NJW Neue Juristische Wochenschrift
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Beilage <strong>NJW</strong> 2001, Heft 14 37*<br />
den entsprechenden Inhalt 392 . Øuûerst zweifelhaft ist die Auffassung<br />
des Gerichts, dass der E-Mail-Empfånger sich einen solchen<br />
Provider suchen mçsse, um die Nachteile unerwçnschter umfangreicher<br />
Mailings zu vermeiden. Im Berufungsurteil ist das<br />
LG Kiel auf diese Erwågungen der erstinstanzlichen Entscheidung<br />
nicht zurçck gekommen, sondern hat ausfçhrlich Art. 10<br />
Fernabsatz-Richtlinie als Schutzgesetz i. S. von § 823 II BGB geprçft<br />
sowie datenschutzrechtliche Ûberlegungen angestellt, hieraus<br />
jedoch mangels ausdrçcklicher Annahmeverweigerung<br />
keine Rechtswidrigkeit hergeleitet. Werde in einer unverlangt<br />
çbersandten E-Mail ein nach § 145 BGB rechtlich bindendes<br />
Angebot zum Abschluss eines Vertrags gemacht, liege keine<br />
bloûe Werbung sondern eine rechtlich zulåssige Erklårung vor.<br />
Nach Auffassung des LG Braunschweig ist die Zusendung<br />
von Werbe-E-Mails ohne vorhergehende Aufforderung<br />
entsprechend den in der Fernabsatz-Richtlinie393 (FARL) enthaltenen Wertungen nur dann sittenwidrig,<br />
wenn der Empfånger die Werbung offenkundig abgelehnt<br />
hat, nicht jedoch bereits wegen einer unzumutbaren Inanspruchnahme<br />
der Ressourcen des Empfångers. Dem Empfånger<br />
von Werbe-E-Mails, die dieser nach dem Besuch<br />
einer Homepage erhålt, sei zuzumuten, an den Versender<br />
der Werbung eine E-Mail zu senden, mit der er sich aus<br />
dem weiteren Versand austrågt394 .<br />
Das LG Berlin (15. Zivilkammer) hat Zweifel, ob die<br />
Fernabsatz-Richtlinie çberhaupt auf die unerlaubte Zusendung<br />
von Werbe-E-Mails anwendbar ist395 , und sieht<br />
in der unaufgeforderten Zusendung von Werbe-E-Mails<br />
an Gewerbetreibende wegen der entstehenden Kosten fçr<br />
den Empfånger einen unzulåssigen Eingriff in das Recht<br />
am eingerichteten und ausgeçbten Gewerbebetrieb. Darçber<br />
hinaus hålt die 16. Zivilkammer des LG Berlin unaufgeforderte<br />
E-Mails an Geschåftsadressen auch dann fçr<br />
unzulåssig, wenn sie nur versandt werden, weil sich der<br />
Empfånger oder Dritte in eine Mailingliste des Absenders<br />
eingetragen hat396 ; die Beweislast dafçr, dass die Eintragung<br />
in die Liste tatsåchlich vom Inhaber des E-Mail-<br />
Accounts erfolgt ist, trage der Betreiber des Newsletters.<br />
Der BGH hat in seiner Entscheidung ¹Telefonwerbung<br />
VI``397 in einem obiter dictum zutreffend ausgefçhrt,<br />
die Richtlinie 97/7/EG enthalte nur eine Mindestregelung,<br />
die den Mitgliedstaaten grds. einen weiter gehenden<br />
Schutz der Verbraucher frei stelle. Dieser Schutz kann<br />
nicht nur durch den Erlass oder das Aufrechterhalten<br />
neuer verbraucherschçtzender gesetzlicher Bestimmungen<br />
bewirkt werden, sondern auch durch das Aufrechterhalten<br />
einer bisherigen innerstaatlichen Rechtsprechung.<br />
Rçckschlçsse von einem mangelhaften Schutz des Empfångers<br />
unverlangter Werbung durch die Fernabsatz-<br />
Richtlinie auf das Nichtbestehen einer Verletzung eines<br />
Schutzgesetzes i. S. von § 823 II BGB und damit auf eine<br />
nicht vorhandene Rechtswidrigkeit der Werbemaûnahme398<br />
sind deshalb unzulåssig399 . Unzutreffend sind<br />
aus den gleichen Grçnden auch die Ûberlegungen des LG<br />
Braunschweig400 zu den Wertungen der Fernabsatz-Richtlinie.<br />
Ebenfalls sind die Erwågungen des LG Berlin zur<br />
Frage der Anwendbarkeit der Fernabsatz-Richtinie401 obsolet.<br />
Ob die Fernabsatz-Richtlinie in Einklang steht mit der bisherigen<br />
deutschen Rechtsprechung zur Wettbewerbswidrigkeit unverlangter<br />
Werbung, war Gegenstand gesetzgeberischer Ûberlegungen<br />
anlåsslich der Umsetzung in nationales Recht durch das<br />
Fernabsatzgesetz. Art. 10Fernabsatz-Richtlinie enthålt Beschrånkungen<br />
der Verwendung bestimmter Fernkommunikationstechniken<br />
in Marketing und Vertragsanbahnung. Lediglich<br />
die Kommunikation mit Automaten als Gespråchspartner402 sowie<br />
der Telefax-Einsatz bedçrfen der vorherigen Zustimmung<br />
des Verbrauchers. Im Ûbrigen sollen die Mitgliedstaaten dafçr<br />
Sorge tragen, dass Fernkommunikationstechniken, die eine individuelle<br />
Kommunikation erlauben, nur dann verwendet werden<br />
dçrfen, wenn der Verbraucher ihre Verwendung nicht offenkun-<br />
dig abgelehnt hat. Das grundsåtzliche Verbot fçr Voice-Mailund<br />
Telefax-Werbung wird als ¹Opt-in``-Læsung bezeichnet im<br />
Gegensatz zur ¹Opt-Out``-Læsung z. B. fçr E-Mails. Im Gesetzgebungsverfahren<br />
wurde kein Umsetzungsbedarf gesehen, weil<br />
Art. 10Fernabsatz-Richtlinie lediglich einen Mindeststandard<br />
vorsieht. Die Mitgliedstaaten dçrfen gemåû Art. 14 S. 1 Fernabsatz-Richtlinie<br />
Bestimmungen erlassen oder aufrecht erhalten,<br />
die ein hæheres Schutzniveau fçr den Verbraucher sicher stellen,<br />
also çber Opt-out hinaus gehen. Folgt man dieser Ansicht, so ist<br />
die Rechtsprechung, die ein Absenken des Schutzniveaus aufgrund<br />
der Fernabsatz-Richtlinie fçr geboten erachten, unzutreffend.<br />
Darçber hinaus gehend sieht die E-Commerce-Richtlinie<br />
im Rahmen der Ausgestaltung der Opt-Out-Læsung die Schaffung<br />
von sog. ¹Robinson-Listen`` vor. Nach dem Vorbild traditioneller<br />
Werbemethoden soll fçr den Verbraucher die Mæglichkeit<br />
geschaffen werden, seine generelle Ablehnung unverlangter<br />
E-Mail-Werbung durch Eintragung in eine solche Liste zum Ausdruck<br />
zu bringen. Gegen das Erfordernis, aufgrund Art. 10<br />
FARL das gegenwårtige Schutzniveau der deutschen Rechtsprechung<br />
zu senken, spricht auch Erwågungsgrund 17 S. 3 FARL,<br />
wonach die Mitgliedstaaten die geeigneten Maûnahmen ergreifen<br />
sollten, um die Verbraucher ohne Beeintråchtigung des Datenschutzes<br />
vor unerwçnschten Kontaktaufnahmen durch bestimmte<br />
Kommunikationsmittel zu schçtzen. Hierzu kommt das<br />
ausdrçckliche Wahlrecht der Mitgliedstaaten zwischen der Opt-<br />
In-Læsung und der Opt-Out-Læsung nach Art. 12 ISDN-Datenschutz-Richtlinie<br />
403 . Fçr den Vorrang des nationalen Rechts<br />
spricht auch, dass Anhang II zur E-Commerce-Richtlinie insoweit<br />
eine Ausnahme vom Herkunftslandprinzip des Art. 3 vorsieht.<br />
Allerdings hat der BGH zur Zulåssigkeit vergleichender<br />
Werbung entschieden, ein Verhalten, das der europåische Gesetzgeber<br />
als grundsåtzlich zulåssig bezeichnet habe, kænne nicht als<br />
Verstoû gegen die guten Sitten angesehen werden 404 . Hier ging es<br />
jedoch um den Fall, dass die Richtlinie eine abschlieûende Regelung<br />
getroffen hat und nicht etwa wie Art. 14 FARL eine<br />
Mindestniveauklausel enthålt. Art. 22 E-Commerce-Richtlinie in<br />
Verbindung mit dem Anhang berechtigt die Mitgliedstaaten,<br />
strengere Maûnahmen gegen unverlangte Werbesendungen vorzusehen,<br />
mithin auch, wie die deutsche Rechtsprechung, unverlangte<br />
Werbung ganz zu untersagen 405 .<br />
Der deutsche Gesetzgeber hat deshalb bislang keinen<br />
Umsetzungsbedarf im Hinblick auf § 1 UWG und die<br />
392) Dies hångt damit zusammen, dass das seit Jahren eingefçhrte<br />
POP3-Protokoll (Post Office Protocol Version 3) die komplette Ûbertragung<br />
des Inhalts auf den E-Mail-Client vorsieht, wåhrend das neuere<br />
z. T. auch von kostenlosen E-Mail-Servern eingesetzte Protokoll IMAP4<br />
(Interactive Mail Access Protocol Version 4) darauf aufbaut, dass der<br />
E-Mail-Server die Daten gespeichert hålt und nur auf Wunsch Kopien<br />
an den Client çbermittelt. Fçr werbebasierte Server hat dies den Vorteil,<br />
dass der Kunde bei jedem Aufruf von E-Mails das mit Werbung versehene<br />
Portal des Serverbetreibers aufrufen muss. Fçr den Nutzer besteht<br />
der Vorteil darin, leicht von beliebigen ans Internet angeschlossenen<br />
Rechnern ± und damit auch von WAP-Handys ohne integrierte Speichermæglichkeiten<br />
auf einer Festplatte ± jederzeit auf die eingegangenen<br />
E-Mails zugreifen zu kænnen.<br />
393) Richtlinie 97/7/EG des Europåischen Parlaments und des Rates<br />
v. 20. 5. 1997 çber den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlçssen im<br />
Fernabsatz, ABlEG Nr. L 144 v. 4. 6. 1997, S. 19; Abdruck in <strong>NJW</strong><br />
1998, 212.<br />
394) LG Braunschweig, MMR 2000, 50 = <strong>NJW</strong>-CoR 2000, 235 L<br />
m. Anm. Rein = <strong>NJW</strong>-RR 2000, 924.<br />
395) LG Berlin, MMR 2000, 441.<br />
396) LG Berlin, K&R 2000, 517; nicht rkr., das KG fçr die Berufung<br />
unter Az.: 5 U 6727/00.<br />
397) BGH, MMR 2000, 607 m. Anm. Hoffmann = WRP 2000, 722<br />
= MDR 2000, 962 m. Anm. Vehslage = CR 2000, 596 = GRUR 2000,<br />
818.<br />
398) So aber LG Kiel, MMR 2000, 704.<br />
399) Nåher: Verf., MMR 2000, 609.<br />
400) Vgl. <strong>NJW</strong>-RR 2000, 924 = MMR 2000, 50 = <strong>NJW</strong>-CoR 2000,<br />
235.<br />
401) LG Berlin, <strong>NJW</strong>-RR 2000, 1229 = MMR 2000, 441.<br />
402) Voice-Mail-System.<br />
403) Richtlinie 97/66/EG des Europåischen Parlaments und des Rates<br />
v. 15. 12. 1997 çber die Verarbeitung personenbezogener Daten und<br />
den Schutz der Privatsphåre im Bereich der Telekommunikation, ABlEG<br />
L 24, S. 1.<br />
404) BGH, <strong>NJW</strong> 1998, 2208 (2212).<br />
405) Vgl. auch Mayer/Winkler, <strong>NJW</strong>-CoR 2000, 310; Schmitz,<br />
MMR 2000, 396 (404); Hoeren, MMR 1999, 192 (195).