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16 Die 50. Ausgabe der «mänziger zytig» − etwas Besonderes? 26

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Kurs auf sich selbst<br />

Foto-Qelle: Google<br />

— Edi Häfliger —<br />

KURZGESCHICHTE<br />

Daniel Küppers hatte wie<strong>der</strong> einmal die Hektik <strong>der</strong><br />

Bel Etage hinter sich gelassen und war in die Berge<br />

geflüchtet. Genauer gesagt in ein einsames Tal, dessen<br />

spärliche Besucher noch heute nicht einmal ihren<br />

besten Freunden erzählen, wo es zu finden ist. Er<br />

hatte es vor Jahren zufällig entdeckt. Und seither<br />

hatte ihn die Sehnsucht nach diesem Stück Erde nie<br />

verlassen. Wie<strong>der</strong> war er in <strong>der</strong> bescheidenen, von<br />

ein paar verschworenen Frauen geführten Herberge<br />

abgestiegen. Hier genoss er ihre Gastfreundschaft,<br />

dazu die üppige Blütenpracht, die ihm <strong>der</strong> Bergfrühling<br />

unter dem makellos blauen Himmel bescherte.<br />

Tagsüber las er sich wie gewohnt durch philoso-<br />

Oktober/November 07 mänziger zytig Nr. 50 22<br />

Oktober/November 07 mänziger zytig Nr. 50 2<br />

phische Bücher, von denen die Herberge eine erstaunliche<br />

Sammlung besass.<br />

Nachts lockte ihn manchmal ein gottverlassenes Seitental.<br />

So auch in dieser Vollmondnacht. Der Zugang<br />

war nur durch eine schwierig zu findende, äusserst<br />

enge Felsspalte zu schaffen. Sie liess nur gerade<br />

einem tiefen Bergbach und einem fussbreiten Pfad<br />

Platz. Dahinter öffnete sich eine wilde Landschaft<br />

mit schroffen Felswänden, vereinzelten Arven und<br />

gewaltigen, heruntergestürzten Felsbrocken. Ausser<br />

dem Rauschen des Bergbaches war in <strong>der</strong> nächtlichen<br />

Stille so gut wie nichts zu hören. Am tiefschwarzen<br />

Himmel hing übergross <strong>der</strong> Vollmond. Er<br />

KURZGESCHICHTE<br />

war von einem imposanten Sternenmeer umgeben,<br />

so wie es nur in den Bergen zu erleben ist. Weit hinten<br />

im Tal gespenstisch beleuchtet vom fahlen Mondlicht<br />

verbarrikadierte ein mächtiger Gletscher das<br />

Weiterkommen.<br />

Mit tiefer Ehrfurcht und grosser Dankbarkeit liess<br />

sich Daniel einen Moment von dieser einzigartigen<br />

Kulisse überwältigen. Dann begann er auszuschreiten.<br />

Als er nach geraumer Zeit gerade einen mächtigen<br />

Steinbrocken umgangen hatte, drang rhythmischer<br />

Trommelschlag an seine Ohren. Er folgte den dumpfen<br />

Lauten und entdeckte kaum einen Steinwurf<br />

entfernt eine schwach leuchtende Glut. Beim Näherkommen<br />

löste sich eine am Boden kauernde Gestalt<br />

aus <strong>der</strong> Dunkelheit. Es war eine Frau mit schlohweissem<br />

Haar, die in einen braunen Überwurf gehüllt<br />

war und vor den Resten glimmen<strong>der</strong> Holzkohle sass.<br />

Mit einem glattgescheuerten Krummholz schlug sie<br />

auf eine Art Kürbistrommel und liess dazu einen monotonen<br />

Singsang hören. Ihr zerfurchtes Antlitz war<br />

dem Vollmond zugewandt. In respektvollem Abstand<br />

setzte sich Daniel <strong>der</strong> Alten gegenüber. Sie schien<br />

ihn überhaupt nicht wahrzunehmen.<br />

Allmählich verband sich sein Herzschlag mit dem<br />

Trommelrhythmus. Trommel und Singsang versetzten<br />

ihn in tiefe innere Ruhe. Und seine Sinne wurden<br />

hellwach. Der Duft von wildem Thymian und an<strong>der</strong>n<br />

Kräutern stieg ihm in die Nase. Er hörte, wie <strong>der</strong><br />

Bergbach in seinem Bett die Kiesel bewegte. Aus <strong>der</strong><br />

Ferne vernahm er den Ruf einer Eule. Auch glaubte<br />

er, den Atem <strong>der</strong> Erde zu spüren.<br />

Unvermittelt brach die Alte ihr Ritual ab, wandte<br />

sich Daniel mit einem durchdringenden Blick zu und<br />

überraschte ihn mit <strong>der</strong> Frage:<br />

«Warum suchst du, was du schon gefunden hast?»<br />

Aus <strong>der</strong> Versunkenheit gerissen gelang Daniel nur<br />

ein stotterndes: «Ich verstehe nicht.»<br />

«Bist du nicht wie schon oft deinem Alltag entflohen,<br />

um wie ein Schwärmer dem Kosmos dieses Tals neuen<br />

Lebenssinn abzubetteln, anstatt ihn dir selber zu erarbeiten?»<br />

«Ich will doch nur meine Ruhe haben und mich erholen.»<br />

«Und dabei kein bisschen weiser werden?»<br />

«Was sollte ich denn tun?»<br />

«Nimm das Atemerlebnis von eben mit in den Alltag<br />

und übe unablässig.»<br />

«Ist das alles?»<br />

«Es genügt!»<br />

Nach diesen Worten verschwand die Alte samt Trommel<br />

und Feuer im Nichts und liess den verblüfften<br />

Daniel Küppers allein. Entgeistert blickte er auf die<br />

Stelle, wo eben noch die weise Frau gesessen hatte.<br />

Tief in seinem Innern spürte er immer noch den Trommelrhythmus,<br />

wie er seinen Herzschlag und Atem leitete.<br />

Langsam stand er auf und machte sich wie ein<br />

an<strong>der</strong>er Mensch auf den Weg zurück zur Herberge,<br />

wo er sich gleich hinlegte und im tiefen Frieden mit<br />

sich selbst in einen ruhigen Schlaf fiel. Im Traum erschien<br />

ihm nochmals die Weise. Sie legte eine Hand<br />

auf seine Schulter und ermahnte ihn, seine Umwelt<br />

nun intensiver wahrzunehmen und dabei ruhig dem<br />

Atem zu folgen.<br />

Am an<strong>der</strong>n Morgen wachte er später auf als sonst.<br />

Beim Frühstück holte ihn das nächtliche Ereignis wie<strong>der</strong><br />

ein. Ruhig atmen. Ist das wirklich alles?<br />

Es blieben ihm nur noch wenige Ferientage. <strong>Die</strong> nächtlichen<br />

Ausflüge unterliess er. Und statt sich nur gescheiten<br />

Büchern zu widmen, lag er einfach da in<br />

seinem Liegestuhl und spann neue Fäden für sein<br />

Leben. So tief hatte ihn die Auffor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> weisen<br />

Frau bewegt.<br />

Zurück auf <strong>der</strong> Management-Etage übte er in den Sitzungen<br />

immer wie<strong>der</strong>, seinen Atem zu beruhigen. Vor<br />

allem dann, wenn die Diskussionen heftig geführt<br />

wurden. Manchmal vergass er sich und verfiel in die<br />

alte Gewohnheit, laut und angriffslustig zu debattieren.<br />

In solchen Momenten tauchte unvermittelt die<br />

Weise vor ihm auf und ermahnte ihn mit einem gütigen<br />

Blick. Ab und zu äusserten Kollegen sich, dass er<br />

neuerdings eine wohltuende Ruhe ausstrahle, die bei<br />

ihm früher nicht zu spüren gewesen sei.<br />

Foto-Qelle: Google

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