700 n.<br />

Chr. ins Leben getreten ist. Als die Glashütte im Jahre<br />

1701 als ein Betrieb zur Glasherstellung errichtet wurde,<br />

gab es noch kein Dorf und keine Gemeinde dieses Namens.<br />

Es war eine natürliche Entwicklung, daß sich<br />

manche Beschäftigte der Glashütte an deren Sitz ein Eigenheim<br />

erbauten und daß so im Lauf der Jahrzehnte<br />

eine kleine Siedlung entstand. Als die Siedlung als Gemeinschaftswesen<br />

groß genug war, erfolgte 1830 die Bildung<br />

der politischen Gemeinde Glashütte.<br />

Die Glashütte<br />

Am 7. August 1701 richtete Frau Äbtissin Maria Jakobina<br />

von Bodmann des Hochadligen Stiftes Kloster Wald<br />

an Fürst Meinrad von Hohenzollern-Sigmaringen<br />

schriftlich die Bitte, zu genehmigen, daß auf Grund eines<br />

Angebotes eines Glasmeisters aus Liptingen (bei Stokkach)<br />

in dem dem Kloster gehörenden Wald eine Glashütte<br />

errichtet und zu diesem Zweck der Waldbestand in<br />

erforderlichem Umfang abgeholzt werden dürfe. Der zuständige<br />

Fürstlich-Hohenzollernsche Forstmeister halte<br />

die Errichtung der Glashütte und die Abholzung des<br />

Buchwaldes für den Forst nicht für schädlich. Auch das<br />

Gotteshaus Wald werde durch den Holzeinschlag nicht<br />

geschädigt. Fürst Meinrad genehmigte schon am folgenden<br />

Tag, dem 8. August 1701, die Errichtung der Glashütte<br />

und den Holzhieb mit der Auflage, daß der Glasmacher<br />

an das Fürstlich-Hohenzollernsche Forstamt jährlich<br />

3 Gulden pro recognitione bezahlen müsse. Das Holz<br />

müsse vom Gallustag bis Ende April des nächsten Jahres<br />

gefällt und aufgemacht sein. Daraufhin wurde nach Abschluß<br />

eines Vertrages zwischen dem Kloster Wald und<br />

Glasermeister Abraham Schmid aus den „Schweingruben"<br />

vom 27. September 1701 und nach den erforderlichen<br />

vorbereitenden Maßnahmen die Glashütte eingerichtet<br />

und in Betrieb genommen. Der Vertrag enthielt<br />

8<br />

und tu das wissentlich hiermit inkraft dieses Briefes.<br />

Und das zu wahrer Urkunde und mehrerer Befestigung,<br />

so habe ich, Barbara Widergrenne von Hermentingen,<br />

für mich und meine Erben, [um] alle obgeschriebenen<br />

Punkte und Artikel wahr, stet und fest zu besagen, mit<br />

Ernst und Fleiß gebeten und erbeten den edlen und vesten<br />

Jörg Dietrich Speth von Pflummern, daß er sein eigenes<br />

angeborenes Sekretinsiegel öffentlich an diesen<br />

Brief hat tun aufdrücken, doch ihm auch dero Erben<br />

und Nachkommen in all anderer Weg ohne Schaden.<br />

Geben auf den siebten Tag Novembris, nach Christi Geburt<br />

gezählt 1556 Jahre.<br />

Papierurkunde, Siegel mit Papierdecke.<br />

Staatsarchiv Sigmaringen, Depositum 38, Gräfl. Schenk<br />

v. Stauffenbergisches Familienarchiv Jettingen, II Wiblingen,<br />

U 113.<br />

1 Kr. Biberach.<br />

2 Gem. Veringenstadt Kr. Sigmaringen.<br />

Geschichte des Dorfes<br />

unter anderem für Abraham Schmid die Auflage, jährlich<br />

2000 Glasscheiben an das Kloster Wald zu liefern.<br />

Das Stift Kloster Wald hat dem jeweiligen Glasermeister<br />

von Anfang an und laufend immer wieder Holzeinschläge<br />

im eigenen Wald zum Betrieb der Glashütte genehmigt.<br />

Immer wieder sind auch die vertraglichen Bestimmungen<br />

für den Glashüttenbetrieb geändert und der<br />

Entwicklung des Wirtschaftslebens angepaßt worden. So<br />

hat unter anderem die Äbtissin Maria Antonie Freiin<br />

von Falkenstein im Jahre 1725 dem Glasermeister Abraham<br />

Schmid 9000 Klafter Holz zugesagt. Frau des Glasermeisters<br />

Schmid war Sibilla Schmidin. Sie war am 7.<br />

November 1739 tot. Abraham Schmid ist am 30. Oktober<br />

1745 gestorben. Nach seinem Tod verblieb den Erben<br />

ein ziemlich großer Vorrat an Materialien. Ob der<br />

Betrieb vom November 1745 ab ruhte oder eingeschränkt<br />

weitergeführt wurde, läßt sich nicht ermitteln.<br />

Im Jahre 1749 hat sich dann Balthasar von Schmiedsfelden,<br />

ältester Sohn des Abraham und der Sibilla Schmid,<br />

Glasermeister auf der Herrenberger Glashütte am Eisenbach<br />

bei Isny, um die Glasermeisterstelle in der Waldischen<br />

Glashütte beworben. Das Kloster Wald hat der<br />

Bewerbung entsprochen und dem Balthasar Schmid -<br />

die Schreibweise in archivalischen Aufzeichnungen<br />

wechselt hier von Schmid zu Schmied - am 17. November<br />

1749 „die fernere Fortführung der Glashütte bei<br />

Wald gleich seinem Vater" genehmigt. Balthasar<br />

Schmied war - vielleicht nach einer kurzen Ausbildungszeit<br />

im väterlichen Betrieb - offensichtlich bestrebt,<br />

sich in einer größeren auswärtigen Glashütte besonders<br />

gründliche Kenntnisse und Erfahrungen in der<br />

Glasherstellung anzueignen. Er ist 1761 gestorben. Die<br />

Leitung der Glashütte wurde im gleichen Jahr seinem ältesten<br />

Sohn Abraham von Schmiedsfelsen übertragen.<br />

Dieser stand bei der Fürstlich-Hohenzollernschen Landesregierung<br />

in hohem Ansehen und galt wegen seiner<br />

Leistungen und seiner vortrefflichen Charaktereigenschaften<br />

als eine sehr geachtete Persönlichkeit, erscheint<br />

er doch um 1784 als „Hochfürstlich-Hohenzollern-Sigmaringischer<br />

Hof rat". Nach seinem Tod - das Todesjahr<br />

ist in den Akten nicht verzeichnet - übernahm sei-


Kapelle in Glashütte Bild: Anton Müller, Wald<br />

ne Frau, die verwitwete Hofrätin Maria Regine von<br />

Schmiedsfelsen, die Leitung der Glashütte. 1793 werden<br />

ihr vom Stift Wald, nachdem schon 1784 dem verstorbenen<br />

Ehemann 6000 Klafter Holz aus der Stiftswaldung<br />

genehmigt waren, weitere 3500 Klafter Holz für das<br />

Glaswerk zugesichert.<br />

In einer Beschreibung der der Gnädigsten Herrschaft<br />

Wald um 1780 zugehörenden Schupflehensgüter auf der<br />

Glashütte wird u. a. Glasinspektor Anton Batsch genannt.<br />

Später um 1860 erscheinen als Glasmacher Andreas<br />

Eisele, Pius Dilger und Bernhard Eisele.<br />

Um 1811 hat sich Glasermeister Jakob von Schmiedsf eisen<br />

bei der Fürstlich-Hohenzollernschen Landesregierung<br />

in Sigmaringen um den Aschenbestand im Fürstentum<br />

zur Verwendung in der Glashütter Pottaschensiederei<br />

beworben. Er begründete seinen Antrag mit dem Hinweis,<br />

daß der Aschenbestand des Fürstentums ihm zur<br />

Fortführung seiner Glasfabrik unentbehrlich sei, da ihm<br />

alle Akkorde im Großherzogtum Baden aufgekündigt<br />

worden seien. Die Landesregierung genehmigte dem Jakob<br />

von Schmiedsf eisen die Aschensammlung im Fürstentum<br />

mit Ausnahme des Ortes Thalheim. Die Holzasche<br />

war der Grundstoff für die Gewinnung der Pottasche.<br />

Jakob von Schmiedsfelsen hatte für die Erlaubnis<br />

zur Aschensammlung für die nächsten 6 Jahre einen<br />

Pachtbetrag von 150 fl. an das Fürstlich-Hohenzollernsche<br />

Rentamt zu entrichten (F. Widemann: Die Pottaschengewinnung<br />

in Laiz. „Hohenz. Heimat", 1960,<br />

S. 63).<br />

In einem in Mehrdrucken in Sigmaringer Bibliotheken<br />

vorhandenen Stahlstich aus 1845 (hergestellt vermutlich<br />

bei Tappen) mit den Portraits der Mitglieder der Museumsgesellschaft<br />

Sigmaringen ist u. a. ein Hofrat von<br />

Schmiedsfelsen dargestellt.<br />

Etwa ab 1860 war die Glashütte im Besitz des Glasfabrikanten<br />

Joseph Faller und eines Teilhabers (Faller und<br />

Comp.). Schon um 1780 war ein Franz Joseph Faller in<br />

Glashütte als Inhaber eines Schupflehens der Klosterherrschaft<br />

Wald genannt. Um 1871 war Teilhaber der<br />

Werkleiter Böhringer und um 1874 Glasfabrikant Torna<br />

(Thoma). Joseph Faller blieb mit seinem Teilhaber Besit-<br />

zer der Glasfabrik bis zu deren Auflösung im Jahr 1881.<br />

Die Waldische Glashütte, in der neben den einheimischen<br />

Arbeitskräften auch „Pendler" aus den Nachbargemeinden<br />

Kappel, Rengetsweiler, Otterswang, vorwiegend<br />

aber aus Göggingen beschäftigt waren, betrieb hauptsächlich<br />

die Herstellung von Hohlglas; dieses konnte<br />

farblos, grün, gelb oder braun gefärbt sein. Das farblose<br />

Glas wurde als Weißhohlglas bezeichnet. Daneben wurde<br />

auch Scheibenglas, vorwiegend für Fenster, hergestellt.<br />

Als wichtigste Rohstoffe für die Glasherstellung dienten<br />

Quarzsand, Soda oder Glaubersalz, auch Pottasche (kohlensaures<br />

Kali und Kalk (= Stein) oder Kreide. Den<br />

Quarzsand lieferte lange Zeit das nahe Gelände der Bittelschießer<br />

Riedwiesen und des Walder Berges. Erzeugnisse<br />

waren Flaschen, Trinkgläser, Schüsseln, Röhren,<br />

Vasen, Röhren für Quecksilber-Barometer, ballonartige<br />

Glaskugeln als Fliegenfänger. Das Hohlglas, die einfachste<br />

Art der verschiedenen Glasarten, wurde in einem bestimmten<br />

technischen und chemischen Verfahren hergestellt<br />

und mit Lungenkraft (Mundblasen mit der Glasmacherpfeife)<br />

geformt.<br />

Im Jahr 1874 arbeiteten in der Glashütte bei einer sechsstündigen<br />

Arbeitszeit 44 Jugendliche zwischen 13 und 16<br />

Jahren, 3 Arbeiterinnen und 46 Arbeiter. Die Jugendlichen<br />

mußten, soweit sie zum Schulbesuch verpflichtet<br />

waren, die durch die Beschäftigung versäumten Unterrichtsstunden<br />

wenigstens zum Teil durch Privatunterricht<br />

nachholen. Die Arbeitszeit der Frauen betrug einschließlich<br />

einer Stunde Pause 8 Stunden. Sie begann<br />

morgens um 4 Uhr und endete mittags um 12 Uhr. Der<br />

durchschnittliche Wochenlohn der Arbeiterinnen betrug<br />

8 Mark. Die Werkleitung begründete der amtlichen Gewerbeaufsicht<br />

(Oberamt und Regierung) gegenüber die<br />

Notwendigkeit der Beschäftigung Jugendlicher mit dem<br />

Hinweis, daß es sich um ganz leichte, nicht ermüdende<br />

Arbeit handle, für die der Einsatz erwachsener Arbeiter<br />

nicht lohnend sei. In der Hauptsache bestehe die Arbeit<br />

darin, daß die Kinder fertige Gläser mit einer Gabel den<br />

Glasmachern abnehmen und in den Kühlofen legen müßten.<br />

Für solche Arbeit seien ältere Arbeiter überhaupt<br />

nicht zu bekommen, und so wäre das Werk ohne Mitarbeit<br />

der Jugendlichen in seiner Existenz gefährdet.<br />

9


Dem Betrieb der Glashütte diente ein Werkgebäude, das<br />

erstmals kurz nach 1800 als Glasfabrik bezeichnet ist.<br />

Neben dem Hauptwerkgebäude bestanden ein Pottaschen-Siederei-Gebäude,<br />

ein Azetylengas-Gebäude und<br />

ein Motorgebäude. Als Wohnhaus der letzten Inhaber<br />

der Glashütte gilt das heute im Besitz der Familie Friedrich<br />

Schmieder befindliche stattliche Anwesen, im Volksmund<br />

noch vereinzelt Herrenhaus geheißen (Haus Nr.<br />

18).<br />

Absatzgebiet der Erzeugnisse der Walder Glashütte war<br />

neben dem einheimischen Markt vor allem die nahe<br />

Schweiz, die jedoch nach dem Deutsch-Französischen<br />

Krieg 1870/71 sich Lieferanten aus dem Elsaß zuwandte.<br />

Der Rückgang der Absatzmöglichkeiten war e i n<br />

Grund für die Gefährdung der Wirtschaftlichkeit unserer<br />

Glashütte. Dazu kam der Mangel an Rohstoffen<br />

für die Glasbereitung. Ein weiterer, sich noch bedenklicher<br />

auswirkender Grund war, daß sich im Zuge der Industrialisierung<br />

die Massenglasherstellung auf technisch<br />

hochleistungsfähige Glasverarbeitungsbetriebe verlagert<br />

hat. (So werden z. B. heute von einer einzigen vollautomatischen<br />

Maschine 100 000 Flaschen in 24 Stunden erzeugt).<br />

Die technische Entwicklung zur industriellen<br />

Massenfabrikation in der Glasherstellung hat sich für<br />

unsere Glashütte leider dahin ausgewirkt, daß sie mit ihrem<br />

vorwiegend handwerklichen Betrieb dem steigenden<br />

Bedarf an Glasartikeln nicht mehr entsprechen konnte<br />

und gegenüber industriellen Großfabriken nicht mehr<br />

konkurrenzfähig war. So kam es im Jahr 1881 zur Einstellung<br />

des Betriebes der Walder Glashütte, ein Schicksal,<br />

das andere Glashütten in ähnlicher Lage auch getroffen<br />

hat. Die Werkgebäude der Glashütte sind im Jahre<br />

1887 abgebrochen worden.<br />

Die Gemeinde<br />

Die Wohnsiedlung ist mit der Leistungssteigerung des<br />

Glaswerkes langsam und stetig gewachsen. Immerhin<br />

brauchte es rund 130 Jahre, bis sie so groß war, daß sie<br />

eine wirtschaftlich selbständige und lebensfähige Gemeinschaft<br />

bildete. Das Jahr 1830 brachte dann die Anerkennung<br />

der Siedlung als politische Gemeinde durch<br />

folgende Verordnung der Fürstlich-Hohenzollernschen<br />

Landesregierung Sigmaringen vom 18. Oktober 1830:<br />

„Nachdem die Glasfabrikation auf der Glashütte bei<br />

Wald zur Zeit aufgehört hat und die dortigen Bewohner<br />

sich die geeigneten Wohnungen sammt einigen Grundstücken<br />

erworben haben, so verleihen Wir den daselbst<br />

angesiedelten Familien für ihre Wohnungen die erforderlichen<br />

Hofstattrechte und die Berechtigung, eine eigene<br />

Gemeinde unter dem Namen Glashütte zu bilden . . .<br />

Dieselben haben hiernach von ihren Häusern, Gründen<br />

und übrigem Vermögen alle Steuern und Abgaben vom<br />

1. November 1830 angefangen gleich anderen Unterthanen<br />

zu tragen." (Sammlung der Gesetze und Verordnungen<br />

für das Fürstenthum Hohenzollern-Sigmaringen<br />

3. Band. 1830. S. 252).<br />

Das Kloster Wald und die der Klosterherrschaft zugehörenden<br />

Einwohner, also auch die Bewohner in Glashütte,<br />

waren Untertanen der Fürstlich-Hohenzollernschen<br />

Herrschaft Sigmaringen. Als 1806 durch die Rheinbundakte<br />

das Kloster aufgehoben wurde, fiel das Gebiet der<br />

Klosterherrschaft an das Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen.<br />

Das die Klosterherrschaft umfassende Gebiet<br />

wurde ein Oberamt der Fürstlich-Hohenzollernschen<br />

Herrschaft. Das Oberamt blieb nach dem Übergang Hohenzollerns<br />

an Preußen (1850) noch bis 1862 bestehen,<br />

wurde in jenem Jahr in das Preußische Oberamt Sigmaringen<br />

und nach dessen Umwandlung in einen Kreis<br />

1925 in den Landkreis Sigmaringen eingegliedert.<br />

10<br />

Die Gemeinde Glashütte mit einer Gemarkungsfläche<br />

von 179 Hektar, 643 M - NN, hat zur Zeit 90 Einwohner.<br />

Im Jahre 1875, als der Glashüttenbetrieb noch<br />

einigermaßen gute Beschäftigungsmöglichkeiten bot, hatte<br />

die Gemeinde 158 Einwohner.<br />

Das Erwerbsleben gründete sich nahezu ausschließlich<br />

auf die Landwirtschaft. Zwei Branntweinbrennereien,<br />

eine Bierbrauerei, der Gasthof „Adler", der schon 1831/<br />

32 als Wirtshaus genannt wird, gehören als ehemalige<br />

Gewerbebetriebe der Vergangenheit an. Eine Schreinerei<br />

kleineren Umfanges und die moderne Kegelbahn im<br />

„Adler" haben sich noch in die Gegenwart gerettet. Wenige<br />

Pendler finden in Betrieben der Nachbargemeinden<br />

Beschäftigung.<br />

Für die Gemeinde Glashütte konnten folgende Bürgermeister<br />

ermittelt werden:<br />

ab 1831 Josef Batsch<br />

ab 1837 Johann Halder<br />

ab 1846 Georg Halmer<br />

ab 1856 Johann Nepomuk Bauer (Baur)<br />

ab 1861 Thaddä Halder<br />

ab 1871 Pius Dilger (gestorben im Dezember 1877)<br />

ab 1878 Thaddä Halder<br />

ab 1905 Adolf Fischer<br />

ab 1921 Albert Halder<br />

ab 1923 Andreas Batsch<br />

ab 1949 Paul Halder<br />

ab 1963 Liberat Schlachter<br />

Kirchliches und Schulisches<br />

Im Jahr 1702 hat die Glashütte für ihre Beschäftigten<br />

eine dem hl. Jakob geweihte Kapelle erhalten. Da damals<br />

Freifrau Maria Jakobina von Bodmann Äbtissin<br />

des Klosters Wald war (1681 bis 1709), liegt die Vermutung<br />

nahe, daß die Jakobskapelle dieser Äbtissin, die den<br />

Bau betrieben hat, ihren Heiligen verdankt. Die Kapelle<br />

ist 1846 abgebrochen worden. Im gleichen Jahr wurde<br />

eine neue, wieder dem hl. Jakob geweihte Kapelle erbaut.<br />

1910 wurde sie - vermutlich irrtümlicherweise,<br />

vielleicht auch deshalb, weil um jene Zeit die Verehrung<br />

des hl. Josef der Volksfrömmigkeit näher stand als die<br />

Verehrung des hl. Jakob - dem hl. Josef geweiht. Die<br />

neue Kapelle ist ein einfach verputzter Backsteinbau mit<br />

einer lichten Höhe von 4,30 Meter, einem biberschwanzbedeckten<br />

Satteldach mit offenem hölzernem Glockenbock<br />

und zinkbedecktem Spitzhelm. Die Ausstattung<br />

umfaßt einen Tabernakel aus Holz, bemalt, Mitte 18.<br />

Jahrhundert, eine mittelalterliche Josefsstatue, bemalt,<br />

ein Kruzifix aus dem 18. Jahrhundert und ein neuzeitliches<br />

Herz-Jesu-Altarbild im Nazarenerstil.<br />

Glashütte war bis 1835 Filiale der Pfarrei Wald. Schon<br />

am 22. Mai 1706 hat die Äbtissin des Zisterzienserinnen-<br />

Klosters Wald dem Prälaten der Zisterzienser-Abtei Salem<br />

berichtet, die Bewohner der Glashütte seien angewiesen,<br />

die Pfarrkirche Wald zu besuchen, eine naheliegende<br />

Regelung, weil die Glashütte dem Stift Wald seine<br />

Entstehung verdankte. Das im Jahr 1212 gegründete Zisterzienserinnen-Kloster<br />

Wald war schon bald nach seiner<br />

Gründung der Zisterzienser-Abtei Salem unterstellt<br />

worden. Im Jahr 1835, also rund 30 Jahre nach der<br />

Aufhebung des Walder Klosters, wurde Glashütte als Filiale<br />

der Pfarrei Walbertsweiler zugeteilt. Die Pfarrei<br />

Walbertsweiler gehörte mit den Filialen Glashütte und<br />

Kappel zum Dekanat Sigmaringen.<br />

Glashütte hat bis vor wenigen Jahren zur Volksschule<br />

Kappel gehört. Seit 1970 ist Glashütte schulisch der<br />

Grundschule Rengetsweiler (1. bis 4. Schuljahr) und der<br />

Hauptschule Wald (5. bis 9. Schuljahr) zugeordnet.


Aus der Vorgeschichte<br />

In der bewaldeten Hochebene nordöstlich von Kappel,<br />

etwa halbwegs zwischen Glashütte und Otterswang, liegen,<br />

besser gesagt, lagen in dem Walddistrikt Grubenjagen<br />

vier späthallstattzeitliche Grabhügel von ungleicher<br />

Größe nahe beieinander. Uber die Ausgrabung eines der<br />

größeren Grabhügel im Juli 1882 berichtet Pfarrer<br />

J. Baur in Dietershofen im 17. Jahrgang 1883/84 der<br />

Hohenzollerischen Mitteilungen S. 49. Die Ausgrabung<br />

habe höchst interessante und aufschlußreiche Funde erbracht,<br />

u. a. Bronceringe, Ohrringe, zerbrochene Urnen,<br />

Fibeln (Gewandnadeln), einen breiten eisernen Dolch,<br />

kleine Stücke grünes Tafelglas (nicht von der Glashütte<br />

herrührend), einen schlanken Dolch aus Eisen. Die Grabhügel<br />

von Harthausen/Scher, Habsthal und Ziegelholz<br />

gen, der Fürstengrabhügel von Vilsingen und die Grabhügel<br />

von Harthausen/Scher, Habsthal und Ziegelholz<br />

bei Sigmaringen in die jüngere Hallstattzeit (Früheisenzeit),<br />

und zwar in die Kulturstufe Hallstatt D, etwa 700<br />

bis 500 v. Chr., zu datieren. Im Fürstlichen Museum in<br />

Sigmaringen sind die Funde entsprechend dieser Vorgeschichtsperiode<br />

eingereiht. Die Funde von Kappel,<br />

Habsthal, Ziegelholz und Harthausen sind ähnlich: Sogenannte<br />

Antennendolche, broncene Gürtelbleche u. a.<br />

(Nach Aufzeichnungen von Gewerbeschuldirektor a. D.<br />

Joh. Jerg, Sigmaringen).<br />

Eine bedeutsame Ringburg der frühgeschichtlichen Zeit<br />

ist die zwischen Glashütte und Weihwang liegende<br />

Volksburg, heute „Schloßbühl" genannt. In früheren geschichtlichen<br />

Aufzeichnungen erscheint das Bodendenkmal<br />

als Hünaburg oder Heunenburg. Der österreichische<br />

Geometer Bleicher, Saulgau, der 1784 das Amt Wald<br />

vermessen hat, wußte mit der Bezeichnung „Hünaburg"<br />

nichts anzufangen und hat dem Bergzug den katasteramtlichen<br />

Namen „Schloßbühl" gegeben. Die Ringburg<br />

als solche wurde 1881 von Oberst von Cohausen entdeckt<br />

und skizziert. Sie hat eine Länge von 194 Metern<br />

und eine Breite von 82 Metern. Die Hünaburg hat doppelten<br />

Wall und Graben. Die Zufahrt ging vom Kehlbach<br />

auf. Das Walder Urbar vom Jahr 1501 nennt die<br />

Anhöhe wiederholt Hünaburg. In einer Grenzbeschreibung<br />

des Walder Amtes von 1602 lautet der Name Heunenburg<br />

und Hünenburg. In einer Aufzeichnung über<br />

die Errichtung der Glashütte heißt es, daß 8 Stück Vieh<br />

und 2 Pferde um die Glashütte gegen die Heunenburg<br />

ausgetrieben werden dürfen. Heute wird diese Heuneburg<br />

als früh mittelalterlich angesehen, ähnlich wie die<br />

Alte Burg von Langenenslingen.<br />

Ein Haigerloch-Buch<br />

Kleinodien aus einer großen Vergangenheit nennen die<br />

Herausgeber das neue Bildbuch über Haigerloch. Es ist<br />

schon ein paar Monate auf dem Markt, aber da es sich<br />

bei solchen Werken allgemein — und bei diesem im Besonderen<br />

- um Arbeiten handelt, die Marken setzen<br />

und für lange gültig bleiben werden, darf man an dieser<br />

Stelle auch heute noch (und erst) darauf eingehen. Sieht<br />

man die Namen der beiden Herausgeber, ist Garantie<br />

für gutes Gelingen eigentlich gegeben: Marquart Guide<br />

und Hermann Zöhrlaut. Der eine ein wirklich altgedienter<br />

Heimatfreund und Freund Haigerlochs insbesondere,<br />

als Priester und als Kunstverständiger; der andere als ein<br />

Mäzen, deren es viel zu wenige gibt. Die Fotos steuerten<br />

bei Bert Boger, Stuttgart und Foto-Weber, Haigerloch,<br />

in der großen Mehrzahl aber Dr. Hellmut Hell, der be-<br />

Das Gemeindewappen<br />

Der Gemeinde Glashütte ist vom Staatsministerium<br />

Württemberg-Hohenzollern am 19. September 1947 die<br />

Führung eines eigenen Wappens genehmigt worden. Das<br />

Wappen zeigt - in gespaltenem Schild - vorne ( = links<br />

vom Beschauer) in schwarz einen doppelreihig rot-silbern<br />

geschachteten Schrägbalken, hinten (= rechts) in<br />

Gold ein kelchförmiges rotes Glas. Der Zisterzienserbalken<br />

erinnert an die frühere Zugehörigkeit zum Kloster<br />

Wald. Das Kelchglas weist darauf hin, daß der Ort seine<br />

Entstehung der hier vom Zisterzienserinnenkloster Wald<br />

im Jahr 1701 ins Leben gerufenen Glashütte verdankt.<br />

Die Selbständigkeit der Gemeinde, die auch im Gemeindewappen<br />

zum Ausdruck kommt, hat leider mit dem<br />

Ende des Jahres 1974 aufgehört. Zum 1. Januar <strong>1975</strong> ist<br />

die Gemeinde Glashütte zusammen mit anderen Gemeinden<br />

der Umgebung im Zuge der Gemeindereform in die<br />

Gemeinde Wald eingegliedert worden. Der bisherigen<br />

Gemeinde Glashütte verbleiben ein Ortsvorsteher (zusammen<br />

mit Kappel) und ein Vertreter im Gemeinderat<br />

Wald.<br />

Quellen:<br />

Gemeindearchiv Glashütte.<br />

Akten im Fürstl. Hohenz. Haus- und Domänenarchiv Sigmaringen.<br />

Staatsarchiv Sigmaringen. Preuß. Oberamt Sigmaringen. Ho<br />

199. VIII. 64.4.<br />

Kloster Wald. 62.2.<br />

Genzmer: Die Kunstdenkmäler Hohenzollerns. Bd. Kreis Sigmaringen,<br />

Sigmaringen 1948, S. 125.<br />

Friedrich Eisele: Die Patrozinien in Hohenzollern. Freib. Diözesan-Archiv.<br />

N. F. 33. Bd. 1932, S. 114.<br />

Edmund Bercker: Die Kirchen-, Kapellen- und Altarpatrozinien<br />

im Kreis Sigmaringen. Arbeiten zur Landeskunde Hohenzollerns.<br />

Heft 6. Sigmaringen 1967.<br />

Dr. Joh. Schupp. Hohenzollerische Regesten aus den Pfullendorfer<br />

Archiven. Hohenz. Jahreshefte. 9. Bd. 1941-1949.<br />

In den Regesten ist von Dr. Schupp für Glashütte für das<br />

Jahr 1688 folgende Aufzeichnung gemacht: „Heinrich Gros<br />

Naar, Kohlbrenner ab der Glashütte, hat dem Spital 2 Haufen<br />

„mit Koll" gebrannt binnen 35 Tagen und Nächten." Diese<br />

Aufzeichnung kann für unsere Glashütte nicht zutreffen, weil<br />

um 1688 die Glashütte noch nicht bestand. Während in den<br />

weiteren Regesten der Ortsbezeichnung Glashütte die Kennzeichnung<br />

„bei Wald" oder „beim Stift Wald" beigefügt ist,<br />

fehlt diese Angabe für das Jahr 1688. Hier muß es sich also<br />

um eine andere Glashütte handeln.<br />

Wappenbuch des Landkreises Sigmaringen. Verlag Kohlhammer<br />

Stuttgart. 1958, S. 25.<br />

kannte Reutlinger Kunstfotograf . . . und darin liegt<br />

schon unsere eigene Schwierigkeit und unsere Grenze:<br />

ein Bildband, zumal einen so hervorragenden nach Blickwinkel,<br />

Einfühlungsvermögen und handwerklicher Gediegenheit,<br />

muß betrachtet, nicht in Worten beschrieben<br />

werden. Mit seinem knappen Text, den Stadtpfarrer<br />

Guide schrieb, der auch die ganze Ausstattung besorgte,<br />

will das Buch bewußt und ausdrücklich anschließen an<br />

das übrige, vorausgegangene Schrifttum über Haigerloch,<br />

angefangen seit 1950. - Dieses „Haigerloch" ist ein<br />

Buch, dessen Aufnahmen besonders wohltun nach derr.<br />

heute täglich erzwungenen Blick auf die trostlose Wohnund<br />

öffentliche Architektur, wie sie weithin zu sehen ist.<br />

Ein Buch aber auch, das einem fern lebenden Hohenzoller<br />

vielleicht einmal zum Geschenk höchst willkommen<br />

wäre. Es sei ohne Einschränkung hiermit empfohlen.<br />

11


MANFRED HERMANN<br />

Zum Barockmaler Johann Schiander in Trochtelfingen<br />

Verschiedene archivalische Funde machen es notwendig,<br />

einen Nachtrag zum Artikel „Die Maler Schiander in<br />

Inneringen und Trochtelfingen" 1 zu schreiben. Der Aufenthalt<br />

der aus Altingen (Kr. Tübingen) stammenden<br />

Familie Schiander in Inneringen begann mit der Anstellung<br />

des Georg Anton als Mesner und Schulmeister (ludimoderator)<br />

durch die dortige Pfarrgemeinde am<br />

26. 7. 1697 1 . Offensichtlich versah jedoch der Vater Silvester<br />

den Mesnerdienst bis zur Heirat seines Sohnes am<br />

24. 10. 1700, da ihn das Inneringer Taufbuch am<br />

12. 1. 1699 „aedituus" nennt. Neben dem Vater und der<br />

Mutter Anna Maria Rösch (t 2. 6. 1699) war sicherlich<br />

noch ein zweiter Sohn dort ansässig, nämlich der Maler<br />

Johann Schiander, der 1699, als Maler von Inneringen<br />

bezeichnet, für die St. Georgskirche zu Burladingen tätig<br />

war. Indirekt finden wir ihn in den Verhörsprotokollen<br />

der Herrschaft Jungnau zum 26. 4. 1706 erwähnt, als er<br />

- „der Bruder des Mesners" - im Wirtshaus mit dem<br />

Schultheiß Peter Metzger in eine Auseinandersetzung geriet.<br />

Zu meiner Überraschung fand ich im Neufraer Ehebuch<br />

3 den Heiratseintrag für den Maler: „1. Mai 1706<br />

- Sponsalia contraxerunt Joannes Schiander et Maria<br />

Anna Emmin". Bei der Braut handelt es sich möglicherweise<br />

um eine Trochtelfinger Bürgerstochter, die Trauzeugen<br />

gehören nach Neufra. Wie aber kam der Maler,<br />

zu dessen Familie sich dort keine weitere Angaben finden<br />

lassen, in den Ort an der Fehla?<br />

Das Schicksal der Familie des Johann Schiander läßt<br />

sich in Trochtelfingen, der damals fürstenbergischen<br />

Oberamtsstadt, weiterverfolgen. Hier war er nach dem<br />

Tod des Malers Josue Klingenstein, der verschiedentlich<br />

in Trochtelfinger Heiligenpflege-Rechnungen erscheint 4 ,<br />

der einzige Vertreter seines Berufes. Fünf Kinder schenkte<br />

ihm in den folgenden Jahren seine Ehefrau (Franz Ignaz<br />

* 30. 11. 1706 5 , Maria Antonia * 27. 11. 1707, Maria<br />

Josepha * 6. 9. 1709, Christian Tiberius 25. 12. 1710<br />

und Joseph Benedikt * 30. 3. 1713). Bemerkenswert sind<br />

deren Paten, die sich zum Zeichen der Verbundenheit<br />

mit dem Ehepaar zur Verfügung stellten: Einmal ist<br />

es bei allen Kindern der Trochtelfinger Stadtpfarrer<br />

Benedikt Schmid 6 , dann bei den ersten vier das wohledle<br />

Freifräulein Maria Antonia Speth von Zwiefalten<br />

zu Neufra 7 . Diese persönlichen Beziehungen des Malers<br />

verdienen Beachtung, da sie auf Aufträge schließen<br />

lassen. Vermutlich fanden die Sponsalien deswegen in<br />

Neufra statt, weil Johann Schiander im dortigen Schloß<br />

mit Malerarbeiten beschäftigt war. Offensichtlich hatte<br />

er sich das Vertrauen der Neufraer Ortsherrin verdient.<br />

Als sicher erscheint es, daß der Maler für die Trochtelfinger<br />

Pfarrkirche St. Martin gearbeitet hat, die ja nicht<br />

weniger als sechs Altäre besaß. Leider sind alle diese<br />

nicht mehr vorhanden, und zu allem Unglück fehlen<br />

auch noch die Heiligenpflege-Rechnungen aus der Zeit<br />

von Schlanders Aufenthalt in Trochtelfingen, so daß wir<br />

uns kein Bild seiner Tätigkeit am Ort mehr machen<br />

können. Mitentscheidend für die Niederlassung im fürstenbergischen<br />

Oberamtsstädtchen dürften die persönlichen<br />

Beziehungen Schlanders zu den Pfarrern Daniel<br />

Ülin (1698-1715 Seelsorger in Inneringen) und Benedikt<br />

Schmid, dessen Nachfolger in Trochtelfingen, gewesen<br />

sein.<br />

12<br />

Nach Notizen des allerdings nur kurz in Trochtelfingen<br />

tätigen Pfarrverwesers Roman Hohl 8 ist 1711 der Maler<br />

Johann „Schwander" um 57 fl. als Bürger angenommen<br />

worden. Dabei hatte er wie jeder Neubürger in Trochtelfingen<br />

einen Feuerkübel zu liefern. Die Aufnahme in<br />

das Bürgerrecht wurde in der Regel von der Einzünftung<br />

abhängig gemacht. Die Trochtelfinger Zunftordnung<br />

9 bestimmte 1716: „Kein Lediger oder Verheirateter<br />

soll ohne Verwilligung der Zunft für sich selbst arbeiten<br />

oder eine Werkstätte führen, es sei denn, daß er<br />

als Meister anerkannt ist und sich der Zunft einverleibt<br />

hat, auch seine Gebühr nach Brauch abgestattet hat".<br />

Dies bedeutet jedoch nicht, daß Schiander vor 1711<br />

nicht hätte selbständig arbeiten können. Ohne Zweifel<br />

hatte man ihn gegen eine jährliche Gebühr als Hintersassen<br />

angenommen. Ab dem 2. 4. 1717 gehörte er als Maler<br />

zu der damals errichteten sogenannten „Geschenkten<br />

Zunft", deren Herberge sich im Gasthaus „Zur Krone"<br />

befand 10 . Am 24. 1. 1718 kaufte sich Johann Schiander<br />

ein eigenes Haus, ein Zeichen, daß er sich einen bescheidenen<br />

Wohlstand erworben hatte. Wie bereits berichtet,<br />

starb der Maler am 14. 11. 1737 in Trochtelfingen ohne<br />

vorausgehende Krankheit und unversehen eines plötzlichen<br />

Todes. Weitere Feststellungen zu seiner Familie,<br />

etwa über ihr späteres Schicksal, sind mir nicht mehr gelungen.<br />

Jedenfalls übernahm keiner der Söhne, sondern<br />

der Mitarbeiter Johann Bommer aus Aulendorf 11 die<br />

Malerwerkstätte.<br />

Beim sorgfältigen Studium der Neufraer Heiligenpflege-<br />

Rechnungen 12 (HR) zeigte sich, daß Johann Schiander<br />

als der „Maler von Trochtelfingen" öfters mit kleineren<br />

Arbeiten betraut wurde. HR 1710/11: „Dem Mahler<br />

vmb die schwarze fahnen Stangen zu mahlen geben 1 fl 4<br />

xr. Dem Mahler von Trochtelfingen wegen zwei Pahlen<br />

zu mahlen bezalt 24 xr". Allerdings erhielt er den Auftrag<br />

für ein Fahnenblatt nicht: „Item Joseph Riegel maurer<br />

von dem schwarzen fahnenblatt auf Pfullendorf und<br />

den fahnen wider herunder zu tragen vollen lohn geben<br />

30 xr". Wahrscheinlich ließ man das Blatt bei Dominik<br />

Kretzdorn 13 oder bei dem 1712 als Bürger in Pfullendorf<br />

angenommenen Anton Maulbertsch 14 aus Rottweil<br />

fertigen. HR 1712/13: „Dem mahler von Trochtelfingen<br />

wegen 2 Bluemensteckh 20 xr". HR 1716/17: „Dem<br />

schreiner von Ringingen 15 von 2 blindtrammen zue machen<br />

1 fl 30 xr. Item vor das Altarblath bezalt 30 fl.<br />

Vor 2 Antependia bezalt 3 fl 5 xr. Dem Mahler von<br />

Trochtelfingen wegen 4 Bluemensteckhen zue mahlen geben<br />

22 xr". Dabei ist es fraglich, ob man Schiander ein<br />

großes Altargemälde anvertraut hat. Zudem ist in Neufra<br />

keine Arbeit mehr erhalten geblieben, die sich mit<br />

Schiander in Verbindung bringen ließe. HR 1720/21:<br />

„Item dem mahler von Trochtelfingen fasserlohn von<br />

zwey Engel 2 Fl". HR 1722/23: „dem Mahler von<br />

Trochtelfingen vor ein antipendium zu mahlen bezalt 2<br />

fl 15 xr". HR 1725/26: „Dem Mahler von Trochtelfingen<br />

vor ein fahnenblättlein und Stangen 4 fl 24 xr".<br />

Letztmals wird Schiander in HR 1726/27 allerdings<br />

ohne Angabe eines genauen Auftrages erwähnt. Aus all<br />

diesen kleinen Beschäftigungen wird deutlich, daß<br />

Schiander nicht so sehr ein Kunstmaler war, sondern mit<br />

handwerklichen Anstreicherarbeiten das tägliche Brot<br />

verdiente. Hinzu kamen öfters die Fassung von Schnitz-


arbeiten und gelegentlich ein Tafelbild. Immerhin<br />

scheint er zwischen 1700 und 1730 im Raum Gammertingen<br />

und Trochtelfingen der meistbeschäftigste Mann<br />

seines Berufes gewesen zu sein. Dabei ist es möglich, daß<br />

der Stammvater der Gammertinger Malersippe Reiser,<br />

Anton 16 , 1720/25 bei ihm seine erste Ausbildung emp-<br />

zeichnend für die Einschätzung Schlanders durch die<br />

Klosterfrauen von Mariaberg ist jedoch, daß sie das<br />

Hauptblatt des Altares nicht ihm, sondern einem jungen<br />

und modernen Meister übertrugen, nämlich dem 31 jährigen<br />

Franz Joseph Spiegier 17 . Im Vergleich mit ihm<br />

wirkt Schlanders Gemälde altertümlich und hausbacken.<br />

Kettenacker, Pfarrkirche. Ölgemälde auf Holz an der nördlichen Chorwand: ölberg<br />

von Joh. Schiander um 1720. Bild: M. Hermann<br />

fing. Jedenfalls kommt dem Trochtelfinger Maler auf<br />

Grund seiner Stellung doch eine gewisse Bedeutung zu.<br />

Für den Hinweis Dr. Burkarths in Gammertingen 1 auf<br />

das Rundbild „Die Flucht nach Ägypten" am Antipendium<br />

des Altares in der Bronner Filialkirche, die einst zu<br />

Mariaberg gehörte, müssen wir dankbar sein. Ist dieses<br />

Gemälde neben den acht Kartuschenbildern am Hochaltar<br />

der Marienkapelle in Melchingen das bisher einzigbelegte<br />

für den Trochtelfinger Maler Schiander, da es in<br />

den Klosterrechnungen Mariabergs 1719/20 heißt: „Dem<br />

Maler von Trochtelfingen für das Josephs-Antipendium<br />

bezahlt - 11 fl". Dabei bezieht sich der Eintrag deutlich<br />

auf die Bronner Kirche. Das Bild vermittelt uns eine<br />

Vorstellung vom Malstil Schlanders um 1720; es ist das<br />

Werk eines einfachen, aber doch künstlerisch geschulten<br />

Meisters, der Beachtung verdient. Als besondere Eigenart<br />

erscheinen am Mantel der Gottesmutter und am Umhang<br />

des Joseph parallellaufende, zuweilen auch gedrehte Faltenstege<br />

mit dunklen Tälern dazwischen, ein Merkmal,<br />

das uns bei Zuschreibungen helfen kann. - Be-<br />

Gleichwohl sich in den Kirchen rund um Trochtelfingen<br />

und Gammertingen nur noch wenige Gemälde zwischen<br />

1700 und 1730 finden, läßt sich immerhin ein Bild aufgrund<br />

obengenannter Merkmale Johann Schiander zuschreiben:<br />

Ein Ölberg-Gemälde 18 , an der nördlichen<br />

Chorwand der Pfarrkirche in Gammertingen-Kettenakker.<br />

Es ist auf zwei breite Holzbretter gemalt, von breitem<br />

Rahmen umgeben, der oben in einen von einem<br />

Kreuz gekrönten Halbkreis mit Inschriftmedaillon ausläuft:<br />

„Vater/ nicht mein Wille, sondern/ der deine geschehe./<br />

Luk XXII K. XLII V". Es ist ein Nachtbild, in<br />

dunklen Farben gemalt. Niedergebeugt von der Last der<br />

Sünden, kniet Christus in der oberen Bildmitte mit betend<br />

erhobenen Händen, den Kopf zum Engel empor gewandt,<br />

der links oben im lichterfüllten Wolkenkranz erscheint<br />

und dem Herrn in der Linken einen Kelch, in der<br />

Rechten das Kreuz darbietet. Der Stoff seines hellen Gewandes<br />

ist eng gefältelt, wie wir es auf dem Antipendium<br />

der Bronner Kirche beobachten konnten; von der<br />

Schulter Jesu ist der Mantel niedergeglitten und am<br />

13


Rücken umgeschlagen, beidseitig läuft er in einem Zipfel<br />

am Boden aus. Im Vordergrund unten sitzen bzw. liegen<br />

im Schlaf versunken drei Apostel. Petrus hat seinen Rükken<br />

gegen eine Erhöhung gelehnt und stützt das müde<br />

Haupt mit der rechten Hand, quer über den Schoß hält<br />

er mit der Linken das Schwert in breiter Scheide. Die<br />

Züge seines Gesichtes erinnern an den Joseph in Bronnen.<br />

Links sitzt der jugendliche Johannes, im Gegensinn<br />

zu Petrus ausgeführt, ihm ist der Kopf auf die linke<br />

Schulter gesunken, die Arme hält er übereinander auf<br />

den Schoß gelegt. Hinter ihm liegt Jakobus auf einer<br />

kleinen Anhöhe mit angewinkelten Armen, das aufrechte<br />

Haupt in der linken Armbeuge, von der rechten Hand<br />

Anmerkungen:<br />

1 Hohenz. Heimat (HH) 24. Jhg/1974, S. 45 f.<br />

2 Laut Mesner-Besoldungsordnung vom 27. 7. 1777, in: Liber<br />

Anniversariorum Ecclesiae Inneringanae - begonnen 1733,<br />

pag 62 f. PfArchiv Inneringen.<br />

3 PfArchiv Neufra, Ehebuch 1649-1724.<br />

4 Erwähnt seit 1630-1653.<br />

5 Das Kind starb vier Tage später, der Eintrag im Totenbuch<br />

nennt den Vater „pictor" = Maler.<br />

6 Pfarrer Benedikt Schmid wurde als Nachfolger des nach<br />

Inneringen gewechselten Dekans Daniel Ülin am 30. 6. 1698<br />

auf die Pfarrei Trochtelfingen präsentiert. Er starb als Dekan<br />

am 10.9. 1716 im Alter von 57 Jahren. Vgl. Friedrich<br />

Eisele, Zur Geschichte Trochtelfingens, in: Mitteilungen des<br />

Vereins für Geschichte und Altertumskunde in Hohenzollern,<br />

Jhg. 1908/09, 104 f.<br />

7 Tochter des Neufraer Ortsherrn Hans Dietrich Speth von<br />

Zwiefalten (1631-1704) und der Anna Eleonora geb.<br />

Schnewlin-Bärlapp zu Bollschweil. Nach dem Tod des Vaters<br />

wird sie das „hochwohlgeborene Freyle" bzw. Domiceila<br />

genannt. Sie starb am 15. 4. 1735, vom Totenbuch als<br />

„wahrhafte Mutter der Armen und Bedrängten" gepriesen.<br />

Ein weiteres Zeichen für ihre Verbundenheit mit dem Volk<br />

ist die Tatsache, daß sie sich unzählige Male als Taufpatin<br />

zur Verfügung stellt.<br />

8 Ca. 1824 in Trochtelfingen. Die Notizen sind mitgeteilt von<br />

Johann Adam Kraus in HH 1956, S. 14.<br />

ROBERT FRANK<br />

gehalten. Rechts im Hintergrund naht sich der Verräter<br />

Judas mit einer Rotte Soldaten.<br />

Genau wie das Bronner Rundbild auf dem Antipendium<br />

des Altares zeigt das Gemälde in Kettenacker keine besondere<br />

Qualität, steht andererseits doch weit über naiver<br />

Volkskunst. Es ist das Werk eines ländlichen, freilich<br />

künstlerisch geschulten Meisters, der einfache Ansprüche<br />

voll zufrieden stellen konnte. In der Feinheit der Pinselführung<br />

kann sich Schiander jedoch kaum mit dem Meister<br />

des Kettenacker Hochaltar-Bildes 19 messen, das<br />

wohl in einer Rottenburger Werkstatt 1693 entstanden<br />

ist.<br />

9 Friedrich Eisele, s. Anm. 6, Mitteilungen 1904/05, S. 64.<br />

10 wie Anm. 9, S. 68.<br />

11 S. Anm. 1.<br />

Weildorf im 1 6. Jahrhundert (Fortsetzung und Schluß)<br />

3.3. Leibherrschaft<br />

Die Leibeigenschaft war unabhängig von der Größe des<br />

Besitzes (es konnte auch der Leibherr sein, dem kein<br />

Grundbesitz des Leibeigenen gehörte). Sie ging von der<br />

Mutter auf sämtliche Kinder über (war also die Mutter<br />

zollerisch, so wurden ihre Kinder auch zollerische Leibeigenen).<br />

Für den Leibherrn war es äußerst wichtig, daß seine<br />

Leibeigenen, wollten sie vielleicht nach auswärts (in ein<br />

anderes Dorf z. B.) heiraten, sie die Erlaubnis des Leibherrn<br />

einholen mußten. Denn: Der Leibherr mußte wissen,<br />

wo seine Leibeigenen aufzufinden sind. Die Leibherrschaft<br />

war nämlich ein einträgliches Geschäft, da dem<br />

Leibherrn das Hauptrecht zustand. Dieses bestand ursprünglich<br />

beim Manne aus dem besten Stück Vieh oder<br />

der besten Wehr mit Gewand, und bei der Frau aus dem<br />

besten Gewand, das sie an kirchlichen Festtagen trug. Das<br />

Hauptrecht wurde beim Tode des Leibeigenen eingezogen<br />

und entspricht heute in etwa der Erbschaftssteuer.<br />

14<br />

12 im PfArchiv Neufra.<br />

18 Johann Schupp, Künstler und Kunsthandwerker der Reichsstadt<br />

Pfullendorf, 1952, S. 11, Nr. 25.<br />

14 wie Anm. 13, S. 10, Nr. 22. Ausstellungskatalog Franz Anton<br />

Maulbertsch, Wien-Halbturn-Heiligkreuztal/Gutenbrunn<br />

1974, S. 13 u. 19.<br />

15 Wohl Raimund Hascher von Hechingen, der 1716 nach<br />

Ringingen heiratete und 1726 starb. Oder einer seiner Brüder<br />

Hansjörg und Philipp. Johann Adam Kraus, Kunst<br />

und Kultur in den Heiligenrechnungen von Burladingen, in:<br />

HH 1959, S. 44.<br />

16 Manfred Hermann, Volkskunst auf dem Hochberg bei<br />

Neufra, Sigmaringen 1974, S. 33.<br />

17 Hermann Ginter, Südwestdeutsche Kirchenmalerei des<br />

Barock - Konstanzer und Freiburger Meister des 18. Jahrhunderts,<br />

Augsburg 1930, S. 168. Das Gemälde zeigt die<br />

Vermählung Mariens und ist signiert und datiert: Franz<br />

J. Spiegier invenit et pinxit 1722.<br />

18 öl auf Holz, 77 x 69.5 cm.<br />

19 öl a. Leinwand, 132.5x96 cm ohne Rahmen. Das Gemälde<br />

zeigt eine Kreuzigung mit Maria und Magdalena, dazu<br />

Engel mit Leidenswerkzeugen, darüber Gott Vater. Maler<br />

Bartholomäus örtle aus Rottenburg?<br />

Dieses Hauptrecht (auch Hauptfall genannt) bestand um<br />

die Mitte des 16. Jahrhunderts in der Grafschaft Zollern<br />

(somit auch in der Herrschaft Haigerloch) schon aus einer<br />

Geldabgabe, wie ich aus den Nachträgen im Leibeigenenverzeichnis<br />

von 1548 entnehmen konnte. Das Hauptrecht<br />

stand damals den Zollern zu, bzw. sie nahmen es für<br />

sich in Anspruch.<br />

Wenn eine Verknüpfung von Leibeigenschaft mit dem<br />

Besitz vorhanden ist, spricht man von Realleibeigenschaft<br />

38 . Dies war in Weildorf und wohl in ganz Zollern<br />

nicht der Fall. Denn Leibeigene anderer Leibherren<br />

als den Zollern z. B. haben trotzdem von den Zollern<br />

Besitz als Lehen bekommen.<br />

Ist eine Verknüpfung von Leibeigenschaft mit der Gerichtsherrschaft<br />

vorhanden, nennt man dies Lokalleibeigenschaft.<br />

Eisele nennt es personale Leibeigenschaft 39 .<br />

So sind in Weildorf und in der ganzen Grafschaft die<br />

Zollern wohl die Gerichtsherren; sie sind aber noch nicht<br />

die alleinigen Leibherren. Die Zollern haben also um die


Mitte des 16. Jahrhunderts die Lokalleibeigenschaft noch<br />

nicht erreicht, aber sie versuchen, diese zu erreichen, was<br />

gleich gezeigt werden soll. So verhauptrechten die Zollern<br />

solche Leibeigene, die gar nicht die ihrigen sind 40 .<br />

Die anderen Leibherren werden gar nicht gefragt, gar<br />

nicht beachtet. Desweiteren werden diejenigen, die keinen<br />

Herrn haben, also solche, die ihren Leibherrn entweder<br />

vergessen haben oder denen er nicht mehr nachjagt (z. B.<br />

zu große Entfernung: die Verhauptrechtung ist nicht<br />

mehr rentabel), einfach zu Zollern gezählt. Sie werden<br />

auch in das Leibeigenenverzeichnis aufgenommen, das<br />

„alle und jede leibaigen leut, in und usserthalb baider<br />

Grafschaft Zollern und Herschafft Haigerloch" 41 enthält.<br />

Eisele hat zudem in den Nachträgen feststellen können,<br />

daß auch die „Freien" verhauptrechtet wurden 4ä .<br />

Aus all diesem kann man erkennen, daß die Zollern versuchten,<br />

alleiniger Leibherr in ihrem Territorium zu<br />

werden.<br />

3.3.1. Die Einwohnerschaft Weildorfs um die Mitte des<br />

16. Jahrhunderts<br />

Weildorf zählt laut dem Leibeigenenverzeichnis von<br />

1548 43 175 Einwohner, davon 69 Erwachsene (32 Männer,<br />

37 Frauen), das sind nicht ganz 40 Prozent der Einwohnerschaft.<br />

Bei den Kindern überwiegen die Knaben<br />

mit 58 an der Zahl, die Mädchen mit 48.<br />

Besonders auffallend ist der hohe Anteil derjenigen unter<br />

den Einwohnern, die keinen Herrn haben (siehe oben),<br />

nämlich 53,75 Prozent. Unter diesen gibt es selten Freie,<br />

in Weildorf jedenfalls nicht. Von der Leibeigenschaft befreite<br />

bzw. losgekaufte gibt es zwei Männer, Alt Benedict<br />

Fischer 44 hat sich von den Bubenhofern für 20 Gulden<br />

losgekauft. Hans Wolff 45 hat sich vom Bistum<br />

Augsburg „der Leibeigenschaft erkauft". Die Höhe des<br />

Betrages ist nicht genannt.<br />

Der Anteil der Zollern beträgt zu dieser Zeit rein rechnerisch<br />

knapp 16 Prozent (28 Leibeigene). Es folgen<br />

Österreich mit 12, der adlige Hans v. Stein zu Uttenweiler<br />

mit elf, die Herrschaft Wehrstein mit neun Leibeigenen.<br />

Noch Georg v. Ow zu Hirrlingen hat sechs<br />

Leibeigene, Württemberg lediglich zwei. Rechnet man<br />

nun die Einwohner, die keinen Herrn haben, zu den zollerischen<br />

Leibeigenen, was faktisch ja schon geschieht, so<br />

hat Zollern schon einen Anteil von knapp 70 Prozent an<br />

der Einwohnerschaft.<br />

Man darf natürlich die aus dem Leibeigenenverzeichnis<br />

ermittelte Einwohnerzahl Weildorfs nicht absolut nehmen.<br />

So fehlen in diesem Verzeichnis z. B. vier Hofinhaber;<br />

umgekehrt sind solche Leute aufgeführt, für die ich<br />

keinen Lehenbesitz feststellen konnte (dies sind wahrscheinlich<br />

dann Tagelöhner).<br />

Hauptfall (Hauptrecht)<br />

Der Hauptfall, fällig beim Tode eines Leibeigenen, stand<br />

um die Mitte des 16. Jahrhunderts zum größten Teil der<br />

Herrschaft zu. Bei der Einziehung dieser Abgabe mußte<br />

notgedrungen auf die Vermögensverhältnisse des Verstorbenen<br />

Rücksicht genommen werden. So heißt es ein-<br />

Johann Wiest gestorben<br />

Am 2. März wurde in seinem Heimatort Rangendingen<br />

Oberlehrer i. R. Josef Wiest beerdigt. In der letzten<br />

Nummer der „Hohenz. Heimat" hatten wir ihm noch zu<br />

seinem 80. Geburtstag gratulieren können und seine Verdienste<br />

um unsere Zeitschrift und die hohenzollerische<br />

mal von einer Frau, sie war „gar arm der vall vertragen<br />

um 5 ß". Wo nicht viel ist, kann nicht viel gefordert<br />

werden.<br />

Der Hauptfall bestand in der Grafschaft Zollern um die<br />

Mitte des 16. Jahrhunderts schon aus einer Geldabgabe.<br />

So konnte ich im Leibeigenenverzeichnis und in den Renteirechnungen<br />

der Herrschaft Haigerloch u. a. folgende<br />

Werte ermitteln: sechs Gulden, drei Gulden, vier Gulden,<br />

viereinhalb Gulden.<br />

Leibhenne<br />

Ausleute mußten zur Erweisung der Leibeigenschaft, soweit<br />

ich feststellen konnte, jährlich auf Martini eine<br />

„Leibsteuer" von einer Fastnachtshenne (Leibhenne in<br />

diesem Fall) und fünf Schilling entrichten. Hier ist die<br />

Fastnachtshenne eine leibherrliche Abgabe (sie ist auch<br />

eine gerichtsherrliche Abgabe).<br />

Ausleute<br />

Unter Ausleuten, die zu Weildorf gehören, konnte ich<br />

eine „Anna Pfisterin" 46 , Tochter des Jörg Pfisters feststellen.<br />

Sie hatte sich unerlaubt nach Bildechingen (bei<br />

Horb) verheiratet und muß deshalb zur Strafe 30 Pfund<br />

Heller (eine ungeheure Summe) bezahlen, die sie dem<br />

Keller zu Haigerloch abliefern muß, der auch verhauptrechtet.<br />

Desweiteren hat sie dem Amtmann (Vogt) in<br />

Weildorf jährlich zur Fastnachtszeit eine Fastnachtshenne<br />

zur Erweisung der Leibeigenschaft abzuliefern.<br />

Schluß<br />

Wie man sehen konnte, war das Leben der Bauern von<br />

der Herrschaft genau reglementiert. Vor allem waren die<br />

Bauern mit einer Unzahl von Abgaben auf Grund und<br />

Boden, Abgaben für Frondienste, Abgaben für die eigene<br />

Person (Leibeigenschaft) belastet. Sie mußten den „Staat"<br />

tragen, wozu sich Zollern anschickte einer zu werden.<br />

Einem Teil der Bauern mit den großen Lehen mag es ein<br />

bißchen besser ergangen sein als denen mit ihren Kleinund<br />

Kleinstlehen. Doch allen wird gemeinsam gewesen<br />

sein, daß sie ihr ganzes Leben von Kindheit auf schuften<br />

mußten.<br />

Wir geben diese Arbeit verkürzt wieder und lassen die<br />

zahlreichen und sehr aufschlußreichen Tabellen weg. Sie<br />

führen zu weit in das Spezielle, während die Arbeit auch<br />

ohne sie sehr informativ ist.<br />

D. Red.<br />

Anmerkungen:<br />

38 Zu Real- und Lokalleibeigenschaft siehe Th. Knapp, Der<br />

Bauer im heutigen Württemberg . . ., S. 88-100.<br />

39 Eisele, Studien zur Geschichte . . ., S. 35.<br />

40 FAS 103,9; Blatt 44 a.<br />

41 Ebenda, Vorwort.<br />

42 Eisele, Studien zur Geschichte . . ., S. 35.<br />

43 Die Erneuerung der Leibeigenen fand in Weildorf am<br />

21. 12. 1548 statt.<br />

44 FAS 103,9; Blatt 44 a.<br />

45 Ebenda, Blatt 45 a.<br />

46 Ebenda, Blatt 41 a.<br />

Geschichtsforschung gewürdigt. Wiest war Ehrenmitglied<br />

des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>es. Vom<br />

Verein wurde am Grabe ein Kranz niedergelegt und in<br />

einer Ansprache auf die Verdienste des Verstorbenen<br />

hingewiesen. Für die „Hohenz. Heimat" wird er als<br />

langjähriger Schriftleiter unvergessen bleiben.<br />

15


Register 1974<br />

Albgemeinden Melchingen, Ringingen, Salmendingen bäuerlichen Vorfahren 6<br />

im 16. Jahrhundert 18 Kraus, Johann Adam, Zum 70. Geburtstag 5<br />

Baudenkmäler, Verluste 32 Mauz, Dr. Joseph (Ivo Mauthner) 39<br />

Benzingen und Steinhilben, Adelsgeschlechter 40 Mundart<br />

Daigger, Herkunft, Name und Verbreitung 28<br />

Mundart<br />

Mundart<br />

26<br />

44<br />

Neufra, Muttergotteskapelle (Geburt Christi)<br />

Dehner, Karl, Verfasser der Sigmaringendorfer Neufra, Obere Mühle 15<br />

Chronik 39 Neufra, Speth'sches Schlößle 64<br />

Denkmalspflege, Mengen 32 Oberamtmänner und Landräte in Hohenz. 1. Teil 9<br />

Fabrikordnung von Karlstal (Quellenbeispiel) 56 Oberamtmänner und Landräte in Hohenz. 2. Teil 22<br />

Gabele, Anton, Großvater mußte brummen 47 Ostrach, Die Schlacht von Ostrach (Bild) 1-2<br />

Galluskapelle, Ringingen 4 Rangendingen, Alte Advents-, Weihnachts- und<br />

Gammertingen und das Kloster St. Gallen 54 Neujahrslieder 50<br />

Hechingen als Reisetip 64 Sanitätsberichte über das Fürstentum Hohenzollern-<br />

Hettingen, Mühlen 15 Sigmaringen 1833/34 (Dr. Heyfelder) 34<br />

Heufeld, Hechinger Wege 3 Schiander, Maler in Inneringen und Trochtelfingen 45<br />

Heyfelder, Joh. Ferdinand, Dr. med. 33 Schmeie, Verschmutzung 48<br />

Hochalblandschaft (Entstehung) 42 Schilling, Xaver, Meersburg 38<br />

Hochberg bei Neufra, Volkskunst 21 Steinhilben, Adelsgeschlechter 40<br />

Hohenz. Geschichte, Arbeiten zur Hohenz. Gesch. 32 Veringenstadt, Postgeschichte 30<br />

Hohenz. Geschichte, Veröffentlichungen 1973 15 Volksmedizin (Fortsetzung) 41<br />

Inneringen, die einstige Sebastianskapelle 51 Volkssprüche von der Alb 54<br />

Inneringen, Hl. Kümmernis 7 Wand- und Bodenfliesen 27, 56<br />

Inneringen, Zur Pfarr- und Kunstgeschichte 13 Weildorf im 16. Jahrhundert 59<br />

Junginger Pfarrerliste 55 Wiest Josef, Zum 80. Geburtstag 64<br />

Kalenderjahr, Tage und Gezeiten unserer Wildenstein wieder offen 17<br />

Aufgeklärtes „Bilderrätsel"<br />

Aus den alten Glas-Negativen, die sich in der Hohenzollerischen<br />

Landessammlung befinden, hat Dr. Herbert<br />

Burkardt in Heft 4/1973 ein hohes Fachwerkhaus abgebildet,<br />

das gerade abgebrochen wurde, und die Frage<br />

gestellt, ob jemand wüßte, wo das war. Die Aufnahme<br />

entstand vermutlich vor der Jahrhundertwende. Jetzt<br />

hat H. H. Pfarrer Justinus Bernhardt in Tuttlingen<br />

uns geschrieben und die Lösung vorgelegt: es handelt<br />

sich nicht um einen Bau in Hohenzollern, sondern um<br />

die sogenannte „Hochwacht" in Mühlheim an der Donau.<br />

Vor wenigen Wochen ist das Richtfest zu einem Nachfolge-Bau<br />

gefeiert worden; der Abbruch des Hauses hat<br />

sich, wie Pfarrer Bernhardt schreibt, über Jahrzehnte<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

herausgegeben vom Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

in Verbindung mit den Staatlichen<br />

Schulämtern Hechingen und Sigmaringen.<br />

Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />

748 Sigmaringen, Karlstr. 3.<br />

Drude: M. Liehners Hofbuchdruckerei KG,<br />

748 Sigmaringen, Karlstraße 10.<br />

Die Zeitschrift „Hohenzollerische Heimat"<br />

ist eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie<br />

will besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />

mit der Geschichte ihrer Heimat<br />

vertraut machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />

auch populär gehaltene Beiträge<br />

aus der Geschichte unseres Landes.<br />

Sie veröffentlicht bevorzugt Beiträge, die<br />

im Schulunterricht verwendet werden<br />

können.<br />

Bezugspreis: 2,00 DM halbjährlich<br />

Konten der „Hohenzollerischen Heimat":<br />

802 507 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />

123 63 Postscheckamt Stuttgart<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

Dr. Herbert Burkarth, Gammertingen<br />

Josef Mühlebach,<br />

Landesverwaltungsrat i. R., Sigmaringen<br />

Johannes Wannenmacher, Schulrat i. R.,<br />

Gammertingen<br />

Dr. Maren Kuhn-Rehfus,<br />

Staatsarchiv, Sigmaringen<br />

Manfred Hermann, Pfarrer, Neufra<br />

Robert Frank, Lehrer, Weildorf<br />

Redakteur:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

7487 Gammertingen<br />

49<br />

hingezogen. Er selber sah noch den Rest davon vor wenigen<br />

Jahren. „Inzwischen ist die alte ,Hochwacht' völlig<br />

verschwunden", schreibt der Genannte, „an ihrer Stelle<br />

wird jetzt eine neue gebaut. Diese wird allerdings nicht<br />

in Fachwerkbauweise, sondern in Massivbauweise errichtet,<br />

allerdings in der Form der alten ,Hochwacht' sehr<br />

ähnlich." Aus einem Artikel des „Gränz-Bote" vom<br />

26. 11. 1974 und einem beigefügten Foto ist ersichtlich,<br />

daß das Haus das älteste in Mühlheim war und aus<br />

dem 14. Jahrhundert stammte. Da es nie unter Denkmalschutz<br />

stand, verschwand es allmählich, nachdem 1972<br />

Bemühungen des Denkmalamtes, es zu erhalten, gescheitert<br />

waren. Immerhin erhält es einen einigermaßen entsprechenden<br />

Nachfolgebau. Wir danken Herrn Pfarrer<br />

Bernhardt für seine freundliche Mühe. fr.<br />

Redaktionsausschuß:<br />

Hubert Deck, Konrektor<br />

745 Hechingen, Tübinger Straße 28<br />

Telefon (07471) 2937<br />

Waither Fridc, Journalist<br />

748 Sigmaringen, Hohe Tannen<br />

Telefon (07571) 8341<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />

die persönliche Meinung der Verfasser<br />

wieder; diese zeichnen für den Inhalt<br />

der Beiträge verantwortlich. Mitteilungen<br />

der Schriftleitung sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiter!<br />

oder Redaktionsausschusses erbeten.<br />

Wir bitten unsere Lrser, die „Hohenzollerische<br />

Heimat" weiter zu empfehlen.


HÖH ENZOLLERISCHE<br />

HEIMAT<br />

Herauagegeben oom<br />

W3828 F<br />

Hohenzollerifchen Gefchichtaocrein<br />

25. Jahrgang Nr. 2 /Juli <strong>1975</strong><br />

ßn. st heute eine große, noch immer wachsende Industriegemeinde,<br />

die auch bei der Kreisreform ihre Selbständigkeit bewahren konnte. Foto: H. Burkarth<br />

Die Stadt Ebingen besaß neben dem Dorf Ehestetten das<br />

Dorf Bitz. Am 26. September <strong>1975</strong> sind 143 Jahre verflossen,<br />

seit sich Bitz von der Stadtgemeinde Ebingen<br />

loskaufte. Nicht von heute auf morgen konnte aber Bitz<br />

seine Selbständigkeit erwerben, vielmehr mußten langwierige<br />

Prozesse und Streitigkeiten ausgefochten werden,<br />

bis endlich die streitenden Parteien zu einer friedlichen<br />

Einigung gelangten. Nur mit schwerem Geld, einer Ablösungssumme<br />

von 23 000 Gulden, wurden die Hoheitsrechte<br />

erkauft. Für die 1832 erst etwa 700 Einwohner<br />

zählende Gemeinde Bitz mag diese Summe keine Kleinigkeit<br />

gewesen sein, da dieses Geldopfer dem dürftigen<br />

Boden abgerungen werden mußte. Dazu gehörten ehrba-<br />

FRITZ SCHEERER<br />

Bitz und Ebingen<br />

re, biedere Menschen, voll schaffensmutigem, freiem<br />

Sinn, denen heute noch Dank und Anerkennung geziemt.<br />

Wie es zu der Abhängigkeit gekommen ist, wie die Selbständigkeit<br />

errungen wurde und wie die Freiheit weder<br />

zum Schaden noch zur Schande geworden ist, möchte in<br />

folgendem gezeigt werden.<br />

Die Landschaft um Bitz<br />

Die Markung Bitz liegt auf der Hochfläche der Alb, inmitten<br />

der Hügellandschaft der Kuppenalb, zwischen<br />

dem Schmeiental im Westen und Fehlatal im Norden<br />

und Osten, in einer Hche von 774 bis 928 m. Das Dorf


ist an zwei durch eine flache Mulde getrennten Hügeln<br />

südlich angelehnt. Die beiden einstigen Quelläste des<br />

Harthauser Tales, das heute infolge der Verkarstung<br />

trocken ist, umfassen in einem nordöstlichen und südwestlichen<br />

Talbogen das Kerngebiet der Markung. Dieses<br />

liegt fast ganz wie das Harthauser Tal innerhalb des<br />

Hohenzollerngrabens, der hier von Nordwesten nach<br />

Südosten durchstreicht und dessen Grabenfüllung sich<br />

beim „Auchten" etwa 50 m, im Südosten beim Hof Hermannslust<br />

etwa 45 m tiefer stellt. So werden die dichten<br />

Felsenkalke und die zuckerkörnigen Kalke, die außerhalb<br />

des Einbruchs die Buckel bilden, neben die weniger<br />

widerstandsfähigen Gesteinsschichten des obersten Weißjura<br />

gestellt. Die geschichteten Plattenkalke und die tonreichen<br />

Zementmergel sind außerhalb des Einbruchs<br />

schon abgetragen, während sie im Graben erhalten geblieben<br />

sind und sanfte Hänge oder weitausgedehnte<br />

ebene Flächen bilden, wie bei Freudenweiler, bei Hermannslust<br />

und im Harthauser Tal. Die große, lichte<br />

Mulde zwischen „Schlichte" (Ebene) und „Kienerhalde"<br />

liegt in den Zementmergeln, im „Trieb" dagegen ist nahezu<br />

die ganze einstige Schichtfüllung bis auf einige<br />

Plattenkalkreste entfernt, so daß in einem großen Bogen<br />

um diese „Schüssel" die Felsenkalkränder mit ihren typischen<br />

Schwammstotzen freigelegt sind. Die engen und<br />

die weiten Talformen haben ihren Grund im fortwährenden<br />

Wechsel des Gesteins.<br />

Die Plattenkalkvorkommen sind bevorzugte Ackerplatten<br />

infolge der guten, milden Böden, der größeren<br />

Feuchtigkeit des Untergrundes und der sanfteren Böschung<br />

der Hänge. So legt sich eine geschlossene Ackerflur<br />

rund um den Ort, wo die Flurteile „Auchten" und<br />

„Banweg" über Bankkalken, „Trieb" über Plattenkalken<br />

liegen. Im Süden schließt sich die große Weitung im<br />

Harthauser Tal an, wo die Mergelböden tiefgründiger<br />

sind. Auf wasserführenden Weiß-Zeta-Schichten liegen<br />

die Wiesen zwischen „Auchten" und „Hutzenbiihl",<br />

ebenso zwischen „Ried" und „Riedbühl". Im großen<br />

ganzen bildet die Wiesenflur meist einen schmalen Gürtel<br />

und neigt oft zur Austrocknung („Ehrenbuch"), da<br />

wir nirgends eine obere Entwässerung finden. Die „Zetaschüsseln"<br />

sind heute rings von höheren bewaldeten<br />

Kuppen des Massenkalks umrahmt, wie die Gruppe beim<br />

„Bocksberg" in der südlichen Markung, wie beim „Riedbühl",<br />

„Kitzesberg" usw.<br />

Frühzeitig erkannten die Siedler, daß die Buckel für Akkerbau<br />

wenig geeignet sind, und so erklärt sich auch die<br />

heutige Verteilung des Gemeindewaldes auf die Buckel<br />

und die Steilhänge der Täler, die die Gemarkung rings<br />

umgeben. Nadelwald wechselt mit Buchenwald, Heide<br />

und Mischwald. Aber eines fehlt, das leise Dahinmurmeln<br />

eines munteren Bächleins. Dafür begegnet man aber<br />

immer wieder den wuchtigen Felsen gleich trotzigen<br />

Recken als Hüter des Waldes.<br />

Wer die Markung durchwandert, hat das Gefühl, ja die<br />

bestimmte Überzeugung, daß diese bald muldenartig<br />

breiten, bald zwischen Felsen oder waldigen Buckeln<br />

eingeengten Hohlformen einst Wasser führten, wie die<br />

Täler der Starzel, Fehla und Schmiecha. Nur ist es größtenteils<br />

schwer, in diesem Wirrwarr von Mulden und<br />

Senken die Richtung der einstigen Gewässer festzustellen.<br />

Ein großes Netz von Trockentälern schneidet sich<br />

im „Degerfeld", andere umziehen Bitz nach allen Richtungen<br />

(nach Burladingen, Gauselfingen, Neufra, Harthausen,<br />

Winterlingen, hinab zum Schmeiental bei Ehestetten).<br />

Die Durchlässigkeit des Gesteins, das Fehlen einer<br />

wasserstauenden tonigen Schicht, Erdfälle, Höhlen<br />

und Spalten und damit das Absinken des Grundwasserspiegels<br />

unter die Talsohle der Haupttäler sind die<br />

18<br />

Gründe für ihre Trockenlegung. Durch weite Felder von<br />

Dolinen sind das Hermannsdorfer- und Teufelstal, das<br />

Winterlinger-, Roßberg- und Tiefental unterirdisch angezapft.<br />

Dabei entstand ihr ungleichförmiges Gefälle.<br />

Wie weit diese Verkarstung gediehen ist, zeigte sich vor<br />

Jahren deutlich in der Verunreinigung der Hermentinger<br />

Quelle durch Abwässer von Bitz.<br />

Das Landschaftsbild um Bitz weist also einen reichen<br />

Wechsel von Wald, Wiese, Steppenheide und Feld auf.<br />

Der Gesichtskreis ist belebt durch die auf- und absteigenden<br />

Linien der waldigen Buckel. Im Kranze seiner<br />

Hügel und Wälder gelegen ist Bitz außer von Inneringen<br />

wohl von keiner der Albhöhen aus sichtbar, gewährt<br />

aber bei klarem Wetter eine wunderbare Fernsicht. Wer<br />

sich dem Dorf aus irgend einer Richtung nähert, sieht es<br />

meist erst aus geringer Entfernung durch eine Waldoder<br />

Hügellücke.<br />

Einblick in frühere wirtschaftliche Verhältnisse gewähren<br />

und vor allem die Flurnamen. Da die Böden ziemlich<br />

mager, das Klima rauher als im Albvorland und in den<br />

Tälern ist und der Ort lange in einem beengenden Abhängigkeitsverhältnis<br />

gestanden hat, ist die Zahl der<br />

Flurnamen verhältnismäßig gering und galt es immer<br />

wieder, freies Feld für Weide und Ackerbau zu schaffen.<br />

Der Wald mußte gerodet werden. So haben wir in vielen<br />

Namen das Stammwort „Reut" („Ried", „Kritter").<br />

Auch andere Flurnamen weisen auf einstigen Wald hin,<br />

wie „Hauen", „Gairen", „Schwant". 1683 wurden 535<br />

Morgen Reutäcker gegenüber nur 190 Morgen Zelgäkkern<br />

vermerkt.<br />

In älterer Zeit war die Weidewirtschaft von großer Bedeutung,<br />

vor allem auch im Verhältnis mit Ebingen<br />

(s. unten), worauf „Auchten" (= Nachtweide), „Roßstelle",<br />

„Kuhstelle", „Trieb", „Viehstrichen", „Ochsenweide"<br />

hinweisen. Im „Schweigstall" und „Galthaus" wurde<br />

das Vieh untergebracht. „Kitzesberg" und „Geißenkanzel"<br />

weisen darauf hin, daß die Ziegen dort ihre Weiden<br />

hatten. „Gausers Gärtie" war der Platz für die Gänse.<br />

„Bräunenen" mag von braun herkommen, der Farbe dieses<br />

Weidelandes im Sommer. Der Weidebetrieb ging erst<br />

zurück, als die Bitzer nach dem Loskauf über ihre Markung<br />

frei verfügen konnten und die Stallfütterung allgemein<br />

üblich wurde. Immer hat sich aber, je mehr die Bevölkerung<br />

zunahm, ein Landhunger bemerkbar gemacht.<br />

Ja, die Markung reichte zum Unterhalt der Einwohner<br />

des Ortes nicht mehr aus; es mußten neue Wege beschritten<br />

werden. Doch davon weiter unten.<br />

In vorgeschichtlicher Zeit<br />

Bitz ist keineswegs eine Siedlung aus jüngster Zeit, wenn<br />

auch der Name des Ortes erst am Anfang des 14. Jahrhunderts<br />

in „Bützer velt" auftritt, 1356 als „Bütz", 1431<br />

als „Bütze" (Bitz = eingezäuntes Landstück). Der Name<br />

deutet auf eine herrschaftliche Siedlung des Hochmittelalters,<br />

und zwar auf eine Neusiedlung, deren Anlegung<br />

jedoch undurchsichtig bleibt.<br />

Mag es in der Steinzeit auf den Höhen von Bitz zu keiner<br />

Dauersiedlung gekommen sein, so waren doch Menschen<br />

auf dem Durchzug oder zu kurzem Aufenthalt auf<br />

unseren Bergen. Aus Grabhügeln der Bronze- und Hallstattzeit<br />

rund um den Ort oder von dem umfangreichen<br />

Siedlungsplatz in der Flur „Kritter" kamen reiche Funde<br />

zum Vorschein. Im benachbarten Degerfeld herrschte<br />

vor 2500 Jahren ein vielfältiges Leben. Um das Jahr 75<br />

n. Chr. verschoben die Römer ihre Reichsgrenze an den<br />

Nordwestrand der Alb. Dem Albrand entlang errichteten<br />

sie mit einer Kastell-Linie und einer Straße den sogenannten<br />

Alblimes. Von Süden herkommend führte über


Die ehemalige Dorfkirche von Bitz<br />

den „Dürrenbühl" die Römerstraße Laiz-Burladingen.<br />

Scherbenfunde lassen Sennhütten vermuten, die vielleicht<br />

zu den großen römischen Höfen in Ebingen gehörten.<br />

Die im „Steigle" gefundenen alemannischen Reihengräber<br />

bezeugen, daß sich an der Stelle des heutigen Bitz<br />

spätestens im 7. Jahrhundert alemannische Siedler niedergelassen<br />

haben. Der Name für diese Siedlung ist nicht<br />

überliefert, so daß anzunehmen ist, daß sie bald wieder<br />

eingegangen ist. Die Markung wurde von Ebingen beansprucht,<br />

denn im 7./8. Jahrhundert dürfte sie zum<br />

Pfarrsprengel Ebingen geschlagen worden sein, bei dem<br />

sie bis 1841 verblieb.<br />

Die Herren von Lichtenstein<br />

Eine Urkunde aus dem Jahr 1386 sagt uns, daß Bitz damals<br />

und wohl schon längere Zeit vorher zu dem Besitz<br />

der Herren von Lichtenstein gehörte, die auf einer Doppelburg<br />

über dem Fehlatal bei Neufra, PU Stunden von<br />

Bitz entfernt, saßen, deren Ruinen von den Bitzern heute<br />

noch „D'Schlösser" heißen. Die beiden durch einen<br />

Grat verbundenen Burgen gehörten zusammen. Erstmals<br />

urkundlich erwähnt werden die Lichtensteiner 1278. Die<br />

Grafen von Zollern nennen sie „unsere Diener". Sie waren<br />

also Lehensmannen der Zollerngrafen. Swenger von<br />

Lichtenstein stiftete 1332 eine Nikolauskapelle zu Neufra.<br />

Auch die Kapelle zu Bitz, die 1386 erstmals genannt<br />

wird, war dem heiligen Nikolaus geweiht und mit einem<br />

Widumhof ausgestattet. Nach einer alten Urkunde sorgte<br />

Swigger von Lichtenstein dafür, „daß die Armen Leüth<br />

zu Bütz mit einem Priester versehen würden". Uber das<br />

weitere Verhältnis der Grundherren zu Bitz ist außer<br />

dem Kaufvertrag mit Ebingen nichts bekannt. Das neue<br />

Wappen von Bitz mit einem silbernen Flügel im Schild<br />

auf blauem Grund erinnert noch an die Herren von<br />

Lichtenstein.<br />

Bitz unter Ebinger Herrschaft<br />

Am 4. November 1386 ging Bitz durch Kauf in den Besitz<br />

der Stadt Ebingen über. Mit Einwilligung Schweikharts<br />

von Lichtenstein des Alten und Hans und Ulrich<br />

Gebrüder, seiner Söhne, wurde das Dorf verkauft „mit<br />

Leut, Gut, Gericht, Hirtenstab, Bannlehen, Holz, Feld,<br />

Aecker, Wies usw. als ein Recht ledig und unbekümmert<br />

Eigen um 210 Pfund Heller dem Schultheißen und Bürgern<br />

gemeiniglich". Von da ab fühlten sich die Ebinger<br />

auch wirklich als die Herren von Bitz. Das Dorf wurde<br />

behandelt, als ob die Stadt Landesherr wäre, ähnlich wie<br />

die Reichsstädte ihre untertänigen Dörfer. 1744 unterzeichnete<br />

sogar der Bürgermeister Krimmel als „Seigneur<br />

de Bitz", und in Ebingen hieß es: „Bitz ist unser!" Es ist<br />

wohl selten, daß eine württembergische Stadt, die nicht<br />

Reichsstadt war, eine derartige Territorialherrschaft bis<br />

in die neuere Zeit ausgeübt hat. Die Stadt war auch<br />

stolz, eigenen Landbesitz zu haben.<br />

Ebingen erhob Umgeld und Landgarbe, legte selbständig<br />

Strafen und Bußen auf; es übte bis 1590 sogar „die malefizische<br />

Obrigkeit oder Kriminaljurisdiktion" selbst<br />

aus. Es durfte in Bitz ohne Zuziehung der Stabsbeamten<br />

den Dorfvogt wählen und Ruggericht halten. Die hohe<br />

Gerichtsbarkeit trat dann die Stadt 1590 an den Herzog<br />

ab. Alle übrigen landesherrlichen und niedergerichtlichen<br />

Rechte blieben der Stadt bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts.<br />

Die Stadt Ebingen behauptete wiederholt, daß<br />

19


die Bewohner ihres Dorfes samt und sonders städtische<br />

Leibeigene seien, was von den Bitzern stets energisch bestritten<br />

wurde. Es ist aber anzunehmen, daß die Bitzer<br />

Bauern sicherlich nicht Leibeigene waren, sondern als<br />

Pächter auf den Gütern der Herren von Lichtenstein saßen.<br />

Zur Zeit des Kaufes war das Dorf Bitz noch sehr klein.<br />

1527 waren es „7 Huser", 1583 dann 11 Maier und nach<br />

dem Dreißigjährigen Krieg, in dem es viel unter Seuchen<br />

und Plünderungen zu leiden hatte und viele Bewohner in<br />

die Mauern von Ebingen geflohen waren, zählte man 96<br />

Einwohner. Von da ab vermehrte sich dann die Bevölkerung<br />

ziemlich rasch. Auf der verhältnismäßig kleinen<br />

Markung (883 ha) hatte Ebingen 120 Morgen erworben,<br />

dazu später noch 61 Morgen von dem Lehen, das das<br />

Klösterlein Margrethausen in Bitz besaß. Die Bitzer waren<br />

in die beiden gleichberechtigten Hauptmühlen in<br />

Ebingen, die Stadt- und die Spitalmühle, gebannt. Doch<br />

dieser Bann wurde zuweilen sehr locker gehandhabt. Da<br />

auf der ganzen Bitzer Markung keine Quelle und man<br />

nur auf Zisternen- und Hülenwasser angewiesen war,<br />

mußte bei Wassermangel das Wasser aus Ebingen bezogen<br />

werden.<br />

Noch im Jahr 1759 wurde die Wehrhoheit der Stadt anerkannt.<br />

Ihr wurde überlassen, „aus diesem ihrem Flekken<br />

die junge Mannschaft mit in Concurrenz zu ziehen".<br />

Die Einwohner von Bitz mußten nie dem herzoglichen<br />

Hause huldigen. Erst später wurden die Wehrpflichtigen<br />

auf Anordnung des württembergischen Oberamtsmannes<br />

ausgemustert. Von Seiten Württembergs wurde in Bitz<br />

kein Zoll und keine Accise erhoben, während die Bitzer,<br />

wenn sie in das Württembergische „kontrahierten", den<br />

ausländischen Zoll und Accise geben mußten. Da Bitz<br />

nicht zur württembergischen Landschaft gehörte, konnte<br />

es von Württemberg auch nicht zu entsprechenden Steuerzahlungen<br />

herangezogen werden. Daher wurde 1718<br />

der württembergische Steuerrevisor abgewiesen. Zur<br />

Aufsicht über den Ort bestellte die Stadt einen ihrer<br />

Richter zum Schultheißen und Vogt. Mit dem Stadtschreiber<br />

zusammen hielt er jährlich ein Vogt- oder Ruggericht<br />

ab. Als 1753 der württembergische Oberamtmann<br />

sich der Gemeinde Bitz annehmen wollte, wurden<br />

ihm zur juristischen Prüfung nur die Akten vorgelegt;<br />

weiter konnte er nichts erreichen. Die Stadt wollte dem<br />

eigenen Ort die Behandlung zuteil werden lassen, wie sie<br />

dieses unter den früheren adeligen Eigentümern gewohnt<br />

gewesen. Die Bitzer wurden aber so streng als möglich in<br />

Untertänigkeit gehalten. Doch waren sie durchaus nicht<br />

willens, sich in diese Abhängigkeit von Ebingen und in<br />

die manchmal reichlich willkürliche Behandlung ohne<br />

Widerstand zu fügen. Die Abhängigkeit von Ebingen,<br />

die nicht immer klaren Rechtsverhältnisse gaben daher<br />

oft Grund zu vielen Klagen und Streitigkeiten. Die noch<br />

vorhandenen Urkunden in den Gemeinderegistraturen<br />

berichten von manchen Schlichtungsversuchen und Neuregelungen.<br />

Es ging manchmal hart auf hart, und von<br />

mütterlicher Sorge für das Pflegekind und von kindlicher<br />

Liebe und Unterordnung ist wenig zu spüren. Der<br />

Hartnäckigkeit der Bitzer begegneten die Ebinger vielfach<br />

mit verbissener Unnachgiebigkeit und Verschlagenheit.<br />

1462 wurde wegen der Kernensteuer, die vom<br />

„Saatgut" 4 Simri Dinkel je Morgen betrug, zwischen<br />

Ebingen und Haintz Widerspohn gestritten. Im Vertrag<br />

von 1517 erreichten die Bitzer, daß sie und die Stadtbürger<br />

von Ebingen bei Fronen gleich behandelt wurden.<br />

1619 stritt man wegen der Umlegung der Kernensteuer,<br />

des Bezugs von Bau- und Brennholz durch die Bitzer in<br />

den Wäldern ihrer Markung, wegen Zuziehung eines Bitzers<br />

als Pfleger bei der Heiligenpflege. Die Bitzer wand-<br />

20<br />

ten sich an den Herzog und klagten, daß sie als „gebannete<br />

Khunden so sehr liederlich in den Mühlen gefertigt<br />

werden", daß die Ebinger statt 100 Stück Galtvieh 300<br />

Stück auf ihrer Weide in Bitz laufen lassen, dazu noch<br />

krankes darunter, das ihre Herde auch noch anstecke.<br />

1625 stritt man um den Abzug. 1690 beklagten sich die<br />

Bitzer, daß sie ohne Erlaubnis Ebingens kein Allmandland<br />

umbrechen dürfen und daß die Ebinger Holz in<br />

den Bitzer Wäldern hauen lassen und nicht dulden wollten,<br />

daß die Bitzer „in dem aigenthumblich angehörigen<br />

Wald dem sogenannten Riedt und Bocksberg" Holz hauen<br />

und verkaufen dürfen. „Um unseren völligen Untergang<br />

und schändlichen Ruin zu befördern", habe Ebingen<br />

20 Jauchert Ackerland „von unseren Bahn" an ihre<br />

Bürger verteilt. Die Klage der „blutarmen Leute" endet:<br />

„Aus diesem allem nun erhellet zur Genüge, daß die<br />

Statt Ebingen uns gänzlich zu underdruckhen und vor<br />

ihre Fueßtuch zu halten suche".<br />

Von den im Lagerbuch eingetragenen Gütern heißt es<br />

einmal: „Waren den Inwohnern von Bütz äußerst zuwider".<br />

Ebingen gab an, es habe in den letzten 50 Jahren<br />

viel von seinem Feld eingebüßt, es seien „die Marken abund<br />

ausgeführt" worden. Manche Äcker seien nicht<br />

mehr aufzufinden. Der Dorfvogt drohte dem Vermesser<br />

mit Tätlichkeiten, „dahero man genötigt, dieses Geschäft<br />

einstweilig zu sistieren". Jahrelang zogen sich manchmal<br />

Streitigkeiten hin. Die Bitzer verteidigten ihre Rechte<br />

und Freiheiten sehr zäh, die ihnen Ebingen schmälern<br />

wollte und ihnen „zu äußerstem Nachtheil gereichende<br />

Eingang uff den Hals treschen, die uns die längin zu gedulden<br />

ganz beschwerlich und unverträglich fallen wollen,<br />

wenn ihnen nicht geholfen würde, sie samt Weib<br />

und Kindern in das äußerste höchste Verderben und an<br />

den Bettelstab gerichtet und ins Epilium vertrüben". So<br />

1619 an den Herzog.<br />

Neue Verträge kamen 1711 wegen der Viehweide und<br />

1740 wegen der Kriegskosten zustande, wonach die Bitzer<br />

an den der Stadt Ebingen entstandenen Kosten Vi»<br />

tragen sollten. 1789 ging es wieder um die Kernensteuer<br />

aus etwa 90 Morgen Stadtgütern, aus denen jährlich 35<br />

Scheffel Dinkel und ebensoviel Haber zu entrichten waren.<br />

1812 wurde ein neuer Vertrag geschlossen. Während<br />

Bitz bisher den 28. Teil der Ebinger Steuer getragen hatte,<br />

sollte es nun der 16. Teil sein.<br />

Im Jahre 1781 wurden die Streitenden von Herzog Karl<br />

Eugen zurechtgewiesen, denn aus der Untersuchung ergab<br />

sich, „daß die Bürger gegen den Magistrat zu Ebingen<br />

als ihrer vorgesetzten Obrigkeit sich sehr animos<br />

und heftig bezeuget haben: Als hast Du jene anzuweisen,<br />

sich künftighin mehrer Mäßigung gegen denselben zu befleißen,<br />

dem Magistrat zu Ebingen aber zu erkennen geben,<br />

wie man sich auch zu demselben gnädigst versehen<br />

wolle, daß er die Bitzer mit aller Bescheidenheit und ihnen<br />

kein begründete Ursache zu Beschwerden geben<br />

werde".<br />

Bei der zunehmenden Einwohnerzahl wurden jedoch die<br />

Verhältnisse fast unerträglich. Die Markung reichte nicht<br />

mehr zum Unterhalt des Ortes aus, und so kämpften die<br />

Bitzer hartnäckig um ihre Befreiung. Als gar zu Ende<br />

des 18. Jahrhunderts junge Mitbürger und Handwerker<br />

„naturalistische Schriften", auch Bücher von Voltaire in<br />

die Gemeinde gebracht hätten und an Abenden, besonders<br />

sonntags gemeinschaftlich darin lasen, kam es<br />

schließlich zum Steuerstreik. Bitz weigerte sich, Kernensteuer<br />

und Schloßgeld, d. h. Pachtzins für die Stadtgüter,<br />

zu bezahlen. Bei den immer währenden Streitigkeiten<br />

fühlte sich der Dorfvogt als Vertreter des Fleckens, obwohl<br />

er von der Stadt Ebingen bestellt war und drohte<br />

z. B. 1766 der Stadt mit Tätlichkeiten.


Der Bitzer Viehzucht waren enge Grenzen gesetzt, denn<br />

die Ebinger hatten ganz in der Nähe des Ortes ihr Galthaus.<br />

Die Schafzucht war gering. Die Ebinger behaupteten<br />

zwar, daß die Bitzer ihre großen Weiden nicht genügend<br />

nützten. Überall waren die Bitzer in der wirtschaftlichen<br />

Entwicklungsmöglichkeit eingeengt. Die<br />

zahlreich vertretenen Handwerker hatten nicht genügend<br />

Aufträge. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts wollte<br />

man zwar die Not durch Einführung der Strumpfweberei<br />

auf Rechnung eines Ebinger Meisters beheben. Aber<br />

der Erfolg blieb aus. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts<br />

wanderten 23 Personen nach „Preußisch-Polen" aus.<br />

Truppendurchmärsche und Einquartierungen, gelegentlich<br />

auch Plünderungen erhöhten die Not. Von 1744 bis<br />

1815 stieg die Einwohnerzahl von 216 auf 557. Bei dieser<br />

wachsenden Einwohnerzahl war die Bodenfläche<br />

gleich geblieben, und der Ertrag konnte bei den wenig<br />

günstigen natürlichen Erzeugungsbedingungen nicht gesteigert<br />

werden. Viele Häuser waren auch auf Stadtgütern<br />

erbaut und daher von Ebingen mit Zinsen belastet.<br />

Die Armut in dem Dorf und damit die Unzufriedenheit<br />

erreichten ihren Höhepunkt. Das Joch mußte abgeschüttelt<br />

werden.<br />

Endlich 1824 begann die Befreiung von der Stadtherrschaft.<br />

Bitz wurde in Steuerdingen selbständig. 1828 hatte<br />

beim Bitzer Ruggericht erstmals der Oberamtmann<br />

Johann Christoph von Seeger statt der bisherigen Ebinger<br />

Herren den Vorsitz, und 1830 bemühte sich die Regierung,<br />

einen Vergleich herbeizuführen, denn Forderungen<br />

und Gegenforderungen standen sich gegenüber. Keine<br />

der Parteien wollte nachgeben. Der Rechtsanwalt der<br />

Bitzer schrieb: „Und wie überall und zu allen Zeiten die<br />

Herren ihre wirklichen und angemaßten Rechte gegen<br />

die Untertanen immer mehr und mehr auszudehnen<br />

suchten, diese dagegen meist ohne Hilfe und Ursurpation<br />

blieben, die ihnen zustehenden Befugnisse nicht einmal<br />

gehörig kennen lernten, viel weniger üben konnten und<br />

häufig noch anmaßender sich benimmt als der geborene<br />

Herr, so liefern auch hier die vorliegenden Urkunden<br />

das deutliche Bild eines solchen zwischen Ebingen und<br />

Bitz stattgefundenen widerrechtlichen Verhältnisses, und<br />

es spricht sich dies besonders in den verschiedenen Reichnissen<br />

aus, welche Ebingen von Bitz erhob und im Laufe<br />

der Zeit immer mehr steigerte, ohne auch nur für eines<br />

einen rechtlichen Grund zu geben".<br />

Am 26. September 1832 löste ein Vertrag das unhaltbar<br />

gewordene Verhältnis. Ebingen trat sämtliche auf Bitzer<br />

Markung gelegenen Stadtgüter ab, verzichtete auf<br />

Schloßgelder, Zinsen aus Hofstätten und Stadtgütern,<br />

Kernensteuer und Landgarbe. Die Besoldung des Lehrers,<br />

des Schützen und der Hebamme hatte fürderhin Bitz zu<br />

tragen. Das Ebinger Weiderecht wurde abgetreten, das<br />

Galthaus auf die Ebinger Markung verlegt. Die alte<br />

Hülbe kam an Bitz. Bitz zahlte für alles dies 23 000<br />

Gulden und war damit selbständig geworden. Nur die<br />

Kirche war nicht ganz von Ebingen gelöst. Die kirchliche<br />

Versorgung von Ebingen aus dauerte noch bis 1841.<br />

Die kirchlichen Verhältnisse von Bitz<br />

Bitz gehörte bis 1830 dem Ebinger Pfarrsprengel an. Im<br />

Zusammenhang mit dem Verkauf von 1386 scheint eine<br />

vertragliche Regelung getroffen worden zu sein, wonach<br />

die Ebinger verpflichtet worden waren, für die seelsorgerische<br />

Betreuung der Bewohner von Bitz aufzukommen,<br />

widrigenfalls der Bitzer Zehnte und das Pfründengut<br />

dem heiligen Nikolaus zu Bitz zufallen sollten.<br />

Schon Schweikart von Lichtensteins Frau bekam Mitleid<br />

mit ihren „armen Leuten" und bat ihren Gemahl<br />

dringend, auf Abhilfe bedacht zu sein. Den Ebingern<br />

wurde daher zur Auflage gemacht, sie müßten dafür sor-<br />

21


gen, daß wöchentlich an zwei Werktagen und außerdem<br />

an jedem 2. Sonntag in Bitz eine Messe gelesen werde<br />

und daß auch sonst im Bedarfsfall den Bitzern ein Priester<br />

zur Verfügung stehe. Doch wie aus Urkunden ersichtlich<br />

ist, wurde das nicht eingehalten. Es kam daher<br />

zum Streit. 1520 wurde angeordnet, daß alle 14 Tage<br />

drei Messen zu Bitz zu lesen seien. Auch wegen der zwei<br />

Heiligenpfleger, von denen der eine ein Ebinger, der andere<br />

ein Bitzer war, gab es Streitigkeiten mit der Stadt.<br />

Da man diese Stelle mit Leuten besetzen wollte, die sich<br />

gegenüber den Ebingern behaupten konnten, wurden<br />

häufig Männer ausgewählt, denen eine „heftige, rauhe<br />

und unheilige Sprache" eigen war. Der große Fruchtzehnten,<br />

der Heuzehnten und der Kleinzehnt gehörten<br />

der Pfarrei Ebingen.<br />

Mit der Einführung der Reformation in Württemberg<br />

wurde Bitz evangelisch. Seitdem lag die kirchliche Versorgung<br />

von Bitz bei dem jeweiligen Ebinger Diakon.<br />

„Von Martini (11. November) bis Georgi (23. April) hat<br />

der Geistliche einen reitenden oder fahrenden Begleiter<br />

von der Gemeinde anzusprechen, der ihn sowohl in<br />

Ebingen abholt, als wiederum dahin zurückbegleitet.<br />

Von dieser Begleitung wird aber gewöhnlich nur Gebrauch<br />

gemacht in der Zeit, wo Schnee liegt oder die<br />

Steige wegen Eis gefährlich zum passieren, oder bei besonders<br />

neblichem Wetter, sonst nicht". Im Winter<br />

scheint es aber manchmal wegen der Verkehrsverhältnisse<br />

überhaupt unmöglich gewesen zu sein, von Ebingen<br />

nach Bitz zu gelangen. Die „Kilsteig" (= Kirchensteig)<br />

wird schon 1365 erwähnt. Noch 1856 heißt es: „nach allen<br />

Orten schlechte, meist unfahrbare, über Viehweiden<br />

führende Wege, nur nach Ebingen ein chaussiertes Sträßchen".<br />

Es mag daher für den Ebinger „Helfer" oft ein<br />

kaltes und schwieriges Reiten gewesen sein. So wird bei<br />

den Nachkommen noch öfters der „Bitzer Mantel" eines<br />

solchen Helfers erwähnt.<br />

Das Jahr 1830 brachte in der kirchlichen Entwicklung<br />

einen wichtigen Einschnitt. Während Bitz seither ein unselbständiger<br />

Teil der Kirchengemeinde Ebingen war,<br />

wurde es 1830 zur selbständigen Pfarrei erklärt und erhielt<br />

das Recht, Kirchen- und Schulvisitation vorzunehmen.<br />

Der Ebinger Helfer war nun zugleich Pfarrer von<br />

Bitz.<br />

Zum Konfirmandenunterricht mußten aber die Bitzer<br />

Kinder nach wie vor nach Ebingen. 1838 schreibt der<br />

Ebinger Diakon Zais: „Die Konfirmanden von Bitz sollen<br />

nach Ebingen kommen, um an dem Unterricht teil zu<br />

nehmen, den dort der Diakonus den Kindern von Ebingen<br />

erteilt. Sie können aber nur selten kommen, teils wegen<br />

des oft ungebahnten, IV2 Stunden langen, im Winter<br />

mitunter gefährlichen Weges, teils wegen der strengen<br />

Kälte, in welcher den langen Weg zu machen den meistens<br />

leicht und schlecht gekleideten Kindern nicht ohne<br />

Gefahr für ihre Gesundheit zugemutet werden<br />

kann . . . Der Unterricht in Ebingen wird nämlich<br />

von 11 bis 12 Uhr erteilt. Um den IV2 stündigen Weg in<br />

die Stadt zurückzulegen, müssen die Kinder um 9 Uhr in<br />

Bitz abgehen, kommen dann um 11 Uhr in Ebingen an<br />

und werden um 12 Uhr wieder entlassen, verzehren<br />

dann ihr Mittagsbrot, das sie bei sich haben, suchen da<br />

und dort bei einem Bekannten eine warme Stube, kommen<br />

um 1 Uhr wieder aus der Stadt und um 3 Uhr nach<br />

Bitz. So ist für sie der Schulunterricht fast ganz verloren.<br />

Um dieser Umstände willen muß der Konfirmandenunterricht<br />

größtenteils durch den Schulmeister gegeben<br />

werden." Erst der Konsistorialerlaß vom<br />

16. März 1841 brachte die Errichtung einer besonderen,<br />

vorerst durch einen Verweser zu versehenden Pfarrei.<br />

Damit hatte die Zähigkeit der Bitzer, denen die Ebinger<br />

22<br />

1832 eine „übertriebene Wertschätzung zeitlicher Güter<br />

und eine daraus hervorgehende Verschmitztheit im Handel<br />

und Wandel" nachsagten, endgültig ihre Ziele erreicht.<br />

Die Freude ob der Steig war groß, und Bitz<br />

konnte sich als Sieger fühlen.<br />

Wenn G. Hummel in der „Geschichte der Stadt Ebingen"<br />

erzählt, Ebingen habe für die 23 000 Gulden Abkaufsumme<br />

auf dem Ziegelplatz einen „arthesischen<br />

Brunnen" erbohren wollen, allerdings ohne Erfolg, und<br />

es sei deshalb das Wort umgelaufen, Ebingen habe Bitz<br />

auf dem Ziegelwasen „vergraben", so war Bitz durchaus<br />

nicht tot; vielmehr war es so, das Dorf Bitz mit seinen<br />

Bewohnern lebte jetzt erst auf.<br />

Die Hüle als Dorfmittelpunkt<br />

Nach 1832<br />

Die 40er und 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts waren<br />

zwar noch sehr mager, so daß viele Bitzer nach<br />

Amerika auswanderten. Aber dann begann der wirtschaftliche<br />

Aufstieg.<br />

Die Bitzer sind ein sehr fleißiges, umtriebliches Völklein<br />

und ringen auch dem magersten Boden noch erstaunlich<br />

hohen Ertrag ab. Das Land freilich in 800-900 m Höhe<br />

hätte nicht den Wohlstand bringen können, denn die<br />

Bitzer sind zwar „steinreich", aber wasserarm. Ohne die<br />

Industrie, die sich in den 60er und den folgenden Jahren<br />

entwickelte, wäre es nicht gegangen. Und hier waren es<br />

wieder die Ebinger, die sich des großen Fleißes, der Ordnungsliebe<br />

und Pünktlichkeit und des Sparsamkeitssinnes<br />

der Bitzer erinnerten und daher Verbindung mit der<br />

hochgelegenen Gemeinde aufnahmen. Allerdings diesmal<br />

in anderer Richtung.<br />

Anfang der 60er Jahre hatte Theodor Groz in Ebingen<br />

die Herstellung von Korsettschließen aufgenommen. Da<br />

er diesen Artikel nicht in größeren Mengen liefern koryite,<br />

wandte er sich an den Mechaniker Karl Theodor<br />

Beck in Bitz und veranlaßte diesen zur Herstellung von<br />

Schließen. Beide arbeiteten daran, die Metallschließen in<br />

immer größeren Mengen und auf immer vollkommenere<br />

Weise herzustellen. Sie konnten dabei auch etwa zehn<br />

Jahre ein gutes Geschäft machen. Inzwischen waren aber<br />

die Rundwirkmaschine und die Strickmaschine erfunden,<br />

die größere Mengen Nadeln benötigten. Und diese Nadeln<br />

wurden für Bitz von größter Bedeutung.<br />

Theodor Groz, der bisher schon die Nadeln für die<br />

Strumpfwirkstühle geliefert hatte, wandte sich sofort der<br />

Herstellung der neuen Nadeln zu. Beck fertigte dazu die<br />

ersten einfachen Werkzeuge, bis der Mechaniker Ferdinand<br />

Binder in Ebingen mit der Herstellung der erforderlichen<br />

Werkzeuge und Maschinen zur Nadelfabrikation<br />

betraut wurde. Beck konnte nun seine ganze Kraft<br />

der Nadelfabrikation widmen; Groz stellte Maschinen<br />

und Material und Beck lieferte die Fertigwaren an Groz.


1884 konnte Beck ein größeres Fabrikgebäude in der<br />

Kirchgasse erstellen und mit einer Dampfmaschine ausstatten,<br />

Groz 1890 das Anwesen des von Ebingen zugezogenen<br />

Friedrich Rehfuß im „Gäßle" käuflich erwerben.<br />

Damit war eine räumliche Ausdehnung ermöglicht.<br />

Schon 1885 ließ Groz eine Telefonleitung nach Bitz bauen.<br />

1895 wurde dann der Betrieb Beck von der Firma<br />

Groz und Söhne ganz übernommen. Und dieser Betrieb<br />

entwickelte sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte zu<br />

einem bedeutenden Großunternehmen.<br />

Bis vor einem Vierteljahrhundert waren viele Bitzer noch<br />

Industriebauern.<br />

DR. MAREN KUHN-REHFUS<br />

Die „Gäßlefabrik" wurde 1901 an die Firma Linder &<br />

Schmid Ebingen verkauft. Damit faßte nämlich neben<br />

der Feinmechanik auch die Textilindustrie in Bitz Fuß.<br />

Später entstanden im Ort weitere ähnliche Betriebe. Die<br />

Industrie hat nicht nur die soziale Struktur und das ganze<br />

Wirtschaftsleben des Ortes umgestaltet, sondern auch<br />

das Bild des alten Dorfes überformt. In auffallender<br />

Konzentration erheben sich heute um den Kirchhügel die<br />

stattlichen, vielfenstrigen Werkbauten der Nadelfabrik,<br />

der Textilfabriken sowie der Waagenfabrik. An sie<br />

schließen sich dann die modernen Wohnbezirke. Der Ort<br />

zeigt das Abbild einer stürmischen Aufwärtsentwicklung<br />

der letzten Jahrzehnte.<br />

Seit das 884 m hoch gelegene Albdorf seine politische<br />

Freiheit hat und vom einstigen Bauerndorf zur Industriegemeinde<br />

wurde, konnte es die bebaute Fläche um<br />

ein Vielfaches vergrößern und von 700 auf weit über<br />

3000 Einwohner anwachsen. Der Fremde, der von Ebingen<br />

oder Freudenweiler herkommend das frei gelegene,<br />

saubere Dorf mit seinen roten Dachziegeln zum erstenmal<br />

erblickt, vermeint, es sei eine Neuanlage. Niemand<br />

sieht dem schmucken Dorf an, daß es lange Zeit zu den<br />

ärmsten Dörfern des Landes zählte, in dem eine magere<br />

Landwirtschaft vorherrschte und Kräutersammeln und<br />

Stricken den Frauen; Weben, Dreschen bei Einheimischen,<br />

Erntehilfe bei auswärtigen Bauern den Männern<br />

meist nur zeitweiligen und spärlichen Nebenverdienst<br />

gaben. Eine harte Vergangenheit hat reife Früchte getragen!<br />

Die Parolen der französischen Revolution in volkstümlichen Versen<br />

Ein Quellenbeispiel<br />

Nachdem im Januar 1793 neben anderen europäischen<br />

Staaten auch das Deutsche Reich dem von Österreich<br />

und Preußen schon zuvor geschlossenen Bündnis gegen<br />

das revolutionäre Frankreich beigetreten war, stand weiten<br />

Kreisen der Bevölkerung in den einzelnen deutschen<br />

Staaten die ständige Gefahr vor Augen, aktiv in den<br />

Kampf mit Frankreich verwickelt zu werden.<br />

In dieser Situation wurde von unbekannter Seite versucht,<br />

durch Verse auf Tabaksdosen, die von über Land<br />

wandernden Krämern hauptsächlich an kleinbürgerliche<br />

Städter und an die Landbevölkerung verkauft wurden,<br />

Stimmung gegen den Krieg mit Frankreich zu machen<br />

und die berühmten Parolen der französischen Revolution<br />

„Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" den breiten Schichten<br />

nahezubringen. Ob diese volkstümlichen Sprüche, in<br />

mehr als holprige Verse gesetzt, und die in ihnen ausgedrückte<br />

schlichte Vorstellungswelt bei den angesprochenen<br />

Bevölkerungskreisen wirklich den erhofften Zweck<br />

erfüllten, muß bezweifelt werden. Dennoch hielt die<br />

Verwaltung der vorderösterreichischen Lande es für nötig,<br />

durch eine an alle unterstellten Behörden gerichtete<br />

Rundverfügung einzugreifen, nach den Tabaksdosenhändlern<br />

zu fahnden und den Verkauf zu unterbinden.<br />

Solche Vorfälle wie der des Jahres 1793 in Villingen<br />

hätten durchaus als Vorlage für Heinrich Heines späteres<br />

politisches Gedicht „Erinnerungen aus Krähwinkels<br />

Schreckenstagen" dienen können.<br />

Das in Stockach amtierende Oberamt der vorderösterreichischen<br />

Landgrafschaft Nellenburg, eine Mittelinstanz<br />

der österreichischen Verwaltung, sandte am<br />

9. März 1793 an die ihm unterstellten Herrschaften und<br />

Unterbehörden folgende Verordnung, die sich als Abschrift<br />

im Staatsarchiv Sigmaringen unter der Signatur<br />

Neuverzeichnete Akten II 2087 befindet:<br />

„Die hohe Landesstelle [die Regierung für Vorderösterreich<br />

in Freiburg] hat uns mittelst Reskripts vom 4. dieses<br />

[Monats] eine Abschrift aufrührerischer und aufwiegender<br />

Verse zugeschickt, welche auf Tabaksdosen geschrieben<br />

in der Gegend von Villingen, auch in dem Hegäuischen<br />

und Hohenbergischen durch Landkrämer verkauft<br />

worden sein sollen.<br />

Da der Inhalt dieser Verse bedenklich ist und durch derselben<br />

Verbreitung widrige Folgen entstehen könnten, so<br />

wird in der Anlage eine Abschrift gedachter Verse mitgeteilt,<br />

um auf die Verkäufer sowohl als die Verbreiter<br />

sorgsame Aufsicht zu tragen, solche - wie und wo immer<br />

sie angetroffen werden - zu unterdrücken, jene in<br />

Verhaft zu nehmen, zu konstituieren [Untersuchungen<br />

anstellen] und den weiteren Erfolg anher berichtlich anzuzeigen.<br />

Ex constitfutioni] des k[aiserlich]<br />

k[öniglichen] Oberamts<br />

Stockach am 9. März 1793"<br />

In der Anlage zu dieser Verordnung wurde neben dem<br />

Text der beanstandeten Verse auch die Abschrift eines<br />

anonymen Briefs mitgesandt, dessen Absender die Sache<br />

erst ins Rollen gebracht hatte:<br />

„Insonders geehrter Herr Wirt!<br />

Geht hin und zeigt's dem Magistrat an, es werden auf<br />

dem Land herum nagelneue Tabaksdosen um Spottgeld<br />

verkauft, inwendig am Deckel sind allerlei wunderliche<br />

Verse zu lesen, die kuriose Sachen verursachen können.<br />

23


Ich habe in Eil, da der Krämer am Ofen zu hat geschlafen,<br />

in Eil etliche Verse abgeschrieben, wie folgen tut.<br />

Ich ermahne also Euch gütlich, dem Magistrat anzuzeigen,<br />

daß nichts ungerades entstehe.<br />

Ein Untertan in Villingen, den 8. Februar 1793<br />

Wie ich hör, sollen in dem Fürstenbergischen und im<br />

Hegau und im Hohenbergischen gar viel verkauft worden<br />

sein davon."<br />

Die „aufwieglerischen" Verse auf dem Innendeckel der<br />

Tabaksdosen, die den braven Villinger Untertan so erschreckten,<br />

daß er eine Anzeige zwar für erforderlich<br />

hielt, sich selbst aber nicht zu exponieren traute, lauteten<br />

folgendermaßen:<br />

1. Dose: „Die Menschen sind sich alle gleich,<br />

Adelsstolz ist nichts als Narrenstreich,<br />

Der Tugendhafte bloß allein<br />

Verdient geschätzt zu sein."<br />

2. Dose: „War nur kein Edelmann auf Erden,<br />

Dann wird es bald auch besser werden."<br />

3. Dose: „Viel werden das Schlucken wohl vergessen.<br />

Die die Franken 1 wollen fressen."<br />

4. Dose: „Was wird der Deutsche damit gewinnen,<br />

Wann er die Franken 1 hilft bezwingen?<br />

Er wird nach wie vor ein Sklav halt sein.<br />

Wohl besser wär's, er bleibt daheim."<br />

5. Dose: „Deutsche!<br />

Was gebt ihr doch nur Geld und Kinder her.<br />

Wollt ihr aus Franken 1 neue Sklaven machen?<br />

Seht doch auf euren eignen Herd<br />

Und mischt euch nicht in fremde Sachen."<br />

6. Dose: „Wahrlich, Gott im Himmel hat die Franken 1<br />

auferweckt,<br />

Daß des Adels Übermut wird das Ziel<br />

gesteckt."<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Von der Hainburg und ihrer Kapelle<br />

Das haben wir Unterprimaner des Sigmaringer Gymnasiums<br />

im Juli 1921 nicht ahnen können, daß einer von<br />

ihnen nach über 50 Jahren sich mit der Vergangenheit<br />

eines Burgplatzes beim Unteren Homburger Hof der<br />

Markung Grosselfingen befassen würde. Wir standen damals<br />

mit unseren beiden Lehrern Kalbhenn und Alb.<br />

Müller anläßlich einer geologischen Wanderung durch<br />

den Schwarzwald vor den Ruinen der ehemaligen Hainburg.<br />

In fünftägigem Fußmarsch hatten wir die Orte<br />

St. Georgen, Triberg, Nußbach, Schramberg, Schapbach,<br />

Kniebis, Freudenstadt, Dornstetten, Neckarhausen, Dehlingen,<br />

Weildorf, Haigerloch und Owingen besucht und<br />

nach Besichtigung der alten Weilerkirche in Oberowingen<br />

die Höhe gegen Osten erklommen und fanden einen<br />

kleinen Bergvorsprung ins Eyachtal, den zwei Quellarme<br />

eines Seitenbächleins des Sägentäles aus der Terrasse des<br />

Stubensandsteins herausgeschnitten hat. Der Vorsprung<br />

fällt nach drei Seiten steil ab und ist auf der vierten Seite<br />

gegen den genannten Hof hin durch einen tiefen<br />

Halsgraben vom Hinterland getrennt. Bei Anlegung dieses<br />

Grabens hat man zweifellos die Sandsteine zum verhältnismäßig<br />

kleinen Burgenbau genommen, wie Michael<br />

Walter bei seiner ausführlichen Würdigung der Hainburg<br />

dartat 1 . Noch ragt die mächtige, 3 m starke<br />

Schildmauer gegen Nordosten etwa 10 m hoch<br />

und 19 m lang empor, teils mit schönen Bossenquadern<br />

24<br />

7. Dose: „Es ist und bleibt halt immer wahr,<br />

Bei großen Höfen ist die Tugend rar."<br />

8. Dose: „Bei Prinzen und Edelleuten in Franken 2<br />

War Pracht und Übermut ohne Ziel und<br />

Schranken.<br />

Der Bauer ward gepreßt, gedrückt, geplagt,<br />

Mit Recht hat er das äußerste jetzt gewagt."<br />

9. Dose: „Bauer, warum bist du so mager und so schmal,<br />

So dürr, so hager und so rahn?<br />

Hm, der Herren Opera, Komödia, Ball,<br />

Die sind wahrlich schuld daran."<br />

10. Dose: „Wenn ein Monarch auch so viel hat<br />

Wird er dennoch niemals satt:<br />

Stehn Millionen Menschen unter seinem Joch,<br />

So will er doch Millionen noch."<br />

11. Dose: „Nicht die Mäuse, auch nicht die Ratten,<br />

Nur die Edelleut und Aristokraten<br />

Machen, daß Gott erbarm!<br />

Land und Leute so arm."<br />

12. Dose: „Das ist doch eine üble Sache,<br />

Daß die Geburt Regenten mache.<br />

Daher kommen Herrscher und Regenten<br />

Ohne Verstand, Weisheit und Talenten."<br />

13. Dose: „Glücklich, die in freien Ländern wohnen,<br />

Wo keine Fürsten, Grafen und Barone."<br />

14. Dose: „Daß doch die Könige und Monarchen<br />

Der Menschen Leben so wenig achten<br />

Und nur Krieg auf Kriege häufen<br />

Und ganze Kriegsscharen in Blut ersäufen."<br />

15. Dose: „Ach Gott im Himmel sieh doch auf die Erde!<br />

Schaff, daß des Adels Brut bald zerstöret<br />

werde."<br />

1 Franzosen<br />

2 Frankreich<br />

mit Randschlag, im übrigen unregelmäßigen Verband<br />

aus Sandstein erbaut. Das Tor hat eine Weite von 2,60 m.<br />

An der rechten Torseite ist die Öffnung zum Einschieben<br />

des Verschluß-Riegelbalkens zu erkennen. Auch<br />

auf der Südwestseite sind noch einige Mauerreste vorhanden<br />

und am Steilabfall des Berges, etwas tiefer als<br />

der Hauptbau, sind noch Reste der Ringmauer sichtbar 2 .<br />

Doch damals interessierten uns die vorhandenen Trümmer<br />

wegen Müdigkeit nur nebenbei, mehr dagegen die<br />

würzige Erbensuppe, die auf dem erwähnten Hof die<br />

Verschwägerten Kalbhenns uns freigebig spendierten.<br />

Der Platz liegt etwa 2,5 km westlich von Grosselfingen,<br />

530 m hoch in ziemlicher Abgeschiedenheit. Es ist die<br />

ehemalige „Vestin Hainburg", die später mundartlich zu<br />

Huenburg und Homburg wurde, wovon auch der Hof<br />

seinen Namen hat. Nach Walters anderen Ausführungen<br />

3 könnte der Name Hainburg aus „Hagenburg"<br />

entstanden sein, so wie im 14. Jahrhundert in Norddeutschland<br />

das Wort Hagenbuche zu Hainbuche wurde.<br />

Hagen bedeutet ursprünglich eine Dornhecke und dann<br />

einen „eingehagten Wald". Im Jahre 1225 nannte sich<br />

ein niederadeliges Rittergeschlecht, das um Grosselfingen-Weilheim<br />

begütert war, „von Hagenbach", das vielleicht<br />

schon damals an dieser Stelle seinen Sitz hatte. Das<br />

Zwischenglied „bach" müßte dann freilich ausgelassen<br />

worden sein. Graf Friedrich von Zollern 4 , der im Jahre


1328 Viztum (Güterverwalter) des Bistums Augsburg<br />

war und sich „Clericus" nannte (ohne höhere Weihen<br />

also!), war 1313 laut seines Siegels Kirchherr einer Marienkirche,<br />

vermutlich von Killer 5 , von 1325 bis 1360<br />

aber Kirchherr von Pfullingen (mit einer Martinskirche!)<br />

und 1339 Administrator oder „gewalthabender Pfleger"<br />

für seine Stammesvettern auf der Zollerburg 3 . Er erscheint<br />

in einer Urkunde vom 19. Juni 1344 als Verwandter<br />

dreier Zollergrafen und heißt hier: „der Alte,<br />

dessen (Eigentum) die Hainburg ist" 5 . Dies war die erstmalige<br />

Nennung der Hainburg. Walter vermutet in diesem<br />

Friedrich den Erbauer der Burg als einen Jagdsitz.<br />

Am 13. November 1348 verzichtete er auf der Hainburg<br />

auf alle Erbansprüche, die er von seiner Mutter her an<br />

das Haus Baden zu machen hatte 5 . Noch am 15. Dezember<br />

1360 wird er aufgeführt als „Graf Friedrich von<br />

Ruine Hainburg Foto: Hans Landenberger<br />

Zollern der älter, ehemals Viztum von Augsburg, jetzt<br />

Herr in Castro (Burg) Hainburg". Dagegen lebte er 1362<br />

nicht mehr. Walter hat mit dem ihm eigenen Scharfblick<br />

den 15. Dezember 1361 als Todestag aus dem Nekrolog<br />

des Klosters Stetten erschlossen 3 . Es darf angenommen<br />

werden, daß bei dem alten Herrn und seinen zahlreichen<br />

adeligen Besuchern und Verwandten neben dem Hausgesinde<br />

auf dem anschließenden Bauernhof und dem<br />

Schlößlein ein prunkvoll höfisches Leben geherrscht hat.<br />

Bei der zollerischen Erbteilung im Jahre 1362 erhielt<br />

Gr. Friedrich der junge Schwarzgraf u. a. die Hainburg<br />

mit Besitz zu Grosselfingen, Owingen und Stetten<br />

b. Haigerloch, und am 1. März 1379 5 war seine Witwe<br />

Adelheid von Hohenberg Inhaberin der Burg. Uber die<br />

Angabe eines Verzeichnisses von ca. 1370 in den Mon.<br />

Hohenbergica Nr. 889 „Hainburg in Hand der Zollern<br />

sei hohenbergisches Lehen" haben Zingeler 6 und Walter<br />

Überlegungen angestellt. Doch fragt sich, ob der Eintrag<br />

nicht irrig war. Ums Jahr 1387 saß ein Burkart von Reischach<br />

zu Hainburg, die er mit Grosselfingen pfandweise<br />

innehatte. Er starb 1389 und wurde in Bohlingen (Konstanz)<br />

beerdigt Eine mit Ritter Burkart von „Hainburg"<br />

im Jahre 1450 verheiratete Anna von Stain heißt<br />

später als Witwe „von Homburg, geborene von Stain",<br />

gehörte also wohl nach Homburg am Bodensee.<br />

In der Folge hört man 30 Jahre zwar von Streubesitz<br />

Ulrichs von Lichtenstein und seiner Verwandten Hans<br />

und Reinhard v. L. zu Grosselfingen, Owingen, Stetten,<br />

Weilheim, der 1401 käuflich an die Weitinger Adeligen<br />

kam, aber nichts von der Hainburg. Sie war offenbar<br />

bedeutungslos geworden, vielleicht zerstört oder zerfallen,<br />

eben ein Burgstall, wie die Zimmerische Chronik<br />

jede Burgruine bezeichnete 7 . Sie erzählt, Konrad von<br />

Bubenhofen, der dem bekannten schwäbischen Adelsgeschlecht<br />

(1190-1814) aus dem Bubenhofer Tal bei Binsdorf<br />

angehörte und seit 1418 zu Grosselfingen begütert<br />

genannt wird, habe im Jahre 1420 das Schloß Hainburg<br />

wieder neu erbaut, was wohl stimmen dürfte, wenn auch<br />

das Jahr selber nicht über alle Zweifel erhaben ist. Walter<br />

glaubt, der wehrhafte Charakter der noch erhaltenen<br />

Reste gehe auf diese Wiederherstellung zurück. Er gibt<br />

von 1420 bis 1522 für Hainburg drei Bubenhofer Herren<br />

an: Konrad I., Konrad II. und endlich Hans Henrich,<br />

der ihm als Gründer des bekannten Grosselfinger Narrengerichtes<br />

gilt l . Dieser starb 1522 und wurde im Kloster<br />

Bebenhausen begraben. Ein Spurius der Bubenhofer<br />

von Hainburg dürfte jener Konrad Haimburger von<br />

Grosselfingen gewesen sein, der am 17. November 1487<br />

auf die Frühmesse des Marienaltars zu Unterowingen<br />

durch Hans Heinrich v. B. präsentiert wurde. Er resignierte<br />

bereits im Jahr darauf und wurde Pfarrer zu<br />

Grosselfingen 8 . Laut Zimmerischer Chronik hat Konrad<br />

von Bubenhofen einen Bauern namens Scharpf aus<br />

Owingen auf sein Schloß Hainburg geschleppt, ohne ihn<br />

dem gerechten Gericht zu überlassen. M. Dunker hat dieses<br />

Ereignis ins Jahr 1465 gesetzt, als er sich ausführlich<br />

über die ganze Familie der Bubenhofer verbreitete 9 . Der<br />

Bruder Hans Heinrichs v. B., Matthäus, war Domherr<br />

und dann Dekan zu Konstanz (tot 1526), hatte als Erbe<br />

nicht viel Interesse an dem abgelegenen Bürgle und veräußerte<br />

„Homburg, das Schloß und den Schafhof dabei"<br />

an Hans von Weitingen am 25. November 1522 um 7500<br />

Gulden 10 . Dieser Hans kommt in der Folge öfter in Urkunden<br />

als Bewohner der Hainburg vor. Er übergab jedoch<br />

1529 das Schloß mit dem Maierhof und allem Zubehör<br />

seinem Sohn Hans Jörg, was eine Grenzbeschreibung<br />

des Besitzes mit der Gemeinde Grosselfingen zur<br />

Folge hatte. Doch schon ein Jahr darauf bot Hans (der<br />

Vater) alles wieder um 5913 Gulden dem Freiherrn Georg<br />

von Hewen an. Eine genaue Beschreibung liegt vor,<br />

obwohl aus den Verhandlungen nichts wurde. Schon<br />

1531 wohnte Hans von Weitingen im früher Bubenhofen'schen<br />

Schloß zu Grosselfingen, und am 3. November<br />

1534 veräußerte er endgültig dem Fritz Jakob von<br />

Anweil, badischem Landvogt zu Rötteln, der bisher<br />

schon Mitinhaber der Dörfer Owingen und Stetten gewesen,<br />

das Schloß Hainburg mit Zubehör um 5300<br />

Goldgulden 10 . Dieser blieb jedoch nicht lange Inhaber<br />

Schon am 3. Februar 1539 gab er den gesamten Besitz<br />

mit Hainburg um 10 460 Gulden ab an den Grafen Jos<br />

Nikiaus von Zollern 10 .<br />

Beim Hause Hohenzollern, das 1623 die Fürstenwürde<br />

erhielt, sollte die Hainburg bis in unsere Tage bleiben,<br />

doch deren schöne Tage waren vorbei. Im Jahr 1589<br />

wird noch ein hohenzollerischer Burgvogt hier erwähnt,<br />

der dann als solcher 1603/5 Kaspar Schwab hieß 11 . Im<br />

schrecklichen Pestjahr 1610 starb im Schlößlein Homburg<br />

der 13jährige Hugo Heinrich von Lichtenstein, der<br />

Sohn des fürstlichen Rates und Hofmeisters zu Hechingen<br />

12 . Im 30jahrigen Krieg sollen die Widerhold'schen<br />

Horden vom Hohentwiel hier übel gehaust haben, wiewohl<br />

das unsicher ist. Die letzte Nachricht über das<br />

Schloß Homburg läßt tief blicken: Im Jahre 1656 gestattete<br />

das fürstlich hohenzollerische Oberamt in He-<br />

25


chingen einem Heinrich dem Dirken (wohl mit Namen<br />

„Türck") „gewestem Soldat auf Zollern", daß er sich<br />

noch diesen Winter über in dem Schloß zu Homburg<br />

aufhalten konnte. Das für den Hausbrand nötige Holz<br />

durfte er auf den verwachsenen Äckern der Brandhalde<br />

hauen und mußte auf Georgentag drei Gulden als Pacht<br />

bezahlen 13 . Offenbar war das Schlößle nicht mehr in<br />

bestem Zustand und galt praktisch als überflüssig, so daß<br />

man es dem armen Veteran als Unterschlupf überließ.<br />

Nicht lange hernach wird es verlassen und als Steinbruch<br />

benutzt worden sein.<br />

Im Jahre 1745 wurde unweit der Ruine eine Scheuer<br />

samt Wohnhaus und Viehstall, wohl an Stelle des alten<br />

Schafhofes, erbaut, eine „Schwyzerey mit Käsküche und<br />

Obstdarre eingerichtet. Nach Walter sei damals auch<br />

eine neue Kapelle in Nähe des Haupteingangs erbaut<br />

worden, in der monatlich eine hl. Messe gelesen werden<br />

durfte. Diese Kapelle (die den Hl. Drei Königen geweiht<br />

war, wie wir später sehen werden) dürfte jedoch schon<br />

von früher her bestanden haben. Dieses Patrozinium<br />

scheint nicht erst ins 18. Jahrhundert zu weisen 13 *.<br />

Auch die Kapellen der Ehrenburg und Guttenburg am<br />

Neckar stehen außerhalb der Innenburg, und die Nikolauskapelle<br />

der 1448 zerstörten Feste Hohenberg bestand<br />

noch nach 300 Jahren! Auf einem Lageplan von Georg<br />

Ad. Rübel des Jahres 1776 1 ist die Kapelle zu sehen.<br />

Heute findet sich nichts mehr davon, wie aus der Beschreibung<br />

bei Zingeler hervorgeht 6 .<br />

Urkundliche Hinweise auf die Burgkapelle finden sich,<br />

wenn auch nicht sehr zahlreich. Am 1. Juni 1470 wurde<br />

Heinrich Vögeli von Rosenfeld durch den Burgherrn<br />

Konrad von Bubenhofen als Kaplan für die Hainburg,<br />

Pfarrei Weilheim, präsentiert 14 (Grosselfingen wurde<br />

erst 1472 abgeteilt und selbständige Pfarrei). Ums Jahr<br />

1513 haben Margaretha von Bubenhofen und ihr geistlicher<br />

Sohn Matthäus, der Konstanzer Kanoniker, vom<br />

Bischof Hugo v. Konstanz die Erlaubnis erwirkt, für die<br />

Aufbewahrung des Allerheiligsten in der konsekrierten<br />

Kapelle zu Hainburg, und zwar in der Oktav von Fronleichnam,<br />

weil damals eine Krankheit umging 15 . Interessant<br />

sind die dabei gestellten Bedingungen. Offenbar hat<br />

die Dame auf Hainburg gewohnt und scheute den Weg<br />

zur Pfarrkirche nach Oberowingen, wohin damals die<br />

Kapelle gehörte.<br />

Auch ums Jahr 1523 bewilligte Bischof Hugo am<br />

12. Oktober, daß im Schloß Hainburg das hl. Sakrament<br />

aufbewahrt werde 16 , und am 14. Juni des folgenden<br />

Jahres wurde Kaspar Pflanzer auf die Kaplanei Hainburg<br />

präsentiert nach Abgang des Vitus Walther (wohl<br />

von Grosselfingen), und zwar von Hans von Weitingen,<br />

dem neuen Herrn. Doch ist zu beachten, daß die Kaplanei<br />

damals nach Owingen verlegt war 17 . Eine letzte Urkunde<br />

vom Jahr 1784 über die Kapelle hat in unseren<br />

Tagen Herr Hans Landenberger (Grosselfingen) aus dem<br />

Dekanatsarchiv Hechingen bekannt gemacht. Am<br />

Anmerkungen<br />

1<br />

Blätter d. Schwab. Albvereins 1954, 30 f.<br />

2<br />

Ing. Hans Landenberger, Grosselfingen, in: Hohenzollerische<br />

Zeitung vom 15. Februar <strong>1975</strong>.<br />

3<br />

Zeitschrift f. Gesch. d. Oberrheins 1948, 309 f., 322.<br />

4<br />

Friedrich Nr. 437 in Genealogie des Gesamthauses Hohenzollern<br />

1905.<br />

5<br />

Mon. Zoll. I, SS 128, 164, 174, 200 und 234.<br />

0<br />

Zingeler-Buck, Zollerische Burgen etc. 1906, 85.<br />

,a<br />

Seine Witwe Adelheid v. Stain und ihr Sohn Burkart<br />

v. Reischach quittierten 1393 den Rückempfang der Pfandsumme<br />

(K. v. Knoblauch, Oberbad. Geschlechterbuch III,<br />

477).<br />

7<br />

Zimmerische Chronik II, 456: „Haimburg war vorhin ain<br />

26<br />

Burgstall gewesen".<br />

12. August jenes Jahres hat nämlich der Konstanzer<br />

Weihbischof und Generalvikar Wilhelm Joseph Leopold<br />

von Baden gestattet, daß auf einem vom Bischof geweihten<br />

Tragaltar in der zur Pfarrei Grosselfingen gehörenden<br />

„Kapelle der Hl. Drei Könige der Homburg" das hl.<br />

Meßopfer dargebracht werden darf. Der Kirchenfürst<br />

hielt sich anläßlich der Generalvisitation auf dem Lindich<br />

bei Hechingen auf, und die gegebene Erlaubnis dauerte<br />

bis zur nächsten Gen. Visitation. Die Erlaubnis soll<br />

in der Kapelle gut sichtbar angeheftet werden, andernfalls<br />

wäre sie null und nichtig. Die Urkunde ist besiegelt<br />

und unterschrieben vom Ehrenkaplan Joseph Anton<br />

Rickhermann. Bemerkenswert für uns heute sind die barocken<br />

Titel des Weihbischofs und seines Chefs: „Wilhelm<br />

Joseph Leopold, Freiherr von Baaden, durch Gottes<br />

und des Apostolischen Stuhles Gnaden Bischof von<br />

Milah (Algier), Kapitular der Kathedralkirche Konstanz,<br />

Kapitularkanoniker respektive Cantor von Augsburg,<br />

Generalvikar in Pontifikalhandlungen des hochwürdigsten<br />

und höchsten Vaters in Christo, des Herrn<br />

Maximilian Christophorus (von Rodt), von Gottes Gnaden<br />

Bischof von Konstanz, des hl. römischen Reichs<br />

Fürst, Herr von der Reichenau und Oehningen, Balleivorsteher<br />

und Protektor des hohen Ordens des hl. Johannes<br />

von Jerusalem".<br />

Hans Landenberger berichtet neuestens 2 : Am Nordostgiebel<br />

der Scheuer des Unteren Homburger Hofes von 1745<br />

befindet sich ein gekröntes Hohenzollernwappen samt<br />

der Jahreszahl. Da eine Burg ohne einen zugehörigen<br />

Wirtschaftshof mit Pferdeställen in der Nähe ehemals<br />

undenkbar war, dürften die Gebäude anstelle des früheren<br />

Schafhofes errichtet worden sein. „Am 5. Mai 1933<br />

ist das Wohnhaus des Hofes abgebrannt und die Scheuer<br />

brannte aus. Vom Wohnhaus ist das Kellergewölbe noch<br />

erhalten. Das Dach der Scheuer wurde unschön erneuert,<br />

vordem hatte sie ein Krüppelwalmdach."<br />

„Der Untere Homburger Hof samt der Ruine Hainburg<br />

ist vor wenigen Wochen (Februar <strong>1975</strong>) in Privathand<br />

übergegangen. Die gegebene Oase der Ruhe will der neue<br />

Besitzer zur Freizeitgestaltung benützen. Dem Vernehmen<br />

nach soll der Zugang zur Burgruine für Natur- und<br />

Wanderfreunde offen bleiben. 2 " Erwähnt sei, daß auch<br />

ein Teil des Haigerlocher Schlosses, das Straßberger<br />

Schloß, das Schlößle zu Neufra an der Fehla und die<br />

St. Luzenkirche vom hohenzollerischen Fürstenhaus in<br />

den letzten Jahren abgestoßen wurden.<br />

P. S. Von Interesse ist eine Mitteilung der Hohenzollerischen<br />

Zeitung vom 28. XII. 1967 bzw. 3.1.1968: „In<br />

Owingen wurde bis zum Jahr 1923 ein Jahrtag mit Vigil<br />

und zwei Messen gehalten für den „Grafen Sigismund<br />

von Hohenberg und Hainburg (f 1486) und seine Gattin<br />

Ursula von Rhäzüns (f 1477)". Die Stiftung dürfte mit<br />

der Hainburger Kaplanei zu Owingen zusammenhängen.<br />

Somit scheint der Graf S. von Hohenberg noch als Oberlehensherr<br />

der Hainburg gegolten zu haben.<br />

8 Krebs, Invest. Prot., in: Freib. Diöz. Arch. 1939, 644.<br />

9 Zeitschr. f. Württ. L. Gesch. 1937, 349.<br />

10 Mitt. d. Vereins f. Gesch. Hohenz. 8 (1874), 95 f., 99 u.<br />

101.<br />

11 Zollerheimat 1940, 7-8.<br />

12 Mitt. Hohenz. 31, 133.<br />

13 Zollerheimat 1939, 23-24 und Albv. Blatt. 1954, 31.<br />

,3 a Die Hl. 3 Könige sind z. B. Nebenpatrone der Burg Zollern<br />

schon im 12. Jahrhundert, wie die alte Reliefplatte in der<br />

Kapelle beweist.<br />

14 Zollerheimat 1938, 79.<br />

15 Hohenz. Heimat 1953, 47.<br />

16 Mitt. Hohenz. 8, 95.<br />

17 Zeitschrift f. Hohenz. Gesch. 1966, 121.


Oberlehrer i. R. Josef Wiest t Ein geschätzter Pädagoge und verdienter Heimatforscher<br />

Im 81. Lebensjahr verstarb mit Oberlehrer i. R. Josef<br />

Wiest ein hochqualifizierter Pädagoge und ein verdienter<br />

Heimatforscher, der weit über die Grenzen der Heimat<br />

hinaus einen Namen hatte. Die Stadt Gammertingen, der<br />

er mit einer zweibändigen Stadtgeschichte sein Lebenswerk<br />

vermachte, ernannte ihn für seine bleibenden Verdienste<br />

zum Ehrenbürger.<br />

Der gebürtige Rangendinger besuchte nach der Volksschule<br />

die frühere Präparandie in Hechingen und anschließend<br />

das königlich-preußische Lehrerseminar in<br />

Boppard am Rhein, an dem er 1914 auch die erste<br />

Staatsprüfung für das Lehramt ablegte. Anschließend<br />

startete er seine Berufslaufbahn als Lehrer in seinem<br />

Heimatort Rangendingen, wurde jedoch schon nach<br />

zwei Monaten zum Kriegsdienst eingezogen.<br />

Nach dem Ende des ersten Weltkrieges fand Josef Wiest<br />

seine erste richtige Anstellung als Lehrer in Wilflingen<br />

bei Rottweil. Bereits 1920 führte ihn dann sein Berufsweg<br />

nach Gammertingen, das für ihn und seine Familie<br />

für 40 Jahre zur zweiten Heimat werden sollte. Als engagierter<br />

Pädagoge und vielseitig interessierter Mann erwarb<br />

er sich bald das Vertrauen der Bevölkerung, war<br />

er als Lehrer und Schulleiter bei Kollegen, Eltern und<br />

Schülern geschätzt.<br />

Darüber hinaus prägte Oberlehrer Wiest das kulturelle<br />

Leben in der Stadt Gammertingen entscheidend mit. So<br />

stellte er sich in seiner Freizeit jahrzehntelang dem Kirchenchor<br />

und dem Männerchor als Dirigent zur Verfügung.<br />

Dies wußte der Männerchor mit der Ernennung<br />

zum Ehrendirigenten besonders zu würdigen. Daneben<br />

leitete Josef Wiest eine Gewerbeschule in Gammertingen,<br />

an der er auch selbst unterrichtete. Als leidenschaftlicher<br />

Heimatforscher widmete er sich auch eingehend der Er-<br />

MANFRED HERMANN<br />

forschung der heimatlichen Flora und gründete dazu<br />

eine Lehrerarbeitsgemeinschaft, die von 1923 bis 1930<br />

bestand.<br />

Insbesondere wußte sich der Verstorbene jedoch der<br />

Heimatgeschichte verpflichtet, einem Arbeitsgebiet, das<br />

ihn faszinierte und weder ruhen noch rasten ließ. Sein<br />

unermüdliches Schaffen über drei Jahrzehnte hinweg<br />

trug reiche Früchte. Mit den nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten<br />

erarbeiteten Werken „Geschichte der Stadt<br />

Gammertingen unter der Speth'schen Herrschaft 1524<br />

bis 1827" und „Geschichte der Stadt Gammertingen"<br />

machte er seiner Wahlheimat ein Geschenk von beispiellosem<br />

Wert. In Verbindung mit dem übrigen reichen<br />

kulturellen Wirken bildete dafür die Ernennung zum<br />

Ehrenbürger die verdiente Anerkennung. Der Würdigung<br />

bedarf außerdem seine 15jährige fruchtbare Tätigkeit<br />

in der Hauptschriftleitung der „Hohenzollerischen<br />

Heimat", die auch dank seiner Mitarbeit zu einer Fundgrube<br />

für den heimatgeschichtlich Interessierten geworden<br />

ist.<br />

Nach seiner Zurruhesetzung im Jahr 1960 kehrte Oberlehrer<br />

Wiest zusammen mit seiner Frau Balbine geborene<br />

Leins, mit der er noch im vergangenen Jahr die Goldene<br />

Hochzeit feiern konnte, in seine Heimatgemeinde Rangendingen<br />

zurück, wo er bereits 1952 ein Wohnhaus in<br />

der Heimgartenstraße gebaut hatte. Der geschätzte Pädagoge<br />

und profilierte Heimatforscher wird allen, die ihn<br />

kennengelernt haben, unvergessen bleiben. Die herzliche<br />

Anteilnahme eines großen Freundes- und Bekanntenkreises<br />

gilt seiner Ehefrau sowie seinen Kindern, von denen<br />

eine Tochter in Rangendingen als Konrektorin wirkt,<br />

während die andere in Tübingen verheiratet ist, und den<br />

beiden Söhnen, die als Oberstudienrat in Balingen und<br />

als Pfarrer in Stetten a.k.M. leben. Frick<br />

Josue Klingenstein (ca. 1595-1655), ein vergessener Maler des Frühbarock<br />

aus Trochtelfingen.<br />

Trotz der Kunstdenkmälerbände der Altkreise Hechingen<br />

und Sigmaringen 1 ist die Kenntnis der barocken<br />

Schnitzerei und Malerei hierzulande noch recht unbefriedigend.<br />

Unsere einheimischen Kirchen und Kapellen enthalten<br />

eine Fülle künstlerischen Materials, das nur oberflächlich<br />

gesichtet ist und nur in wenigen Fällen bestimmten<br />

Meistern zugeordnet werden konnte. Oftmals konzentrierte<br />

man die ganze Aufmerksamkeit auf die herausragenden<br />

Künstler und vergaß darüber die minder<br />

begabten lind weniger bedeutenden Kunsthandwerker,<br />

die doch einen wesentlichen Teil des Reichtums an<br />

schöpferischen Kräften ausmachten. Selbst wenn in den<br />

Kirchenrechnungen so vieler Pfarreien Maler und<br />

Schnitzer mit nebensächlichen Beschäftigungen aufgeführt<br />

werden, lohnt es sich dennoch, ihrem Leben und<br />

Werk nachzuspüren. Denn bei der Einordnung eines Bildes<br />

in einen künstlerischen Zusammenhang ist es wichtig<br />

zu wissen, welche Werkstätten dafür überhaupt in Frage<br />

kommen<br />

Ein bisher völlig unbekannter Name erscheint in den<br />

Heiligenpflege-Rechnungen (HR) der Martinskirche<br />

Trochtelfingen 2 zwischen 1630 und 1655; der des Malers<br />

Josue Klingenstein. Das hat mich gereizt, aus den<br />

dortigen Kirchenbüchern dessen Lebensdaten zu erheben,<br />

damit seine Person für uns Gestalt und Farbe gewinnt.<br />

Nach der Altersangabe beim Todeseintrag ist der Maler<br />

etwa 1595 geboren, wohl als Sohn des Jerg Klingenstein,<br />

der möglicherweise den gleichen Beruf besaß. HR 1584/<br />

85 enthält den Eintrag: „Item Jerg Klingenstein vom<br />

Crucifix ze leimen, zu mahlen und von St. Martin ußzestreichen<br />

x lb (Pfund) x ß (Schilling)". Andererseits hatte<br />

Jerg auch die Kirchenuhr zu richten und auszubutzen,<br />

dazu Fenster in der Kapelle vor dem Oberen Tor auszubessern.<br />

Vielleicht hatte man ihn auch als Mesner angestellt.<br />

Freilich dürfen wir in ihm keinen großen Künstler<br />

sehen. Denn 1598 hat der Riedlinger Maler Michael<br />

Sattler 3 die Ausmalung der Haidkapelle besorgt 4 , ein<br />

Auftrag, der jedenfalls die Fähigkeiten des Jerg Klingenstein<br />

überstieg. Nach der Ausbildung in der Werkstätte<br />

des Vaters zog wohl der junge Mann als Geselle in die<br />

weite Welt hinaus. Offensichtlich kam er dabei über den<br />

Bodensee bis nach Vorarlberg, denn von Feldkirch<br />

brachte Josue seine Braut Margaretha Felixe mit. Am<br />

7. 11. 1620 schlossen die beiden vor Pfarrrer und Dekan<br />

Martin Benkler 5 in Trochtelfingen die Sponsalien, kurz<br />

darauf die Ehe. Der Malersfamilie wurde eine ganze Anzahl<br />

Kinder geschenkt (» 1621/22 NN., f 17. 3. 1623;<br />

* 8.4. 1623 Martha; » 23.1.1626 Wolf Theoderich,<br />

t 30. 4. 1626; * im Februar Maria Salome; * 29. 5. 1629<br />

Clara, »Dez. 1631 Johann Jakob, » 10.6.1633 Magdalena,<br />

* 6. 11. 1635 Franziska, » 21.6.1738 Johanna,<br />

» 13. 5. 1643 Christina, » 13. 11. 1646 Johann Adam und<br />

27


» 1. 8. 1648 Franz). Es ist bemerkenswert, daß zwischen<br />

1635 und 1646 die Frau des Obervogtes Georg<br />

Schweizer, Elisabeth Schweizerin, zum Zeichen der Verbundenheit<br />

mit der Malerfamilie sich jeweils als Patin<br />

zur Verfügung stellte. Das spricht auch für das Ansehen<br />

des Josue Klingenstein innerhalb der Stadt Trochtelfingen.<br />

Übrigens scheint die Familie gut die schrecklichen<br />

Pestjahre 1630 und 1635 überstanden zu haben, die in<br />

Trochtelfingen einen hohen Tribut an Menschenleben<br />

forderten. Etwa 1648 bestellte man unseren Maler zum<br />

Mesner der St. Martinspfarrkirche, verschiedentlich erscheint<br />

er in der folgenden Zeit als Trauzeuge im dortigen<br />

Ehebuch. Der älteste Sohn Johann Jakob zeichnete<br />

sich offensichtlich durch besondere geistige Gaben aus,<br />

denn am 29. 10. 1653 schrieb er sich zum Studium der<br />

Rhetorik in die Matrikel der Universität Salzburg ein u .<br />

Schwerlich dürfte der Vater mehr die Priesterweihe seines<br />

Sohnes erlebt haben, denn ein plötzlicher Tod nahm<br />

ihm am 10. August 1655 den Pinsel aus der Hand. Das<br />

Trochtelfinger Totenbuch widmete ihm einen längeren<br />

Nachruf, vor allem ging es näher auf den merkwürdigen<br />

Tod des Josue Klingenstein ein 7 . Der etwa 60jährige<br />

Maler, seit sieben Jahre Mesner, habe, wie man allgemein<br />

annahm, neulich einen vergifteten Becher leergetrunken.<br />

Jedenfalls zerfielen rasch Verstand und<br />

Kräfte. Nachdem er sich fünf Tage niedergelegt<br />

hatte, verlöschte durch eine böse Macht sein Lebenslicht,<br />

ohne mehr durch eine Arznei Rettung zu finden. Kurz<br />

zuvor habe er am Jubiläumstag Papst Alexander VII.<br />

sowohl Büß- wie Altarsakrament empfangen, im Todeskampf<br />

konnte er nur noch die Krankensalbung erhalten.<br />

Sein Tod bereitete allen Trauer, da er sein Amt mit besonderer<br />

Sorgfalt versehen habe und im übrigen ein guter<br />

Mann gewesen sei. Offensichtlich führte die Witwe<br />

noch kurze Zeit die Malerwerkstätte weiter. - Der<br />

Sohn Johann Jakob erscheint wenig später als Kaplan<br />

im Heimatort, ab 1657 verwaltete er bis zu seinem Tod<br />

im Jahr 1698 die Pfarrei Oberstetten, seit 1671 war er<br />

sogar Dekan des Landkapitels Trochtelfingen 8 .<br />

Wenden wir uns der Tätigkeit des Malers zu, die durch<br />

die Ereignisse des 30jährigen Krieges und das Grauen<br />

der Pestzeit sicherlich stark eingeschränkt wurde. Allerdings<br />

dürfte Klingenstein an der Neuausstattung mancher<br />

Kirche und Kapelle nach 1648 beteiligt gewesen<br />

sein, da es vieles in Stand zu setzen galt. Meist sind es<br />

bescheidene Aufträge, die in den Trochtelfinger Heiligenpflege-Rechnungen<br />

genannt werden. HR 1630/31:<br />

„Item Josue Klingensteinen Mahlern vor Arbait bezahlt<br />

32 xr. Item Josue Klingensteinen Mahlern vor daß Gätter<br />

in der Kirchen anzustreichen geben 2 fl". HR 1631/<br />

Anmerkungen:<br />

1 Die Kunstdenkmäler Hohenzollerns, hgbn. von Walther<br />

Genzmer - Bd. I, Kr. Hechingen, Hechingen 1939 - Bd.<br />

II, Kr. Sigmaringen, Stuttgart 1948.<br />

2 Im Pfarrarchiv Trochtelfingen.<br />

3 Dieser bisher unbekannte Meister malte 1598 die Haidkapelle<br />

aus: „Jtem Michael Sattlern Malern von Riedlingen<br />

von der Haid Cappel zu malen, für färben und alles andere<br />

1 C XXXV lb. xß." (HR Trochtelfingen). Ebenso hatte er<br />

1604 für die neuerbaute Pfarrkirche in Neufra den Hochaltar<br />

zu fassen, den der Schreiner Martin Kadus von Mengen<br />

angefertigt hatte (Rechnung über Einnahmen und <strong>Ausgabe</strong>n<br />

zum Kirchenneubau 1603-05, im Pfarrarchiv Neufra). Sein<br />

Sohn war sicherlich der Maler Johann Jacob Sattler in<br />

Riedlingen, der sich am 13. 6. 1617 mit Maria Anna Rapp<br />

verheiratete und bis 1630 mit acht Kindern im Riedlinger<br />

Taufbuch verzeichnet ist. Von Michael Sattler stammt wahrscheinlich<br />

das gemalte Rollwerk um die Langhausfenster der<br />

Trochtelfinger Pfarrkirche, das typische Renaissanceformen<br />

um 1600 zeigt.<br />

28<br />

32: „Item Josue Klingenstein Mahlern für die 3 Mergen<br />

außzustreichen l(aut) z(etel) 10 fl". Sollte damit die Neufassung<br />

der drei trauernden Frauen (Mergen-Marien) aus<br />

der Zeit des Weichen Stils (um 1430), die heute zu Füßen<br />

des mächtigen Kreuzes an der Chorwand der Pfarrkirche<br />

angebracht sind, gemeint sein? Jedenfalls handelte<br />

es sich um eine größere Arbeit. HR 1639/40: „Item dem<br />

„Jtem M. Josue Klingenstein von dem grab auszumachen,<br />

zalt 30 xr". HR 1645/46: „Jtem dem Mahler Josue<br />

Klingenstein vor die Uhrtafel zu mahlen 3 fl<br />

20 xr. Jtem M. Josue Klingenstein von dem Grab aufzurichten<br />

36 xr". HR 1647/48 „Josue M. Klingenstein<br />

mahlern bezahlt 1 fl 34 xr". HR 1650/51: „Josue<br />

Klingenstein mahlern 3 fl. Dem Mahler wegen aufmachung<br />

d. grabs 30 xr". HR 1652/53: „Jtem Josue<br />

Klingenstein dem mahler wegen etlicher Kirchenzierdt<br />

1 fl 34 xr". Damit könnte eine Hilfe des Malers bei der<br />

Aufrichtung zweier Altäre gemeint sein, die der Schreiner<br />

Mathäus Schoßer zu reparieren hatte. Sicherlich war<br />

eine teilweise Neufassung notwendig geworden. Im<br />

gleichen Jahr wurde auch an der Haidkapelle renoviert:<br />

„Jtem dem mahler von der Sonnen Uhr an der Haidt<br />

Capell zu ernewern zahlt 1 fl. Jtem Jhme ferner zahlt,<br />

so er an einem Altar in dise Capellen verdient 40 xr".<br />

Hier handelte es sich um einen Nebenaltar, den der vorgenannte<br />

Schreiner geschaffen hatte. Außerdem hatte<br />

„der Bildhauer von Hechingen" 9 von zwei Schachern<br />

einen repariert, den anderen ganz neu geschnitzt. Beide<br />

hatte Josue Klingenstein um 14 fl zu fassen. In HR<br />

1655/56 finden wir den letzten Hinweis auf unseren<br />

Maler bzw. seine Werkstatt: „Jtem Balthas Schnitzern<br />

vmb färben zur Sacristei und Beinhaus 1 fl 8 xr. Jtem<br />

der mahlerin in gleichem vmb färben anzumachen".<br />

Man könnte daraus schließen, daß die Witwe noch<br />

etliche Zeit durch einen Gesellen die Werkstatt weiterbetrieben<br />

habe.<br />

In der Zusammenschau der Aufträge erweist sich Josue<br />

Klingenstein mehr als Faß-, denn als Flachmaler. Um<br />

das tägliche Brot zu verdienen, dürfte er sogar öfters<br />

handwerkliche Anstreicherarbeiten durchgeführt haben.<br />

Immerhin mag er auch das eine oder andere Gemälde geschaffen<br />

haben. So könnte die älteste in Hohenzollern<br />

erhaltene Votivtafel der Gräfin Franziska Elisabeth von<br />

Fürstenberg von 1655 in der Haidkapelle Trochtelfingen<br />

10 von seiner Hand stammen. Allerdings ist das Bild<br />

nach der Restaurierung der Kapelle noch nicht an seinen<br />

alten Platz zurückgekehrt, so daß es an dieser Stelle nicht<br />

vorgestellt werden kann. Auch wenn für ihn keine belegte<br />

Arbeit mehr erhalten ist, soll Josue Klingenstein unter<br />

den ländlichen Kunsthandwerkern nicht vergessen sein.<br />

4 Vielleicht stammt die Ausmalung der Fensterlaibungen der<br />

Haidkapelle von Sattler. Vgl. Walther Genzmer, Denkmalpflege<br />

in Hohenzollern von 1959 bis 1965, in: Z. f. Hohz.<br />

Gesch., Bd. 1/1965, S. 191 f.<br />

5 Von 1612 bis zu seinem Tod am 29. Mai 1650, also während<br />

des ganzen 30jährigen Krieges Seelsorger in Trochtelfingen,<br />

ab 1617 auch Dekan. Friedrich Eisele, Zur Geschichte<br />

Trochtelfingens, in: Mitteilungen d. Vereins f. Gesch. in<br />

Hohenzollern, 42. Jhg/1908-09, S. 103 f.<br />

6 Maximilian Schaitel, Hohenzollerische Studenten in der<br />

Universität Salzburg (1639-1810), in: HH 1964, S. 56.<br />

7 ToBuch Trochtelfingen 1650-77.<br />

8 Friedrich Eisele, wie oben, in: Mitteilungen 47./49.Jhg/<br />

1913-16, S. 48. Johann Adam Kraus, Aus den Visitationsakten<br />

des ehem. Kapitels Trochtelfingen, in: Freib.<br />

Diöz. Archiv, Bd. 73/1953, S. 175 ff.<br />

9 Ein unbekannter Meister. Zachäus Taubenschmid war 1645<br />

gestorben. Lebte um diese Zeit noch Konrad Gilg, der 1627<br />

nach Burladingen eine Madonna lieferte?<br />

10 Kunstdenkmäler Hohenzollerns - II. Bd., Kr. Sigmaringen<br />

1948, S. 374 f.


Foto: Keidel-Daiker<br />

Am 25. April <strong>1975</strong> konnte in Burladingen-Melchingen<br />

Pfarrer Albert Waldenspul in großer geistiger Frische<br />

seinen 90. Geburtstag feiern. Den Freunden der hohenzollerischen<br />

Kunstschätze ist der Jubilar als Kunstgeschichtler<br />

wohlbekannt. Sein grundlegendes Werk ist die<br />

Bearbeitung der Kunstdenkmäler des ehemaligen Oberamtes<br />

Haigerloch in dem von Walther Genzmer herausgegebenen<br />

Kunstdenkmälerband von Hechingen (Hechingen<br />

1939).<br />

Schon früh hat sich in dem aus Klosterwald stammenden<br />

Theologen die Freude an der Kunstgeschichte gezeigt.<br />

Grundlegende Kenntnisse erwarb er sich bei Freiburgs<br />

geistlichem Kunstwissenschaftler Professor Dr. Joseph<br />

Sauer. Wen wundert es, daß er als junger Vikar von<br />

Veringendorf aus nach Tübingen zu Professor Dr. Georg<br />

Weise pilgerte, um in dessen Kunstseminar mitzuarbeiten.<br />

Weise setzte seine Studenten besonders auf die Erfassung<br />

aller gotischen Plastiken im schwäbischen Raum<br />

an. Fortan sah man den kunstbegeisterten Vikar, eine<br />

Plattenkamera im Rucksack verpackt durch das Laucherttal<br />

und über die anschließenden Höhen der Alb radeln,<br />

um gotische Madonnen und Heilige auf die Platte<br />

zu bannen. Auf diese Weise kam eine kostbare Fotosammlung<br />

zusammen, um die jedes kunstwissenschaftliche<br />

Seminar ihn beneiden würde und die manchem Buch<br />

als Illustrationsmaterial diente. Die Frucht seiner Mühe<br />

war das schmale Bändchen „Die gotische Holzplastik des<br />

Laucherttales in Hohenzollern", erschienen als zweites<br />

Heft der „Forschungen zur Kunstgeschichte Schwabens<br />

und des Oberrheins - herausgegeben von Professor<br />

Dr. Georg Weise in Tübingen, 1923". Sehr gerne hätte<br />

ihn der Professor für weitere kunstgeschichtliche Forschungen<br />

herangezogen und ihm dafür den Doktorgrad<br />

verliehen. In seiner Bescheidenheit hat dies Albert Wal-<br />

Pfarrer Albert Waldenspul<br />

zum 90. Geburtstag<br />

denspul rundweg abgelehnt. Auch der Weg zum geistlichen<br />

Studienrat hätte ihm offen gestanden, doch wollte<br />

er lieber der einfache Seelsorger vom Land bleiben, der<br />

er eben war.<br />

Schon als Vikar hat er sich durch den Neubau der Kapelle<br />

in Hochberg bei Jungnau, für das er als Vikar von<br />

Veringendorf zuständig war, Verdienste erworben. Als<br />

kunstsinniger Pfarrer wirkte er in den drei Gemeinden<br />

Gruol, Imnau und Melchingen. In der ersten Pfarrei war<br />

ihm besonders die bekannte Friedhofskapelle mit dem<br />

reizenden Fachwerkturm ans Herz gewachsen, die er liebevoll<br />

herrichtete. In seiner Gruoler Zeit trug er auch<br />

die Unterlagen zum Haigerlocher Teil des Hechinger<br />

Kunstdenkmälerbandes zusammen, der noch heute die<br />

Grundlage und Ausgangspunkt aller kunstwissenschaftlichen<br />

Forschung über diesen Raum bildet. Besondere Verdienste<br />

erwarb sich Albert Waldenspul um die Pfarrkirche<br />

von Melchingen, die er zusammen mit Restaurator<br />

Josef Lorch aus Sigmaringen zu einem wahren Schmuckstück<br />

herausputzte (1952). Seine Wertschätzung der Melchinger<br />

Heiligtümer kommt in der kleinen Festschrift<br />

zum 200jährigen Jubiläum (1969) der Pfarrkirche<br />

St. Stephan zum Ausdruck. Was Waldenspuls Schriften<br />

auszeichnet, sind seine die geistigen Hintergründe aufzeigenden<br />

Gedanken zur Stilgeschichte und Ikonographie.<br />

Bei einem volkstümlichen Ton wird überall der Theologe<br />

und Seelsorger spürbar.<br />

Es würde zu weit führen, alle seine Schriften und Artikel<br />

zu meist hohenzollerischen Themen aus Geschichte<br />

und Kunst aufzuzählen. Es sind insgesamt über 70 Beiträge,<br />

eine stattliche Zahl auch in unserer Zeitschrift, zuletzt<br />

„Kunde von der Burren-Burg bei Wald (Hohenzollern)"<br />

in HH 1973 aus der Feder des 88jährigen.<br />

Was Pfarrer Waldenspul bekannt gemacht hat, das sind<br />

seine zahlreichen Lichtbildervorträge, nach 1950 teilweise<br />

im Auftrag der „Kunst und Kultur" in Sigmaringen.<br />

Landauf, landab zeigte er in volkstümlichen Ausführungen<br />

die Schönheit der heimischen Kunstwerke.<br />

Heute, da er Fotoapparat und die Feder auf die Seite gelegt<br />

hat, liest er stets mit Aufmerksamkeit die Hohenzollerische<br />

Heimat und freut sich im voraus auf das nächste<br />

Heft. Aufgeschlossen wie eh und je unterhält er sich<br />

auch gerne noch über die eine oder andere darin erörterte<br />

Frage. Dabei stellt der Besucher erstaunt fest, daß<br />

noch dem 90jährigen nahezu der ganze Reichtum seines<br />

Wissens gegenwärtig ist.<br />

Wir, die Mitarbeiter und Leser der Hohenzollerischen<br />

Heimat, wünschen dem Jubilar Gottes Segen, einen gesunden<br />

und erfüllten Lebensabend und noch das eine<br />

oder andere Jahr, so Gott will. Vor allem danken wir<br />

ihm für alles Wissen um die Schönheit und den Wert der<br />

heimischen Kunstwerke, das er uns erschlossen hat. H.<br />

29


JOHANNES WANNENMACHER<br />

Von den Zugtieren unserer bäuerlichen Vorfahren.<br />

Erinnerungen aus Rangendingen<br />

In den Tagen der Ölkrise tauchte bei manchem alten<br />

Bauersmann die Erinnerung auf an jene schöne Zeit, da<br />

es noch keine motorisierten Zugmaschinen und dergleichen<br />

gab und Pferde, Ochsen und Kühe die einzigen Gespanne<br />

waren. Unabhängig von außen und frei von allen<br />

geschäftlichen Machenschaften konnte sich der Bauer jederzeit<br />

auf seine Zugtiere verlassen.<br />

Im Leben unserer bäuerlichen Vorfahren hatten die Zugtiere<br />

einen ganz besonderen Platz. Sie gehörten zu ihnen,<br />

waren ein wesentlicher Teil ihrer Existenzgrundlage und<br />

wurden von ihnen meist liebevoll umsorgt und betreut.<br />

Die Tiere wiederum dankten dies durch ihre Arbeit,<br />

durch Gaben aller Art und zuletzt mit ihrem Leben. -<br />

Seit undenklichen Zeiten wurde das Pferd als Haus- und<br />

Zugtier gehalten. Es war schon in grauer Vorzeit der<br />

Gehilfe des Menschen bei der Jagd, als Reittier bei<br />

Überwindung von weiten Entfernungen, beim Tragen<br />

und Transport von schweren Lasten, bei der Landnahme<br />

und bei Kämpfen und Streitigkeiten aller Art. Und später,<br />

als die Menschen seßhaft wurden, als Wagen und<br />

Pflug aufkamen, war das Pferd ein getreues Zugtier bei<br />

allen Arbeiten auf dem Feld, im Wald und an den Straßen.<br />

Es bestimmte jahrhundertelang auch das Höchsttempo<br />

an Schnelligkeit bis zu der Zeit, da es von der<br />

Technik und dem Motor überholt wurde. - Unsere<br />

Vorfahren waren stolz auf ihre Pferde. Sie gaben ihnen<br />

Namen nach ihren Haarfarben und nannten sie Fuchs,<br />

Rappen und Schimmel. Wieder andere gaben ihnen sogar<br />

Personennamen, wie Fritz, Hans, Liesel und dergleichen.<br />

Mit dem Aufkommen der Maschinen nahm der<br />

Pferdebestand am Orte rasch ab. Nach dem ersten Weltkrieg<br />

liefen hier noch etwa zwei Dutzend Zugpferde,<br />

heute sind es nur noch zwei Stück. Im ausgehenden Mittelalter<br />

muß der Pferdebestand am Orte besonders hoch<br />

gewesen sein. In einem alten Bericht ist zu lesen, daß im<br />

30jährigen Kriege (1618-1648), als auch die Schweden<br />

hier hausten, „Obrist Brink im Jahre 1633 aus Rangendingen<br />

92 gute Pferde mitgenommen hat".<br />

Die größte Zahl der Zugtiere bildeten immer Ochsen<br />

und Kühe. Neben den „Roßbauern" galten die „Stierbauern"<br />

(Ochsenbauern) als eine besondere Gruppe. Sie<br />

besaßen meist eine größere Landwirtschaft und konnten<br />

es sich leisten, ihre milchgebenden Kühe zu schonen und<br />

nicht einzuspannen. Die Ochsen wurden dann durchweg<br />

alle Jahre gewechselt. Wenn im Herbst die Feldarbeit zu<br />

Ende war, wurden sie „abgesetzt" (verkauft). Vor Beginn<br />

des Frühjahrs sah man sich dann wieder um ein anderes<br />

Gespann um. Von dem Erlös aus dem alten Ochsengespann<br />

blieben beim Kauf des jungen Paares meistens<br />

ein- bis zweihundert Mark übrig. Dieser Betrag<br />

war damals für den Haushalt der bäuerlichen Familie<br />

eine sehr wichtige und notwendige Einnahmequelle. Die<br />

Zugochsen waren treue Tiere, wetterhart, anspruchslos<br />

und konnten zu schweren Lasten herangezogen werden.<br />

Das Kuhfuhrwerk war bis vor wenigen Jahrzehnten am<br />

Ort in der Überzahl. Gemächlich zogen die Kühe Wagen,<br />

Pflug und Egge. In langen Reihen ging es morgens<br />

auf das Feld und abends wieder heim. „Bläß", „Scheck"<br />

und „Bleamle" waren die Hauptbezeichnungen für die<br />

Tiere. Und mit „hü" wurden sie nach vorne getrieben<br />

30<br />

und mit „hot" und „wüscht" nach rechts oder links gelenkt.<br />

Mußte eine Kleinigkeit rückwärts gegangen werden.<br />

so hieß es „hendersche" und vorwärts „fiersche"!<br />

Wollte man sie aus dem Gange zum Stehen bringen, so<br />

rief man ihnen ein lautes „Oha"! zu. Wenn die Kühe so<br />

den ganzen Tag eingespannt waren, konnte man abends<br />

nicht allzuviel Milch mehr von ihnen erwarten. Schwer<br />

war oft die Arbeit für das trächtige Vieh, besonders in<br />

den Erntezeiten. Heute sieht man kein Kuhfuhrwerk<br />

mehr auf unseren Straßen und Feldern.<br />

Interessant sind auch die Ausdrücke, die man für die<br />

Brunst der Zugtiere hatte. Bei der Stute hieß es, sie ist<br />

„rossig" oder sie „moiet". Die Kuh hingegen „rinderet"<br />

- oder etwa feiner gesagt „ooßnet". Diese Tage wurden<br />

von den Bauersleuten meist in dem Hauskalender gut<br />

vermerkt. In jedem Ort war ehemals ein Farrenstall.<br />

Auf gute „Häga" (Farren) wurde von der Ortsverwaltung<br />

und den Bauern viel Gewicht gelegt. Heute ist auch<br />

diese Einrichtung in den Dörfern fast restlos verschwunden<br />

und durch die künstliche Besamung, die vom Tierarzt<br />

vorgenommen wird, ersetzt worden. Hierfür hatten<br />

die Bauersleut anfangs kein so rechtes Zutrauen. Bezeichnend<br />

dafür ist eine Begebenheit, die sich am Ort wie<br />

folgt zugetragen hat. Der alte Jerg führte eine junge<br />

Kuh, die rinderte, zum Farrenstall. Das Tier ließ sich<br />

vor Brunst kaum halten. Nach einer Weile kehrte er<br />

wieder zurück. Die Kuh, naturgemäß nicht entspannt,<br />

stellte den Schwanz hoch, schnaubte und stampfte und<br />

riß ihren Herrn wild hin und her. Ein humorvoller<br />

Nachbar sah dies und fragte „Ha, Jerg, was ischt denn<br />

au mit deira Kua los?" Der Jerg machte darauf eine<br />

wegwerfende Handbewegung und entgegnete verdrießlich:<br />

„Komm, la(ß) me gau, seit d'Herra Kälble machet,<br />

ischt d'Welt nemme reacht"!<br />

Als noch ausschließlich Pferde, Ochsen und Kühe die<br />

Zugarbeit leisteten, war es auf Straßen, Feldern und in<br />

den Wäldern noch ruhig und still. Nichts verpestete die<br />

Luft und den würzigen Erdgeruch der Scholle beim<br />

Pflügen. Stare und Raben trippelten in der Furche hinterher<br />

und suchten ihre Nahrung. In der Luft trillerte<br />

die Lerche ihr frohes Liedchen.<br />

Die Maschine hat hier vollständigen Wandel geschaffen,<br />

wenn auch nicht immer zum Vorteil des Menschen. Menschen,<br />

Tiere und Landschaft standen in einer beständigen<br />

Wechselwirkung untereinander. Der Mensch erfreute sich<br />

an seinen Zugtieren, hegte und pflegte sie vertrauensvoll.<br />

Die Tiere andererseits gaben durch ihr Verhalten, ihre<br />

Arbeit und Treue sowie durch ihr naturgebundenes Wesen<br />

dem Menschen manches Rätsel auf. Und die Landschaft<br />

umschloß mit ihrer geheimen Seele Mensch und<br />

Tier, regte vor allem die Phantasie an, in der die schöpferische<br />

Natur mit ihren unergründlichen Gesetzen<br />

durch uns hindurch wirkt. - Die kalte, harte Maschine<br />

nimmt uns wohl viel Arbeit ab, ist aber niemals imstande,<br />

das Humane, rein Menschliche so zu erhalten, zu<br />

stärken und zu bereichern, wie es bei der lebenserfüllten<br />

Dreiheit Mensch, Tier und Landschaft in ununterbrochener<br />

Wirksamkeit geschieht. Diese Tatsache sollten wir<br />

bei allen technischen Fortschritten im Leben niemals<br />

übersehen.


W. OEXLER<br />

Dem Lehrer Lukas Dreher von Vilsingen zur dankbaren Erinnerung (1886-1912)<br />

Pius, Markus, Lukas und Johannes waren vor mehr als<br />

100 Jahren 4 ehrenswerte Söhne des Bauern Fidel Dreher<br />

in der hohenzollerischen Gemeinde Frohnstetten. Von<br />

ihnen blieben die beiden ersten dem Beruf des Vaters<br />

treu. Lukas und Johannes wirkten beinahe 4 Jahrzehnte<br />

lang in Vilsingen und Liggersdorf segensreich als preußische<br />

Volksschullehrer.<br />

Nach Beendigung der im Lehrerseminar Brühl (Rheinland)<br />

erfolgten Ausbildung war Lukas zunächst 2 Jahre<br />

in Benzingen und dann 6 Jahre in Hitzkofen als „Provisor"<br />

einstweilig angestellt. 29 Jahre war er alt, als er<br />

1876 als definitiver Lehrer mit einer jungen Frau und<br />

einem Väjährigen Töchterlein Maria in Vilsingen herzliche<br />

Aufnahme fand. Unsere fleißige Storchentante,<br />

Frau Rosalie Bix, ging in den nun folgenden Jahren mit<br />

Vorliebe ins Schulhaus. Kaum waren dem jüngsten Töchterchen<br />

die ersten Gehversuche gelungen, so wurde schon<br />

wieder dem nächsten Schwesterlein das Taufglöckchen<br />

geläutet. Als sich auf diese Weise der Bestand auf 5<br />

Mägdlein erhöhte, sollten diese endlich ein Brüderlein<br />

bekommen. Tatsächlich ging 1887 der Wunsch der Eltern<br />

und der ganzen Einwohnerschaft in Erfüllung. Jubel und<br />

aufrichtige Mitfreude herrschten in jedem Haus. Sogar<br />

die „Böller" erdröhnten wie am Kaisertag. Bereits 12<br />

Tage nachher bewegte sich ein merkwürdig ernster Leichenzug<br />

vom Schulhaus zum stillen Gottesacker. Ein winziges<br />

Särglein, getragen von 4 Schulknaben, folgte einem<br />

weißen Kreuzlein mit der Inschrift „Joseph Rudolf Dreher<br />

10 Tage alt". Zum Abschluß kam noch die 6. und<br />

letzte Tochter, die spätere, lange Jahre in Bingen (Hohenz.)<br />

beruflich tätige, allgemein beliebte Lehrerin Theresia<br />

Dreher. Leider sollte die Gute keinen längeren Ruhestand<br />

erleben.<br />

Das Einkommen des Lehrers Dreher befand sich damals<br />

noch im Anfangsstadium, d. h. es betrug noch kaum mehr<br />

als 100 M im Monat. Die sogen. Alterszulagen hielten in<br />

manchem Lehrerhaus leider nicht gleichen Schritt mit dem<br />

Wachstum der Familie. Die Existenzmöglichkeit eines<br />

Volksschullehrers wurde damals wesentlich beeinflußt<br />

von des Vaters Geldkasse und von einer möglichst hochmitgiftigen<br />

Lebensgefährtin. Das bescheidene Einkommen<br />

mußte oft durch verschiedene Nebenbeschäftigungen<br />

gestreckt werden. In den 80er Jahren hatte in Hohenzollern<br />

die Schule Vilsingen die größte Kinderzahl (über<br />

100), die von einem alleinstehenden Lehrer unterrichtet<br />

werden mußte. Heute wird es kaum noch einen Lehrer<br />

geben, der 8 Jahrgänge mit über 100 Schülern im selben<br />

Raum gleichzeitig einen vorschriftsmäßigen Unterricht<br />

erteilen könnte. Außerdem gab es für die 14-16jährigen<br />

Knaben im Winter wöchentlich 2 Stunden Abendschule<br />

und für die Mädchen während des ganzen Jahres 1 Stunde<br />

Sonntagsschule. Im Schulgarten war nach Verfügung<br />

der Preußischen Regierung eine Baumschule, in der die<br />

Buben der Oberstufe Anleitung in der Aufzucht und Veredlung<br />

von jungen Obstbäumen erhielten. Erst als die<br />

Schule 120 und mehr Kinder zählte, kam 1895 Provisor<br />

A. Singele als 2. Lehrkraft an die Vilsinger Schule.<br />

Etwa 40-60 Turner (Knaben vom 4. - 8. Schuljahr)<br />

mußten alljährlich dem gestrengen Kreisturnlehrer Gelle<br />

zur Prüfung vorgestellt werden. Unerbittlich forderte<br />

dieser von den künftigen Vilsinger Soldaten den vorge-<br />

schriebenen preußisch militärischen Schneid. Bis dieses<br />

Ziel erreicht war, kostete es unsern Lehrer als Vorturner<br />

viel Mühe und unzählige Schweißtropfen. Mustergültig<br />

waren seine Leistungen an Reck, Barren und Klettergerüst.<br />

Die tadellosen Klemmzüge am Reck und das Armbeugen<br />

und -strecken im Stütz am Barren machte ihm nur<br />

der Schüler Jakob Winz nach.<br />

Der Meister der Schule stellte aber auch als Chorleiter<br />

und Küster seinen Mann. In den vielen Probestunden<br />

mühte er sich ab, seine Chormitglieder im guten Vortrag<br />

deutscher und lateinischer Messen zu üben. Seine Männer:<br />

Pius Bücheler, Joh. Lutz, Eduard Wetzel, Severin Vögtle,<br />

Fridolin Fries, Konrad Winz, Johann Weber, Hugo Winter,<br />

Konrad Bücheler hielten ihm lange Jahre die Treue,<br />

ebenso die Sopranistinnen Brigitte Grom, Magdalena<br />

Fröhlich und Josefa Wetzel bis zu ihrer Verheiratung.<br />

Etwa 20 Jahre lang mußte er sich abquälen mit dem alten<br />

Harmonium, dann erst wurde vom Orgelbauer Ruf<br />

in Sigmaringendorf die erste Orgel erbaut. Der Sonnund<br />

Feiertagsgottesdienst verpflichtete den Mesner an<br />

erster Stelle für den Dienst in der Sakristei. Erst dann<br />

gings im Laufschritt nach dem Hauptportal der Kirche<br />

und die Wendeltreppe empor bis auf den Orgelsitz. Dann<br />

waltete der eifrige Chorregent seines Hohen Amtes nicht<br />

nur am Vormittag sondern auch nachmittags. Er war<br />

zweifellos der Mann des Dorfes, der am wenigsten von<br />

einer Sonntagsruhe verspürte. In langen Jahren hat er<br />

manchem zur Trauung gespielt und Hunderte am Ende<br />

ihrer Pilgerreise über die Schwelle der Ewigkeit hinüber<br />

gesungen. Seine Mesnerfunktionen, die ich als Ministrant<br />

in der Sakristei, bei Taufen, Versehgängen und Begräbnissen<br />

beobachten konnte, zählen zu meinen erbaulichsten<br />

Erlebnissen. Von der ersten Tagesstunde bis zum<br />

Beginn der Nachtruhe zog er wohl ein halbes Dutzend<br />

mal an den Strängen der Kirchenglocken. Auch die Betreuung<br />

der Turmuhr lag in der Hand des ehrsamen<br />

Küsters.<br />

Bezüglich der Entlohnung für den wenig beneidenswerten<br />

Dienst weiß ich noch, daß jeder Bauer jährlich ein<br />

Quantum (einige Simri) Mesnervesen abgeben mußte.<br />

Dazu kam noch der Ertrag von 4 Morgen Mesneräckern.<br />

Nach und nach erwarb er durch Kauf weitere 8 Morgen.<br />

12 Morgen Felder, 3 Kühe, einige Stück Jungvieh, ein<br />

paar Schweine und eine Schar Hühner machten ihn zum<br />

größten Bauern unter der hohenz. Lehrerschaft. Des Bauern<br />

Sommerzeit forderte mehr Arbeitstage als des Lehrers<br />

Winterhalbjahr. Diese Zeit stand ihm vom Mai bis<br />

November zur Verfügung, weil damals die Großen<br />

(4.-8.) von 6 bis 8 Uhr und die Kleinen (1.-3.) von 8 bis<br />

10 Uhr unterrichtet wurden. Landw. Maschinen gab es<br />

noch nicht. Ausschließlich war Lehrer Dreher auf menschliche<br />

Kräfte angewiesen, anfangs auf Frau und Schwester<br />

Sophie, später auch auf die größeren Töchter.<br />

Ein unvergeßlicher Verdienst der tüchtigen Hausfrau und<br />

Mutter der Familie wird es bleiben, daß sie auch für die<br />

Kirchenwäsche, sowie für die Reinigung der Kirche, des<br />

Schulzimmers und Ratzimmers zu sorgen hatte.<br />

Nach Erreichung der gesetzlichen Altersgrenze (1912) zog<br />

der durch langjährige strenge Arbeit ermattete Lehrergreis<br />

zu seiner Tochter, der Bahnhofswirtin Hulda Beil<br />

nach Gutenstein. Ein unstillbares Heimweh nach Vilsin-<br />

31


gen hat ihn dort bis zum letzten seiner Tage nicht verlassen.<br />

Während des ersten Weltkrieges war er fleißig<br />

am Bahnhof und begrüßte voller Freude seine einstigen<br />

Schüler, die als Kriegsmänner in Urlaub fahren durften.<br />

Er begleitete sie dann den steinigen Weg hinauf bis zur<br />

„Hudelann", einem sagenhaften Felsen im Donautal.<br />

Von jener Höhe aus sandte er ungezählte Male einen<br />

tränenfeuchten Blick nach dem in der Ferne stolz aufragenden<br />

Vilsinger Kirchturm.<br />

36 Jahre voll Schweiß und menschenfreundlicher Mühen<br />

waren ihm schnell wie ein Traumbild entflohen. Voll<br />

Vertrauen auf Gott hat er edlen Samen auf gutes Land<br />

gesät. Am Rande des Lebens sah er nun beglückt auf die<br />

Ernte zurück und froh in die Zukunft hinaus. 6 Jährlein<br />

redlich verdienter Ruhe waren ihm noch zugemessen.<br />

Dann verkündigten die Glocken des schlummernden<br />

Greises selige Nacht, jenseits des irdischen Grabes.<br />

Oscar Heck, letzter Landeskonservator<br />

der Hohenzollerischen Lande<br />

Im Alter von 73 Jahren verstarb in Hechingen Oscar<br />

Heck. Seit 1967 war Heck Landeskonservator in Hohenzollern.<br />

Seine letzten unvergesslichen Verdienste waren<br />

die Aufstellung der Hohenzollerischen Landessammlung<br />

im Alten Schloß in Hechingen und die Einleitung<br />

der Restaurierung von St. Lützen. 1972, mit Aufhebung<br />

des Kommunalverbandes, endete seine Tätigkeit.<br />

Oscar Heck ist geborener Hechinger. Nach dem Abitur<br />

in Hechingen studierte er Architektur. Nach Beendigung<br />

des Studiums beteiligte er sich an zwei großen archäologischen<br />

Expeditionen in Palästina und Kleinasien. 1930<br />

begann Heck seine Laufbahn als Staatskonservator im<br />

preußischen Kultusministerium. 1936 wurde er Direktor<br />

bei der Staatlichen Bildstelle Berlin mit dem Auftrag,<br />

wichtige Kunst- und Baudenkmäler aufzunehmen. Durch<br />

die Verluste des 2. Weltkrieges erlangte diese Arbeit eine<br />

ungeahnte Bedeutung. Nach dem Krieg kehrte Heck in<br />

die Heimat zurück und wurde Hauptkonservator beim<br />

Staatlichen Amt für Denkmalspflege in Tübingen. Als<br />

Heck 1967 in den Ruhestand trat, konnte er vom Landeskommunalverband<br />

als Nachfolger für Landeskonservator<br />

Walther Genzmer gewonneji werden. Fast in allen<br />

hohenzollerischen Gemeinden war Heck in den letzten<br />

Jahren tätig und konnte viel Kulturdenkmäler erhalten<br />

und schützen. In der „Hohenzollerischen Heimat" hat<br />

Heck mehrfach über die Denkmalspflege in Hohenzollern<br />

berichtet.<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

herausgegeben vom Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

in Verbindung mit den Staatlichen<br />

Schulämtern. Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong><br />

<strong>Geschichtsverein</strong> 748 Sigmaringen,<br />

Karlstr. 3. Druck: M. Liehners Hofbuchdruckerei<br />

KG, 748 Sigmaringen, Karlstr. 10.<br />

Die Zeitschrift „Hohenzollerische Heimat"<br />

ist eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie<br />

will besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />

mit der Geschichte ihrer Heimat<br />

vertraut machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />

auch populär gehaltene Beiträge<br />

aus der Geschichte unseres Landes.<br />

Sie veröffentlicht bevorzugt Beiträge, die<br />

im Schulunterricht verwendet werden<br />

können.<br />

Bezugspreis: 2,00 DM halbjährlich<br />

Konten der „Hohenzollerischen Heimat":<br />

802 507 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />

123 63 Postscheckamt Stuttgart<br />

32<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

Fritz Scheerer, Rektor i. R.<br />

746 Balingen, Am Heuberg 42<br />

Dr. Maren Kuhn-Rehfus<br />

Sigmaringen, Staatsarchiv<br />

Johann Adam Kraus<br />

Erzb. Archivar i. R.<br />

Freiburg/Br., Badstr. 2<br />

Walther Frick, Journalist<br />

Sigmaringen, Hohe Tannen 4<br />

Manfred Hermann, Pfarrer<br />

7451 Neufra/Hohenzollern<br />

Johannes Wannenmacher, Schulrat i. R.<br />

Gammertingen, Goethestr.<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth<br />

7487 Gammertingen<br />

Die Hohenzollerische Landesbücherei jetzt<br />

im Eigentum des Landkreises Sigmaringen<br />

Die Hohenzollerische Landesbücherei, eine Einrichtung<br />

des ehemaligen Landeskommunalverbandes der Hohenzollerischen<br />

Lande, ist nach dessen Auflösung am 1. Januar<br />

1973 in das Eigentum des Landkreises Sigmaringen<br />

übergegangen. Sie ist eine Sammelstelle für das geschichtliche<br />

und landeskundliche Schrifttum aus und<br />

über Hohenzollern und will vor allem der geschichtlichen,<br />

kunst- und kulturgeschichtlichen und landeskundlichen<br />

Forschung in unserem heimatlichen Bereich dienen.<br />

Die natürlichen und geschichtlichen Gegebenheiten lassen<br />

für einen Großteil des in der Bücherei gesammelten<br />

Schrifttums eine Begrenzung auf das Gebiet der ehemaligen<br />

Hohenzollerischen Lande nicht zu, vielmehr greift<br />

das Schrifttum für einen großen Teil der Bestände in den<br />

schwäbischen und alemannischen Raum hinein. So sind<br />

vor allem Oberschwaben, die mittlere und westliche Alb,<br />

der ganze Raum der oberen Donau, der nördliche Bodenseeraum<br />

mit dem Linzgau, die an Hohenzollern angrenzenden<br />

baden-württembergischen Kreise in das Sammelgut<br />

der Bücherei einbezogen. Es liegt im Charakter<br />

einer solchen Bücherei, daß sie auch Schrifttum allgemeiner<br />

Art umfaßt, wie Lexika, Namensbücher, Flurnamenbücher,<br />

Wörterbücher, u. a. das fünfbändige Schwäbische<br />

Wörterbuch, Urkundenbücher für den schwäbischen<br />

Raum. Ebenso gehören zum Sammelgut die geschichtlichen<br />

und landeskundlichen Zeitschriften, die irgendwie<br />

Hohenzollern berühren. Der heimatkundliche Forscher<br />

findet hier Schrifttum der verschiedensten und vielgestaltigen<br />

Wissensgebiete. Genannt seien als Beispiel Vorund<br />

Frühgeschichte, Geologie und Geographie, Siedlungsgeschichte,<br />

Landschafts- und Naturdenkmalpflege,<br />

süddeutsche, im besonderen hohenzollerische Geschichte,<br />

letztere mit den Verflechtungen der preußischen Geschichte,<br />

Kulturgeschichte, Volks- und Landeskunde,<br />

Kunstgeschichte, Recht, Verfassung, Gesetze und Verordnungen<br />

- auch aus den ehemaligen Fürstentümern<br />

Hohenzollern-Sigmaringen und Hohenzollern-Hechingen,<br />

Genealogie, Wappen, Siegel, Schulwesen, Wirtschaft.<br />

Zu den Beständen zählen auch wissenschaftliches<br />

und schöngeistiges Schrifttum von hohenzollerischen Autoren<br />

und Bilder, Stiche und Drucke aus dem hohenzollerischen<br />

Raum.<br />

Die Bücherei steht jedem Interessenten zur Benützung<br />

offen. Sie ist im Gebäude des Fürstlich-Hohenzollerischen<br />

Haus- und Domänenarchivs, Karlstraße 32, untergebracht.<br />

Benützungszeit ist vormittags, Montag bis<br />

Freitag von 11 bis 12 Uhr, nachmittags Montag bis Donnerstag<br />

von 15.30 bis 17 Uhr. J. Mühlebach<br />

Redaktionsausschuß:<br />

Hubert Deck, Konrektor<br />

745 Hechingen, Tübinger Straße 28<br />

Telefon (07471) 2937<br />

Walther Frick, Journalist<br />

748 Sigmaringen, Hohe Tannen<br />

Telefon (07571) 8341<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />

die persönliche Meinung der Verfasser<br />

wieder; diese zeichnen für den Inhalt<br />

der Beiträge verantwortlich. Mitteilungen<br />

der Schriftleitung sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters<br />

oder Redaktionsausschusses erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die „Hohenzollerische<br />

Heimat" weiter zu empfehlen.


HÖH ENZOLLERISCHE<br />

HEIMÄT<br />

Alphorn Bilharz<br />

WERNER P. HE YD<br />

Herauegegeben com<br />

W 3828 F<br />

Hohenzollerifchen Gelchichteoerein<br />

Sum ergo cogito -<br />

Zum Gedenken an Alphons Bilharz am 50. Todestag<br />

85. Jahrgang Nr. 3/September <strong>1975</strong><br />

Erweitertertes Manuskript einer Rundfunksendung im Süddeutschen Rundfunk, 2. Programm,<br />

am 24. Mai <strong>1975</strong>, 15.40-16.00 Uhr<br />

Die Stadt Sigmaringen gedachte am 23. Mai des 150.<br />

Geburtstages von Theodor Bilharz und des 50. Todestages<br />

von Alphons Bilharz. Während der Name des<br />

Arztes, Anatomen und Naturforschers Theodor Bilharz<br />

unsterblich geworden ist dank seinen Entdeckungen auf<br />

dem Gebiet der Seuchenbekämpfung im Orient, ist der<br />

Arzt und Philosoph Alphons Bilharz fast ganz vergessen.<br />

Wären seine großen Verdienste als leitender Kran-<br />

kenhausarzt in Sigmaringen nicht, man spräche wohl<br />

sogar hier kaum mehr von ihm, obwohl unter vielen<br />

anderen seine Freunde Gottfried Graf und Dr. Erwin<br />

Beck aus Mengen nicht nur gelehrige treue Schüler des<br />

Einsamen waren, sondern auch seine besten Propagandisten.<br />

An diesem doppelten Gedenktag soll deshalb der<br />

Philosoph aus dem Schatten des Entdeckers gehoben<br />

werden.


„ . .. Wir haben alle Ursache, in Bilharz einen der Unsrigen<br />

zu sehen und zu verehren, der in seiner Einsamkeit<br />

eine denkerische Leistung von hohem Rang vollbracht<br />

hat. Mag sie jetzt noch von Wenigen in ihrem wissenschaftlichen<br />

Wert erkannt werden, so wird sie eine spätere<br />

Zeit mit klarerem Überblick als die jetzige unzweifelhaft<br />

als eine leuchtende Geistestat herausstellen, zum<br />

Ruhme der Heimat" x .<br />

Der das zehn Jahre nach dem Tod des Geheimrats<br />

Dr. med. Alphons Bilharz in Sigmaringen geschrieben<br />

hat, das war der Professor an der Kunstakademie in<br />

Stuttgart, Gottfried Graf 2 . Graf, genau 45 Jahre jünger<br />

als der von ihm so hoch verehrte Philosoph, hat dessen<br />

Lehre nicht nur zu seiner eigenen Sache, ja zur Grundlage<br />

seines künstlerischen Schaffens und Lehrens gemacht<br />

3 , er hat auch alle Hebel in Bewegung gesetzt, um<br />

der Lehre des greisen Freundes und Landsmannes in der<br />

Welt Gehör zu verschaffen. Deshalb war er auch empört,<br />

als ein anderer Schüler von Bilharz, der Heidelberger<br />

Professor Rudolf Metz, schon 1927 im 14. Jahrbuch<br />

der Schopenhauergesellschaft, am Ende einer Würdigung<br />

des Verhältnisses von Bilharz zu Schopenhauer schrieb:<br />

„Bilharzens Tag ist vielleicht schon vorüber, ohne einen<br />

nennenswerten Glanz verbreitet zu haben." Und es sei<br />

„Bilharzens Philosophie, die die Wahrheit mit einem<br />

Griff in ihren Besitz gebracht zu haben glaubte, heute<br />

durchaus unzeitgemäß, und daher ist nicht anzunehmen,<br />

daß unsere Zeit sie erwecken und zur lebendigen Kraft<br />

gestalten wird" 4 .<br />

Wer war dieser Alphons Bilharz, von dem Kröners Philosophisches<br />

Wörterbuch 1921 kein Wort erwähnt, der<br />

bei anderen, wie Metz sagt, mit bloßer Namensnennung<br />

oder einem äußerst bescheidenen Plätzchen vorlieb nehmen<br />

mußte?<br />

Nach eigenem Zeugnis 5 ist Alphons Bilharz am 2. Mai<br />

1836 in Sigmaringen als 7. Kind unter neun Geschwistern<br />

geboren. Sein Vater war Beamter an der Fürstlichen<br />

Hofkammer. Er stammte aus Herbolzheim bei Freiburg,<br />

die Mutter, eine geborene Fehr, aus Frauenfeld im<br />

Kanton Thurgau. „Beide Eltern bekunden somit die rein<br />

alemannische Art unseres Geschlechtes", bekennt der<br />

88jährige stolz in der „Philosophie der Gegenwart in<br />

Selbstdarstellungen", noch kurz vor seinem Tode.<br />

Und weiter heißt es da, er habe nach dem Besuch des<br />

Gymnasiums 1854 die Universität Freiburg bezogen, um<br />

sich zunächst allgemeinen, vorzugsweise naturhistorischen<br />

Studien zu widmen. Schließlich entschied er sich<br />

für Medizin, studierte in Heidelberg, Würzburg, Berlin<br />

und Wien und machte 1859 das medizinische Doktorexamen.<br />

Danach, so heißt es weiter, sei er einer Einladung<br />

des elf Jahre älteren Bruders Theodor gefolgt, der damals<br />

schon ein weltberühmter Professor der Anatomie an<br />

der medizinischen Schule in Kairo gewesen ist.<br />

Schweifen wir kurz ab: Theodor Bilharz, am 23. März<br />

1825, also vor 150 Jahren, geboren, gehört zu jenen<br />

deutschen Pionieren, die in dem Nachbarkontinent mit<br />

wissenschaftlicher Akribie und Leidenschaft dem noch<br />

Unerforschten nachspürten und dabei für das Gesundheitswesen<br />

dieser Länder Ungewöhnliches geleistet haben.<br />

Theodor Bilharz aus Sigmaringen hat den Saugwurm<br />

Schistosoma mansoni als Urheber einer bis heute<br />

bei Mensch und Tier trotz dem Einsatz aller möglichen<br />

Mittel noch nicht ausgerotteten Krankheit entdeckt, die<br />

vor allem in den tropischen afrikanischen, asiatischen<br />

und südamerikanischen Ländern heute noch Millionen<br />

Menschen heimsucht. Die nach dem Entdecker benannte<br />

„Bilharziose" ist eine unerhört schmerzhafte Krankheit<br />

und galt bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts als unheil-<br />

34<br />

bar. Bilharz hat damals schon Mittel und Wege zur Verhütung<br />

und Bekämpfung der Krankheit gezeigt. Dem<br />

Bruder Theodor rühmt der jüngere Alphons nach, er<br />

habe ihm schon frühzeitig den Sinn für genaue und systematische<br />

Beobachtung der Naturgegenstände geschärft.<br />

Dem Bruder dankt er sicher auch das Thema seiner<br />

Doktorarbeit: »Descriptio anatomica organorum genitalium<br />

eunuchi Aetheopis" die 1859 in den Berliner<br />

Medizinischen Disserationen erschienen ist. Demnach<br />

war Alphons Bilharz - ohne daß er es in seinem Lebensbericht<br />

erwähnt — während seiner Studienzeit vor<br />

1859 in Afrika und kehrte auf Einladung seines Bruders<br />

1859/60 dahin zurück. Er hat die erste Abbildung einer<br />

von Bilharziose befallenen menschlichen Harnblase gezeichnet,<br />

die heute noch bekannt ist 7 .<br />

Der junge Wissenschaftler wollte nicht Arzt werden. Er<br />

ging nach dem Ende seiner Studien in das physiologische<br />

Laboratorium von Emil Du Bois Reymond, um dort die<br />

Nervenphysik genauer kennenzulernen. Du Bois Reymond<br />

hatte 1841 seine revolutionären Untersuchungen<br />

über tierische Elektrizität aufgenommen, und Bilharz<br />

fand hier ein Betätigungsfeld, auf dem sich der junge<br />

Wissenschaftler gleich mit neuen Ideen beschäftigen<br />

konnte. Er glaubte auf Grund seiner Beobachtungen und<br />

Messungen die dreidimensionale Materie durch die dreidimensionale<br />

Kraft definieren zu können. Das schien<br />

eine Aufgabe, der gegenüber jede andere an Bedeutung<br />

verlieren mußte. Sie führte ihn zu Gustav Robert Kirchhoff,<br />

der seit 1854 als Professor der Physik in Heidelberg<br />

lehrte und dessen nach ihm benanntes Gesetz die<br />

Elektrizitätslehre revolutionierte.<br />

Bilharz erfuhr aber hier, daß er die sich selbst gestellte<br />

Aufgabe in einem Menschenleben allein würde kaum lösen<br />

können. Ein anderer Plan, über den er nichts weiter<br />

sagt, zerschlug sich. In dieser Lage kam ihm der Rat eines<br />

Freundes wie gerufen: Dr. Castelhun, Arzt in<br />

St. Louis im US-Staat Missouri, riet ihm, sein Glück in<br />

Amerika zu versuchen. Alphons Bilharz fuhr im Frühjahr<br />

1865 nach New York und ließ sich in der Nähe<br />

von St. Louis, später in dieser Stadt selbst, als praktizierender<br />

Arzt nieder. Aber er wurde in den Staaten nicht<br />

seßhaft.<br />

Am 3. März 1877 trat ein Ereignis ein, das sein ganzes<br />

Leben grundlegend veränderte. Er nannte diesen Tag<br />

später einmal seinen „Tag von Damaskus". Darüber berichtet<br />

er in einem „offenen Brief" an Gottfried Graf<br />

in den „Gelben Blättern" 8 , die damals in Stuttgart erschienen<br />

und in denen Persönlichkeiten und Themen des<br />

öffentlichen Lebens, der Kunst, des Theaters, der Literatur,<br />

Natur und Technik zu Wort kamen. Hier erfahren<br />

wir also, in ihm sei während eines Morgenrittes in der<br />

amerikanischen Prärie plötzlich der Gedanke aufgetaucht:<br />

„Erkenntnis als eine Übereinstimmung oder Gleichung<br />

zwischen den Gegensätzen Denken und Sein aufzufassen."<br />

„Mir war damals", schreibt er" im Gelben<br />

Blatt, „als spaltete sich die Erde unter mir und ich sähe<br />

bis zu ihrem Mittelpunkt hinunter. Denn in demselben<br />

Augenblick erhob sich auch die klare Einsicht, daß,<br />

wenn das Subjekt beim Aufbau dieser Gleichung von<br />

sich, seinem Denken ausgehe, dieses also an erster Stelle<br />

stehen müsse, die Begriffsfolge sich sofort umdrehe,<br />

wenn man statt der Abstrakta (Denken und Sein) die<br />

konkreten Begriffe ins Auge faßt: Dann müsse das Seiende<br />

dem Gedachten vorangehen, dieses mit jenem in<br />

Ubereinstimmung gebracht werden, wenn von wirklicher<br />

oder Wahrheitserkenntnis die Rede sein solle . . . Sein<br />

geht vor Denken, die Folgeordnung innerhalb der Wahrheitsgleichung<br />

ist nicht umkehrbar."


lb" i<br />

Das Geburtshaus von Alphons BilharZj heute Bilharz-Apotheke<br />

Mit diesem Augenblick nahm das Leben von Alphons<br />

Bilharz eine grundsätzlich neue Wendung. Der Entschluß,<br />

zur Ausarbeitung dieser Gedanken nach Deutschland<br />

zurückzukehren, war schnell gefaßt und wurde deshalb<br />

erleichtert, weil um diese Zeit in der Heimatstadt<br />

die Stelle des Direktors am Fürst-Carl-Landesspital frei<br />

wurde und man dort dann auch zwei Jahre später der<br />

Bewerbung des Arztes entsprach.<br />

Im Spätsommer 1878 kehrte er nach Sigmaringen zurück,<br />

schon 1879 erschien die erste philosophische Schrift<br />

von Bilharz „Der heliozentrische Standpunkt der Weltbetrachtung"<br />

9 , in der er sich mit der Philosophie Kants<br />

und Schopenhauers auseinandersetzt und dann seinen eigenen<br />

philosophischen Standpunkt mit der Akribie und<br />

den Mitteln des Naturwissenschaftlers in Formeln und<br />

geometrischen Darstellungen fixiert. Noch spielt, wie er<br />

später gesteht, Schopenhauers philosophisches Weltbild<br />

eine wichtige, alles überstrahlende Rolle, die immer weniger<br />

tragend wird, je mehr in der folgenden Zeit Bilharz<br />

seine eigenen Gedanken fortsetzt und modifiziert.<br />

Im Mittelpunkt seines Philosophierens stehen von Anfang<br />

an, wie wir gesehen haben, die beiden Begriffe Denken<br />

und Sein. Diese Erkenntnis ist als Übereinstimmung<br />

oder Gleichung zwischen diesen Gegensatzbegriffen aufzufassen,<br />

aus diesem Grundgedanken bildet er die Gleichung<br />

S = D. Diese Gleichung erschöpft sich nicht in<br />

formaler Identität, in der Gleichsetzung und Gleichheit<br />

der beiden Glieder, die auch nicht einfach vertauschbar<br />

sind. Vielmehr hat das Sein den Vorrang über das Denken,<br />

das Denken ist im Sein gegründet. Descartes hat mit<br />

seinem berühmten Satz Cogite ergo sum die Gewißheit<br />

des Seins aus dem Denken geschlossen, Bilharz dreht die<br />

funktionale Verbundenheit der beiden Begriffe um und<br />

gründet das Denken auf das im Vorbewußten gelegene<br />

Sein - Sum ergo cogito.<br />

Die beiden obersten Begriffe der Bilharzschen Philosophie<br />

stehen im Verhältnis der Gegensätzlichkeit zueinander.<br />

Sie sind echte und reine Gegensätze, die sich gegenseitig<br />

ausschließen. Diese Gegensätzlichkeit wird anschaulich<br />

durch die Richtungsverschiedenheit. Bilharz<br />

sagt dazu: Echte Gegensatzbegriffe stehen aufeinander<br />

senkrecht. Erst die beiden in ihrer Gegensätzlichkeit<br />

durch die Gleichung verbundenen Begriffe S und D, wobei<br />

S — das Sein - der Primat über D - das Denken<br />

- zukommt, sind der adäquate Ausdruck des Weltproblems.<br />

Dabei hängt aber alles davon ab, die beiden Seiten der<br />

Gleichung in voller Reinheit zu erhalten. Der Seinsbegriff<br />

darf durch das Denken noch nicht hindurchgegangen<br />

sein, er liegt im Vorbewußten.<br />

Hieraus entspringt eine Antinomie, die Bilharz wohl gesehen<br />

hat, die er aber nicht völlig auflösen konnte. Die<br />

Philosophie muß - nach Bilharz - zum reinen, vom<br />

Denken noch unberührten Sein vordringen. Dabei wußte<br />

der Denker wohl, daß dieser von der Philosophie gebildete<br />

Begriff des reinen Seins kein echter Begriff sei, weil<br />

er keinen Gegensatz hat. Bilharz nennt ihn deshalb einen<br />

Pseudobegriff, dessen Inhalt dem Erkennen transzendent<br />

ist, den aber das Denksystem als seinen Abschluß fordert,<br />

gleichsam als Spitze der Pyramide. Das Denken<br />

kann also das reine Sein gar nicht fassen, es kann sich<br />

nur durch Entdeckung der Grenze am Sein seiner bemächtigen,<br />

die zugleich Grenze am Denken ist. Auf der<br />

Stufe des Denkens verwandelt sich das reine Sein in den<br />

Seinsinhalt, das Denken als sein Gegensatz in die Seinsform.<br />

Das Sein ist begrenztes Sein - das ist für Bilharz<br />

der synthetische Satz der Metaphysik, den Kant vergeblich<br />

gesucht und als unauffindbar bezeichnet hat. Von<br />

hier aus zerfällt das Sein in zwei Seinshälften - in die<br />

subjektive und die objektive.<br />

35


Das Sein liegt als unbewiesene Voraussetzung dem<br />

Denksystem unseres Philosophen zugrunde, es wird dogmatisch<br />

statuiert, unkritisch hingenommen. Der Neukantianismus<br />

konnte dem Philosophen dieses Dogma nicht<br />

verzeihen. Man sprach von einem Rückfall in vorkantische,<br />

ontologische Metaphysik. Bilharz aber wollte -<br />

wie der Titel einer seiner Schriften heißt - „Mit Kant<br />

- über Kant hinaus."<br />

Der Philosoph, der unermüdlich weiterforscht, seine Erkenntnis<br />

kritisch prüft, bleibt im praktischen Leben<br />

nicht untätig. Während seiner Amtszeit bis 1907 hat das<br />

Landesspital in Sigmaringen eine außerordentliche Entwicklung<br />

genommen. Bilharz hat dank seinen Kenntnissen<br />

der Bedürfnisse des Landes und seiner Bewohner,<br />

dank seiner reichen Erfahrung als Arzt und Wissenschaftler<br />

die Wege zu dieser Entwicklung gewiesen. Besonders<br />

am Herzen lag ihm, dem Menschenfreund, der<br />

Ausbau der damals wenig beachteten sogenannten Irrenabteilung.<br />

Er sorgte dafür, daß an dem Spital für diese<br />

Patienten nicht nur zweckmäßige, sondern neuzeitliche,<br />

menschliche räumliche Verhältnisse geschaffen wurden.<br />

Und als Alphons Bilharz 1907 wegen eines sich immer<br />

mehr verschlechternden Augenleidens das Amt in jüngere<br />

Hände übergab, hatte er den Hohenzollerischen Landeskommunalverband<br />

veranlaßt, vier neue Stationsgebäude<br />

und ein zeitgemäßes Wirtschafts- und Verwaltungsgebäude<br />

zu errichten. Was bei seinem Amtsantritt<br />

eine höchst unbefriedigend ausgestattete, in veralteten<br />

Gebäuden unzulänglich untergebrachte, wenig beachtete<br />

Anstalt gewesen war, entsprach nun den modernen Anforderungen<br />

und Erkenntnissen.<br />

Bis dahin hatte sich jedoch nicht nur das philosophische<br />

Werk auf sechs Bände ausgedehnt, auch der Umfang der<br />

medizinisch wissenschaftlichen Arbeiten war gewachsen,<br />

und diese Abhandlungen fanden mehr Beachtung, als das<br />

Werk des schwäbischen Denkers, dem jedoch bald zwei<br />

treue unverbrüchliche, wenn auch wesentlich jüngere<br />

Freunde und Anhänger seiner Lehre sich gesellten.<br />

Allerdings: trotz der exakten Darstellung des Gedachten,<br />

trotz dem Erkenntnisinhalt dieser denkerischen Ergebnisse,<br />

die Anerkennung der Fachwelt blieb seltsamerweise<br />

aus. Es war immer nur ein kleiner Kreis, der sich<br />

mit den Gedanken des Philosophen Bilharz beschäftigte.<br />

Es schien also, als sollte der erblindende Arzt und Philosoph,<br />

der sich lange Zeit bei fast allen seinen wissenschaftlichen<br />

Arbeiten der Hand einer seiner Töchter bedienen<br />

mußte, vereinsamen, als ihm das Land Hohenzollern<br />

noch einmal dringend brauchte. Er sollte die Leitung<br />

des Landesspitals noch einmal übernehmen, weil sein<br />

Nachfolger während des Krieges plötzlich gestorben<br />

war. „Jetzt gehe ich halt wieder zu meinen Narren, da<br />

gehöre ich hin", soll er damals gesagt haben.<br />

„Gelassenheit ist eine Tugend", war eine seiner Weisheiten,<br />

die auf eine schwere Probe gestellt wurde, als 1914<br />

die Gattin starb, 1917 der einzige Sohn gefallen ist. Aber<br />

dies samt der Enttäuschung, die es ihm bereitete, daß seine<br />

Lehre so geringes Echo fand, machte ihn nicht zum<br />

Misanthropen. Der Arzt und Gelehrte blieb im Grunde<br />

immer der gütige Mensch. Das offenbart sich auch in<br />

den Altersbriefen an Gottfried Graf 10 . Diese Briefe<br />

stammen aus den letzten drei Lebensjahren des Philosophen<br />

und der zweitletzte Brief 11 an den Maler ist so etwas<br />

wie ein Vermächtnis, so etwas wie eine letzte Interpretation<br />

seiner Lehre.<br />

Er schrieb am 26. Februar 1925, drei Monate vor seinem<br />

Tod:<br />

„Verehrter Freund. Das ganze letzte Jahr hindurch war<br />

meine Gesundheit so wacklich, daß ich nicht glaubte,<br />

36<br />

noch einmal zur Feder greifen zu können. Nun aber<br />

scheint es sich doch wieder etwas bessern zu wollen, und<br />

es ist Aussicht vorhanden, daß Ihr Horoskop sich erfüllen<br />

könnte, so daß ich nun den Mut habe, meine Einladung<br />

(natürlich für beide) zu wiederholen.<br />

Doch zum Gegenstand dieses Briefes.<br />

Sie werden zum Grund der Sache, das heißt zu meinem<br />

Seinsbegriff nie gelangen, wenn Sie nicht von vornherein<br />

die Welt (nicht dem Denken, sondern dem Sein nach) in<br />

zwei Hälften teilen, von denen Sie die eine (subjektive)<br />

ganz und ausschließlich mit ihrem Sein einnehmen. Das<br />

ist das vereinende oder denkende Sein. Die ganze andere<br />

Seinshälfte ist gedachtes Sein, Objekt, und Ihnen sonst<br />

völlig unbekannt, als Seinsinhalt für Ihr rein formales<br />

Erkennen transzendent, außerdem durch die zwischen<br />

den zwei Seinsinhalten durchlaufende, bisher ganz<br />

unbeachtet gebliebene Seinsgrenze für immer von der<br />

Erkenntnis ausgeschlossen: Ding an sich.<br />

Diese drei gegensätzlichen Seinsbegriffe bilden die<br />

Grundlage der Dreidimensionalität des synthetisch construierten<br />

gedachten Weltenraumes und aller darin unterbrachten<br />

Gegenstände. Wo Ausdehnung, da ist gedachtes<br />

Wesen. Sein ist nur punktual, muß aber mit Ausdehnung<br />

begabt werden, wenn es gedacht und vorgestellt<br />

werden soll. Daher ist das Quadrat der erste und einzige<br />

Ausdruck unseres Denkens als Darstellung der begrenzten<br />

Seinsgröße — und die Wiederholung dieser Synthese<br />

ergibt den Weltraum, den Cubus. Ganz eng an die Betrachtung<br />

schließt sich das Verhältnis von Raum und<br />

Zeit an. Hier hat Kant den Meisterstreich geführt, indem<br />

er diese beiden Kategorien als Begriffe der transzendentalen<br />

Ästhetik trennte und vereinigte, das heißt<br />

als formal und subjektiv. Die Gegensätzlichkeit tritt bei<br />

richtiger Anordnung sofort hervor. Ihre Gleichung verwischt<br />

alles. Erkenntnistheoretisch richtig ist, s/t = a.<br />

Hier trennt das Gleichheitszeichen die Welthälften Subjekt<br />

= Objekt, und die Bedeutung der Zeit als Formbegriff<br />

in seinem Reziprozitätsverhältnis zu dem Constanten<br />

a, dem objektiven Seinsinhaltsklumpen, tritt sofort<br />

hervor. Man sieht, wie der in dünne Schichten zerlegte<br />

Laib der formalen Erkenntnis zugeführt werden und die<br />

objektive Welthälfte trotz der Seinsgrenze in eine Erkenntnis<br />

übergeführt werden kann . . .<br />

Es wäre merkwürdig wenn die direkten Erben der Descartes'schen<br />

Philosophie die von uns dargebotenen Ideen<br />

zuerst erfassen würden. Was haben wir uns mit Navier<br />

und Duhamel herumquälen müssen! Besonders ersterer<br />

stand im Ruf, so klar zu sein, daß nur der Dümmste ihn<br />

nicht verstehen könne. Trotzdem verhielt ich mich dem<br />

Unendlich kleineren gegenüber ganz refraktär. Wie<br />

leicht ist es aber jetzt, einzusehen, was man synthetisch<br />

aufgebaut hat, auch analytisch wieder auseinanderlegen<br />

kann. Und das 3mal wiederholt.<br />

Dadurch allein unterscheidet sich die menschliche Vernunfterkenntnis<br />

von der tierischen, daß sie durch die<br />

Sprache ihre neuen Differentialbegriffe festhalten kann,<br />

z. B. den Mittelbegriff beim Pferd, Einhufigkeit, oder<br />

c ' \ mit aller Exaktheit,<br />

dx-<br />

Trotzdem weiß ich nicht, was der in Gefühlen schwelgende<br />

Künstler mit diesem exakten Wissen anzufangen<br />

gedenkt, wozu er es braucht.<br />

Das Schreiben wird mir schwer und ich bitte um Entschuldigung.<br />

Also senden wir einstweilen noch herzliche<br />

Grüße an Sie und Ihre liebe Frau<br />

Ihr Dr. Bilharz


Empfehlen Sie doch den Herren zur Lektüre den 5. Band<br />

der Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen 12<br />

bei Felix Meiner Leipzig."<br />

Diese ausführliche, von dem fast blinden Bilharz selbst<br />

geschriebene und nur an extrem unleserlichen Stellen von<br />

seiner Tochter Bertha verdeutlichte Brief scheint Graf<br />

tief verletzt zu haben, weil er ihn wohl als Schulmeistere!<br />

empfand, als ob er, Graf, die Philosophie, die er so<br />

oft öffentlich vertreten und gewürdigt hatte, nicht verstünde.<br />

In einem für den viel Jüngeren dem alten Philosophen<br />

gegenüber vermutlich sehr unangebrachten Ton<br />

scheint er geantwortet zu haben, denn in dem letzten erhaltenen,<br />

der an Graf gerichteten Briefe entschuldigt sich<br />

der 89jährige am 4. März 1925 - noch einmal eigenhändig:<br />

Verehrter Freund!<br />

Daß ich Sie in meinem Briefe nicht verletzen wollte, ist<br />

ganz gewiß. Wenn es dennoch geschah, so muß ich nach<br />

einer Erklärung suchen.Ich finde sie darin, daß ich, während<br />

ich schrieb, Sie eigentlich gar nicht vor Augen hatte,<br />

sondern ihre französischen Freunde, die ich mir vorstellte,<br />

als Sie um Hilfe bittend zur Aufklärung dunkler<br />

Punkte, und hierzu suchte ich die kürzesten Richtlinien.<br />

Aber die Hauptsache liegt doch in der Abnahme der<br />

Denkkraft. Entschuldigen Sie mein törichtes Gerede. Für<br />

jeden schlägt eben einmal die Stunde. Ich aber bleibe Ihr<br />

treuer Freund und dankbar ergebener<br />

Dr. A. Bilharz<br />

Dem fügte die um den Vater sehr und zu Recht besorgte<br />

Tochter des alten Herren zurechtweisend hinzu:<br />

„Sehr geehrter Herr Graf,<br />

wenn ich auch von einer Abnahme der Denkkraft nichts<br />

bemerke, so würde ich es immerhin für besser halten, Sie<br />

redeten mit ihm mündlich über die Ihnen am Herzen liegenden<br />

Fragen. Bei Rede und Gegenrede geht die Sache<br />

leichter. Wir hoffen, Sie und Ihre liebe Frau bald mal<br />

wieder hierzusehen und grüßen Sie beide inzwischen<br />

herzlich<br />

Bertha Bilharz<br />

Diese letzte Begegnung scheint nicht mehr zustandegekommen<br />

zu sein.<br />

Am 23. Mai 1925 schrieb Dr. Erwin Beck an Gottfried<br />

Graf:<br />

1<br />

Sigmaringer Volkszeitung 2. 5. 1936 „Der Wahrheitsbegriff<br />

in der Philosophie".<br />

- Gottfried Graf, in Mengen geboren, war Gründer der Malergruppe<br />

Üecht und der Kantgesellschaft in Stuttgart sowie<br />

Professor an der Akademie der bildenden Künste in<br />

Stuttgart und Gründer der Suttgarter Holzschnittschule. Er<br />

starb 1938 in Stuttgart.<br />

3 Vgl. Sein Buch „Der neue Holzschnitt" 1. Aufl. 1927, Neuausgabe<br />

von W. P. Heyd in Cicero-Verlag Stuttgart 1976.<br />

4 Bilharz und Schopenhauer, Alfons Bilharz (1836-1925)<br />

zum Gedächtnis. Von Rudolf Metz, Heidelberg im 14. Jahrbuch<br />

der Schopenhauer-Gesellschaft für das Jahr 1927, ausgegeben<br />

am 22. 2. 1927, Sonderdruck.<br />

5 Die Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen, hg.<br />

von Raymund Schmidt, Band V, Verlag von Felix Meiner,<br />

Leipzig Seite 25 ff.<br />

6 „Anatomische Beschreibung der Geschlechtsorgane bei äthiopischen<br />

Eunuchen" (nach dem Katalog der Württembergischen<br />

Landesbibliothek Stuttgart).<br />

7 Ciba-Symposium Band 9, Heft 3, 1961, Seite 104.<br />

8 Nr. 10 vom 24. Mai 1919.<br />

„Unser teurer, verehrter Herr Geheimrat ist nicht mehr.<br />

Heute früh 6 1/2 Uhr sei er sanft entschlafen, wurde<br />

uns soeben telefonisch mitgeteilt.<br />

Es stand schon länger schlecht um ihn. Am Montag war<br />

ich noch bei ihm, es war schlimm, jedoch konnten wir<br />

noch nicht die Hoffnung aufgeben, daß er sich noch einmal<br />

etwas erholt; denn er war in den letzten zwei Jahren<br />

oft schlecht daran und hat sich immer wieder wunderbar<br />

erholt.<br />

Nun ist sein Erlöser Tod, nach dem er sich so gesehnt,<br />

endlich ganz leise gekommen. Am Montag früh wird Beerdigung<br />

sein."<br />

„Er war schließlich nur noch er selbst, sah nur noch sich<br />

selbst und die anderen nur noch getrübt im Spiegel seines<br />

eigenen Ich . . .<br />

So war der Gesamtverlauf der Philosophiegeschichte für<br />

Bilharz nur die Folie dessen, was er selbst zu verkünden<br />

hatte ..."<br />

schreibt Metz im Jahrbuch der Schopenhauer-Gesellschaft<br />

1927 ls .<br />

Was blieb von einem Menschenfreund, von einem Einsamen,<br />

von einem scharfen Denker, sind neun inhaltsschwere<br />

Bücher, deren letztes 1912 erschienen ist, und<br />

eine Fülle unveröffentlichter Manuskripte und Briefe,<br />

was blieb ist eine Gedenktafel am Elternhaus, die Bilharzapotheke<br />

und die Bilharzschule, die eher an den Bruder<br />

in Kairo erinnern als an den Philosophen und schwäbischen<br />

Grübler.<br />

„Wir forschen vergeblich nach den Gründen, die schuld<br />

daran waren, daß man sich nicht einmal die Mühe genommen<br />

hat, sich mit diesem mit hervorragender Denkund<br />

Schaukraft begabten Mann auseinanderzusetzen.<br />

. . . Man hat ihm nicht einmal die Ehre der Widerlegung<br />

angetan, man hat ihn einfach totgeschwiegen. Und all<br />

dies zu einer Zeit, in der man philosophierende Schwätzer<br />

und Hohlköpfe zu Dutzenden auf den Thron gehoben<br />

und gepriesen hat. An einem Denker, der aus echtem<br />

philosophischen Holz geschnitzt war, ist man achtungslos<br />

vorübergegangen," sagt Metz 1925 in einem Nachruf<br />

14 .<br />

Seine Freunde glaubten, sein Tag müsse noch kommen -<br />

uns scheint heute genug, wenn wir uns seiner erinnern.<br />

9 Cotta-Verlag Stuttgart 1879.<br />

10 Wir zitieren aus den Briefen, die sich im Nachlaß von Prof.<br />

Gottfried Graf befinden und aus dem Jahr 1922 bis 1925<br />

datieren.<br />

11 Diesem Brief muß eine Anfrage Gottfried Grafs vorausgegangen<br />

sein, der uns bis jetzt noch nicht bekannt ist. Aus<br />

der Antwort von Bilharz und dem folgenden Brief an Graf<br />

ist zu schließen, daß Graf den Philosophen gefragt habe, wie<br />

er dessen Lehre seinen französischen Freunden um Albert<br />

Gleizes, den Wortführer der französischen Kubisten, erläutern<br />

solle, da sie ihn, Graf, offenbar nicht verstünden. Graf<br />

muß in dieser Anfrage auch so etwas wie einen Interpretationsvorschlag<br />

gemacht haben, den Bilharz im Eingang zum<br />

Hauptteil des Briefes „Sie werden zum Grund der Sache . . .<br />

nie gelangen .. .") kritisiert. Diese Kritik von Bilharz muß<br />

den sehr empfindsamen Graf verletzt haben (siehe Briefzitate<br />

auf Seite 36).<br />

12 Siehe oben Anmerkung 5.<br />

13 Siehe oben Anmerkung 4.<br />

14 Deutsche Allgemeine Zeitung, Sonntagsbeilage „Welt und<br />

Wissen" Mai 1925.<br />

37


MANFRED HERMANN<br />

Das Rosenkranz-Altarbild aus der Pfarrkirche zu Inneringen<br />

Gleichwohl die aus dem Mittelalter stammende und 1739<br />

barock umgestaltete Pfarrkirche St. Martin 1861/62<br />

durch einen Neubau nach Plänen des fürstlichen Oberbaurats<br />

Joseph Laur in Sigmaringen ersetzt wurde, blieb<br />

doch eine Reihe von Ölbildern des alten Gotteshauses erhalten.<br />

Leider befinden sie sich zum Teil in bemitleidenswertem<br />

Zustand, da sie, auf einem Dachboden aufbewahrt,<br />

besonders Staub und Hitze ausgesetzt sind.<br />

Neben dem alten Hochaltarbild mit der Himmelfahrt<br />

Mariens 1 und dem bereits besprochenen Ölberg-Gemälde<br />

des einst auf der Frauenseite stehenden Allerseelenaltars,<br />

das die Gammertinger Malerbrüder Ambros und Anton<br />

Reiser 1779 geschaffen haben 2 , steht dort auch das<br />

Hauptblatt des ehemaligen Rosenkranz-Altares auf der<br />

Männerseite. In Form und Maßen entspricht es völlig<br />

dem Gegenüber 3 . Als Erinnerung an die einstige Rosenkranz-Bruderschaft<br />

stellt man es im Monat Oktober jeden<br />

Jahres auf den Marienaltar der heutigen Pfarrkirche.<br />

Rosenkranz-Bruderschaften entstanden in größerer Zahl<br />

in der Zeit des 30jährigen Krieges und kurz danach im<br />

Zug der religiösen Erneuerung und des geistigen Wiederaufbaus<br />

nach einer starken Verwilderung der Sitten<br />

während der Kriegsereignisse. Im Blick auf den gewaltigen<br />

Seesieg bei Lepanto über die Türken (1571), der von<br />

vielen Gläubigen dem Rosenkranz-Gebet zugeschrieben<br />

wurde, half diese Gebetsform zahlreichen Katholiken, im<br />

Aufblick zur Schutzmantelfrau die schweren Kriegs- und<br />

Pestjahre glücklich zu bestehen. Als Beispiele sollen die<br />

Rosenkranz-Bruderschaften von Pfullendorf (1615),<br />

Owingen bei Uberlingen (1627), Uberlingen (1632) und<br />

jene von Radolfzell aus dem gleichen Jahr dienen 4 . An<br />

allen vier Orten entstand sogleich durch die Bruderschaft<br />

ein prachtvoll geschmückter Rosenkranzaltar 5 . In<br />

Überlingen wird auch der Zusammenhang mit dem Dominikanerorden<br />

sichtbar, dessen Ordensgeneral die Errichtung<br />

einer Rosenkranz-Bruderschaft seit Pius V.<br />

(1566-72 Papst) vorbehalten war 6 : Am Fest Mariä<br />

Heimsuchung (2. 7.) 1632 setzte der Prior des Dominikanerklosters<br />

in Konstanz, P. Ambros Engelmann, die dortige<br />

Rosenkranz-Bruderschaft feierlich ein. Die Dominikaner<br />

waren es auch, die ein wenig später den Inhalt der<br />

Rosenkranz-Bilder festlegten: In der oberen Bildhälfte<br />

steht oder setzt Maria mit ihrem göttlichen Kind, den in<br />

der unteren Bildhälfte knienden hl. Dominikus und der<br />

hl. Katharina von Siena den Rosenkranz überreichend.<br />

So wurde auch in Inneringen durch den persönlichen<br />

Einsatz und Eifer des Pfarrers Jakob Schuler (1660 bis<br />

zu seinem Tod 1669 in Inneringen) am Sonntag Sexagesima,<br />

dem 12. Februar 1662, eine Erzbruderschaft des<br />

hl. Rosenkranzes, Jesu und Mariens feierlich gegründet 7 .<br />

Daß daran auch ein Pater aus dem Dominikanerkloster<br />

Konstanz, das im 18. Jahrhundert öfters von der Bruderschaft<br />

ein Almosen bekam, beteiligt war, steht zu vermuten.<br />

Die Bedeutung dieses religiösen Ereignisses<br />

kommt dadurch zum Ausdruck, daß sich als oberster<br />

Schutzherr Graf Hermann Egon von Fürstenberg, Heiligenberg<br />

und Werdenberg (1627-74) mit seiner Gemahlin<br />

Maria Franziska geb. Gräfin von Fürstenberg-Stühlingen<br />

(1638-80) in das Mitgliedsbuch eintragen ließ.<br />

Neben dem Namen des Begründers und Präses finden<br />

wir den des damaligen Pfarrers von Dürrenwaldstetten,<br />

des Paters Ambrosius Revellio, Konventuale des Benediktinerklosters<br />

Zwiefalten. Einige Zeit darauf ließ sich<br />

38<br />

Christian Wiedmann, von 1663-73 Pfarrer in Harthausen<br />

a. d. Scher einschreiben, ferner Johann Franz<br />

Schwab, Kurat in Inneringen. Als Präfekt der Bruderschaft<br />

erscheint Johann Christoph Gumppert, Vogt der<br />

fürstenbergischen Herrschaft Jungnau; als Sekretär<br />

Isaak Andreas Täglin, Amtsschreiber der Herrschaft. Die<br />

Liste der Inneringer Mitglieder führte Schultheiß Johann<br />

Böglin an.<br />

Das Titularfest der Erzbruderschaft begingen die Mitglieder<br />

in feierlicher Form jeweils am ersten Sonntag des<br />

Rosenkranzmonats Oktober. Es kam stets eine große<br />

Menge Beichtender zusammen, um den vollkommenen<br />

Ablaß zu gewinnen. Vor dem Festgottesdienst gab es<br />

eine Prozession um die Kirche; am Nachmittag nach der<br />

Vesper eine zweite feierliche Prozession mit dem Allerheiligsten<br />

im Ziborium durch das Dorf, angeführt von<br />

Kreuz und Fahnen, der Priester unter dem Traghimmel,<br />

mit 15 Mädchen bzw. Jungfrauen, die die Bruderschaftsschilde<br />

mit den aufgemalten Rosenkranzgeheimnissen<br />

und eine Kerze trugen, dazu sechs bis acht Jungfrauen,<br />

die auf einem Traggestell eine Madonnenfigur mit<br />

Kind 8 bei sich führten. Es ist selbstverständlich, daß die<br />

Mitglieder angehalten waren, eifrig das Rosenkranzgebet<br />

zu pflegen. Darüber hinaus wurde jeweils am ersten<br />

Sonntag eines Monats, dann auch an den Marienfesten<br />

nach der Vesper dieselbe Prozession, wie vorhin beschrieben,<br />

abgehalten. Es ist keine Frage, daß diese Veranstaltungen<br />

Höhepunkte des kirchlichen Lebens in Inneringen<br />

dargestellt u. ein prachtvoll-buntes Bild abgegeben<br />

haben. Nach den vier Marianischen Hauptfesten<br />

(Lichtmeß, Verkündigung, Himmelfahrt und Geburt)<br />

feierte man für die verstorbenen Mitglieder am Bruderschaftsaltar<br />

- daher auch seine Bedeutung - eine<br />

hl. Messe 9 . Somit wird deutlich, wie sehr auch eine solche<br />

Bruderschaft auf die Sicherung des Seelenheiles hin<br />

angelegt war: Jedes Mitglied hatte die Garantie, daß es<br />

auch über seinen Tod hinaus in das Gebet und das<br />

hl. Opfer der Gemeinschaft eingeschlossen blieb.<br />

Auch in Inneringen dürfte sogleich nach der Gründung<br />

der Bruderschaft der dortige Rosenkranzaltar durch die<br />

Mitglieder in Auftrag gegeben worden sein, wahrscheinlich<br />

noch 1662. Leider haben wir darüber keine Unterlagen<br />

mehr. Nur das Altarbild gibt noch Zeugnis von ihm,<br />

der Aufbau ist mit all seinem Zierat leider verloren.<br />

Entsprechend der durch die Dominikaner gelieferten<br />

Bildvorlage sitzt in der oberen Bildhälfte die Madonna<br />

mit Kind auf einer Wolkenbank, ihr lichtumflossenes<br />

Haupt trägt eine Krone. Unter ihr kniet - vom Beschauer<br />

aus gesehen - links der hl. Dominikus, den Rosenkranz<br />

aus der Hand der Gottesmutter empfangend<br />

und, das Gesicht im Profil wiedergegeben, zu ihr und<br />

ihrem Sohn aufblickend. Als Attribut ist dem Ordensmann<br />

ein Hund beigegeben, der eine Fackel im Maul<br />

trägt, auf das Wortspiel hinweisend „Domini canis = des<br />

Herren Hund" und auf den Traum seiner Mutter vor<br />

der Geburt, ihr Sohn werde durch sein Wirken gleichsam<br />

die Welt in Brand stecken. Rechts neben Dominikus<br />

kniet die hl. Katharina von Siena, dargestellt im Gewand<br />

der Dominikaner-Terziarinnen. Mit der emporgehaltenen<br />

Rechten erhält auch sie, diesmal aber aus der<br />

Hand des Kindes, den Rosenkranz überreicht; in der<br />

Linken trägt sie eine weiße Lilie als Zeichen der Jungfräulichkeit,<br />

auf dem Haupt eine Dornenkrone als Hin-


weis, daß die He ge bei ihrer Wahl zwischen Rosen<br />

und Dornen sich für die letzten und damit für ein leiderfülltes<br />

Leben entschied. Oben und seitlich rahmen 15<br />

ovale Medaillons mit den Darstellungen der Rosenkranzgeheimnisse<br />

das Gemälde, die Berührungspunkte werden<br />

hüben und drüben von Rosen geschmückt.<br />

In welchen kunstgeschichtlichen Zusammenhang ist das<br />

Bild einzuordnen? Die Handschrift des nicht urkundlich<br />

belegten Meisters weist deutlich in die Zeit vor 1700, näherhin<br />

ist eine Entstehung vor 1670 anzunehmen. Zum<br />

Glück geben die Gesichter der Heiligen etliche Hinweise.<br />

Sie zeigen deutliche Verwandtschaft mit solchen auf Gemälden<br />

im Raum Heiligkreuztal, die vom dortigen Klostermaler<br />

Hans Erhard Veser und seinem Sohn Jerg Ferdinand,<br />

beide in Andelfingen, geschaffen wurden. Ein sicheres<br />

Werk des Vaters Hans Erhard ist das Altarbild<br />

„Hl. Eligius in der Schmiede, über ihm auf Wolken der<br />

hl. Antonius mit Christkind und Gottesmutter" vom linken<br />

Seitenaltar der Kapelle Unserer Lieben Frau in Andelfingen<br />

10 . Übrigens ist der Altaraufbau rückseitig mit<br />

„M. Bernhardt Feyrstein 1669", dem Namen des Altarbauers<br />

und Schwagers von Hans Erhard Veser, bezeichnet.<br />

Das Bild zeigt eine recht flotte Malweise, andererseits<br />

ist es von nur durchschnittlicher Qualität; eine Feststellung,<br />

die auch für das Inneringer Rosenkranzbild<br />

gilt. Gerade Arme und Hände sind dem Maler nicht<br />

überzeugend gelungen.<br />

Hans Erhard Veser, Stammvater einer in vier Generationen<br />

tätigen und vielbeschäftigten Malerfamilie Andelfin-<br />

gens n , war der Sohn des Heiligkreuztaler Amtmanns<br />

(„praefectus") Melchior Veser, der für den Frauenchor<br />

in Heiligkreuztal ein Ölgemälde mit der Darstellung<br />

Christi am Kreuz stiftete, versehen mit den Buchstaben<br />

M. V. und der Zahl 1658, dazu das Wappen des Heiligkreuztaler<br />

Amtmanns. Natürlich hat dieser niemand anders<br />

als seinen Malersohn mit dem Bild beauftragt. Nach<br />

dem Ende des 30jährigen Krieges (1650/51) heiratete<br />

Hans Erhard eine Maria Schmidin, die ihm vier Kinder<br />

schenkte, bei der Geburt des letzten 1658 jedoch starb.<br />

Als am 16. 4. 1652 der älteste Sohn und Werkstatt-<br />

Nachfolger Georg Ferdinand getauft wurde 12 , konnte<br />

der Vater erlauchte Paten aufbieten: Freiherrn Baltasar<br />

Ferdinand von Hornstein zu Grüningen und die Äbtissin<br />

M. Euphrosine Precht von Hochwarth aus Heiligkreuztal,<br />

die allerdings nicht selbst anwesend war. Diese persönlichen<br />

Beziehungen werfen nicht nur Licht auf die<br />

Wertschätzung des Malers, sondern auch auf geschäftliche<br />

Verbindungen. Ohne Zweifel war Hans Erhard Veser,<br />

gefördert durch den Vater, so etwas wie der Heiligkreuztaler<br />

Klostermaler. Einen Monat nach dem Verlust<br />

der Gattin schloß der Witwer, um seinen unversorgten<br />

Kindern wieder eine Mutter zu geben, am 16. Mai 1658<br />

mit Anna Maria Aichin aus Meßkirch, der Schwester des<br />

Andelfinger Pfarrers Sebastian Aichin, die Sponsalien<br />

und am 4. Juni die Ehe. Dies zeigt, wie sehr Veser mit<br />

dem heimischen Pfarrhaus verbunden war. Die zweite<br />

Frau schenkte dem Maler acht weitere Kinder, von denen<br />

etliche jedoch im Kleinkindalter starben. Bemerkenswert<br />

ist die Beziehung zum Altarbauer und Gelegenheitsschnitzer<br />

Bernhard Feuerstein 13 , der am<br />

10. Mai 1663 mit Catharina Aichin die Sponsalien und<br />

am 10.. Juni die Ehe schloß und somit der Schwager Vesers<br />

wurde. Beide haben nicht nur beim linken Seitenaltar<br />

der Kapelle ULF in Andelfingen, sondern gewiß<br />

auch in vielen anderen Fällen zusammengearbeitet.<br />

Höchstwahrscheinlich hat die Inneringer Rosenkranzbruderschaft<br />

nicht nur beim Maler in Andelfingen ein<br />

neues Altarblatt bestellt, sondern gleich einen ganzen<br />

Altaraufbau, den kein anderer als Feuerstein ausgeführt<br />

haben konnte. Er dürfte sich kaum vom genannten Altar<br />

in der Kapelle zu Andelfingen unterschieden haben. Der<br />

Maler Hans Erhard Veser starb relativ früh am 13. Februar<br />

1676 in einem Alter von 50 bis 55 Jahren. Dabei<br />

trat der Tod so rasch ein, daß er nur noch die Absolution<br />

des Priesters empfangen konnte 14 .<br />

Uber die Renovation des Rosenkranz-Altars in Inneringen<br />

im Jahr 1778 berichtet Johann Otts Dorf-Chronik<br />

15 : „Ist in dieser Zeit unser Lieben Frauen Bruderschaft<br />

Altar neyerdingen durch Herrn Pfarrer (Alois<br />

Lindau) wie auch die Liebe Mutter Gottes zue Ehren<br />

durch den Maller von Gammertingen aufgerichtet und<br />

gemallet worden". Im Rechnungsbuch der Rosenkranz-<br />

Bruderschaft 16 werden dazu folgende <strong>Ausgabe</strong>n vermerkt:<br />

„Bey Fassung des Bruderschaft Altars, auch des<br />

Bildnuß Maria, welche bei denen Monat sontäglichen andachten<br />

umbgetragen wird, sind nachfolgendte posten liquidiret<br />

worden, Bey Verdingung der Faßarbeit, nicht<br />

minder da die Maler an Sontagen ohne arbeitt den halben<br />

tag zugebracht, haben selbige Verzehrt 1 fl 36 xr.<br />

Anton Reiser arbeidet 32 Tag, für Zörung des Tags, bett<br />

und quartier, auch 1 Maaß Bier über Tisch, habe des tages<br />

für Zöhrung angerechnet 32 xr, als in 32 Tagen 17 fl<br />

4 xr. Sein Bruder Ambrosy Reiser arbeittet 17 Tag, für<br />

Zöhrung wie oben 9 fl 4 xr. Taglohn wurde laut gepflogene<br />

Verabredung iedem des tags accordiret 40 xr, also<br />

dem Anton Reiser für 32 tag entrichtet 21 fl 20 xr. Seinem<br />

Bruder Ambros für 17 tag 11 fl 20 xr. Denenselben<br />

wegen gelieferten Farben 2 fl. Denenselben für V2 Maaß<br />

39


spanischen Fürniß 2 fl. Denenselben nach gutt ausgefallener<br />

arbeitt doceur 2 fl 24 xr". Weitere kleinere und<br />

größere Posten wurden ausgegeben, der Gesamtaufwand<br />

für die Renovierung kam auf 128 fl 11 xr. Die Neufassung<br />

der Muttergottes-Statue kostete 16 fl. Wie schon<br />

früher ausgeführt, überrascht der Auftrag an die Gammertinger<br />

Malerbrüder nicht wenig 17 , da doch in dem<br />

einheimischen Lukas Flöß (1751-1834) ein tüchtiger<br />

Faßmaler zur Verfügung stand. Offensichtlich befand<br />

sich dieser jedoch auf Wanderschaft. Erst am 6.2. 1786<br />

heiratete er zuhause Magdalena Steinhart 18 und übernahm<br />

die seit Vaters Tod im Jahr 1772 verwaiste<br />

Werkstatt.<br />

Verständlicherweise entsprach der Rosenkranz-Altar von<br />

1662/70 nicht mehr dem Geschmack des 19. Jahrhunderts,<br />

so daß er bei der Ausstattung des Kirchenneubaus<br />

1862 ersetzt wurde, zumal er bei einem flachen Aufbau<br />

mit einem Säulenpaar und naiven, knorpelhaften Ornamentschnitzereien<br />

auch nicht sonderlich attraktiv ausgesehen<br />

haben mag.<br />

Eigentum der Rosenkranz-Bruderschaft war auch die<br />

oben angeführte Madonna, die auf einem Traggestell<br />

von Jungfrauen bei der Prozession mitgeführt wurde.<br />

Vermutlich ist sie die Muttergottesfigur, die heute am<br />

Südpfeiler des Chorbogens der Pfarrkirche aufgestellt<br />

ist. Die Plastik stammt ohne Zweifel noch aus dem<br />

17. Jahrhundert und zeigt eine recht gute Qualität. Aus<br />

daß sie bereits 1715 vorhanden war. 1734 hatte der<br />

Schreiner für sie ein neues Traggestell zu fertigen. Am<br />

dem Rechnungsbuch der Bruderschaft geht nur hervor,<br />

20. April 1735 kaufte man 12 Ellen halbseidenen Damast<br />

zu einem Baldachin und einem Mantel für die Madonna<br />

(dem Tragbild der hl. Jungfrau) ein. Am 18. Juli gleichen<br />

Jahres gab man 5 fl für die Vergoldung der beiden<br />

neugeschaffenen Kronen der Muttergottes und des<br />

Christkinds aus 19 .<br />

Die Figur zeigt eine schlanke Gestalt in hochgegürtetem<br />

Kleid mit senkrecht niedergleitenden Falten, umgeben<br />

von einem weitauswehenden, windgeblähten Mantel. Das<br />

liebliche Antlitz wird von fülligem, wellenförmig fließendem<br />

Haar gerahmt, das sich über den Ohren aufbauscht.<br />

Während die Rechte das Himmelsszepter hält,<br />

umschließt der linke Arm locker das segnende und mit<br />

den Beinchen zappelnde Jesuskind. Beide tragen auf dem<br />

1<br />

Das 210 x 140 cm messende Ölgemälde auf Leinwand ist<br />

rissig, verzogen und verbeult, die Farbschicht an vielen<br />

Stellen spröde geworden. Dennoch ist die sehr gute Qualität<br />

zu erkennen, es könnte von Meinrad von Au, 1739 wohl<br />

noch in Riedlingen, gemalt sein. Leider tragt das Bild keine<br />

Signatur.<br />

2<br />

Manfred Hermann, Zur Pfarr- und Kunstgeschichte Inneringens,<br />

in HH 1974, S. 12-15, Abb.<br />

3<br />

öl auf Leinwand, mit Rahmen 186 x 110 cm. Keine Signatur<br />

oder Datum.<br />

4<br />

Claus Zoege von Manteuffel, Die Bildhauerfamilie' Zürn<br />

1606-66, Bd. II S. 329 ff., 477 ff., 390 und 393 f. Vgl. Josef<br />

Schneider, Jahrhundertelang das religiöse Leben der<br />

Heimat geformt - Rosenkranzmonat Oktober noch heute<br />

stark betont, Wertvolle alte Andachtsbilder, in: HH 1960,<br />

S. 59-61. Abb. v. Rosenkranzbildern in Gruol, Haigerloch,<br />

Rangendingen und Kirchberg.<br />

5<br />

s. Anm. 4: Claus Zoege, Abb. 37-53, 188-204, 212-13,<br />

WU 94 S 478/79.<br />

6<br />

Lex. f. Theologie u. Kirche, hgbn. v. J. Höfer u. K. Rahner,<br />

Bd. 9 (1964), Sp. 47.<br />

7<br />

PfA Inneringen, Liber - continens nomina omnium Sodalium<br />

Archifraternitatis SSmi Rosarij, Jesu et Mariae etc, ab<br />

1662.<br />

8<br />

Heute am südl. Pfeiler des Chorbogens der Pfarrkirche.<br />

40<br />

Haupt, das zusätzlich von einem Strahlenkranz umgeben<br />

ist, eine reichverzierte Krone. Offensichtlich war die<br />

Madonnenfigur für eine Standplatte konzipiert, später<br />

aber durch eine Erdkugel mit Schlange ergänzt worden,<br />

als das Fest der Unbefleckten Empfängnis 1708 allgemein<br />

in der Kirche durch Papst Klemens XI. eingeführt<br />

wurde. So trifft zwar der linke Fuß Mariens die Schlange,<br />

der andere jedoch schwebt frei in der Luft.<br />

Die Frage nach dem Bildhauer ist nur schwer zu beantworten,<br />

da sich kaum vergleichbare Plastiken finden.<br />

Immerhin ist an einen Riedlinger Bildhauer vor 1700 zu<br />

denken, etwa an Georg (Jörg) Martini, der in Hohenzollern<br />

vor allem für Habstal gearbeitet hat 20 .<br />

GesH. 163 cm, alte Fassung wiederhergestellt. Rückseite<br />

durch Deckbrett verschlossen.<br />

9<br />

PfA Inneringen, Anniversarienbuch II S. 39. Das Buch ist<br />

angelegt 1733 von Pfarrer Joh. Konrad Arbogast Gauch<br />

(1732-47 in Inneringen).<br />

10<br />

Die Kunst und Altertums-Denkmale in Württemberg -<br />

Kreis Riedlingen, bearb. v. W. v. Matthey u. H. Klaiber,<br />

Stuttgart/Berlin 1936, S. 50.<br />

11 2<br />

Beschreibung des OA. Riedlingen, Stuttgart 1923 . Darin:<br />

Th. Selig, Namhafte Persönlichkeiten, unter: Andelfingen,<br />

S. 569.<br />

12<br />

PfA Andelfingen, Tauf-, Ehe- und Totenbücher.<br />

13<br />

S. Anm. 12. Bernhard Feuerstein-starb am 23. Feb. 1715 lt.<br />

Totenbuch.<br />

14<br />

PfA Andelfingen, Totenbuch.<br />

15<br />

PfA Inneringen, „Gedenkh- und Merkh-würdige Sachen, die<br />

sich bey meinen Lebzeiten hin und wieder zue getragen haben<br />

. .., den Anfang darzue gemacht In Anno 1722".<br />

16<br />

PfA Inneringen, geführt ab 1715.<br />

17<br />

Manfred Hermann, Volkskunst auf dem Hochberg bei Neufra<br />

- Zeugnisse der Volksfrömmigkeit auf der Zollernalb,<br />

Sigmaringen 1974, S. 33 f.<br />

18 19<br />

PfA Inneringen, Ehebuch. S. Anm. 16.<br />

20<br />

Kunstdenkmäler Kr. Sigmaringen, Stuttgart 1948,<br />

S. 127-29.


FRITZ SCHEERER<br />

Aus der Geschichte der Lauchert<br />

Wandern wir durch das mittlere und untere Laucherttal,<br />

so fallen uns zwei ganz ungleiche Talabschnitte auf. Von<br />

Veringendorf bis zum „Weitenried" (Name!) beim Bahnhof<br />

Hanfertal schlängelt sich die Lauchert in dem weiten<br />

Tal in Nord-Süd-Richtung gemächlich in vielen Schlingen<br />

dahin. Noch 1955 konnte sie hier weite Teile des<br />

Tales überschwemmen. Mit scharfem Knick schwenkt sie<br />

nun in westöstliche Richtung ein, um erst wieder ab<br />

Hitzkofen die alte Richtung einzuschlagen. Vergebens<br />

suchen wir bei Hornstein in einer breiten Mulde die Lauchert:<br />

sie zwängt sich hinter einem Waldhügel durch<br />

eine enge Felsenklamm, durchs „Bittelschießer Täle", das<br />

Glanzstück des Laucherttales, und quert darnach ein<br />

Tal. Ab Hitzkofen bleibt ihr mit Kalktuff bedecktes Tal<br />

bis zur Mündung in die Donau bei Sigmaringendorf eng.<br />

Auch das Donautal zeigt bei Sigmaringen die größten<br />

Gegensätze. Von Laiz bis zur Stadt ist die Talsohle 600<br />

bis 900 m breit. Zwischen Schloßfelsen und Mühlberg<br />

muß sich die Donau durch einen felsigen Engpaß von<br />

nur 70 m zwängen, in dem man für Straße und Bahn<br />

erst Raum durch Sprengungen gewinnen konnte. Unterhalb<br />

der Engstelle ist dann das Tal wieder 300 bis 600 m<br />

breit.<br />

Man könnte diese Gegensätze im Donau- und Laucherttal<br />

auf das Gestein zurückführen wollen. Denn im Massenkalk,<br />

Riffkalk (Beuron, Schloßfelsen, unteres Laucherttal<br />

usw.) sind die Täler eng. Aber eine Einengung<br />

der Talsohle auf 1/10 geht über den Einfluß des Gesteins<br />

hinaus (Wagner). Und zudem zeigt die geologische<br />

Karte noch 1 km flußauf vom Sigmaringer Engpaß Massenkalk,<br />

dagegen aber, wie auch die in den letzten Jahren<br />

erfolgte Donaukorrektion zeigte, Aufschüttung bis<br />

zu 8 m. Ähnlich liegen die Verhältnisse vom „Weitenried"<br />

an Lauchert aufwärts, wo abgelagerte Bändertone,<br />

Sande und Jurakies in der Talsohle den kompakten Jurafels<br />

viele Meter bedecken, wie zwei Bohrungen bei<br />

Veringendorf bewiesen haben. Täler, wo so unvermittelt<br />

Talengen und Talweiten abwechseln, ohne daß das Gestein<br />

eine ausreichende Erklärung bietet, sind verdächtig:<br />

es handelt sich hier meist um Flußverlegungen, die durch<br />

Schotter nachgewiesen werden können.<br />

Wie steht es nun bei der unteren Lauchert? Sind bei ihr<br />

Laufverlegungen im Zusammenhang mit Donauverlegungen<br />

festzustellen? Wenn ja, kann das alte Gewässernetz<br />

noch gezeichnet und daraus die Geschichte des Flusses<br />

und der Landschaft rekonstruiert werden? Um diese Fra-<br />

gen beantworten zu können, wollen wir die Sedimentfüllungen<br />

der im Gelände vorhandenen Rinnen kennenlernen.<br />

Der Landesgeologe Dr. Karl Schädel und andere Geologen<br />

konnten aufgrund der in den letzten Jahren feldgeologisch<br />

durch Refraktions-Seismik (unterschiedliche<br />

Schallgeschwindigkeiten im geologischen Untergrund)<br />

und durch Bohrungen durchgeführten Untersuchungen<br />

die verschiedenen eiszeitlichen Rinnenfüllungen weitgehend<br />

aufhellen und zu Ergebnissen kommen.<br />

Vom Landeskrankenhaus Sigmaringen führt nördlich der<br />

langgezogenen, waldbedeckten Felskuppe des Mühlbergs<br />

bis zum Schützenhaus im unteren Hanfertal eine mit<br />

Schotter und Moränematerial verfüllte flache Rinne, die<br />

dann von der neuen Siedlung zum Laucherttal (Bahnhof<br />

Hanfertal) hinüberführt. Nördlich davon schließt sich<br />

die vermoorte Senke des „Weitenrieds" an, aus der einzelne<br />

Massenkalkklötze herausragen. Weiter nach Nordosten<br />

bildet das heutige Laucherttal die Fortsetzung der<br />

Rinne, östlich Hitzkofen liegt zwischen dem Weißjura<br />

eine Scharte, durch die die Straße nach Mengisch-Heudorf<br />

führt. Diese Rinne ist ebenfalls mit quartärem<br />

Schottermaterial verfüllt, ähnlich wie der Sattel des<br />

Hanfertals, in dem in einer Höhe von 573 bis 575 m<br />

ü .NN Donauschotter des Schwarzwaldes und darüber<br />

bis 586 m ü. NN hochglaziale alpine Schotter der Rißeiszeit<br />

liegen. In der Rinne muß also ein altes, rißeiszeitliches<br />

Donautal begraben sein, das auf der ganzen<br />

Strecke im Massenkalk lag. Seine Sohle hatte eine Breite<br />

von 170 bis 200 m. Da der tiefste Punkt des Sattels etwa<br />

620 m ü. NN war, ergeben sich rund 60 m quartärer<br />

Verfüllung. Die Lauchert mündete so beim Weitenried<br />

(570 m), also ungefähr 35 m unter der heutigen Talaue<br />

(605 m). Diese Rinne Sigmaringen-Hanfertal-Laucherttal-Hitzkofen-Mengisch-Heudorf<br />

wird von den Geologen<br />

„Lauchert-Rinne" genannt.<br />

Bis zur Mindeleiszeit mündete aber die Lauchert sehr<br />

wahrscheinlich oberhalb Hitzkofen etwa 2 km westlich<br />

Mengisch-Heudorf in die Donau, die damals ihren Lauf<br />

nicht durch die „Lauchert-Rinne", sondern durch die<br />

„Scheer-Rinne" (s. Zeichnung) über Sigmaringendorf,<br />

dann mit weiter Talschlinge nach Süden westlich des<br />

Hipfelberges ausbog (dortige Bohrung mit viel Schwarzwaldmaterial),<br />

quert oberhalb Scheer das heutige Donautal,<br />

um gegenüber der Scheerer Altstadt nach Norden<br />

in das heutige Hochgebiet einzutreten (s. Geol. Karte),<br />

zwischen den Weißjurahöhen „Stauden", „Dominisbühl"<br />

im Westen und „Finsteres Wäldle", „Rückhau" im Osten<br />

etwa parallel dem heutigen Laucherttal weiterzog, um<br />

die obengenannte Scharte der nördlichen Donaurinne<br />

westlich Heudorf zu erreichen und weiter ihren Lauf<br />

über Wilflingen, Altheim, Waldhausen bei Riedlingen zu<br />

nehmen. Dieser Donauverlauf ist durch Bohrungen nachgewiesen;<br />

auf ihn kann aber hier nicht weiter eingegangen<br />

werden. Die Ursachen für den Übertritt der Donau<br />

aus der „Scheer-Rinne" in die „Lauchert-Rinne", die bis<br />

dahin nur von der Lauchert benützt wurde, konnten bis<br />

jetzt nicht geklärt werden.<br />

Als in -der Rißeiszeit die Gletscher zwischen Laiz und<br />

Zwiefaltendorf die Donau überschritten, wurde nicht<br />

nur das Donautal, sondern auch das damalige untere<br />

Laucherttal von Gletscherschutt aufgefüllt. Ein Stausee<br />

entstand im Laucherttal, der durch den Lauchertgrabenbruch<br />

noch begünstigt wurde. Die Donau wurde bei<br />

Dietfurt/Vilsingen aufgestaut. Der Spiegel des Lauchert-<br />

41


sees dürfte zur Zeit des maximalen Gletscherstandes höher<br />

als 650 m hoch gelegen haben. Sein Stauraum reichte<br />

flußaufwärts mindestens bis Mägerkingen. In ihm wurden<br />

Kies und Bändertone abgelagert, wie die schon oben<br />

genannten zwei Bohrungen nordwestlich vom Bahnhof<br />

Veringendorf bewiesen haben.<br />

Nach dem Rückzug des Rißgletschers fanden Donau und<br />

Lauchert ihr altes, jetzt verschüttetes Tal nicht wieder,<br />

sie „entgleisten". Die Donau schuf sich weiter südlich<br />

(zwischen Schloßfelsen und Mühlberg usw.) einen Weg.<br />

Der Abfluß der Lauchert von Hitzkofen nach Mengisch-<br />

Heudorf war durch Moräneschutt versperrt. Sie mußte<br />

sich daher einen neuen Weg suchen. So entstand von<br />

Hitzkofen an eine geradlinige Fortsetzung des Mosteltales.<br />

der heutige in Massenkalk eingegrabene enge Unterlauf<br />

der Lauchert, der sich nun durch die Südverlegung<br />

der Donau um fast 10 km verlängerte. Vom Weitenried<br />

bis Hitzkofen benützte sie die alte Donaustrecke, geriet<br />

aber bei Hornstein neben dieses alte Tal und war gezwungen,<br />

sich in den Massenkalk einzuschneiden („Bittelschießer<br />

Täle") (s. oben).<br />

Zur Ermittlung baulicher Anlagen des 1707 gegründeten<br />

Fürstlich-Hohenzollerischen-Hüttenwerks Laucherthal<br />

wurden 1959 35 Bohrungen bis auf den kompakten Jurafels<br />

der Talsohle niedergebracht. Dabei mußte eine<br />

mächtige Kalktuffverfüllung durchsunken werden. Der<br />

an der Kalktuffbasis angefahrene Torf wurde pollenana-<br />

HERMANN BAUER<br />

Die Heuneburg im Spiegel der Sage<br />

100 Jahre Spatenforschung (seit 1876), davon die letzten<br />

25 Jahre intensive Ausgrabungsarbeit auf der Burg selber,<br />

haben den Bannbereich der Donau-Heuneburg zur<br />

„klassischen Quadratmeile der Vorgeschichte Süddeutschlands"<br />

1 werden lassen.<br />

Das Bild einer frühkeltischen Akropolis dämmert herauf,<br />

mit vielfältigen Beziehungen zur geschichtlichen Welt<br />

des Mittelmeeres.<br />

Wie steht es da mit der mündlichen Überlieferung? Verwahrt<br />

der Sagenschatz irgendwelche Erinnerung an diese<br />

frühe glanzvolle Vergangenheit?<br />

Im Heuneburgführer 2 lesen wir: „Da jedoch die geschichtliche<br />

Überlieferung abgerissen war, half man sich<br />

bei der Namengebung mit Bezeichnungen mythenhaften<br />

Charakters".<br />

Diese kurze Abfertigung der Überlieferung durch den<br />

Vorgeschichtsforscher darf uns nicht beirren. Ein Wissenschaftler,<br />

der gewohnt ist ausschließlich und buchstäblich<br />

auf dem Boden harter Tatsachen zu arbeiten,<br />

taucht nicht gern in den Nebel der Sagenwelt, um dem<br />

heimlichen Flüstern vergangener Geschlechter zu lauschen.<br />

Wollen wir Genaueres über die Sagen erfahren, werden<br />

wir in den Repräsentationsräumen der heutigen Wissenschaft<br />

vergeblich suchen. Wir müssen schon an die armselige<br />

Gesindekammer des Aschenbrödels Volkskunde<br />

klopfen. Da öffnet uns kein Geringerer als der Altmeister<br />

der Volkskunde im Bussenländle Dr. Michel Buck.<br />

Er gibt uns bereitwillig Auskunft über das, was er als<br />

Ertinger über den dortigen Grabhügel Rauher Leh und<br />

die Heuneburg gehört hat, gereimt und verdichtet in bester<br />

schwäbischer Mundart:<br />

42<br />

lytisch untersucht und erlaubte eine genaue zeitliche Einstufung<br />

der 14-15 m starken Talfüllung. Die Torfbildungen<br />

(spätpleistozän und holozän = früher Diluvium<br />

und Alluvium) dauerten rund 4200 Jahre (von 12 500<br />

bis 8300). Die Bildung des auf dem Torf lagernden pollenleeren<br />

Tuffes begann mit dem Einsetzen der Vorwürmzeit,<br />

also seit etwa 8300.<br />

Zusammenfassend können wir feststellen, daß der Oberlauf<br />

der Lauchert bis zum Weitenried beim Bahnhof<br />

Hanfertal immer Laucherttal war, während der Unterlauf<br />

vom Weitenried ab bis Sigmaringendorf erst seit der<br />

großen Rißvereisung endgültig von der Lauchert durchflössen<br />

wird. Ihre Wechselgeschichte hängt mit den<br />

Laufverlegungen der Donau in der Mindel- und Rißeiszeit<br />

zusammen. Das Laucherttal besteht so aus zwei<br />

flußgeschichtlich sehr ungleichen Abschnitten.<br />

Literatur:<br />

Göttlich, K. H. und Werner, /., Zur Flußgeschichte der Lauchert.<br />

Jahrb. u. Mitteilungen d. Oberrh. Geol. Vereins. 1968.<br />

Schädel, K., Untersuchungen zur Aufdeckung glazial erfüllter<br />

Täler im Donaugebiet von Sigmaringen bis Riedlingen. Jahresh.<br />

d. geologischen Landesamtes Baden-Württemberg.<br />

1965.<br />

Wagner, G., Epigenese bei Sigmaringen. Jahrb. d. Vereins vaterländerischer<br />

Naturkunde Württemberg. 1955.<br />

Schmitt, M., Geolog. Blatt Sigmaringen 1:25 000. 1935.<br />

Dr Roualaih<br />

An die Mözafreitig, wenn do<br />

D'Sonna sinkt in Praacht und Stolz<br />

Und beim Schoida 's Land vergoldat,<br />

d'Schnaiberg glüahat übram Holz,<br />

Föhrt dr Heunaburger König<br />

Uffam letzschta Sonnastrohl<br />

Übers Tal im goldna Waga<br />

Rum gem Roualaih zum Mohl.<br />

Denn im Laihberg leit sei' Obrist<br />

- an der Stell vom Feindsvolk taidt -<br />

Und.dea Burra haund di Seini<br />

In de Bleachhüat zeema trait.<br />

Und am Obad, wo-n-er gfalla,<br />

Stoht er ouf und guckt vom Stoi',<br />

Ob en gauh sei alter König,<br />

Suach au huiar wieder hoi'.<br />

Und se blosat uff de Höaner,<br />

Und ma hairt a grousigs Gschroi,<br />

Wofa au und Glöser klinga<br />

Bis am Moanzi umma zwoi.<br />

Jeatza reit der roschtig Reiter<br />

Pfeilgschneall uss em Roualaih<br />

Und ear schreit: „Iahr Leut, jeatz weichet,<br />

Daß koim Menscha gschiecht koi Waih!"<br />

Und ma hairt noch Waga rassla,<br />

Hengscht und Reiter schreia lout,<br />

Bealla, blosa, tromma, johla,<br />

Daß s oim gruslat uff dr Hout.<br />

Und se fahrat nouff in d Lüfta<br />

Und kassei bis über' s Meer,<br />

„Bhüat üs Gott voarm Muatis Heer!"<br />

Wear es hairt, leit na' und beattat:


WANDERM6E ZU DEN FmGESCHICHTUCHEN DENK"<br />

MALEH a BEI DER HEUHEBURG<br />

L L<br />

ft t- ffl-<br />

A. L 4 ' ' ' ' •'<br />

*<br />

Legende :<br />

ü HEUNEBURG,befestigte Höhensiedlung in 3 Kulturperioden :<br />

mittl.Bronzezeit frühes Mittelalter<br />

nao ««v. rfWi U>6 . 7 ttt lettm efi Olrittuf<br />

Wehrdorf mit<br />

Wall u.Graben<br />

• 1<br />

Adelssitz<br />

ummauert<br />

Fliehburg<br />

doppelt.Halsgraben<br />

= GROSSGRABHÜGEL, heuneburgzeitlich; im Zentrum Holzkammer,<br />

Bestattung mit Wagen und Pferdegeschirr,noch in keltischer Zeit<br />

Ziel von Grabräubern • Nachbestattungen ohne Kammer.<br />

BAUMBURG , im Mittelalter zu einem Burghügel umgestaltet; Sage<br />

vom weißen Fräulein läßt vorchristliche Kultstätte vermuten .<br />

HÜGEL 1 BIS 4, an Stelle einer Heuneburgrandsiedlung errichtet ;<br />

Hügel 1 u. 2 1876 fast ganz abgetragen; aus Hügel 1 reiche Funde<br />

von 5 Wachbestattungen "Hundersinger Fürstengrab ";<br />

Hügel 4 1954 bis i960 ausgegraben.<br />

HOHMICHELE , größter Grabhügel Mitteleuropas, d=78m, h=13,5m ;<br />

1937/38 ausgegraben ; Grabmal des Ahnherrn der Heuneburgdynastie(?);<br />

im Umkreis viele kleine Grabhügel («••).<br />

BUKELTISCHES VIERECKHE1LIGTTJM, nachheuneburgzeitlich, ca.100 v.Chr.<br />

Der Rauhe Leh ist ein 7 m hoher Grabhügel, der, wie<br />

Funde beweisen, während des Bestehens der Lehmziegelmauer<br />

der Heuneburg aufgeschüttet worden ist (Kimmig).<br />

Die gemachten Funde stammen aus einer Grabkammer<br />

3-4 m über der Hügelsohle, ähnlich dem Frauengrab<br />

im Hohmichele.<br />

Auffallend ist die isolierte Lage des Rauhen Leh, von<br />

der Heuneburg jenseits des Donautales (5 km Luftlinie).<br />

Neben ihm befindet sich die Rauhen-Leh-Lache, ein<br />

sumpfiger Tümpel, vermutlich die Grube, aus der das<br />

Hügelmaterial entnommen wurde. Bei keinem anderen<br />

Grabhügel ist mir eine ähnliche Grube bekannt.<br />

Funde in der Nähe auf einem Sporn der Hochterrasse<br />

beweisen, daß bei Ertingen schon in der Hallstattzeit<br />

eine Siedlung bestand. Es muß wohl angenommen werden,<br />

daß sie zum Herrschaftsgebiet der Heuneburg gehörte.<br />

43


Michel Buck hat im Gedicht „Dr Roualaih" mehrere<br />

herumflatternde Sagenteile mit bewundernswertem Feingefühl<br />

zusammengefügt. Ich entnehme die einzelnen Teile<br />

der jüngsten und vollständigsten Sagensammlung des<br />

Altkreises Saulgau: Walter Bleicher, Geschichten, Sagen,<br />

Märchen und Ortsneckereien 1969:<br />

1. Die Sage vom Grab des Heerführers<br />

In Ertingen erzählt man sich, daß hier Erik v. Dietenburg<br />

(?) 3 , der Anführer der Bauern im Bauernkrieg, gefallen<br />

und bestattet worden sei.<br />

Nach einer anderen Sage sollen hier im 30jährigen Krieg<br />

schwedische Soldaten ihren toten Führer beerdigt und<br />

über seinem Leichnam den Hügel in der Weise aufgeschüttet<br />

haben, daß sie in ihren Helmen die Erde zu diesem<br />

Denkmal zusammentrugen(Bleicher).<br />

„Denn im Laihberg leit sei' Obrist<br />

- an der Stell vom Feindsvolk taidt -<br />

Und dea Burra haund die Seini<br />

In de Bleachhüat zeema trait."<br />

Diese Sage ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine uralte<br />

Geschichte während ihrer Überlieferung durch die Jahrhunderte<br />

jünger gemacht wird - man verlegt sie in eine<br />

besser bekannte Zeit. Ähnliches ist der Sage von Altbuchau<br />

widerfahren. Sie macht die Bewohner der Inselstadt<br />

zu Christen, die von Heiden angegriffen werden.<br />

Die Wasserburg Buchau aber, an welche diese Sage erinnert,<br />

ist 1000 Jahre vor Christus untergegangen. Michel<br />

Buck hat die zeitliche Verschiebung, wie die Funde von<br />

1934 beweisen, völlig richtig korrigiert.<br />

2. Die Sage von den Geistern im Rauhen Leh<br />

Michel Buck schreibt: Im Rauhen-Laihberg hausen 2<br />

alte, graue, langbärtige Männer mit noch anderen Geistern.<br />

An den 3 ersten Märzfreitagen hört man Musik in<br />

dem Berg, wodurch Unkundige vom rechten Weg abgeleitet<br />

werden. Meiner Mutter Mägde behaupteten, die<br />

beiden Männer einmal am hellen Tage gesehen zu haben,<br />

als sie neben dem Berg Garben banden. Auch hätten die<br />

Pferde anfangen stark zu schnaufen, bis die langkuttigen<br />

Gestalten hinter dem Berg verschwunden seien (Bleicher).<br />

„An die Mözafreitig, wenn do<br />

D' Sonna sinkt<br />

Und se blosat uff de Höaner,<br />

Und ma hairt a grousigs Gschroi,<br />

Waffa auch und Glöser klinga<br />

Bis am Moanzi umma zwoi."<br />

3. Die Sage vom Muetes Heer<br />

Recht wohl bekannt war bis vor kurzem s'Muetes Heer.<br />

So zieht es wie auf andern Heerstraßen auch auf der im<br />

Donautal (Römerstraße) bei Ertingen. Dort findet seine<br />

Fahrt im Rauhen Leh ihr Ende (Beschreibung d. O. A.<br />

Riedlingen 1923).<br />

„Föhrt dr Heunaburger König<br />

Uffam letzschta Sonnastrohl<br />

Übers Tal im goldna Waga<br />

Rum gern Roualaih zum Mohl.<br />

Jeatza reit der roschtig Reiter<br />

Pfeilgschneall uss em Roualaih<br />

Und ear schreit: Iahr Leut, jeatz weichet,<br />

daß koim Menscha gschiecht koi Waih!<br />

Und ma hairt noch Waga rassla,<br />

Hengscht und Reiter schreia lout,<br />

Bealla, blosa, tromma, johla,<br />

Daß s oim gruslat uff dr Hout.<br />

44<br />

Und se fahrat nouff in d Lüfta<br />

Und kassei bis übers Meer.<br />

Wear es hairt, leit na' und beattat:<br />

„Bhüat üs Gott voarm Muatis Heer!"<br />

Man hat sich daran gewöhnt, Muetes-Heer als Wodans<br />

Heer zu übersetzen. H. Chr. Schöll 4 gibt eine andere<br />

Deutung, die durchaus Beachtung verdient:<br />

Muetesheer = Mutters Heer = Totenheer der Mondmutter<br />

Wilbet und Wildes Heer = Wilbets Heer.<br />

4. Die Sage vom Heuneburger König<br />

Den Heuneburger König suchen wir in den Sagensammlungen<br />

vergeblich. Sollte er Michel Bucks Begeisterung<br />

über die Goldfunde von 1876 im sogenannten Hundersinger<br />

Fürstengrab entsprungen sein?<br />

Die Lösung dieser Frage verdanke ich dem verdienten<br />

Heimatforscher und Erzähler Dr. Josef Hepp, Mengen<br />

(1889-<strong>1975</strong>).<br />

In seiner Jugendzeit, so berichtete er, durfte er manchmal<br />

seinen Vater, der Gerbermeister in Mengen war, auf<br />

den Riedlinger Markt begleiten. Meister Hepp machte<br />

den Weg stets zu Fuß in der Frühe des Markttages (ca.<br />

19 km!). Das Leder, das er verkaufen wollte, hatte er am<br />

Vortage durch einen Mengener Fuhrmann nach Riedlingen<br />

speditieren lassen. Die damals neumodische Eisenbahn<br />

wurde nicht benutzt, teils wegen der umständlichen<br />

Verladerei, teils aus Rücksicht auf den Stolz der Mengener<br />

Fuhrleute, die glaubten, der Eisenbahn Paroli bieten<br />

zu können.<br />

Der Fußweg nach Riedlingen hielt sich an die alte Römerstraße<br />

durchs Donauried. Jedesmal, wenn sie an der<br />

Heuneburg vorbeikamen, sagte Gerbermeister Hepp zu<br />

seinem Sohn: „Guck, Josef, der Berg do, des ist d'<br />

Heunaburg. Vor langer Zeit ist amol an König von<br />

Italien rauf komma und hot do oba a' Schloß baut."<br />

Josef Hepp erinnerte sich später als Student wieder an<br />

den Hinweis seines Vaters und suchte mit Eifer unter<br />

den römischen Kaisern nach demjenigen, der auf der<br />

Heuneburg residiert haben soll, - natürlich vergeblich.<br />

Seine Enttäuschung war groß; die Sage vom Heuneburger<br />

König blieb aber um so fester in seinem Gedächtnis<br />

haften.<br />

Ein glücklicher Zufall hat uns diese Sage erhalten. Er<br />

beweist, daß Michel Buck als treuer Sachverwalter der<br />

Überlieferung jeden Baustein des Rauha Laih dem Sagenschatz<br />

entnommen hat. Die Entdeckung der Lehmziegelmauer<br />

aber macht diesen einst für unnütz erachteten<br />

Sagensplitter plötzlich zum gewichtigsten Indiz, daß die<br />

Überlieferung aus der Heuneburgzeit nicht abgerissen<br />

war.<br />

Die Beziehungen der Heuneburgherren zur mittelmeerischen<br />

Welt sind immer noch Gegenstand lebhafter wissenschaftlicher<br />

Diskussionen. Eine angenommene Verbindung<br />

Heuneburg-Marseille über die Burgund. Pforte und<br />

das Rhonetal wird von der deutschen Vorgeschichtsforschung<br />

an erster Stelle genannt. Wer möchte auch der<br />

damaligen Zeit Handelsstraßen über die Alpenpässe zumuten?<br />

Und doch können Verbindungen über die Hochgebirgsbarriere<br />

hinweg nicht geleugnet werden; zu zahlreich<br />

sind die etruskischen bzw. italo-griechischen Funde.<br />

Die Franzosen halten überraschenderweise nichts von<br />

der Rhoneverbindung, obwohl sie im Mont Lassois an<br />

der jungen Seine bei Chatillon ein hallstattzeitliches<br />

Machtzentrum besitzen, das, was die Großartigkeit der<br />

Funde betrifft, die Heuneburg in den Schatten stellt.


René Joffroy 5 , der das berühmte Fürstengrab von Vix<br />

beim Mont Lassois ausgegraben hat, schreibt:<br />

„Wohl wäre es näherliegend, an einen Handelsweg nach<br />

Marseille durch das Rhône-Saonetal zu denken; aber<br />

ein Argument der Archäologie, das gegen diese Hypothese<br />

spricht, ist, daß man noch nie zwischen der Provence<br />

und Dijon italo-griechische Gegenstände gefunden<br />

hat. Demgegenüber ist der Weg durch die Schweiz durch<br />

charakteristische Funde markiert (Hydria von Grächwil-<br />

Meikirch Kt. Bern, schwarzfigurige griechische Scherben<br />

Camp du Chateau bei Salins (franz. Jura)."<br />

Auf der Suche nach den Grundlagen für die engen Beziehungen<br />

zwischen den frühen Kelten und dem Süden,<br />

kommt René Joffroy zu folgender Vermutung:<br />

„Abgesehen von Eisenerz, das in der nächsten Umgebung<br />

des Monts Lassois reichlich vorkommt, kann man sich<br />

kein einheimisches Erzeugnis vorstellen, das als Gegenwert<br />

in Frage gekommen wäre. Es scheint vielmehr, daß<br />

auf dem Mont Lassois überregionale Märkte abgehalten<br />

wurden, zu welchen die Waren von weit hergebracht<br />

wurden, um sie gegen italo-griechische Erzeugnisse zu<br />

tauschen.<br />

Man kann sich der Vorstellung nicht erwehren, daß es<br />

sich um einen Zinnmarkt gehandelt haben könnte, zu<br />

dem das Zinn von weit entfernten Vorkommen, möglicherweise<br />

sogar von Cornwall in Südengland herbeigeschafft<br />

wurde. Den mächtigen keltischen Fürsten auf<br />

dem Mont Lassois wäre dann das Recht zugefallen, einen<br />

nicht geringen Wegzoll zu erheben von den etruskischen<br />

Kaufleuten, nachdem diese den Julierpaß überschritten,<br />

das Schweizer Mittelland und die Franche-Comté durchquert<br />

und schließlich auf dem Plateau von Langres ihre<br />

Waren abgesetzt hatten."<br />

Angesichts der Tatsache, daß die Franzosen mit guten<br />

Gründen annehmen, daß die Verbindung des Mont Lassois<br />

zum Süden über Rheintal-Chur-Julierpaß erfolgte,<br />

einem Paß also, dem die Heuneburg rund 300 km nä-<br />

her liegt als der Mont Lassois (!), sollte man bei uns prüfen,<br />

ob nicht die Hypothese einer Verbindung Heuneburg-Marseille<br />

zugunsten der Verbindung über den Julier<br />

nach Italien zurückgestellt werden sollte.<br />

Als Schirmherrn des Zinnhandels hätten die frühkeltischen<br />

Fürsten in der antiken Welt eine beachtliche politische<br />

Rolle gespielt. So wie der Mont Lassois den Weg<br />

von Oberitalien zu den englischen Zinnvorkommen in<br />

Cornwall halbiert, so halbiert die Heuneburg den Weg<br />

von Oberitalien zu den alten böhmischen Zinngruben.<br />

Die Vorstellung einer politischen Aufgabe der frühen<br />

Keltenfürsten in der antiken Welt, beginnt sich in jüngster<br />

Zeit auch bei uns durchzusetzen, und zwar mit einer<br />

interessanten Erweiterung:<br />

Keltenfürsten sichern mit ihrer Kriegerkaste nicht nur<br />

den transalpinen Handel der Etrusker, sie lassen sich mit<br />

ihren Gefolgsleuten nach Italien abwerben und treten<br />

dort in fremden Sold.<br />

E. Neuffer e , Tübingen, schreibt 1974:<br />

„Man fragt sich unwillkürlich, was denn die hallstättischen<br />

Kelten als Gegengabe anzubieten gehabt haben<br />

mögen, die es ihnen erlaubte, sich an die mittelmeerische<br />

Kultur anzuschließen. Man hat lange daran gedacht, daß<br />

als Handelsgüter etwa Bernstein oder Sklaven in Frage<br />

kämen, doch hat sich herausgestellt, daß man einen Teil<br />

des Importes aus dem regulären Handel ausklammern<br />

muß. Zürn hat vermutet, daß es sich um Staatsgeschenke<br />

handeln könnte, eine Überlegung, der Fischer 7 nachgegangen<br />

ist und durch Belege wahrscheinlich gemacht hat.<br />

Als ein solches Staatsgeschenk wäre etwa der Krater von<br />

Vix anzusehen, wohl auch der Greifenkessel mit Dreifuß<br />

aus dem benachbarten Grab von Ste. Colombe. Gerade<br />

beim Mont Lassois, bei dem die genannten Gräber liegen,<br />

aber auch bei Heuneburg und Hohenasperg können politische<br />

Beziehungen zum Süden bestanden haben, die Fischer<br />

als „vordergründige Zweckallianzen" in den Beziehungen<br />

der Herrscher untereinander bezeichnet. Er<br />

45


schließt es nicht aus, daß bereits in jener Zeit kleinere,<br />

oder sogar größere Gefolgschaftsheere durch die südlichen<br />

Machthaber angeworben worden sind, wie es für<br />

die darauffolgenden Zeiten bekannt ist 8 . Dies würde<br />

auch eine sehr reale Basis für die gutnachbarschaftlichen<br />

Beziehungen beider Siedlungs- und Kulturräume abgeben,<br />

wobei Staatsgeschenke dann eine wichtige Rolle<br />

spielen. Für einen anderen Teil der Importgüter wird<br />

eine Erklärung als Heiratsgut erwogen, was entweder so<br />

enge politische Bindungen zwischen den befreundeten<br />

Fürstenhäusern als erstrebenswert voraussetzt, daß es<br />

beiden Seiten ratsam erscheinen mußte, sie durch familiäre<br />

Bande zu kräftigen oder aber, daß es tatsächlich<br />

solche Gefolgschaften von Hallstattleuten in südländischen<br />

Diensten gegeben hat und der Anführer einer solchen<br />

Schar, sicher aus einem Fürstengeschlecht stammend,<br />

sich eine Frau aus dem Süden mitgebracht hat."<br />

Diesen Gedanken folgend dürfen wir in dem sagenhaften<br />

Heuneburger König einen erfolgreichen jungen Söldnerführer<br />

sehen, der reich beschenkt im Triumphe heimkehrt,<br />

mit dem festen Willen, sein väterliches Erbe zu einer<br />

Stadtherrschaft nach mittelmeerischen (etruskischem)<br />

Muster auszubauen.<br />

Nach den neuesten Forschungsergebnissen, die die Bauperioden<br />

V, VI der Heuneburg in die mittlere Bronzezeit<br />

verweisen und damit die Lehmziegelmauer (Periode IV)<br />

in die Gründungszeit des frühkeltischen Fürstensitzes zurückverlegen<br />

9 , dürfen wir im Heuneburger König, wenn<br />

nicht den Gründer, so doch den Vollender des Machtzentrums<br />

an der oberen Donau sehen.<br />

Die Sage vom Geist auf dem Hohmichele<br />

Nicht nur der Rauhe Leh hat unsere Vorfahren mit Ehrfurcht<br />

und Schauder erfüllt. Unter den anderen Grabhügeln<br />

ist an erster Stelle der mächtigste im Heuneburgbereich<br />

zu nennen, der 13,5 m hohe Hohmichele. Er liegt<br />

zusammen mit den 4,5 m hohen Resten des Kleinmichele<br />

inmitten eines großen Grabhügelfeldes im Heiligkreuztaler<br />

Wald, östlich von ihm befindet sich ein heiliges Viereck<br />

der späten Kelten, eine sogenannte Viereckschanze.<br />

Von dem solchermaßen ausgezeichneten Hohmichele berichtet<br />

die Sagensammlung:<br />

„Auf und um den Hohmichele soll es nicht geheuer sein.<br />

Da geht ein Waldgeist, der Wanderer irreführt (Bleicher).<br />

Eine weitere Sage konnte ich in Beuren erfahren. Gewährsmann<br />

ist Altbürgermeister Johann Reck, geb.<br />

1894:<br />

6. Die Sage vom Grabraub im Hohmichele<br />

Herrn Reck ist aus seiner Kindheit der Beurener Schuster<br />

Richard Käsberger, ein Lehrersohn, in lebhafter Erinnerung<br />

geblieben. Dieser konnte viele Geschichten erzählen,<br />

und so besuchten ihn die Kinder gerne in seiner<br />

Werkstatt. Einmal kam der Schuster auf den Hohmichele<br />

zu sprechen. Er erzählte von einem großen Schatz, der<br />

mitten unter dem Hügel in einem Grab verborgen sei.<br />

Seine Schilderung weckte die Begierde und Abenteuerlust<br />

in den Herzen der Buben. Sie wollten den Schatz<br />

heben. Der Schuster, der ein Schalk war, bestärkte sie in<br />

ihrem Vorhaben. Anderntags zogen die Buben heimlich<br />

mit allerlei Grabgeräten versehen aus, um dem Hohmichele<br />

zuleibe zu rücken.<br />

Abgeschunden und enttäuscht mußten sie am Abend einsehen,<br />

daß sie mit ihren geringen Kräften an dem gewaltigen<br />

Hügel verliegen mußten. Mit hängenden Köpfen<br />

46<br />

trotteten sie heim. Der knitze Schuster aber erwartete sie<br />

mit den Worten: „O Buaba, warum seid ihr so traurig,<br />

weil ihr den Hohmichele itt zwunga hond? O, des macht<br />

gar nix. Gfunda hättet ihr sowieso nix; denn ihr kommet<br />

zu spät. S' Grab ist leer, dr Schatz ist fort. Scho vor<br />

viele hundert Johr hond oine a tiefs Loch in d Hohmichele<br />

graba und d Schatz rausgstohla."<br />

Als 38 Jahre später Prof. G. Riek den Hohmichele ausgrub<br />

und untersuchte, fand er den Stollen und die Spuren<br />

der Grabräuber, von denen der Schuster erzählt hatte.<br />

7. Die Sage vom weißen Fräulein in der Baumburg<br />

Zwischen der Heuneburg und Hundersingen grüßen 2<br />

Großgrabhügel vom Steilhang des Donautales, der Lehenbühl<br />

und die Baumburg.<br />

Die etwa 10 m hohe Baumburg ist noch nicht untersucht,<br />

aber es wird nicht daran gezweifelt, daß in dem mittelalterlichen<br />

Burghügel ein hallstattzeitlicher Fürstengrabhügel<br />

steckt.<br />

Eine merkwürdige Beobachtung sei hier erwähnt:<br />

Bei der Sommersonnwende geht die Sonne, von der<br />

Baumburg aus gesehen, genau hinter dem Bussengipfel<br />

auf! War die Baumburg in vorchristlicher Zeit Schauplatz<br />

von Sonnwendfeiern? Auch in der Sage vom weißen<br />

Fräulein scheinen sich Erinnerungen an die vorchristliche<br />

Religion zu verbergen.<br />

Bei der Baumburg bestellte ein Bauer von Hundersingen<br />

jahraus jahrein seinen Acker. Seine Frau wunderte sich,<br />

weil ihr Mann weder Brot, Käs oder Speck, noch einen<br />

Krug Most mitnahm, wenn er dort draußen zu schaffen<br />

hatte. Kurz entschlossen fragte sie eines Tages, wie er es<br />

beim „Brotessen" auf dem Baumburgacker hielte. Da erzählte<br />

der Bauer von dem weißen Fräulein. Schon seit<br />

vielen Jahren war es zu ihm gekommen, wenn er sich am<br />

Ackerrain zum Vespern niedersetzen wollte. Das weiße<br />

Fräulein gab ihm dann allemal aus einem Henkelkorb<br />

feines Weißbrot, Wein, Käs und Kuchen. Er durfte mit<br />

einer zierlichen, silbernen Gabel nehmen, so viel er wollte<br />

und natürlich auch kräftig aus dem bauchigen Krug<br />

trinken, den es ihm hinstellte. Der Bauer konnte jedoch<br />

nicht sagen, woher das Fräulein kam. Es stand halt unversehens<br />

neben ihm, schaute ihn freundlich an und gab<br />

ihm zu essen. Einige Wochen nach dem Tag, an dem der<br />

Bauer seiner Frau von dem weißen Fräulein erzählt hatte,<br />

mußte der Knecht auf den Baumburgacker hinaus. Er<br />

hatte inzwischen von der Bäuerin erfahren, wie es beim<br />

Brotessen dort draußen zuginge. Bevor er sich nun auf<br />

den Weg machte, redete der Hausherr noch einmal davon<br />

und schärfte dem Knecht ein, recht freundlich und<br />

dankbar für die Gaben zu sein. Er sollte dem Fräulein<br />

vor allem die zierliche, silberne Gabel wieder in den<br />

Henkelkorb legen. Gegen zehn Uhr morgens bekam der<br />

Knecht Weißbrot, Käs, Wein und Kuchen, wie es der<br />

Bauer gesagt hatte. Er aß und trank. Aber der rohe und<br />

habgierige Bursche gab die silberne Gabel nicht mehr<br />

her. Das weiße Fräulein schaute in flehend an. Er achtete<br />

nicht darauf und steckte die Gabel in seinen Kittelsack.<br />

Verzweifelt rang das Fräulein die Hände und fing<br />

zu schluchzen an. Der Knecht gab die Gabel nicht heraus.<br />

Da nahm es seinen Henkelkorb und verschwand im<br />

Hügel. Seither ist es nie mehr mit seinen Gaben gesehen<br />

worden.<br />

Diese Fräuleinsage wird fast unverändert auch vom<br />

Schloßberg bei Saulgau und von der Ringgenburg beim<br />

Pfrunger Ried überliefert. Die Sage vom Buhraweible<br />

bei Ursendorf (Bleicher 92) könnte als Entstellung der


Fräuleinsage verstanden werden 10 . Vom Schloßberg sind<br />

2 Versionen überliefert. Die eine gleicht der Baumburgsage<br />

(Bleicher 107), die andere der Burrensage (Bleicher<br />

S. 16).<br />

Von Baumburg und Schloßberg werden außerdem noch<br />

Schatzsagen erzählt: Der Schatz in den Kohlehäfen auf<br />

Gegenüberstellung der Fräuleinsagen<br />

1. Ort<br />

5. ihre Gaben<br />

6. Sie wendet sich an:<br />

7. Der undankbare<br />

Knecht behält zurück:<br />

Das weiße Fräulein<br />

in der Baumburg<br />

Bleicher 64<br />

2. Zeit der Erscheinungen Vesperzeit<br />

3. Gewand des Fräuleins weiß<br />

4. ihre Eigenschaften freundlich<br />

Acker b. d. Baumburg<br />

feines Weißbrot, Käse,<br />

Kuchen, Krug m. Wein<br />

Bauer und Knecht<br />

silberne Gabel<br />

8. Reaktion des Fräuleins schaute flehend, rang<br />

verzweifelt die Hände,<br />

schluchzte, verschwand<br />

im Hügel<br />

9. sein Schicksal seither ist es nie mehr<br />

gesehen worden<br />

Damit sind als Themen des Heuneburgsagenkreises<br />

vorgestellt:<br />

der Baumburg (Bleicher 63) und die Sage vom Goldloch<br />

auf dem Schloßberg (Bleicher S. 15).<br />

Der Schatz in der Baumburg wird von einem schwarzen<br />

Pudel gehütet. Die Stelle, wo der Schatz liegt, ist immer<br />

schneefrei (Beschrbg. d. OA Riedlingen 1923 S. 216).<br />

Das Fräulein vom<br />

Schloßberg<br />

Bleicher 107<br />

Äcker östlich<br />

vom Schloßberg<br />

Vesperzeit<br />

weiß<br />

Der Heuneburger König<br />

und sein Feldherr,<br />

die Grabräuber vom Hohmichele,<br />

der Glaube an die Geister der Toten,<br />

an das Muetes-Heer<br />

und an eine im weißen Fräulein sich verbergende mütterliche<br />

Gottheit.<br />

Ergänzend sind noch zu erwähnen die Sage vom Rauhenlehweible<br />

(Bleicher S. 1) und die Sage von der Glocke<br />

im Bettelbühl (Bleicher S. 12) und vom Schloß auf dem<br />

Bettelbühl (Beschr. d. OA Saulgau 1829).<br />

Eine Liste der Namen, die mit heuneburgzeitlichen<br />

Denkmalen verknüpft sind, soll diese Darlegung abschließen.<br />

Heuneburg<br />

Heunen - 1.) vordeutsche Bevölkerung. Die, durch das<br />

Vor-Augen-haben von Hünengräbern und großen Wallanlagen,<br />

mit Heunen verbundene Vorstellung von riesenhaft<br />

dürfte sekundär sein. - 2.) Die Hunnen (ebenso<br />

Awaren und Ungarn) wurden ehemals durchweg als<br />

ein gar gütig. Wesen<br />

Laib Weißbrot,<br />

Krüglein Wein<br />

Bauer und Knechte<br />

silbernes Messer (Bl. 16)<br />

Das silberne Messerchen<br />

(Bleicher 115)<br />

Felder beim Hof a. d. Ringgenburg<br />

Brotessen, 10 Uhr und zwischen<br />

16 und 17 Uhr<br />

schwarzseiden<br />

ausnehmend schön, freundliche helle<br />

Augen<br />

Laible Weißbrot, Krug mit Wein<br />

Knechte und Mägde<br />

silbernes Messerchen<br />

herzzerbrech. Schrei, flehte u. schluchzte, klagte u. weinte:<br />

entfernte sich weinend „Gebt mir mein silb. Messerle wieder!"<br />

Zerraufte sein Haar, zerriß sein<br />

Gewand, u. verschwand plötzlich als<br />

hätte es der Erdboden verschlungen<br />

seither hat es sich nie<br />

wieder gezeigt<br />

Von der Zeit an kam das schwarze<br />

Fräulein nie mehr wieder. An der<br />

Stelle hört man noch oft ein schluchzen<br />

und leises Klagen.<br />

Heunen bezeichnet. Nach Keinath, Württ. Flurnamenbüchlein<br />

1926<br />

Grabhügel<br />

Leh — künstlicher Hügel, also Grabhügel, aber auch<br />

Grenzhügel. Bei ihnen finden sich häufig alte Gerichtsstätten,<br />

am berühmtesten der nicht mehr existierende<br />

Gunzenleh bei Augsburg. Buck, Oberdeutsches Flurnamenbuch<br />

1931.<br />

Lehenbühl bei Hundersingen<br />

Rauher Leh bei Ertingen<br />

Ringenleh südlich von Ertingen (eingeebnet)<br />

Hohmichele - mhd. michel = groß, also Hoher Michelleh<br />

= Hoher Großleh<br />

Bettelbühl - ein Großgrabhügel bei Herbertingen. - Bettel<br />

von Beten, könnte an die Verehrung der drei Beten<br />

erinnern.<br />

Beten = keltisch-germanische Muttergottheiten, Erdmutter,<br />

Sonnenmutter, Mondmutter. Schöll, Die drei Ewigen,<br />

Jena 1936.<br />

Ring - Flurnamen an der Donau, unterhalb der Baumburg.<br />

- Ring bedeutet nach Buck Gerichtsplatz oder<br />

auch Hexentanzplatz.<br />

47


' Rudolf Pörtner, Bevor die Römer kamen 1961.<br />

2<br />

Wolfgang<br />

1968.<br />

Kimmig, Die Heuneburg an der oberen Donau<br />

3<br />

Von Dietenburg, um 1300 als landauische Lehenleute genannt,<br />

die mit der Dietenburg über der Donau unterhalb<br />

Riedlingen vermutl. nichts zu tun haben. B. d. O. A. Riedlingen<br />

1923 S. 709.<br />

4 Hans Christoph Schöll, Die 3 Ewigen, eine Untersuchung<br />

über den germanischen Bauernglauben, Eugen Diederich<br />

Jena 1936.<br />

5 René Joffroy, La Tombe Princiere de Vix, Chatillon sur<br />

Seine 1968.<br />

6 Eduard M. Neuffer, Hallstatt-frühe Kelten in Bad. Württ.<br />

Führer zu einer Sonderausstellung d. Ld. Denkm. Amt<br />

Freibg. 1974.<br />

7<br />

Prof. Fischer, Nachfolger von Prof. Kimmig, der 1974 in<br />

den Ruhestand getreten ist.<br />

8<br />

Brigitte Merz, Tailfingen weist 1972 in einem unveröffentlichten<br />

Aufsatz über die „Beziehungen der südwestdeutschen<br />

Hallstattkultur zur großgriechischen Welt" auf die politischen<br />

Umwälzungen hin, die sich im 6. und 5. vorchristlichen<br />

Jahrhundert im westlichen Mittelmeerraum vollzogen.<br />

Die eindringenden Griechen errangen die Vorherrschaft im<br />

überseeischen Handel durch Seesiege über die Etrusker (508<br />

vor Chr. und 471 vor Chr.) und über die Karthager (480<br />

v. Chr.). Die etruskisch-karthag. Allianz wurde durch das<br />

junge Rom gestört (röm-karthag. Vertrag 508 v. Chr.). Was<br />

lag für die Etrusker näher als handelspolitische und militärische<br />

Bündnisse mit den Kelten zu suchen? Diese könnten<br />

noch 386 v. Chr. eine Rolle gespielt haben beim Keltensturm<br />

auf Rom, brachte er doch dem etruskischen Reiche<br />

Rettung in höchster Not. - 10 Jahre zuvor (396 v. Chr.)<br />

war der römischen Expansion bereits der südliche Vorposten<br />

des etruskischen Reiches, die Felsfeste Veji zum Opfer<br />

gefallen. Bemerkenswerte etruskisch-frühkeltische Gemeinsamkeiten:<br />

Adelsherrschaft, Freiheit u. Rechtsstellung der<br />

Frau, Wagen als Zeichen besonderer Würde (Heerführer),<br />

Prunksucht, Hügelgräber, Blütezeit der Reiche im 6. und 5.<br />

vorchrist. Jahrhundert. Schließlich waren die Etrusker Träger<br />

einer eng an Herrensitze sich anlehnenden Stadtkultur,<br />

der ersten in Mittelitalien.<br />

9 H. W. Böhme, Katalog z. Ausstellung d. Rom. Germ. Zentralmuseums<br />

„Ausgrabungen in Deutschland", in Mainz,<br />

<strong>1975</strong>.<br />

10 Das überirdische, mildtätige Fräulein verwandelt die Burrensage<br />

in eine ob ihrer Hartherzigkeit verfluchte Burgfrau,<br />

deren büßende Seele als furchterregendes Weib geistern<br />

muß. Die Reichung von Brotlaib u. Messer wird zur Bußhandlung.<br />

Endlich nimmt ein beherzter Wanderer die Gabe<br />

an u. erlöst so die Seele. - In der 2. Fassung d. Schloßbergsage<br />

verwandelt sich die büßende Seele wieder i. d. weiße<br />

Fräulein, das durch den Verlust des Messerleins in Klagen<br />

ausbricht und nie mehr gesehen wird.<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

herausgegeben vom Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

in Verbindung mit den Staatlichen<br />

Schulämtern. Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong><br />

<strong>Geschichtsverein</strong> 748 Sigmaringen,<br />

Karlstr. 3. Druck: M. Liehners Hofbuchdruckerei<br />

KG, 748 Sigmaringen, Karlstr. 10.<br />

Die Zeitschrift „Hohenzollerische Heimat'<br />

ist eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie<br />

will besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />

mit der Geschichte ihrer Heimat<br />

vertraut machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />

auch populär gehaltene Beiträge<br />

aus der Geschichte unseres Landes.<br />

Sie veröffentlicht bevorzugt Beiträge, die<br />

im Schulunterricht verwendet werden<br />

können.<br />

Bezugspreis: 2,00 DM halbjährlich<br />

Konten der „Hohenzollerischen Heimat":<br />

802 507 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />

123 63 Postscheckamt Stuttgart<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

Dr. Werner P. Heyd, Redakteur<br />

„Schwarzwälder Bote"<br />

7238 Oberndorf/N.<br />

Manfred Hermann, Pfarrer<br />

7451 Neufra/Hhz.<br />

Fritz Scheerer, Rektor i. R.<br />

746 Balingen, Am Heuberg 42<br />

Hermann Bauer, Schulleiter<br />

Beuren bei Mengen<br />

Die fünf Donaustädte<br />

Walther Frick, Journalist<br />

748 Sigmaringen, Hohe Tannen 4<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth<br />

7487 Gammertingen<br />

Auf ein Buch sei hier verwiesen, das die Stadt Mengen<br />

im Faksimile herausgegeben hat, schon vor drei Jahren,<br />

das aber wohl verdient, auch hier zur Kenntnis gebracht<br />

zu werden. Es ist der Neudruck der „Geschichte der<br />

vormaligen fünf Donaustädte in Schwaben. Mit übersichtlicher<br />

Beschreibung der politischen Verhältnisse Vorder-österreichs,<br />

insbesondere Schwäbisch-Österreichs,<br />

bearbeitet von Joseph Laub, Stadtschultheiß in Mengen".<br />

Laub schrieb dieses Buch „im Wonnemonat 1894",<br />

wie er vermerkt. Er war Stadtschultheiß zu Mengen von<br />

1882 bis 1911. Die Stadt hat das Buch vollständig im<br />

Gewand seiner Zeit samt dem jugendstil-verzierten,<br />

goldgepreßten Ledereinband herausgebracht. Der jetzige<br />

Bürgermeister Hermann Zepf, Mitglied des Kreistags,<br />

würdigt in einem Vorwort die viereinhalbjährige Forschungsarbeit,<br />

die sein Vorgänger Laub auf dieses Buch<br />

verwandte, und meint, daß trotz der bescheidenen Auflage<br />

von nur 3000 Exemplaren es vielen Heimatfreunden<br />

willkommen sei. - Die fünf Donaustädte sind bekanntlich<br />

Mengen, Saulgau, Riedlingen, Munderkingen und<br />

Bad Waldsee. Von ihnen liegen jetzt zwei im Kreis Sigmaringen,<br />

nämlich Mengen und Saulgau, und damit im<br />

Bereich des historischen Interesses unserer Leser. Die Arbeit<br />

ist ausgezeichnet, namentlich, was die Verwaltungsund<br />

Verfassungsgeschichte und die politische und gesellschaftliche<br />

Situation des Bürgers angeht. Landwirtschaft,<br />

Handel und Gewerbe, das Armenwesen, die Schulen,<br />

selbst die Hygiene, es ist nichts vergessen, um ein genaues<br />

Bild der Zustände in diesen fünf Städten vor allem<br />

gegen Ende der österreichischen Zeit um 1800 zu geben.<br />

Mehr als 3000 Besucher<br />

Frick<br />

Im Sigmaringer Staatsarchiv haben im Juni/Juli mehr<br />

als 3000 Besucher die Ausstellung „30 Jahre danach"<br />

über Zusammenbruch und Neubeginn nach 1945 gesehen.<br />

Dies ist ein außerordentlich gutes Ergebnis, wobei<br />

Archivdirektor Dr. Gregor Richter besonders darüber erfreut<br />

war, daß so viele Jugendliche sich die Zeugnisse jener<br />

Zeit besahen, an die sie keine Erinnerung haben, in<br />

der sie größtenteils noch nicht geboren waren. Die Ausstellung<br />

zeigte nicht nur Lebensmittelkarten, Bezugsscheine,<br />

Aufrufe, Befehle, Warnungen vor Spionage und<br />

dergleichen, sondern auch originale Fliegerbomben und<br />

u. a. Uniformen der Wehrmacht. Für diejenigen, die den<br />

Krieg mitgemacht haben, war die Ausstellung natürlich<br />

ganz besonders eindringlich und ließ die Verzweiflungen<br />

und Hoffnungen jenes Schicksalsjahres wieder deutlich<br />

werden. Frick<br />

Redaktionsausschu ß:<br />

Hubert Deck, Konrektor<br />

745 Hechingen, Tübinger Straße 28<br />

Telefon (07471) 2937<br />

Walther Frick, Journalist<br />

748 Sigmaringen, Hohe Tannen<br />

Telefon (07571) 8341<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />

die persönliche Meinung der Verfasser<br />

wieder; diese zeichnen für den Inhalt<br />

der Beiträge verantwortlich. Mitteilungen<br />

der Schriftleitung sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters<br />

oder Redaktionsausschusses erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die „Hohenzollerische<br />

Heimat" weiter zu empfehlen.


HÖH ENZOLLERISCHE<br />

HEIMÄT<br />

Herausgegeben com<br />

W 3828 F<br />

Hohenzollerifchen Gefchichteoerein<br />

25. Jahrgang Nr. 4/Dezember <strong>1975</strong><br />

Foto: M. Hermann<br />

Als Gruß zu Weihnachten und zum Neuen Jahr zeigen wir Ihnen ein Dreikönigsbild aus<br />

der Pfarrkirche zu Hettingen von der Hand des Malers Johann Herz aus Immenstaad<br />

am Bodensee (1715). Einst war es im Auszug des Hochaltars angebracht, heute in der<br />

Taufkapelle.


MAREN KUHN-REHFUS<br />

Der Übergang der Fürstentümer Hohenzollern-Hechingen und<br />

Hohenzollern-Sigmaringen an Preußen<br />

Ein Quellenbeispiel<br />

Die bürgerlich-liberale Revolution der Jahre 1848/49<br />

war für die beiden Fürsten von Hohenzollern-Hechingen<br />

und Hohenzollern-Sigmaringen der Anlaß, abzudanken<br />

und ihre Kleinststaaten an Preußen abzutreten. Noch nie<br />

hatten die Fürsten von Hohenzollern ihren Untertanen<br />

so machtlos gegenübergestanden wie im März 1848 In<br />

dieser Lage machte Friedrich Wilhelm Konstantin von<br />

Hohenzollern-Hechingen, der nach den im März und<br />

April 1848 ihm abgerungenen Zugeständnissen - vor<br />

allem Durchsetzung des Verfassungsstaates — Koliken<br />

bekam und seine Psyche pflegen mußte, „um einen Ersatz<br />

hierin zu finden für meine nun entblätterte materielle<br />

und politische Existenz" 2 , den Anfang und bot<br />

sein Land zunächst seinem Sigmaringer Verwandten an,<br />

nach dessen Ablehnung aber dem preußischem Königshaus,<br />

dem im Familienvertrag von 1695 die Anwartschaft<br />

auf die schwäbischen Stammlande der preußischen<br />

Königsfamilie zugesichert worden war. Konstantin war<br />

zwar den „Staatsgeschäften und ernster Arbeit wenig<br />

zugetan" 3 , konnte aber seine Entmachtung nicht verwinden.<br />

Fürst Karl von Hohenzollern-Sigmaringen hingegen<br />

fürchtete in erster Linie die Verstaatlichung der<br />

Domänen, die von den Sigmaringer Demokraten in- und<br />

außerhalb des Landtages immer dringender gefordert<br />

wurde. Aus seiner Sicht war die Revolution ein Vertrauensbruch<br />

der Untertanen und bewies Undankbarkeit gegen<br />

seine Verdienste um das Land. Den neuen politischen<br />

Ideen fremd gegenüberstehend, enttäuscht und regierungsmüde<br />

folgte er dem Beispiel seines Hechinger Verwandten,<br />

um seiner Familie den Domänenbesitz zu erhalten<br />

4 . Er verhandelte zunächst mit Preußen über die<br />

Abtretung der Souveränität und nach dessen ablehnender<br />

Haltung mit der deutschen Zentralgewalt in Frankfurt.<br />

Im August 1848 dankte Fürst Karl jedoch zugunsten<br />

seines Sohnes Karl Anton ab. Dieser, noch in der<br />

Tradition aufgeklärt-absolutistischer und patriarchalischer<br />

Vorstellungen befangen, war anfänglich nicht zum<br />

Verzicht auf die Landesherrschaft bereit, wurde aber<br />

durch die Sigmaringer Septemberrevolution, die radikale<br />

Züge annahm, und durch die Befürchtungen vor einer<br />

Annektion durch Württemberg oder Bayern bewogen,<br />

mit der Frankfurter Zentralgewalt einen Vertragsentwurf<br />

über die Übertragung des Landes auf die provisorische<br />

Reichsregierung aufzusetzen. Auch für ihn stand<br />

das Wohl seines Hauses im Vordergrund 5 .<br />

Gegen diesen mit der Frankfurter Regierung aufgesetzten<br />

Vertrag nun protestierte Preußen, worauf die beiden<br />

hohenzollerischen Fürsten in abermalige, sich über ein<br />

Jahr hinziehende Verhandlungen über die Übernahme<br />

ihrer Länder durch Preußen eintraten. Friedrich Wilhelm<br />

IV. von Preußen lehnte einerseits die Vergrößerung<br />

der preußischen Monarchie durch Hohenzollern ab,<br />

wollte andererseits die Fürstentümer, auf die Preußen ein<br />

Erbrecht hatte, aber auch keinem anderen Staat überlassen.<br />

Ausschlaggebend wurde die romantische Zuneigung zu<br />

den schwäbischen Stammlanden, zum Ursprung der Hohenzollern<br />

auf dem preußischen Königsthron, und am<br />

7. Dezember 1849 wurde der Staatsvertrag unterzeichnet,<br />

der den Fürsten den Domänenbesitz garantierte und<br />

ihnen als Ersatz für die abgetretenen Hoheitsrechte eine<br />

Jahresrente zusicherte. Am 6. April 1850 wurde das<br />

50<br />

Land Hohenzollern-Sigmaringen, am 8. April das Land<br />

Hohenzollern-Hechingen feierlich an Preußen übergeben.<br />

Die abgedruckten Dokumente zeigen zunächst, in welcher<br />

Form die Übergabe von Staaten an neue Herrscher<br />

vor 125 Jahren vollzogen wurde. Aufschlußreicher jedoch<br />

ist das in ihnen zum Ausdruck kommende Selbstverständnis<br />

der souveränen Landesherren noch Mitte des<br />

vorigen Jahrhunderts, die das Heil ihrer Länder nur<br />

durch die Alleinherrschaft des Monarchen verwirklicht<br />

sehen konnten. Die Verfassungen wurden von ihnen widerwillig<br />

eingeführt, denn das patriarchalische System<br />

schien ihnen für die für unmündig gehaltene Bevölkerung<br />

die beste Staatsform zu sein 6 . Die Mitwirkung der<br />

Ständeversammlung faßten sie vor allem als Behinderung<br />

ihrer Regierungsgewalt auf. Den Zielen der Revolution<br />

mußten sie zwangsläufig ablehend gegenüberstehen,<br />

weil sie in ihr nur Negatives sahen wie Umsturz aller<br />

bestehenden Werte, Untergrabung von Sittlichkeit,<br />

Moral, Religion und Autorität, Verlust von Anhänglichkeit<br />

und Vertrauen, Angriffe auf die Rechte der Besitzenden.<br />

Verständnislos standen sie der Tatsache gegenüber,<br />

daß die Bevölkerung ihre Regierungsarbeit nicht<br />

mehr kritiklos akzeptierte, sondern mit angeblicher Undankbarkeit<br />

beantwortete 7 .<br />

Besonders deutlich tritt diese Haltung des sich für einen<br />

wohlmeinenden aber mißverstandenen und ungerecht behandelten<br />

Landesvater haltenden Fürsten in der Abschiedsrede<br />

Konstantins an seine Untertanen zutage: Als<br />

patriarchalisch regierender Fürst betrachtete er die ihm<br />

von Gott übertragene Pflicht als Legitimation und das<br />

ihm von seinen Untertanen entgegengebrachte Vertrauen<br />

und ihre kindliche Anhänglichkeit als Grundlage seiner<br />

Herrschaft. Dieses Vertrauen, das das eigene Geschick<br />

vorbehaltlos in die Hände des Vaters legen muß, wurde<br />

in seinen Augen durch die „Katastrophe" von 1848 zerstört:<br />

Die Untertanen wollten mit einemmal ihr politisches<br />

Geschick selbst gestalten und nicht mehr vom Monarchen<br />

bestimmen lassen. Diese Undankbarkeit drohte<br />

seiner Auffassung nach die Menschen ins Verderben zu<br />

stürzen. Die Auffassung seiner Regierung als landesväterliche<br />

Fürsorge erforderte daher, daß Konstantin als<br />

stets dem Wohl seines Landes verpflichteter Herrscher<br />

das Schlimmste zu verhüten versuchte, indem er nach einer<br />

festen Hand suchte, die der Entwicklung Einhalt gebieten<br />

konnte. Diese fand er im König von Preußen,<br />

dem er nun Land und Untertanen zu ihrem eigenen Besten<br />

— wie der Fürst es sah - anvertraute. Die betroffene<br />

Bevölkerung wurde selbstverständlich nicht nach<br />

ihrer Zustimmung zum Wechsel ihrer Staatsangehörigkeit<br />

gefragt.<br />

Auch der Zuruf des preußischen Königs an seine neuen<br />

hohenzollerischen Untertanen beschwört die Ereignisse<br />

der Jahre 1848/49 und weist warnend auf den aus der<br />

Untreue der Untertanen entspringenden Unsegen für<br />

Land und Leute hin. Daher ermahnte er sie zu Treue<br />

und Gehorsam, wofür er ihnen seine landesväterliche<br />

Fürsorge und seinen Schutz zusagte. Auch hier zeigt sich<br />

also das patriarchalische Herrschaftsverständnis. Als<br />

weiteres Moment in diesem Zuruf kommt jedoch die gefühlsbetonte<br />

Beziehung Friedrich Wilhelms von Preußen<br />

zu dem ihm an sich völlig fremden süddeutschen Hohenzollern<br />

zum Ausdruck. Dieses Land war für ihn zualler-


erst Stammland seines Geschlechtes, hier stand seine<br />

Stammburg, deren Ruinen er zu einem repräsentativen<br />

Bau wieder aufbauen ließ. Deshalb auch waren die Bewohner<br />

schon bisher seinem Haus und seinem Herzen<br />

nicht fremd gewesen.<br />

Abdankung des Fürsten Friedrich Wilhelm Konstantin<br />

von Hohenzollern-Hechingen am 27. Februar 1850 (Original<br />

im Staatsarchiv Sigmaringen, Ho 1 A 3. Die Urkunde<br />

wurde als gedruckter Aushang vervielfältigt und im<br />

Verordnungs- und Anzeigeblatt für das Fürstentum Hohenzollern<br />

Hechingen vom 10. April 1850 veröffentlicht):<br />

Wir Friedrich Wilhelm Constantin, von Gottes Gnaden<br />

souveräner Fürst zu Hohenzollern-Hechingen, Burggraf<br />

zu Nürnberg, Herzog von Sagan, Graf zu Sigmaringen,<br />

Veringen, Castilnovo und Villalva del alcor, Herr zu<br />

Haigerloch, Wehrstein usw., haben mit Rücksicht auf die<br />

zwischen dem Königlich Preußischen und dem Fürstlich<br />

Hohenzollernschen Hause bestehenden stammverwandtlichen<br />

Verhältnisse und Erbeinigungsverträge mittels<br />

Staatsvertrags vom 7. Dezember 1849 und von Uns ratifiziert<br />

den 12. Februar 1850 für Uns, Unsere Erben und<br />

Nachfolger der Regierung über Unser Fürstentum Hohenzollern-Hechingen<br />

mit allen Souveränitäts-, Regierungs-<br />

und eventuellen Erbfolgerechten über dasselbe zu<br />

Gunsten der Krone Preußens entsagt.<br />

Nachdem nunmehr in dessen Gemäßheit die Übergabe<br />

Unseres Fürstentums an Seine Majestät den König von<br />

Preußen durch die hierfür bestellten Commissarien erfolgen<br />

wird, so entbinden Wir mittels dieses feierlichen Aktes<br />

die Landesangehörigen und Staatsdiener Unseres Fürstentums<br />

von den Uns geleisteten Eiden, und übertragen<br />

Unsere diesfallsigen Rechte und Ansprüche an Seine Majestät<br />

den König von Preußen, Unsern gnädigsten Herrn.<br />

Möge der Himmel Unserem Werke den Segen verleihen!<br />

Schloß Holstein den 27. Februar 1850<br />

Friedrich Wilhelm Constantin<br />

Abschiedsansprache des Fürsten Konstantin (Staatsarchiv<br />

Sigmaringen, Ho 1 A 3. Veröffentlicht im Verordnungsund<br />

Anzeigeblatt vom 10. April 1850).<br />

Meine Lieben Untertanen!<br />

In dem Augenblicke, in welchem Ich die Regierung in<br />

die Hände seiner Majestät des Königs von Preußen niederlege,<br />

erfülle Ich eine letzte Pflicht, indem Ich Euch<br />

für alle dem Fürsten bewiesene Liebe und Treue danke<br />

und Euch ermahne, dieselbe auf Eueren neuen Landesherrn<br />

zu übertragen.<br />

Es bedarf wohl keiner Versicherung, daß die tiefste<br />

Wehmut Mich bei dem Gedanken durchdringt, daß es<br />

Mir nicht mehr vergönnt sein soll, auf die Geschicke<br />

Meines Stammlandes in dem Sinne einzuwirken, wie es<br />

bisher Mein eifrigstes Bestreben war; wo aber eine höhere<br />

Notwendigkeit eintritt, zu deren Erkenntnis Ich gelangt<br />

bin, und welche wohl viele von Euch ebenfalls teilen,<br />

kann die Neigung allein nicht mehr Richterin über<br />

Meine Entschlüsse sein; vielmehr muß diese der Erkenntnis<br />

sich fügen, und das zerrissene Gemüt kann seinen<br />

Trost und seine Beruhigung nur in dem Bewußtsein wiederfinden,<br />

daß es seine Gefühle dem allgemeinen Wohle<br />

zum Opfer gebracht hat.<br />

Die Bande des Vertrauens und der kindlichen Anhänglichkeit,<br />

welche noch vor kurzem wohl fester als irgendwo<br />

die Bewohner des Fürstentums an ihren Landesherrn<br />

fesselten, sind durch die gewaltigen Stürme, welche Europa<br />

erschütterten, auf eine Weise gelockert worden, daß<br />

es dem Landesherrn unmöglich geworden war, die ihm<br />

von Gott anvertrauten Pflichten für das Wohl seiner<br />

Untergebenen zu erfüllen. Die einzige Kraft, auf welche<br />

er sich stützen konnte, das Vertrauen war ihm entzogen;<br />

- hiemit erlosch seine Wirksamkeit. Kehrte dasselbe<br />

auch nach und nach zurück, so mußte inzwischen doch<br />

zu viele unschätzbare Zeit verloren gehen, in welcher<br />

der Wohlstand der Einzelnen immer mehr versinken<br />

mußte. Eine festere mächtige Hand war nötig, welche<br />

neue Einrichtungen schnell ins Leben rufen konnte, da<br />

das Alte zerstört war. Ich habe Mich für Mein Land an<br />

dieselbe gewendet und glaube durch diesen Schritt am<br />

meisten gezeigt zu haben, daß meine Liebe zu ihm ungemessen<br />

ist. -<br />

Wohl ward es mir schwer, zu solchem Entschlüsse zu gelangen.<br />

Ich gedachte der schönen Zeit, in welcher Ihr<br />

mit dem Jünglinge alle Hoffnungen auf eine lachende<br />

Zukunft teiltet; der Zeit, in welcher ich Euch eine Fürstin<br />

zuführte, welche Glück und Zufriedenheit, Segen<br />

und Wonne in Mein Land brachte; eine Fürstin, welche<br />

bestimmt war, die Stütze der Armen und Notleidenden,<br />

die treue Ratgeberin der Bedrängten, das leuchtende Beispiel<br />

der Gläubigen zu werden; einen Engel, den der Allmächtige<br />

Mir und Euch zu frühe entzog! Ich erinnerte<br />

Mich aller jener Liebe und Treue, die Ihr mir bei Meinem<br />

Regierungsantritte bewiesen, da ich mit dem Vollgefühle<br />

des Mannes, der seine Stellung begreift, und mit<br />

dem festesten Entschlüsse, nur das Beste Meines Vaterlandes<br />

zu wollen, dem allein mein Herz gehört, die heilige<br />

Mission ergriff, welche Mir geworden. Es trat Mir die<br />

Hoffnung lockend entgegen, daß wo so viele Liebe, so<br />

viel Vertrauen, so viel patriarchalischer Sinn noch vor<br />

kurzem geherrscht, dies alles nicht ganz entschwunden<br />

sein könnte, und daß Mein Volk in gleicher Erinnerung<br />

jener Tage zu den alten Gefühlen zurückkehren und mit<br />

Mir vereint das Gute erstreben werde. - Ich erinnerte<br />

Mich aber auch, daß mitten in Meinem Glücke Ich<br />

längst mit bangem Herzen den Einfluß bemerkt hatte,<br />

welchen die allgemeinen Zustände Deutschlands auch<br />

auf unsere Heimat übten, indem sie den gleichen inneren<br />

Übeln wie das Gesamt-Vaterland erlag; die Zunahme<br />

der Bevölkerung, das Steigen der Bedürfnisse, die<br />

Gleichgültigkeit im Religiösen, eine im Stillen zunehmende<br />

Unzufriedenheit und alle die nationalpolitischen<br />

Krankheitssymptome, welche das alte Europa durchzogen,<br />

hatten meine Besorgnis rege gemacht, deren Bestätigung<br />

der verhängnisvolle März des Jahres 1848 Mir<br />

brachte.<br />

Die Versuche, welche nach dieser Katastrophe angestellt<br />

wurden, die Ordnung und die Gesetze zu befestigen,<br />

hatten sich bei der andauernden Aufregung als ungenügend<br />

erwiesen; Ich war daher genötigt, solche Entschlüsse<br />

zu ergreifen, welche allein im Stande sind, Euer Wohl<br />

wieder dauernd zu befestigen.<br />

Ich habe sie gefaßt und ausgeführt und hege nur den einen<br />

Wunsch, daß der Allmächtige Mein Beginnen durch<br />

Gewährung aller jener Gaben segnen möge, welche ein<br />

Land beglücken können.<br />

Ich konnte es um so eher, als keinerlei Rücksichten im<br />

Wege stunden, welche sonst wohl derlei Schritte hindern.<br />

Keine neue Dynastie wird Eure Pfade leiten; die Burg<br />

Hohenzollern wird einen ihrer glorreichen Nachkommen<br />

in dem neuen Herrscher begrüßen. Hohenzollern wird<br />

unter dem milden Szepter eines erhabenen mächtigen<br />

Regenten aus seinem tausendjährigen Fürstengeschlechte<br />

neu aufblühen, geschützt und geschirmt durch Preußens<br />

ruhmgekrönten Adler.<br />

Geht also mit Liebe und Vertrauen, geht mit Gottes<br />

mächtiger Hilfe Euerem künftigen Schicksale entgegen!<br />

Seid treu, bieder und fromm: seid deutsch!<br />

Ich scheide wohl als Regent, nimmer als Freund von<br />

Euch, Ihr Lieben! Euer Freund will und werde Ich verbleiben<br />

bis zum Ende Meiner Tage!<br />

Friedrich Wilhelm Constantin Fürst zu Hohenzollern<br />

51


Die Abdankung des Fürsten Karl Anton, von Gottes<br />

Gnaden souveränen Fürsten zu Hohenzollern-Sigmaringen,<br />

Burggrafen zu Nürnberg, Grafen zu Sigmaringen,<br />

Veringen und Berg, Herrn zu Haigerloch und Wehrstein,<br />

am 6. April 1850 in Sigmaringen hat den gleichen Wortlaut<br />

wie die Abdankung des Fürsten Konstantin von<br />

Hohenzollern-Hechingen. (Gedruckter Aushang im<br />

Staatsarchiv Sigmaringen, Ho 1 A 4. Veröffentlichung im<br />

Verordnungs- und Anzeigeblatt für das Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen<br />

vom 6. April 1850, Beiblatt zu<br />

Nr. 14).<br />

Abschiedsrede an Seine Hoheit den Fürsten Carl Anton<br />

von Hohenzollern-Sigmaringen, gehalten bei Höchstdessen<br />

Regierungs-Abdikation am 6. April 1850 durch den<br />

Fürstlichen Regierungspräsidenten v. Sallwürk. (Staatsarchiv<br />

Sigmaringen, Ho 1 A 4 und Verordnungs- und<br />

Anzeigeblatt vom 6. April 1850, Beiblatt zu Nr. 14).<br />

Erlauben Euer Hoheit, daß ich vor Ihrem Scheiden in<br />

meinem und der übrigen hier versammelten Staatsdiener<br />

Namen noch ein Wort an Höchstdieselbe richte. Wollen<br />

Euer Hoheit nicht befürchten, daß ich den Schmerz<br />

schildern wolle, der bei dem Gedanken an die bevorstehende<br />

Trennung meine Brust erfüllt. Wie sollte ich es<br />

auch unternehmen, das Unnennbare in Worte zu kleiden?<br />

Mag das Herz bluten, wir müssen uns dem unvermeidlichen<br />

Geschicke fügen. Ich weiß es, wir müssen ehrerbietig<br />

anerkennen, daß Euer Hoheit der Erste unter Ihren<br />

fürstlichen Brüdern auf dem Opferaltar für Deutschlands<br />

Einheit und Größe die Würde eines fürstlichen<br />

Herrschers niedergelegt haben.<br />

Daran darf ich aber den Dank dafür anknüpfen, daß<br />

Euer Hoheit unbeirrt durch so viele betrübende Vorgänge<br />

unabläßig bemüht waren, Ihre Regentenpflichten zu<br />

üben, das Recht zu handhaben, dem reuigen Verirrten<br />

Gnade und dem armen Hilfsbedürftigen Wohltat zu<br />

spenden.<br />

Dann sei mir die Bitte gestattet, daß mein hoher Herr<br />

die warme Liebe, mit welcher er sein Volk umfaßte, uns<br />

auch nach der Trennung bewahren, daß er auch ferner<br />

derer freundlich gedenken möge, die ihm treu geblieben<br />

in den Stürmen der jüngsten Zeit, wohl erkennend, daß<br />

die junge Volksfreiheit nur in ihrem innigsten Verbände<br />

mit der Achtung bestehenden Rechts die Gewährschaft<br />

ihrer eigenen Dauer finden könne.<br />

Euer Hoheit! Zwei Denkzeichen sind es, die der Edle<br />

sich setzt im öffentlichen Leben. Beide erblühen Euer<br />

Hoheit in verwelklicher Schöne. Das eine ist die zarte<br />

Pflanze, die Sie Sich gesetzt in eigener Brust auf dem<br />

Grunde eines reinen Gemüts und die Sie groß gezogen<br />

mit fester Willenskraft am hellen Sonnenlicht klarer Erkenntnis<br />

der Forderungen der Zeit. Sie wird Euer Hoheit<br />

den reinsten Seelengenuß gewähren in den Zeiten<br />

des Glückes, sie wird Ihr bester Trost sein in Tagen des<br />

Mißgeschicks, die der Himmel von dem Haupte Euer<br />

Hoheit abwenden möge, und sie wird Ihre festeste Stütze<br />

bilden bis zum späten Alter. Ihr Name ist: Bewußtsein<br />

erfüllter Pflicht.<br />

Das andere ist ein Denkmal, welches Sie Sich gesetzt im<br />

eigenen Lande. Mit Freuden hat die lebende Generation<br />

es erstehen sehen, es ist aber für die Nachwelt errichtet<br />

und wird fortleben in unseren Söhnen und Enkeln. Es ist<br />

das ehrende Andenken der Besten Ihres Volkes.<br />

So möge denn ein günstiges Geschick Euer Hoheit geleiten<br />

auf der neuen Bahn, die Sie Sich gewählt: Es möge<br />

Ihr Fürstliches Haus neuen Glanz und neues Wohl erlangen<br />

unter dem mächtigen Schutze, dem Sie es anvertraut;<br />

es mögen glückliche Sterne Euer Hoheit leuchten<br />

bis in die ferne Zukunft, und es möge dieser Sterne<br />

52<br />

schönster auch uns stets mit seinem milden Scheine beglücken<br />

- der Hoffnungsstern des Wiedersehens!<br />

Patent wegen Besitznahme des Fürstentums Hohenzollern-Hechingen<br />

und des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen.<br />

(Urkunde im Staatsarchiv Sigmaringen, Neuverzeichnete<br />

Akten II 4486. Als gedruckter Aushang<br />

vervielfältigt: ebenda Ho 1 A 4 und veröffentlicht im<br />

Verordnungs- und Anzeigenblatt der Königlich Preußischen<br />

Regierung zu Sigmaringen vom 7. April 1850).<br />

Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden König von<br />

Preußen, Markgraf zu Brandenburg, souveräner und<br />

oberster Herzog von Schlesien wie auch der Grafschaft<br />

Glatz, Großherzog vom Niederrhein und von Posen,<br />

Herzog zu Sachsen, Engern und Westfalen, in Geldern,<br />

zu Magdeburg, Cleve, Jülich, Berg, Stettin, Pommern,<br />

der Cassuben und Wenden, zu Mecklenburg und Crossen,<br />

Burggraf zu Nürnberg, Landgraf zu Thüringen,<br />

Markgraf der Ober- und Niederlausitz, Prinz von Oranien,<br />

Neuenburg und Valendis, Fürst zu Rügen, Paderborn,<br />

Halberstadt, Münster, Minden, Camin, Wenden,<br />

Schwerin, Ratzeburg, Moers, Eichsfeld und Erfurt, Graf<br />

zu Hohenzollern, gefürsteter Graf zu Henneberg, Graf<br />

zu Ruppin, der Mark, Ravensberg, Hohenstein, Tecklenburg,<br />

Schwerin, Lingen und Pyrmont, Herr der Lande<br />

Rostock, Stargard, Lauenburg und Bütow, tun hiermit<br />

Jedermann kund:<br />

Nachdem das Fürstentum Hohenzollern-Hechingen und<br />

das Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen mittels des<br />

am 7. Dezember vorigen Jahres abgeschlossenen und<br />

demnächst nach erfolgter Zustimmung beider Kammern<br />

Unseres Landtages ratifizierten Staatsvertrages an Uns<br />

als das erbberechtigte Haupt des Hohenzollernschen<br />

Hauses von den durchlauchtigen Fürsten und Herren,<br />

Herren Friedrich Wilhelm Constantin und Herren Carl<br />

Anton souveränen Fürsten zu Hohenzollern-Hechingen<br />

und Hohenzollern-Sigmaringen, Burggrafen zu Nürnberg,<br />

Grafen zu Sigmaringen und Veringen, Herren zu<br />

Haigerloch und Wehrstein usw., Unseren vielgeliebten<br />

Herren Vettern, mit allen Hoheits- und Regierungsrechten<br />

abgetreten und deren Einwohner ihrer Pflichten gegen<br />

ihre bisherigen Landesherren ausdrücklich entlassen<br />

worden, Wir sonach in den Besitz der Stammlande Unseres<br />

Königlichen Hauses gelangt sind, so nehmen Wir<br />

diese obenbezeichneten Lande in Kraft des gegenwärtigen<br />

Patents in Besitz und einverleiben dieselben Unseren<br />

Staaten mit allen Rechten der Landeshoheit und Oberherrlichkeit.<br />

Wir nehmen in Unseren Königlichen Titel zu dem bisher<br />

schon geführten Titel eines Grafen zu Hohenzollern<br />

noch die Titel eines Grafen zu Sigmaringen und Veringen<br />

und eines Herren zu Haigerloch und Wehrstein an.<br />

Wir lassen an den Grenzen zur Bezeichnung Unserer<br />

Landeshoheit die Preußischen Adler aufrichten, auch wo<br />

Wir es nötig finden, Unser Königliches Wappen anheften<br />

und die öffentlichen Siegel mit dem Preußischen Adler<br />

versehen.<br />

Wir erklären hierdurch in den in Besitz genommenen<br />

Landen die Preußische Staatsverfassung für eingeführt,<br />

womit gleichzeitig die bisherige Vertretung des Landes<br />

ihre Endschaft erreicht.<br />

Wir beauftragen Unseren Regierungspräsidenten Freiherrn<br />

von Spiegel-Borlinghausen die Besitznahme hiernach<br />

in Unserem Namen auszuführen und die solchergestalt<br />

in Besitz genommenen Lande Unseren Ministerialbehörden<br />

zur verfassungsmäßigen Verwaltung zu überweisen.<br />

Für die Regelung derjenigen Angelegenheiten, welche<br />

das Verhältnis Unseres Königlichen Hauses zu den Häusern<br />

der durchlauchtigen Herren Fürsten zu Hohenzollern-Hechingen<br />

und Hohenzollern-Sigmaringen betref-


fen, wird dem genannten Kommissarius Unser Vize-<br />

Oberzeremonienmeister Freiherr von Stillfried-Rattonitz<br />

zur Seite stehen.<br />

Hiernach geschieht Unser Königlicher Wille.<br />

Gegeben Charlottenburg den 12. März 1850.<br />

Friedrich Wilhelm<br />

Gegengezeichnet von Graf von Brandenburg, von Ladenberg,<br />

von Manteuffel, von der Heydt, von Rabe, Simons,<br />

von Schleinitz, von Stockhausen.<br />

Zuruf an die Bewohner der Hohenzollernschen Lande<br />

(Original im Staatsarchiv Sigmaringen, Neuverzeichnete<br />

Akten II 4486. Als gedruckter Aushang vervielfältigt:<br />

ebenda Ho 1 A 4 und veröffentlicht im Verordnungsund<br />

Anzeigeblatt der Königlich Preußischen Regierung<br />

zu Sigmaringen vom 7. April 1850).<br />

Bewohner der Hohenzollernschen Lande!<br />

Den wiederholten dringenden Anträgen Eurer Fürsten<br />

nachgebend, habe Ich die Landeshoheit über ihre Fürstentümer<br />

übernommen; Ich habe hierauf durch Patent<br />

vom heutigen Tage die Besitznahme derselben angeordnet<br />

und Mein Regierungspräsident Freiherr von Spiegel-Borlinghausen<br />

wird in Eurer Mitte erscheinen, um in<br />

Meinem Namen den Besitz der Fürstentümer zu ergreifen.<br />

Eure bisherigen Landesherren haben Euch Eurer<br />

Pflichten gegen sie ausdrücklich entlassen. Ich begrüße<br />

Euch als Meine Untertanen. Ich gebiete Euch, Mich forthin<br />

als Euren rechtmäßigen König und Landesherrn anzuerkennen,<br />

Mir und Meinen Nachfolgern den Eid der<br />

Treue zu leisten und Meinen Gesetzen, Verfügungen und<br />

Befehlen gehorsam nachzuleben. Ich versichere Euch dafür<br />

Meiner landesväterlichen Fürsorge und Meines<br />

Schutzes. Meine schwäbischen Untertanen stehen hinfort<br />

Mir gleich nahe, wie die Bewohner Meiner alten Lande.<br />

Ihr seid schon bisher Meinem Hause und Meinem Herzen<br />

nicht fremd gewesen. Die Stammburg Meines Geschlechtes<br />

krönt einen Eurer Berge, ein Teil der von<br />

Euch bewohnten Gebiete bildet das Stammland Meines<br />

Hauses. Euer Fürstengeschlecht und das Königliche Haus<br />

STEPHAN WIEST<br />

Bibliographie der Hohenzollerischen Geschichte<br />

von Preußen haben dieselben Stammväter. Die Königliche<br />

Linie des Hohenzollernschen Hauses tritt nur in<br />

Rechte ein, welche durch alte Verträge ihr vorbehalten<br />

waren. Durch ein Gesetz vom heutigen Tage sind die<br />

Gebiete, die ihr bewohnt, mit dem Preußischen Staate<br />

vereinigt, und in Folge dessen habe Ich durch das Besitznahmepatent<br />

vom heutigen Tage die Einführung der<br />

Preußischen Staatsverfassung in den Hohenzollernschen<br />

Fürstentümer verkündet. Ihr tretet dadurch in die Rechte<br />

und Pflichten Meiner übrigen Untertanen in vollstem<br />

Umfange ein. Euere Söhne werden fortan in den Reihen<br />

des Preußischen Kriegsheeres dienen, und es werden die<br />

schwäbischen Krieger Preußens keine mindere Zierde<br />

Meines Heeres sein, als die Niedersachsen und Rheinländer,<br />

deren gastliche Aufnahme in Eueren Bergen Mich<br />

hoch erfreut hat. Eure Religion findet in der Preußischen<br />

Verfassung vollständigen Schutz. Euren Schulen<br />

wird die sorgsamste Pflege gewidmet werden. Euerm<br />

Gewerbefleiß und dem Ackerbau wird jede Beförderung<br />

zu Teil werden. Ich aber vertraue, daß Ihr eingedenk<br />

des Unsegens, der nach den Erfahrungen der letzten Jahre<br />

an der Untreue haftet, Mir treue Untertanen sein und<br />

Euch des Preußischen Namens würdig zeigen werdet.<br />

Gegeben Charlottenburg, den 12. März 1850.<br />

Friedrich Wilhelm<br />

Gegengezeichnet von Graf von Brandenburg, v. Ladenberg,<br />

v. Manteuffel, v. d. Heydt, v. Rabe, Simons, v.<br />

Schleinitz, v. Stockhausen.<br />

1 Eberhard Gönner, Die Revolution von 1848/49 in den hohenzollerischen<br />

Fürstentümern und deren Anschluß an<br />

Preußen. Arbeiten zur Landeskunde Hohenzollerns. Heft 2.<br />

1952, S. 161.<br />

2 Ebenda, S. 70.<br />

3 Ebenda, S. 69.<br />

4 Ebenda, S. 168 f.<br />

5 Ebenda, S. 169, 173.<br />

6 Ebenda, S. 168.<br />

7 Ebenda, S. 168-170.<br />

überblick über 10 260 Veröffentlichungen von Historikern und Heimatkundlern<br />

Mit der „Bibliographie der Hohenzollerischen Geschichte"<br />

als 97./98. Band der „Zeitschrift für Hohenzollerische<br />

Geschichte" überreicht der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong><br />

in diesen Tagen seinen Mitgliedern eine<br />

ebenso umfang- wie inhaltsreiche Gabe für das vergangene<br />

und das laufende Vereinsjahr. Ihre Treue zu dieser<br />

letzten Klammer landsmannschaftlicher Verbundenheit<br />

von lange politisch und kulturell zusammengehörenden<br />

Gebieten wird damit reichlich belohnt. Mit ihrem bescheidenen<br />

Beitrag haben sie mitgeholfen, daß der fast<br />

siebenhundert Seiten starke gelbe Band bearbeitet und<br />

herausgegeben werden konnte. Er stellt eine unerschöpfliche<br />

Fundgrube für jede heimatkundliche und landesgeschichtliche<br />

Nachfrage dar. Sein Erscheinen ist um so<br />

mehr zu begrüßen, als das bisherige Fehlen einer Gesamtübersicht<br />

über hohenzollerisches Schrifttum neben<br />

andern, in der Enge des Gebietes liegenden Gründen, die<br />

Geschichtsforschung in unserer Heimat im Vergleich zu<br />

Nachbargebieten außerordentlich erschwert hat.<br />

Zwar hat der aus Hechingen stammende Heimatforscher<br />

Dr. Ernst Senn, dem, wie es in der Einleitung heißt, „die<br />

Landesforschung Bleibendes verdankt", bereits im Jahr<br />

1925 mit der systematischen Erfassung hohenzollerischen<br />

Schrifttums begonnen; er konnte sie aber nicht weiterführen<br />

und resignierend erschien es ihm unvorstellbar,<br />

daß jemand „die geistig selbstmörderische Arbeit nochmals<br />

auf sich nehmen wollte". Zwei anerkannte, mit der<br />

hohenzollerischen Forschung beruflich und aus Neigung<br />

verbundene Fachleute, Dr. Walter Bernhardt und<br />

Dr. Rudolf Seigel, haben es fünfzig Jahre danach mit einem<br />

kleinen Stab idealgesinnter Mitarbeiter gewagt und<br />

es auch geschafft; sie haben damit spät zwar, doch nicht<br />

zu spät, der von Dr. Senn befürchteten „katastrophalen<br />

und nicht mehr gutzumachenden Verschleuderung" Einhalt<br />

geboten.<br />

Schon ein kurzer Blick in die übersichtliche Gliederung<br />

gibt Auskunft über den bedeutenden Umfang einschlägigen<br />

Schrifttums, das sich mit hohenzollerischen Angelegenheiten<br />

befaßt, ihre Verfasser, ihre Fundorte, Erscheinungsdaten<br />

sowie <strong>Ausgabe</strong>- und heute noch gegebene<br />

Aufbewahrungsstellen wie Archive, Bibliotheken, Museen<br />

und Sammlungen. Die ausführliche Inhaltsübersicht,<br />

durch je eine Seite Abkürzungs- und Siegelverzeichnis<br />

ergänzt, tut auf den ersten neun Seiten kund, wie zahlreich<br />

und vielseitig die Gebiete sind, über die Kenner<br />

und Könner, Liebhaber und Fachkräfte über hohenzolle-<br />

53


ische Verhältnisse, Orte und Personen geschrieben haben:<br />

Wappen und Siegel, Geschichte, Herrschaftsgebiete,<br />

Recht und Verwaltung, Kirchen- und Schulwesen, Kultur<br />

und Sozialgebiete, Wirtschaftszweige, Militär, Familien<br />

und viele andere Einzelheiten. Neben der Landesgeschichte<br />

sind Hinweise auf Literaturtitel aus den verschiedensten<br />

Bereichen der Landeskunde gesammelt.<br />

Ging schon der erste Versuch zur Herausgabe eines solchen<br />

Übersichtswerkes von einem Hechinger aus, so ist<br />

auch jetzt im vorliegenden Band das hohenzollerische<br />

Unterland unter den aufgeführten Autoren zahlenmäßig<br />

wie jeweils in der Fülle der Erscheinungen stark vertreten.<br />

Soweit sie es noch erlebt haben, mag es für sie eine<br />

Befriedigung sein, in dieser stattlichen Übersicht die Ergebnisse<br />

und Zeugnisse ihres Forschens und Sammeins,<br />

meist gewonnen in den kargen Mußestunden eines arbeitsreichen<br />

Berufslebens, so vorbildlich festgehalten zu<br />

sehen. Mit über sechshundert Stellen erreicht Johann<br />

Adam Kraus die Höchstzahl, gefolgt von Willy Baur<br />

MANFRED HERMANN<br />

Die Schreiner und Altarbauer Widmann<br />

Die Plünderungen und Zerstörungen des 30jährigen<br />

Krieges haben nicht allein zahlreiche Bürgerhäuser der<br />

Städtchen und Dörfer auf der Zollernalb hart getroffen,<br />

sie richteten sich häufig auch gegen Kirchen und Kapellen.<br />

Laut Visitations-Protokoll des Kapitels Trochtelfingen<br />

von 1650 1 befanden sich zwar die meisten Gotteshäuser<br />

wieder in Ordnung, gar oft jedoch wird ihre Ausstattung<br />

ärmlich genannt. Es sollte in der Regel noch<br />

zwanzig Jahre dauern, bis sich die Gemeinden wieder<br />

soweit erholt hatten, daß sie zur Anschaffung neuer Altäre<br />

fähig wurden. An den blatt- und rebenumkränzten<br />

Säulen und den blumenreichen Verzierungen können wir<br />

heute ablesen, wie sich dann doch recht rasch wieder die<br />

Freude am Leben regte und Beklemmung Angst und<br />

Schwermut überwand. Bis nach 1700 freilich blieben die<br />

Altar-Retabel eine streng waagrecht und senkrecht gegliederte<br />

Welt, in die einzig die nach Berninis Vorbild<br />

gestalteten gedrehten Säulen Bewegung bringen.<br />

Erhaltene Altaraufbauten aus der 2. Hälfte des 17. Jhs.<br />

im Laucherttal und in angrenzenden Gemeinden (Veringendorf,<br />

Hermentingen, Kettenacker und Neufra 2 ) machen<br />

deutlich, daß man im ländlichen Raum sich gewöhnlich<br />

kaum für aufwendige Retabel entscheiden<br />

konnte. Einmal fehlte das nötige Geld, zum anderen hätte<br />

man aus relativ entfernten Städten die Kunsthandwerker<br />

herbeiholen müssen, wie die Altaraufträge Gammertingens<br />

zeigen 3 . So fertigte für die dortige Michaelskapelle<br />

der Bildhauer Hans Thomas Kutzberger 4 aus Biberach<br />

in Oberschwaben einen Altar von beachtlicher<br />

Qualität und zwei weitere Plastiken (1675). Zwei<br />

Schweizer Kunsthandwerker aus Rottenburg am Neckar,<br />

der Bildhauer Heinrich Karl Amrhein 5 und dessen Bruder<br />

Hieronymus, ein Schreiner, schufen 1680 den St. Katharinenaltar<br />

und ein Jahr später den St. Sebastiansaltar<br />

für die Pfarrkirche. 1682 lieferten sie auch den reich geschmückten<br />

Hoch-, zugleich Rosenkranz-Altar mit umfangreichem<br />

Bildprogramm. Leider ist die gesamte Altarausstattung<br />

des 17. Jhs. der Pfarrkirche nicht erhalten<br />

geblieben. Offensichtlich bildeten aber diese aufwendigen,<br />

mit Figuren versehenen Retabel in den ländlichen<br />

Gotteshäusern die Ausnahme. In der Regel zeigten die<br />

einfachen, flachen Aufbauten außer den Säulenkapitellen,<br />

etlichen Engelsköpfchen und Knorpelwerk keine<br />

weiteren Schnitzereien. Meistens bildete ein Gemälde das<br />

54<br />

mit mehr als eineinhalbhundert, Maximilian Schaitel und<br />

Walter Sauter mit über hundert Nennungen.<br />

Ihnen folgen mit rund einem Dreiviertelhundert Anton<br />

Pfeffer und Michael Walter. Weiter sind aus dem Hechinger<br />

Raum stark vertreten Ludwig Egler, Heinrich<br />

Fassbender, Anton Buckenmaier, die beiden Rangendinger<br />

Josef Wiest und Johann Wannenmacher neben vielen<br />

anderen. In einem zwölf Seiten umfassenden Orts-, Personen-<br />

und Sachregister und einem Verfasserverzeichnis<br />

von dreiunddreißig Seiten können die 10 260 Veröffentlichungen<br />

nachgesucht werden und jedem Auskunft geben,<br />

der Unterlagen sucht über Teilgebiete heimatlichen<br />

Lebens in Zeit und Vergangenheit.<br />

Wie im Vorwort vermerkt, gebührt neben den Vereinsmitgliedern<br />

wohlverdienter Dank allen Personen, Körperschaften<br />

und Stellen, die durch finanzielle Beihilfen<br />

die Herausgabe und gute Drucklegung ermöglicht haben.<br />

Besonderer Dank aber gebührt den fleißigen Bearbeitern<br />

für ihre Ausdauer und ihren Idealismus.<br />

in Hettingen<br />

Mittelstück, zu dem hin und wieder ein kleineres im<br />

Auszug dazukam. Beim Hermentinger Hochaltar trat<br />

der nicht allzuhäufige Fall ein, daß der barocke Altarbauer<br />

pietätvoll die drei Plastiken des mittelalterlichen<br />

Retabels in den Aufbau miteinbezog. War es ein Beispiel<br />

früher „Denkmalpflege" oder eine Notlösung bescheidener<br />

Mittel halber? Wir wissen es nicht.<br />

Schreiner und Altarbauer Baltus Widmann I<br />

In Heiligenpflege-Rechnungen von Kirchen und Kapellen<br />

der Hettinger Umgebung erscheint bei Anschaffung<br />

von Altären und anderen Ausstattungsstücken öfters der<br />

Name des Schreiners Baltasar Widmann. Offensichtlich<br />

war er nicht nur ein angesehener Handwerker, vielmehr<br />

bewies er darüber hinaus besondere Kunstfertigkeit.<br />

Um 1650 in Frohnstetten geboren, gelang es dem Gesellen<br />

Baltasar Widmann, in Ursula Schneider in Hettingen,<br />

der 34jährigen Witwe und dritten Ehefrau des am<br />

10. 1. 1673 im Alter von über 80 Jahren dort gestorbenen<br />

Schreiners Georg Haller, nicht nur eine Ehegefährtin<br />

zu gewinnen, sondern auch gleichzeitig eine größere<br />

Werkstatt zu übernehmen. Er führte seine Braut am<br />

22. 5. 1673 in Hettingen zum Traualtar 6 . Nach dem<br />

Tod des Gatten, der laut Totenbuch von Hettingen 6 40<br />

Jahre lang ein Schützer und Förderer der Pfarrkirche<br />

St. Martin, auch der Stifter eines goldenen Kelches war,<br />

ging es der Ursula Schneider sicher darum, für ihre unmündigen<br />

Kinder Anna Maria und Johann Baptist Haller<br />

(* 1664) wieder einen Vater und Ernährer zu finden.<br />

In der Folgezeit wurden dem Ehepaar vier Kinder geschenkt,<br />

darunter die Buben Hans Jakob (* 1675) und<br />

Baltasar (* 1684). Alle drei Jungen hat Baltasar Widmann<br />

im Schreinerhandwerk ausgebildet. Nach einer für<br />

Meistersöhne wenigstens ein Jahr dauernden Wanderzeit<br />

hatte der Vater in ihnen tüchtige Gesellen zur Hand, die<br />

ihm auch größere Aufträge auszuführen erlaubten.<br />

Offensichtlich brachte dem Meister seine Tätigkeit im<br />

Städtchen hohes Ansehen, denn 1691 oder schon früher<br />

wurde er zum Schultheiß von Hettingen bestellt (das<br />

Taufbuch nennt ihn am 16. 8. 1691 „scultetus"). Bei der<br />

Gründung der drei Hettinger Zünfte am 21. 1. 1698<br />

scheint er als Ortsvorsteher eine der treibenden Kräfte<br />

gewesen zu sein. Aus dem Meisterverzeichnis 7 anläßlich<br />

der Gründung geht hervor, daß ihn die Handwerker<br />

zum ersten Zunftmeister wählten, ein Zeichen für deren


volles Vertrauen zu ihm. Dabei ist es beachtenswert, ihn<br />

fast jedes Jahr erneut in seinem Amt bestätigt zu finden<br />

(zuletzt 1720). Aus dem erwähnten Meisterverzeichnis<br />

kann man auch entnehmen, daß Bakus Widmann außer<br />

seinem Stiefsohn Johann Baptist Haller (Heirat 1693)<br />

und seinem ältesten Sohn Hans Jakob (Heirat 1697) in<br />

Hettingen keine Konkurrenz zu fürchten hatte. Selbst<br />

wenn die beiden nach ihrer Heirat eine eigene Werkstätte<br />

gegründet hätten, gab es zwischen den drei Meistern<br />

sicher eine gute Zusammenarbeit. Den Jungen Baltasar<br />

stellte der Vater am 16. 7. 1700 einem versammelten<br />

„Ehrsamen Handwerk" vor, das ihn zum Gesellen erklärte.<br />

Bald aber sollte der Zunftmeister mit seinen beiden<br />

eigenen Söhnen viel Kummer haben. Laut Hettinger<br />

Verhörsprotokoll 8 wurde 1705 dem Schreiner Hans Jakob<br />

Widmann lebenslänglich das Betreten des herrschaftlichen<br />

Forstes und das Fischen in der Lauchert und<br />

Fehla verboten, weil er wiederholt wilderte und dabei<br />

auf Hirsche, Rehe, Hasen und Wildschweine schoß 9 .<br />

Am 30. 5. 1712 zahlte er an die Herrschaft, da er mit<br />

Frau und sieben Kindern nach Ungarn auswanderte, bei<br />

einem Vermögen von 120 fl. 12 fl. Abzugssteuer und<br />

weitere 12 fl. für den Freikauf aus der Leibeigenschaft<br />

10 . Offensichtlich mag es zu weiteren Spannungen<br />

mit den herrschaftlichen Beamten gekommen sein, die<br />

Hans Jakob Widmann auf diese Weise lösen wollte.<br />

Aber auch der jüngere Bruder hatte sich zusammen mit<br />

drei anderen jungen Leuten verschiedene Diebereien zu<br />

Schulden kommen lassen, wofür die Herrschaft Baltas<br />

am 19. Februar 1706 auf 15 Jahre aus der Herrschaft<br />

auswies. Er sollte erst dann zurückkehren dürfen, wenn<br />

er ein glaubwürdiges Zeugnis über seine Besserung mitbringe.<br />

Dem Ortsschultheiß dürften diese Verfehlungen<br />

höchst peinlich gewesen sein; offensichtlich brachte er es<br />

fertig, die Herrschaft bzw. deren Obervogt von der reumütigen<br />

Umkehr seines Jüngsten zu überzeugen, da dieser<br />

zwei Jahre später in Hettingen heiraten durfte. - In<br />

der Folgezeit ließ Bakus Widmann der Ältere eine Reihe<br />

von Lehrjungen aufdingen und lossprechen, den letzten<br />

am 4. Juni 1719. Unter ihnen stand in der Zeit von 1713<br />

bis 1715 jener Johann Haberbosch aus Langenenslingen<br />

bei Widmann in Ausbildung, der 1733/34 für Benzingen<br />

sehr schön geschnitzte Kirchenstühle lieferte n . Nach<br />

1719 dürfte dann der Vater seinem gleichnamigen Sohn<br />

die Werkstätte übertragen haben. Leider ist das Todesdatum<br />

des Meisters nicht aus den Kirchenbüchern zu entnehmen,<br />

da sie nach 1720 nur flüchtig geführt wurden<br />

und zwischen 1732 und 1740 gar eine große Lücke aufweisen.<br />

In Harthausen auf der Scher stoßen wir 1675 auf das erste<br />

Werk des noch jungen Schreiners. Nach den Beilagen<br />

zu den dortigen Kirchenrechnungen, die leider nicht für<br />

die jüngsterschienene Ortschronik 12 ausgewertet wurden,<br />

rechnete „Balteß Widman" am 10. 9. dieses Jahres mit<br />

Pfarrer Jodok Schneider (auch Sartori, 1673-78 in<br />

Harthausen) und den Heiligenpflegern ab. Für die<br />

Schreinerarbeit zum neuen Choraltar erhielt er laut<br />

„Verding" die ansehnliche Summe von 54 fl.; „weilen<br />

Ich mer gemacht hab alß verdingt ist worden", weitere<br />

2 fl. 30 kr. Sein Bub (= Johann Bapt. Haller mit 11 Jahren)<br />

bekam als Trinkgeld 10 Kreuzer. Die Fassung des<br />

„Koraltars" besorgte für 58 fl. der Andelfinger Hans Erhard<br />

Veser (f 1676) 13 , der Stammvater einer umfangreichen<br />

Malersippe. Wer das ornamentale Beiwerk schnitzte,<br />

wird nicht gesagt. Bakus Widmann wird jedenfalls<br />

dafür nicht in Frage kommen, sehr wohl aber könnte der<br />

Schwager Vesers, der Gelegenheitsbildhauer Bernhard<br />

Feuerstein, ebenfalls aus Andelfingen 14 , der Gesuchte<br />

sein. Offensichtlich bildeten die drei Kunsthandwerker<br />

zu dieser Zeit ein festes Team, dem mehrere Altäre zu<br />

Hermentinger Hochaltar (1680)<br />


haben die Bearbeiter des Kunstdenkmälerwerks von<br />

1948 16 dazu verleitet, den Altar auf 1650 zu datieren.<br />

Diese geschnitzten Ornamente in altertümlichen Formen,<br />

die nicht von der Hand des Schreiners stammen, finden<br />

sich ganz ähnlich an dem sicherlich von Feuerstein geschaffenen<br />

und mit 1671 datierten östlichen Seitenaltarpaar<br />

im Münster zu Heiligkreuztal 11 . So hat auch hier<br />

der Maler, diesmal Jerg Ferdinand Veser, mittlerweile<br />

28jährig, seinen Verwandten mit den Schnitzarbeiten betraut,<br />

wie es ausdrücklich für den im folgenden Jahr in<br />

Harthausen a. d. Scher entstandenen Seitenaltar belegt<br />

Hermentinger Hochaltarblatt ]. F. Vesers<br />

ist. Beim Hermentinger Gemälde verrät jeder Zug die<br />

Handschrift des Andelfinger Malers, die uns von zahlreichen<br />

in Heiligkreuztal erhaltenen Gemälden her geläufig<br />

ist. Das Bild zeigt Maria, am Fuß des Kreuzes sitzend,<br />

vor ihr auf dem Boden gegen den Schoß der Mutter<br />

gelehnt den Leichnam Jesu. Hinter der Gruppe wird<br />

die weinende Maria Magdalena sichtbar. Zu beiden Seiten<br />

des Kreuzstammes schweben Engel mit den Marterwerkzeugen.<br />

Übrigens zeigt der Aufbau des Retabels<br />

eine handwerklich solide, einwandfreie Arbeit, die dem<br />

Schreiner Widman ohne Zweifel Ansehen eingebracht<br />

hat.<br />

Laut Beilagen der Harthauser Kirchenrechnungen lieferte<br />

Bakus Widmann am 21. September 1679 in die Sakristei<br />

der dortigen Pfarrkirche einen Kleiderkasten um<br />

16 fl. 15 kr. Zwei Jahre später erstellte er für dasselbe<br />

Gotteshaus einen weniger aufwendigen Seitenaltar, wofür<br />

er am 30. 7. 1681 40 fl. erhielt. Die Malerarbeit dazu<br />

fertigte wiederum Jerg Ferdinand Veser aus Andelfingen<br />

um 58 fl. Offensichtlich waren hier das Gemälde eingeschlossen,<br />

sicher aber die Schnitzarbeiten, wie ausdrücklich<br />

gesagt ist. Leider ist auch dieser Altar nicht mehr<br />

vorhanden.<br />

56<br />

Um die gleiche Summe wie in Harthausen a. d. Scher erstellte<br />

1684 „der Schreiner von Hettingen" einen wieder<br />

verlorenen St. Veits-Altar in der Burladinger St. Georgskirche<br />

18 . Als Trinkgeld erhielt der Schreinerbube<br />

(diesmal wohl der 9jährige Hans Jakob Widmann) 26<br />

Kreuzer. 1686 beauftragten die Burladinger Heiligenpfleger<br />

erneut unseren Meister, diesmal für 33 fl. einen<br />

weiteren Seitenaltar, der dem hl. Sebastian geweiht war,<br />

anzufertigen. Hier erhielt der Schreinergeselle (Johann<br />

Haller) ein Trinkgeld von 30 kr. Schließlich übertrug<br />

man Bakus Widmann auch noch die Errichtung eines<br />

neuen Choraltars für 55 fl., der 1694 entstand. In allen<br />

drei Fällen dürfte es der Andelfinger Jerg Ferdinand<br />

Veser gewesen sein, der den nicht erhaltenen Altären die<br />

farbige Fassung gab, dazu auch die Ölbilder lieferte.<br />

Die Jahreszahl 1695 tragen die beiden, einst in der Muttergotteskapelle<br />

zu Neufra stehenden, seit deren Renovation<br />

(1962) aber in der Schloßkapelle zu Wolf ach befindlichen<br />

Seitenaltäre 19 . Das Spethsche Wappen im<br />

Auszug macht deutlich, daß sie Stiftungen des damaligen<br />

Ortsherren Johann Dietrich Speth von Zwiefalten zu<br />

Neufra und seiner Gemahlin Anna Eleonore geb. Freifrau<br />

von Schnewelin zu Bollschweil 20 waren. Das noch<br />

in Neufra hängende Sieben-Zuflucht-Altarblatt und das<br />

mit dem Retabel nach Wolfach gekommene Bild mit<br />

dem Tod und der Himmelfahrt Mariens tragen wieder<br />

die unverkennbaren Merkmale der Veser-Gemälde. Es ist<br />

keine Frage, daß für den Aufbau Schreiner Bakus Widmann<br />

und Schnitzer Bernhard Feuerstein als Schöpfer<br />

genannt werden müssen. Neben dem Hermentinger<br />

Hochaltar vermitteln sie am besten eine Vorstellung von<br />

Widmanns Altarretabeln.<br />

Schließlich dürfte auch der einst mächtige, aber wieder<br />

nicht mehr erhaltene Aufbau des Hettinger Hochaltars<br />

aus dem Jahr 1715, von dem noch die beiden Altarblätter<br />

mit der Anbetung der Hirten von Bethlehem und der<br />

hl. Dreikönige von Johann Hertz aus Immenstaad am<br />

Bodensee, ferner die Figuren der hl. Bischöfe Martin und<br />

Konrad vorhanden sind, aus der Werkstatt des Baltus<br />

Widmann stammen 21 . Es erscheint undenkbar, daß man,<br />

solange ein einheimischer, tüchtiger Altarbauer zur Verfügung<br />

stand, einen auswärtigen Meister beauftragt hätte.<br />

Zudem erschwerten die Zunftartikel Hettingens die<br />

Vergabe nach auswärts: „Unnd wan ein Frembder Maister<br />

etwaß herein zu machen verdingte, so darff ein hiesiger<br />

Maister wohl / :doch mit disem beding: / darein<br />

stehen, daß die sach so gueth unnd recht, alß der frembde<br />

machen solle. Da aber dem Frembden die arbaith verblibe,<br />

solle er schuldig sein, von einem großen Verding<br />

von iedem Gulden drey Kreitzer, von einem kleinen<br />

Verding 10 Kreuzer, vnnd waß vnder zehen Gulden<br />

aber ist, ein Pfundt Wax nach erkhandtnuß der Zunftmaister<br />

in die Laden zu geben" 22 .<br />

Die hier aufgeführten Arbeiten sind zweifellos nur ein<br />

Bruchteil von Baltus Widmanns Schaffen. Das meiste davon<br />

blieb uns nicht erhalten. Aus all diesen Aufträgen<br />

wird deutlich, daß er innerhalb der Herrschaft und darüber<br />

hinaus ein begehrter Kunstschreiner und Altarbauer<br />

war.<br />

(Zweiter Teil folgt.)<br />

1 J. A. Kraus, Aus den Visitationsakten des ehem. Kapitels<br />

Trochtelfingen, in Freib. Diöz. Arch. 1953, S. 156 ff.<br />

2 Kunstdenkmäler Hohenzollerns - Bd. II. Kreis Sigmaringen,<br />

Stuttgart 1948, S. 384 (Nr. 3 u. 4); S. 146 (Nr. 1); S. 212<br />

(Nr. 1-3) und S. 256 (Nr. 2 u. 3), heute in der Schloßkapelle<br />

in Wolfach i. Kinzigtal.<br />

3 M. Hermann, Zur Kunst- und Baugeschichte der St. Michaelskapelle<br />

und der Pfarrkirche in Gammertingen, Z. f. Hhz.<br />

Gesch. 9. Bd./1973, 143-153 m 13 Abb.


4<br />

1607-84. Er stammte aus einer bekannten Biberacher Baumeistersfamilie.<br />

Mehr und mehr erweist sich Kutzberger als<br />

einer der bedeutendsten Bildhauer Oberschwabens in den<br />

drei Jahrzenten nach dem 30jährigen Krieg. Seit 1974<br />

stieß ich auf einen Altarentwurf (Hauptstaatsarch. Stuttgart,<br />

B 535 Bü 82) für den Rosenkranz-Bruderschaftsaltar<br />

der Stiftskriche Wiesensteig von 1662. Vgl. Wunder, Altäre<br />

der Stiftskirche Wiesensteig, in: Arch. f. christl. Kunst Nr.<br />

8/1909, S. 78. Dort ist der Name des Bildhauers verfälscht<br />

wiedergegeben (Purzberg). Dr. K. Diemer, Kreisarchivar in<br />

Biberach/R., machte mich auf eine Anna-selb-dritt im kath.<br />

Pfarrhaus Biberach aufmerksam, die ohne Zweifel von<br />

Kutzberger stammt.<br />

5<br />

S. Anm. 3, S. 152. Auch bei diesem fruchtbarsten Bildhauer<br />

im Rottenburger/Tübinger Raum zwischen 1675 und 1700<br />

schält sich allmählich eine bedeutende künstlerische Persönlichkeit<br />

heraus. Vgl. D.Manz, Amrhein Heinrich Karl, in:<br />

Thieme-Beckers Künstler-Lexikon Bd. 1, Leipzig 1976 2 .<br />

6<br />

PfArch. Hetlingen, Standesbücher Bd. I 1611 (1652)-1708,<br />

Bd. II 1708-32. Bd. III 1740-1802.<br />

7<br />

StArch. Hettingen, Fasz. 57: Zunftbuch der Stadt Hettingen,<br />

ab 1697.<br />

8<br />

Staats-Arch. Sigmaringen, Abt. Gammertingen-Hettingen,<br />

Het PrZ 11/11 560.<br />

9<br />

A. Lieb, Aus 500 Jahren Hettinger Geschichte. Württemberg<br />

- Bubenhofen - Speth - Hohenzollern, in: Festschrift d.<br />

Musikver. Hettingen 1957, S. 24-37.<br />

10<br />

W. Hacker, Auswanderung aus dem Raum der späteren Hohenzollerischen<br />

Lande nach Südosteuropa im 17. und<br />

18. Jahrhundert, in: Z. f. Hhz. Gesch. Bd. 5/1969, S. 222<br />

Nr. 2145.<br />

11<br />

KDM Kr. Sigmaringen 1948, S. 61.<br />

12<br />

M. D. Siepmann, Harthausen auf der Scher - Aus der Geschichte<br />

einer Albgemeinde, Sigmaringen 1974.<br />

13<br />

Manfred Hermann, Das Rosenkranz-Altarbild aus der<br />

Pfarrkirche zu Inneringen in: HH <strong>1975</strong>, 38-41.<br />

14<br />

S Anm. 13. Wenigstens seit 1663, da Feuerstein die Schwester<br />

des Andelfinger Pfarrers Sebastian Aichin und der Frau<br />

des Hans Erhard Veser heiratete, arbeiteten Maler und<br />

Schreiner zusammen.<br />

15<br />

1652-1725. Unter seinen 15 Kindern bildete er vier als Maler<br />

aus (Johann Josef * 1687, später Maler in Sigmaringen;<br />

Franz Anton 1689-1762, starb ledig; Gabriel 1698-1753<br />

Metzger und Maler; Georg Ferdinand 1700-1746). In der<br />

Werkstatt arbeitete wohl auch Georg Haile (f 1717 pictor).<br />

16<br />

KDM Kr. Sigmaringen 1948, S. 146, Nr. 1.<br />

17<br />

KDM Kr. Riedlingen 1936 (Abb.). Alfons Kasper, Kunstwanderungen<br />

kreuz und quer der Donau, Schussenried<br />

1964, S. 112. Altäre Nr. 1 u. 2.<br />

18<br />

Joh. Adam Kraus, Kunst und Kultur in den Heiligenpflege-<br />

Rechnungen von Burladingen, in: HH 1959, S. 24-26,<br />

44-46; bes. S. 26.<br />

19<br />

Da sie die qualitätsvoll gemalte Chorbogenumrahmung von<br />

ca. 1592 verdeckt hätten, entschloß man sich, die Seitenaltäre<br />

nicht mehr zu verwenden.<br />

20<br />

Nachdem Johann Dietrich Speth seine Tätigkeit als kaiserlicher<br />

Rat und Obervogt in Horb am Neckar wohl altershalber<br />

aufgegeben hatte, erbaute er sich 1690 das reizvoll restaurierte<br />

Neufraer Schlößle. Das Grabmal des Ehepaares in<br />

der Neufraer Pfarrkiche.<br />

21<br />

KDM Kr. Sigmaringen 1948, S. 154, Nr. 19 (fälschlich als<br />

Donatus bezeichnet) und Nr. 20, 155, Nr. 35 u. 33.<br />

22<br />

StArch Hettingen, Fasz. 58 (Art. 21 der Zunftordnung).<br />

Ein wenig bekanntes Werk von<br />

Pater Desiderius Lenz<br />

Im Schrifttum über Pater Desiderius Lenz, den Begründer<br />

der Beuroner Kunst, wird immer wieder versucht, die<br />

"Werke des Künstlers möglichst lückenlos zu erfassen. In<br />

einer der letzten Veröffentlichungen „Pater Desiderius<br />

Lenz OSB von Beuron - Theorie und Werk - Zur<br />

Wesensbestimmung der Beuroner Kunst", Verlag der<br />

Bayerischen Benediktinerabtei München, 1957, bietet die<br />

Verfasserin Martha Dreesbach aus Düsseldorf im Ab-<br />

schnitt „Biographie und Werkverzeichnis der drei Meister<br />

der Beuroner Kunstschule" eine Zusammenstellung der<br />

von Pater Lenz geschaffenen Werke. Dazu darf - zur<br />

Ergänzung - darauf hingewiesen werden, daß Peter<br />

Desiderius Lenz, geboren am 12. März 1832, im Jahr<br />

1855, also im Alter von 23 Jahren, für die 1853 bis 1855<br />

erbaute Pfarrkirche in Hausen am Andelsbach eine<br />

Petrus-Statue geschaffen hat. Die mannsgroße Petrus-<br />

Statue, aus Lindenholz geschnitzt, mit Lasierfarbe<br />

gefaßt, ist zum 1. Juni 1855 geliefert worden und kostete<br />

70 Gulden. Sie ist ein Frühwerk des Künstlers und darf,<br />

wenn man Martha Dreesbach folgt, zu den Werken mit<br />

„klassizistischem Charakter" gerechnet werden. Die ursprüngliche<br />

Fassung ist vermutlich später übermalt worden.<br />

Das Bildwerk stand von 1855 bis 1947 als Mittelstück<br />

auf dem rechten Seitenaltar der Pfarrkirche<br />

Hausen. Bei der Renovation der Kirche 1946/47 erhielt<br />

der Seitenaltar eine Bildtafel mit dem Bild des heiligen<br />

Petrus, flankiert von vier charakteristischen Einzeldarstellungen<br />

aus dem Leben des Heiligen von Kunstmaler<br />

Albert Burkart, Riedlingen/München. Der heilige Petrus<br />

ist der zweite Kirchenpatron der Pfarrkirche Hausen.<br />

Erster Kirchenpatron ist die heilige Ottilia. Die Petrus-<br />

Statue von Pater Lenz steht jetzt wohlverwahrt im<br />

Pfarrhaus in Hausen am Andelsbach.<br />

Josef Mühlebach<br />

Festschrift zur Einweihung des<br />

Hohenzollern-Gymnasiums in Sigmaringen<br />

am 3. Oktober <strong>1975</strong><br />

Mit Beginn des Jahres <strong>1975</strong> ging das bisher staatliche<br />

Gymnasium in die Trägerschaft der Stadt Sigmaringen<br />

über. Nach genau 157 Jahren endete die Geschichte des<br />

alten Hedinger Gymnasiums, der klassischen Bildungsstätte<br />

von Hohenzollern. Äußerlich wird dieser Wandel<br />

durch die Einweihung des Neubaues auf dem Sandbühl<br />

dokumentiert. Die Festschrift trägt dem Rechnung mit<br />

geschichtlichen Rückblicken und Beiträgen zur Gegenwart.<br />

Unser Leserkreis ist natürlich vorwiegend geschichtlich<br />

interessiert. Er sei besonders auf die beiden<br />

Beiträge von Frau Dr. Kuhn-Rehfus hingewiesen, die<br />

„Schulchronik von der Gründung bis zur Gegenwart" und<br />

„Unterricht und Erziehung am Gymnasium während des<br />

19. Jahrhunderts". Als „Ehemaliger" sucht man natürlich<br />

auch nach sentimentalen Erinnerungen. Dieses Bedürfnis<br />

wird, wenigstens teilweise, gestillt durch den Beitrag<br />

von Alex Frick über die „gute alte Zeit".<br />

Leider fand sich kein Chronist für die Dreißiger und<br />

Vierziger Jahre, obwohl sich die Redaktion der Festschrift<br />

darum bemüht hat. Zu loben ist auch das Bildmaterial,<br />

welches die alten Hedinger Klostergebäude und<br />

das Gymnaisum auf dem Ochsenbuckel zu verschiedenen<br />

Zeiten zeigt. Als Beispiele sieht man auch das Kollegium<br />

von 1911 und Sexta und Abiturienten von 1909.<br />

Bezeichnend ist, daß sich drei Beiträge mit dem Studienheim<br />

St. Fidelis befassen. Durch das Fidelishaus ist das<br />

alte Gymnaisum zu einer Bildungsanstalt für ganz Hohenzollern<br />

geworden und es gibt auch der neuen Schule<br />

eine gewisse überregionale Bedeutung.<br />

Selbstverständlich ist der Neubau eingehend beschrieben<br />

und in verschiedenen Aufsätzen werden aktuelle Probleme<br />

behandelt. Den Abschluß bildet eine Zusammenstellung<br />

von J. Mühlebach über bedeutende Persönlichkeiten,<br />

die aus dem alten Gymnasium hervorgegangen sind.<br />

B.<br />

(Die Festschrift kann zum Preis von DM 6.00 beim Hohenzollern-Gymnasium<br />

Sigmaringen bestellt werden).<br />

57


WALTHER FRICK<br />

Ein Heimatfreund mit vielen Verdiensten<br />

Johann Jerg starb drei Tage<br />

nach römischem Brückenfund<br />

Spät kommen wir an dieser Stelle dazu, Johann Jergs zu<br />

gedenken, der am 9. März gestorben ist, drei Tage, nachdem<br />

ein Ziel seiner lebenslangen Forschungsarbeit sichtbar<br />

vor ihm aus dem Wasser der Donau stieg: die römische<br />

Brücke. Was niemals zuvor festgestellt wurde und<br />

was nur möglich war wegen der starken Absenkung der<br />

Donau für ihren seit Jahren andauernden Umbau, trat<br />

hier zutage: Unweit der Laizer Mühle wurden Pfosten<br />

und Schwellen sichtbar, über die jetzt, im August, seitens<br />

der Fachleute noch nicht das letzte Wort gesprochen ist,<br />

die aber ohne Zweifel jener Ubergang über die Donau<br />

sind, von der die Römerarchäologen<br />

heute längst als<br />

dem wichtigsten in Baden-<br />

Württemberg sprechen.<br />

Vielleicht hat Johann Jerg<br />

die Freude getötet. Zwei<br />

Tage vor seinem Tod fuhren<br />

wir ihn nach Laiz; wie so<br />

viele Male hatte er uns von<br />

einem Fund benachrichtigt,<br />

und er entschuldigte sich: er<br />

könne nicht mehr so weit<br />

laufen. Bei der Fahrt hin<br />

und zurück, am Fundort -<br />

nichts von bevorstehendem<br />

jähem Herztod. Er sagte<br />

58<br />

Die Römerbrücke bei Laiz<br />

Fotos: L. Frick<br />

allerdings auf unsere Frage, Herzkrankheiten seien in seiner<br />

Familie üblich, und auch er werde „eines Tages" so<br />

sterben. Genau fünfzig Stunden später war er tot.<br />

Den Verewigten kennzeichnet wenig so, wie ein Satz,<br />

den er 1957 einmal zum Verfasser sagte, als wir in finsterer<br />

Nacht vom Hohmichele zurück zum "Wagen tappten,<br />

der an einem Waldweg abgestellt war. Wir sprachen<br />

von den Kelten, deren wieder hergestellter Fürsten-<br />

Grabhügel an jenem Abend durch den damaligen Landeskonservator<br />

Dr. Adolf Rieth aus Tübingen eingeweiht<br />

worden war, und Jerg sagte: „Ich tat' ein Jahr von meinem<br />

Leben geben, wenn ich nur einmal so einem Kerle<br />

begegnen könnte, so hier auf dem Weg". - Er ist solchen<br />

„Kerlen" viele Male begegnet, wenn auch nicht<br />

leibhaftig. Es gab kein steinzeitliches Pfostenloch, keine<br />

Scherben eines Gefäßes oder einer Getreidestampfe, aus<br />

der er nicht abgelesen hätte, was die Archäologen nachher<br />

immer bestätigten. Er „roch" beinahe Fundstellen,<br />

und es kam vor, daß er jahrelang erzählte: da und dort,<br />

wenn man da einmal gräbt, kommt bestimmt etwas heraus.<br />

Wurde dann nach Jahren dort eine Straße gebaut<br />

oder ein Keller ausgehoben, prompt kamen auch die<br />

Funde. Jerg konnte sich so in Bandkeramiker oder Keltenbauern,<br />

in römische Siedler und Alemannen hineindenken,<br />

daß er wußte, wo sie gewesen sein mußten.<br />

Sein äußeres Leben ist schnell erzählt: ein Bauernbub aus<br />

Walbertsweiler, ein Fidelishäusler und Abiturient in Sigmaringen,<br />

Teilnehmer am ersten Weltkrieg. Später Gewerbelehrer<br />

an verschiedenen Orten, seit den 20er Jahren<br />

in Sigmaringen, nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur<br />

Pensionierung als Nachfolger des Jungingers Anton Bumiller<br />

Leiter der Kreisberufsschule. Seine freien Stunden<br />

aber galten der Heimat, der Bodenforschung, wie schon<br />

gesagt, dem Natur- und Umweltschutz lange, bevor der<br />

Begriff überhaupt bestand, dem Schwäbischen Albverein.<br />

Er hat lange Jahre als Obmann des Gaus Obere Donau<br />

und als dessen Wegewart die immerhin rund 500 km<br />

Wanderwege betreut. Seine ad-hoc-Vorträge bei Wanderungen<br />

oder wo immer im Gelände, das war, als stieße<br />

man eine Nadel in einen Ballon voller Flüssigkeit: das<br />

lief und lief, Jahrhunderte, Jahrtausende wurden sichtbar,<br />

Querverbindungen taten sich auf, Verwandtes wurde<br />

verknüpft; eine ungeheure Fülle von Wissen und lebenslanger<br />

Erfahrung wußte den kleinsten Bachlauf zu<br />

nötigen, seine eigene Geschichte sprudeln zu lassen. Jergs<br />

Wissen und seine Kenntnisse, sein unermüdlicher Fleiß<br />

hätten Hohenzollern noch lange zugute kommen können,<br />

aber er wurde nur 77 Jahre alt.


Zum Tode von Fritz Staudacher<br />

Der Heimatforschung verschrieben — Als Organist gehörte seine Liebe St. Luzen<br />

Als bei seinen vielen Freunden bekannt wurde, daß Fritz<br />

Staudacher am Tage nach dem ersten großen Festgottesdienst<br />

in St. Luzen, bei dem er an der Orgel mitwirkte,<br />

in bedenklichem Gesundheitszustand das Krankenhaus<br />

aufsuchen mußte, hat das einen bitteren Wermutstropfen<br />

in der Festfreude über das große Werk bedeutet. Nun ist<br />

er seinem Leiden erlegen und es bleibt für seine Angehörigen<br />

wie seine Freunde nur der Trost, daß er diese Tage<br />

noch erleben und dabei mitwirken durfte. Sehr viele<br />

Darstellungen und Aufschlüsse, die bei dieser Gelegenheit<br />

veröffentlicht worden sind, gehen auf Staudachers<br />

umfangreiche und grundlegende Forschungen zurück, denen<br />

er sich neben der Sorge um die Erhaltung der Kirche<br />

lebenslang gewidmet hat.<br />

Staudacher gehörte zu der Nachkriegsgeneration des ersten<br />

Weltkrieges, die in den Wirrnissen der Zeit und den<br />

Schwierigkeiten, einen entsprechenden Lebensberuf zu<br />

erlangen, in ihren Freistunden sich der Heimatforschung<br />

und Heimatpflege in weitestem Sinne gewidmet haben.<br />

Beruflich war er wegen seiner Zuverlässigkeit ein geschätzter<br />

Mitarbeiter des Vermessungsamtes, einen wahren<br />

Lebensinhalt hat er aber in unablässiger Arbeit um<br />

die Geschichte und Kulturgeschichte seiner Heimatstadt<br />

gefunden.<br />

Was in Hechingen in den letzten vierzig Jahren in dieser<br />

Beziehung geleistet worden ist, ob die Gründung der<br />

Heimatbücherei, das Kunstinventar, die Ordnung des<br />

Stadtarchivs, die Sorge für die Erhaltung kirchlicher Archivalien<br />

und schließlich auch die Betreuung der an die<br />

Stadt übergegangenen Landessammlung, Staudacher war<br />

überall tatkräftig mit dabei und leistete dazu meist in aller<br />

Stille wertvolle Beiträge. Ungezählten Interessierten,<br />

Studenten, Lehrern, hat er die Ergebnisse seiner umfassenden<br />

und mühevollen Kleinarbeit zur Verfügung ge-<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Über Grenzen<br />

Lauchen, Marksteine, Kugelwälzen, Untergänger<br />

Die heute übliche Bezeichnung Grenze kam in unser<br />

Land erst lange nach dem Jahr 1500. Sie stammt aus<br />

dem Deutschordensland Ostpreußen und lautete russischpolnisch<br />

„graniza". Der alte deutsche Name dafür dagegen<br />

ist „Mark" (von merken). Im 8. Jahrhundert bedeutete<br />

marca Gegend, Umkreis, Grenzland, Markung. Daran<br />

erinnern noch unsere Marksteine und Gemarkungen.<br />

Die Gvtnzsteine sind erst im Lauf der Jahrhunderte als<br />

zweckmäßige, weil ausdauernde, Markierungen aufgekommen.<br />

Vorher begnügte man sich meist mit Pfählen<br />

und Bäumen, in die man gewisse Zeichen einritzte, z. B.<br />

Kerben oder Kreuze, oder Fleckenzeichen, oder bohrte<br />

auch Löcher darein. Die Freiburger Marksteine an den<br />

Grundstücken zeigen heute auf der Oberseite ein Kreuz<br />

als Stadtzeichen. Grenzbeschreibungen des 15. bis<br />

18. Jahrhunderts geben oft die Entfernung von einer<br />

Marke zur anderen in Schritten an und nennen den betr.<br />

Flurnamen. Die Einkerbungen in Bäume (später Steine)<br />

nannte man seit uralter Zeit Lachen (mit langem a, daher<br />

manchmal Laachen geschrieben). Später wurde das<br />

Wort in unserer Mundart zu Loochen und Lauchen. Michel<br />

Buck, der Flurnamenforscher, kennt schon einen<br />

Lächbaum vom Jahr 1012.<br />

stellt, Anregungen gegeben und sie beraten. Für sich<br />

selbst war er bis in die letzten Lebenstage immer bemüht,<br />

sein bewundernswertes Wissen um die Einzelheiten<br />

zu erweitern und es mit den Erscheinungen der Gegenwart<br />

nicht ohne kritischen Sinn zu verbinden, Dauerndes<br />

von Vergänglichem, wahre Werte vom äußerlichen<br />

Schein zu scheiden.<br />

Er hat sich dabei keineswegs nur auf das Buchwissen<br />

verlassen. Weder amtliche noch andere Denkmalspfleger<br />

kannten die kirchlichen Bau- und Kunstdenkmälern aus<br />

eigener Anschauung bis in den letzten Winkel über und<br />

unter der Erde so genau und konnten daher so oft den<br />

Fachleuten wertvolle Hinweise geben. Seine Forschungsergebnisse<br />

hat er in zahlreichen Veröffentlichungen niedergelegt<br />

und damit auch für die Zukunft erhalten und<br />

nutzbar gemacht. Bei Tagungen und Versammlungen gab<br />

er in den Diskussionen immer wieder entscheidende Hinweise,<br />

in privater Unterhaltung konnte man von ihm oft<br />

erstaunliche Richtigstellungen erfahren.<br />

Als Organist gehörte seine ganze Liebe der St. Luzen-<br />

Orgel mit ihren barocken Registern. Uneingeschränkt zu<br />

jeder Zeit stellte er sich aber auch in der Stiftskirche zur<br />

Verfügung und hat jahrzehntelang rings um Hechingen<br />

bei den Gottesdiensten in den Kirchen ausgeholfen.<br />

Hechingen ist mit seinem Heimgang um eine liebenswerte<br />

Persönlichkeit von ganz eigener Prägung ärmer geworden.<br />

Es ist ärmer geworden um einen Bürger, der<br />

sich scheinbar kleiner, aber oft wesentlicher Dinge angenommen<br />

hat und der mit ganzem Herzen an seiner Heimat<br />

hing. Er wird für die ältere Generation unvergessen<br />

bleiben, aber auch die jüngere wird in späteren Zeiten<br />

sich an ihn erinnern, wenn sie seine hinterlassenen<br />

Schriften in die Hand bekommt.<br />

(Schwarzwälder Bote)<br />

Bei Emmingen ob Eck gab es einen „lachenden<br />

Stein". Sprachlich sind die Grenzlachen wohl zu<br />

scheiden von den Wasserlachen, dem Wasserloch und<br />

Loch als lichten Wald (lat. lucus). Da man die vergänglichen<br />

Holzstöcke, Pfähle und Bäume später durch Steine<br />

ersetzte (anfangs kaum behauen), war man gezwungen,<br />

diese als echte Grenzzeichen zu „bezeugen", indem man<br />

unter sie Kohlen, oder Glas, Ziegelreste, Topfscherben<br />

oder gar extra gerichtete Tontäfelchen eingrub, sogenannte<br />

„Zeugen" Die Gemeinden hatten Interesse an<br />

ihren unversehrten Grenzen und bestimmten zur Überwachung<br />

sogenannte „Untergänger" (bzw. einen „Untergang"),<br />

d. h. Männer, die von Zeit zu Zeit die<br />

Grenzen zu „untergehen" hatten und fehlende<br />

Loochen erneuerten. Dabei nahmen sie gewöhnlich einige<br />

helle Buben mit, die nach Setzung eines Grenzzeichens<br />

eine saftige Ohrfeige verabreicht bekamen, damit<br />

sie sich für ihr Lebtag diese Stelle gut merkten! Nach<br />

dem Bericht eines „ben" aus Jungingen in der Hohenzollerischen<br />

Zeitung vom 16. August <strong>1975</strong> soll anderwärts<br />

dabei das Sprüchlein gesagt worden sein: „Mark, wo der<br />

Stein steht; merk wo die Grenze geht. Daß ich dafür<br />

dein Gedächtnis stärk, nimm von meiner Hand diesen<br />

59


Merk!" Das in Jungingen noch vorhandene „Steinbuch"<br />

dürfte ein altes Lauchenbuch darstellen. Landesgrenzen<br />

sind seit dem 16. Jahrhundert durch große Steine markiert,<br />

die kunstvoll Jahrzahl, Wappen und Inschriften<br />

zeigen, heute aber dem Raritätendiebstahl ausgesetzt<br />

sind. Eine Grenzbeschreibung von 1584 zwischen Fürstenberg<br />

und Zollern findet sich in „Mitteilungen d.<br />

hohz. <strong>Geschichtsverein</strong>s" 1931, 63-74, eine andere zwischen<br />

Ringingen und Burladingen von 1404 in „Zollernheimat"<br />

1937, 6.<br />

Gelegentlich, so auch in der erstgenannten, begegnet uns<br />

die Bezeichnung Kugel- bzw. Schlegelwälze. Damit hat<br />

es folgende Bewandtnis: An Berggraten entlang, wie am<br />

Heufeldrand gegen das Killertal, war es mangels Bäumen<br />

oft schwer, die Grenze zu fixieren. An solchen Stellen<br />

hat man eine Kugel oder einen Holzhammer bzw.<br />

Schlegel geworfen. Das Gelände, in dem die Kugel oder<br />

der Schlegel abwärts rollte, gehörte zum Killertal nach<br />

Jungingen, wo aber der Schlegel liegen blieb, zum Salmendinger<br />

Heufeld. Die Kugelwälze ist eine uralte<br />

Grenzprobe aus der Zeit vor der Steinsetzung und vor<br />

der Geometertätigkeit. Unverständlicherweise meinte<br />

obiger „ben", man habe die Kugel die Halde hinunterlaufen<br />

lassen und der Hammerstil habe beim Werfen<br />

JOH. WANNENMACHER<br />

Wie sagt und meint es die Mundart<br />

Sprichwörter und Redensarten<br />

Die Mundart ist eine Mitgift der Heimat. Alle Einsichten<br />

und Erfahrungen, alle leiblichen und seelischen Erfahrungen<br />

wurden und werden in der Urform von ihr<br />

aufgenommen, sprachlich gestaltet und zum Ausdruck<br />

gebracht. Daher rührt auch ihre Urwüchsigkeit, ihr seelischer<br />

Reichtum und ihre Erfahrungsweisheit. Da hört<br />

man z.Beispiel: „D'Guatheit ischt a Stückle vo dr Lieadregkeit!"<br />

Mit „Guatheit" ist in diesem Zusammenhang<br />

ein ungesundes Maß von Liebe und Entgegenkommen<br />

gemeint, ein ständiges Nachgeben und Übersehen von<br />

Fehlern und Schwächen, ein alles Treiben- und Gehenlassen,<br />

die Erfüllung aller Wünsche besonders bei Erziehung<br />

der Kinder. Ein solches Tun und Lassen kann<br />

nach aller Erfahrung zu keinem guten Ergebnis führen.<br />

Die Grundtugenden des Lebens wie: Zucht und Ordnung,<br />

Verzicht und Mitverantwortung müssen schon in<br />

der Jugend anerzogen und geübt werden. Sie sind für<br />

das Wohl des Einzelnen und der Gesamtheit unabdingbar.<br />

- Da hört man weiter: „Wenn der liabe Gott an<br />

Narr will, no lot er ama Ma(nn) s' Weib sterba." - Einen<br />

solchen schweren Verlust überwindet erfahrungsgemäß<br />

nicht jeder Mann. Plötzlich steht der bis jetzt so<br />

Treuumsorgte ganz alleine da, ist einsam geworden, fällt<br />

aus der festgefügten Ordnung heraus und verliert mitunter<br />

jeden Halt. Damit kommt er zu einer Lebensweise,<br />

die vom Normalen abweicht und dann in obigem<br />

Sprichwort ihren Namen findet. Und - „Alte Lieabe<br />

roschtet it, und wenn se roschtet, bricht se it" - hört<br />

man scherzhafter Weise über jene sagen, die einstens<br />

nicht zusammenkommen konnten, aber bei Gelegenheit<br />

oft noch nach vielen Jahren gegenseitig einen Schimmer<br />

früheren Glücks ausstrahlen. -<br />

„Wer sich uffs Erba verlot (verläßt), kommt z' früah<br />

und z' schpot!" Dieses Sprichwort faßt sehr treffend zusammen,<br />

was menschliche Schwächen und Unwägbarkeiten,<br />

die jede Sicherheit in Frage stellen, beim Erben für<br />

eine Rolle spielen können.<br />

60<br />

den richtigen Besitzer angezeigt!<br />

Erwähnt sei noch, daß man früher auch gelegentlich die<br />

Markungsgrenzen prozessionsweise mit Heiligenreliquien<br />

(z. B. im Kloster Kirchberg) oder mit dem Allerheiligsten<br />

Sakrament „umging", wobei Pfarrer und Honoratioren<br />

oft Reitpferde benützten. Der berühmte Blutritt<br />

von Weingarten und die Pferdesegnung am Eulogiustag<br />

in Bingen könnten noch Überreste solcher Flurritte sein.<br />

1 Noch in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts fertigte<br />

der hochbetagte Hafner Bernhard Klaiber in Gauselfingen<br />

solche gebrannte Tontäfelchen als Marksteinzeugen für Ringingen.<br />

Sie zeigten neben dem Wappen (drei Ringe auf einem<br />

Schrägbalken) die Jahrzahl und den Buchstaben R. Als<br />

Modell diente ein Gispbrocken, in den das Negativ eingeschnitten<br />

war. Inzwischen führt der Urenkel Klaiber das<br />

Geschäft in anderer Weise weiter. Längst werden keine kätenen<br />

Öfen mit kunstvoll entworfenen Wappen mehr hergestellt<br />

wie damals. Der Brennofen, in dem damals Meister<br />

Kaspar Klaiber Töpfe, Häfen, Schüsseln, Ofenkacheln und<br />

anderes härtete, ist erloschen. Die mächtige Holzbeig aus<br />

Fichtenscheitern verschwand und die einst fußgetriebenen<br />

Töpferscheiben haben ausgedient. Der Häfnerfamilie Klaiber<br />

in Gauselfingen sollte eigentlich einmal ein Heimatfreund<br />

nachgehen.<br />

„Ma därf alles probiera - nau it treiba!" ruft man besonders<br />

jungen Leuten zu. Das uneingeschränkte Probieren<br />

ist wohl angebracht. Man kann sich damit vielerlei<br />

Kenntnisse und Erfahrungen verschaffen, soll aber auswählen<br />

und das Ungute sich nicht zu eigen machen, ausscheiden<br />

und nicht „treiba".<br />

Passiert auf dem Wasser oder in der Luft ein Unglück,<br />

dann heißt es bedauernd: „'s Wasser ond d' Luft hend<br />

koine Balka!" Man kann sich dort im Notfalle nirgendwo<br />

festhalten, besondere Gefahr ist somit immer gegeben.<br />

Wiederum heißt es zutreffend: „Kender ond d' Narra<br />

saget d' Wohret" (Wahrheit). Wie oft sind schon Eltern<br />

durch die Offenheit und Natürlichkeit ihrer Kinder in<br />

Verlegenheit gebracht worden! Hierzu zwei nette Begebenheiten<br />

aus einer schönen Dorfschule. Der Lehrer hat<br />

an einem heißen Tage Unterricht bei den Kleinen. Da<br />

zieht er plötzlich seinen Rock aus und sagt: „Jetzt ist es<br />

mir aber zu warm!" „Jo", meint darauf der kleine Albert<br />

aus dem 1. Schuljahr, „zieahet se nau da Kittel aus,<br />

mei Vadder und mei Muater zieahet ällaweil no s- Hemmet<br />

(Hemd) aus, wenn se am Obed ins Bett gehnd, weils<br />

ana au z'warm ischt!"<br />

Und am Josef sein Vater ist als Altersjubilar in einer Betriebfeier<br />

besonders geehrt worden. Hierüber schrieb der<br />

Lehrer auf Wunsch des Betriebsführers einen kleinen Bericht<br />

in die Heimatzeitung. Am darauffolgenden Tag begleitete<br />

der Josef den Lehrer wie herkömmlich zur Schule.<br />

Dabei sagte der Lehrer: „Josef, dei Vadder hot aber a<br />

groß Fest ghet!" „Jo", meint der Josef, der etwas stottert,<br />

„er ischt no em Blättle komma", zieht den Zeitungsbericht<br />

aus der Hosentasche und reicht ihn seinem<br />

Lehrer. Dieser lächelt und meint, das wäre aber schön!<br />

Darauf sagt der Josef: „Jo, mei mei Vadder hot gsaet, ii<br />

möcht nau au wissa, wa-w-a für en Dackel, daß dös<br />

gschrieba hot!"


JOHANN ADAM KRAUS<br />

Aus der Vergangenheit Jungingens - Erste Nennung vor 900 Jahren<br />

Trotzdem die auf -ingen endenden Ortsnamen meist ins<br />

4. bis 6. nachchristliche Jahrhundert zurückreichen, kennen<br />

wir unser Jungingen erst aus einer Urkunde vom<br />

14. September 1075, also seit 700 Jahren. Anläßlich der<br />

Wiederherstellung des Klosters Hirsau im Schwarzwald<br />

wird darin als Zeuge der Adelige Altrich von Jungingen<br />

als Zeuge genannt x . Zwar war dieses Schriftstück lange<br />

Zeit als Fälschung angesehen worden 2 , aber die heutigen<br />

Forscher halten nur für eine Überarbeitung, die jedoch<br />

die wesentlichen Tatsachen nicht veränderte. Die seltene<br />

Namensform „Altrich" dürfte mit der häufigeren Waltrich<br />

oder Walderich zusammenhängen. Uber die ursprünglich<br />

hochadeligen Herren unseres Dorfes, die später<br />

in den niederadeligen Stand absanken, hat Friedrich<br />

Eisele 1931 ausführlich berichtet 3 . Zwei Dinge konnte<br />

der eifrige Forscher jedoch noch nicht klären, den Übergang<br />

Jungingens an den Johanniterorden, und das Datum<br />

des Aussterbens der Herren von Jungingen.<br />

Dieses ist dann durch eine im Münster zu Salem aufgehängt<br />

gewesene Totentafel bekannt geworden. Der<br />

Holzschild zeigte das spätere Wappen weiß-blau gevierteilt<br />

mit der Umschrift: „Anno 1501 auf Marzelli des<br />

Papstes Tag (d. i. 16. Januar) ist gestorben Ulrich von<br />

Jungingen, dem Gott gnädig sei" 4 . Vor dem Jahr 1367<br />

führten die Junginger Herren bekanntlich im Wappen<br />

eine aufrechte offene Schere, vielleicht in Anlehnung an<br />

die alte Landschaftsbezeichnung „Uf der Scheer" 5 . Einige<br />

später aufgetauchte Junginger Urkunden sind in<br />

„Hohenzollerische Heimat" 1957, 60 mitgeteilt.<br />

Eisele konnte nicht wissen, wieso Jungingen im 13. Jahrhundert<br />

auf einmal in Hand der Johanniter war, während<br />

die hiesigen Adeligen fortzogen, 1316 in Schiltau<br />

(später Jungnau genannt) auftauchten und dann sich auf<br />

Burg Schmeien und Neuhohenfels bei Liggersdorf fanden.<br />

Der Johanniterorden hat im Jahr 1300 seine Burg<br />

und Dorf Jungingen an den Grafen Eberhard von Wirtemberg<br />

vertauscht, und zwar mit allen Ordensgütern<br />

von Hechingen an das Tal hinauf und ganz oben im Tal<br />

an der Scherr und Alb, wie sie zur Burg Jungingen gehörten.<br />

Nur das seit 1256 erwähnte Hospiz Jungental<br />

(westlich von Starzein) mit Zubehör behielten die Johanniter<br />

vor 6 .<br />

Wie war nun Jungingen an den Johanniterorden gekommen?<br />

Im Jahre 1970 tauchte im Stuttgarter Hauptstaatsarchiv<br />

an versteckter Stelle (B 352, Nr. 406) eine Urkunde<br />

aus dem Jahre 1278 auf, die teilweise Aufklärung<br />

gibt. Es heißt darin:<br />

„Bischof Rudolf von Konstanz (gb. Graf von Habsburg-<br />

Laufenburg, reg. 1274-1293) bestätigt an 15. November<br />

1278 die Schenkung des edlen Ritters Eberhard von Jungingen<br />

an das Johanniterhaus Jungental. Diese Schenkung<br />

umfaßt die Hälfte des Dorfes Jungingen und den<br />

ganzen Bereich, der zur Burg Jungingen gehört, einen<br />

Bereich, der gewöhnlich „Burgstall" genannt wird, mit<br />

all seinem Zubehör an Vogtei, Wiesen, Weiden, Wäldern,<br />

Hainen, Wasser, Wasserläufen, Mühlen, Wegen, Unwegsamem,<br />

Bannrecht und Jurisdiktion, genannt „Zwing<br />

und Bann" (Äcker sind keine erwähnt!). All dies hatte<br />

Eberhard bisher als Lehen der Bischofskirche von Konstanz<br />

besessen und gab es als freies Eigentum zurück,<br />

worauf es nun mit Zustimmung des Domkapitels an die<br />

Johanniter übergeht." Zeuge ist u. a. Graf Heinrich von<br />

Veringen der Ältere.<br />

Daß die Burg damals noch stand, ist anzunehmen, trotzdem<br />

sie nicht ausdrücklich als solche erwähnt wird. Die<br />

Junginger Herren hatten wohl der Sitte der Zeit gemäß<br />

einen Teil ihres Besitzes zur Sicherung gegen mächtigere<br />

Herren dem Bischof geschenkt und als Lehen zurückerhalten.<br />

Der Name Jungental ist vermutlich bei Gründung<br />

der Niederlassung von viel älteren Jungingen abgeleitet<br />

worden, wozu vielleicht die Herren von Jungingen<br />

selbst mithalfen. Statt Jungingen findet man nämlich<br />

auch (z.B. 1292) die Form „Jungen". Damals dürfte<br />

auch die in der Nähe gelegene Burg Berstein (auf dem<br />

Hausener Kapf gegen dem Tiefental) verlassen worden<br />

sein, wie auch die Burghalde auf Schnait und das Burgstallwiesle<br />

bei Starzein.<br />

Im Kampf der Stadt Reutlingen mit Wirtemberg wurde<br />

die Junginger Burg im Jahre 1311 zerstört 7 und wohl<br />

nicht mehr aufgebaut. Doch fehlt jede Nachricht. Dagegen<br />

nennen sich weiterhin einige Herren nach Jungingen,<br />

die von Wirtemberg das Dorf als Lehen trugen. Im Jahre<br />

1306 finden wir einen „Ritter H. von Winterstetten,<br />

genannt von Jungingen". Ein „Wolf von Stain zu Jungingen"<br />

war 1378 Bürger zu Ulm und steht (vor 1410)<br />

im Totenbuch der Benediktiner zu Urspring. Seine Tochter<br />

„Anna von Stain-Jungingen", die an einem 20. Juli<br />

starb, ist in Urspring nach 1410 begraben. Im Jahre<br />

1409 gab Graf Eberhard von Wirtemberg seinem Dienstmann<br />

Rudolf von Baldeck die Dörfer Jungingen und<br />

Starzein mit dem Weiler Killer gegen 600 fl zu lebenslänglicher<br />

Nutzung. Rudolf lebte noch 1442. Dagegen<br />

verkaufte am 31. Mai 1449 „Wilhelm von Stain von<br />

Jungingen" einen Hof zu Kirchen bei Mochental 8 . Wirtemberg<br />

hat dann 1473 seine Killertalbesitzungen an<br />

Zollern vertauscht, das dann 1612 auch den Johanniterhof<br />

Jungental käuflich erwarb 6 .<br />

1 2<br />

WUB I, 280. WVJ 1892, 225.<br />

3<br />

Mitt. Hohz. Jg. 62 und 63 (1931 f).<br />

4<br />

Zeitschr. f. Gesch. d. Oberrheins 1916, 196.<br />

5 8<br />

HJH 1960, 142-144. Zollerheimat 1941, 13-17.<br />

7<br />

WVJ 1883, 3 in lateinischem Gedicht enthalten.<br />

8<br />

Uhrle, Gundelfinger Regesten i. Staatsarchiv Stuttgart. Nr.<br />

1429.<br />

Die Heuneburg im Spiegel der Sage (Nachtrag)<br />

8. Die Sage von der verglasten Mauer<br />

Ein in Riedlingen lebender pensionierter Lehrer erinnert<br />

sich an ein sehr altes Buch, das er als Bub bei seinem<br />

Großvater in Esslingen in Händen gehabt hat. Darin<br />

war auch die Gegend an der oberen Donau beschrieben.<br />

Von der Heuneburg bei Hundersingen wurde berichtet,<br />

daß dort einst ein mächtiges Schloß gestanden habe.<br />

Seine Mauern seien verglast gewesen, so daß jeder, der<br />

sie erklimmen wollte, abrutschte. Das Schloß war also<br />

uneinnehmbar.<br />

Es mag interessieren, daß es „verglaste Mauern" wirklich<br />

gibt. Große Hitze kann die Oberschicht von Gesteinen<br />

zum Schmelzen bringen. Nicht nur beim Ziegelbrand ist<br />

das möglich, auch bei Burgmauern werden solche angeschmolzenen<br />

Steine gefunden. Am bekanntesten sind die<br />

im Glutfluß ausströmender Lava verglasten Gerölle, wie<br />

sie zum Beispiel in der Eifel gefunden werden.<br />

Auch diese Sage hat durch die Entdeckung der Lehmziegelmauer<br />

eine unvorhersehbare Bestätigung erhalten.<br />

Damit tritt uns die Lehmziegelmauer aus der Überlieferung<br />

in zwei beeindruckenden Bildern entgegen: 1. als<br />

Schloß des aus Italien gekommenen Heuneburger Königs,<br />

2. als die wundersam verglaste Mauer, die dieses Schloß<br />

uneinnehmbar machte.<br />

61


WALTHER FRICK<br />

Die vielgenannte Zimmern'sche Chronik<br />

Wer auch nur ein wenig für Heimatkundliches Interesse<br />

hat, wer Beilagen der Tageszeitungen liest, etwa die<br />

„Oberländer Chronik" des Südkuriers oder die „Melodie<br />

der Heimat" des Schwarzwälder Boten - um wenige<br />

für zahlreiche zu nennen - stößt immer wieder auf die<br />

Zimmern'sche Chronik. Das bedeutet nicht, daß die Autoren,<br />

die sie heranziehen, zu faul wären für eigene Arbeit;<br />

es liegt vielmehr daran, daß es sozusagen nichts<br />

gibt, das nicht in dieser Chronik steht, und dies gilt für<br />

den ganzen Bereich der südwestdeutschen Geschichte<br />

vom 13. bis zum 16. Jahrhundert. Es gilt sogar im negativen<br />

Sinn für weite Zeiträume davor, bis über die<br />

christliche Zeitwende hinunter; im negativen Sinn deshalb,<br />

weil märchenhafte Genealogien im ersten Band<br />

breit ausgeführt werden, die vermutlich keinerlei historischen<br />

Grund haben, die aber dennoch für sich interessant<br />

sind. Sie geben nämlich auch Kunde von der Geschichtsauffassung<br />

jenes Verfassers, der diese Chronik schrieb.<br />

Der Autor des riesigen Werkes, dessen Originale in der<br />

Fürstlich Fürstenbergischen Bibliothek zu Donaueschingen<br />

liegen, heißt Graf Froben von Zimmern, 40 Jahre<br />

alt. Die Altersangabe bezieht sich auf das Jahr<br />

1564, in welchem er sein Werk begann. Er hat<br />

drei Jahre, 64, 65 und 66 darauf verwendet, und das ist<br />

angesichts der Fülle des Dargestellten eine erstaunlich<br />

kurze Zeit, zumal alles von Hand geschrieben wurde.<br />

Liest man in der Chronik dieses Meßkircher Geschlechtes,<br />

hat man ständig den Eindruck, der Autor hätte<br />

im Sinn des horazischen „Aere perennius" in dem Bewußtsein<br />

geschrieben, sich damit ein Denkmal geschaffen<br />

zu haben „dauerhafter als Erz", das heißt, er hätte gewußt,<br />

daß noch nach Jahrhunderten sein Werk fortbestünde.<br />

Das hat er nicht, denn er schreibt nicht für<br />

ein breites Publikum und schon gar nicht für den Druck,<br />

sondern für ihre eigene Familie, für die Nachgeborenen<br />

des Geschlechtes, und er tat dies in der zweiten Hälfte<br />

eines Jahrhunderts, die Familie auf Fortunas Rad hoch<br />

hinauf, tief hinab bis in die Reichsacht und den Verlust<br />

ihrer Güter, und wieder hinauf in erträgliche Verhältnisse<br />

geführt hatte. Was der Autor nicht wußte, war, daß er<br />

den Abgesang seines Hauses schrieb: schon 1594 starb<br />

der letzte der Zimmern. Übrig blieben acht Mädchen,<br />

von denen eine einen Fürstenberg heiratete, und eine<br />

kurzlebige Linie Fürstenberg-Meßkirch gründete, die<br />

dann ausmündete in das heute bestehende Haus Fürstenberg-Donaueschingen.<br />

Dies erklärt, warum bis vor<br />

drei Jahren der Wildenstein, und warum bis heute die<br />

Ruine Falkenstein bei Thiergarten fürstenbergisch waren<br />

und sind. Auf dem gleichen Erbweg kamen schließlich<br />

auch die Handschriften der Chronik nach Donaueschinen<br />

- um dann vergessen zu sein, für mehr als 200 Jahre.<br />

Erster Wiederentdecker war Joseph von Laßberg, der<br />

berühmte Humanist und Germanist, der 1770 in Donaueschingen<br />

geboren wurde, der spätere Schwager der<br />

Dichterin Annette von Droste-Hülshoff. Er ist der<br />

Mann, der als Bibliothekar die Fürstenberger bestimmte,<br />

Wertvolles hinzuzukaufen, so vor allem die<br />

Handschrift C des Nibelungenliedes, die heute wohl das<br />

wertvollste Werk in Donaueschingen ist. Laßberg, später<br />

Schloßherr in Eppishofen in der Schweiz, dann auf der<br />

Meersburg, hat sich die größten Verdienste erworben um<br />

die Wiederentdeckung und -erweckung des mittelhochdeutschen<br />

und althochdeutschen Schrifttums. 1820 gab<br />

er seinen „Deutschen Liedersaal" heraus, in dem er einige<br />

Stücke aus der Chronik abdruckte. Sachgerecht und<br />

vollständig herausgegeben hat die Chronik ein späterer<br />

62<br />

Eines der Haupt- und Standardwerke unserer Geschichte<br />

Bibliothekar in Donaueschinen, August Barrack, 1869.<br />

Auf ihm fußen die späteren Herausgaben und Nachdrukke,<br />

auf ihm auch Auszüge, z. B. Johannes Bühlers Buch<br />

„Wappen, Becher, Liebesspiel" von 1940. Gegenwärtig<br />

wird die Chronik wiederum neu herausgegeben vom<br />

Thorbecke-Verlag in Sigmaringen; sie erscheint in mehreren<br />

Lieferungen, die noch nicht alle erschienen sind.<br />

Soviel zum Sprichwort „Habent sua fata libelli", auch<br />

Bücher haben ihre eigenen Schicksale.<br />

Die ganze Chronik läuft an einem sehr dünnen, oft viele<br />

Seiten lang kaum mehr sichtbaren Faden, dem der Genealogie,<br />

der eigenen Geschlechts- und Hausgeschichte,<br />

vom sagenhaften Ursprung bis in die 1560-er Jahre. Da<br />

wird alles und jedes erzählt, von der Heirat von Wem<br />

mit Wem über das Heiratsgut und wer den Kontrakt mit<br />

unterschrieb; von Dorf- und Hofkäufen, Verkäufen,<br />

Verpfändungen und Wiedereinlösungen, von Kriegszügen<br />

und überhaupt von Lebensläufen, von Begräbnissen<br />

und Seel-Stiftungen und vieles dieser Art mehr. Dazwischen<br />

aber läuft - und darin liegt die eigentliche Stärke<br />

des Buches und das hohe Vergnügen der Lektüre - alles<br />

mit, war nur je das Theatrum humanum bevölkert:<br />

Reichsgeschichte, Territorialgeschichte, Kirchengeschichte,<br />

Volksglaube, Schwänke, Abenteuer, Verkehrsverhältnisse,<br />

Liebeshändel, Gespenstergeschichten in großer<br />

Zahl, sittliche (eher oft un-) Zustände, Kunstgeschichtliches,<br />

Festungsbau, Märkte und Handel, Literatur aber<br />

auch, Gedichte sind eingestreut, kurz: man muß dies alles<br />

selber lesen, des Aufzählens wäre kein Ende. Immer<br />

wieder wird abgeschweift mit Redewendungen wie:<br />

„diesem bemelten (gemeldeten, das heißt eben erwähnten)<br />

Grafen schah einst eine lecherliche Begebenhait. .<br />

und die wird dann erzählt. Und weil einem Edelmann<br />

aus Sachsen oder aus Frankreich Ähnliches auch einmal<br />

widerfuhr, und möglicherweise noch irgendeinem Dritten,<br />

kommen auch diese Geschichten gleich mit dazu.<br />

Oft genügt es, daß die Chronik erwähnt, dieser und jener<br />

sei als Richter ans Kammergericht oder als Pfarrer<br />

auf diese und jene Pfarrei berufen worden, daß gleich<br />

erzählt wird, wie es einmal seinem Vor- oder Vorvorgänger<br />

auf dem gleichen Posten erging. So geht das vom<br />

Hundertsten ins Tausendste; der Meßkircher Autor<br />

läuft förmlich über von Geschichten und Geschichtchen,<br />

da gab es „ein lecherliche Sach", dort „gehuben<br />

sich die Mönche gar übel", oder es geschah „ein seltsame<br />

histori" die man nicht „unvermeldt" liegen lassen durfte.<br />

Hinterher heißt es dann fast ebenso oft ein bischen<br />

schuldbewußt „... daß ich aber wieder auf meine angefengt<br />

materi komme", und dann geht die eigentliche<br />

Haus- und Familiengeschichte weiter.<br />

Für uns, die wir von unseren Zeitläuften durchs Leben<br />

förmlich gehetzt werden, für uns unselige Erben dessen,<br />

was einmal als Aufklärung so verheißungsvoll begann<br />

und nun in allgemeiner Anarchie auszuufern droht, für<br />

uns bedeutet die Chronik ein beinahe fassungloses Staunen<br />

vor der Naivität der Lebensauffassung, vor der<br />

Kunst zu leben, die diese Leute besaßen, auch der Kunst<br />

zu sterben, und auch ein Staunen darüber, wozu sie Zeit<br />

fanden. Und worüber sie lachten, was überhaupt passieren<br />

konnte. Für das Letztere nur ein Beispiel: dem Bürgermeister<br />

von Buchhorn (heute Friedrichshafen) „Entwischte",<br />

wie die Chronik berichtet, vor dem Kaiser, der<br />

an den Bodensee gekommen war, „ain zierlich fürtzlein",<br />

und darüber lachte der Kaiser unmäßig. Das Malheur<br />

passierte dem aufgeregten Bürgermeisterlein just in<br />

dem Augenblick, als er seinen tiefen Bückling in allgemei-


nem Schweigen machte, und er „schampte sich gar übel".<br />

Als der Kaiser Jahre später wieder einmal nach Buchhorn<br />

kam, hatte er den Vorfall nicht vergessen, und seine<br />

erste Frage war: „Wo ist denn der Farzer von Buchhorn?"<br />

Und das ist noch das Mildeste unter solchen Geschichten,<br />

die anderen kann man kaum wiedergeben. -<br />

Einmal trieben die Zimmern, zusammen mit Spießgesellen<br />

aus dem Volk, den Göggingern alle Gänse von der<br />

Weide heimlich weg und veranstalteten ein gewaltiges<br />

Gänseessen. Darauf großes Zeter und Mordio, worauf die<br />

Grafen alle Gänse in guter Münze bezahlten, was sie<br />

aber vorher schon vorgehabt hatten.<br />

Bemerkenswert ist, daß nicht allein der Adel seine Vergnügungen<br />

hatte, sondern ebenso „der gemeine Mann",<br />

und gerade die Zimmern'sche Chronik ist ein Beweis dafür,<br />

wie - und das war bewußt, das wird oft in dieser<br />

Schrift betont - volksnah die Zimmern lebten, „auf die<br />

gute alte teutsche Art" wie es heißt. Sie tanzten mit den<br />

Bauern, sie feierten das Kirchenjahr mit den Gläubigen<br />

und sie sahen auch, so ungern das heute vielerorts gehört<br />

wird, sogar darauf, daß sie mit Lasten und Fronen nicht<br />

zu hart bedrückt wurden.<br />

Was die Anliegen der Heimat- und Geschichtsforschung<br />

in Hohenzollern angeht, um darauf zum Schluß noch<br />

besonders zu verweisen, so würden die Teile der Chronik,<br />

die sich darauf beziehen, selber ein kleines Buch ausmachen.<br />

Die Jahre der Abfassung fielen zwar gerade<br />

noch in die allerersten Anfänge des heutigen Hohenzollern,<br />

wenn man die Belehnung Karls mit der Grafschaft<br />

Sigmaringen 1535 als Anfang setzen will. Aber selbst<br />

darüber, und über jene Zeit, als Zollern „auf zwei Augen"<br />

stand, zur Zeit von Jost Niklas von Zollern, wird<br />

viel erzählt, viel mehr noch über die voraufgegangene<br />

WALTHER FRICK<br />

Saxa loquuntur Neue Straßen - alte Bezeichnungen<br />

Im Hohenzollerischen tönt seit Jahren wie aus einer immer<br />

wieder gedrehten tibetanischen Gebetsmühle die<br />

Forderung nach mehr und besseren Straßen, und so weit<br />

die Meinungen in den Kreistagen dann und wann auseinandergehen,<br />

oder im verblichenen Kommunallandtag<br />

auseinandergingen - in der Forderung nach Straßen<br />

waren sich alle und sind sich alle Verordneten gleich.<br />

Nun tauchen allerdings mit diesen neuen Straßen, die<br />

nicht nur gefordert, sondern geplant und dann und<br />

wann sogar gebaut werden, alte Namen auf; genauer gesagt:<br />

sie tauchen nicht nur auf, sie waren meist immer<br />

schon da, und das bezieht sich nicht allein auf Straßen,<br />

sondern auch auf örtlichkeiten.<br />

Zum Beispiel: In den Planungen zur Westumgehung Sigmaringens<br />

heißt es immer wieder „Die neue Trasse von<br />

der B 32 zum Torwartshaus", und so etwas ist schon<br />

sprachlich bedeutsam. Denn mit dem nüchternen „B 32"<br />

paart sich hier in einem einzigen Atemzug etwas, das<br />

ganz nach Vergangenheit klingt und an den bekannten<br />

Haigerloch-Roman der 20er Jahre „Am Torwartshäuschen"<br />

erinnert. Dieses Torwartshaus besteht nicht mehr,<br />

nur die Scheune mit eingebautem, seit Jahren leeren Stall<br />

steht noch da, wo einst zwischen den beiden hirschbekrönten<br />

Säulen, die auch noch da sind, am Beginn des<br />

Wildparks Josefslust die Straße nach Krauchenwies ging.<br />

Das war noch nicht die L 456 von Sigmaringen am<br />

Friedhof vorbei nach Krauchenwies, sondern das war<br />

vom Runden Turm in der Stadt den steilen Josefsberg<br />

hinauf ein miserabler Weg, der später vom „Ochsenberg"<br />

abgelöst wurde, welche Bezeichnung für die Josefi-<br />

werdenbergische Zeit, und hier spielt eine ganz große<br />

Rolle die Feindschaft zwischen Sigmaringen und Meßkirch,<br />

Werdenberg und Zimmern, die auf dem Tiefpunkt<br />

zimmernschen Unglückes soweit führte, daß Sigmaringen<br />

die Stadt und Grafschaft Meßkirch besetzte. In jene Zeit<br />

fällt unter anderem auch die dramatische Erzählung, wie<br />

ein Zimmern einen Werdenberger um die Stadt Sigmaringen<br />

herumjagt, die heutige Antonstraße entlang -<br />

das war alles Wiesen oder Gartenland bis nach Hedingen<br />

hinaus - und wie der Gejagte durch ein enges Pförtlein<br />

gerade noch ins Kloster Hedingen kommt, so daß man<br />

nachher fast an ein Wunder glaubte, wie Roß und Reiter<br />

durch einen so winzigen Einlaß im vollen Gallopp unbeschädigt<br />

hindurchkamen.<br />

So gibt es Geschichten aus Hechingen und aus Ebingen,<br />

von Trochtelfingen viel und vom Kloster Wald, und<br />

über die Fülle des historischen Materials hinaus macht<br />

schließlich dies den Reiz der Chronik aus, daß wir heute<br />

noch durch dieselben Straßen gehen, zum großen Teil<br />

noch dieselben Gebäude sehen oder doch wissen, wo die<br />

beschriebenen einst standen, wo auch jene gingen, was<br />

auch jene sahen; ein Eindruck, der sich bis zur Gänsehaut<br />

steigern kann, so, wenn man zwischen den Bronce-<br />

Epitaphien der Zimmern und der „Anbetung der Könige"<br />

in Sankt Martin zu Meßkirch steht und weiß, daß im<br />

Auftrag jener Toten der „Meister von Meßkirch" dieses<br />

Bild malte; oder erst recht, wenn die Glocke auf dem<br />

Wildenstein mit ihrem scheppernden Klang ertönt, die<br />

Graf Gottfried Werner jahrelang täglich zu Messe und<br />

Andacht rief, und die ihm nachläutete, als er zum letztenmal,<br />

im Gefühl des nahenden Todes vom Wildenstein<br />

nach Meßkirch hinüberritt und zu seinen Leuten sagte:<br />

den Wildenstein sehe ich heute zum letztenmal..<br />

nenstraße immer noch gebraucht wird. Der Name kam<br />

vom Ochsenvorspann, den man brauchte, um Fuhrwerke<br />

hinaufzubringen, bis beim heutigen Sägewerk Steidle der<br />

Weg dann weniger steil ansteigt. Die Fuhrleute durchfuhren<br />

also ein Stück des Wildparks, und wurden daher<br />

vom Torwart von Josefslust aus- und eingelassen. Daß<br />

der Wildpark soweit nach Osten reichte (was er nicht<br />

mehr tut), hat die verzweifelte Umwohnerschaft sogar<br />

bis zu einer Delegation nach Wien zu Maria Theresia getrieben.<br />

Und wenn demnächst die neue Trasse bis zu den<br />

Laizer Wiesen herab gebaut wird, verschwindet das ganze<br />

Idyll „am Torwartshaus", mit dem Wohnhäusle, dem<br />

schönen alemannischen Scheunenhaus, dem Kastanienbaum<br />

und dem Brunnen, an dem wir als Buben tranken,<br />

vollkommen von der Bildfläche.<br />

Ein anderes Beispiel: vor 50 Jahren las man noch in<br />

Bruno Stehles Lesebüchern für die hohenzollerischen<br />

Volksschulen von dem Fuhrmann, der spät von Jungnau<br />

nach Sigmaringen fuhr, ein Gespenst aufsitzen ließ, ohne<br />

daß er wußte, was für einen Fahrgast er hatte, der ihm<br />

dann zum Dank heimlich die Geldkatze öffnete, so daß<br />

die Taler herausfielen und der Mann nachts noch einmal<br />

den ganzen Weg zurückfahren mußte, um sie bis Jungnau<br />

aufzusammeln. Das war keineswegs die unfallträchtige<br />

Rennbahn durch das Jungnauer Ried, die vorhin<br />

genannte B 32, sondern ein auf Karten gelegentlich<br />

als Römerweg eingetragener Waldweg, der auf der Südseite<br />

von Jungnau sich in einiger Höhe über dem Ried<br />

entlangwindet und beim Nollhof auf der kleinen Paßhöhe<br />

in die heutige B 32 einmündet. Ein Fuhrmann mit rü-<br />

63


stigen Pferden brauchte nach Sigmaringen wohl eine<br />

Stunde, das Auto, bei den Geschwindigkeiten, die gerade<br />

da gefahren werden, vielleicht fünf Minuten.<br />

Ein drittes Beispiel liegt den Heimatfreunden derzeit<br />

schwer im Magen: eine andere Römerstraße, das Hochstraß,<br />

Teil der alten römischen Straße von Stein am<br />

Rhein an Meßkirch vorbei über Laiz und Winterlingen<br />

bis nach Rottenburg, soll ausgebaut werden. Die neue<br />

Straße soll von Straßberg heraufsteigen bis in die Nähe<br />

der Fürstenhöhe, unterhalb ihrer diese Römerstraße einnehmen<br />

bis zu einem Punkt beim sogenannten Weintal<br />

und von da in einer breiten, in die Wälder zu schlagenden<br />

Schneise zum genannten Nollhof weiterführen. Dies<br />

bedeutet einen Straßenbau in bisher weithin unberührter<br />

Landschaft, wo nur Bauern, Waldarbeiter und Albvereinler<br />

zu finden sind. Von der Fürstenhöhe bis Laiz ist<br />

die Straße übrigens auf mehreren Stücken bereits geteert,<br />

wenn auch nicht verbreitert worden.<br />

Saxa loquuntur, die Steine reden, für den, der ein wenig<br />

die Geschichte kennt. So ist allerdings den Wenigsten bekannt,<br />

daß der wüste Bauplatz am neuen Kreiskrankenhaus<br />

auf dem Dettinger Berg östlich von Sigmaringen,<br />

wo Baumaschinen stehen und Material sich türmt, einmal<br />

ein römischer Gutshof war. Der Flur heißt: auf den Steinenäckern,<br />

und die Villa rustica lag gerade dort, wo bisher<br />

der Feldweg nördlich des Dettinger Berges umbog zu<br />

den Sieben Krisenbäumen. Aus dem Feldweg wird eine<br />

Viele unserer Leser warten schon lange darauf,<br />

aber nun ist es wirklich so weit: Wir müssen den<br />

Bezugspreis erhöhen. Die „Hohenz. Heimat" kostet<br />

in Zukunft halbjährlich DM 3.00. Es sind wirklich<br />

nur die reinen Druckkosten, die Sie als Leser<br />

bezahlen. Weder Autoren, noch die Schriftleitung<br />

bekommen ein Honorar. Deshalb sind wir sicher,<br />

daß Sie für die Maßnahme Verständnis haben.<br />

neue Straße, die immerhin Hohenzollern-Straße heißen<br />

wird, aber von dem Gutshof verwischt sich jede Spur.<br />

Wer wissen will, wie er aussah, möge in den „Kunstdenkmälern<br />

Hohenzollerns" Band 2, Seite 490 nachsehen.<br />

Dort findet man eine Rekonstruktion.<br />

Manchmal reden die Steine aber auch nicht, wo man<br />

meinen sollte, ihre Sprache zu hören, und dieses letzte<br />

Beispiel betrifft nicht einen Straßen- sondern den Bau<br />

der Erweiterung der Hohenzollerischen Landesbank,<br />

wiederum in Sigmaringen. An der offenen Baugrube<br />

stand unser verewigter Freund Johann Jerg, der Bodendenkmalpfleger<br />

des Kreises, tagelang, denn hier mußte<br />

die alte Sigmaringer Stadtmauer in nordöstlicher Richtung<br />

gezogen sein. Jerg fand aber auch nicht einen Stein<br />

von ihr. Quandoque saxa tacent, manchmal schweigen<br />

die Steine - offenbar.<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

herausgegeben vom Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

in Verbindung mit den Staatlichen<br />

Schulämtern. Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong><br />

<strong>Geschichtsverein</strong> 748 Sigmaringen,<br />

Karlstr. 3. Druck: M. Liehners Hofbuchdruckerei<br />

KG, 748 Sigmaringen, Karlstr. 10.<br />

Die Zeitschrift „Hohenzollerische Heimat"<br />

ist eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie<br />

will besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />

mit der Geschichte ihrer Heimat<br />

vertraut machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />

auch populär gehaltene Beiträge<br />

aus der Geschichte unseres Landes.<br />

Sie veröffentl. bevorzugt Beiträge, die im<br />

Schulunterricht verwendet werden können.<br />

Bezugspreis: 3,00 DM halbjährlich<br />

Konten der „Hohenzollerischen Heimat":<br />

802 507 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />

123 63 Postscheckamt Stuttgart<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

Dr. Maren Kuhn-Rehfus, Staatsarchivassessorin,<br />

748 Sigmaringen<br />

Stephan Wiest, Oberstudiendir. a. D.,<br />

745 Hechingen, Ludwig-Egler-Str. 12<br />

Manfred Hermann, Pfarrer,<br />

7451 Neufra/Hhz.<br />

Josef Mühlebach, Landesverw.-Rat<br />

a. D., 748 Sigmaringen, Leopoldstr. 41<br />

Johann Adam Kraus, Erzb. Archivar<br />

i. R., 78 Freiburg/Br., Badstraße 2<br />

Walther Frick, Journalist, 748 Sigmaringen,<br />

Hohe Tannen 4<br />

Joh. Wannenmacher, Schulrat i. R.,<br />

7487 Gammertingen, Goethestraße<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth<br />

7487 Gammertingen<br />

Wo man nachschlagen kann<br />

In der letzten Nummer der Hohenzollerischen Heimat<br />

hat der Betreuer der Hohenzollerischen Landesbücherei,<br />

Herr Josef Mühlebach, in dankenswerter Weise darauf<br />

hingewiesen, daß diese Sammlung jetzt im Besitz des<br />

Landkreises und räumlich in der Obhut des Fürstlich<br />

Hohenzollernschen Haus- und Domänenarchives ist. Er<br />

wies auch darauf hin, daß die geschichtlichen und landeskundlichen<br />

Schriften der Umgebung hier zu finden<br />

sind. Diese Feststellungen dürfen dahin erweitert werden,<br />

daß es mitunter geradezu abenteuerlich ist, den<br />

Querverbindungen nachzugehen. Auch ist es angebracht,<br />

darauf zu verweisen, daß es wiederum Herr Mühlebach<br />

selber (und wahrscheinlich auch allein) ist, der ungezählte<br />

solcher Verbindungen im Kopf hat und einem daher<br />

weiterhelfen kann.<br />

Für das Erstere möchte ich anführen, daß die vielleicht<br />

umfassendste Veröffentlichung über die Geschichte der<br />

Stadt Meßkirch sich befindet, wo man sie gewiß nicht<br />

sucht: in einer Festschrift zum 70. Geburtstag des Fürsten<br />

Max Egon zu Fürstenberg aus dem Jahre 1933.<br />

Sieht man sich den Herausgeber an, kommt man der Sache<br />

näher: „Verein für Geschichte und Naturgeschichte<br />

der Baar und der angrenzenden Landesteile in Donaueschingen"<br />

heißt es da. Das bedeutet, man muß solchen<br />

Nebensätzen nachgehen wie hier: „und der angrenzenden<br />

Landesteile", wobei allerdings Meßkirch und seine<br />

Umgebung ein wenig kühn zum Angrenzer der Baar gemacht<br />

wurde. - Im gleichen Heft übrigens auch eine in<br />

Hohenzollern ebenfalls interessierende erschöpfende Behandlung<br />

des Streites um die Frage, wie viele Quellen die<br />

Donau hat; ein Streit von beiläufig zweitausend Jahren.<br />

Für die Behauptung, daß der Bibliothekar Hohenzollerns<br />

so viele Dinge im Kopf hat, darf folgendes angeführt<br />

werden: die Burg Falkenstein wird gegenwärtig, wie<br />

man aus den Tageszeitungen ersehen konnte, von einem<br />

neugegründeten Verein wieder einigermaßen hergerichtet.<br />

Dieser wandte sich an den Schreiber dieses um nähere<br />

Hinweise zur Geschichte, und ich selber geriet über<br />

den allezeit paraten Zingeler-Buck „Burgen und Schlösser"<br />

von 1907 nicht hinaus. Herr Mühlebach aber spürte<br />

in den „Blättern des Schwäbischen Albvereins" und in<br />

Veröffentlichungen eines badischen <strong>Geschichtsverein</strong>s sowohl<br />

Veröffentlichungen als auch Zeichnungen zur Rekonstruktion<br />

auf; solcher Fälle gibt es viele. Das Elend<br />

mit der Heimatkunde kann gerade in der Fülle des seit<br />

hundert Jahren Veröffentlichten liegen, das eben zwar<br />

gedruckt in Regalen steht, aber man muß es wissen, sonst<br />

ackert jemand im Jahre <strong>1975</strong> wieder mühsam aus, was ein<br />

anderer vielleicht schon vor 50 Jahren fand und darlegte.<br />

Zum vielseitigen Bibliothekar, den wir zum Glück haben,<br />

muß daher auch noch eigenes Glück kommen — wenn es<br />

kommt! Fortuna ist ein launisches Weib. Frick<br />

Redaktionsausschu ß:<br />

Hubert Deck, Konrektor<br />

745 Hechingen, Tübinger Straße 28<br />

Telefon (07471) 2937<br />

Walther Frick, Journalist<br />

748 Sigmaringen, Hohe Tannen<br />

Telefon (07571) 8341<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />

die persönliche Meinung der Verfasser<br />

wieder; diese zeichnen für den Inhalt<br />

der Beiträge verantwortlich. Mitteilungen<br />

der Schriftleitung sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters<br />

oder Redaktionsausschusses erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die „Hohenzollerische<br />

Heimat" weiter zu empfehlen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!