Homosexual's Film Quarterly - Sissy
Homosexual's Film Quarterly - Sissy Homosexual's Film Quarterly - Sissy
sissy Ausgabe Homosexual’s Film Quarterly acht · Dezember 2010 bis Februar 2011 · kostenlos s Zugfahrt: Treibende Blüten s Zimmerservice: Rom in Zentralperspektive s Im Striplokal: Die 33 Palmen des Udo Kier s Dritter Bildungsweg: Der Duft des Verbotenen s Klarinettenstunde: Das Auschwitz-Komitee tagt s Im Plattenbau: Das schönste Gefühl von allen s Zum Heulen: Engelhafte Hipster und heilige Motorradfahrer s Kündigung: Eine Nomadin auf Ischia s Waisenknabe: Jung und ahnunglos s Imagine: Weinende Männer s Verwandlungskünstler: Die Gesänge des João Pedro Rodrigues s Gay-History-Box: Schenk sie Deiner Schule! s Knöpfchendrücker: Mach dir keinen Stress! s Spottdrossel: Das bin ja ich!
- Seite 2: 25. TEDDY AWARD Der queere Filmprei
- Seite 6: kino kino 6 EINFACHE FAHRT von Maik
- Seite 10: kino „Morgen fliege ich nach Prag
- Seite 14: kino sTARKEs sTüCK von Michael Sol
- Seite 18: kino Allen Ginsberg (James Franco)
- Seite 22: kino kino A Crying Boy SaScha WeStP
- Seite 26: kino kino schmeißen. Danach gibt e
- Seite 30: dvd EINER MUss Es JA MACHEN intervi
- Seite 34: „Before Stonewall“ (Greta Schil
- Seite 38: nachruf MARTIN BüssER (1968-2010)
- Seite 42: frisch ausgepackt sam entwickelte -
- Seite 46: service BEzUGsqUELLEN Nicht-heteros
sissy Ausgabe<br />
Homosexual’s <strong>Film</strong> <strong>Quarterly</strong><br />
acht · Dezember 2010 bis Februar 2011 · kostenlos<br />
s Zugfahrt: Treibende Blüten s Zimmerservice: Rom in Zentralperspektive s Im Striplokal: Die 33 Palmen des Udo Kier s Dritter<br />
Bildungsweg: Der Duft des Verbotenen s Klarinettenstunde: Das Auschwitz-Komitee tagt s Im Plattenbau: Das schönste Gefühl von<br />
allen s Zum Heulen: Engelhafte Hipster und heilige Motorradfahrer s Kündigung: Eine Nomadin auf Ischia s Waisenknabe: Jung und<br />
ahnunglos s Imagine: Weinende Männer s Verwandlungskünstler: Die Gesänge des João Pedro Rodrigues s Gay-History-Box: Schenk sie<br />
Deiner Schule! s Knöpfchendrücker: Mach dir keinen Stress! s Spottdrossel: Das bin ja ich!
25.<br />
TEDDY AWARD<br />
Der queere <strong>Film</strong>preis<br />
der Berlinale<br />
JUBILÄUMSGALA<br />
am Freitag, 18. Februar 2010<br />
ab 21:00 Uhr<br />
GROSSE JUBILÄUMSPARTY<br />
ab 23:00 Uhr<br />
Tickets erhältlich ab Dezember 2010<br />
www.teddyaward.tv<br />
info@teddyaward.tv<br />
<strong>Sissy</strong> acht<br />
Nur wenige <strong>Film</strong>e werden zu Klassikern und damit zu einem Teil<br />
kollektiver Geschichte. Beautiful Thing ist so ein Fall. Ein <strong>Film</strong>, der<br />
gleichzeitig gemeinsame Erfahrungen widergespiegelt und sie durch<br />
Schönheit und Poesie erträglich gemacht hat. Jamie und Ste Arm in<br />
Arm und die Herausforderungen der Welt vor<br />
ihren Augen – das ist ein Bild, das für immer<br />
stehen bleiben könnte.<br />
Junge Beatles und junge Beatniks, schwule<br />
Geschichten und schwule Geschichte, Liebe in<br />
den Anfangszeiten von HIV und Coming-Out<br />
in den 1990ern – das ist der eine, historische<br />
Schwerpunkt des nicht-heterosexuellen Kinos<br />
der nächsten drei Monate. Auf der anderen<br />
Seite steht die wie aus allen Zusammenhängen<br />
herausgefallene Poesie der Bildmagier, delirierend<br />
wie bei João Pedro Rodrigues, verschlungen<br />
wie bei Zero Chou oder durchgeknallt<br />
wie bei Scud. Aus dem Schwärmen kommt die<br />
SISSY so oder so nicht heraus.<br />
Denn wenn man mit dem Schwärmen aufhört,<br />
ist das traurig. Und wenn ein Schwärmer verstummt,<br />
umso mehr. Die SISSY musste sich<br />
im September von ihrem Autor Martin Büsser<br />
verabschieden, der bei aller scharfsinnigen<br />
Analyse von Pop-Phänomenen, Subkulturen,<br />
queerer und antiqueerer Öffentlichkeiten nie<br />
das Schwärmen z.B. über seine Lieblingsfilme<br />
vergessen hat. In der SISSY beschäftigte sich<br />
Martin u.a. mit einem sexy Herrendoppel aus<br />
der Kunstwelt (With Gilbert & George), mit der Aus „Before Stonewall“ (Greta Schiller, Robert Rosenberg und Andrea Weiss, 1984),<br />
Frage, was Coming-Out mit Rockmusik zu tun Teil der DVD-Box „Gay History“ (siehe Seite 34 f.)<br />
hat (Der Mann, der Yngve liebte) und zuletzt mit schwulen Punks<br />
(Mein wunderbarer Waschsalon). Jetzt müssen andere da weitermachen,<br />
wo er aufgehört hat – mit den, wie er es nannte, „Beiträgen zur<br />
avancierten Gegenwartskultur“.<br />
Mit einem wachen und wertschätzenden Blick zurück und mit Lust<br />
auf die Magie neuer Bilder wünschen wir viel Spaß mit der neuen<br />
SISSY!<br />
vorspann<br />
3
mein dvd-regal<br />
4<br />
Ralf Rühmeyer,<br />
Fotograf<br />
Ralf RühmeyeR<br />
5
kino kino<br />
6<br />
EINFACHE<br />
FAHRT<br />
von Maike Schultz<br />
Taiwans einzige offen lesbische Regisseurin Zero Chou zaubert<br />
epische Meisterwerke, mit denen sie schon auf der Berlinale<br />
begeisterte. Am 17. Dezember läuft „Drifting Flowers“ in der<br />
L-<strong>Film</strong>nacht.<br />
Spider Lilies<br />
von Zero Chou<br />
TW 2007, 94 Minuten, OF<br />
Parasol Pictures Releasing,<br />
www.parasolpictures.co.uk<br />
Auf DVD<br />
als Import-DVD<br />
Drifting FLowers<br />
von Zero Chou<br />
TW 2007, 97 Minuten, OmU<br />
Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />
Im Kino<br />
L-<strong>Film</strong>nacht im Dezember<br />
www.l-filmnacht.de<br />
s Ich sitze im Zug. Bäume, Felder und Flüsse fliegen am Fenster<br />
vorbei, auf der ICE-Strecke von Berlin nach Köln. Dieser Weg in<br />
die frühere Heimat ist auch immer eine Reise in die Vergangenheit.<br />
Und dann läuft da dieser <strong>Film</strong> auf meinem Laptop. Eine Frau steht in<br />
einem Zug. Etwas verloren torkelt sie durch den Gang und blickt in<br />
die Richtung, aus der sie gekommen ist: in das schwarze Loch eines<br />
Tunnels, das immer kleiner und kleiner wird. Ich wünsche mir eine<br />
große Leinwand in mein Abteil, doch der Bahn-Bedienstete hat nur<br />
Kaffee. Egal. Längst bin ich hinein gesaugt in die Welt von Drifting<br />
Flowers, die doch nirgendwo passender zum Einsatz kommen könnte<br />
als hier.<br />
Die Eisenbahnfahrt ist das verbindende Element im Episodenfilm<br />
der taiwanesischen Regisseurin Zero Chou. In drei Kapiteln und individuellen<br />
Perspektiven erzählt sie von drei Frauen, deren Lebenswege<br />
sich zu verschiedenen Zeitpunkten kreuzen. Der Tunnel ist zugleich<br />
Schnittbild wie Metapher für Übergang und Veränderung. Die Wehmut<br />
fährt immer mit, auch jedes Mal, wenn ich über diese Gleise rase.<br />
Als Erinnerung an die Leerstelle zwischen Weggehen und Angekommensein.<br />
Drifting Flowers beginnt mit einem kleinen Mädchen, Meigo (Pai<br />
Chih-Ying). Sie lebt mit ihrer älteren Schwester Jing (Serena Fang)<br />
zusammen, die blind ist und sich als Barsängerin durchschlägt, begleitet<br />
von der androgynen Akkordeonistin Diego (Chao Yi-Lan). Zwischen<br />
ihnen entspinnt sich eine komplizierte Dreiecksgeschichte: Als<br />
Diego und Jing sich näherkommen, flüchtet die eifersüchtige Meigo<br />
zu einer Pflegefamilie. Schon länger macht das Sozialamt Druck, weil<br />
Jing ihre kleine Schwester zu den nächtlichen Auftritten mitnimmt.<br />
Nun soll sie abseits von Jings extravagantem Lebensstil aufwachsen,<br />
den sie längst mehr verinnerlicht hat als alle ahnen.<br />
Bereits in der ersten Episode entwirft Chou ein Pulverfass der<br />
Emotionen, doch kaum entzündet, gleitet der Zuschauer bereits ins<br />
nächste Drama: Diego und Jing treten bei einer Hochzeit auf. Gefeiert<br />
wird hier freilich eine Scheinehe, in Wirklichkeit lieben Braut<br />
Lily (Lu Yi-Ching) und Bräutigam Yen (Sam Wang) beide gleichgeschlechtliche<br />
Partner. Und doch überdauert die Jahre nur jenes<br />
Band, das sie aus Angst vor ihren Familien eingegangen sind. „Lily“,<br />
so das zweite Kapitel, ist die Frau, deren Tunnelblick schon im Prolog<br />
so berührt hat. Alt geworden, leidet sie an Alzheimer und trauert<br />
ihrer längst verflossenen Geliebten Ocean hinterher. Bis der schwule,<br />
ebenfalls verlassene Gatte zurückkehrt und eine seltsame Symbiose<br />
mit ihr eingeht: Die demente Lily hält ihn für Ocean. Und Yen lässt<br />
es geschehen, für ein wenig Wärme und Geborgenheit. Denn er ist<br />
HIV-positiv und Lily seine letzte Zuflucht. Wie sie einem Leben hinterher<br />
weint, das er am liebsten loswerden würde, ist wohl die berührendste<br />
von Chous Erzählungen. Virtuos schließt sie den Kreis mit<br />
einer letzten, die Verbindung zwischen Diego und Lily klärenden<br />
Episode: Im Rückblick sieht man Diego als pubertierenden Tomboy,<br />
der sich heimlich die Brüste abbindet. Ihr Bruder will sie deshalb vom<br />
Familienbesitz, einem Puppentheaterbetrieb, enterben. Nur Lily, die<br />
bei der Jahrmarktkonkurrenz als Sängerin auftritt, stört Diegos Gender-Verwirrung<br />
nicht. „Liebe ist Liebe“, sagt sie ihr bei einem scheuen<br />
Coming-Out-Kuss, „egal ob Junge oder Mädchen“.<br />
Es ist der gleiche Satz, den auch Meigo sagen wird, als sie ein<br />
Teenager ist und im selben Zug wie die alte Dame Lily sitzt. Wohin sie<br />
fahren, ist ebenso ungewiss wie der Verbleib von Lilys großer Liebe<br />
Ocean, doch Zero Chou wirft viel größere Fragen auf, als eine erneute<br />
Begegnung beantworten könnte: Nach dem Konflikt zwischen familiärer<br />
Verantwortung und Selbstverwirklichung etwa. Gesellschaftliche<br />
Ausgrenzung wird bei ihr nicht nur durch Homosexualität und<br />
unangepasste Geschlechterrollen, sondern auch durch Behinderung<br />
erfahrbar. Themen, die bereits ihr Vorgängerfilm Spider Lilies verarbeitet<br />
hat.<br />
Auf der langen Zugfahrt schaue ich es mir noch einmal an, das<br />
Drama um die Online-Stripperin Jade (Rainie Yang) und die Tätowie-<br />
rerin Takeko (Isabella Leong). Auch bei ihnen geht es um das Wiedersehen<br />
mit einer Jugendliebe. Und auch hier wird die Beziehung von<br />
der Sorge um einen behinderten Bruder überschattet. Als Überbau<br />
der Tragödie dient ein Erdbeben, wie es Zero Chou früher schon mal<br />
in einem Dokumentarfilm geschildert hatte – und eine geheimnisvolle<br />
Lilientätowierung. Eine Klebefolienkopie davon liegt noch immer in<br />
meiner Schreibtisch-Schublade.<br />
Vor drei Jahren bekam ich sie geschenkt, kurz nachdem mich dieser<br />
ICE unwiderruflich nach Berlin gebracht hatte. Zum ersten Mal<br />
erlebte ich die Verleihung des Teddy Awards und sogleich gewann ihn<br />
eine Frau: Zero Chou. Nur ein Jahr später zeigte die gelernte Journalistin<br />
bereits ihr nächstes Werk bei der Berlinale. Drifting Flowers.<br />
Wieder ein Blumentitel. Als Metapher für Menschen, die in verschiedene<br />
Richtungen wachsen und doch immer wieder zu ihren Wurzeln<br />
zurückfinden. Fließend, mit einem unverkennbaren Gespür für<br />
Besetzung und das Verweben von Handlungsfäden, findet Chou dafür<br />
den richtigen Rhythmus.<br />
„There has always been the fragrance of flowers“, singt Jing für<br />
ihre kleine Schwester, wenn die sie am Arm durch dunkle Straßen<br />
führt. Und die junge Diego trällert mit Lily auf der Kirmesbühne im<br />
Duett: „This train is marching on with no regrets.“ Ihre Bilder zusätzlich<br />
in Musik zu übersetzen, ist typisch für die Asiatin. Die Lieder<br />
spiegeln nicht nur Gefühle, sie verankern auch die kulturelle Identität<br />
ihrer Figuren. Das war schon in Spider Lilies mit einem Song über die<br />
Jasminblüte so.<br />
Vieles hat Chou aber auch bewusst anders gemacht. Während in<br />
der Hauptrolle von Spider Lilies mit Rainie Yang noch ein taiwanesischer<br />
Superstar glänzte, suchte sie für Drifting Flowers eine Newcomerin<br />
aus: Chao Yi-Lan, ein überzeugendes Nachwuchstalent von der<br />
Schauspielschule Taipeh und repräsentativer für die Lesben in ihrer<br />
Heimat, die laut Chou mehrheitlich Butch-Typen sind.<br />
Anstelle der modernen Metropole mit ihren Webcams und Körperkulten<br />
sollte diesmal das Kleinstadtleben als Kulisse dienen, wo<br />
die Ausgrenzung von Minderheiten am präsentesten ist. Als einzige<br />
offen lesbische <strong>Film</strong>emacherin Taiwans sind Chous Arbeiten stets<br />
Liebe ist Liebe, egal ob<br />
Junge oder Mädchen.<br />
auch politisch. „Wenn sie dazu beitragen, Schwule und Lesben ihren<br />
Familien näher zu bringen, würde mir das viel bedeuten“, hat sie einmal<br />
gesagt. Zusammen mit ihrer langjährigen Partnerin Hoho Liu<br />
träumt Zero Chou sogar davon, für alle sechs Farben der Regenbogenflagge<br />
einen <strong>Film</strong> zu drehen. Eine Drei-Farben-Trilogie ist ihnen<br />
mit Drifting Flowers (2008, rot), Spider Lilies (2007, grün) und Chous<br />
preisgekröntem Debüt Splendid Float (2004, gelb) über Drag Queens<br />
bereits geglückt, teils sogar mit Finanzierungshilfe der Regierung.<br />
Fehlen noch orange, violett und blau. Blau wie die Sehnsucht, die<br />
Chous Protagonisten verkörpern. Es gibt da diese Szene, in der Yen<br />
seine Gattin Lily sucht. Ziellos läuft er durch die Straßen rund um das<br />
Altersheim und kommt dabei an einer Wand vorbei, an der eine lange<br />
Reihe grüner Poster glänzt – die <strong>Film</strong>plakate von Spider Lilies, hier<br />
allerdings mit zwei Männern als Motiv. Chou zitiert sich selbst in der<br />
Schwulenwelt. Es ist nur ein Detail, ein netter Gag. Und macht doch<br />
deutlich, wie klein die Szene oftmals ist.<br />
Dass darin auch eine Begrenzung liegt, lässt sich in Berlin oder<br />
Köln schnell vergessen. So wunderbar melancholisch und schön<br />
anzusehen Chous <strong>Film</strong>e auch sind: Ihre <strong>Film</strong>e sind stets als Parabeln<br />
über das Vergessen lesbar, das so heilsam wie schmerzhaft sein kann.<br />
Die einsame Frau im Zug, sie lebt in ihrer Erinnerung. Auch ich erinnere<br />
mich jetzt, ich bin fast da. Und mit jedem Kilometer rauschen<br />
mehr Bilder ins Bewusstsein. s<br />
7
kino kino<br />
Bilderliebe<br />
von andré Wendler<br />
Alba und Natasha begegnen sich vor einem Hotel in Rom und<br />
beschließen, für eine Nacht ein Zimmer zu teilen. Julio Medem,<br />
im europäischen Autorenfilm der Fachmann fürs Erotische,<br />
schließt sich mit seinen Figuren für einen <strong>Film</strong> lang in das<br />
Hotelzimmer ein und lässt dort Bilder aufeinander reagieren.<br />
„Room In Rome“ läuft im Januar in der L-<strong>Film</strong>nacht.<br />
s Wir blicken aus einer sehr hohen Vogelperspektive in eine<br />
Straße, nur spärlich von wenigen hellen Lampen erleuchtet, gesäumt<br />
von schon etwas verfallenen Gebäuden, geschmückt mit Pilastern<br />
und Köpfen im Halbrelief, als zwei Schatten darin auftauchen, die<br />
wir zunächst nur anhand ihrer Stimmen identifizieren können und<br />
während wir noch versuchen ihre Akzente zuzuordnen, begleitet<br />
die Kamera ihre Annäherungsversuche mit einem langsamen<br />
Schwenk, der sie immer in der Mitte des Bildes hält und schließlich<br />
auf einem dunkel gepflasterten Platz ankommt, fast genau unterhalb<br />
der Kamera, die nun die beiden Frauen zeigt: Die dunkelhaarige Frau<br />
trägt ein schwarz-gelb kariertes Hemd und Sneakers, die blonde ein<br />
flatterndes blaues Kleid und Heels und beide werden dramatisch von<br />
CAPELIGHT<br />
rechts beleuchtet, heben sich deutlich und sehr plastisch von der<br />
dunklen Straße ab, als sie plötzlich nach oben schauen, genau in die<br />
Kamera, in welche die Dunkelhaarige mit dem Finger zeigt und ruft,<br />
„Siehst du? Da ist mein Zimmer!“, in dem die Nacht offenbar enden<br />
soll, wozu sich die blonde Frau allerdings noch nicht recht entschließen<br />
will, schließlich aber dem Drängen der Dunkelhaarigen nachgibt<br />
und mit ihr das Bild nach unten verlässt, was von der Kamera mit<br />
einer langsamen Bewegung nach hinten oben beantwortet wird, im<br />
Zuge derer noch einmal der Straßenzug ins Bild kommt, eine Terrasse<br />
mit Pflanzen und Tischchen und schließlich jener Room in Rome, der<br />
zugleich der (Titel des) <strong>Film</strong>(s) ist und nun nach einem Schwenk der<br />
Kamera quer durch ihn hindurch von den beiden Frauen betreten<br />
wird, die sich umsehen, ein Getränk aus der Minibar nehmen, auf die<br />
Terrasse hinaustreten und von der Kamera von innen heraus durch<br />
das Fenster, wiederum gehüllt in fast goldenes, sehr kontraststarkes<br />
Licht, gefilmt werden. Punkt. Schnitt.<br />
Fünfminütige Plansequenzen am Anfang eines <strong>Film</strong>es werden<br />
unweigerlich zu dessen Programm. Sie führen die Choreographie aus<br />
Licht, Menschen, Kamera, Räumen und Orten vor, die sich <strong>Film</strong> nennt<br />
und die sich sonst gern unsichtbar macht. Der <strong>Film</strong> hält sich an dieses<br />
Programm zwischen Microsoft Bing und humanistischer Zentralperspektive:<br />
„Der Künstler muss zu jeder Zeit wissen, was er darstellt.“<br />
Eine antike Plastik auf dem Nachttisch, Natasha mit Bademantel wie<br />
diese, ein vielsagendes Lachen Albas und schon verschwindet die<br />
Figur in der Tasche. Der Raum wird zugeschüttet mit (Klischee-)<br />
Bildern, die gegen Ende eingepackt und abtransportiert werden. An<br />
zwei gegenüberliegenden Wänden hängen Bilder, die nicht nur immer<br />
wieder ins Bild gesetzt, sondern von den Figuren betrachtet und kommentiert<br />
werden und sich mit ihren bruchstückhaften Lebenserzählungen<br />
verbinden. Die notwendigen Fremdreferenzen werden immer<br />
als Bilder beigebracht: Satellitenbilder aus dem Internet, die Homepage<br />
der Schauspielerin Natasha auf der vollen Kinoleinwand, ein<br />
Handyvideo, der Fernsehschirm. Diese sprechenden, bedeutsamen<br />
Oberflächen werden zu den Wänden des Zimmers, sie werden kommentiert,<br />
gelesen, interpretiert und verschoben.<br />
Sie geraten mit den Wandbildern aneinander. Auf dem einen,<br />
einem Renaissancegemälde, ist ein Symposium im Hause der Medici<br />
zu sehen, auf dem unter anderem Leon Battista Alberti, einer der Erfinder<br />
der Zentralperspektive zu sehen ist, der dem Verlobten Natashas<br />
ähnlich sehen soll. Das andere antike Bild zeigt die Agora von Athen<br />
und enthält eine Frau, die Natasha zum Verwechseln ähnlich sieht.<br />
„Was war zuerst da – das Bild oder deine Geschichte? – Gute Frage!“,<br />
heißt es einmal. Je länger wir in diesem Zimmer herumlungern, desto<br />
fraglicher wird, ob es zwischen dem Bild und der Geschichte überhaupt<br />
einen Unterschied gibt, geben kann. Wie die Lebensgeschichten<br />
der Frauen nur anhand diverser elektronischer Bilder rekonstruiert<br />
und plausibilisiert werden können, wird ihre Zukunft ganz in die<br />
Bilder des Raumes gelegt: Da schießt einer der Liebesengel von der<br />
Decke einen (un)sichtbaren Pfeil mitten in Albas Herz, den Natasha<br />
zusammen mit uns imaginär wieder herausziehen muss. s<br />
Room In Rome<br />
von Julio Medem<br />
ES 2010, 109 Minuten, OmU<br />
Capelight, www.capelight.de<br />
Im Kino<br />
L-<strong>Film</strong>nacht im Januar<br />
www.l-filmnacht.de<br />
Lehrjahre<br />
von kerStin WelzenheiMer<br />
Eine Studentin mit Kinderstar-Vergangenheit sucht das richtige Leben und landet übergangsweise im Bett<br />
ihrer attraktiven Professorin. Dass das funktionieren kann, aber nicht ausreicht, um ein selbstständiges<br />
Wesen zu werden, hat Regisseurin Fernanda Cardoso in edlen Bildern, mit zwei tollen Darstellerinnen und<br />
klugen Dialogsätzen ausformuliert. „Bloomington“ läuft im Februar in der L-<strong>Film</strong>nacht.<br />
s Eine dominante Lehrerin mit akkurat frisiertem Dutt, kurzem<br />
Rock und halb aufgeknöpfter Bluse, die an ihrem Pult sitzend lasziv an<br />
ihrem Bleistift knabbert. Eine Vorstellung, derer sich in diesem Genre<br />
nicht wenige Male bedient wurde und von der trotzdem nach wie<br />
vor eine Faszination ausgeht. Eine Faszination, die durch das Recht<br />
begrenzt ist und durch den Duft des Verbotenen, hier die Anziehung<br />
zu einem Menschen in einer übergeordneten Position, begünstigt<br />
wird. Diese Fantasie, die schon oft zuvor bebildert wurde, erlebt in<br />
Fernanda Cardosos Bloomington ein filmisches Revival. Bleibt nur die<br />
Frage, ob es einer weiteren Darstellung dieser komplexen Thematik<br />
bedarf und ob jene eine lohnende Ergänzung der bestehenden Titelliste<br />
darstellt.<br />
Jacqueline (Sarah Stouffer), Anfang zwanzig und ehemaliger<br />
Kinderstar der Sci-Fi-Serie „Neptune 26“, kommt nach Bloomington,<br />
um ihren College-Abschluss zu machen und ihre Unabhängigkeit zu<br />
erlangen. Überfordert in der neuen Welt, in der sie sich mit Lerngruppen<br />
und Fans herumschlagen muss, die in ihr nur den „child star“ aus<br />
längst vergangenen Tagen sehen, lernt sie die selbstbewusste Professorin<br />
Catherine Stark (Allison McAtee) kennen, deren Ruf als Womanizerin<br />
und Lady-Killerin ihr voraus eilt. Bereits nach zwei kurzen<br />
Gesprächen und zwölf Minuten <strong>Film</strong>zeit bittet Miss Stark Jackie zu<br />
sich nach Hause. Die Liaison beginnt. Die beiden Charaktere gewinnen<br />
an Form während der liebevollen, jedoch wenig facettenreichen<br />
Darstellung ihrer Zweisamkeit, die durch Vergangenheitsbewältigung<br />
und die Kluft ihres Altersunterschiedes geprägt ist. Den Zuschauer<br />
beschleicht das Gefühl, dass die Studentin in der Professorin eher<br />
Bloomington<br />
von Fernanda Cardoso<br />
US 2010, 83 Minuten, OmU<br />
Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />
Im Kino<br />
L-<strong>Film</strong>nacht im Februar<br />
www.l-filmnacht.de<br />
nach einer mütterlichen Figur als nach einem gleichgestellten Partner<br />
sucht; wenn Catherine, mit einem schwarzen Trenchcoat bekleidet,<br />
den ganzen Weg zu Jacquelines Familie fährt, um diese nach einem<br />
handfesten Streit aus dem Umfeld der „es nur gut meinenden“ aber<br />
ignoranten Mutter zu holen, fällt Jackie, die sich heute ebenfalls beim<br />
Griff in den Kleiderschrank für den schwarzen Trench entschieden<br />
hat, ihr weinend in die Arme, die ihre Mutter ihr nicht mehr öffnet.<br />
Als Jackie dann einen Anruf ihres alten Managers erhält, der ihr<br />
ein Script und die Rolle für ein Remake von „Neptune 26“ in L.A.<br />
anbietet, finden sie und Catherine sich am Scheideweg wieder, doch<br />
am Scheideweg von was? Was führen die beiden eigentlich und könnten<br />
sie es auch über die Distanz hinweg führen?<br />
Allison McAtte (Iron Man, CSI, Nip/Tuck) und Sarah Stouffer<br />
(Slacker P.I., Faces of Beautiful You), Mistress-Lipstick-Lesbian und<br />
Schoolgirl-Lipstick-Lesbian par excellence, glänzen mit überzeugender<br />
Schauspielleistung und glaubhaft dargestellten intimen Momenten<br />
vor dem Kamin oder in der Schulbibliothek.<br />
Wer jedoch nach der Emotionalität in der bildlichen Darstellung<br />
und der sensiblen Zeichnung der Protagonisten gleich wie in Loving<br />
Annabelle sucht, in dem das Machtgefüge der beiden Darstellerinnen<br />
trotz des Lehrerin-Schülerin-Verhältnisses ausgeglichen scheint,<br />
wird enttäuscht. Das Coming-of-Age-Drama Bloomington, ein durchaus<br />
unterhaltsamer und sehenswerter <strong>Film</strong>, bei dem man nicht eine<br />
Sekunde das Gefühl des Fremdschämens haben muss, wird wahrscheinlich<br />
demgegenüber nicht viel länger als bis zum Abspann im<br />
Gedächtnis bleiben. s<br />
8 9<br />
EDITIoN SALZGEBER
kino<br />
„Morgen fliege ich nach Prag und spiele dort den Papst“: Puffmutter „Madame“ (Udo Kier)<br />
Udo Kier<br />
Udo Kier (65) ist einer der<br />
meistbeschäftigten Schauspieler<br />
der Welt und hat schon mit<br />
fassbinder, Schlingensief, Gus<br />
von Sant, lars von Trier und<br />
madonna gearbeitet. Berühmt<br />
wurde er anfang der 70er Jahre<br />
als hauptdarsteller von „andy<br />
Warhols Dracula“ und „andy<br />
Warhols frankenstein“. In den<br />
letzten Jahren dreht er oft mit Guy<br />
maddin und lars von Trier. aber<br />
auch in deutschen Produktionen<br />
ist die queere Ikone immer wieder<br />
zu sehen. So hat er unter anderem<br />
im erfolgreichsten Tatort des<br />
letzten Jahre, „Plattgemacht“,<br />
einen Obdachlosen gespielt,<br />
war ensemblemitglied von Dany<br />
levys „Das leben ist zu lang“<br />
und in 44 folgen der Kinderserie<br />
„4 gegen Z“ als böser Zauberer<br />
zu sehen. Gerade verfilmt er mit<br />
Timo Vuorensola ein Drehbuch<br />
der finnin Johanna Sinisalo:<br />
„Iron Sky“. Darin spielt Kier<br />
einen Nazi auf dem mond.<br />
House of Boys<br />
von Jean-Claude Schlim<br />
LU/DE/NL 2010, 113 Minuten, DF<br />
<strong>Film</strong>lichter, www.filmlichter.de<br />
Im Kino<br />
Gay-<strong>Film</strong>nacht im Dezember<br />
www.gay-filmnacht.de<br />
Deutscher Kinostart: 2. Dezember<br />
FILMLICHTER<br />
„Ich bin,<br />
glaube ich,<br />
ganz normal<br />
geblieben“<br />
intervieW: Paul Schulz<br />
Udo Kier, Deutschlands einziger queerer Weltstar, ist schon<br />
ausgesprochen wach, wenn man ihn morgens um acht in L.A.<br />
anruft. Ein Gespräch über den Anfang von Aids, die Mitte von<br />
Nichts und das Ende von Freundschaften.<br />
s House of Boys erzählt die Geschichte des Anfangs von Aids. 1984<br />
zieht der 18-jährige Frank aus der Provinz nach Amsterdam und<br />
fängt an, im „House of Boys“, einem Stripclub und Bordell, zu tanzen.<br />
Udo Kier gibt die Puffmutter „Madame“ mit Verve und Lust an dicken<br />
Pinselstrichen. Bald verliebt sich Frank in seinen eigentlich heterosexuellen<br />
Zimmergenossen Jake – und der sich auch in ihn. Aber aus<br />
der großen Liebesgeschichte wird nichts, denn bald entwickelt Jake<br />
merkwürdige Symptome.<br />
Auch Stephen Fry hat einen kurzen, rührenden Gastauftritt in<br />
House of Boys als verzweifelter Arzt, der Aids nichts anderes als Trost<br />
entgegenzusetzen hat. Jean-Claude Schlims erster Spielfilm startet<br />
am 2. Dezember in den Kinos und ist im Dezember auch in der Gay-<br />
<strong>Film</strong>nacht zu sehen.<br />
sissy: Herr Kier, Sie spielen in „House of Boys“ „Madame“, den Besitzer<br />
eines Stripclubs und Bordells in Amsterdam. Eine Rolle, in der Sie auch<br />
in Drag zu sehen sind und singen. Das hat sicher Spaß gemacht.<br />
Udo Kier: Das war ganz unterhaltsam, ja. Aber es ist ja nicht so, als<br />
hätte ich das vorher noch nie gemacht. Ich habe schon an Michael<br />
Caines Seite im Kleid vor einer Kamera gestanden (in The Debtors<br />
– Red.) und habe ja auch mit Christoph Schlingensief schon in Drag<br />
gedreht. Da habe ich allerdings nie so gut ausgesehen.<br />
Woran liegt es, dass das jetzt anders ist?<br />
Wir hatten eine sehr gute Maske bei House of Boys, das sollte ich<br />
vielleicht zuerst sagen. Aber die ist nicht dafür verantwortlich, wie<br />
ich als „Madame“ aussehe. Dragqueen-Make-Up ist ja eine Kunst für<br />
sich. Damit braucht man ein bisschen Erfahrung, wie wir gemerkt<br />
haben. Wir haben die Innenansichten des Clubs im „Startreff“ in<br />
Köln gedreht, einem Travestieladen, den es schon ewig gibt. Und<br />
als unser Maskenbildner mit mir fertig war, haben die Mädels dort<br />
gesagt: „So geht das aber nicht! Du siehst ja grauenvoll aus, Udo. So<br />
kommst du nicht auf unsere Bühne.“ Also ist die Crew essen gegangen<br />
und die haben mich nach allen Mitteln der Kunst zurechtgemacht.<br />
Das hat zwei oder drei Stunden gedauert. Als sie fertig waren,<br />
bin ich in das Restaurant gegangen, in dem die Crew saß, und keiner<br />
hat mich erkannt. Da wusste ich, das geht so. Und so haben wir mich<br />
dann auch gedreht.<br />
Sie haben mit dem Regisseur und Drehbuchautor von „House of Boys“,<br />
Jean-Claude Schlim, zum ersten Mal bei „Shadow of the Vampire“<br />
gearbeitet. Das ist zehn Jahre her. Gab es die Idee zu „House of Boys“<br />
damals schon?<br />
Der <strong>Film</strong> speist sich ja aus Schlims eigenen Erfahrungen, also nehme<br />
ich an, dass es die Idee dazu auch damals schon gegeben hat, ja. Aber<br />
konkret wurde es vor ein paar Jahren, als er mir das Drehbuch gab.<br />
Ich hab relativ schnell zugesagt.<br />
Warum?<br />
Weil der <strong>Film</strong> wichtig ist, finde ich. Der Beginn von Aids ist kein<br />
Thema, das im Kino viel behandelt worden wäre. Und House of Boys<br />
macht das, ohne vor den schwierigen Fragen oder dem Elend zurückzuschrecken,<br />
das damit auch verbunden war. Er versucht das in seiner<br />
Komplexität darzustellen. Deswegen wollte ich ihn gern machen.<br />
Und ich kenne Schlim und mag ihn ganz gern. So was hilft mir immer<br />
bei Entscheidungen. Von den jungen Darstellern kannte ich keinen,<br />
aber insgesamt war das eine schöne Arbeit.<br />
Sie arbeite(te)n oft mit denselben Regisseuren: Fassbinder, Gus van<br />
Sant, Guy Maddin, Schlingensief oder auch immer wieder Lars von<br />
Trier zum Beispiel. Weil …?<br />
Weil das ein schönes Arbeiten ist. Warum sollte man es sonst machen?<br />
Alle guten Regisseure, die ich kenne, die ihre eigenen Stoffe umsetzen,<br />
arbeiten mit ihrer <strong>Film</strong>familie. Und egal ob ich bei Lars von Trier<br />
zwei Sätze sagen kann oder eine größere Rolle habe, ich weiß, ich<br />
bin dabei. Wir haben gerade erst Melancholia abgedreht, mit Kirsten<br />
Dunst, Charlotte Rampling, John Hurt und so. Wieder eine richtig<br />
schöne Arbeit. Ich freue mich immer, wenn ich mit Lars arbeiten<br />
kann.<br />
Was schätzen Kollegen und Regisseure an Ihnen?<br />
Ich bin, glaube ich, relativ normal geblieben. Ich komme ans Set, um<br />
zu arbeiten und bringe Ruhe und Gelassenheit mit. Sonst kann ich<br />
mich vor der Kamera auch nicht so loslassen. Ich füge mich, egal was<br />
für ein Ruf mir manchmal in den Medien so angehängt wird, ganz gut<br />
in Teams ein. Und ich bin nach wie vor neugierig und arbeite gern und<br />
oft nicht des Geldes wegen. Zusätzlich bin ich verlässlich und kann<br />
gut mit Menschen. Und bin nicht zimperlich beim Drehen.<br />
In Deutschland sind Sie vor allem für ihre Arbeiten mit Fassbinder und<br />
Schlingensief bekannt.<br />
Ich habe inzwischen auch schon mit vielen anderen deutschen Regisseuren<br />
gearbeitet, aber Fassbinder kannte ich schon Anfang der 60er,<br />
als er noch nichts gemacht hatte, das machte die Zusammenarbeit<br />
sehr leicht. Und Christoph war derjenige, der mich in seine deutsche<br />
<strong>Film</strong>familie aufgenommen hat, als ich schon in Hollywood war. Egomania<br />
mit Tilda Swinton seinerzeit, das ist immer noch einer meiner<br />
liebsten <strong>Film</strong>e.<br />
Fehlt Ihnen Schlingensief?<br />
Natürlich. Sehr. Er war ja nicht nur mein Regisseur, sondern auch ein<br />
sehr guter Freund von mir. Aber über Trauer kann man nicht sprechen,<br />
das ist ein Gefühl, das man nicht in der Öffentlichkeit ausleben<br />
kann. Das ist privat.<br />
Sie hatten sich vor ein paar Jahren mal sehr gestritten. Worum ging<br />
es da?<br />
Wir hatten uns nicht gestritten. Es war einfach nur ein riesiges<br />
Missverständnis. Ich wollte nach einer Feier mit meiner Freundin<br />
Nicolette Krebitz in Berlin einen gemeinsamen Wagen nehmen und<br />
wir warteten auf den, als mich jemand von der Seite ansprach, es täte<br />
ihm ja alles so schrecklich leid wegen Christoph. Ich ging davon aus,<br />
das sei ein Freund von Christoph und habe gesagt: „Was tut dir leid?<br />
Jake (Benn Northover) und Dr. Marsh (Stephen Fry)<br />
Der ist heute operiert worden und es ist doch alles super verlaufen.“<br />
Das war aber kein Freund von Christoph, sondern ein Reporter vom<br />
„Berliner Kurier“. Auf deren Titelseite hieß es am nächsten Morgen:<br />
„Udo Kier gesteht unter Tränen: Mein Freund Christoph Schlingensief<br />
hat Krebs!“ Als ob ich schon jemals irgendwem irgendwas unter<br />
Tränen gestanden hätte! Und schon gar nicht das. Blödsinn! Das<br />
wurde innerhalb weniger Stunden von jeder, aber wirklich jeder deutschen<br />
Zeitung nachgedruckt, unter Berufung auf den „Kurier“. Und<br />
ich stand als indiskreter Schwätzer da, der seinen Mund nicht halten<br />
kann, weil er sich wichtig machen will. Ich glaube nicht, dass Christoph<br />
das gedacht hat, aber jedenfalls hatten wir danach anderthalb<br />
Jahre keinen Kontakt.<br />
Haben Sie noch einmal mit ihm gesprochen, bevor er starb?<br />
Ja, das habe ich. Wir haben uns noch gesprochen. Das war auch gut<br />
und wichtig. Ich sollte auch Überraschungsgast auf seiner Hochzeit<br />
sein, was mir aber leider nicht möglich war. Da kam ein Drehplan<br />
dazwischen.<br />
Was drehen Sie denn gerade?<br />
Viel. Morgen fliege ich nach Prag und spiele dort den Papst. Danach<br />
Köln und dann ein paar Tage Berlin. Ich kann jetzt innerhalb eines<br />
Jahres einen Bordellbesitzer, einen Obdachlosen und Bela Bartok<br />
spielen und unter anderem mit Dani Levy, Fatih Akin und Werner<br />
Herzog arbeiten. Alles Rollen, die ich nicht ablehnen wollte. Es ist ja<br />
nicht die Regel, dass ich soviel arbeite.<br />
Was machen Sie denn, wenn Sie nicht arbeiten?<br />
Ich kann ganz gut zu Hause sein. Ich sammele Kunst, in zwei Häusern<br />
hier in L.A. und Santa Monica. Warhol, Trockel, Bisky, alles. Ich<br />
habe Hunde. Ich habe gerade 33 Palmen gepflanzt. Ich kann mich<br />
beschäftigen, danke der Nachfrage (lacht).<br />
Sie haben vor ein paar Jahren eine alte Schule im sächsischen Gehren,<br />
mitten im Nirgendwo, gekauft. Wieso?<br />
Die habe ich entdeckt, als wir da Lulu und Jimi gedreht haben. Wieder:<br />
Ich brauche Platz. Und Gehren ist mein Schloss. Da ist ein Teil<br />
meiner Kunst. Vielleicht zieh ich da auch mal hin. Aber erstmal will<br />
ich da jetzt mit Isabella Rosselini einen <strong>Film</strong> drehen, ein Märchen,<br />
das passt da ganz gut hin, so in die Mitte von Nichts. Und dann gibt’s<br />
da jede Menge frische Luft. Vielleicht eröffne ich ja dort eine Pension<br />
und lasse Amerikaner aus L.A. da hinkommen, aus dem Smog. An<br />
jedem offenen Fenster ein Amerikaner, der einfach nur atmet. Das ist<br />
doch ein schönes Bild, oder? s<br />
10 11<br />
kino<br />
FILMLICHTER
kino kino<br />
IdENTITäTs-<br />
KLEzMER<br />
von jeSSica ellen<br />
Bisher waren die <strong>Film</strong>e des französischen Regisseurs Jean-Jacques Zilbermann in Deutschland – wenn<br />
überhaupt – nur auf Festivals zu sehen, was sich mit diesem Juwel einer schwulen jüdisch-arabischen<br />
Komödie endlich ändern wird. „Das verrückte Liebesleben des Simon Eskenazy“ läuft im Januar in der<br />
Gay-<strong>Film</strong>nacht.<br />
s Wer die Vorgängerin Une femme est un homme comme les autre<br />
(Eine Frau ist ein Mann wie jeder andere auch) gesehen hat, kennt<br />
ihn schon: den chaotischen Klarinettisten Simon Eskenazy. Damals<br />
war es der hübschen Rosalie aus streng religiösem, jüdischen Hause<br />
gelungen, den Unwilligen unter den Traubaldachin zu schleifen und<br />
sich – ein einmaliger Ausrutscher – von ihm schwängern zu lassen.<br />
Doch Simon konnte und wollte nicht von den Männern lassen. Rosalie<br />
kehrte ihm und Frankreich den Rücken und rächte sich, indem sie<br />
Simon den Zugang zu seinem Sohn verwehrte.<br />
Und nun die Fortsetzung: Dass seine Ex es sich nach zehn Jahren<br />
bis auf weiteres anders überlegt hat und Simon zur zweiten Hochzeit<br />
einlädt, während dieser um die Zuneigung seines koscheren Sprösslings<br />
buhlen muss, der mit seinem Vater anfangs so gar nichts am Hut<br />
hat, ist noch das geringste seiner Probleme.<br />
Eine Amerika-Tournee steht bevor, als sich seine Mutter Bella<br />
die Hüfte bricht und nach dem Krankenhausaufenthalt zu ihm zieht.<br />
Bald ist das ganze Auschwitz-Komitee in Simons Wohnung versammelt,<br />
dessen Vorsitzende sie ist. Damit nicht genug: Die rigide Krankenschwester,<br />
die Simon einstellt, und ihre bettlägerige Patientin<br />
hassen einander von Herzen.<br />
Simon träumt von trauter Zweisamkeit mit Rafael, dem schüchternen<br />
Philosophiestudenten, der sich gerade entschlossen hat, seine<br />
Frau zu verlassen. Er gefällt sogar Bella. Doch leider zeigt sich, dass<br />
Rafael nicht gerade ein Ausbund an Temperament, um nicht zu sagen<br />
eine wandelnde Schlaftablette ist. Und so wacht Simon am Morgen<br />
des 14. Juli neben Naim, der sicherlich schönsten Transe mit algerischem<br />
Migrationshintergrund, die Paris zu bieten hat, auf, die er als<br />
Bedienung in einem Kabarett abgeschleppt hat.<br />
Simon will den Onenightstand, so schnell wie möglich loswerden,<br />
doch Naim lässt sich nicht so einfach entsorgen. Unversehens hat<br />
er sich in Simons Herz und bald auch in seinem Leben eingenistet.<br />
Naim ist empört, wie respektlos Simon seine Mutter behandelt. Seine<br />
erste Maßnahme ist die Vertreibung der unsympathischen Krankenschwester,<br />
als deren Ersatz er sich kurz darauf präsentiert. Bella ist<br />
begeistert von der Studentin „Habiba“, die ihr Haarpflegetipps gibt<br />
und sie liebevoll umsorgt.<br />
Bella lernt wieder gehen, sogar tanzen – aber dann stirbt sie<br />
unerwartet, und mit ihr Naims/Habibas Aufgabe. Doch ob Begräbnis<br />
oder Hochzeit – immer taucht eine geheimnisvolle Schönheit auf, die<br />
Simon den Kopf verdreht … kein anderer als Naim, der Perfektionist<br />
als Femme Fatale im exklusiven Fummel.<br />
Naim ist die eigentliche Zentralfigur der Geschichte. Mühelos<br />
spielt sein Darsteller Mehdi Debhi, ein Student am Conservatoire<br />
Simon Eskenazy (Antoine de Caunes, großes Foto); Naim (Mehdi Debhi) und Bella (Judith Magre, kleines Foto links)<br />
National, gestandene Stars wie Antoine de Caunes (Simon) und Elsa<br />
Zylberstein (Rosalie) an die Wand. Regisseur Zilbermann wählte ihn<br />
unter mehr als 300 Kandidaten beim Casting aus und bewies damit<br />
ein gutes Händchen. Nur scheinbar eine Nebenrolle, zieht Naim –<br />
wie bei vergleichbaren Molièrefiguren – mit leichter Hand die Fäden<br />
des Geschehens.<br />
Weil ein Paradiesvogel wie Naim so gar nicht in Simons braven<br />
Lebensentwurf integrierbar ist, löst er widersprüchliche Gefühle aus:<br />
Begehren und Abwehr. Simon sehnt sich nach der schwulen Variante<br />
bürgerlicher Beschaulichkeit, wie Rafael sie verkörpert, aber braucht<br />
lange, um sich einzugestehen, dass sie nicht zu ihm passt, ihn sogar<br />
langweilt. Wenn Simon Naim vor Rafaels Augen küsst, ist das schon<br />
ziemlich grausam und sagt viel über Simons Unfähigkeit aus, ehrlich<br />
zu sich selbst und anderen zu sein. Andererseits ähnelt Rafael auch<br />
in dieser Situation einem Schaf auf der Weide. Naim dagegen entzieht<br />
sich und taucht überraschend da auf, wo und wann man ihn am<br />
wenigsten erwartet. Er ist zweifellos in Simon verliebt, aber niemals<br />
verleugnet er sich selbst. Er spielt mit den vielen Masken, die alle ein<br />
Stück von ihm, ein Aspekt seiner Persönlichkeit sind. Voller ironischem<br />
Stolz und mit viel Lust an der Provokation macht er sich einen<br />
Spaß daraus, Simons ohnehin nicht gerade übersichtliches Leben<br />
noch mehr durcheinander zu wirbeln; dabei reizt Zilbermann das<br />
Konfliktpotential der jüdisch/arabischen Konstellation nicht einmal<br />
aus.<br />
Bemerkenswert, wie der Regisseur die vielen Handlungsstränge,<br />
jüdisches Milieu und die multikulti-schwule Liebesgeschichte miteinander<br />
verbindet, ohne je die Kontrolle zu verlieren. Die Komik<br />
ist eher leise, selbstironisch und durch Bellas Tod gebrochen. Das<br />
Happy-End gönnt man den Überlebenden dieser Tour de Force um<br />
so mehr. s<br />
Das verrückte Liebesleben<br />
des Simon Eskenazy<br />
von Jean-Jacques Zilbermann<br />
FR 2009, 100 Minuten, OmU<br />
Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />
Im Kino<br />
Gay-<strong>Film</strong>nacht im Januar<br />
www.gay-filmnacht.de<br />
12 13<br />
EDITIoN SALZGEBER (3)
kino<br />
sTARKEs sTüCK<br />
von Michael Sollorz<br />
Mit der kleinen Liebesgeschichte von Jamie und Ste, den Nachbarjungs aus der Hochhaussiedlung, rührte<br />
„Beautiful Thing“ seit 1996 ungezählte <strong>Film</strong>fanherzen. Ein Feelgoodmovie aus schwierigen Umständen,<br />
Coming-out-Klassiker und ein kleines Stück Utopia, ohne das man, wie unser Autor weiß, nicht<br />
menschenwürdig leben kann. Wer „Beautiful Thing“ nicht kennt, hat was verpasst und kann das nachholen:<br />
im Februar in der Gay-<strong>Film</strong>nacht.<br />
Beautiful Thing<br />
von Hettie MacDonald<br />
UK 1996, 90 Minuten, DF<br />
Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />
Im Kino<br />
Gay-<strong>Film</strong>nacht im Februar<br />
www.gay-filmnacht.de<br />
EDITIoN SALZGEBER<br />
s „Was glotzt du so, du Weichei?“ – So fängt das Drama schon an.<br />
Die Jungs in seiner Klasse mobben Jamie. Gemessen an dem Terror,<br />
dem er in der Schule jeden Tag ausgesetzt ist, macht der Sechzehnjährige<br />
noch einen erstaunlich unversehrten Eindruck.<br />
Seine Gegend ist nichts für Schwache; lerne, dich zu wehren,<br />
sonst gehst du kaputt. Und Jamie hat eine grandiose Lehrmeisterin<br />
– seine Mutter Sandra. Die ist, natürlich neben der Liebe, in dem kleinen,<br />
starken Kinostück der Star, die Seele; ihre energische Präsenz<br />
macht es unverwechselbar. Sie jobbt im Pub, ein strammes Weibsbild,<br />
fünfunddreißig, die Kippe zwischen den Lippen. Manchmal werden<br />
ihre Augen eng, dann sieht sie aus wie ein misstrauisches Tier, das<br />
man nicht zum Feind haben möchte. Sie hat Haare auf den Zähnen<br />
und würde sich gewiss auch kloppen. Selbst noch fast ein Kind, als<br />
sie ihren Jamie bekam, liebt sie den Jungen heute über alles. Doch<br />
er überfordert sie auch, zumal sie große Pläne hat, raus will aus<br />
dem Dreck, eine eigene Kneipe betreiben, umziehen in eine bessere<br />
Gegend. Diesem Ehrgeiz opfert sie sogar ihren Lover; eine bittere<br />
Szene, als sie ihm sagt, dass er nicht mehr kommen soll. Dabei war<br />
er doch immer gut zu ihr und sie hatten Spaß, und nun steht er da<br />
mit seiner traurigen Blume und seinen langen Haaren, eigentlich ein<br />
guter Fang, aber eben nicht gut genug.<br />
Nur einmal ist kurz von Jamies Vater die Rede. „Bin ich wie mein<br />
Dad?“, fragt Jamie, und Mutter Sandra antwortet: „Nein, du bist wie<br />
ich.“ Ansonsten spielt der Alte keine Rolle; sie verdrücken sich eben.<br />
Auch die andern Wohnungen im Block beherbergen nicht gerade<br />
Musterfamilien. Der Ton ist rau und keineswegs nur herzlich. „Verpiss<br />
dich, du Fotze!“, knurrt der trunksüchtige Nachbar hinter seiner<br />
Wohnungstür, als ihn Mutter Sandra durch den Briefschlitz zur Rede<br />
stellen will, weil er seinen Sohn wieder geschlagen hat, den stillen<br />
Steven, der in Jamies Klasse geht – und in den sich Jamie verliebt.<br />
Um dem Nachbarjungen zu helfen, holt ihn Mutter Sandra für die<br />
Nacht rüber zu sich. „Ich fürchte, du musst das Bett mit Jamie teilen.“<br />
Jamie kann sein Glück kaum fassen, so nimmt das Schicksal seinen<br />
schönen Lauf. Wem legt schon seine Mutter den ersten Geliebten ins<br />
Bett?<br />
Der schwule Mann und Mutti – ein Thema von Format. Wo lägen<br />
Schrecken und Gelächter dichter beieinander? Denn sie sind ja nicht<br />
immer gute Freundinnen, denkt man bloß an die greise Anne Bancroft<br />
in Torch Song Trilogy, wie sie in der Küche Harvey Fierstein zur<br />
Schnecke macht, oder, noch eine Liga monströser, Katherine Hep burn<br />
in Suddenly, Last Summer aus dem Jahre 1959, zu dem Gore Vidal und<br />
Tennessee Williams das Drehbuch schrieben.<br />
Beautiful Thing geht ebenfalls auf ein Theaterstück zurück.<br />
Es erlebte seine Uraufführung 1993 in London unter der Regie von<br />
Hettie McDonald, die drei Jahre später den <strong>Film</strong> realisieren konnte.<br />
Neben dem erfrischenden Soundtrack und den schnellen, deftigen<br />
Dialogen bezieht er seine mitreißende Energie auch aus der genauen<br />
Kenntnis des Milieus und seiner Akteure. Bevor der 1968 in Liverpool<br />
geborene Autor Jonathan Harvey vom Schreiben leben konnte,<br />
war er Grundschullehrer in Thamesmead, eben jener Hochhaussiedlung<br />
in Londons Südosten, wo auch Beautiful Thing entstand und<br />
schon Stanley Kubrick Teile von A Clockwork Orange drehte. Thamesmead<br />
steht für durchmischte Ethnien, Sozialhilfe und Suff. Noch<br />
nirgends sind die tristen Tableaus einfühlsamer ausgebreitet worden<br />
als im New British Cinema, in den Arbeiten von Mike Leigh, Stephen<br />
Frears oder Ken Loach. Bei schwächeren Regisseuren, darunter<br />
manchem deutschen Nachahmer, scheint soziales Elend oft nur die<br />
Kulisse abzugeben, und nicht immer erkennt man hinterher – abgesehen<br />
vom Unterhaltungsanspruch – weiterführende künstlerische<br />
Absichten.<br />
Beautiful Thing ist in der Hinsicht vollkommen unzweideutig.<br />
Hier geht es um eine klare Botschaft, einen Auftrag. Der <strong>Film</strong> will<br />
seinen Zuschauern Bilder geben, die Zuversicht stiften und ermutigen.<br />
Nimm den Kopf hoch und geh deinen Weg, auch bei hartem<br />
Gegenwind. Denn selbst im milderen Klima spürbarer Liberalisierung<br />
bleibt das Coming-Out individuell meistens ein harter Brocken.<br />
Nicht zufällig fällt einem der gleichnamige DDR-Spielfilm ein. Für<br />
Regisseur Heiner Carow war der provokante Schlachtruf des Dramatikers<br />
Friedrich Wolf, „Kunst ist Waffe“, keineswegs nur ideologische<br />
Phrase, sondern er sah sich mit seiner Arbeit an der Seite der Menschen<br />
in ihrem Ringen um ein besseres Leben. Über seine Zuschauer<br />
zu sozialistischen Zeiten hat er einmal gesagt: „Sie waren nicht viel<br />
reicher und nicht viel ärmer, sie mussten ihre Kohlen rein tragen<br />
und sorgten sich um ihre Kinder und saßen manchmal weinend zu<br />
Hause, weil sie nicht wussten, wie sie das alles schaffen sollten. Ich<br />
war immer sicher, die Leute zu kennen, zu denen ich rede.“ In diesem<br />
Sinne sind Beautiful Thing und Coming Out auch darin spürbar<br />
wesensverwandt: Sie entstanden in einem Gefühl der Verbundenheit<br />
und Verantwortung.<br />
„Es wird nach einem happy end / Im <strong>Film</strong> jewöhnlich abjeblendt“,<br />
schrieb Kurt Tucholsky in der Weltbühne über ein ehernes Gesetz des<br />
Kintopps. Achtzig Jahre ist das her – und gilt noch immer. Wie gerne<br />
man Jamie und Steven zuschaut in ihrer arglosen Unschuld, dem<br />
behutsamen Vortasten aufs verminte Feld erster Zärtlichkeit. Noch<br />
ist alles drin. Man wünscht ihnen den Hauptgewinn. Und hat man<br />
nicht das große Glück, Beautiful Thing mit heißen Ohren im Sozialkundeunterricht<br />
anschauen zu dürfen, sondern erst reiferen Alters im<br />
Lichtspielhaus, fragt man sich natürlich bange, was den kleinen Helden<br />
noch bevorsteht. Werden sie alles richtig machen? Wie lange wird<br />
es mit ihnen halten? Müssen sie raus aus der Hochhaussiedlung, und<br />
wie werden sie zwanzig Jahre später leben in ihrer kleinen Wohnung,<br />
mit dem Theaterabonnement und zwei Perserkatzen? Nein, wir fragen<br />
lieber nicht. „Und darum wird beim happy end / Im <strong>Film</strong> jewöhnlich<br />
abjeblendt.“<br />
Zuvor aber noch dieses unvergessliche Schlussbild, mit dem sich<br />
Beautiful Thing in die <strong>Film</strong>geschichte einschreibt. „Komm, tanz mit<br />
mir“, sagt Jamie nach all dem durchlittenen Kummer mit der Selbstannahme,<br />
und als sein Liebster im Hof vor aller Augen der Aufforderung<br />
folgt, betreten wir das Reich Utopia, ohne das niemand wirklich<br />
menschenwürdig leben kann. Dieses Schlussbild ist ein großes<br />
Gleichnis. Wer davon nicht berührt wird, dem hat sein Leben noch<br />
keinen Mut abverlangt, zum Beispiel den Mut, draußen die Hand des<br />
anderen nicht loszulassen, oder den Mut, sich zu küssen, auf einer<br />
belebten Straße und bitte nicht bloß zu Karneval.<br />
Selbst wer die Verfolgung des Andersartigen in der Ära Westerwelle<br />
& Wowereit für überwunden erklärt, weil ihm das Opfer-<br />
Gebarme unsexy scheint, wird still für sich einsehen, wie zielsicher<br />
diese einfache Szene der beiden eng umarmt tanzenden Jungs in das<br />
Herz unserer gemeinsamen Erfahrung vordringt. Denn die Kinder<br />
sind, noch immer, in Gefahr. Deswegen nimmt Mutter Sandra die<br />
Hand der verdrehten schwarzen Nachbarstochter. Die Frauen ergreifen<br />
wortlos Partei, solidarisieren sich, indem sie gleichfalls zu tanzen<br />
beginnen, langsam und umschlungen. „Dream A Little Dream<br />
Of Me“, erklingt dazu, und die Nachbarn glotzen. Die Kamera fährt<br />
die Parade ab. Da ist nicht viel Freude zu entdecken, bestenfalls<br />
Erstaunen, Belustigung, Fassungslosigkeit, aber eben auch Häme,<br />
Abscheu, reichlich unverhohlene Missbilligung. Aber so, wie Mutter<br />
Sandra trotzig die Versammelten mustert und voller Kampflust<br />
ihr Kinn vorstreckt, wird es kein Aas mehr wagen, den ersten Stein<br />
zu werfen. Ungefähr auf diesem „Zivilisationsstand“ befinden sich<br />
ein paar westeuropäische Gesellschaften, in denen es sich aushalten<br />
lässt. Jedoch schon in Budapest schützt die Polizei zum CSD die tapfere<br />
kleine Schar Demonstranten mit hohen Zäunen vor dem schäumenden<br />
Volkszorn. Machen wir uns nichts vor. Die Zeit, in der keine<br />
Coming-Out-<strong>Film</strong>e mehr entstehen müssen, und zwar nirgendwo auf<br />
unserer Welt – diese Zeit liegt noch in weiter Ferne. s<br />
14 15<br />
kino
kino kino<br />
HEUL doCH!<br />
von Peter SchMidt<br />
Rob epstein und Jeffrey friedman legen mit „howl – Das Geheul“ im Januar den ultimativen allen<br />
Ginsberg film vor. ein anlass für SISSy sich mal anzugucken, welchen einfluss die Beat-Generation in<br />
den letzten 50 Jahren auf das Kino hatte und weiter haben wird. eine kleine Bestandsaufnahme.<br />
16<br />
Peter Orlovsky (Aaron Tveit) und Allen Ginsberg (James Franco)<br />
PANDoRA FILM<br />
s Neal Cassady lief in der Nacht des 3. Februar 1968 etwas außerhalb<br />
von San Miguel de Allende in Mexiko im Regen die Bahngleise<br />
entlang, als er beschloss, dass er jetzt zu müde sei, um weiterzugehen.<br />
Er legte sich hin. Wenig später fiel er auf Grund der Mischung aus<br />
Alkohol und Drogen in seinem Blut in ein Koma und wachte nie wieder<br />
auf. Cassady war 41, als er starb, und einen erheblichen Teil seines<br />
Lebens betrunken gewesen.<br />
1955 begann der 27-jährige Allen Ginsberg ein Gedicht zu schreiben,<br />
dessen „heimlicher Held“ Cassady war: „Howl“. Lange gab der<br />
Dichter vor, „Howl – Das Geheul“ in einem einzigen wilden Rausch<br />
verfasst zu haben, denn so las es sich. In Wahrheit arbeitete Ginsberg<br />
mehrere Monate an dem Text, den er kurz nach Fertigstellung in<br />
einem Cafe in San Francisco erstmals öffentlich vortrug.<br />
1957 wurden 520 in England gedruckte Exemplare von „Howl and<br />
other poems“ vom amerikanischen Zoll beschlagnahmt und Ginsbergs<br />
Verleger Lawrence Ferlinghetti wegen „Obszönität“ angeklagt.<br />
Besonders die Zeilen, in denen Ginsberg beschrieb, wie „engelhafte<br />
Hipster“ sich von „heiligen Motorradfahrern in den Arsch ficken“ ließen<br />
und dabei „vor Freude schrien“, hatten es der Anklage angetan.<br />
Im selben Jahr gestand Ginsberg einem Journalisten: „Das, wovor<br />
ich mich am meisten fürchtete, war immer, was mein Vater bloß denken<br />
würde. Darüber, was da so drin stand. Aber da ich nie daran<br />
gedacht hatte, „Howl“ zu veröffentlichen, nahm ich an, ich könne<br />
auch einfach schreiben was ich wollte.“ Falsch gedacht.<br />
2010 ist „Howl“ das vielleicht bekannteste Werk der amerikanischen<br />
Poesie der letzten 60 Jahre. Alle paar Jahre klagen an irgendeinem<br />
amerikanischen College mal wieder Eltern, weil sie nicht wollen,<br />
dass ihre Kinder Ginsbergs „Geheul“ zu hören bekommen. Sie verlieren<br />
jedes Mal, denn schon 1957 ist im Prozess gegen Ferlinghetti<br />
geklärt worden, dass „Howl“ mehr ist als die Summe seiner teils kruden<br />
Worte: ein Kunstwerk, das es zu schützen gilt, das Porträt einer<br />
Generation, die Innenansicht der ersten amerikanischen Counter-<br />
Culture: der Beat-Generation.<br />
Diesen Durchbruch im Kampf um die Meinungs- und Redefreiheit<br />
machen die Oscar-Preisträger Rob Epstein und Jeffrey Friedman<br />
jetzt zur Grundlage ihres ersten Spielfilms. Howl wurde im Wettbewerb<br />
der Berlinale 2010 präsentiert und lief im letzten Herbst vielbeachtet,<br />
positiv besprochen und gut besucht in den amerikanischen<br />
Kinos. James Franco, der im <strong>Film</strong> Allen Ginsberg spielt, war im Februar<br />
für fünf Tage das Hauptgesprächsthema unter Schwulen in Berlin<br />
und nahm zum Abschluss einen Teddy für seinen überaus queeren<br />
Kurzfilm The Feast of Stephen mit nach Hause.<br />
Im <strong>Film</strong> benutzen die Regisseure den ersten öffentlichen Vortrag<br />
von „Howl“ und den Prozess um den Text nicht nur, um eine Ginsberg-Biografie<br />
zu erzählen, sondern auch dazu, das gesellschaftliche<br />
Spannungsfeld, in dem sich die „Beats“ 1 bewegten, darzustellen und<br />
den selbstbewussten Umgang der Gruppe mit Homosexualität zu<br />
illustrieren.<br />
Epsteins und Friedmans postulierte Absicht, „‚Howl‘ durch den<br />
<strong>Film</strong> einer jüngeren Generation zugänglich zu machen“, scheint im<br />
richtigen Moment und mit den richtigen Zutaten auf den Zeitgeist<br />
getroffen zu sein. Allerdings scheitert der <strong>Film</strong> in seinen Animationssequenzen,<br />
die die Regisseure dazu benutzen wollten, den Text des<br />
Gedichts in Bilder zu übersetzen, völlig. Und das weniger technisch<br />
als schlicht daran, dass man sich im amerikanischen Mainstream-<br />
Kino auf die Nichtdarstellbarkeit von pornografischen Inhalten<br />
geeinigt hat. So werden heilige fickende Motorradfahrer zu psychedelisch<br />
angeschmierten Blumen und Bienchen und jedes Mal, wenn<br />
jemand bläst, ist eine in Sonnenlicht zerfließende Trompete zu sehen.<br />
Im <strong>Film</strong> sagt ein als Zeuge im Prozess berufener Literaturwissenschaftler:<br />
„Poesie lässt sich nicht in Prosa übersetzen, sonst wäre sie<br />
1 „Beats“ war die Eigenbezeichnung, das gebräuchlichere „Beatniks“ ein Schimpfwort der<br />
konservativen Öffentlichkeit.<br />
17
kino<br />
Allen Ginsberg (James Franco)<br />
keine Poesie.“ Quot erat demonstrandum. Trotzdem ist Howl mehr<br />
als sehenswert, vor allem wegen des fantastischen Ensembles: Franco<br />
wird unter anderem von Treat Williams, David Strathairn, Bob Balaban<br />
und der wie immer fabelhaften Mary-Louise Parker dabei unterstützt,<br />
Ginsberg und sein Gedicht einmal mehr ins postmodern unterhaltsame<br />
Nirwana zu kultivieren. Schockierend ist das nicht mehr,<br />
aber schön bunt.<br />
Die cineastische Legendenbildung um „Die Beat-Generation“<br />
begann schon 1959, als der <strong>Film</strong> Die Haltlosen in die amerikanischen<br />
Kinos kam, in dem sich Busenwunder Mami van Doren von einem<br />
Beat vergewaltigen lassen muss und Louis Armstrong eine bürgertaugliche<br />
Version des Beat spielen darf, der sich zum Jazz ungefähr so<br />
verhält wie der Rock zum Punk. Zwei Jahre zuvor war Jack Kerouacs<br />
„On the Road“ erschienen und hatte ihn, Cassidy, der die Grundlage<br />
für die Hauptfigur von „On the Road“ ist, und mit ihnen alle Beats zu<br />
Ikonen der amerikanischen (Gegen-)Kultur gemacht.<br />
Im gleichen Jahr, in dem „Die Haltlosen“ dem Mainstream-Publikum<br />
ein Zerrbild der Gruppe zeigte, veröffentlichten die so Verunglimpften<br />
ihren einzigen eigenen <strong>Film</strong>: Pull My Daisy. Der von Jack<br />
Kerouac als Regisseur verantwortete Halbstünder veranschaulicht,<br />
wie der Besuch eines Bischofs bei einem bürgerlichen Paar von den<br />
Beat-Freunden desselben torpediert wird. Ginsberg, sein Lebensgefährte<br />
Peter Orlovsky und ihre Freunde spielen sich selbst und haben<br />
einen Heidenspaß an der Überhöhung ihrer inzwischen öffentlichen<br />
Images.<br />
Während der 60er und 70er Jahre nahm der Einfluss der im Beat<br />
postulierten Werte Freiheit, Zärtlichkeit und Selbsterforschung ohne<br />
Rücksicht auf Verluste oder Moral stetig zu. Blumenkinder, freie<br />
Liebe oder das von Ginsberg mit initiierte Auftauchen von Zen und<br />
Buddhismus in der amerikanischen Kultur, das Autorenkino der 60er<br />
und 70er, die Etablierung von Beatpapst William S. Burroughs als<br />
literarische Größe, Hunter S. Thompsons von „On the Road“ inspirierter<br />
New Journalism oder der 1975 mit fünf Oscars ausgezeichnete<br />
Einer flog übers Kuckucksnest nach der Romanvorlage von Ken Kesey<br />
– nichts davon wäre ohne die Beat-Bewegung denkbar gewesen. „Man<br />
musste erst die Grenzen der Wahrnehmung auflösen, bevor man weiterdenken<br />
konnte“, hat es Burroughs einmal umschrieben.<br />
Diese deutlichen Zeichen der gesellschaftlichen Wirksamkeit<br />
wurden erst 1980 erstmals in einen Spielfilm verpackt. In John<br />
Byrums Heart Beat spielt Nick Nolte Neal Cassady, <strong>Sissy</strong> Spacek seine<br />
Frau Carolyn, auf deren Memoiren der <strong>Film</strong> basiert, und John Heard<br />
darf als Jack Kerouac die egomanischen Seiten seiner Figur ausstellen.<br />
Der Claim zum <strong>Film</strong>, “They shocked us. They outraged us. They<br />
didn’t do anything wrong. They just did it first.”, zeigt, dass der Einfluss<br />
der Beats auf die gesamte amerikanische Kultur der zweiten<br />
Hälfte des 20. Jahrhunderts längst Allgemeingut war.<br />
18<br />
PANDoRA FILM<br />
Seitdem haben sich unzählige amerikanische <strong>Film</strong>e mit den Beats<br />
auseinandergesetzt und auch ihre Werke sind mehrfach verfilmt worden.<br />
Die bekanntesten sind The Last Time I Committed Suicide mit<br />
Keanu Reeves, David Cronenbergs Naked Lunch von 1991 und Noah<br />
Buschels Neal Cassady von 2007. Ein unentdeckter Schatz: Beat aus<br />
dem Jahr 2000, in dem Courtney Love Joan Vollmer Burroughs spielt.<br />
Der als Ehedrama angelegte und in Deutschland unter dem Titel Extreme<br />
Beat auf DVD veröffentlichte Indiestreifen gibt überraschenderweise<br />
Kiefer Sutherland die Gelegenheit, als mittelalter, tuntiger<br />
Williams S. Burroughs zu brillieren.<br />
Für Neu- oder Quereinsteiger ins Thema gibt es einen Schwung<br />
sehr erhellender Dokus. The Beat Generation von 1987 war einer<br />
der ersten <strong>Film</strong>e der Edition Salzgeber und ist auch heute noch sehr<br />
sehenswert. In dem gerade auf DVD wiederveröffentlichten Die Beat<br />
Generation – Wie alles anfing und im amerikanischen sehr viel origineller<br />
betitelten The Source von 1999 spielt Johnny Depp passenderweise<br />
Jack Kerouac und Dennis Hopper darf Allen Ginsbergs Texte<br />
zu seinen eigenen machen. Beide <strong>Film</strong>e strotzen vor Originalaufnahmen<br />
mit den Vertretern der Beats und bespiegeln eindrucksvoll, wie<br />
lebendig deren Werte auch im neuen Jahrtausend sind.<br />
Für 2011 ist die Neuverfilmung von „On the Road“ von Walter Salles<br />
mit Sam Riley in der Hauptrolle in Arbeit. Neal Cassady scheint<br />
auch über dreißig Jahre nach seinem Tod sehr lebendig zu sein. Es<br />
darf also weiter geheult werden. Das ist eine gute Sache. s<br />
Die Beatgeneration –<br />
Wie alles anfing<br />
von Chuck Workman<br />
US 1998, 85 Minuten, OmU<br />
Auf DVD<br />
Ascot Elite, www.ascot-elite.de<br />
Howl – Das Geheul<br />
von Rob Epstein und Jeffrey Friedman<br />
US 2010, 90 Minuten, DF<br />
Pandora <strong>Film</strong>, www.pandorafilm.de<br />
Im Kino<br />
ab 6. Januar 2011<br />
Wie ich zum ersten Mal<br />
Selbstmord beging<br />
von Stephen Kay<br />
US 1997, 89 Minuten, DF<br />
Auf DVD<br />
Kinowelt, www.arthaus.de<br />
Naked Lunch<br />
von David Cronenberg<br />
CA/UK/JP 1991, 110 Minuten, DF<br />
Auf DVD<br />
Kinowelt, www.arthaus.de<br />
Ab 2.12. im Kino – alle Infos unter houseofboys.de<br />
Auch am 17. & 20.12. in der Gay-<strong>Film</strong>nacht im CinemaxX
kino<br />
MUTTERMoRd<br />
von johann WaSSer<br />
Das kanadische Wunderkind Xavier Dolan schrieb mit sechzehn<br />
sein erstes Drehbuch, eine halbbiografische Geschichte um<br />
ein gestörtes Mutter-Sohn-Verhältnis. Damit sorgt er seit der<br />
Premiere in Cannes 2009 für Furore. Nun kommt „I Killed My<br />
Mother“ endlich auch in die deutschen Kinos.<br />
Eine Annäherung.<br />
s Eine Szene, wie sie so oder ähnlich jeder kennt, der sich als<br />
Jugendlicher für seine Eltern geschämt hat oder zumindest von ihnen<br />
genervt war: Mutter und Sohn sitzen am Küchentisch und die Frau<br />
im geschmacklosen Pullover isst recht unbeholfen ein Brötchen, Reste<br />
des cremigen Belags bleiben in ihren Mundwinkeln hängen. Der Sohn<br />
verdreht nur die Augen und weist sie auf ihren Fauxpax hin. Überhaupt<br />
hat der 16-jährige Hubert dauernd was an ihr auszusetzen:<br />
Wenn sie sich während der Autofahrt am Steuer schminkt, wenn sie<br />
nicht zuhört oder Dinge vergisst, wenn sie ihre Soaps im Fernsehen<br />
ansieht. In der Schule behauptet er, seine Mutter sei tot. In ebenso brillanten<br />
wie bösartigen Dialogen breiten Mutter und Sohn ihr neurotisches<br />
Verhältnis aus, das durchaus ambivalent ist. Wenn ihr jemand<br />
etwas antun würde, wäre Hubert zum Rachemord bereit. Und trotzdem<br />
kann er locker 100 Leute aufzählen, die er mehr liebt als sie.<br />
Einer von ihnen ist sein Freund Antonin, mit dem er seit zwei<br />
Monaten zusammen ist. Seine Mutter erfährt das nebenbei im Sonnenstudio,<br />
von Antonins Mutter. Und während sie sich mit ihrem<br />
Sohn wegen jeder Kleinigkeit in die Haare kriegt, versucht er sein<br />
eigenes verwirrendes Leben auf die Reihe zu bringen.<br />
Gespielt und inszeniert wird dieser Hubert von Xavier Dolan. Das<br />
Buch schrieb er ebenfalls, es basiert lose auf der Beziehung zu seiner<br />
eigenen Mutter. Im Mai 2009 hatte der <strong>Film</strong> seine Weltpremiere auf<br />
dem <strong>Film</strong>fest in Cannes, wo er gleich drei Preise abräumte. Und über<br />
Nacht wurde aus einem 20-jährigen Jungen das Phänomen Xavier<br />
Dolan, das kanadische Wunderkind. Jung, smart, wahnsinnig gutaussehend,<br />
aber auch leicht arrogant, wurde er zunächst in Frankreich,<br />
dann weltweit zum Festival- und Mediendarling. Im vergangenen<br />
Februar ging der <strong>Film</strong> dann sogar als kanadischer Beitrag ins Oscar-<br />
Rennen für den besten nichtenglischsprachigen <strong>Film</strong>. Da war Xavier<br />
Dolan nach US-amerikanischem Recht noch nicht einmal volljährig.<br />
Geboren wurde der Sohn eines Schauspielers am 20. März 1989<br />
in Québec. Als Kind spielte er in zahlreichen kanadischen <strong>Film</strong>en<br />
und Serien mit, bevor er mit sechzehn ein Drehbuch schrieb, in<br />
einem Alter also, in dem die anderen Jungs eher mit Hormonen und<br />
dem Erkunden des eigenen Körpers und denen anderer beschäftigt<br />
sind und sich ihre libidinöse Kreativität aufs Verfassen schwülstiger<br />
Gedichte beschränkt. Es war sein erstes Drehbuch und sein erster<br />
<strong>Film</strong>, ohne jedes Vorwissen, finanziert von den 150.000 Dollar, die er<br />
sich als Kinderstar verdient hatte. Woher hatte er mit sechzehn dieses<br />
Selbstvertrauen? „Das ist weniger Selbstvertrauen als Ignoranz. Der<br />
<strong>Film</strong> hat etwas Amateurhaftes. Das heißt nicht, dass ich nicht stolz auf<br />
einige Ideen darin bin, aber es war doch eher ein Suchen nach einer<br />
eigener Handschrift, eine Art Experiment.“ Eines freilich, das ihn auf<br />
den Roten Teppich in Cannes und danach so ziemlich jedes <strong>Film</strong>fest<br />
dieser Welt brachte. Das deutlichste Ergebnis dieses Ausprobierens,<br />
sein prägnantestes Stilmittel sind Szenen von oft banaler Alltäglichkeit,<br />
die durch Zeitlupe und den Einsatz musikalischer Motive überhöht<br />
werden. Sie sind zugleich schön, fast zu schön, und tieftraurig.<br />
Aber so formal ungewöhnlich sie auch scheinen, neu sind sie nicht.<br />
Mit ganz ähnlichem Effekt (und ähnlichem Score) hat das auch schon<br />
Wong Kar-Wai in In the Mood for Love getan. Das macht Xaviers Szenen<br />
freilich nicht weniger berückend.<br />
Auch sein zweiter <strong>Film</strong> Heartbeats, den er gleich im Anschluss<br />
drehte und der im Frühjahr in den deutschen Kinos anlaufen wird,<br />
sei zum Teil autobiografisch, sagt Xavier. „Nicht eins zu eins, aber für<br />
mich ist Liebeskummer wie eine Platte mit einem Sprung – alles wiederholt<br />
sich immer wieder. Ich werde in Liebesdingen einfach nicht<br />
erwachsen. Auch wenn ich es in der Theorie besser weiß, benehme ich<br />
mich doch noch immer wie ein unbeholfener Teenager.“ Er kokettiert<br />
überhaupt gern mit seinem Alter. Wenn er Fragen nach der Bedeutung<br />
seiner <strong>Film</strong>e nicht mag, sagt er gern Sätze wie „Ich bin jung. Ich<br />
habe keine Ahnung, was ich tue.“ Wie arbeitest du? „Ich schreibe und<br />
dann drehe ich.“ So einfach? „Ja. Bisher zumindest. Aber es ist einfach,<br />
weil es ignorant ist. Es ist jung und unbedarft und frei und liebevoll.<br />
<strong>Film</strong>emachen ist für mich wie Liebemachen, ich denke nicht viel<br />
darüber nach. Es sind einfach Dinge, die raus müssen.“ Deshalb fing<br />
er auch sofort nach dem Erfolg in Cannes mit seinem zweiten <strong>Film</strong> an.<br />
„Es war mir unvorstellbar, nach I Killed My Mother warten zu müssen,<br />
bis ich den nächsten <strong>Film</strong> machen kann. Das ist für mich kein<br />
Job. Es ist eine Droge, eine Lebenseinstellung. Mein Modus Vivendi.“<br />
Und auch der dritte <strong>Film</strong> ist bereits in Arbeit. Lawrence Always wird<br />
noch ambitionierter. „Ein tragischer Liebesfilm über einen Mann,<br />
der zur Frau werden will und seine Verlobte bittet, bei ihm zu bleiben<br />
und ihm bei seiner Transformation beizustehen.“ Und mit einem<br />
ironischen Grinsen fügt er hinzu: „Nicht biografisch.“ Und er plant<br />
diesmal auch nicht, selbst mitzuspielen. Überhaupt scheint die Schauspielerei<br />
ein sensibles Thema zu sein. Auf die offensichtlich nervige<br />
Frage, ob er auch wieder für andere Regisseure vor der Kamera stehen<br />
wird, verdreht er ganz Hubert-isch die Augen. „Ich werde einfach<br />
nicht als Schauspieler gesehen. Ich bekomme keine Anfragen. Wenn<br />
mich jemand fragen würde, würde ich ja sagen. Vielleicht denken sie,<br />
ich sei ein Laiendarsteller oder einfach nur schlecht und ein Loser,<br />
der sich in seinen <strong>Film</strong>en selbst besetzt, weil er sonst keine Rollen<br />
bekommt.“ Wenn man leise Zweifel anbringt, schnaubt er verächtlich:<br />
„Das ist die Realität! All die Preise waren für den <strong>Film</strong>, nicht für<br />
meine Performance.“<br />
Die Aversion gegen den Vergleich mit seiner Generation hat<br />
Xavier mit Hubert gemein: „Hör auf, mich mit den anderen zu vergleichen.<br />
Ich bin nicht wie sie!“, schreit der seine Mutter an und man<br />
kann nur ahnen, worauf Xavier damit in seiner eigenen Biographie<br />
anspielt. Denn da will er sich nicht so richtig festlegen: „Einiges passierte<br />
so in meinem Leben, aber das ist heute längst anders. Und ich<br />
habe viel dazu erfunden.“ Vielleicht erklärt das auch den Hype um<br />
ihn, als <strong>Film</strong>emacher und als Person. Klar, da ist die Faszination fürs<br />
Wunderkind, die Entdeckung eines Talents quasi aus dem Nichts, der<br />
Drang zum Geniekult, aber es ist mehr. Da ist endlich wieder einer,<br />
der sich was traut, mit einem unbedingten Stilwillen. Und einer, der<br />
seine Neurosen und seinen Herzschmerz mit jugendlicher Grandezza<br />
und Übertreibung in Bilder verwandelt, die zum Sterben schön sind.<br />
Wong Kar-Wai fällt da ein, aber auch Tom Ford. Nur ist Xavier Dolan<br />
halb so alt wie sie. Kaum auszumalen, was aus ihm noch werden kann.<br />
Möge er nicht allzu schnell erwachsen werden. s<br />
I Killed My Mother<br />
von Xavier Dolan<br />
CA 2009, 100 Minuten, Fassung<br />
Kool <strong>Film</strong>, www.koolfilm.de<br />
Im Kino<br />
ab 3. Februar<br />
20 21<br />
KooL FILM<br />
kino
kino kino<br />
A Crying Boy<br />
SaScha WeStPhal<br />
Dass sich die Queer-Artistin Sam Taylor-Wood ausgerechnet<br />
den jungen John Lennon als Helden ihres ersten Spielfilms<br />
auswählt, konnte man nicht unbedingt erwarten. Aber wie<br />
sie ihn inszeniert, ist durchaus doppelbödig. „Nowhere Boy“<br />
startet am 8. Dezember in den Kinos.<br />
s „Crying Men“ – „Weinende Männer“, so heißt eine Serie von Photographien<br />
der englischen <strong>Film</strong>emacherin, Photographin und Videokünstlerin<br />
Sam Taylor-Wood aus dem Jahr 2002. Auf 28 großformatigen<br />
Photographien zeigt sie Männer beim Weinen. Einige von ihnen<br />
sind in Tränen aufgelöst, andere versuchen, ihre Emotionen unter<br />
Kontrolle zu bringen. Ein paar machen Anstalten, ihre Gesichter hinter<br />
erhobenen Händen und Armen zu verbergen, wieder andere blicken<br />
direkt in die Kamera. Doch etwas haben diese Bilder trotz allem<br />
gemeinsam: Jedes von ihnen ist Spiel und Inszenierung, und keines<br />
zeigt einen anonymen Fremden. Alle Porträtierten sind berühmte<br />
Schauspieler, die der Betrachter der Photoserie schon unzählige Male<br />
gesehen hat, nur eben so noch nicht.<br />
Die Stars spielen zwar für Sam Taylor-Woods Kamera nur eine<br />
Rolle, ganz so wie sonst auch. Aber dabei zeigen sie eine Verletzlichkeit,<br />
die etwas Subversives hat. Männer weinen in der abendländischen<br />
Welt nicht – zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Tränen<br />
gelten immer noch als ein Zeichen von Schwäche, als Blöße, die sich<br />
niemand geben möchte. Sie sind einfach nicht mit dem bürgerlichen,<br />
protestantisch geprägten Bild von Männlichkeit vereinbar, das unsere<br />
Kultur in den vergangenen 200 Jahren so nachhaltig geformt hat.<br />
Seit den späten 60er Jahren hat dieses Bild zwar immer mehr<br />
Risse bekommen. Doch noch ist seine Tyrannei nicht Vergangenheit;<br />
und das verleiht der Serie „Crying Men“ solch eine Kraft. Sam Taylor-<br />
Wood inszeniert, mehr noch zelebriert ein anderes, ein empfindsameres<br />
Ideal. Ihre Bilder konfrontieren den Betrachter mit einer Männlichkeit,<br />
die sich öffnet statt sich zu verschließen, die auf Ehrlichkeit<br />
und Emotionen statt auf Macht und Stärke fußt. Die Tränen ihrer<br />
Models sind irritierend und verführerisch, verstörend und ergreifend,<br />
und sie höhlen als stete Tropfen den Stein im kontrollierten Herzen<br />
der westlichen Gesellschaft aus.<br />
Noch einmal geht der von Aaron Johnson gespielte John Lennon<br />
durch den Park, den er in den letzten drei Jahren so oft durchquert<br />
hat … jedes Mal, wenn er auf dem Weg vom Haus seiner Tante Mimi<br />
unterwegs zu Julia, seiner Mutter, war, die ihn einst, da war er gerade<br />
fünf Jahre alt, ihrer Schwester überlassen hatte. Die Wunden, die dieser<br />
Verrat hinterlassen hatte, begannen gerade erst zu heilen. Doch<br />
dann hat ein Auto Julia, die nach einem gemeinsamen Tag mit Mimi<br />
auf dem Weg nach Hause war, aus dem Leben gerissen. Nun ist John<br />
wieder alleine mit seiner Tante und seinen Erinnerungen. Also kehrt<br />
er, vielleicht zum letzten Mal, in den Park zurück. Aus dem aufsässigen,<br />
seine Verlorenheit hinter einer Maske aus Anmaßung und Unverschämtheit<br />
verbergenden Jungen ist der John Lennon geworden, der<br />
schon wenige Jahre später zur Pop-Ikone werden sollte.<br />
Doch an diesem Nachmittag setzt Lennon sich einfach unter<br />
einen der großen Bäume ins Gras und raucht. Zwischen den Zügen<br />
spielt er mit der Zigarette in seinen Fingern, während sein Blick ins<br />
Nichts geht. In einer Großaufnahme, die alles um ihn herum zu Schemen<br />
macht und in Aaron Johnsons Gesicht eine ganze Welt entdeckt,<br />
füllen sich seine Augen nach und nach mit Tränen. Für einen Moment<br />
steht die Zeit in Sam Taylor-Woods erstem langen Spielfilm still.<br />
Ginge es alleine nach den Regeln Hollywoods und seiner Nachahmer<br />
auf der ganzen Welt, wäre diese kleine Szene gänzlich überflüssig<br />
und wahrscheinlich auch nie gedreht worden. Schließlich erzählt sie<br />
nichts. Doch ohne sie wäre Nowhere Boy nichts als ein weiteres freudianisches<br />
Musikerporträt wie so viele andere aus den vergangenen<br />
Jahren. Schon zuvor zeigt Sam Taylor-Wood mehrmals einen weinenden<br />
John Lennon. In diesen Tränen entladen sich die Dramen und<br />
Tragödien seiner Kindheit und Jugend. Es sind Momente klassischer<br />
Kino-Sentimentalität. Nicht so diese eine Großaufnahme, die einen<br />
Bogen zu Taylor-Woods „Crying Men“-Zyklus spannt: Aaron Johnson<br />
weint die Tränen einer von ihren Masken befreiten Männlichkeit.<br />
Es sind hermaphroditische Tränen. Durch sie wird das Biopic zum<br />
transgressiven Kunstwerk. s<br />
Nowhere Boy<br />
von Sam Taylor Wood<br />
GB/CA 2009, 98 Minuten, DF/OmU<br />
Senator, www.www.senator.de<br />
Im Kino<br />
ab 8. Dezember<br />
SENAToR (2)<br />
Ins offene<br />
von jan küneMund<br />
In Benoit Jacquots Spielfilm „Villa Amalia“ (Kinostart am 25.11.) gibt eine rätselhafte<br />
Heldin ihr bisheriges Leben auf und macht sich auf den Weg in etwas Neues<br />
(zum Beispiel eine Affäre mit einer Frau). Isabelle Huppert gibt dieser Heldin ein<br />
unergründliches Gesicht und der <strong>Film</strong> fiebert unbeirrt und traumhaft schön durch<br />
seine geheimnisvolle Geschichte.<br />
s Ich höre auf. Ich verlasse dich. Mit uns ist<br />
es vorbei. Ich verkaufe alles. Ich kündige. Es<br />
ist aus.<br />
Eine Frau macht einen sauberen Schnitt,<br />
trennt sich von Mann, Karriere, Wohnung,<br />
ihrem Auto, ihrem Telefon, ihrem Klavier,<br />
ihrer Frisur. Auf die Frage nach dem Warum<br />
reagiert sie den ganzen <strong>Film</strong> hindurch<br />
al lergisch. Gut, es ist etwas vorgefallen – sie<br />
hat gesehen, wie ihr Mann eine andere Frau<br />
küsst – aber die Bewegung dieser Frau ins<br />
Geheimnisvolle ist nicht allein durch diesen<br />
Vorfall motiviert.<br />
Benoit Jacquots <strong>Film</strong> über seine nomadische<br />
Heldin inszeniert exzessiv (wie andere<br />
vorher auch) das Gesicht und den Körper der<br />
Schauspielerin Isabelle Huppert als perfekte<br />
Projektionsflächen, in denen permanent<br />
Bewegung herrscht, die aber nichts von sich<br />
aus bedeuten oder einfach lesbar wären. Die<br />
kleine Welt um die Figur Eliane Hidenstein<br />
verrät genausowenig, warum sie so verlassenswert<br />
ist – wir sehen sie nur als Ensemble<br />
zu verkaufender, aufzugebener Dinge.<br />
Eben noch sagt die Pianistin und Komponis-<br />
tin, dass das Klavier ihr Beruf ist, so wird es<br />
einige Szenen später schon in den LKW der<br />
Speditionsfirma verfrachtet. Scheint ihr Auto<br />
gerade noch der Schutzraum gewesen zu<br />
sein, in dem sich ihre Wut über die Untreue<br />
ihres Mannes in einem lauten Schrei äußern<br />
lässt, so wird es wenig später beim Autohändler<br />
abgegeben. Nie sieht man Eliane Hidenstein,<br />
die ihren Namen schon zuvor in „Ann<br />
Hidden“ geändert hat und später nochmal in<br />
„Anna“ ändern wird, etwas kaufen. Immer<br />
wieder dagegen zu Müllcontainern laufen,<br />
in die sie scheinbar neue Dinge wieder entsorgt.<br />
Sehr deutlich wird gezeigt, wie diese<br />
Figur zum Subjekt wird, in dem sie sich von<br />
festen Verbindungen löst. Doch Villa Amalia<br />
ist kein Sozialdrama.<br />
Der Moment des Schnitts, der die frühere<br />
von der neuen Ann-Eliane trennt, ist ganz<br />
bewusst ein <strong>Film</strong>-Moment. Es ist Nacht, es<br />
regnet, es gibt eine Autoverfolgungsfahrt,<br />
eine verbotene Entdeckung, eine verlorene<br />
Frau auf der Straße, das plötzliche Auftreten<br />
eines alten Freundes aus der Kindheit, eine<br />
dramatisierte Verunsicherung im Straßenla-<br />
PERIPHER FILMVERLEIH<br />
ternenlicht, ein Wegkippen des Alltags, ein<br />
leichtes Bildfieber. Danach soll – mit großer<br />
Entschiedenheit – alles anders werden und<br />
wir sehen, wie Ann-Eliane das anstellt. „Es<br />
ist gar nicht so einfach, heute zu verschwinden!“,<br />
sagt ihr Freund. Aber sie tut ihr Möglichstes,<br />
vermeidet alles, was sie bindet, festhält,<br />
lokalisierbar macht, auch den Freund.<br />
Sie wählt die Rolle der Nomadin wie eine<br />
Bebilderung der feministischen Figur Rosi<br />
Braidottis als Annahme und Subjektposition<br />
ihrer Ort- und Identitätslosigkeit. Sie spricht<br />
Deutsch in Deutschland und Italienisch in<br />
Italien, sie macht ohne Aufhebens aus Ann<br />
Anna, sie taucht ins Meer ein wie vorher in<br />
ihr kommunales Schwimmbad, sie spielt auf<br />
herumstehenden, verstimmten Klavieren,<br />
sie schreckt in Hotelzimmern neben neuen<br />
Männern aus dem Schlaf auf. Sie verschwindet<br />
nicht nur, sie wird zum Geheimnis.<br />
Nach ungefähr einer Stunde taucht die<br />
Villa Amalia aus dem <strong>Film</strong>titel auf. Ein verlassenes<br />
Haus auf Ischia, das nur noch dem<br />
Berg gehört, an dem es hängt. Es blickt, filmwirksam<br />
rot getüncht wie zuvor Anna filmwirksam<br />
taubengrau gekleidet, aufs Meer<br />
hinaus. Man sieht nicht, wie sie es bezieht,<br />
Möbel kauft, herrichtet. Es steht da einfach,<br />
im <strong>Film</strong>. Ein junges Paar taucht auf, von dem<br />
bald nur noch die Frau in der Geschichte<br />
bleibt, Giulia. Mit Giulia ist Anna plötzlich<br />
zusammen, ohne dass das (ein Klassiker des<br />
lesbischen <strong>Film</strong>s!) der Schritt von einer falschen<br />
Identität in eine gleichgeschlechtliche<br />
richtige wäre. Giulia findet, dass Annas<br />
Gesicht „aus einer anderen Welt“ kommt.<br />
Kurz bevor sich Anna mit einem erneuten<br />
Aufreißen der Villa-Amalia-Jalousien<br />
aus dem <strong>Film</strong> verabschiedet, ohne dass damit<br />
angedeutet würde, dass sie einen neuen Ort,<br />
eine neue Identität angenommen hätte (es ist,<br />
wie Ekkehard Knörer geschrieben hat, einfach<br />
eine Geste, ein Schlussbild „ins Offene“),<br />
führt sie die Geschichte noch einmal in die<br />
Eliane-Vergangenheit. Sie begegnet ihrem<br />
Vater, der die Familie damals verlassen hat.<br />
In Elianes Gesicht kämpfen das kindliche<br />
Trauma und das neue Verständnis für den<br />
Vater, der kurz nach ihrer Geburt gegangen<br />
war, gekündigt hatte, der losließ, mit dem es<br />
aus war, der keine Lust hatte auf Baby, Kind,<br />
Vorhänge vor jedem Fenster, katholische<br />
Tränen und gutes Essen. Er sagt: „Sowas wie<br />
eine normale Existenz gibt es nicht.“ s<br />
Villa Amalia<br />
von Benoit Jacqout<br />
CH/FR 2010, 102 Minuten, OmU<br />
Peripher Fimverleih,<br />
www.peripherfilm.de<br />
22 23<br />
Im Kino<br />
ab 25. November
kino kino<br />
„Besingen will ich, wie sich Gestalten in andere Körper wandelten.“<br />
oVID: „METAMoRPHoSEN“<br />
GöTTLICHE<br />
VERwANdLUNGEN<br />
von SaScha WeStphal<br />
Der portugiesische <strong>Film</strong>emacher João Pedro Rodrigues ist ein freier Radikaler des Weltkinos. Seine <strong>Film</strong>e sind autark,<br />
wild, sexy und kümmern sich wenig um ein Phantom namens Realismus. Mit „To Die Like A Man“ kommt nach<br />
„o Fantasma“ und „Two Drifters“ auch sein dritter Spielfilm, den viele für seinen schönsten halten, in die deutschen<br />
Kinos. Unser Autor unternimmt aus diesem Anlass den anspruchsvollen Versuch, sich der <strong>Film</strong>sprache des Regisseurs<br />
anzunähern.<br />
24<br />
EDITIoN SALZGEBER<br />
s Eine gewisse Tendenz zum Kargen und Strengen war im Kino<br />
des vergangenen Jahrzehnts nicht zu übersehen. Viele der <strong>Film</strong>e und<br />
auch der Regisseure, die in jenen Jahren auf den größeren und kleineren<br />
Festivals ästhetische wie künstlerische Maßstäbe setzten, verband<br />
ein eher nüchterner Blick und eine deutliche Vorliebe für lange,<br />
exakt kadrierte Einstellungen. So setzte man sich ab von den Produkten<br />
der Industrie und konnte sich damit zumindest einer grundsätzlichen<br />
Wertschätzung in gewissen Cinephilen- und Kritikerkreisen<br />
sicher sein. Jenseits aller spezifischen Eigenarten der einzelnen<br />
<strong>Film</strong>e und der individuellen Präferenzen ihrer Macher schälte sich<br />
so ein vereinheitlichter Stil heraus, der mehr und mehr zum Markenzeichen<br />
des cineastischen Widerstands wurde. Man formierte sich<br />
und stand dem ewigen Widersacher wenigstens im Punkte Globalisierung<br />
in nichts nach.<br />
Auf welcher Seite dieser Frontlinien der portugiesische <strong>Film</strong>emacher<br />
João Pedro Rodrigues zu finden ist, steht erst einmal außer<br />
Frage. Schon ein flüchtiger Blick in seine in der amerikanischen <strong>Film</strong>zeitschrift<br />
„<strong>Film</strong> Comment“ veröffentlichte Top Ten der Nuller Jahre<br />
sagt schließlich alles. Da stehen <strong>Film</strong>e von Eugène Green und Valeska<br />
Grisebach, von Christian Petzold und Angela Schanelec neben Werken<br />
von Pedro Costa und Alain Guiraudie, von Jacques Nolot und<br />
Straub-Huillet. Allein Apichatpong Weerasethakuls Blissfully Yours<br />
und John Gianvitos höchst eigenwilliges Epos The Mad Songs of<br />
Fernanda Hussein fallen ein wenig aus dem Rahmen und verweisen<br />
auf eine zweite Seite in Rodrigues’ Kino-Kosmos.<br />
Auch João Pedro Rodrigues’ eigene Arbeiten fügen sich zumindest<br />
stilistisch durchaus in das vorherrschende Bild ein. Immer wieder<br />
verweilt der Blick der Kamera etwas länger auf einer Landschaft<br />
oder einem Gesicht als unbedingt nötig wäre … und welch ein Blick<br />
das erst ist. Jede noch so beiläufige Einstellung ist von einer absoluten<br />
kompositorischen Perfektion, jede noch so expressive Kamerafahrt<br />
folgt einem strengen visuellen Versmaß. Doch das ist eben nur die<br />
eine Seite. Auf der anderen stehen Geschichten und Schnitte, Bewegungen<br />
ins Irreale und radikale, die Wirklichkeit negierende statt<br />
spiegelnde Leerstellen.<br />
All das will so gar nicht zu dem im Weltkino dominanten nüchternen<br />
Ton passen. Jeder der drei langen Spielfilme, die João Pedro<br />
Rodrigues in der vergangenen Dekade realisieren konnte, hat etwas<br />
Delirierendes. Seine Erzählungen und seine Figuren sind ganz im<br />
Gegensatz zu seinen Bildern eben nicht kontrolliert, sondern durch<br />
und durch unbändig und maßlos. Sie entziehen sich gängigen rationalen<br />
und psychologischen Erklärungsmustern mit einer Vehemenz, die<br />
ihresgleichen sucht. Die Realität wird durchlässig für das Mythische<br />
und die Berührung mit ihm verwandelt sie. Nichts ist auf ewig festgelegt<br />
und festgeschrieben, alles kann in etwas anderes transformiert<br />
werden, und niemand muss sein Leben lang der Gleiche bleiben.<br />
Sérgio, dem Ricardo Meneses seinen Körper gibt, ist nahezu<br />
immer unterwegs. Sein ganzes Leben ist ein unablässiges Cruising,<br />
eine unausgesetzte Suche nach Männern und Müll, nach fetischisierten<br />
Gegenständen und elementaren Gefühlen. Sein Revier, das er als<br />
Müllmann und als drifter durch eine Welt des anonymen Sex wieder<br />
und wieder durchstreift, wird in O Fantasma zu einem rätselhaften<br />
Transitraum, eher einem verstörenden Nicht-Raum, der weder bruchlos<br />
der alltäglichen Realität noch ganz dem Reich Mythos gewordener<br />
Triebe angehört. Es ist ein Universum des ewigen Dazwischen, in<br />
dem Sérgio nach und nach seine menschliche Identität aufgibt, sich<br />
zunächst in einen Hund und letzten Endes in ein Phantom, ein Fantasma<br />
der Nacht, verwandelt.<br />
Ein schwarzer Dobermann läuft unruhig den Flur einer Wohnung<br />
entlang. Es zieht ihn mit aller Macht zu einer verschlossenen<br />
Tür. Aus dem Raum dahinter dringen kaum definierbare Laute auf<br />
den Flur. Was den Hund derart in Aufregung versetzt, offenbart dann<br />
Links: Tonia (Fernando Santos) in „To Die Like A Man“<br />
Oben: Sérgio (Ricardo Meneses) in „O Fantasma“; unten: Odete (Ana Cristina de Oliveira)<br />
in „Two Drifters“<br />
ein Schnitt: Ein Mann in einem schwarzen Ganzkörper-Latexanzug<br />
penetriert einen anderen, mit Handschellen gefesselten Mann und<br />
drückt ihm dabei ein Tuch auf den Mund. Er lässt seiner Begierde<br />
freien Lauf. Der Andere ist ihm ausgeliefert, wehrlos, nur ein Objekt<br />
eines Triebs, der nichts als seine Befriedigung kennt. In diesen ersten<br />
Momenten von João Pedro Rodrigues’ Spielfilmdebüt ist Sérgios<br />
Metamorphose schon nahezu abgeschlossen. Seine frühere Persönlichkeit<br />
hat er abgestreift, nun ist er nichts als dieser schwarz glänzende<br />
Anzug, ein Wesen ohne Hemmungen und ohne Sprache, dem<br />
Dobermann auf dem Flur näher als dem Mann in seiner Gewalt. Als<br />
er etwas ablässt von dem namenlosen Anderen, ein erneuter Schnitt,<br />
nun durch Raum und Zeit.<br />
Ein Müllwagen fährt durch das nächtliche Lissabon. Einer der<br />
beiden Männer, die hinten auf den kleinen Plattformen stehen, ist<br />
Sérgio. Er kommt aus dem Nichts der Nacht und wird am Ende auch<br />
wieder in ihm verschwinden. Mit den Menschen um ihn herum verbindet<br />
diesen jungen Mann fast nichts. Fatima, eine seiner Arbeitskolleginnen,<br />
ist sichtlich an ihm interessiert, aber er tut so, als nehme<br />
er die Signale nicht wahr. Als er schließlich doch reagiert, ist sie ob<br />
seiner animalischen Ungehemmtheit, seiner wilden Rohheit, entsetzt<br />
und stößt ihn von sich. Aber das berührt ihn längst nicht mehr.<br />
Sérgio, der zuvor nur Gefühle für den auf dem Gelände der Einsatzzentrale<br />
der Müllabfuhr lebenden Hund hatte, ist nun besessen<br />
von einem jungen Mann, bei dem er einmal Sperrmüll abgeholt hat.<br />
Aber auch dem kann er sich nur gleich einem Hund nähern, lauernd<br />
und schnüffelnd. Selbst die Sehnsucht schlägt um in ein rein instinktives<br />
Begehren. Einmal dringt er nachts in dessen leeres Zimmer ein<br />
und uriniert auf das Bett. Das Revier ist markiert, später wird er das<br />
Objekt seiner Begierde eben dort überwältigen und aus dem Fenster<br />
25<br />
EDITIoN SALZGEBER<br />
PRo FUN MEDIA
kino kino<br />
schmeißen. Danach gibt es für das Geschöpf, das einst Sérgio war, nur<br />
noch die Müllhalde, über die er streunt wie ein herrenloser Hund.<br />
Wie Sérgio ist auch Ana Cristina de Oliveiras Odete in João Pedro<br />
Rodrigues’ gleichnamigen zweiten <strong>Film</strong> eine Besessene, eine die Welt<br />
nach ihrem Willen formende Stalkerin. Sie, die Tag für Tag auf Rollschuhen<br />
durch die Gänge eines Supermarkts fährt und damit ihr Geld<br />
verdient, hat nur einen Wunsch. Sie will unbedingt ein Kind bekommen.<br />
Nur will ihr Freund, ein Sicherheitsmann im selben Supermarkt,<br />
davon nichts wissen. Also schmeißt sie ihn aus ihrer Wohnung und<br />
ihrem Leben. Aber da ist auch noch der 21-jährige Pedro, der im gleichen<br />
Haus gewohnt hat und gerade erst bei einem Autounfall ums<br />
Leben gekommen ist. Kurz zuvor hatten er und sein Geliebter Rui noch<br />
in einer nächtlichen Hochzeitstravestie Ringe getauscht … bis dass der<br />
Tod sie scheide. Minuten später war es dann so weit. Nun weht ein<br />
seltsamer Wind durch Odetes kleine Souterrainwohnung, ein Wind<br />
des Wandels, der sie auch weiter begleiten wird.<br />
Schon bald darauf ist Odete sicher, dass sie und Pedro sich<br />
unsterblich geliebt haben und dass sie sein Kind unter ihrem Herzen<br />
trägt. Nichts bringt sie von all dem ab, und der Wind ist von nun an<br />
ihr treuester Gefährte. Er trägt sie in Pedros Welt, erst einmal zu seiner<br />
verwitweten Mutter und schließlich auch zu Rui. Beide wollen<br />
ihr eigentlich nicht glauben und doch können sie sich ihr nicht entziehen.<br />
Selbst Ruis Selbstmordversuch bringt ihn letztlich nur näher<br />
zu ihr, die Pedro ähnlicher und ähnlicher wird, die sich die Haare so<br />
schneiden lässt, wie er sie trug, und seinen Kleiderschrank plündert.<br />
Am Ende haben sie und der Tote es dann geschafft. Sie ist mit Rui in<br />
dessen Wohnung und schläft mit ihm wie einst Pedro.<br />
Vor langer Zeit schon hatte António Cipiao (Fernando Santos)<br />
beschlossen, eine andere zu werden. Zusammen mit dem Nachtclub-<br />
Besitzer Teixeira hat er Tonia geschaffen. Als glamouröse Drag Queen<br />
mit einer langen blonden Lockenperücke war Tonia über Jahre hinweg<br />
der große Star des Clubs. Nur wird sie nun langsam älter und<br />
älter. Jenny, eine atemberaubende afrikanische Transsexuelle, einst<br />
von Tonia entdeckt, macht ihr den Platz und den Ruhm streitig. Zudem<br />
hatten Tonia immer Kraft und Mut gefehlt, ihre Verwandlung endgültig<br />
zu machen. Den letzten operativen Eingriff, der aus ihr tatsächlich<br />
eine Frau gemacht hätte, hat sie wieder und wieder hinausgeschoben.<br />
Antónios Wille hat Tonia erschaffen und dafür er hat unendlich viel in<br />
Kauf genommen, Schmerzen und Einsamkeit, den Verlust seines einzigen<br />
Sohnes, der sich von Tonia voller Verzweiflung und Wut abgewendet<br />
hat, und als streng gläubiger Katholik die Angst vor der Strafe<br />
Gottes. Aber über eines hatte auch Tonia keine Macht. Ihren Körper<br />
konnte sie nicht allein aus eigener Kraft vollständig umformen, und so<br />
ist sie schließlich nach überaus schmerzvollen Brustimplantaten auf<br />
etwa halbem Wege stehengeblieben.<br />
Nun sind es gerade diese Implantate, die Tonia mit aller Macht<br />
das Zerbrechliche, das Unfertige, ihrer Identität wie auch ihres<br />
Lebens, vor Augen führen. Aus einem Furunkel direkt an der linken<br />
Brustwarze fließt beinahe unablässig ein milchig-rotes Sekret. Eiter,<br />
Blut und Silikon vermischen sich zur einer Milch des Leidens und des<br />
Todes. Wie so viele andere Schmerzen und Verletzungen verheimlicht<br />
Tonia auch diese neue Wunde ihrer Wandlung so lange wie nur<br />
eben möglich. Doch dann bricht sie zusammen und kommt ins Krankenhaus.<br />
Die Implantate haben sich entzündet und müssen aus ihrem<br />
vom HIV geschwächten Körper heraus. Eine erneute Verwandlung<br />
steht bevor, und wieder trifft sie eine radikale Entscheidung: Tonia,<br />
die immer auch ein Ideal und ein Traum war, muss ganz verschwinden,<br />
und Antonio kehrt zurück, um als ein Mann zu sterben.<br />
O Fantasma, Odete, der in Deutschland unter dem Titel Two Drifters<br />
erschienen ist, und Morrrer Como Um Homem (To Die Like a<br />
Man) – sie alle sind Kapitel, oder eigentlich eher filmische Gesänge<br />
in einer noch längst nicht abgeschlossenen Chronik der Verwandlungen.<br />
Allerdings erzählt João Pedro Rodrigues anders als Ovid<br />
keinen bis in seine Gegenwart reichenden Schöpfungsmythos. Seine<br />
Oben: „O Fantasma“; Mitte: „Two Drifters“; unten: „To Die Like A Man“<br />
„Metamorphosen“ sind eher moderne Apokryphen, Alternativen zu<br />
den dominanten Erzählungen unserer Zeit und Welt. Die Götter, die<br />
bei Ovid noch der Motor allen Wandels sind, die den Menschen eine<br />
andere Gestalt geben und sie damit entweder strafen oder erhöhen,<br />
sind verschwunden. Zunächst wurden sie verdrängt von dem einen<br />
dreifaltigen Gott und seinen Heiligen, und dann sind sie vergessen<br />
worden. Die einzige Verwandlung, die das Christentum kennt und die<br />
João Pedro Rodrigues in einem gloriosen Moment am Ende von Morrer<br />
Como Um Homem auf seine wundervoll idiosynkratische Weise<br />
zitiert, kommt nach dem Tod. Wer schon im Leben ein anderer oder<br />
eine andere werden will, ist auf sich selbst gestellt.<br />
Sérgios Phantomwerdung, die Transmigration von Pedros Seele<br />
in den Körper von Odete und Tonias Passion, die nur in einer Wiederauferstehung<br />
gipfeln kann – João Pedro Rodrigues’ <strong>Film</strong>e erzählen<br />
EDITIoN SALZGEBER<br />
PRo-FUN MEDIA<br />
EDITIoN SALZGEBER<br />
von göttlichen Ereignissen in einer Welt ohne Gott. Psychologische Interpretationen verbieten<br />
sich also ganz von selbst, erst recht, wenn Rodrigues sie wie in Odete selbst andeutet. Für die<br />
Ärzte in dem Krankenhaus, in dem Odete nach einem Zusammenbruch landet, steht die Diagnose<br />
bald fest: Ihre Schwangerschaft sei nur Schein, eine Einbildung, das physische Produkt<br />
einer überaus seltenen psychischen Störung, die aber mit Hilfe von Medikamenten durchaus<br />
heilbar sei. Doch der Gedanke an eine Heilung hat in Rodrigues’ Zwischenwelt etwas gänzlich<br />
Abwegiges. Er ist mit einer normativen Vorstellung von Normalität verbunden, gegen die diese<br />
<strong>Film</strong>e mit aller Macht ankämpfen. Ideen und Fantasien werden in ihnen eben nicht nur im<br />
Kopf geboren. Sie sind keinesfalls nur Ausdruck bewusster und unbewusster Prozesse in der<br />
menschlichen Psyche. Auch der Körper, das Fleisch, hat seine ihm eigenen Fantasmen.<br />
Die Idee des „Neuen Fleisches“, der David Cronenberg solange in seinen <strong>Film</strong>en nachgegangen<br />
ist, erlebt in den Arbeiten João Pedro Rodrigues’ seine Metamorphose. Aus den aus<br />
dem Geist der modernen Wissenschaft und Technik geborenen SciFi- und Horror szenarien<br />
des kanadischen <strong>Film</strong>emachers werden im ursprünglichsten Sinne melo-dramatische Fiebervisionen.<br />
Die Gesellschaft mag ihre eingefahrenen und oft auch festgeschriebenen Vorstellungen<br />
haben. Doch in Wahrheit sind sowohl das Geschlecht und der Körper eines Menschen als<br />
auch das, was gemeinhin als Identität gilt, nahezu unendlich wandel- und verwandelbar. Das<br />
Flüchtige und Unbeständige des nur scheinbar Festen nährt ein überwältigendes, namenloses<br />
Begehren, in Sérgio wie in Odete und Tonia. Es ist eine Sehnsucht nach Freiheit jenseits<br />
der Grenzen des Vorbestimmten. Sérgio muss zum schwarzen Latexwesen, zu einem aus dem<br />
Menschen heraus gebrochenen Hund werden, Odete muss eins mit Pedro sein, und Tonia wird<br />
ihre tiefe Liebe für die Liebe erst nach ihrer letzten, der ultimativen Verwandlung ganz ausleben<br />
können.<br />
João Pedro Rodrigues’ Kino der Metamorphosen ist aber nicht nur eins der menschlichen<br />
Verwandlungen. Seine <strong>Film</strong>e selbst sind in einem ständigen Wandel begriffen. Auch in ihnen ist<br />
nichts festgefügt. Genregrenzen werden zwar immer wieder gezogen, aber nur um sie dann zu<br />
durchbrechen, das eine Genre mit dem anderen kurzzuschließen und einen Prozess in Gang zu<br />
halten, der fast einem Perpetuum mobile ewiger Transformation gleichkommt. Der enigmatische<br />
Erstling O Fantasma ist dabei ohne Frage noch seine am deutlichsten in sich geschlossene<br />
Arbeit, die eine klare Linie oder – wie Ekkehard Knörer es einmal formuliert hat – „ein Gesetz“<br />
hat. Es ist die Linie vom Dunkel ins Dunkel und das Gesetz des Triebs.<br />
Alleine der Einsatz der Musik, die Songs, die Sérgios Gang aus der Welt begleiten, lassen<br />
diesen filmischen Vektor ein wenig brüchig werden. In ihnen offenbart sich schon Rodrigues’<br />
Hang zum Melos, zu einem Erzählen, das aus der Musik geboren ist, und damit auch zum<br />
Musical. In Odete tritt er dann umso deutlicher in den Vordergrund. Mit „Moon River“, dem so<br />
berauschend traurigen Song aus Blakes Edwards Verfilmung von Truman Capotes „Breakfast<br />
at Tiffany’s“, hat er ein fast schon wagnerisches Leitmotiv, das nicht nur für Ruis und Pedros<br />
Liebe steht. Dieser Song hält vielmehr zusammen, was ansonsten mit aller Kraft auseinanderstrebt:<br />
das Melodramatische und das Satirische, das Sentimentale und das Kühl-Beobachtete.<br />
Schon in der ersten Szene des <strong>Film</strong>s, in der sich Rui und Pedro voneinander verabschieden<br />
und nicht ahnen, dass es für immer ist, reizt João Pedro Rodrigues so ziemlich jedes Klischee<br />
des Melodramatischen aus. Natürlich muss in dem Moment, in dem Rui den toten, blutüberströmten<br />
Pedro ein letztes Mal in seinen Armen hält, wie aus dem Nichts ein Wolkenbruch<br />
einsetzen. Ovids Götter mögen verschwunden und vergessen sein, aber angesichts einer Liebe<br />
wie dieser muss sich der Himmel öffnen. Was wie Ironie wirkt, gibt aber in Wahrheit dem<br />
Melodram zurück, was des Melodrams ist. Auch das ist ein elementarer Teil von João Pedro<br />
Rodrigues’ fortwährendem Metamorphosen-Projekt.<br />
Die Entwicklung von O Fantasma zu Morrer Como Um Homem ist eine der Öffnung und<br />
dabei eine konsequenter erzählerischer Wandlungen. Die innere Bewegung des <strong>Film</strong>s folgt<br />
weiterhin der einer Metamorphose. Allerdings tritt an die Stelle des einen Gesangs ein vielstimmiger<br />
Choral. João Pedro Rodrigues fächert Tonias Geschichte in eine Folge von Szenen<br />
und Variationen auf. Das Grundmotiv ist – frei nach dem Titel eines Lieds von Charles Aznavour<br />
– die Frage: „Was macht eine Frau eine Frau?“ Alles in Rodrigues’ grandiosem Melo-<br />
Drama verweist auf die Konstruktionen von Weiblichkeit, die in der Welt der Transvestiten<br />
und Transsexuellen sich ganz augenfällig als eben solche erweisen. Das Weibliche ist in der<br />
patriarchalischen Gesellschaft immer etwas Gemachtes, etwas durch Abgrenzung Erschaffenes,<br />
entweder erzwungen durch männliche Erwartungen oder aus eigener Kraft geboren.<br />
Tonias tragisches Scheitern und ihr später, dann aber wahrhaft göttlicher Triumph sind der<br />
Stoff eines großartigen, zutiefst erschütternden Klagegesangs, der sich schlussendlich nur in<br />
eine ebenso grandiose, zutiefst ergreifende Utopie verwandeln kann. s<br />
<strong>Film</strong>ografie João Pedro Rodrigues<br />
O Pastor (1988, Kurzfilm)<br />
Parabéns! (1997, Kurzfilm)<br />
Viagem À expo (1998, Dokumentarfilm)<br />
O fantasma (2000)<br />
Odete / Two Drifters (2005)<br />
China, China (2007, Kurzfilm)<br />
morrer Como Um homem /<br />
To Die like a man (2009)<br />
O Fantasma<br />
von João Pedro Rodrigues<br />
PT 2000, 90 Minuten, OmU<br />
Auf DVD<br />
Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />
Two Drifters – Odete<br />
von João Pedro Rodrigues<br />
PT 2005, 98 Minuten, OmU<br />
Auf DVD<br />
Pro-Fun Media, www.pro-fun.de<br />
To Die Like A Man<br />
von João Pedro Rodrigues<br />
PT/FR 2009, 135 Minuten, OmU<br />
Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />
26 27<br />
Im Kino<br />
Frühjahr 2011
kino<br />
Drei<br />
von Tom Tykwer<br />
DE 2010, 119 Minuten, dt. OF<br />
X Verleih, www.x-verleih.de<br />
im Kino<br />
ab 23. Dezember<br />
MAUERPARKBIER<br />
von jan küneMund<br />
Tom Tykwer ist wieder zurück in Deutschland und dreht eine kleine Berliner Geschichte über drei<br />
ineinander verliebte Menschen. Wenigstens ist das der Ausgangspunkt. Denn dem leichten Liebes- und<br />
Beziehungsmodell stehen große Diskurse über erste und letzte Dinge gegenüber. Im Kino ab 23.12.<br />
s Eigentlich möchte man diesen <strong>Film</strong> gut finden, ihn verteidigen gegen die Detail-Nörgler und die an seinem Thema<br />
Nicht-Interessierten. Ausgerechnet Tom Tykwer, der Kino als geschlossenes System zu begreifen scheint und sich<br />
gerne darin einschließt, versucht einen offenen, verspielten Essay über die mutmaßlich nächstliegende Außenwelt,<br />
über die gebildeten, selbstständigen, kultur- (also an der Vermittlung von „Leben“) interessierten, mit den „Identitätlichkeiten“<br />
(Blixa Bargeld) hadernden und daher immer an ihrem Tun zweifelnden und Ich-Bedenken tragenden<br />
westeuropäischen Intellektuellen und ihrer Suche nach der Leichtigkeit. Und dreht eine kleine Geschichte über ein<br />
Berliner Heteropaar, das sich unabhängig voneinander und voreinander geheim gehalten in einen Mann verliebt. Denselben<br />
Mann. Sind wir in unserer Gesellschaft schon so weit?, fragt das Presseheft. Merkwürdigerweise nicht, sagen<br />
die Beteiligten. Interessiert uns das?, wird das Kinopublikum fragen.<br />
Eine Frage, die man sich tatsächlich angesichts des Ergebnisses stellt, ist allerdings, ob sich der <strong>Film</strong> mit allen<br />
formalen Konsequenzen für das gesellschaftliche Thema interessiert (also tatsächlich einen ‚queeren‘ Entwurf wagt),<br />
oder ob er sich (mit allen formalen Konsequenzen) für eine vertrackte, getrickste, verblüffende, provozierende, täuschende<br />
kleine Kinogeschichte interessiert. Auf beiden Ebenen hängt der <strong>Film</strong> einer Uneigentlichkeit nach. So wie<br />
die meisten Berliner KellnerInnen „eigentlich“ was anderes machen, machen auch die Figuren in diesem <strong>Film</strong>, die<br />
man ja alle lieb haben soll, irgendwas und wollen eigentlich was anderes machen. Und auch der <strong>Film</strong> selbst erzählt<br />
etwas und hält sich permanent offen, ob er nicht eigentlich was anderes erzählen will: Stammzellenforschung zum<br />
Beispiel, Tod, Kunst, Ethikrat. Und dieses Offenhalten als Haltung hat nichts damit zu tun, dass man mit Offenheit ins<br />
Außen, ins (meinetwegen) „Leben“, ins Unerforschte und Unkontrollierte schaut. Wie üblich bei Tykwer steckt Drei<br />
voller kleiner Taschenspielertricks, gestrickter Geschichtchen, <strong>Film</strong>zitate, kleiner Gags – all das, um immer wieder<br />
die Möglichkeiten des Kinos und eine Freiheit im Umgang mit ihnen zu behaupten. Und hinter dieser Behauptung<br />
steckt eigentlich der Kontrollwahn des Knöpfchendrückers, ein etwas verzweifelter Versuch, Menschen zu verblüffen<br />
und zu bezaubern, um von ihnen geliebt zu werden: Scherenschnitte,<br />
Engel über Berlin, Zahlenmystik in Splitscreen, Stummfilmgefake<br />
(der inflationäre „aged film“ Effekt) usw. Man kennt das alles (und<br />
erträgt es – auch mit mehr Nachsicht – genauso wenig) in filmstudentischen<br />
Arbeiten, die immer Handwerk zeigen wollen und doch<br />
eigentlich von einer Sehnsucht nach den Knöpfchen zeugen, die man<br />
einfach nur drücken muss. Und genügte das alles bei Tykwer noch<br />
nicht, so müssen die einzelnen Frank-Griebe-glatten Bilder so süffig<br />
geschnitten und mit Musik eingefettet werden, dass nur ja kein Stehenbleiben,<br />
Abstand nehmen und Augenwandern entsteht. Was anderes<br />
als das, was ein Tykwer will, soll man denn im absurden Bild einer<br />
Leichenwagenkutscherin Sophie Rois auf der Straße des 17. Junis in<br />
Schwarzweiß entdecken?<br />
Trotzdem möchte ich das mögen. Möchte das ernst nehmen als<br />
Bewegung ins Kleine, Zärtliche, Naheliegende, Leichte von drei<br />
Menschen, die sich finden und das Sich-Gefunden-Haben noch lösen<br />
müssen. Wie nervig und doch ok die Freiheit in einem Sonntagnachmittag-Mauerpark-Bier<br />
erzählt wird. Wie richtig das permanente<br />
Ins-Theater/Ballett/Kino/Museum-Laufen und das Keine-Haltung-<br />
Finden zu TV-Bildern aus Bagdad und Kabul ausgestellt wird. Wie<br />
schön das Bild der Hochspannungsleitungen ist, über die die schwere<br />
Erzählung einer prototypischen Beziehung gelegt wird. Und wie<br />
echt diese drei Schauspieler das spielen und wie schön sie in diesem<br />
<strong>Film</strong> auf die Leinwand gebracht werden, auch wenn sie dabei (so das<br />
Schlussbild) nur die Petrischale unter dem Erzählermikroskop ausfüllen.<br />
Einen derartig abgeschlossenen, zusammengezurrten Entwurf<br />
über Freies und Offenes – das knirscht. Aber es macht mal einer<br />
und füllt das auf mit einer Materialschlacht aus Diskursen, mit denen<br />
unser Nachdenken über Freiheit zu tun hat. In 20 Jahren werden wir<br />
wahrscheinlich sagen: Ja, so war das, so waren wir damals. Jetzt, im<br />
Kino, muss man den Wert des Genervtseins sehen und erkennen, dass<br />
ein Geschichtchenstricker einen gerade „verhandelt“, wie es in der<br />
Drei-Sprache so schön heißt. „Mach dir keinen Stress!“, sagt Adam<br />
zu Simon nach dem Sex. Schön. Aber es geht weiter: „Du musst dich<br />
nur verabschieden.“ Und noch weiter: „Von deinem deterministischen<br />
Biologieverständnis.“ Ist ja gut. s<br />
28 29<br />
kino<br />
X VERLEIH<br />
„Aufregender cineastischer Genremix”<br />
SPIEGEL.DE<br />
„Erweckt ein brilliantes Gedicht zum Leben”<br />
THE NEW YORK TIMES<br />
„Mutig, engagiert und einfallsreich”<br />
LOS LOS ANGELES ANGELES TIMES TIMES<br />
DAS GEDICHT EINER GENERATION<br />
DER BEAT EINER REVOLUTION<br />
JAMES FRANCO<br />
ist<br />
ALLEN GINSBERG<br />
DAS GEHEUL<br />
Ein <strong>Film</strong> von<br />
ROB ROB EPSTEIN & JEFFREY FRIEDMAN<br />
www.pandorafilm.de<br />
AB 6. JANUAR IM KINO
dvd<br />
EINER MUss<br />
Es JA MACHEN<br />
intervieW: nando rohner<br />
Scud, der Künstlername des Regisseurs, Produzenten und<br />
Drehbuchautors Danny Cheng Wan-Cheung, wirkt auf uns<br />
genauso eigenartig wie für Kenner des Hongkong-Kinos<br />
die offene Thematisierung von Homosexualität und die<br />
expliziten Nacktszenen in seinen <strong>Film</strong>en. Womit aber noch<br />
nicht ansatzweise umrissen wäre, wie wild, poetisch und<br />
originell Scud seine Kinogeschichten erzählt. Gerade sind<br />
die ersten beiden Spielfilme einer geplanten Trilogie in<br />
Deutschland auf DVD erschienen („Permanent Residence“ und<br />
„Amphetamine“). Also hat sich SISSY mal mit Scud getroffen<br />
und erfahren, unter welchen Bedingungen seine <strong>Film</strong>e in<br />
Hongkong entstehen.<br />
sissy: Hallo Scud, schön, dass Sie sich für uns Zeit nehmen. Wie kommt<br />
man eigentlich darauf, sich so zu nennen (englisch für „jagen“)?<br />
Scud: Das geht auf meinen chinesischen Namen zurück, der übersetzt<br />
„Jagende Wolken” bedeutet.<br />
Aha. Und wer steckt hinter diesem Künstlernamen?<br />
Ein ziemlich einsamer Mensch. Jemand, der viele Dinge macht, die<br />
andere Menschen nicht interessieren. Zum Beispiel als <strong>Film</strong>emacher<br />
zu arbeiten. Zum Beispiel solche <strong>Film</strong>e wie meine zu machen,<br />
mit denen man kein Geld verdient, was mir ja völlig klar ist, denn ich<br />
mache keine <strong>Film</strong>e, um damit Geld zu verdienen und finanziere sie<br />
komplett selbst. Aber wenn man mit seinen <strong>Film</strong>en nicht viel Geld<br />
verdient, dann ist man eben zwangsläufig einsam (lacht).<br />
Aber warum finanzieren Sie denn Ihre <strong>Film</strong>e komplett selbst?<br />
Um künstlerisch unabhängig zu sein, das war schon immer mein<br />
Traum. Ich will mir keine Gedanken darüber machen müssen, was<br />
andere Leute über mich und meine <strong>Film</strong>e denken. Außerdem gab es<br />
da eine traumatische Erfahrung: Bei meinem ersten <strong>Film</strong> habe ich mir<br />
Geld von meiner Mutter geborgt, was für beide Seiten nicht sonderlich<br />
befriedigend war. Allein, um mir nie wieder Geld von meiner Mutter<br />
borgen zu müssen, finanziere ich seitdem meine <strong>Film</strong>e selbst! (lacht).<br />
Wenn man etwas über künstlerische Arbeit in China hört, ist oft von<br />
Zensur die Rede. In Ihren <strong>Film</strong>en geht es explizit um Homosexualität.<br />
Wie schwierig ist es, sich im Hongkong-Kino mit diesem Thema zu<br />
befassen?<br />
Die <strong>Film</strong>e zu drehen ist nicht sonderlich schwer. Aber an den Kinokassen<br />
hat man damit natürlich keinen Erfolg. Doch für mich ist das<br />
in Ordnung. Die Schwulen in Hongkong trauen sich zwar nicht, sich<br />
Großes Foto links: „Permanent Residence“; kleine Fotos rechts: „Amphetamine“<br />
die <strong>Film</strong>e im Kino anzusehen, aber später kaufen sie die DVDs und<br />
sehen sie zu Hause, wo niemand sie deswegen verurteilt. Und die Vorstellung,<br />
dass meine <strong>Film</strong>e im Geheimen wahrgenommen und geliebt<br />
werden, ist sehr befriedigend.<br />
Darsteller im <strong>Film</strong> frontal nackt zu zeigen ist ja im Hongkong-Kino<br />
normalerweise nicht üblich, Sie machen das aber ständig. Ist das als<br />
Provokation gemeint?<br />
Nein, ganz und gar nicht. Ich bin immer wieder überrascht, wenn solche<br />
Szenen für einen Skandal sorgen (lacht). Für mich sind sie etwas<br />
vollkommen Normales, sie dienen der Story und der Atmosphäre<br />
des <strong>Film</strong>s. Skandale beweisen nur, wie konservativ die Zuschauer in<br />
Hongkong sind, im europäischen Kino würden solche Szenen keine<br />
derartige Reaktion nach sich ziehen. Weshalb ich als <strong>Film</strong>emacher<br />
auch eher eine Nähe zum europäischen Kino verspüre und weniger<br />
zum Kino aus Hongkong oder Asien im Allgemeinen.<br />
Macht Ihnen denn die <strong>Film</strong>crew keine Schwierigkeiten, wenn homoerotische<br />
oder die vorhin angesprochenen Nacktszenen gedreht werden sollen?<br />
Nein, das ist noch nie passiert. Ein Gegenbeispiel: Bei Permanent<br />
Residence habe ich mit Herman Yau als Kameramann gearbeitet, der<br />
in Hongkong selbst ein bekannter Regisseur ist und außerdem ein<br />
glücklich verheirateter Mann. Im <strong>Film</strong> gibt es eine intensive Liebesszene<br />
zwischen den beiden Hauptdarstellern, bei der ich mir nicht<br />
sicher war, ob man sie auch wirklich so intensiv umsetzen sollte. Doch<br />
Herman bestand darauf, weil er sich sicher war, dass die Szene im fertigen<br />
<strong>Film</strong> sehr romantisch wirken würde. Er wollte sie sogar noch<br />
intensiver haben. Er hat sich trotz anderer sexueller Vorlieben völlig<br />
in den <strong>Film</strong> und in meine Intention hineinversetzt. Das ist für mich<br />
als Regisseur eine tolle Erfahrung.<br />
PRo-FUN MEDIA (3)<br />
Permanent Residence<br />
von Scud<br />
HK/CH 2009, 112 Minuten, OmU<br />
Amphetamine<br />
von Scud<br />
HK/CH 2010, 97 Minuten, OmU<br />
Auf DVD<br />
beide bei Pro-Fun Media,<br />
www.pro-fun.de<br />
Wenn man einen genaueren Blick auf die alten Martial-Arts-<strong>Film</strong>e,<br />
aber auch auf die Hongkong-Gangsterfilme der 80er und 90er Jahre<br />
wirft, dann spürt man in all diesen <strong>Film</strong>en eine latente Homosexualität.<br />
Ist sich das Publikum in Hongkong dessen bewusst, oder wird dies eher<br />
ignoriert oder sogar verdrängt?<br />
Ich bin mir nicht sicher, wie ich darauf antworten soll. Ich denke,<br />
Homosexualität wurde schon immer im Hongkong-Kino behandelt.<br />
Nur wurde sie dem Publikum auf eine andere, eine indirekte Art präsentiert,<br />
als Männerfreundschaft zum Beispiel oder als eingeschworene<br />
Bruderschaft. Explizite Homosexualität gab es in <strong>Film</strong>en nur,<br />
um darüber Witze zu reißen. Über viele Jahre hinweg hat es in Hongkong<br />
keinen einzigen <strong>Film</strong> gegeben, in dem Homosexualität als solche<br />
im Mittelpunkt stand.<br />
Also gehen Sie ins andere Extrem, stellen Schwulsein explizit zur Schau<br />
und legen dadurch die existierenden gesellschaftlichen Vorurteile<br />
offen?<br />
Nein. Ich verfolge mit all meinen <strong>Film</strong>en keine soziale oder politische<br />
Intention. Ich möchte einfach nur eine gute Geschichte erzählen, die<br />
es meiner Meinung nach wert ist, erzählt zu werden. Selbstverständlich<br />
würde es mich freuen, wenn Menschen durch meine <strong>Film</strong>e toleranter<br />
und verständnisvoller werden. Mir geht es dabei aber nicht<br />
nur um Homosexualität, sondern um den Menschen an sich und<br />
seine Entfaltungsmöglichkeiten als Individuum. Ich versuche <strong>Film</strong>e<br />
zu machen, die mehr als nur Gay-Movies sind und auch anders funktionieren,<br />
als man es vielleicht von dieser Art von <strong>Film</strong>en erwarten<br />
würde. Ich gehe neue Wege und erzähle ungewöhnliche Geschichten.<br />
Wenn andere <strong>Film</strong>emacher es nicht machen, dann muss ich es<br />
halt tun. s<br />
30 31<br />
dvd
dvd<br />
süßwasser<br />
von Gunther GeltinGer<br />
In der allgemeinen Feier des aktuellen philippinischen Kinos wird der <strong>Film</strong>emacher Aureaus Solito meist<br />
etwas übergangen, obwohl sein Debütfilm „The Blossoming of Maximo oliveiros“ 2006 den Spielfilm-<br />
Teddy der Berlinale erhielt. Die ‚neue Welle‘ des philippinischen Kinos ist tatsächlich eine queere Bewegung,<br />
fast alle Regisseure berufen sich auf den legendären Lino Brocka, dessen „Macho Dancer“ 1988 ein eigenes<br />
Queerfilm-Genre begründete. Solitos letzter <strong>Film</strong> „Boy“, der jetzt in Deutschland auf DVD erscheint,<br />
versteht sich als Würdigung und gleichzeitig Dekonstruktion des Macho-Dancer-Genres.<br />
s Bis Boy das Lokal der Macho-Dancer betritt, besteht<br />
seine Welt aus den schmiegsamsten aller Elemente: aus<br />
Träumen, Worten und Wasser. Von seinen drängenden<br />
erotischen Phantasien erleichtert er sich mit der Hand,<br />
und was davon bleibt, versucht er, in einem Kurs für kreatives<br />
Schreiben in Sprache umzusetzen. Doch am ehesten<br />
scheinen ihn die stummen, rätselhaft schönen Fische zu<br />
verstehen, die er in Aquarien züchtet. Boys Zimmer ist<br />
eine Halbwelt aus Wasser und den Gedankenlabyrinthen<br />
eines Achtzehnjährigen. In diesem Privatraum ist der filmische<br />
Blick auf die Hauptfigur ein vielfach gebrochener,<br />
gespiegelt in den Glasscheiben der Becken, durchkreuzt<br />
von den schillernden Leibern tropischer Muschelbarsche.<br />
Als Boy mit großer Hingabe ein neues Aquarium<br />
einrichtet, ist das Bild zweigeteilt: über der Wasseroberfläche<br />
die Wirklichkeit mit Boys tatsächlich knabenhaftem<br />
Gesicht, darunter das Reich der Fische und Vorstellungen.<br />
Das Biotop, erklärt er, bilde die Bedingungen der<br />
Natur nach.<br />
Auch seine Gedichte sind Biotope, ein individueller<br />
Lebensraum in einer zerstörten oder von Zerstörung<br />
bedrohten Umwelt. Ein Biotop stellt das Natürliche künstlich<br />
her, um es zu erhalten, es ist ein Derivat von etwas<br />
Verlorenem. Boys Unterwasserlandschaften symbolisieren<br />
den Versuch, die Kindheit ins Erwachsensein hinüberzuretten,<br />
und Auraeus Solitos <strong>Film</strong> bildet das visuelle<br />
Aquarium dafür, eine intakte, aber stilisierte Welt, die<br />
sich farbmächtig gegen die Wüste der Realität stellt.<br />
Solitos letzter <strong>Film</strong> The Blossoming Of Maximo Oliveiros,<br />
der mit dem Teddy Award 2006 ausgezeichnet wurde,<br />
lebt von der Nähe der Kamera zu den Protagonisten, die<br />
sich nicht scheut, bei aller Schönheit des jungen Helden<br />
Maxi auch den Dreck seiner Lebenswelt in Szene zu setzen.<br />
In Boy geht der Regisseur nun einen gegenteiligen<br />
Weg: Das Glas der Aquarienwelt verwehrt dem Betrachter<br />
das Eintauchen in Boys Innenleben und lässt das von<br />
Armut und vormaliger politischer Repression geprägte<br />
Äußere einer philippinischen Großstadt wie eine Kulisse<br />
erscheinen, eine Art urbanes Ozeanarium und Gegenbild<br />
zum Biotop des Kinderzimmers, ebenso ästhetisch überhöht<br />
und dominiert von einem abwesenden Vater sowie<br />
einer ununterbrochen plappernden Gluckenmutter, die<br />
Boys schmalen Mund kaum zum Reden bringt.<br />
Als zu Beginn der Macho-Dancer die Bühne des einschlägigen<br />
Lokals betritt, steht dieser Mund vor Verwirrung<br />
halb offen. Amphibisch träge vollführt Aries seinen<br />
erotischen Tanz, und Boy flüchtet auf die Toilette, um seine Erektion<br />
zu entlasten, die härteste seines bisherigen Lebens beim Anblick von<br />
Jungen, die einen Harten haben, während sie durch ihr hartes Leben<br />
tanzen, wie es später in einem seiner noch eher hilflosen Gedichte<br />
heißt. Die Sichtblende am Urinal verbirgt seine Begierde und Angst,<br />
nur Belinda, die Puffmutter, sieht beides und nennt den Preis für<br />
Aries.<br />
Hier könnte die von Brüchen und Enttäuschungen geprägte<br />
Geschichte eines Jungen beginnen, der seine sexuelle Identität sucht<br />
und einen Stricher findet, dessen Zuneigung sich am eigenen Kaufwert<br />
bemisst. Doch die Fährte ist eine Falle, in die der Zuschauer<br />
tappt, während sein Blick von den makellosen Körpern ge- und verführt<br />
wird. Der Macho-Dancer mit seiner harten, laut Belinda an<br />
entscheidender Stelle übergroßen Männlichkeit erweist sich als Maskerade<br />
– unzählige Kamerablicke auf Aries’ Unterhose und in ein<br />
Gesicht, das derart erfüllt von ungestümen Verlangen nicht minder<br />
boyish ist, lassen am XL-Panzer des Strichers zweifeln. Nur, wer fest<br />
an die Notwendigkeit seines Biotops glaubt, findet die künstlichen –<br />
oder künstlerischen – Mittel, es zu erschaffen.<br />
Hartnäckig verweigert der Regisseur alles Kaputte in der Welt<br />
des jungen Paares und ordnet Dramaturgie und Ästhetik seines <strong>Film</strong>s<br />
dem Rausch der Verliebtheit unter. Das Knirschen möglicher Risse<br />
wird vom Gesäusel der Liebeslieder übertönt: Die Welt muss lernen,<br />
dass die Antwort Liebe ist, singt eine der Drag-Queens in der Show,<br />
und der <strong>Film</strong> folgt fast trotzig diesem Trugschluss. Nur die Geräusche<br />
der Aquarien in Boys Zimmer heben sich als eigenständige Ebene vom<br />
süßlichen Soundtrack ab: ein unterschwelliges Gluckern und Dröhnen<br />
aus dem Wasser. Hindurch beobachtet Solitos Kamera in der Silvesternacht<br />
den ersten Kuss, der von der Mutter unterbrochen wird.<br />
Mehrere Male entzieht sich Boy der Verführungstaktik des angeblichen<br />
Strichers, wie ein Junge, der sich vor einer nicht mehr kindgemäßen<br />
Aufgabe schmollend in die Ecke setzt. Als Aries ihn endlich<br />
überwältigt, vollzieht sich das Erste Mal gleichsam unter Wasser, in<br />
Boys Biotop; die Bewegungen der Körper verschmelzen mit denen der<br />
Fische, so genannter Teufelsangeln, die im Vordergrund durchs Bild<br />
stechen, anmutig, fremdartig und mit ihren nadelförmigen Leibern<br />
ein wenig bedrohlich.<br />
Später nimmt Aries Boy mit zu sich nach Hause, und wieder sind<br />
es die jugendlichen Körper mit ihrer Illusion ewigen Begehrens, die<br />
alles Schäbige des sozialen Milieus überstrahlen: Betrunken umtanzen<br />
sie sich in der Baracke, während an der Wand das Bild der Jungfrau<br />
Maria über die Reinheit der Szenen wacht, in denen Boy seine<br />
Unschuld verliert. Als er am nächsten Morgen ins grelle Licht blinzelt,<br />
sieht er zum ersten Mal nicht mehr kindlich aus: blass, abgefickt<br />
und versoffen kotzt er in eine Ecke. Die Kamera springt zurück und<br />
nimmt eine jähe Distanz zu den Figuren ein. Halb vom Gerümpel verstellt<br />
zeigt sie, wie Aries Boy die Schuhe bindet. Es ist Neujahr, das<br />
Feuerwerk längst verraucht, die aufgewallten Gefühle erkaltet. Ich<br />
will nach Hause, sagt Boy, wie einer, der sich verlaufen hat.<br />
Das Gedicht, das er später seiner Schreibgruppe vorstellt, hat<br />
er aus Liebeskummer verfasst. Es heißt B(u)oyancy, in den deutschen<br />
Untertiteln mit „Beschwingtheit“ übersetzt, und bündelt den<br />
Schwung eines jungen Dichters, der seine Sprache vom Wasser gelernt<br />
hat und von der Schwerelosigkeit der Fische. s<br />
Boy<br />
von Auraeus Solito<br />
PH 2009, 80 Minuten, OmU<br />
Auf DVD<br />
GM <strong>Film</strong>s, www.gmfilms.de<br />
32 33<br />
GM FILMS<br />
dvd<br />
ALLE FREIHEITEN<br />
NUR MIT GUMMI!<br />
Warum es bei mir nicht ohne geht?<br />
Das erfährst du auf www.iwwit.de<br />
Olivier (32)<br />
DAS MONATLICHE KINO-EVENT<br />
FÜR LESBEN UND SCHWULE:<br />
L-<strong>Film</strong>nacht und<br />
Gay-<strong>Film</strong>nacht<br />
im CinemaxX!<br />
www.l-fi lmnacht.de<br />
www.gay-fi lmnacht.de<br />
Karten unter www.cinemaxx.de
„Before Stonewall“ (Greta Schiller, Robert Rosenberg und Andrea Weiss, 1984)<br />
dIE EIGENE<br />
GEsCHICHTE<br />
von chriStoPh MeyrinG<br />
Die schwulen und lesbischen Bürgerrechtsbewegungen seit Ende der 1960er Jahre<br />
haben immer wieder auf eine Lücke in den Geschichtsbüchern und im Bewusstsein<br />
der homosexuellen ‚Community‘ hingewiesen: Es gibt kaum Dokumente einer<br />
‚eigenen Geschichte‘, dagegen massenweise falsche und klischeehafte Bilder, die sich<br />
der Mainstream vom schwulen und lesbischen Leben gemacht hat. Seitdem sind<br />
einige Dokumentarfilme entstanden, die diese Lücke erfolgreich geschlossen haben –<br />
die DVD-Box „Gay History“ versammelt fünf von ihnen.<br />
EDITIoN SALZGEBER<br />
s Wie stellt sich die Lage der Lesben und Schwulen gegenwärtig<br />
dar? Keine einfache Frage, denn zuerst ist zu fragen, wo eigentlich?<br />
Verlässt man nämlich die Grenzen der demokratisch geprägten westlichen<br />
Welt, ja verlässt man auch nur die Grenzen West- und Mitteleuropas,<br />
dann präsentiert sich die Lage gar nicht mehr rosig: Wer beispielsweise<br />
schon am anderen Ufer des Grenzflusses Oder vom anderen Ufer<br />
ist, hat nicht sonderlich viel Grund, sich im ursprünglichen wie im<br />
übertragenen Wortsinn „gay“ zu verhalten. Und betrachtet man das<br />
Ganze aus der Weltraumperspektive, so färbt sich der weitaus größte<br />
Teil unseres Globus ziemlich düster ein. In den übelsten Weltgegenden<br />
müssen diejenigen, die ihre Neigungen zum eigenen Geschlecht<br />
nicht sorgsam genug verbergen, sogar um ihr Leben fürchten, manche<br />
verlieren es tatsächlich. Und hierzulande? Hier, so darf mit Fug und<br />
Recht behauptet werden, hat sich die Lage während der letzten Jahre<br />
ziemlich gebessert, sowohl was die rechtliche Stellung der Homosexuellen<br />
betrifft als auch ihre gesellschaftliche Akzeptanz: FernsehmoderatoInnen,<br />
SchauspielerInnen, ProfessorInnen, Bürgermeister<br />
und selbst Minister outen sich mehr oder auch weniger freiwillig als<br />
andersrum, und das ist im sprichwörtlichen Sinne sicher auch gut<br />
so. Kaum eine Vorabendserie, die nicht mindestens eine gutgelaunte<br />
Lesbe oder ein gutgebautes Schwulenpaar gute und schlechte Zeiten<br />
durchleben lässt. Schon geht mancherorts die Rede davon, dass nun<br />
doch – bitteschön – alles erreicht sei. Die bunten Paraden anlässlich<br />
des Christopher Street Days, die alljährlich die Innenstädte bundesdeutscher<br />
Metropolen und sogar kleinerer Großstädte lautstark<br />
durchziehen, so heißt es zuweilen, seien auch nur noch nostalgischfolkloristische<br />
Party-Events, die ihren politischen Zweck, sofern sie<br />
denn überhaupt noch einen verfolgten, längst eingebüßt hätten. Nicht<br />
nur bei vielen jüngere Homos rufen Vokabeln wie „Community“ und<br />
Parolen wie „Fight for Gay Rights!“ bestenfalls Befremden hervor,<br />
als „Bewegungslesbe“ oder „Berufsschwuler“ möchte niemand mehr<br />
identifiziert werden, schon gar nicht aufgrund des Kleidungsstils. Und<br />
zu Recht möchte sich auch niemand mehr eine bestimmte schwule<br />
oder lesbische Identität aufzwingen lassen, schließlich ist man ein<br />
Individuum und kein wandelndes Klischeebild.<br />
Dass nun alles erreicht und in Butter sei, würden – allein aufgrund<br />
der objektiv zu beurteilenden Rechtslage – nun aber ernsthaft nicht<br />
einmal die größten Optimistinnen und gutgläubigsten Schönfärber<br />
behaupten, zumal auch niemand mehr so naiv ist, an einen ungebrochenen,<br />
linear verlaufenden Fortschritt zum Guten zu glauben, der<br />
im historischen Prozess auch eine gewisse Singularität beanspruchen<br />
könnte. Rückschläge also gibt es, und einige lassen sich sicherlich<br />
benennen. So kehrt mit dem Erstarken des Religiösen spürbar auch<br />
ein Erstarken religiös motivierter oder religiös verbrämter Ressentiments<br />
wieder, die sich zum Teil in offener Aggression artikulieren.<br />
Gewalttätigkeiten gegen Homosexuelle sind keineswegs aus dem<br />
Straßenbild verschwunden. Protagonisten einer sich als revolutionär<br />
gebärdenden Hip-Hop-Kultur, unter ihnen intellektuelle Größen wie<br />
Eminem und Bushido, kokettieren – immerhin kapitalistisch bauernschlau<br />
– mit dumpfestem Schwulenhass, während sie gleichzeitig<br />
heulsusig eine ach so problematische Jugend zu Markte tragen.<br />
Ihre jugendlichen Fans, die sich inszenieren als kämen sie aus der<br />
tiefsten Bronx, nicht selten aber in Hamburg-Eppendorf oder Berlin-<br />
Grunewald das Gymnasium besuchen, finden etwas „schwul“, wenn<br />
sie etwas bescheuert finden, eine sprachliche Praxis, die für den<br />
sprachgewandten „Zeit“-Kolumnisten Harald Martenstein erheiternder<br />
Weise rein gar nichts mit einer Abneigung gegen Schwule zu<br />
tun hat. Und Lesben, die es immer noch wagen, sich nicht wie eine<br />
Infotainment-Tussi zu stylen, sind sowieso trampelige „Kampflesben“.<br />
Merkwürdige Tendenzen artikulieren sich aber auch – immer<br />
noch oder wieder verstärkt? – unter den Betroffenen selbst, sofern sie<br />
sich überhaupt als Betroffene fühlen. Denn, wie schon ein flüchtiger<br />
Blick in eine Internet-Kontaktbörse wie „Gayromeo“ lehrt, verkehrt<br />
dort eine mehr als unrealistische Anzahl von Bisexuellen, offenbar<br />
weil – die durch fünf Profilfotos mit „Freundinnen“ unterstrichene<br />
– Bisexualität die Profilinhaber unschwuler oder im mathematisch<br />
exakten Sinne halb so schwul erscheinen lässt. Gesucht werden dann<br />
gerne „Normale“ oder „normal Gebliebene“ (wer oder was bildet hier<br />
die Norm?), da man sich selbst ja auch mit dem Gütesiegelbegriff<br />
„heterolike“ annonciert, der rein logisch betrachtet nichts anderes<br />
als (Selbst-) Abneigung offenbart und insofern auf die Vorschlagsliste<br />
zum Unwort des Jahres gehört. Und abgesehen von der vielfach<br />
erwünschten Distanz zur „Szene“ – von der man immer schon<br />
gerne gewusst hätte, wo sie nun jetzt gerade wieder tobt, und ob man<br />
eigentlich dazu gehört, wenn man gelegentlich am Wochenende an<br />
einschlägigen Orten das Tanzbein schwingt – hat sich in vielen Profilen<br />
ein regelrechter, in mackerhaft-aggressiver Tonlage vorgetragener<br />
Tuntenhass kultiviert: „Gender Trouble“ war gestern!?<br />
Die Lage, so will es – wie ohnehin meistens – scheinen, ist also<br />
unübersichtlich und – zwischen Zweckoptimismus und Kulturpessimismus<br />
hin und her schwankend – schwer zu beurteilen. Wenn das<br />
Gegenwärtige unklar ist, dann lohnt vielleicht ein Blick in die Vergangenheit,<br />
die immer kurz vor Weihnachten Hochkonjunktur hat, und<br />
zwar in Gestalt ebenso dickleibiger wie geschichtsschwangerer Empfehlungen<br />
für den Gabentisch. Populär- sowie hochwissenschaftliche<br />
Schmöker historischen Inhalts, zu nicht unbeträchtlichem Teil von<br />
Guido Knopp herausgegeben, stapeln sich nun wieder in den Buchläden:<br />
„Hitlers Helfer“, „Hitlers Frauen“, „Hitlers Kinder“, „Hitlers<br />
Kinder antworten“, „Die Geschichte Europas“, „Chronik der Weltgeschichte“,<br />
„Chronik der Deutschen“, „Chronik des 20. Jahrhunderts“<br />
etc. pp. Beworben werden die lehrreichen Werke häufig mit schulmeisterlich-hochtönenden<br />
Sätzen wie: „Nur wer die Grundlagen der<br />
eigenen Kultur kennt, entwickelt ein Verständnis für sich selbst und<br />
die eigene Identität“, oder solchen, in denen sich „die eigenen Wurzeln“<br />
und ihre „Bedeutung für die Wahrnehmung der Gegenwart“<br />
fest eingewurzelt haben. Ungeachtet der schwierigen Frage, inwieweit<br />
nun der Investiturstreit (1076–1122) oder der Siebenjährige<br />
Krieg (1756–1763) ganz real in die eigene Biographie intervenierten<br />
und dieserart an der Persönlichkeitsbildung mitwirkten, entbehren<br />
diese Aussagen mitunter ja nicht eines gewissen Wahrheitsgehaltes.<br />
Vielleicht aber dürfen historische Rückblicke ja zunächst auch einfach<br />
nur interessant und faszinierend sein. Die von der Edition Salzgeber<br />
herausgebrachte, gerade erschienene DVD-Box Gay History,<br />
eine filmische „Emanzipationsgeschichte des 20. Jahrhunderts“,<br />
ist es auf jeden Fall – womit sich dieser Text, passend zum Thema,<br />
nun frühzeitig und offenherzig als schriftliche Dauerwerbesendung<br />
geoutet hat. Und zwar reinsten Gewissens, denn die auf fünf DVDs<br />
im Schuber versammelten Dokumentarfilme dürfen mittlerweile mit<br />
Recht Klassiker-Status für sich in Anspruch nehmen.<br />
Zeitlich am frühesten innerhalb dieser „Chronik der Homos“ setzt<br />
Greta Schillers Before Stonewall (USA 1984, Co-Regie: Robert Rosenberg,<br />
Erzählerin: Rita Mae Brown) an, der es gemäß seines Titels<br />
unternimmt, die Geschichte der amerikanischen Lesben und Schwulen<br />
vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis zu den befreienden Krawallen<br />
rund um die Schwulenbar „Stonewall“ am 27. Juni im New Yorker<br />
Greenwich Village, die das Modell für die heutigen CSD-Paraden bilden,<br />
in Form einer Mixtur aus Zeitdokumenten (darunter z. T. äußerst<br />
komische Sequenzen aus alten Hollywood-<strong>Film</strong>en) und Interviews<br />
mithilfe einer ordnenden Erzählstimme zu rekonstruieren. Man<br />
erfährt dabei u.a., dass der Begriff „gay“ zunächst alle gesellschaftlich<br />
Randständigen bezeichnete, dass sich während der 1920er bis<br />
zur großen Depression der 1930er Jahre in Teilen einiger Metropolen<br />
(in New Yorks Harlem und Greenwich Village, San Franciscos Barbary<br />
Coast und New Orleans’ French Quarter) der erste homosexuelle<br />
Underground bildete, und dass der Zweite Weltkrieg dem homosexuellen<br />
Selbstverständnis überraschender Weise eher zuträglich war.<br />
Ausgerechnet über ihren Dienst in der Armee nämlich erfuhren viele<br />
aus der Provinz stammende Lesben und Schwule erstmals, dass sie<br />
34 35<br />
dvd
dvd<br />
Von oben: „The Times of Harvey Milk“ (Rob Epstein, 1984); „Common Threads – Stories<br />
From The Quilt“ (Robert Epstein und Jeffrey Friedman, 1989); „Paragraph 175“ (Robert<br />
Epstein und Jeffrey Friedman, 2000), „Verzaubert“ (Dorothée von Diepenbroick, Jörg<br />
Fockele, Jens Golombek, Dirk Hauska, Sylke Jehna, Claudia Kaltenbach, Ulrich Prehn,<br />
Johanna Reutter und Katrin Schmersahl, 1992)<br />
EDITIoN SALZGEBER (4)<br />
nicht die einzigen „Perversen“ und somit vielleicht gar nicht pervers<br />
waren. Da Frauen infolge kriegsbedingten Männermangels zu dieser<br />
Zeit an der Heimatfront in zivilen und militärischen Funktionen<br />
sehr gefragt waren, emanzipierten sich vor allem die Lesben, wie eine<br />
Zeitzeugin im Interview eindrucksvoll bestätigt: „Mein Bataillon war<br />
zu 97% lesbisch!“ Ferner berichtet sie von einer Episode, in der General<br />
Eisenhower ihr die Anweisung gab, alle Lesben aus ihrer Einheit<br />
zu entfernen. Auf ihren Einwand hin, dass dann die meisten, sie<br />
eingeschlossen, den Dienst quittieren müssten, sah sich der Kriegsheld<br />
schließlich kleinlaut zum Rückzug animiert: „Vergessen Sie den<br />
Befehl.“ Nach der Schilderung der düsteren McCarthy-Ära während<br />
der späten 1940er und frühen 1950er Jahre, in der Homosexuelle als<br />
potentielle Spione Moskaus verfolgt wurden („Unter McCarthy hatte<br />
man als Schwuler das Gefühl, man sei eine Mata Hari“), endet der<br />
<strong>Film</strong> mit den ersten Ansätzen eines homosexuellen Selbstbewusstseins<br />
(in Gestalt von Interessensverbänden und Zeitschriften wie<br />
„Out“ und „Mattachine Revue“), welche durch die Bürgerrechtsbewegungen<br />
der 50er und 60er („Black Power“, Women’s Liberation“,<br />
Hippiebewegung) wesentlich katalysiert wurden.<br />
Eine Galionsfigur der amerikanischen Lesben- und Schwulenbewegung<br />
stellt Rob Epsteins Oscar-prämierter Dokumentarfilm The<br />
Times of Harvey Milk (USA 1984, Erzähler: Harvey Fierstein) mit<br />
dem besagten Aktivisten und späteren Stadtrat von San Francisco<br />
in den Mittelpunkt. Das Charisma Milks, dessen Leben und Wirken<br />
von seinen Anfängen als Inhaber eines kleinen Fotoladens im Castro-<br />
Viertel bis hin zu seiner Ermordung im Rathaus durch eine Montage<br />
von zeitgenössischen Medienberichten mit Interviews und Erzählerkommentaren<br />
nachgezeichnet wird, blitzt immer dann am eindrucksvollsten<br />
auf, wenn die Kamera ihn redend und argumentierend zeigt.<br />
In diesen Momenten wird klar, warum er so erfolgreich Menschen<br />
überzeugen und Massen mobilisieren konnte. Haarsträubendes ist<br />
zum Ende zu erfahren, sofern der erzkonservative Ex-Stadtrat Dan<br />
White, der Milk sowie den liberalen Bürgermeister George Moscone<br />
am 27.11.1978 nacheinander durch mehrere Kugeln in ihren Amtszimmern<br />
niederstreckte und auf beide noch schoss, als sie bereits am<br />
Boden lagen, im Gerichtsverfahren erfolgreich mildernde Umstände<br />
geltend machen konnte. Nach nur acht Jahren Haft war er schon im<br />
Jahr 1984 wieder auf freiem Fuß.<br />
Den achtziger Jahren, der Dekade von Aids, wendet sich Robert<br />
Epsteins und Jeffrey Friedmans ebenfalls mit dem Oscar ausgezeichneter<br />
Dokumentarfilm Common Threads – Stories From The Quilt<br />
(USA 1989, Erzähler: Dustin Hoffman, Musik: Bobby McFerrin) zu.<br />
Den Ausgangspunkt der Darstellung bildet der „Auds-Memorial-<br />
Quilt“, eine riesiges, aus tausenden, von den Hinterbliebenen für<br />
die Opfer gestalteten Einzelsegmenten zusammengesetztes, 1987<br />
begonnenes und seitdem stetig expandierendes Textil-Kunstwerk,<br />
das 1996 letztmals auf der National Mall in Washington D.C. ausgebreitet<br />
wurde. Der Blick der <strong>Film</strong>emacher geht zunächst vom Großen<br />
aufs Kleine, dergestalt, dass durch Interviews mit Hinterbliebenen<br />
mehrere, sehr unterschiedliche und bewegende Einzelschicksale –<br />
darunter ein drogensüchtiger Ehemann, ein hämophiles Kind, ein<br />
schwuler Vater – vorgestellt werden. Sofern diese Einzelschicksale<br />
mit der damaligen gesellschaftlich-politischen Situation, die durch<br />
allerhand filmische Zeitdokumente verständlich gemacht wird, auf<br />
tragische Weise eng verwoben sind, setzt sich aus den biographischen<br />
Puzzleteilen nach und nach schließlich eine Geschichte der Krankheit<br />
im Amerika der 1980er Jahre zusammen. Und diese Geschichte<br />
stellt kein Ruhmesblatt für die Administration des seinerzeit amtierenden<br />
Präsidenten Ronald Reagan dar, der das Wort Aids 1985 – als<br />
sich schon Tausende mit dem Virus angesteckt hatten – erstmals<br />
überhaupt aussprach und wenig Neigung zeigte, ausreichend finanzielle<br />
Mittel für die Erforschung und Bekämpfung der „Schwulenpest“<br />
zur Verfügung zu stellen. 1989, zum Zeitpunkt der Entstehung des<br />
<strong>Film</strong>s, belief sich die Anzahl der Infizierten bereits auf über 100.000,<br />
ca. 59.000 Menschen waren bereits gestorben, mehr als im Vietnamkrieg. Eine Erfahrung, die<br />
man sonst tatsächlich nur aus Kriegszeiten kennt, machten damals vor allem schwule Männer,<br />
denn nicht wenige verloren binnen kurzer Zeit ihren gesamten Freundeskreis.<br />
Eine große Rolle spielt der Krieg, in diesem Fall der Zweite Weltkrieg, auch im vielfach<br />
preisgekrönten und 2000 im Rahmen der Berlinale uraufgeführten Dokumentarfilm Paragraph<br />
175 (GB/DE/USA 2000, Erzähler: Rupert Everett), mit der sich die Amerikaner Epstein<br />
und Friedman (mit Hilfe des Historikers Klaus Müller) nun einer dezidiert deutschen Problematik<br />
annehmen. Der <strong>Film</strong> versucht eine bewusst offen gelassene und deshalb skandalöse<br />
Lücke der Geschichtsschreibung zumindest ansatzweise zu schließen und kommt dabei, wie<br />
er selbst zugibt, fast schon zu spät. Denn die meisten Betroffenen, in erster Linie homosexuelle<br />
Männer, waren zum Zeitpunkt der Dreharbeiten schon altersbedingt verstorben. Die wenigen<br />
aber, die den Nazi-Terror überstanden haben (etwa 100.000 Homosexuelle sind inhaftiert<br />
und gefoltert worden, darunter 10.000–15.000 in Konzentrationslagern; Von diesen haben nur<br />
etwa zehn überlebt) und über ihre Verfolgung und Misshandlung während dieser Schreckenszeit<br />
noch vor der Kamera Auskunft geben konnten, tun dies in unglaublich eindringlicher und<br />
ebenso unterschiedlicher Art und Weise: Ein Zeitzeuge wirkt fast heiter, ein anderer analytisch-abwägend,<br />
der nächste greisenhaft-sanftmütig, ein weiterer lässt Scham (!) erkennen,<br />
gibt an, noch mit niemandem über seine Erlebnisse gesprochen zu haben, und fängt im Verlauf<br />
seiner Erinnerungen bitterlich an zu weinen – und nur einer schreit seinen gerechten Zorn<br />
über das erlittene Unrecht laut aus sich heraus. Stark wirkt der <strong>Film</strong> aber auch darin, dass<br />
er mitdokumentiert, wie die Opfer zum Sprechen ermutigt wurden und wo ihre Auskunftsbereitschaft<br />
endete. Der Anfang des <strong>Film</strong>s, der durchgängig mit faszinierenden historischen<br />
Bilddokumenten aufwartet, schildert die – auch für die Homosexuellen beiderlei Geschlechts<br />
– goldenen 20er-Jahre, in denen der – ursprünglich aus dem preußischen Landrecht von 1794<br />
stammende, in der Folgezeit mehrfach ver- und entschärfte und tatsächlich erst 1994 vollständig<br />
aufgehobene – Diskriminierungsparagraph 175 weitgehend ignoriert wurde. „Man<br />
konnte“, so die einzige Zeitzeugin über die Lage im Weimar-Berlin, „tun, was man wollte.“<br />
Umso erschreckender wirkt dann der Rückfall in die Barbarei der Naziherrschaft.<br />
Ebenfalls mit der Nazi-, darüber hinaus aber auch mit der Nachkriegszeit, den 1950er und<br />
1960er Jahren, beschäftigt sich Verzaubert (DE 1993), der letzte und einzige (rein) deutsche<br />
der fünf Dokumentarfilme, der vor allem auf – nicht minder eindrucksvolle – Zeitzeugeninterviews<br />
setzt, die durch historische – allerdings zumeist fotografische – Bilddokumente ergänzt<br />
werden. Dass der sieben Jahre früher als der methodisch ähnlich verfahrende Paragraph 175<br />
entstandene Streifen allein visuell etwas weniger professionell und aufwendig anmutet, stellt<br />
eher ein Wunder als ein Manko dar, sofern er von neun Hamburger Studierenden unter schwierigen<br />
finanziellen Bedingungen realisiert wurde. Den Titel der filmischen Kraftanstrengung<br />
erklärt gleich zu Anfang eine der Interviewten, die den neumodischen Begriffen „schwul“<br />
und „lesbisch“ wenig abgewinnen kann und „verzaubert“ eindeutig zauberhafter findet. Eine<br />
andere, deren tragische Vergangenheit merkliche Züge von Verbitterung hinterlassen hat,<br />
bezeichnet die Verzauberten durchgängig in ihrer historischen Terminologie als „Freundschaftsfrauen“<br />
bzw. „Freundschaftsmänner“. Einer dieser älteren Freundschaftsmänner, der<br />
die Hölle von Auschwitz überlebt hat, beschreibt seine Zeit im Lager dann – mehr erschütternder<br />
als befremdlicher Weise – als insgesamt gar nicht so schlimm, offenbar um nicht so viel<br />
Aufhebens von seinem Schicksal zu machen. Verzaubert versteht aber nicht nur zu erschüttern,<br />
sondern auch zu bezaubern, z.B. dann, wenn die sehr unterschiedlichen älteren Damen<br />
und Herren zum Teil in norddeutschem Dialekt mit viel Charme und Witz davon berichten,<br />
wie sie über lange Zeit ihre soziale Umwelt getäuscht und die Obrigkeit ausgetrickst haben.<br />
Und fast wie nebenbei setzt sich aus den Interviewaussagen ein verschüttetes oder bewusst<br />
verdrängtes, auf jeden Fall aber faszinierendes Stück Hamburger Stadtgeschichte zusammen,<br />
das bis weit in die Zeit der jungen Bundesrepublik hineinreicht. Dass, wie auch zu erfahren<br />
ist, die Verhaftungen aufgrund des weiterhin wirksamen § 175 noch nach Kriegsende anhielten<br />
und selbst vor KZ-Überlebenden nicht halt machten, woraufhin sich einige von ihnen das<br />
Leben nahmen, bedeutet für unseren Staat allerdings eine ausgesprochene Schande, die nur<br />
ungern angesprochen wird.<br />
Abgesehen davon, dass man tatsächlich froh ist, im Hier und Jetzt zu leben – in diesem Fall<br />
wirkt der berüchtigte Satz von der „Gnade der späten Geburt“ gar nicht mehr so abwegig –,<br />
mag sich nach Durchsicht der fünf großartigen Dokumentarfilme mitunter auch die eine oder<br />
andere Einsicht vermittelt haben. Vielleicht diese, dass es eine klar definierbare lesbische oder<br />
schwule Identität wohl zu keiner Zeit gegeben hat, sondern vielmehr schon immer zahlreiche<br />
höchst unterschiedliche Lebens- und Selbstentwürfe nebeneinander existierten. Vielleicht<br />
aber auch jene, dass ohne einen massenhaften, solidarischen und entschlossenen Zusammenschluss<br />
von Lesben und Schwulen – unter- und miteinander –, man nenne dies nun Community<br />
oder sonst wie, niemals auch nur der geringste Fortschritt zum Besseren erzielt wurde. Ist das<br />
jetzt schon Geschichtsbewusstsein? s<br />
Gay History<br />
Emanzipationsgeschichte des<br />
20. Jahrhunderts. 5 DVDs im<br />
Schuber.<br />
Box und Einzel-DVDs bei der<br />
Edition Salzgeber,<br />
www.salzgeber.de<br />
Before Stonewall<br />
von Greta Schiller, Robert<br />
Rosenberg, Andrea Weiss<br />
US 1984, 87 Minuten, OmU<br />
The Tmes of Harvey Milk<br />
von Robert Epstein<br />
US 1984, 90 Minuten, OmU<br />
Common Threads –<br />
Stories from the Quilt<br />
von Robert Epstein, Jeffrey Friedman<br />
US 1989, 79 Minuten, DF, OmU<br />
Paragraph 175<br />
von Robert Epstein, Jeffrey Friedman<br />
US 1999, 75 Minuten, OmU<br />
Before Stonewall<br />
von Dorothée von Diepenbroick,<br />
Jörg Fockele, Jens Golombek, Dirk<br />
Hauska, Sylke Jehna, Claudia Kaltenbach,<br />
Ulrich Prehn, Johanna Reutter,<br />
Katrin Schmersahl<br />
DE 1992, 89 Minuten, dt. OF<br />
36 37<br />
dvd
nachruf<br />
MARTIN BüssER<br />
(1968–2010)<br />
von BirGit Binder<br />
Am 23. September ist Martin Büsser gestorben. Der Autor, Journalist, Herausgeber,<br />
Musiker war ein leidenschaftlicher und unvergleichlicher Zusammen-Denker von<br />
Queer- und Poptheorie. Aus einem Streit mit ihm über die angebliche DVD-Brache im<br />
Arthousebereich wurde sehr schnell eine Freundschaft, wenig später konnten wir ihn<br />
schon als Autor für die SISSY gewinnen. Erinnerungen an eine Stimme, die uns fehlt.<br />
Scans aus dem Bildroman „Der Junge von nebenan“ von Martin Büsser,<br />
erschienen im Verbrecher Verlag 2009, 108 Seiten, broschur. (www.verbrecherei.de).<br />
„Wer die Gefühle verbieten will, die möglicherweise zur Flucht führen<br />
können, setzt stets schon voraus, den eigentlich richtigen Weg, also ‚die<br />
Realität‘ zu kennen und ist gefährlich nahe an jenen inzwischen geflügelten<br />
Worten von Arno Schmidt: ‚Nur die Phantasielosen flüchten in<br />
die Realität und zerschellen dann, wie billich, daran.‘“<br />
MARTIN BüSSER: „THE ART oF NoISE – EINE KLEINE GESCHICHTE DER SoUND CULTURE“,<br />
IN: TESTCARD #3, S. 18.<br />
s Seine Stimme sprach über die Musik, die er liebte und auflegte im<br />
Radio, in Texten über <strong>Film</strong> & Kunst, zuletzt hinterließ er uns einen<br />
queeren Bildroman, „Der Junge von nebenan“. Als Mitbegründer des<br />
Ventil-Verlags gab er ab 1995 die „testcard“ mit heraus, fast scheint<br />
es, als sei eine bestimmte Zeit mit ihm gegangen. Ich habe nicht das<br />
Glück gehabt, Martin Büsser sagen zu können, wie singulär entscheidend<br />
er wohl nicht nur für mein Leben war und immer wieder ist,<br />
wenn ich seine Texte lese, Zeichnungen anschaue oder seine Stimme<br />
höre. Ich habe eines Abends nach der Todesnachricht geweint, weil<br />
ich mit Wucht erkannte: Wir alle haben ein Archiv verloren und sind<br />
jetzt zurückgeworfen auf das, was er uns hinterlassen hat und das,<br />
was wir auch daraus und damit und deswegen in unserem Leben entstehen<br />
lassen. In Nachrufen können wir lesen, dass Martin Büsser,<br />
Autor und Verleger, DJ, Zeichner, Theoretiker, Künstler, popkultureller<br />
Ethnologe ohne Spiegel und darum konzentriert und kritisch<br />
selbstreflexiv seinen Regionen gegenüber – sei es örtlich, politisch,<br />
geschlechtlich – sich immer wieder eingemischt, Diskurszeit bis aufs<br />
äußerste genutzt hat, und wie uneitel er sich artikulierte.<br />
Martin Büsser schrieb regelmäßig Plattenkritiken für „Intro“,<br />
hielt beißende Vorträge wie „Geschlechterverhältnisse in Punk- und<br />
Hardcore-Szene“ im Jenseits-der-Geschlechtergrenze-Podcast der<br />
ag queerstudies hamburg („Diese Hymne auf den Analverkehr, Frankie<br />
goes to Hollywood, ‚RELAX, don’t do it – if you wanna come, …‘“)<br />
oder schreibt „Fragmente einer Porno-Komparatistik“, deren Analyse<br />
offenbart, was ihr Titel verspricht „For Your Pleasure“ (testcard #17:<br />
„sex“). Seit ich diesen Text gelesen habe, bekomme ich immer häufiger<br />
die Fresse auf und sage: Ich bin schwul und transgender und<br />
das ist o.k. so, und ja, manchmal, da macht mir das Freude. Martin<br />
Büssers Tod erinnert daran, wie wenigen Menschen, die sich Männer<br />
nennen, sich manche von uns nahe fühlen können. So nahe, dass zu<br />
wissen, dass es nur einen von ihnen gegeben haben mag, der die Zartheit<br />
und Schärfe besaß, uns Diskurszeit zu geben und immer wieder<br />
für sie zu sprechen gut genug ist, um weiter zu machen. So gut genug,<br />
dass ich den Satz „Selbst wenn es“ (das Leben!) „die meiste Zeit zum<br />
Kotzen ist“ aus „Lang leben die Könige! Vom Ereignis des Kingen“ (in:<br />
Hot Topic, hg. Von Sonja Eismann, Ventil Verlag) streichen mag, wenn<br />
es einen Martin Büsser zu geben vermochte auf diesem Planeten.<br />
Im Paradox, dass wir nicht nur (mit) Punk leben, wortwörtlich<br />
und qua Etymologie dieses Wortes (Knastslang, „vergewaltigte Mitinsassen<br />
und Schwule“), während Homophobie immer wieder an die<br />
Oberfläche dessen gerät, was unter Punk verstanden werden sollte<br />
und wird. Ein Paradox, das abstrahiert bedeutet, dass die allerorts<br />
stattfindenden Auslöschungen unserer queeren Geschichte als „der<br />
Geschichte“ zugehörig verramscht werden anstatt daraus die revolutionären<br />
Splitter in unseren Leben zusammenzusetzen, „If the kids<br />
are united“.<br />
„schnell, sexy, schön, vergänglich“ zitiert Martin Büsser Diedrich<br />
Diedrichsen in einem Vortrag („Testcard und Popkritik in Deuschland“).<br />
Auch wenn Martin Büsser dieses Wort einmal „leidig“ nannte,<br />
„schnell, sexy, schön, vergänglich“, mit einem kritischen Gedächtnis<br />
AUTHENTISCH warst Du auch. Deine „Lipstick Traces“ sollen uns<br />
noch lange haften bleiben und in Atem halten. RIP Martin Büsser. s<br />
Martin Büsser: Geschlechterverhältnisse in der Punk- und Hardcore-<br />
Szene. Podcast-Vortrag vom 07. Mai 2008, AGQueerStudies, Hamburg:www.agqueerstudies.de/martin-busser-geschlechterverhaltnisse-in-der-punk-und-hardcore-szene<br />
Martin Büsser: „Testcard“ und Popkritik in Deutschland. Vortrag im<br />
Wiener „Depot“, Juli 1998: www.txt.de/testcard/buesser<br />
www.pechsaftha.de<br />
www.testcard.de<br />
www.icantrelaxin.de<br />
38 39<br />
nachruf
filmflirt<br />
der Moment<br />
Friedrich KröhnKe Flirtet mit „capote“<br />
Kaum jemand hat in Deutschland hinreißendere Geschichten über die tragikomische Sehnsucht nicht mehr<br />
ganz so junger Herren nach dem moralisch beanstandeten Glück geschrieben. Auch das Kino spielt bei<br />
Friedrich Kröhnke immer eine Rolle. In dem bekanntesten seiner vielen Romane erzählt Friedrich Kröhnke<br />
vom Leben und Sterben seiner besten Freundin „Helen“ als Geschichte der Kinofilme, die sie gemeinsam<br />
gesehen haben („Wie in schönen <strong>Film</strong>en“). Es folgte eine Novelle über die mythenumwobene letzte Highway-Fahrt<br />
des Regisseurs Murnau („Murnau. Eine Fahrt“). Zuletzt erschien „Ein Geheimnisbuch“.<br />
s Ach wer von uns ist schon ein Truman Capote! Du<br />
nicht und ich nicht … Plötzlich in der New Yorker Literatenszene<br />
aufschlagender blonder Knirps, der scheinbar<br />
ein kleiner Junge ist und jedenfalls ein von Gott begnadeter<br />
Erzähler. Du nicht und ich nicht. Verfasser wundervoller<br />
Geschichten aus den Südstaaten über verrückte<br />
Knäblein und ihnen in Verrücktheit nicht nachstehende<br />
alte Damen. Autor von Geschichten wie „A Christmas<br />
Memory“ und „A Diamond Guitar“, für die zu danken<br />
man jedes Jahr einmal seine Urne tätscheln und küssen<br />
sollte. Du nicht und ich nicht der auf Partys umringte<br />
boshafte Plauderer mit der Fistelstimme. Und doch …<br />
Wir mögen es, meine Freundin und ich, im Xenon zu<br />
sitzen. Biopics! Wir mögen überhaupt das Xenon, aber<br />
erst recht, wenn Biopics gezeigt werden. Nach dem über<br />
Kinsey letztens, dem über Françoise Sagan unlängst setzen<br />
wir uns genüsslich, den kleinen großen Capote zu<br />
sehen, Autos von früher und wogende Weizenfelder, den<br />
Tod und den Tratsch.<br />
Da sitzen wir in den hinfälligen Sesseln, ich trink<br />
mein Bier aus der Dose, und nach und nach, irritiert,<br />
bemerken wir, es ist ein schlimmer <strong>Film</strong>, und bemerken<br />
wir: Das bin ja ich! Das bist ja du …<br />
Alles ist da, wie ich es kenne! … Der Klassenkasper,<br />
der später zum Schwulen wird, gefangen in seinem Kerker<br />
aus Angeberei, Parodie, Geschwätz und Begabung.<br />
Der eitle Schriftsteller, der, fasziniert von den gewalttätigen<br />
schönen Biestern, Umgang mit ihnen pflegt, verliebt<br />
in sie ist, sie zugleich, schlau, als Stoff, als Material<br />
nutzt, froh ist, sie auch wieder fallen lassen zu können.<br />
Die Freundin, die da ist, wenn er die dummen Kriminellen<br />
mit den blitzenden Augen los sein will. Und ohne die<br />
er nichts wäre. Und die, ohne so viel Wind zu machen,<br />
ihrerseits Beachtliches leistet …<br />
Eine alles dieses bis zum Äußersten treibende Parabel:<br />
die hilflose Faszination, die Blasiertheit, die Freundin,<br />
sogar meine Phantasien vom Elektrischen Stuhl –<br />
aber als wahre Geschichte um Leben und Tod und so sehr<br />
trist, ein so sehr harter <strong>Film</strong>.<br />
Und all das ist so genau gearbeitet, jede Farbe, jeder<br />
Schal, jeder schale Scherz. Und all das spielt uns mit dem<br />
Gewicht einer ganzen Persönlichkeit Philip Seymour<br />
Hoffman, den wir schon als Gegenspieler des jungen Tom<br />
Ripley im 1950er Italien liebten, manchmal so fotografiert,<br />
dass man nur das Gesicht dessen, mit dem er redet,<br />
sieht und von T.C. nur die große Brille – und spielt uns<br />
Catherine Keener als Harper Lee wie so eine Art Christa<br />
Wolf aus Amerika …<br />
40<br />
Betreten erkennt der Schriftsteller Kröhnke aus Berlin:<br />
Du Schreck, auch ich bin Capote. Und wohl ein paar<br />
mehr, die sich während des Abspanns aus dem Xenon<br />
schleichen, die haben sich auch ertappt gefühlt …<br />
Und wir sitzen noch drin und wünschten so sehr, wir<br />
wären gleich zu Anfang in das schöne alte Auto gestiegen,<br />
du ans Steuer, versteht sich, und wären aus Kansas<br />
weggefahren, du und ich, Harper Lee und T.C. Durch<br />
besagte Weizenfelder immer nach Süden, abends Wein<br />
und Motels und den Fatalitäten der Gier nach jugendlichen<br />
Männern entkommen – nach Alabama und in die<br />
Kindheit. Niemand wäre erschossen worden, niemand<br />
hingerichtet und noch jede Spottdrossel am Leben. s<br />
Capote<br />
von Bennett Miller<br />
US/CA 2005, 110 Minuten, DF<br />
Auf DVD<br />
Sony Pictures Home Entert.,<br />
www.sphe.de<br />
Wie in schönen <strong>Film</strong>en<br />
von Friedrich Kröhnke<br />
Roman, 156 Seiten<br />
Ammann Verlag,<br />
www.ammann.ch<br />
Murnau<br />
von Friedrich Kröhnke<br />
Novelle, 72 Seiten<br />
Rimbaud Verlag,<br />
www.rimbaud.de<br />
SoNY PICTURES<br />
Ein Geheimnisbuch<br />
von Friedrich Kröhnke<br />
Roman, 144 Seiten<br />
Ammann Verlag,<br />
www.ammann.ch<br />
Neu auf dVd<br />
von Maike Schultz (MS), chriStoPh MeyrinG (cM), Peter SchMidt (PeSch) und jan küneMund (jk)<br />
PEPI, LUCI, BOM UND DER REST DER<br />
BANDE<br />
ES 1980, Regie: Pedro Almodóvar, Universum<br />
Nachdem Pepi (Carmen<br />
Maura) in ihrer Wohnung<br />
von einem fiesen Polizisten,<br />
der ihre kleine Dope-<br />
Plantage auf dem Balkon<br />
erspäht hat, rüde vergewaltigt<br />
worden ist, sinnt<br />
sie auf Vergeltung. Zu diesem<br />
Zweck heuert sie ihre<br />
Freundin Bom (Olvido „Alaska“ Gara) und deren<br />
Kumpels von der Punk-Band „Bomitoni“ an.<br />
Die schlagen mit dem Zwillingsbruder des gesetzlosen<br />
Gesetzeshüters aber leider den Falschen<br />
krankenhausreif. Immer noch rachedurstig<br />
machen sich Pepi und Bom daraufhin an die<br />
Polizistengattin Luci (Eva Siva) heran, vorgeblich,<br />
um bei ihr Strickunterricht zu nehmen.<br />
Überraschenderweise outet sich die äußerlich<br />
so biedere Hausfrau im Verlauf der verkrampften<br />
Handarbeitsversuche als knallharte Masochistin.<br />
Da sie somit bestens in das Beuteraster<br />
der dominanten Bom passt – „Vierzig und<br />
schlaff, genau wie ich’s mag!“ – verlässt sie kurzentschlossen<br />
ihren Gatten, um der minderjährigen<br />
Punkerin fortan als Sexsklavin dienstbar<br />
zu sein. Gemeinsam machen Pepi, Luci und<br />
Bom nun die aufblühende Undergroundszene<br />
Madrids unsicher. Bis Luci plötzlich von der<br />
Bildfläche verschwindet … Da der Regisseur damals<br />
noch hauptberuflich bei der staatlichen<br />
Telefónica beschäftigt war, konnte Pedro Almodóvars<br />
Kinoerstling aus dem Jahr 1980 nur am<br />
späten Nachmittag und an Wochenenden gedreht<br />
werden. Der Comic-hafte, schrillbunte<br />
Streifen, der zuweilen an die Trash-Movies<br />
John Waters’ erinnert, ist noch unverkennbar<br />
ein Produkt der Subkulturbewegung „Movida<br />
madilena“, lässt aber bereits die Handschrift<br />
des Meisters erkennen. Zahlreiche Tabubrüche<br />
– inhaltlicher wie technischer Art – scheinen<br />
dabei einkalkuliert. Denn, so Almodóvar selbst:<br />
„Wenn ein <strong>Film</strong> ein oder zwei Fehler hat, ist das<br />
nur ein unvollkommener <strong>Film</strong>. Wenn dagegen<br />
diese Fehler derart überhand nehmen, wird es<br />
zum Stil.“ Gemeinsam mit Zerrissene Umarmungen<br />
ergänzt Pepi, Luci, Bom (OmU) die sehr<br />
ansprechend ausgestattete große Pedro-Almodóvar-Edition,<br />
deren letzte Lücke demnächst<br />
mit der DVD-Version des nekrophilen Stierkampfdramas<br />
Matador (1986) geschlossen werden<br />
wird. cm<br />
DU SOLLST NIChT LIEBEN<br />
IL/FR/DE 2009, Regie: Haim Tabakman, Edition Salzgeber<br />
Der Jerusalemer Fleischer<br />
Aaron, ultraorthodoxer<br />
Jude, verheiratet und Vater<br />
von drei Kindern, verliebt<br />
sich in Ezri, einen<br />
22-jährigen Jeshiva-Schüler,<br />
den er als Lehrling in<br />
seinem Geschäft anstellt<br />
und in seine Familie aufnimmt,<br />
nachdem der Regen ihn ihm vor die<br />
Füße gespült hat. „Tabakman schafft es mit für<br />
einen Debütanten traumhafter Sicherheit, weder<br />
Aarons Liebe zu Ezri, noch die zu seiner Familie<br />
und zu seinem Gott zu denunzieren, sondern<br />
zeigt, unterstützt von einem wunderbaren<br />
Ensemble, wo die Schwierigkeiten liegen, wenn<br />
das Herz größer wird als der Verstand erlaubt.<br />
Sein Hauptdarsteller Zohar Strauss ist für seine<br />
Bravourleistung mit dem Darstellerpreis des Jerusalemer<br />
<strong>Film</strong>festivals bedacht worden und<br />
der israelische Popstar Ran Danker liefert als<br />
Ezri eine nicht nur den Augen schmeichelnde<br />
Vorstellung ab. Der stilistisch vielleicht am<br />
ehesten mit Rosselini und dem cinéma verité<br />
vergleichbare <strong>Film</strong> lässt seine Darsteller in Ruhe<br />
und überfrachtet seine Bilder nicht. Tabakman<br />
weiß um das Potential seiner Geschichte und<br />
tut gut daran, ihm zu vertrauen.“ (Paul Schulz<br />
in der SISSY 1/10)<br />
TOO MUCh PUSSY! FEMINIST SLUTS<br />
IN ThE QUEER X ShOW<br />
FR 2010, Regie: Emilie Jouvet, GM <strong>Film</strong>s<br />
Bei diesen Feministinnen<br />
würden Alice Schwarzer<br />
sicher die (Achsel-)Haare<br />
zu Berge stehen: Eine Sexarbeiterin,<br />
eine Stripperin<br />
und ein paar Pornostars<br />
ziehen gemeinsam mit anderen<br />
willigen Damen aus,<br />
der Welt das Fürchten zu<br />
nehmen. Vor der eigenen Vagina etwa, die bei<br />
Performance-Shows vom Publikum ertastet<br />
und mit einer Lupe beguckt werden darf. Um<br />
eine sex-positive Einstellung zu vermitteln, touren<br />
die sieben Frauen im Bus quer durch Europa,<br />
zeigen ihren Gebärmutterhals auf Berliner<br />
Bauwagenplätzen und führen Fesselspiele in<br />
Pariser Underground-Clubs vor. Wenn es sein<br />
muss auch schon mal mit der Herrentoilette als<br />
Backstage-Bereich, wie bei den Outgames in<br />
Kopenhagen. Die französische Fotografin und<br />
Regisseurin Emilie Jouvet (One Night Stand)<br />
hat die Aktivistinnen einen Sommer lang begleitet<br />
und daraus die sehenswerte Doku Too Much<br />
Pussy! Feminist Sluts In The Queer X Show gemacht.<br />
Auch dass Wendy Delorme & Co es mit<br />
ihren provokanten Auftritten nicht immer leicht<br />
haben, zeigt der <strong>Film</strong>: „Too Much Pussy!“ lautet<br />
die Reaktion eines prüden Clubbetreibers, der<br />
den Frauen kurzerhand die Bühnenzeit kürzt.<br />
Unterwegs bekommen sie SMS von der Freundin<br />
zu Hause, tauschen Vergewaltigungsfantasien<br />
aus und haben – natürlich – Sex. Nur schade,<br />
dass der DVD als Bonusmaterial nicht die<br />
unzensierte Fassung beiliegt, die Jouvet für das<br />
Pornfilmfestival Berlin gedreht hat. ms<br />
ThE OWLS<br />
US 2010, Regie: Cheryl Dunye, Pro-Fun Media<br />
frisch ausgepackt<br />
Was bleibt, wenn eine<br />
Gruppe wie Riot Grrrls in<br />
die Jahre kommt? Wenn<br />
vom Sex,-Drugs&Rockn’Roll-Leben<br />
nur noch die<br />
Alkoholsucht übrig ist?<br />
Viel weiser sind die Frauen<br />
in Cheryl Dunyes <strong>Film</strong><br />
mit dem Alter jedenfalls<br />
nicht geworden, wie es der Titel (Older Wiser<br />
Lesbians = OWLs) verheißt. In ihrem Berlinale-Beitrag<br />
2010 erzählt die Teddy-Gewinnerin<br />
(The Watermelon Woman) von der fiktiven Lesbenband<br />
Screech. Früher besangen die vier<br />
Musikerinnen die feministische Revolution,<br />
nun bröckeln Karriere, Beziehungen und<br />
Freundschaft: Frontfrau Iris ertränkt ihre<br />
Profilsucht in Cocktails, während ihre Ex MJ<br />
einsam vor dem Laptop masturbiert; Carol und<br />
Lily kompensieren ihre Entfremdung dagegen<br />
mit einem Kinderwunsch. Als bei einer Party<br />
ein Mädchen stirbt und Carols Gärtnerin anfängt,<br />
unangenehme Fragen zu stellen, müssen<br />
sich die Frauen erneut zusammenraufen.<br />
In einer raffinierten Genre-Kreuzung aus<br />
Thriller und pseudo-dokumentarischen Interviews<br />
wird der Todesfall rekonstruiert – und<br />
offenbart sich nur als Gipfel eines Eisbergs aus<br />
unausgesprochenen Problemen. Teamwork ist<br />
alles bei The Owls, auch hinter der Kamera.<br />
Cheryl Dunye und ihre Produzenten luden<br />
vorm Dreh eine Gruppe queerer Künstler ein.<br />
So entstand das vielversprechende „Parliament<br />
Collective“, das die Geschichte gemein-<br />
41
frisch ausgepackt<br />
sam entwickelte – und mit Darstellerinnen wie<br />
Guinevere Turner (Go Fish, The L Word), Lisa<br />
Gornick (Tick Tock Lullaby) und Deak Evgenikos<br />
(Itty Bitty Titty Committee) viele bekannte<br />
Gesichter der Szene versammelt. ms<br />
DAKAN – SChICKSAL<br />
GN/FR 1997, Regie: Mohamed Camara, Edition Salzgeber<br />
Logline: „Der erste schwule<br />
<strong>Film</strong> aus Westafrika.“<br />
Und beim emanzipierten<br />
Draufblick auf eine der<br />
vielen Diskriminierungsregionen<br />
klingt da auch<br />
ein „Na endlich!“ mit.<br />
Doch hier wird nichts<br />
nachgeholt, sondern poetisch<br />
und soziologisch präzise kontextualisiert.<br />
Eine Liebe zweier Männer in Guinea ist keine<br />
Sensation, hat aber andere Konsequenzen für<br />
das Umfeld und die Liebenden, und das zeigt<br />
dieser Spielfilm mit einem milden, sehr humanistischen<br />
Blick. Für die Eltern steht die wirtschaftliche<br />
und soziale Existenz auf dem Spiel,<br />
und die beiden von ihren Familien geliebten<br />
Jungs brechen unter diesem Druck zusammen,<br />
obwohl sie sich ihrer selbst und ihrer Gefühle<br />
völlig sicher sind. Im Zeigen, wie sie versuchen,<br />
Gefühl und Verantwortung zusammenzubringen,<br />
fängt der <strong>Film</strong> sehr uneuropäisch an zu<br />
schweben – im Treiben von Fischerboten, im<br />
Rauschen des Urwaldregens, in den Trancen<br />
der Heilungsrituale, im Sound der fantastischen<br />
Musik von Sory Kouyate. Und nicht zuletzt<br />
im strahlenden Lächeln, mit dem Sory der<br />
fassungslosen Ärztin erklärt, warum er in der<br />
Schule einen Schwächeanfall hatte: „Ich bin in<br />
einen Jungen verliebt!“ jk<br />
ChLOE<br />
US/CA/FR 2009, Regie: Atom Egoyan, Kinowelt<br />
Dana Stevens schrieb im<br />
Slate Magazine, es gäbe<br />
zwei gute Gründe, sich<br />
Chloe anzusehen: die<br />
nackte Amanda Seyfried<br />
und die nackte Julianne<br />
Moore. So was traut man<br />
sich hierzulande ja höchstens<br />
als Zitat aufzuschreiben.<br />
Wobei die Nacktheit in diesem <strong>Film</strong> äußerst<br />
vielschichtig ist, wie immer alles in Atom<br />
Egoyans <strong>Film</strong>en äußerst vielschichtig ist, weswegen<br />
es auch immer homoerotische Untertöne<br />
darin gibt, weil es überhaupt vor allem Untertöne<br />
darin gibt. Das ist nicht nur ein Erotikthriller<br />
über zwei Frauen und einen Mann, sondern<br />
eine sich immer weiter zusammenziehende<br />
Studie über das ständige Eingreifen in die Intimität<br />
des Anderen, darüber, dass nichts in Körpern<br />
und Gesichtern eindeutig lesbar ist und<br />
dass Transparenz auf keinen Fall für Durch-<br />
42<br />
blick sorgt. Vierter Hauptdarsteller: das Ravine<br />
House von Drew Mandel, das Absonderung und<br />
völlige Durchdringung erzählt – es steht in Toronto<br />
und ist einer von vielen Unbehausungen,<br />
die Egoyan als Drehorte nutzt. Es gibt den<br />
ängstlichen Blick frei auf das Unergründliche<br />
in den makellosen Gesichtern von Moore und<br />
Seyfried und die maßlose Grausamkeit, die sie<br />
sich und anderen aus lauter Anziehung antun.<br />
Dazwischen: Bilder von großer Schönheit, kristalline<br />
Wintermärchenstimmung, kratzende<br />
Orchesterwellen. Die Lesbe wieder als böse<br />
Verführerin, werden viele sagen. Kaltes Formexperiment,<br />
andere. Aber der Hauch aus giftiger<br />
Schönheit hängt noch in der Luft, nachdem<br />
man sich die Augen gerieben hat. jk<br />
PATRIK 1,5<br />
SE 2008, Regie: Ella Lemhagen, Edition Salzgeber<br />
Ein schwules Paar möchte<br />
bürgerlich werden und die<br />
Adoptionsbehörde bedient<br />
ihren Kinderwunsch gemeinerweise<br />
mit einem<br />
15-jährigen homophoben,<br />
kleinkriminellen Teenager.<br />
„Es gelingt Ella Lemhagen,<br />
aus einem simplen<br />
dramaturgischen Einfall ein Drama zu kreieren,<br />
das auf vielen verschiedenen Ebenen funktioniert:<br />
Schonungslos entlarvt sie die Verlogenheit<br />
des schönen Scheins, in dem sich die Nachbarschaft<br />
des Männerpaares ihr warmes Nest<br />
errichtet hat. Und nicht minder behutsam nutzt<br />
sie den pöbelnden Teenager in diesem Mikrokosmos<br />
als Spiegel, um ein Psychogramm der<br />
beiden Hauptfiguren zu zeichnen.“ (Maike<br />
Schultz in SISSY 3/10)<br />
PERMANENT RESIDENCE,<br />
HK 2009, Regie: Scud, Pro-Fun Media<br />
Normalerweise warten<br />
<strong>Film</strong>emacher ja ein bisschen,<br />
bevor sie sich einen<br />
8 ½ in ihrer <strong>Film</strong>ografie<br />
gönnen. Schließlich will<br />
man ja was zu erzählen<br />
haben, bevor man so was<br />
macht. Das chinesische<br />
Regiewunderkind Scud,<br />
das bei der Berlinale 2010 mit seinem erst dritten<br />
<strong>Film</strong> Amphetamine positiv auffiel, erzählt in<br />
seinem zweiten, semiautobiografischen Werk<br />
aber einfach die Geschichte seines ersten <strong>Film</strong>s:<br />
Junges IT-Genie kommt nach Hongkong, um<br />
dort einen Baseballfilm zu drehen, der sich<br />
nicht so recht zwischen Sport und Softcorepornografie<br />
entscheiden mag und ein Kritikererfolg<br />
wird. Parallel verliebt er sich in den heterosexuellen<br />
Windson und sieht keinen Stich, auch<br />
wenn die beiden schönen Männer ständig miteinander<br />
ringen, baden, schmusen und Händ-<br />
chenhalten. Man muss das verstehen: Was bei<br />
uns auf erotischer Ebene aussieht wie die<br />
schwule Version von Schulmädchenreport, ist<br />
für asiatische Augen Die 100 Tage von Sodom<br />
und sein Regisseur deswegen eine gefeierte<br />
Skandalnudel. Gefeiert wohl und auch vor allem<br />
dafür, das er so ein fantastischer Handwerker<br />
ist. Permanent Residence strotzt vor tollen,<br />
interessanten Bildern, die man sehr gern ansieht,<br />
auch wenn sie keinen erzählerischen Sinn<br />
haben. Wenn Scud den irgendwann finden sollte,<br />
wird er ein echtes Meisterwerk drehen. Bis<br />
dahin kann er gern weiter <strong>Film</strong>e machen, die<br />
nur aussehen, als wären sie welche. pesch<br />
PLAN B<br />
AR 2009, Regie: Marco Berger, Pro-Fun Media<br />
Wolfgang Tillmans bedauert<br />
(in der „Zeit“ nicht<br />
abgedruckt) das vernachlässigte<br />
Arschloch des<br />
Heteromannes, Tom Tykwer<br />
(Drei) kümmert sich<br />
darum und Lynn Shelton<br />
(Humpday) lässt ihre<br />
Männer zumindest darüber<br />
reden … Heteromännlichkeit steht gerade<br />
mancherorts als solche zur Disposition. In<br />
Marco Bergers <strong>Film</strong> ist Schwulsein wenigstens<br />
ein Plan B, wenn Plan A heißt: die Freundin an<br />
sich binden. Brunos Freundin ist abgehauen<br />
und er versucht absurderweise die Verführung<br />
ihres Freundes, weil er gehört hat, dass der<br />
auch Männer mag. Soweit so Story. Und funktioniert<br />
ja auch alles gar nicht. Wie sich das Ganze<br />
aber entwickelt, langsam, eindringlich,<br />
schüchtern, ohne dass sich der <strong>Film</strong> jemals über<br />
die in ihrer Männlichkeit verunsicherten Jungs<br />
lustig macht, ist berührend und besonders. Natürlich<br />
interessiert das am Ende wieder nur die<br />
schwulen <strong>Film</strong>fans. Aber so einfach sind diese<br />
Grenzen eben nur im Zielgruppenmarketing zu<br />
ziehen. jk<br />
AMPhETAMIN<br />
HK 2010, Regie: Scud, Pro-Fun Media<br />
Daniel, ein erfolgreicher<br />
und wohlhabender Finanzmanager,<br />
ist gerade<br />
erst nach Hong Kong in<br />
ein schickes Penthouse<br />
gezogen, als er dem hübschen<br />
Kafka begegnet,<br />
der ihn sofort magisch<br />
anzieht. Die Attraktion ist<br />
durchaus beidseitig. Kafka allerdings, der als<br />
Schwimmtrainer arbeitet und aus der Unterschicht<br />
stammt, ähnelt den Texten seines berühmten<br />
Namensvetters insofern, als er sehr<br />
unzugänglich und rätselhaft wirkt. Bald findet<br />
Daniel heraus, dass Kafka süchtig nach Amphetamin<br />
ist. Doch dies scheint nicht sein ein-<br />
ziges Geheimnis zu sein … Obwohl die zuweilen<br />
allzu pathetischen Dialoge nicht gerade<br />
nobelpreisverdächtig anmuten und auch die<br />
Bildsymbolik des <strong>Film</strong>s wenig mit kafkaesker<br />
Vieldeutigkeit zu tun hat, versteht diese Liebesgeschichte<br />
durchaus zu verführen. Denn<br />
sie ist äußerst aufwendig und rasant gefilmt<br />
und überrascht durch blitzlichtartige Vorausdeutungen<br />
und Rückblenden im Stil der Videoclip-Ästhetik.<br />
Vor allem innerhalb der Sequenz,<br />
in der sich die beiden Protagonisten am<br />
Gummiseil todesmutig von einer Hafenbrücke<br />
in die Tiefe stürzen, agiert die Kamera wie auf<br />
Droge und erzeugt ein Schwindelgefühl, das<br />
nicht nur Akrophobikern den Angstschweiß<br />
auf die Stirn treiben wird. cm<br />
TAXI ZUM KLO – JUBILÄUMSEDITION<br />
DE 1980, Regie: Frank Ripploh, Pro-Fun Media<br />
„Taxi to the Toilet sahen in<br />
New York 200.000 Besucher.<br />
Eingespielt hatte er<br />
allein dort 1 Million Dollar.<br />
In Boston wurde er<br />
zum besten fremdsprachigen<br />
<strong>Film</strong> gekürt. In der<br />
BRD wurde er ebenfalls<br />
Kult. In den Kinos. Auf<br />
den Festivals (Hof, dann Saarbrücken mit dem<br />
renommierten Max-Ophüls-Preis). Aber weil<br />
das damals alles so war, bräuchte das heute<br />
nicht interessieren. Das Sensationelle ist doch,<br />
dass das, was <strong>Film</strong>-Einmalereignis der frühen<br />
achtziger Jahre war, auch heute funktioniert.<br />
Aus dem Stand. Jedenfalls bei mir. Mehr kann<br />
ich ja nicht sagen. Ich rede doch keinem etwas<br />
ein. Aber ich gönne allen die Fahrt mit dem Taxi<br />
zum Klo.“ (Dietrich Kuhlbrodt in SISSY 3/10)<br />
LOVE OF SIAM<br />
TH 2007, Regie: Chookiat Sakveerakul, Pro-Fun Media<br />
„Meine Seele zittert / Mein<br />
Herz bebt vor Angst.“ Sowas<br />
singt eine Schülerband<br />
aus lauter Jungs, die<br />
noch kaum einen Flaum<br />
über der Oberlippe haben.<br />
Das ist pathetisch und süß<br />
zugleich. Und so sind die<br />
ganzen 150 Minuten dieses<br />
<strong>Film</strong>s. Es geht – aber so richtig! – um die Liebe.<br />
Und im Mittelpunkt steht ein schwuler<br />
Teenager, der seit Kindertagen in den Nachbarsjungen<br />
verliebt ist. Jetzt ist Mew Sänger,<br />
Komponist und Texter besagter Schülerband<br />
und am Siam Square trifft der den zwischenzeitlich<br />
verlorenen Freund Tong wieder – und<br />
nun zittert seine Seele und sein Herz bebt. Das<br />
ist ganz schön gewagt für thailändisches Mainstreamkino.<br />
Und das Publikum, das geschickt<br />
in eine übliche (also heterosexuelle) Teenieromanze<br />
gelockt wurde, musste wohl auch ganz<br />
schön schlucken, hat der Regisseur erzählt. Erzählt<br />
wird aber noch viel mehr, mit ziemlich<br />
viel Personal. Über Liebe und Trauer und Liebe<br />
und Enttäuschungen und Liebe. Und am Ende<br />
steht folgerichtig kein Coming-Out und schon<br />
gar kein erlösender Sex, sondern ein Liebes-<br />
Bekenntnis. Und die Kamera zeigt, wie sich<br />
Fliegen auf Strohhalmen aus der Limonade retten<br />
und wie jemand beim Christbaumschmücken<br />
nach langer Überlegung lieber eine männliche<br />
als eine weibliche Figur aufhängt. Das ist<br />
sehr süß und ein bisschen pathetisch. jk<br />
PEACOCK<br />
USA 2010, Regie: Michael Lander, Kinowelt<br />
Es ist absolut nachvollziehbar,<br />
warum Peacock<br />
mit guten Schauspielern<br />
um sich werfen kann. Ellen<br />
Page, Susan Sarandon<br />
und Bill Pullman haben in<br />
Michael Landers als Thriller<br />
getarnter 50er-Jahre-<br />
Charakterstudie jede<br />
Menge wunderbarer Dinge zu arbeiten und sind<br />
als junge Mutter, alternde Matrone und irrer<br />
Postangestellter gegen ihren eigentlichen Typ<br />
besetzt. Stinken allerdings auch alle gegen Cillian<br />
Murphy ab. Denn der darf als Hauptfigur mit<br />
gespaltener Persönlichkeit gleich zwei tolle Rollen<br />
spielen: John, einen etwas mausigen Kleinstadtbewohner,<br />
und Emma, eine etwas mausige<br />
Kleinstadtbewohnerin, die sich dringend von<br />
ihrer männlichen Persönlichkeitshälfte emanzipieren<br />
möchte und dafür allerlei Übles anzettelt,<br />
wovon der Herr im Körper jedoch nichts<br />
weiß. Es ist nach Breakfast on Pluto schon das<br />
zweite Mal, dass Murphy als weibliches Wesen<br />
absolut überzeugt und wenn die Qualität seiner<br />
Darbietungen so bleibt, darf er das gern noch<br />
öfter machen. Peacock erfreut neben seinem<br />
fantastischen Ensemble vor allem dadurch, dass<br />
er so komplex und geduldig erzählt ist. Manche<br />
Menschen werden das langweilig finden, SISSY<br />
findet das unglaublich toll. pesch<br />
LE FIL – SPUR UNSERER SEhNSUChT<br />
FR/BE/TN 2009, Regie: Mehdi Ben Attia, Pro-Fun Media<br />
Der Pressetext behauptet:<br />
„Kurz nach dem Tod seines<br />
Vaters kehrt der attraktive<br />
Jungarchitekt<br />
Malik (Antonin Stahly) in<br />
seine Heimat Tunesien<br />
zurück – und in den Schoß<br />
seiner Mutter.“ Unschöne<br />
ödipale Vorstellung. Auch<br />
wenn Maliks Mama von der immer noch hinreißenden<br />
Claudia Cardinale gespielt wird. Zutreffend<br />
ist: Malik kommt aus Frankreich zurück<br />
nach Tunesien und damit auch zurück in<br />
eine Welt voller Moralvorstellungen, die er in-<br />
nerlich längst abgestreift hat. Bis Mama ihn mit<br />
dem hübschen Gärtner Bilal (Salim Kechiouche)<br />
im Bett erwischen kann, ist es da noch ein<br />
weiter Weg. Auf dem das Mamasöhnchen unter<br />
anderem das Angebot seiner besten lesbischen<br />
Freundin annimmt, mit ihr ein Kind zu zeugen<br />
und sie zu heiraten. Am Ende sind alle glücklich<br />
geoutet und Oma, Enkel, beide Väter und beide<br />
Mütter tollen zusammen am Strand herum. Für<br />
den ersten tunesischen <strong>Film</strong> zum Thema Homosexualität<br />
überhaupt ein gewagtes Statement.<br />
pesch<br />
SUNDAY, BLOODY SUNDAY<br />
UK 1971, Regie: John Schlesinger, CMV Laservision<br />
John Schlesingers klassisches<br />
Drama über eine<br />
fragile Dreierbeziehung<br />
zweier Männer und einer<br />
Frau. „Selbst in der privilegierten<br />
Welt, in der sich<br />
David, Bob und Alex bewegen,<br />
scheinen die in den<br />
60er Jahren gelebten Freiheiten<br />
nach und nach zu schwinden. Der Traum<br />
einer ganzen Gesellschaft von einem Leben in<br />
Offenheit ist schon wieder zu einem Vorrecht<br />
einer Klasse geworden. Aber in John Schlesingers<br />
<strong>Film</strong> bleibt er trotz allem lebendig, in der<br />
Selbstverständlichkeit, mit der David und Bob<br />
ihr Begehren ausleben, und in dem innigen, von<br />
Liebe und Zärtlichkeit erfüllten Kuss, mit dem<br />
Peter Finch und Murray Head Kinogeschichte<br />
geschrieben haben.“ (Sascha Westphal in SIS-<br />
SY 3/10)<br />
A LOVE TO hIDE<br />
frisch ausgepackt<br />
FR 2005, Regie: Christian Faure, CMV Laservision<br />
Außer Bent gibt es keine<br />
herausragenden Spielfilme<br />
über Schwule im Dritten<br />
Reich. Das ändert auch<br />
A Love to Hide nicht, aber<br />
sehen sollte man diesen<br />
französischen Fernsehfilm<br />
zur gleichen Thematik<br />
deswegen trotzdem.<br />
Denn auch wenn Christian Faures Werk bei<br />
weitem nicht die Schlagkraft von Aimee und Jaguar<br />
entwickelt, weil er auch gleich noch die<br />
Geschichte der Juden unter dem Vichy-Regime<br />
erzählen muss, bietet A Love To Hide mit Jérémie<br />
Renier und Bruno Todeschini zwei großartige<br />
Hauptdarsteller, die der komplizierten<br />
Geschichte einfache, emotional stimmige Augenblicke<br />
entgegenhalten, bis irgendwer oder<br />
auch alle im Publikum heulen. Weil die Liebesgeschichte<br />
so schön und so kompliziert ist und<br />
das Paar vom Schicksal so ungerecht behandelt<br />
wird. Eine gelungene Geschichtsstunde mit<br />
zwei wirklich guten Schauspielern in den<br />
Hauptrollen. Passt so. pesch<br />
43
frisch ausgepackt<br />
hEMMUNGSLOS – INFIDELES<br />
FR 2009, Regie: Claude Pérès, Edition Salzgeber<br />
Dieser Claude Pérès ist ein<br />
merkwürdiger Typ. Verständlicherweiseinteressiert<br />
er sich für Sex und<br />
ebenso verständlicherweise<br />
will er mit einem<br />
anderen attraktiven Mann<br />
Sex haben. Und weil er<br />
sich für einen <strong>Film</strong>emacher<br />
hält, ist es verständlich, dass er über das<br />
Thema Sex einen <strong>Film</strong> drehen will. Da gibt es<br />
allerdings ein kleines Problem: Claude Pérès ist<br />
Franzose. Und da gehören definierte Bauchmuskeln<br />
frei nach Barthes zu den Mythen des<br />
Alltags und das Objekt der Begierde ist nach<br />
Lacan ein kleines „a“, das grundsätzlich durch<br />
einen Mangel strukturiert ist. Jetzt steht ihm<br />
zwar mit Marcel Schlutt ein pornografisch versierter,<br />
äußerst entspannter Lust-Profi gegenüber,<br />
der völlig unkompliziert alles Naheliegende<br />
mitmacht, aber Herr Pérès muss noch durch<br />
verschiedene Phasen der Reflexion, der Verwirrtheiten<br />
und Ohnmachtsanfälle (kein Witz!)<br />
hindurch, bis er endlich die Play-Taste seiner<br />
Kamera und einen Bezug zu seiner eigenen<br />
Geilheit findet. Das ist alles hochgradig skurril,<br />
gar nicht so unsexy (weil es sich der Sache so<br />
kompliziert langsam nähert) und intellektuell<br />
nicht wirklich befriedigend. Da aber über den<br />
Sex, den man sieht, auch geredet wird, kann die<br />
FSK sowas auch 16-Jährigen empfehlen. Das<br />
Schönste an dem <strong>Film</strong> ist auf jeden Fall der<br />
Joint danach. jk<br />
LUCKY BASTARD<br />
USA 2009, Regie: Everett Lewis, Pro-Fun Media<br />
Everett Lewis hat schon<br />
ein paar wirklich gute <strong>Film</strong>e<br />
gemacht: The Natural<br />
History of Parking Lots<br />
zum Beispiel, mit dem er<br />
vor 20 Jahren debütierte.<br />
Oder die feine L.A.-Punk-<br />
Liebesgeschichte Luster,<br />
die inzwischen aber auch<br />
schon acht Jahre alt ist. Sein neuer <strong>Film</strong> Lucky<br />
Bastard hat vor allem ein Problem: Er nimmt<br />
sich ein bisschen wichtig. Die Geschichte vom<br />
Innenarchitekten Rusty, der sich in eine männliche<br />
Crackhure verliebt, obwohl er einen netten<br />
und ansehnlichen Mann zu Hause hat, ist eine<br />
von einem offenbar infantilen Mittelstands-Homosexuellen<br />
amerikanischer Prägung, dessen<br />
therapeutisches Laufband zwei Stufen zu niedrig<br />
eingestellt ist und der sich deswegen eine<br />
Zeit lang relativ albern aufführt. Mehr war<br />
nicht. Zwischendurch darf Dale Dymkoski als<br />
besagte Crackhure einen der peinlicheren Monologe<br />
der <strong>Film</strong>geschichte herunterkaspern<br />
und natürlich ziehen sich alle ständig aus und<br />
44<br />
die Frauenfiguren sind völlig überzeichnet. Den<br />
<strong>Film</strong> trotz all dem angucken kann man, wenn<br />
man Hauptdarsteller Patrick Tatten niedlich<br />
findet, was einem Großteil der schwulen Weltbevölkerung<br />
nicht schwer fallen dürfte. Oder<br />
wenn man sich schon immer gewünscht hat,<br />
vorspulen zu können, wenn sich hübsche Männer<br />
bescheuert benehmen. pesch<br />
WASSER UND BLUT<br />
US 2009, Regie: John G. Young, Bildkraft<br />
Ein schwuler Teenager<br />
aus New York muss nach<br />
dem Tod seiner Mutter zu<br />
seiner Tante in den ländlichen<br />
Süden ziehen, wo er<br />
als ultimativer Außenseiter<br />
behandelt wird. „Die<br />
Messlatte ist fix gelegt,<br />
und zwar hoch. William<br />
Faulkner, Flannery O’Connor, James Baldwin.<br />
Das ganz große Fish-Out-Of-Water-Südstaaten-<br />
Drama soll Wasser und Blut sein. Der deutsche<br />
Titel des <strong>Film</strong>s spielt fein mit der Dickflüssigkeit<br />
und damit verbundenen Sprichwörtlichkeit<br />
beider Substanzen und fasst die (Wahl-)Familiengeschichte,<br />
die der <strong>Film</strong> auch ist, so gut zusammen.<br />
Schön. Traurig.“ (Paul Schulz in<br />
SISSY 3/10)<br />
ALEX UND DER LöWE<br />
D 2010, Regie: Yuri Gárate, Pro-Fun Media<br />
André Schneider muss<br />
sich sehr, sehr lieb haben.<br />
Anders ist es kaum zu erklären,<br />
dass er sich als<br />
Produzent bei Alex und<br />
der Löwe nicht nur als<br />
Drehbuchautor und Co-<br />
Regisseur, sondern auch<br />
gleich noch als einen von<br />
zwei Hauptdarstellern engagiert hat. Oder vielleicht<br />
doch: Der <strong>Film</strong> hatte mit nur 25.000 Euro<br />
kein wirklich vorhandenes Budget. Solche monitären<br />
Verhältnisse zwingen einen wahrscheinlich<br />
zu geradezu Streisandscher Personalökonomie.<br />
Die muss ja aber nichts Schlechtes<br />
sein und hat bei Alex und der Löwe auch keinerlei<br />
Einfluss auf den Spaßfaktor des <strong>Film</strong>s, der<br />
ist extrem hoch. Was vor allem am Script der<br />
Screwball-Komödie liegt. Und am anderen<br />
Hauptdarsteller. Der heißt Marcel Schlutt und<br />
ist eigentlich eher für Erwachsenenunterhaltung<br />
bekannt. Macht aber in Alex und der Löwe<br />
schauspielerisch eine ausgesprochen gute Figur,<br />
während der Rest des Ensembles ein bisschen<br />
almodóvarisch übersteuert rüberkommt<br />
oder einfach seine lustigen Texte aufsagt. Insgesamt:<br />
Hübscher kleiner Berlin-<strong>Film</strong>, der seine<br />
handwerklichen Schwächen durch den Einsatz<br />
seines Personals ganz gut auszugleichen in<br />
der Lage ist. pesch<br />
MÄNNER AL DENTE<br />
IT 2010, Regie: Ferzan ozpetek, Prokino<br />
Ein Pastafabrikantensohn<br />
will sich outen, doch sein<br />
Bruder kommt ihm zuvor<br />
und lässt ihn dadurch mit<br />
der Verantwortung sitzen.<br />
„Mit Männer al dente ist<br />
der <strong>Film</strong>stoff Homosexualität<br />
mitten im italienischen<br />
Mainstream angekommen.<br />
Und mit Ozpetek ist es ein türkischer<br />
schwuler Regisseur, der es am besten schafft,<br />
die heterosexuelle italienische Gesellschaft abzubilden<br />
und dabei die besten Schauspieler des<br />
Landes einzubinden. Nichts an der Darstellung<br />
von Homosexualität ist mutig oder provokant.<br />
Tommaso und seine römischen Homo-Freunde<br />
sehen so aus, als seien sie gerade aus der Lacoste-Werbung<br />
gepurzelt: reich, jung, schön, muskulös<br />
und erfolgreich. Das Wichtigste ist weiterhin<br />
die Familie, erweitert um die schwulen<br />
Freunde.“ (Malte Göbel in SISSY 2/10)<br />
I LOVE YOU, PhILLIP MORRIS<br />
US 2009, Regie: John Requa & Glenn Ficarra, Prokino<br />
„Eine dieser Geschichten,<br />
die für ein Drehbuch eigentlich<br />
zu übertrieben<br />
klingen – und doch wahr<br />
sind. Denn tatsächlich<br />
gibt es diesen Steven Ray<br />
Russell, den Carrey verkörpert,<br />
wirklich: einen<br />
aufrecht-christlichen Familienvater,<br />
der nach dem Coming-Out radikal<br />
sein Leben ändert und schließlich sein Geld als<br />
Trickbetrüger verdient. Im Gefängnis verliebt<br />
er sich in Phillip Morris (Ewan McGregor) –<br />
und bricht nach dessen Entlassung immer wieder<br />
aus, um bei ihm zu sein. Schön mitzuerleben,<br />
wie Jim Carrey auf dem schmalen Grat<br />
zwischen dramatischen Liebesbeweisen und<br />
albernen Grimassen mit vollem Körpereinsatz<br />
darum kämpft, vielleicht doch noch zur Schwulenikone<br />
zu werden.“ (Patrick Heidmann in<br />
SISSY 4/09)<br />
PORNOGRAPhY: EIN ThRILLER<br />
US 2009, Regie: David Kittredge, Bildkraft<br />
Drei Männer fallen ihrer<br />
Suche nach echten Gefühlen<br />
hinter pornografischen<br />
Bildern zum Opfer.<br />
„Wie ein Katalog postmoderner<br />
Ängste entwickelt<br />
sich dieser merkwürdig<br />
auf sein männliches, körper-<br />
und wahrheitsbesessenes<br />
Personal beschränkte Thriller. Überall<br />
finden sich Spuren von Überwachung, von Dé-<br />
jà-Vus, von Geschichten hinter Geschichten,<br />
laufen Recherchen nach der Wahrheit ins Leere<br />
bzw. führen zu noch größeren Rätseln, die<br />
umso mehr Angst machen. Kein Krimi ist das,<br />
in dem ein Sherlock Holmes (oder meinetwegen<br />
Donald Strachey) Licht ins Dunkel bringt, hier<br />
greift die Dunkelheit erst durch den Versuch,<br />
sie aufzuhellen, so richtig um sich.“ (Jan Künemund<br />
in SISSY 2/10)<br />
EDGAR ALAN POE’S UNTERGANG DES<br />
hAUSES UShER<br />
US 2008, Regie: David DeCoteau, Pro-Fun Media<br />
Dieser <strong>Film</strong> ist Trash. Und<br />
da gibt es auch kein Aber.<br />
„Ein David DeCoteau<br />
<strong>Film</strong>“ steht über dem Titel<br />
und das ist nun wirklich<br />
kein Gütesiegel – völlig<br />
zurecht hat der Herr den<br />
Spitznamen „Schlockmeister“,<br />
was in richtigem<br />
Deutsch sowas wie „Ramschhändler“ heißt.<br />
Was hier verramscht wird, ist allerdings gute<br />
Literatur: Poes klassische Geschichte von Victor,<br />
der seinen Jugendfreund Roderick Usher<br />
und dessen Schwester nicht vor Zerfall und Todestrieb<br />
retten kann. Das dämonische Schloss<br />
in dieser Videovariante ist also ein braves Backsteingemäuer<br />
und der moribunde Hausherr<br />
trägt zur Entschlüsselbarkeit seiner Verfassung<br />
Sonnenbrille. Der andere Posterboy gibt den<br />
Victor und wird dramatisch von toten Klempnern,<br />
Malern und Gärtnern in knappen Unterhosen<br />
verfolgt, welchen immer nur halb (nämlich<br />
hinten) herunterrutschen. Irgendetwas<br />
Geschlechtliches passiert beim Untergang des<br />
Hauses Abercrombie & Fitch nicht und die horrormäßigen<br />
Dialoge werden Tonmeister sei<br />
Dank von merkwürdigen Störgeräuschen übertönt.<br />
Alles Weitere ist eine Sache des Fetischs<br />
(Posterkörper & Unterhosen). Weitere „David<br />
DeCoteau Poe Verfilmungen“ sind bereits verbrochen,<br />
u.a. The Raven und Pit & Pendulum.<br />
The Horror! The Horror! jk<br />
PRECIOUS – DAS LEBEN IST KOSTBAR<br />
US 2009, Regie: Lee Daniels, Prokino<br />
„Die 16-jährige Precious,<br />
die eigentlich Claireece<br />
heißt, träumt von Glamour,<br />
von tollen Kleidern<br />
und einem Leben im Rampenlicht.<br />
Doch die Realität<br />
sieht anders aus. Mit<br />
rauer Authentizität, ergänzt<br />
um einen Hauch<br />
magischen Realismus, gelingt Lee Daniels das<br />
Kunststück, in unvergesslichen Bildern nicht<br />
nur mit erschütternder Wucht von der Grausamkeit<br />
der menschlichen Existenz zu erzählen,<br />
sondern auch ebenso zart wie liebevoll die<br />
Hoffnung auf ein gutes Ende aufrecht zu halten.<br />
Ein zutiefst bewegender, nachdenklich machender<br />
und im besten Sinne seelenvoller <strong>Film</strong>,<br />
den jeder gesehen haben sollte.“ (Patrick Heidmann<br />
in SISSY 1/10)<br />
SŒUR SOURIRE –<br />
DIE SINGENDE NONNE<br />
FR 2009, Regie: Stijn Coninx, Edition Salzgeber<br />
„Der Regisseur Stijn Coninx<br />
interpretiert Jeanine<br />
als eine Frau voller Widersprüche.<br />
Provokant und<br />
ängstlich, stolz und selbstzweiflerisch,freiheitsliebend<br />
und auf der Suche<br />
nach einer festen Struktur,<br />
die sie hält und vor<br />
sich selbst schützt. Unentschlossen und voller<br />
Sehnsucht nach Verbindlichkeit, ist sie ständig<br />
auf der Flucht: vor der lieblosen Mutter flieht<br />
sie mit der Schwester im Tagtraum nach Afrika,<br />
vor der Verliebtheit ihrer Freundin auf der<br />
Kunsthochschule, die für Selbstverwirklichung<br />
steht, hinter die Klostermauer zur Selbstverneinung,<br />
zu der sie aber auch nicht fähig ist. Sie<br />
rebelliert, besteht auf ihre individuelle Kreativität,<br />
wird berühmt, verlässt das Kloster und<br />
zieht, noch immer voller Abwehr, mit ihrer<br />
Freundin zusammen. Mit allem ist sie vollständig<br />
überfordert. Am meisten jedoch damit, dass<br />
ihre Karriere, die so phänomenal begann, an<br />
eben jenen Instanzen scheitert, die sie anfangs<br />
förderten - den Medien und der Kirche. Ohne<br />
ihr Habit ist sie einfach nur eine junge Frau mit<br />
einer guten Stimme.“ (Jessica Ellen in SISSY<br />
3/10)<br />
L-ShORTS – DIE ZWEITE<br />
DE, PL, NL, CA, US, FR 2002–09, Edition Salzgeber<br />
Ein bisschen wirken die<br />
Geschichten in L-Shorts –<br />
Die Zweite wie die Puzzle-<br />
Teile einer lesbischen Biografie,<br />
nur dass jeder<br />
Lebensabschnitt eine andere<br />
Protagonistin hat. Da<br />
ist das junge Mädchen in<br />
der Wüste, das sich zu einer<br />
Spielkameradin hingezogen fühlt (Das<br />
Eselmädchen); die College-Studentin, die sich<br />
nicht traut, sich vor ihrer Mutter zu outen (wie<br />
High School Musical in queer: Wie sage ich es<br />
nur?) ; die spielsüchtige Midlife-Crisis-Frau an<br />
ihrem 40. Geburtstag (Abnehmender Merkur);<br />
und schließlich die alte Dame, die der Enkelin<br />
ihrer verstorbenen Geliebten begegnet (Im<br />
Sommer sitzen die Alten). So abwechslungsreich<br />
wie die Altersgruppen kommen im zweiten Teil<br />
der Kurzfilmreihe „Die Besten aus der L-<strong>Film</strong>nacht“<br />
auch die Themen daher. Vielleicht liegt<br />
es an den sieben Regisseurinnen, die fast alle<br />
aus einem anderen Land stammen: In Polen<br />
kommt es zur unschönen Möbel-Übergabe bei<br />
der Ex-Freundin (Am Ende der Straße), die US-<br />
Lesbe lädt sich potenzielle Partnerinnen zum<br />
Casting ein (Interview mit meiner neuen Freundin)<br />
und eine Französin beobachtet ihre Nachbarin<br />
durch ein Loch in der Badezimmerwand<br />
(Nebenan). Sexy, melancholisch und herrlich<br />
schräg: So kann die Mischung ruhig weitergehen.<br />
Vor allem, wenn die Frauen so stark sind<br />
wie Farouzi auf ihrem Esel. ms<br />
YNGLINGE<br />
DK, SE, IS 2006–08, Edition Salzgeber<br />
frisch ausgepackt<br />
Carsten, ein dänischer<br />
Teenager, verliebt sich in<br />
den Vater seiner Freundin<br />
und entdeckt dabei seine<br />
Homosexualität (Erwachen,<br />
Regie: Christian<br />
Tafdrup). Love, ein Schwede<br />
Anfang der Zwanzig,<br />
möchte endlich seine<br />
Jungfräulichkeit verlieren, wird aber in der<br />
Wohnung eines Fremden, den er auf der Straße<br />
aufgegabelt hat, brutal vergewaltigt. (Mein<br />
Name ist Love, Regie: David Färdmar). Nach<br />
mehreren Versuchen mit Frauen gesteht der<br />
junge Isländer Gudni Geir seiner dominanten<br />
Mutter endlich, dass er schwul ist. Sie empfindet<br />
diese Tatsache irritierender Weise als ein<br />
Geschenk des Himmels (Mama weiß es am besten,<br />
Regie: Barði Guðmundsson). Auf einem dänischen<br />
Autobahnrastplatz filmt der halbwüchsige<br />
Rasmus einen Familienvater beim Cruising<br />
und verfolgt ihn bis nach Hause, um ihn zu erpressen.<br />
Statt Geld bekommt Rasmus im Wohnungsflur<br />
seinen ersten Sex (Ynglinge, Regie:<br />
Mikkel Munch-Fals). Vier filmische Coming-<br />
Out-Kurzgeschichten, die kaum etwas erzählen<br />
und die sicherlich kaum etwas Neues erzählen.<br />
Das ist aber unwichtig, denn die Gesichter der<br />
durchweg hervorragenden Darstellerinnen und<br />
Darsteller erzählen so viel, so nuanciert und so<br />
glaubwürdig, dass sich jeder positive Eindruck,<br />
den das skandinavische Kino in den letzten<br />
Jahren hinterlassen hat, aufs Eindrucksvollste<br />
bestätigt. cm<br />
45
service<br />
BEzUGsqUELLEN<br />
Nicht-heterosexuelle DVDs erhalten Sie unter anderem in den folgenden Läden. Die Auswahl<br />
wird laufend ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!<br />
BERLIN B_BOOKS Lübbenerstraße 14, 030/6117844 · BRUNO’S Bülowstraße<br />
106, 030/61500385 · BRUNO’S Schönhauser Allee 131, 030/61500387<br />
· DUSSMANN Friedrichstraße 90 · GALERIE JANSSEN Pariser Straße 45,<br />
030/8811590 · KADEWE Tauentzienstraße 21–24 · MEDIA MARKT ALExA Grunerstraße<br />
20 · MEDIA MARKT NEUKöLLN Karl-Marx-Straße 66 · NEGATIVE-<br />
LAND Dunckerstraße 9 · PRINz EISENHERz BUCHLADEN Lietzenburger Straße<br />
9a, 030/3139936 · SATURN ALExANDERPLATz Alexanderplatz 7 · SATURN<br />
EUROPACENTER Tauentzienstraße 9 · VIDEO WORLD Kottbusser Damm 73<br />
· VIDEODROM Fürbringer Straße 17 BOCHUM SATURN Kortumstraße<br />
72 DARMSTADT SATURN Ludwigplatz 6 DORTMUND LITFASS DER<br />
BUCHLADEN Münsterstraße 107, 0231/834724 DüSSELDORF BOOKxxx<br />
Bismarckstraße 86, 0211/356750 · SATURN Königsallee 56 · SATURN<br />
Am Wehrhahn 1 ESSEN MüLLER Limbecker Straße 59–65 FRANK-<br />
FURT/MAIN OSCAR WILDE BUCHHANDLUNG Alte Gasse 51, 069/281260<br />
· SATURN Zeil 121 HAMBURG BUCHLADEN MäNNERSCHWARM Lange<br />
Reihe 102, 040/436093 · BRUNO’S Lange Reihe/Danziger Straße 70,<br />
040/98238081 · CLEMENS Clemens-Schultz-Straße 77 · EMPIRE MEGASTO-<br />
RE Bahrenfelder Straße 242–244 · MEDIA MARKT Paul-Nevermann-Platz<br />
15 KöLN BRUNO’S Kettengasse 20, 0221/2725637 · MEDIA MARKT Hohe<br />
Straße 121 · SATURN Hansaring 97 · SATURN Hohe Straße 41–53 · VIDEO-<br />
TAxI Hohenzollernring 75–77 LEIPzIG LEHMANNS BUCHHANDLUNG<br />
Grimmaische Straße 10 MANNHEIM DER ANDERE BUCHLADEN M2 1,<br />
0621/21755 MüNCHEN BRUNO’S Thalkirchner Straße 4, 089/97603858<br />
· LILLEMOR’S FRAUENBUCHLADEN Barerstraße 70, 089/2721205 · MAx<br />
& MILIAN Ickstattstraße 2, 089/2603320 · SATURN Schwanthalerstraße<br />
115 · SATURN Neuhauser Straße 39 NüRNBERG MüLLER Königstraße<br />
26 STUTTGART BUCHLADEN ERLKöNIG Nesenbachstraße 52,<br />
0711/639139 TRIER MEDIA MARKT Ostallee 3–5 TüBINGEN FRAUEN-<br />
BUCHLADEN THALESTRIS Bursagasse 2, 07071/26590 WIEN BUCHHAND-<br />
LUNG LöWENHERz Berggasse 8, + 43/1/13172982<br />
Dominikanerplatz 4<br />
WüRzBURG MüLLER<br />
KINos<br />
Nicht-heterosexuelle <strong>Film</strong>e können Sie unter anderem in den folgenden Kinos sehen. Die Auswahl<br />
wird laufend ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!<br />
AALEN KINO AM KOCHER Schleifbrückenstraße 15,<br />
07361/5559994 ASCHAFFENBURG CASINO FILMTHEATER Ohmbachsgasse<br />
1, 06021/4510772 AUGSBURG CINEMAxx Willy-Brandt-Platz 2,<br />
01805/24636299 BERLIN ARSENAL Potsdamer Straße 2, 030/26955100<br />
· KINO INTERNATIONAL Karl-Marx-Allee 33, 030/24756011 · xENON KINO<br />
Kolonnenstraße 5–6, 030/78001530 · CINEMAxx POTSDAMER PLATz Potsdamer<br />
Straße 5, 01805/24636299 · EISzEIT Zeughofstraße 20, 030/6116016<br />
· FSK AM ORANIENPLATz Segitzdamm 2, 030/6142464 BIELEFELD CI-<br />
NEMAxx Ostwestfalenplatz 1, 0521/5833583 BOCHUM ENDSTATION<br />
KINO IM BHF. LANGENDREER Wallbaumweg 108, 0234/6871620 BRE-<br />
MEN KINO 46 Waller Heerstraße 46, 0421/3876731 · CINEMAxx Breitenweg<br />
27, 01805/24636299 DORTMUND SCHAUBURG Brückstraße 66,<br />
0231/9565606 DRESDEN KID – KINO IM DACH Schandauer Straße 64,<br />
0351/3107373 · CINEMAxx Hüblerstraße 8, 01805/24636299 ESSEN CI-<br />
NEMAxx Berliner Platz 4–5, 01805/24636299 ESSLINGEN KOMMU-<br />
NALES KINO Maille 4–9, 0711/31059510 FRANKFURT/MAIN MAL SEH’N<br />
Adlerflychtstraße 6, 069/5970845 · ORFEOS ERBEN Hamburger Allee<br />
45, 069/70769100 FREIBURG KOMMUNALES KINO Urachstraße 40,<br />
0761/709033 · CINEMAxx Bertholdstraße 50, 01805/24636299 GöT-<br />
TINGEN KINO LUMIèRE Geismar Landstraße 19, 0551/484523 HAM-<br />
BURG METROPOLIS KINO Steindamm 52–54, 040/342353 · CINEMAxx<br />
WANDSBEK Quarree 8–10, 01805/24636299 HANNOVER APOLLO STUDIO<br />
Limmerstraße 50, 0511/452438 · CINEMAxx Nikolaistraße 8, 01805/24636299<br />
· KINO IM KüNSTLERHAUS Sophienstraße 2, 0511/16845522 KARLSRU-<br />
HE KINEMATHEK KARLSRUHE KINO IM PRINz-MAx-PALAIS Karlstraße<br />
10, 0721/25041 KIEL DIE PUMPE – KOMMUNALES KINO Haßstraße 22,<br />
0431/2007650 · CINEMAxx Kaistraße 54–56, 01805/24636299 · TRAUM<br />
KINO Grasweg 48, 0431/544450 KöLN FILMPALETTE Lübecker Straße 15,<br />
0221/122112 · KöLNER FILMHAUS Maybachstraße 111, 0221/2227100 KON-<br />
STANz zEBRA KINO Joseph-Belli-Weg 5, 07531/60162 LEIPzIG PAS-<br />
SAGE KINO Hainstraße 19 a, 0341/2173865 MAGDEBURG CINEMAxx<br />
Kantstraße 6, 01805/24636299 MANNHEIM CINEMA QUADRAT Collinistraße<br />
5, 0621/1223454 MARBURG CINEPLEx Biegenstraße 1a,<br />
06421/17300 MüNCHEN NEUES ARENA FILMTHEATER Hans-Sachs-<br />
Straße 7, 089/2603265 · CITy KINO Sonnenstraße 12, 089/591983 · CINE-<br />
MAxx Isartorplatz 8, 01805/24636299 MüNSTER CINEMA FILMTHEA-<br />
TER Warendorfer Straße 45–47, 0251/30300 NüRNBERG KOMMKINO<br />
Königstraße 93, 0911/2448889 OFFENBACH CINEMAxx Berliner Straße<br />
210, 01805/24636299 OLDENBURG CINE K Bahnhofstraße 11,<br />
0441/2489646 · CINEMAxx Stau 79–85, 01805/24636299 POTSDAM<br />
THALIA ARTHOUSE Rudolf-Breitscheid-Straße 50, 0331/7437020 RE-<br />
GENSBURG WINTERGARTEN Andreasstraße 28, 0941/2980963 · CINEMAxx<br />
Friedenstraße 25, 01805/24636299 SAARBRüCKEN KINO ACHTEINHALB<br />
Nauwieser Straße 19, 0681/3908880 · KINO IM FILMHAUS Mainzer Straße<br />
8, 0681/372570 SCHWEINFURT KUK – KINO UND KNEIPE Ignaz-Schön-<br />
Straße 32, 09721/82358 STUTTGART CINEMAxx AN DER LIEDERHALLE<br />
Robert-Bosch-Platz 1, 01805/24636299 TRIER BROADWAy FILMTHEATER<br />
Paulinstraße 18, 0651/96657200 WEITERSTADT KOMMUNALES KINO<br />
Carl-Ulrich-Straße 9–11 / Bürgerzentrum, 06150/12185 WUPPERTAL CI-<br />
NEMAxx Bundesallee 250, 01805/24636299 1181<br />
Veitshöchheimer Straße 5a, 01805/24636299<br />
WüRzBURG CINEMAxx<br />
46<br />
IMPRESSUM<br />
Herausgeber Björn Koll<br />
Verlag Salzgeber & Co. Medien GmbH<br />
Mehringdamm 33 · 10961 Berlin<br />
Telefon 030 / 285 290 90 · Telefax 030 / 285 290 99<br />
Redaktion Jan Künemund, presse@salzgeber.de<br />
Art director Johann Peter Werth, werth@salzgeber.de<br />
Autoren Birgit Binder, Jessica Ellen, Gunther Geltinger, Friedrich Kröhnke, Jan<br />
Künemund, Christoph Meyring, Nando Rohner, Ralf Rühmeyer, Peter<br />
Schmidt, Paul Schulz, Maike Schultz, Michael Sollorz, Johann Wasser,<br />
Kerstin Welzenheimer, André Wendler, Sascha Westphal<br />
Anzeigen Jan Nurja, nurja@salzgeber.de<br />
Es gilt die Anzeigenpreisliste 2/2010 (www.sissymag.de/media).<br />
SISSY erscheint alle drei Monate, jeweils für den Zeitraum Dezember/<br />
Januar/Februar – März/April/Mai – Juni/Juli/August – September/<br />
Oktober/November. Auflage: 40.000 Exemplare (Druckauflage).<br />
druck Möller Druck, Berlin<br />
Rechte Digitale oder analoge Vervielfältigung, Speicherung, Weiterverarbeitung<br />
oder Nutzung sowohl der Texte als auch der Bilder zu kommerziellen<br />
Zwecken bedürfen einer schriftlichen Genehmigung des Herausgebers.<br />
Verteilung deutschlandweit in den schwul-lesbischen Buchläden, in den CinemaxX-<br />
Kinos in Augsburg, Berlin, Bielefeld, Bremen, Dresden, Essen, Freiburg,<br />
Hamburg, Hannover, Kiel, Magdeburg, Mannheim, München, Offenbach,<br />
Oldenburg, Stuttgart, Wuppertal. Außerdem hier: Hochschule für<br />
<strong>Film</strong> und Fernsehen „Konrad Wolf“ (Potsdam), Deutsche <strong>Film</strong>- und<br />
Fernsehakademie Berlin, Orlando (Bochum), Birdcage (Kiel), Café Gnosa<br />
(Hamburg), Café ERA (Köln), Kunsthochschule für Medien Köln. Wenn<br />
Sie die SISSY ebenfalls auslegen möchten: Eine kurze E-Mail genügt!<br />
Haftung Für gelistete Termine und Preise können wir keine Garantie geben.<br />
Die Angaben entsprechen dem Stand des Drucklegungstages.<br />
Bildnachweise Die Bildrechte liegen bei den jeweiligen Anbietern.<br />
Abo Sie können SISSY kostenfrei abonnieren: abo@sissymag.de<br />
Auch das noch …<br />
SISSY freut sich über Nachwuchs: Gustav.<br />
ISSN 1868-4009<br />
Tabu Kinderprostitution.<br />
Tomek ist fünfzehn. Der aufgeweckte Junge lebt an der polnisch–<br />
deutschen Grenze und ist es gewohnt, für sich selbst zu sorgen.<br />
Die Eltern, Lehrer und Priester sind schlechte Vorbilder und interessieren<br />
sich nicht für Tomeks Träume. Um die geliebten Sterne<br />
zu beobachten, fehlt in der Schule ein Obervatorium und dafür<br />
das Geld. Um die Ansprüche seiner ersten Freundin zu befriedigen<br />
„Hauptdarsteller Garbacz macht<br />
diesen <strong>Film</strong> zu einem Ereignis.“<br />
radio eins<br />
„Wirklich ein starkes Stück<br />
realistisches Gegenwartskino.“<br />
siegessäule<br />
„Ein tief suggestiver,<br />
berührender <strong>Film</strong>.“<br />
tagesspiegel<br />
„Eindrucksvoll!“<br />
süddeutsche zeitung<br />
BESTER<br />
SCHAUSPIELER<br />
Karlovy Vary<br />
BESTER<br />
SCHAUSPIELER<br />
Polish <strong>Film</strong> Festival<br />
FILMPREIS FÜR<br />
KINDERRECHTE<br />
Unabhängiges<br />
<strong>Film</strong>fest Osnabrück<br />
AB 4. DEZEMBER<br />
AUF DVD!<br />
ebenfalls. Sein bester Freund Ciemny lässt sich im Grenzgebiet an<br />
deutsche Sextouristen vermitteln. Auch Tomek sieht bald, dass das<br />
eine Möglichkeit ist, schnell an Geld zu kommen. Nach den ersten<br />
Erfahrungen auf dem Strich lernt er schnell, wie das Geschäft funktioniert.<br />
Zu spät muss er erkennen, dass alles im Leben seinen Preis<br />
hat. Und der Preis, den Tomek zu zahlen hat, ist hoch.
JEMAND WARTET AUF DICH.<br />
Es wird Zeit, dass sich die Wege kreuzen.<br />
Bei gayPARSHIP fi nden sich anspruchsvolle Frauen, die auf der Suche nach Verbindlichkeit<br />
sind. Vertrauen auch Sie dem bewährten PARSHIP-Prinzip: Persönlichkeitstest machen,<br />
individuelle Partnervorschläge erhalten und diskret und TÜV geprüft die Partnerin fi nden,<br />
die wirklich passt. Niemand hat so viele Paare vermittelt wie gayPARSHIP.com.<br />
Jetzt kostenlos testen: www.gayparship.com<br />
Auch Männer<br />
fi nden bei<br />
gayPARSHIP<br />
einen passenden<br />
Partner.<br />
gayPARSHIP<br />
unterstützt<br />
whiteknot.org