Duch zakladatelů - Collegium Bohemicum

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Viele dieser Arbeitskämpfe wurden auf Grund ihrer monatelangen Dauer oder wegen der durch sie ausgelösten Reformdiskussionen zu einem historischen Ereignis. Was bedeutete es für eine(n) Streikteilnehmer(in), eine Postkarte mit ihrem Konterfei an Freunde und Verwandte zu schicken: „Herzliche Grüße vom Streik in ...“? Wenn man gar mit einem der ganzen Nation bekannten Streikführer, einem Bürgermeister oder Abgeordneten, gar mit Jean Jaurès oder mit Vincent Auriol, dem späteren Präsidenten der IV. Republik, zusammen abgelichtet worden war?. Am deutlichsten hatten die Pariser Parkettleger ihren Wunsch, beim Generalstreik der Pariser Bauarbeiter 1898 formuliert, als sie, ohne jegliche eigene Forderung anzumelden, erklärten, sie hätten auf keinen Fall „diese grandioseste Demonstration der Welt“ verpassen wollen. 13 Oral-history-Studien haben gezeigt, dass „die große Streikzeit“ (an der Saar 1889-1893) 14 oder ähnliche Ereignisse noch heute im kollektiven Gedächtnis der Nachkommen lebendig sind. Gewiss hat der Streik etwas Demonstratives, Expressives, das die Alltagsroutine unterbricht. Man stellt sich auf wie beim Klassenfoto und schreibt nicht nur Grüße aus dem Streikgebiet, sondern: „Die Kinder von Mazamet-Graulhet sind alle Brüder. Unvergeßliche Streiks.“ Aber auch das ist anzumerken: Hier wurde die brutale Kehrseite des Arbeitskampfs verdeckt: dass die Hilfsgelder verbraucht und die Streikführer entlassen sind, dass man hungert und der Armenunterstützung ausgeliefert ist oder gar die Kinder in hilfsbereite Arbeiterstädte verschicken muss. Schließlich spielt auch Angst eine Rolle: Angst vor Maßregelungen, vor dem Verlassen der angestammten Heimat oder vor den Arbeitgebern, die sich gegen sogenannte Rädelsführer(innen) verschworen haben. Nicht weniger drohte auch das Absinken ins Nomadentum der Hausierer und der Nichtsesshaften. Dies konnte durchaus ein Motiv sein, vo rdem Schnappschussfotografen das Gesicht zu verbergen. Aber auch hier konnte wie bei der „soupe communiste“, bei dem Auszug der Kinder oder bei ihrer Rückkehr aus der Not eine Tugend gemacht werden: Man gestaltete das Ereignis zu einer Art Triumphzug oder gar als Sieg (zumindest der Solidarität), selbst wenn die Streikziele nicht erreicht wurden. An manchen Stellen gelangt jedoch auch die Misere des Proletarierelends auf die Platte des Fotografen: die Armen von St. Quentin, die auf die Suppe warten, oder die übertage arbeitenden Kohleverleserinnen, die (aus Scham? Angst vor Entlassung?) ihre Gesichter 13 Noiriel, Les ouvriers, S. 106. 14 Horst Steffens, „Eher hätte man des Himmels Einsturz erwartet ...” Die große Streikzeit 1889–1893, in: K.-M. Mallmann u. a. (Hrsg.), Richtig daheim waren wir nie. Entdeckungsreisen ins Saarrevier 1815–1955, Bonn 1987 (dort auch andere Beispiele). Für lokale Erinnerung an die Weltkriegsstreiks in Braunschweig, Boll, Massenbewegungen, S. 217 ff. 30

abwenden 15 oder die in der ersten Reihe des Demonstrationszugs marschierenden Knopfarbeiterinnen aus Méru. 16 Deutschland In Deutschland überwiegen die künstlerisch gestalteten Postkarten überwiegend allegorischen oder auch satirischen Inhalts, die wiederum ergänzt werden durch eine große Anzahl von ordentlich „gestellten“ Gruppenfotos insbesondere der Gewerkschaftsfunktionäre oder – gelegentlich – auch der Streikenden. Auftraggeber sind durchweg die Gewerkschaftsverbände selbst. Dokumentarische Postkarten, die direkt auf die Streikenden Bezug nehmen und daher über spezifische Mentalitätsäußerungen der Arbeiterschaft Auskunft geben, sind außerordentlich selten. Einige Postkarten zeigen meist ruhig verharrende Gruppen von Bergarbeitern (im Mansfeldischen oder an der Ruhr). Für die durch öffentlich Repression gekennzeichnete Situation in Deutschland kennzeichnend sind die beiden einzigen bekannt gewordenen Fotopostkarten: Eine Postkarte zeigt eine Gruppe von Bergarbeitern, die den polizeilichen Schießbefehl studiert, die andere bildet fliehende Personen ab, die von der Polizei von einer Straße geräumt werden. Ein weiteres Einzelstück ist der Paragraphenreiterei gewidmet: Dadurch sollte die schikanöse Praxis deutscher, antigewerkschaftlicher Rechtsprechung bloßstellen, durch die das Streikpostenstehen immer wieder als „Verkehrshindernis“ und „Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung“ kriminalisiert wurde. Zumindest eine kleine Serie von dokumentarischen Postkarten geht direkt auf das Streikgeschehen ein und hat die große, reichsweite Bauarbeiteraussperrung von 1910 zum Inhalt hat Wir sehen das Streikbüro bei der Entgegennahme der Kontrollmeldungen von den Bauten und bei der Auszahlung der Streikunterstützungen (Abbildung). Drei weitere Fotos zeigen verschiedene Kontrollstellen auf freier Landstraße bzw. an Feldwegen, wobei die Melder offenbar Fahrräder benutzten. Angesichts vor allem preußischer und sächsischer Polizeipraxis und entsprechender Rechtsprechung, durch die das Streikpostenstehen mit großer Willkür als „Verkehrshindernis„ (selbst wenn es kaum Verkehr gab), als „Belästigung“ und „Verhöhnung“ der Arbeitswilligen, schließlich auch als „Terrorismus“ der Gewerkschaften oder „Beleidigung“ von Arbeitgebern kriminalisiert werden konnte 17 , stellen diese Fotos eine ausgesprochene Rarität dar. Derartige Fotos konnten allzuleicht als Selbstanzeige missverstanden werden. Herausgegeben wurden die Postkarten vermutlich von der Zahlstelle des Deutschen Maurerverbandes, denn auf der Rückseite ist vermerkt „Zur Erinnerung an den Kampf im Baugewerbe. Zittau 1910“. Bei diesem Arbeitskampf waren reichsweit 190.000 15 M. Cabaud/R. Hubscher, 1900. La Française au quotidien, Paris 1985, S. 121. 16 Cabaud/Hubscher, La Française, S. 121, 123 17 K. Saul, Zwischen Repression und Integration. Staat, Gewerkschaften und Arbeitskampf im kaiserlichen Deutschland 1884-1914, in: K. Tenfelde/H. Volkmann (Hrsg.), Streik. Zur Geschichte des Arbeitskampfes in Deutschland während der Industrialisierung, München 1981, S. 209 ff. 31

abwenden 15 oder die in der ersten Reihe des Demonstrationszugs marschierenden Knopfarbeiterinnen<br />

aus Méru. 16<br />

Deutschland<br />

In Deutschland überwiegen die künstlerisch gestalteten Postkarten überwiegend allegorischen<br />

oder auch satirischen Inhalts, die wiederum ergänzt werden durch eine große Anzahl<br />

von ordentlich „gestellten“ Gruppenfotos insbesondere der Gewerkschaftsfunktionäre oder<br />

– gelegentlich – auch der Streikenden. Auftraggeber sind durchweg die Gewerkschaftsverbände<br />

selbst. Dokumentarische Postkarten, die direkt auf die Streikenden Bezug nehmen<br />

und daher über spezifische Mentalitätsäußerungen der Arbeiterschaft Auskunft geben, sind<br />

außerordentlich selten. Einige Postkarten zeigen meist ruhig verharrende Gruppen von Bergarbeitern<br />

(im Mansfeldischen oder an der Ruhr). Für die durch öffentlich Repression gekennzeichnete<br />

Situation in Deutschland kennzeichnend sind die beiden einzigen bekannt<br />

gewordenen Fotopostkarten: Eine Postkarte zeigt eine Gruppe von Bergarbeitern, die den<br />

polizeilichen Schießbefehl studiert, die andere bildet fliehende Personen ab, die von der<br />

Polizei von einer Straße geräumt werden. Ein weiteres Einzelstück ist der Paragraphenreiterei<br />

gewidmet: Dadurch sollte die schikanöse Praxis deutscher, antigewerkschaftlicher Rechtsprechung<br />

bloßstellen, durch die das Streikpostenstehen immer wieder als „Verkehrshindernis“<br />

und „Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung“ kriminalisiert wurde.<br />

Zumindest eine kleine Serie von dokumentarischen Postkarten geht direkt auf das Streikgeschehen<br />

ein und hat die große, reichsweite Bauarbeiteraussperrung von 1910 zum Inhalt<br />

hat Wir sehen das Streikbüro bei der Entgegennahme der Kontrollmeldungen von den Bauten<br />

und bei der Auszahlung der Streikunterstützungen (Abbildung). Drei weitere Fotos zeigen<br />

verschiedene Kontrollstellen auf freier Landstraße bzw. an Feldwegen, wobei die Melder<br />

offenbar Fahrräder benutzten. Angesichts vor allem preußischer und sächsischer Polizeipraxis<br />

und entsprechender Rechtsprechung, durch die das Streikpostenstehen mit großer Willkür<br />

als „Verkehrshindernis„ (selbst wenn es kaum Verkehr gab), als „Belästigung“ und<br />

„Verhöhnung“ der Arbeitswilligen, schließlich auch als „Terrorismus“ der Gewerkschaften<br />

oder „Beleidigung“ von Arbeitgebern kriminalisiert werden konnte 17 , stellen diese Fotos<br />

eine ausgesprochene Rarität dar. Derartige Fotos konnten allzuleicht als Selbstanzeige missverstanden<br />

werden. Herausgegeben wurden die Postkarten vermutlich von der Zahlstelle<br />

des Deutschen Maurerverbandes, denn auf der Rückseite ist vermerkt „Zur Erinnerung an<br />

den Kampf im Baugewerbe. Zittau 1910“. Bei diesem Arbeitskampf waren reichsweit 190.000<br />

15 M. Cabaud/R. Hubscher, 1900. La Française au quotidien, Paris 1985, S. 121.<br />

16 Cabaud/Hubscher, La Française, S. 121, 123<br />

17 K. Saul, Zwischen Repression und Integration. Staat, Gewerkschaften und Arbeitskampf<br />

im kaiserlichen Deutschland 1884-1914, in: K. Tenfelde/H. Volkmann (Hrsg.), Streik. Zur<br />

Geschichte des Arbeitskampfes in Deutschland während der Industrialisierung, München<br />

1981, S. 209 ff.<br />

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