Homosexual's Film Quarterly - Sissy

Homosexual's Film Quarterly - Sissy Homosexual's Film Quarterly - Sissy

10.02.2013 Aufrufe

sissy Ausgabe Homosexual’s Film Quarterly acht · Dezember 2010 bis Februar 2011 · kostenlos s Zugfahrt: Treibende Blüten s Zimmerservice: Rom in Zentralperspektive s Im Striplokal: Die 33 Palmen des Udo Kier s Dritter Bildungsweg: Der Duft des Verbotenen s Klarinettenstunde: Das Auschwitz-Komitee tagt s Im Plattenbau: Das schönste Gefühl von allen s Zum Heulen: Engelhafte Hipster und heilige Motorradfahrer s Kündigung: Eine Nomadin auf Ischia s Waisenknabe: Jung und ahnunglos s Imagine: Weinende Männer s Verwandlungskünstler: Die Gesänge des João Pedro Rodrigues s Gay-History-Box: Schenk sie Deiner Schule! s Knöpfchendrücker: Mach dir keinen Stress! s Spottdrossel: Das bin ja ich!

sissy Ausgabe<br />

Homosexual’s <strong>Film</strong> <strong>Quarterly</strong><br />

acht · Dezember 2010 bis Februar 2011 · kostenlos<br />

s Zugfahrt: Treibende Blüten s Zimmerservice: Rom in Zentralperspektive s Im Striplokal: Die 33 Palmen des Udo Kier s Dritter<br />

Bildungsweg: Der Duft des Verbotenen s Klarinettenstunde: Das Auschwitz-Komitee tagt s Im Plattenbau: Das schönste Gefühl von<br />

allen s Zum Heulen: Engelhafte Hipster und heilige Motorradfahrer s Kündigung: Eine Nomadin auf Ischia s Waisenknabe: Jung und<br />

ahnunglos s Imagine: Weinende Männer s Verwandlungskünstler: Die Gesänge des João Pedro Rodrigues s Gay-History-Box: Schenk sie<br />

Deiner Schule! s Knöpfchendrücker: Mach dir keinen Stress! s Spottdrossel: Das bin ja ich!


25.<br />

TEDDY AWARD<br />

Der queere <strong>Film</strong>preis<br />

der Berlinale<br />

JUBILÄUMSGALA<br />

am Freitag, 18. Februar 2010<br />

ab 21:00 Uhr<br />

GROSSE JUBILÄUMSPARTY<br />

ab 23:00 Uhr<br />

Tickets erhältlich ab Dezember 2010<br />

www.teddyaward.tv<br />

info@teddyaward.tv<br />

<strong>Sissy</strong> acht<br />

Nur wenige <strong>Film</strong>e werden zu Klassikern und damit zu einem Teil<br />

kollektiver Geschichte. Beautiful Thing ist so ein Fall. Ein <strong>Film</strong>, der<br />

gleichzeitig gemeinsame Erfahrungen widergespiegelt und sie durch<br />

Schönheit und Poesie erträglich gemacht hat. Jamie und Ste Arm in<br />

Arm und die Herausforderungen der Welt vor<br />

ihren Augen – das ist ein Bild, das für immer<br />

stehen bleiben könnte.<br />

Junge Beatles und junge Beatniks, schwule<br />

Geschichten und schwule Geschichte, Liebe in<br />

den Anfangszeiten von HIV und Coming-Out<br />

in den 1990ern – das ist der eine, historische<br />

Schwerpunkt des nicht-heterosexuellen Kinos<br />

der nächsten drei Monate. Auf der anderen<br />

Seite steht die wie aus allen Zusammenhängen<br />

herausgefallene Poesie der Bildmagier, delirierend<br />

wie bei João Pedro Rodrigues, verschlungen<br />

wie bei Zero Chou oder durchgeknallt<br />

wie bei Scud. Aus dem Schwärmen kommt die<br />

SISSY so oder so nicht heraus.<br />

Denn wenn man mit dem Schwärmen aufhört,<br />

ist das traurig. Und wenn ein Schwärmer verstummt,<br />

umso mehr. Die SISSY musste sich<br />

im September von ihrem Autor Martin Büsser<br />

verabschieden, der bei aller scharfsinnigen<br />

Analyse von Pop-Phänomenen, Subkulturen,<br />

queerer und antiqueerer Öffentlichkeiten nie<br />

das Schwärmen z.B. über seine Lieblingsfilme<br />

vergessen hat. In der SISSY beschäftigte sich<br />

Martin u.a. mit einem sexy Herrendoppel aus<br />

der Kunstwelt (With Gilbert & George), mit der Aus „Before Stonewall“ (Greta Schiller, Robert Rosenberg und Andrea Weiss, 1984),<br />

Frage, was Coming-Out mit Rockmusik zu tun Teil der DVD-Box „Gay History“ (siehe Seite 34 f.)<br />

hat (Der Mann, der Yngve liebte) und zuletzt mit schwulen Punks<br />

(Mein wunderbarer Waschsalon). Jetzt müssen andere da weitermachen,<br />

wo er aufgehört hat – mit den, wie er es nannte, „Beiträgen zur<br />

avancierten Gegenwartskultur“.<br />

Mit einem wachen und wertschätzenden Blick zurück und mit Lust<br />

auf die Magie neuer Bilder wünschen wir viel Spaß mit der neuen<br />

SISSY!<br />

vorspann<br />

3


mein dvd-regal<br />

4<br />

Ralf Rühmeyer,<br />

Fotograf<br />

Ralf RühmeyeR<br />

5


kino kino<br />

6<br />

EINFACHE<br />

FAHRT<br />

von Maike Schultz<br />

Taiwans einzige offen lesbische Regisseurin Zero Chou zaubert<br />

epische Meisterwerke, mit denen sie schon auf der Berlinale<br />

begeisterte. Am 17. Dezember läuft „Drifting Flowers“ in der<br />

L-<strong>Film</strong>nacht.<br />

Spider Lilies<br />

von Zero Chou<br />

TW 2007, 94 Minuten, OF<br />

Parasol Pictures Releasing,<br />

www.parasolpictures.co.uk<br />

Auf DVD<br />

als Import-DVD<br />

Drifting FLowers<br />

von Zero Chou<br />

TW 2007, 97 Minuten, OmU<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino<br />

L-<strong>Film</strong>nacht im Dezember<br />

www.l-filmnacht.de<br />

s Ich sitze im Zug. Bäume, Felder und Flüsse fliegen am Fenster<br />

vorbei, auf der ICE-Strecke von Berlin nach Köln. Dieser Weg in<br />

die frühere Heimat ist auch immer eine Reise in die Vergangenheit.<br />

Und dann läuft da dieser <strong>Film</strong> auf meinem Laptop. Eine Frau steht in<br />

einem Zug. Etwas verloren torkelt sie durch den Gang und blickt in<br />

die Richtung, aus der sie gekommen ist: in das schwarze Loch eines<br />

Tunnels, das immer kleiner und kleiner wird. Ich wünsche mir eine<br />

große Leinwand in mein Abteil, doch der Bahn-Bedienstete hat nur<br />

Kaffee. Egal. Längst bin ich hinein gesaugt in die Welt von Drifting<br />

Flowers, die doch nirgendwo passender zum Einsatz kommen könnte<br />

als hier.<br />

Die Eisenbahnfahrt ist das verbindende Element im Episodenfilm<br />

der taiwanesischen Regisseurin Zero Chou. In drei Kapiteln und individuellen<br />

Perspektiven erzählt sie von drei Frauen, deren Lebenswege<br />

sich zu verschiedenen Zeitpunkten kreuzen. Der Tunnel ist zugleich<br />

Schnittbild wie Metapher für Übergang und Veränderung. Die Wehmut<br />

fährt immer mit, auch jedes Mal, wenn ich über diese Gleise rase.<br />

Als Erinnerung an die Leerstelle zwischen Weggehen und Angekommensein.<br />

Drifting Flowers beginnt mit einem kleinen Mädchen, Meigo (Pai<br />

Chih-Ying). Sie lebt mit ihrer älteren Schwester Jing (Serena Fang)<br />

zusammen, die blind ist und sich als Barsängerin durchschlägt, begleitet<br />

von der androgynen Akkordeonistin Diego (Chao Yi-Lan). Zwischen<br />

ihnen entspinnt sich eine komplizierte Dreiecksgeschichte: Als<br />

Diego und Jing sich näherkommen, flüchtet die eifersüchtige Meigo<br />

zu einer Pflegefamilie. Schon länger macht das Sozialamt Druck, weil<br />

Jing ihre kleine Schwester zu den nächtlichen Auftritten mitnimmt.<br />

Nun soll sie abseits von Jings extravagantem Lebensstil aufwachsen,<br />

den sie längst mehr verinnerlicht hat als alle ahnen.<br />

Bereits in der ersten Episode entwirft Chou ein Pulverfass der<br />

Emotionen, doch kaum entzündet, gleitet der Zuschauer bereits ins<br />

nächste Drama: Diego und Jing treten bei einer Hochzeit auf. Gefeiert<br />

wird hier freilich eine Scheinehe, in Wirklichkeit lieben Braut<br />

Lily (Lu Yi-Ching) und Bräutigam Yen (Sam Wang) beide gleichgeschlechtliche<br />

Partner. Und doch überdauert die Jahre nur jenes<br />

Band, das sie aus Angst vor ihren Familien eingegangen sind. „Lily“,<br />

so das zweite Kapitel, ist die Frau, deren Tunnelblick schon im Prolog<br />

so berührt hat. Alt geworden, leidet sie an Alzheimer und trauert<br />

ihrer längst verflossenen Geliebten Ocean hinterher. Bis der schwule,<br />

ebenfalls verlassene Gatte zurückkehrt und eine seltsame Symbiose<br />

mit ihr eingeht: Die demente Lily hält ihn für Ocean. Und Yen lässt<br />

es geschehen, für ein wenig Wärme und Geborgenheit. Denn er ist<br />

HIV-positiv und Lily seine letzte Zuflucht. Wie sie einem Leben hinterher<br />

weint, das er am liebsten loswerden würde, ist wohl die berührendste<br />

von Chous Erzählungen. Virtuos schließt sie den Kreis mit<br />

einer letzten, die Verbindung zwischen Diego und Lily klärenden<br />

Episode: Im Rückblick sieht man Diego als pubertierenden Tomboy,<br />

der sich heimlich die Brüste abbindet. Ihr Bruder will sie deshalb vom<br />

Familienbesitz, einem Puppentheaterbetrieb, enterben. Nur Lily, die<br />

bei der Jahrmarktkonkurrenz als Sängerin auftritt, stört Diegos Gender-Verwirrung<br />

nicht. „Liebe ist Liebe“, sagt sie ihr bei einem scheuen<br />

Coming-Out-Kuss, „egal ob Junge oder Mädchen“.<br />

Es ist der gleiche Satz, den auch Meigo sagen wird, als sie ein<br />

Teenager ist und im selben Zug wie die alte Dame Lily sitzt. Wohin sie<br />

fahren, ist ebenso ungewiss wie der Verbleib von Lilys großer Liebe<br />

Ocean, doch Zero Chou wirft viel größere Fragen auf, als eine erneute<br />

Begegnung beantworten könnte: Nach dem Konflikt zwischen familiärer<br />

Verantwortung und Selbstverwirklichung etwa. Gesellschaftliche<br />

Ausgrenzung wird bei ihr nicht nur durch Homosexualität und<br />

unangepasste Geschlechterrollen, sondern auch durch Behinderung<br />

erfahrbar. Themen, die bereits ihr Vorgängerfilm Spider Lilies verarbeitet<br />

hat.<br />

Auf der langen Zugfahrt schaue ich es mir noch einmal an, das<br />

Drama um die Online-Stripperin Jade (Rainie Yang) und die Tätowie-<br />

rerin Takeko (Isabella Leong). Auch bei ihnen geht es um das Wiedersehen<br />

mit einer Jugendliebe. Und auch hier wird die Beziehung von<br />

der Sorge um einen behinderten Bruder überschattet. Als Überbau<br />

der Tragödie dient ein Erdbeben, wie es Zero Chou früher schon mal<br />

in einem Dokumentarfilm geschildert hatte – und eine geheimnisvolle<br />

Lilientätowierung. Eine Klebefolienkopie davon liegt noch immer in<br />

meiner Schreibtisch-Schublade.<br />

Vor drei Jahren bekam ich sie geschenkt, kurz nachdem mich dieser<br />

ICE unwiderruflich nach Berlin gebracht hatte. Zum ersten Mal<br />

erlebte ich die Verleihung des Teddy Awards und sogleich gewann ihn<br />

eine Frau: Zero Chou. Nur ein Jahr später zeigte die gelernte Journalistin<br />

bereits ihr nächstes Werk bei der Berlinale. Drifting Flowers.<br />

Wieder ein Blumentitel. Als Metapher für Menschen, die in verschiedene<br />

Richtungen wachsen und doch immer wieder zu ihren Wurzeln<br />

zurückfinden. Fließend, mit einem unverkennbaren Gespür für<br />

Besetzung und das Verweben von Handlungsfäden, findet Chou dafür<br />

den richtigen Rhythmus.<br />

„There has always been the fragrance of flowers“, singt Jing für<br />

ihre kleine Schwester, wenn die sie am Arm durch dunkle Straßen<br />

führt. Und die junge Diego trällert mit Lily auf der Kirmesbühne im<br />

Duett: „This train is marching on with no regrets.“ Ihre Bilder zusätzlich<br />

in Musik zu übersetzen, ist typisch für die Asiatin. Die Lieder<br />

spiegeln nicht nur Gefühle, sie verankern auch die kulturelle Identität<br />

ihrer Figuren. Das war schon in Spider Lilies mit einem Song über die<br />

Jasminblüte so.<br />

Vieles hat Chou aber auch bewusst anders gemacht. Während in<br />

der Hauptrolle von Spider Lilies mit Rainie Yang noch ein taiwanesischer<br />

Superstar glänzte, suchte sie für Drifting Flowers eine Newcomerin<br />

aus: Chao Yi-Lan, ein überzeugendes Nachwuchstalent von der<br />

Schauspielschule Taipeh und repräsentativer für die Lesben in ihrer<br />

Heimat, die laut Chou mehrheitlich Butch-Typen sind.<br />

Anstelle der modernen Metropole mit ihren Webcams und Körperkulten<br />

sollte diesmal das Kleinstadtleben als Kulisse dienen, wo<br />

die Ausgrenzung von Minderheiten am präsentesten ist. Als einzige<br />

offen lesbische <strong>Film</strong>emacherin Taiwans sind Chous Arbeiten stets<br />

Liebe ist Liebe, egal ob<br />

Junge oder Mädchen.<br />

auch politisch. „Wenn sie dazu beitragen, Schwule und Lesben ihren<br />

Familien näher zu bringen, würde mir das viel bedeuten“, hat sie einmal<br />

gesagt. Zusammen mit ihrer langjährigen Partnerin Hoho Liu<br />

träumt Zero Chou sogar davon, für alle sechs Farben der Regenbogenflagge<br />

einen <strong>Film</strong> zu drehen. Eine Drei-Farben-Trilogie ist ihnen<br />

mit Drifting Flowers (2008, rot), Spider Lilies (2007, grün) und Chous<br />

preisgekröntem Debüt Splendid Float (2004, gelb) über Drag Queens<br />

bereits geglückt, teils sogar mit Finanzierungshilfe der Regierung.<br />

Fehlen noch orange, violett und blau. Blau wie die Sehnsucht, die<br />

Chous Protagonisten verkörpern. Es gibt da diese Szene, in der Yen<br />

seine Gattin Lily sucht. Ziellos läuft er durch die Straßen rund um das<br />

Altersheim und kommt dabei an einer Wand vorbei, an der eine lange<br />

Reihe grüner Poster glänzt – die <strong>Film</strong>plakate von Spider Lilies, hier<br />

allerdings mit zwei Männern als Motiv. Chou zitiert sich selbst in der<br />

Schwulenwelt. Es ist nur ein Detail, ein netter Gag. Und macht doch<br />

deutlich, wie klein die Szene oftmals ist.<br />

Dass darin auch eine Begrenzung liegt, lässt sich in Berlin oder<br />

Köln schnell vergessen. So wunderbar melancholisch und schön<br />

anzusehen Chous <strong>Film</strong>e auch sind: Ihre <strong>Film</strong>e sind stets als Parabeln<br />

über das Vergessen lesbar, das so heilsam wie schmerzhaft sein kann.<br />

Die einsame Frau im Zug, sie lebt in ihrer Erinnerung. Auch ich erinnere<br />

mich jetzt, ich bin fast da. Und mit jedem Kilometer rauschen<br />

mehr Bilder ins Bewusstsein. s<br />

7


kino kino<br />

Bilderliebe<br />

von andré Wendler<br />

Alba und Natasha begegnen sich vor einem Hotel in Rom und<br />

beschließen, für eine Nacht ein Zimmer zu teilen. Julio Medem,<br />

im europäischen Autorenfilm der Fachmann fürs Erotische,<br />

schließt sich mit seinen Figuren für einen <strong>Film</strong> lang in das<br />

Hotelzimmer ein und lässt dort Bilder aufeinander reagieren.<br />

„Room In Rome“ läuft im Januar in der L-<strong>Film</strong>nacht.<br />

s Wir blicken aus einer sehr hohen Vogelperspektive in eine<br />

Straße, nur spärlich von wenigen hellen Lampen erleuchtet, gesäumt<br />

von schon etwas verfallenen Gebäuden, geschmückt mit Pilastern<br />

und Köpfen im Halbrelief, als zwei Schatten darin auftauchen, die<br />

wir zunächst nur anhand ihrer Stimmen identifizieren können und<br />

während wir noch versuchen ihre Akzente zuzuordnen, begleitet<br />

die Kamera ihre Annäherungsversuche mit einem langsamen<br />

Schwenk, der sie immer in der Mitte des Bildes hält und schließlich<br />

auf einem dunkel gepflasterten Platz ankommt, fast genau unterhalb<br />

der Kamera, die nun die beiden Frauen zeigt: Die dunkelhaarige Frau<br />

trägt ein schwarz-gelb kariertes Hemd und Sneakers, die blonde ein<br />

flatterndes blaues Kleid und Heels und beide werden dramatisch von<br />

CAPELIGHT<br />

rechts beleuchtet, heben sich deutlich und sehr plastisch von der<br />

dunklen Straße ab, als sie plötzlich nach oben schauen, genau in die<br />

Kamera, in welche die Dunkelhaarige mit dem Finger zeigt und ruft,<br />

„Siehst du? Da ist mein Zimmer!“, in dem die Nacht offenbar enden<br />

soll, wozu sich die blonde Frau allerdings noch nicht recht entschließen<br />

will, schließlich aber dem Drängen der Dunkelhaarigen nachgibt<br />

und mit ihr das Bild nach unten verlässt, was von der Kamera mit<br />

einer langsamen Bewegung nach hinten oben beantwortet wird, im<br />

Zuge derer noch einmal der Straßenzug ins Bild kommt, eine Terrasse<br />

mit Pflanzen und Tischchen und schließlich jener Room in Rome, der<br />

zugleich der (Titel des) <strong>Film</strong>(s) ist und nun nach einem Schwenk der<br />

Kamera quer durch ihn hindurch von den beiden Frauen betreten<br />

wird, die sich umsehen, ein Getränk aus der Minibar nehmen, auf die<br />

Terrasse hinaustreten und von der Kamera von innen heraus durch<br />

das Fenster, wiederum gehüllt in fast goldenes, sehr kontraststarkes<br />

Licht, gefilmt werden. Punkt. Schnitt.<br />

Fünfminütige Plansequenzen am Anfang eines <strong>Film</strong>es werden<br />

unweigerlich zu dessen Programm. Sie führen die Choreographie aus<br />

Licht, Menschen, Kamera, Räumen und Orten vor, die sich <strong>Film</strong> nennt<br />

und die sich sonst gern unsichtbar macht. Der <strong>Film</strong> hält sich an dieses<br />

Programm zwischen Microsoft Bing und humanistischer Zentralperspektive:<br />

„Der Künstler muss zu jeder Zeit wissen, was er darstellt.“<br />

Eine antike Plastik auf dem Nachttisch, Natasha mit Bademantel wie<br />

diese, ein vielsagendes Lachen Albas und schon verschwindet die<br />

Figur in der Tasche. Der Raum wird zugeschüttet mit (Klischee-)<br />

Bildern, die gegen Ende eingepackt und abtransportiert werden. An<br />

zwei gegenüberliegenden Wänden hängen Bilder, die nicht nur immer<br />

wieder ins Bild gesetzt, sondern von den Figuren betrachtet und kommentiert<br />

werden und sich mit ihren bruchstückhaften Lebenserzählungen<br />

verbinden. Die notwendigen Fremdreferenzen werden immer<br />

als Bilder beigebracht: Satellitenbilder aus dem Internet, die Homepage<br />

der Schauspielerin Natasha auf der vollen Kinoleinwand, ein<br />

Handyvideo, der Fernsehschirm. Diese sprechenden, bedeutsamen<br />

Oberflächen werden zu den Wänden des Zimmers, sie werden kommentiert,<br />

gelesen, interpretiert und verschoben.<br />

Sie geraten mit den Wandbildern aneinander. Auf dem einen,<br />

einem Renaissancegemälde, ist ein Symposium im Hause der Medici<br />

zu sehen, auf dem unter anderem Leon Battista Alberti, einer der Erfinder<br />

der Zentralperspektive zu sehen ist, der dem Verlobten Natashas<br />

ähnlich sehen soll. Das andere antike Bild zeigt die Agora von Athen<br />

und enthält eine Frau, die Natasha zum Verwechseln ähnlich sieht.<br />

„Was war zuerst da – das Bild oder deine Geschichte? – Gute Frage!“,<br />

heißt es einmal. Je länger wir in diesem Zimmer herumlungern, desto<br />

fraglicher wird, ob es zwischen dem Bild und der Geschichte überhaupt<br />

einen Unterschied gibt, geben kann. Wie die Lebensgeschichten<br />

der Frauen nur anhand diverser elektronischer Bilder rekonstruiert<br />

und plausibilisiert werden können, wird ihre Zukunft ganz in die<br />

Bilder des Raumes gelegt: Da schießt einer der Liebesengel von der<br />

Decke einen (un)sichtbaren Pfeil mitten in Albas Herz, den Natasha<br />

zusammen mit uns imaginär wieder herausziehen muss. s<br />

Room In Rome<br />

von Julio Medem<br />

ES 2010, 109 Minuten, OmU<br />

Capelight, www.capelight.de<br />

Im Kino<br />

L-<strong>Film</strong>nacht im Januar<br />

www.l-filmnacht.de<br />

Lehrjahre<br />

von kerStin WelzenheiMer<br />

Eine Studentin mit Kinderstar-Vergangenheit sucht das richtige Leben und landet übergangsweise im Bett<br />

ihrer attraktiven Professorin. Dass das funktionieren kann, aber nicht ausreicht, um ein selbstständiges<br />

Wesen zu werden, hat Regisseurin Fernanda Cardoso in edlen Bildern, mit zwei tollen Darstellerinnen und<br />

klugen Dialogsätzen ausformuliert. „Bloomington“ läuft im Februar in der L-<strong>Film</strong>nacht.<br />

s Eine dominante Lehrerin mit akkurat frisiertem Dutt, kurzem<br />

Rock und halb aufgeknöpfter Bluse, die an ihrem Pult sitzend lasziv an<br />

ihrem Bleistift knabbert. Eine Vorstellung, derer sich in diesem Genre<br />

nicht wenige Male bedient wurde und von der trotzdem nach wie<br />

vor eine Faszination ausgeht. Eine Faszination, die durch das Recht<br />

begrenzt ist und durch den Duft des Verbotenen, hier die Anziehung<br />

zu einem Menschen in einer übergeordneten Position, begünstigt<br />

wird. Diese Fantasie, die schon oft zuvor bebildert wurde, erlebt in<br />

Fernanda Cardosos Bloomington ein filmisches Revival. Bleibt nur die<br />

Frage, ob es einer weiteren Darstellung dieser komplexen Thematik<br />

bedarf und ob jene eine lohnende Ergänzung der bestehenden Titelliste<br />

darstellt.<br />

Jacqueline (Sarah Stouffer), Anfang zwanzig und ehemaliger<br />

Kinderstar der Sci-Fi-Serie „Neptune 26“, kommt nach Bloomington,<br />

um ihren College-Abschluss zu machen und ihre Unabhängigkeit zu<br />

erlangen. Überfordert in der neuen Welt, in der sie sich mit Lerngruppen<br />

und Fans herumschlagen muss, die in ihr nur den „child star“ aus<br />

längst vergangenen Tagen sehen, lernt sie die selbstbewusste Professorin<br />

Catherine Stark (Allison McAtee) kennen, deren Ruf als Womanizerin<br />

und Lady-Killerin ihr voraus eilt. Bereits nach zwei kurzen<br />

Gesprächen und zwölf Minuten <strong>Film</strong>zeit bittet Miss Stark Jackie zu<br />

sich nach Hause. Die Liaison beginnt. Die beiden Charaktere gewinnen<br />

an Form während der liebevollen, jedoch wenig facettenreichen<br />

Darstellung ihrer Zweisamkeit, die durch Vergangenheitsbewältigung<br />

und die Kluft ihres Altersunterschiedes geprägt ist. Den Zuschauer<br />

beschleicht das Gefühl, dass die Studentin in der Professorin eher<br />

Bloomington<br />

von Fernanda Cardoso<br />

US 2010, 83 Minuten, OmU<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino<br />

L-<strong>Film</strong>nacht im Februar<br />

www.l-filmnacht.de<br />

nach einer mütterlichen Figur als nach einem gleichgestellten Partner<br />

sucht; wenn Catherine, mit einem schwarzen Trenchcoat bekleidet,<br />

den ganzen Weg zu Jacquelines Familie fährt, um diese nach einem<br />

handfesten Streit aus dem Umfeld der „es nur gut meinenden“ aber<br />

ignoranten Mutter zu holen, fällt Jackie, die sich heute ebenfalls beim<br />

Griff in den Kleiderschrank für den schwarzen Trench entschieden<br />

hat, ihr weinend in die Arme, die ihre Mutter ihr nicht mehr öffnet.<br />

Als Jackie dann einen Anruf ihres alten Managers erhält, der ihr<br />

ein Script und die Rolle für ein Remake von „Neptune 26“ in L.A.<br />

anbietet, finden sie und Catherine sich am Scheideweg wieder, doch<br />

am Scheideweg von was? Was führen die beiden eigentlich und könnten<br />

sie es auch über die Distanz hinweg führen?<br />

Allison McAtte (Iron Man, CSI, Nip/Tuck) und Sarah Stouffer<br />

(Slacker P.I., Faces of Beautiful You), Mistress-Lipstick-Lesbian und<br />

Schoolgirl-Lipstick-Lesbian par excellence, glänzen mit überzeugender<br />

Schauspielleistung und glaubhaft dargestellten intimen Momenten<br />

vor dem Kamin oder in der Schulbibliothek.<br />

Wer jedoch nach der Emotionalität in der bildlichen Darstellung<br />

und der sensiblen Zeichnung der Protagonisten gleich wie in Loving<br />

Annabelle sucht, in dem das Machtgefüge der beiden Darstellerinnen<br />

trotz des Lehrerin-Schülerin-Verhältnisses ausgeglichen scheint,<br />

wird enttäuscht. Das Coming-of-Age-Drama Bloomington, ein durchaus<br />

unterhaltsamer und sehenswerter <strong>Film</strong>, bei dem man nicht eine<br />

Sekunde das Gefühl des Fremdschämens haben muss, wird wahrscheinlich<br />

demgegenüber nicht viel länger als bis zum Abspann im<br />

Gedächtnis bleiben. s<br />

8 9<br />

EDITIoN SALZGEBER


kino<br />

„Morgen fliege ich nach Prag und spiele dort den Papst“: Puffmutter „Madame“ (Udo Kier)<br />

Udo Kier<br />

Udo Kier (65) ist einer der<br />

meistbeschäftigten Schauspieler<br />

der Welt und hat schon mit<br />

fassbinder, Schlingensief, Gus<br />

von Sant, lars von Trier und<br />

madonna gearbeitet. Berühmt<br />

wurde er anfang der 70er Jahre<br />

als hauptdarsteller von „andy<br />

Warhols Dracula“ und „andy<br />

Warhols frankenstein“. In den<br />

letzten Jahren dreht er oft mit Guy<br />

maddin und lars von Trier. aber<br />

auch in deutschen Produktionen<br />

ist die queere Ikone immer wieder<br />

zu sehen. So hat er unter anderem<br />

im erfolgreichsten Tatort des<br />

letzten Jahre, „Plattgemacht“,<br />

einen Obdachlosen gespielt,<br />

war ensemblemitglied von Dany<br />

levys „Das leben ist zu lang“<br />

und in 44 folgen der Kinderserie<br />

„4 gegen Z“ als böser Zauberer<br />

zu sehen. Gerade verfilmt er mit<br />

Timo Vuorensola ein Drehbuch<br />

der finnin Johanna Sinisalo:<br />

„Iron Sky“. Darin spielt Kier<br />

einen Nazi auf dem mond.<br />

House of Boys<br />

von Jean-Claude Schlim<br />

LU/DE/NL 2010, 113 Minuten, DF<br />

<strong>Film</strong>lichter, www.filmlichter.de<br />

Im Kino<br />

Gay-<strong>Film</strong>nacht im Dezember<br />

www.gay-filmnacht.de<br />

Deutscher Kinostart: 2. Dezember<br />

FILMLICHTER<br />

„Ich bin,<br />

glaube ich,<br />

ganz normal<br />

geblieben“<br />

intervieW: Paul Schulz<br />

Udo Kier, Deutschlands einziger queerer Weltstar, ist schon<br />

ausgesprochen wach, wenn man ihn morgens um acht in L.A.<br />

anruft. Ein Gespräch über den Anfang von Aids, die Mitte von<br />

Nichts und das Ende von Freundschaften.<br />

s House of Boys erzählt die Geschichte des Anfangs von Aids. 1984<br />

zieht der 18-jährige Frank aus der Provinz nach Amsterdam und<br />

fängt an, im „House of Boys“, einem Stripclub und Bordell, zu tanzen.<br />

Udo Kier gibt die Puffmutter „Madame“ mit Verve und Lust an dicken<br />

Pinselstrichen. Bald verliebt sich Frank in seinen eigentlich heterosexuellen<br />

Zimmergenossen Jake – und der sich auch in ihn. Aber aus<br />

der großen Liebesgeschichte wird nichts, denn bald entwickelt Jake<br />

merkwürdige Symptome.<br />

Auch Stephen Fry hat einen kurzen, rührenden Gastauftritt in<br />

House of Boys als verzweifelter Arzt, der Aids nichts anderes als Trost<br />

entgegenzusetzen hat. Jean-Claude Schlims erster Spielfilm startet<br />

am 2. Dezember in den Kinos und ist im Dezember auch in der Gay-<br />

<strong>Film</strong>nacht zu sehen.<br />

sissy: Herr Kier, Sie spielen in „House of Boys“ „Madame“, den Besitzer<br />

eines Stripclubs und Bordells in Amsterdam. Eine Rolle, in der Sie auch<br />

in Drag zu sehen sind und singen. Das hat sicher Spaß gemacht.<br />

Udo Kier: Das war ganz unterhaltsam, ja. Aber es ist ja nicht so, als<br />

hätte ich das vorher noch nie gemacht. Ich habe schon an Michael<br />

Caines Seite im Kleid vor einer Kamera gestanden (in The Debtors<br />

– Red.) und habe ja auch mit Christoph Schlingensief schon in Drag<br />

gedreht. Da habe ich allerdings nie so gut ausgesehen.<br />

Woran liegt es, dass das jetzt anders ist?<br />

Wir hatten eine sehr gute Maske bei House of Boys, das sollte ich<br />

vielleicht zuerst sagen. Aber die ist nicht dafür verantwortlich, wie<br />

ich als „Madame“ aussehe. Dragqueen-Make-Up ist ja eine Kunst für<br />

sich. Damit braucht man ein bisschen Erfahrung, wie wir gemerkt<br />

haben. Wir haben die Innenansichten des Clubs im „Startreff“ in<br />

Köln gedreht, einem Travestieladen, den es schon ewig gibt. Und<br />

als unser Maskenbildner mit mir fertig war, haben die Mädels dort<br />

gesagt: „So geht das aber nicht! Du siehst ja grauenvoll aus, Udo. So<br />

kommst du nicht auf unsere Bühne.“ Also ist die Crew essen gegangen<br />

und die haben mich nach allen Mitteln der Kunst zurechtgemacht.<br />

Das hat zwei oder drei Stunden gedauert. Als sie fertig waren,<br />

bin ich in das Restaurant gegangen, in dem die Crew saß, und keiner<br />

hat mich erkannt. Da wusste ich, das geht so. Und so haben wir mich<br />

dann auch gedreht.<br />

Sie haben mit dem Regisseur und Drehbuchautor von „House of Boys“,<br />

Jean-Claude Schlim, zum ersten Mal bei „Shadow of the Vampire“<br />

gearbeitet. Das ist zehn Jahre her. Gab es die Idee zu „House of Boys“<br />

damals schon?<br />

Der <strong>Film</strong> speist sich ja aus Schlims eigenen Erfahrungen, also nehme<br />

ich an, dass es die Idee dazu auch damals schon gegeben hat, ja. Aber<br />

konkret wurde es vor ein paar Jahren, als er mir das Drehbuch gab.<br />

Ich hab relativ schnell zugesagt.<br />

Warum?<br />

Weil der <strong>Film</strong> wichtig ist, finde ich. Der Beginn von Aids ist kein<br />

Thema, das im Kino viel behandelt worden wäre. Und House of Boys<br />

macht das, ohne vor den schwierigen Fragen oder dem Elend zurückzuschrecken,<br />

das damit auch verbunden war. Er versucht das in seiner<br />

Komplexität darzustellen. Deswegen wollte ich ihn gern machen.<br />

Und ich kenne Schlim und mag ihn ganz gern. So was hilft mir immer<br />

bei Entscheidungen. Von den jungen Darstellern kannte ich keinen,<br />

aber insgesamt war das eine schöne Arbeit.<br />

Sie arbeite(te)n oft mit denselben Regisseuren: Fassbinder, Gus van<br />

Sant, Guy Maddin, Schlingensief oder auch immer wieder Lars von<br />

Trier zum Beispiel. Weil …?<br />

Weil das ein schönes Arbeiten ist. Warum sollte man es sonst machen?<br />

Alle guten Regisseure, die ich kenne, die ihre eigenen Stoffe umsetzen,<br />

arbeiten mit ihrer <strong>Film</strong>familie. Und egal ob ich bei Lars von Trier<br />

zwei Sätze sagen kann oder eine größere Rolle habe, ich weiß, ich<br />

bin dabei. Wir haben gerade erst Melancholia abgedreht, mit Kirsten<br />

Dunst, Charlotte Rampling, John Hurt und so. Wieder eine richtig<br />

schöne Arbeit. Ich freue mich immer, wenn ich mit Lars arbeiten<br />

kann.<br />

Was schätzen Kollegen und Regisseure an Ihnen?<br />

Ich bin, glaube ich, relativ normal geblieben. Ich komme ans Set, um<br />

zu arbeiten und bringe Ruhe und Gelassenheit mit. Sonst kann ich<br />

mich vor der Kamera auch nicht so loslassen. Ich füge mich, egal was<br />

für ein Ruf mir manchmal in den Medien so angehängt wird, ganz gut<br />

in Teams ein. Und ich bin nach wie vor neugierig und arbeite gern und<br />

oft nicht des Geldes wegen. Zusätzlich bin ich verlässlich und kann<br />

gut mit Menschen. Und bin nicht zimperlich beim Drehen.<br />

In Deutschland sind Sie vor allem für ihre Arbeiten mit Fassbinder und<br />

Schlingensief bekannt.<br />

Ich habe inzwischen auch schon mit vielen anderen deutschen Regisseuren<br />

gearbeitet, aber Fassbinder kannte ich schon Anfang der 60er,<br />

als er noch nichts gemacht hatte, das machte die Zusammenarbeit<br />

sehr leicht. Und Christoph war derjenige, der mich in seine deutsche<br />

<strong>Film</strong>familie aufgenommen hat, als ich schon in Hollywood war. Egomania<br />

mit Tilda Swinton seinerzeit, das ist immer noch einer meiner<br />

liebsten <strong>Film</strong>e.<br />

Fehlt Ihnen Schlingensief?<br />

Natürlich. Sehr. Er war ja nicht nur mein Regisseur, sondern auch ein<br />

sehr guter Freund von mir. Aber über Trauer kann man nicht sprechen,<br />

das ist ein Gefühl, das man nicht in der Öffentlichkeit ausleben<br />

kann. Das ist privat.<br />

Sie hatten sich vor ein paar Jahren mal sehr gestritten. Worum ging<br />

es da?<br />

Wir hatten uns nicht gestritten. Es war einfach nur ein riesiges<br />

Missverständnis. Ich wollte nach einer Feier mit meiner Freundin<br />

Nicolette Krebitz in Berlin einen gemeinsamen Wagen nehmen und<br />

wir warteten auf den, als mich jemand von der Seite ansprach, es täte<br />

ihm ja alles so schrecklich leid wegen Christoph. Ich ging davon aus,<br />

das sei ein Freund von Christoph und habe gesagt: „Was tut dir leid?<br />

Jake (Benn Northover) und Dr. Marsh (Stephen Fry)<br />

Der ist heute operiert worden und es ist doch alles super verlaufen.“<br />

Das war aber kein Freund von Christoph, sondern ein Reporter vom<br />

„Berliner Kurier“. Auf deren Titelseite hieß es am nächsten Morgen:<br />

„Udo Kier gesteht unter Tränen: Mein Freund Christoph Schlingensief<br />

hat Krebs!“ Als ob ich schon jemals irgendwem irgendwas unter<br />

Tränen gestanden hätte! Und schon gar nicht das. Blödsinn! Das<br />

wurde innerhalb weniger Stunden von jeder, aber wirklich jeder deutschen<br />

Zeitung nachgedruckt, unter Berufung auf den „Kurier“. Und<br />

ich stand als indiskreter Schwätzer da, der seinen Mund nicht halten<br />

kann, weil er sich wichtig machen will. Ich glaube nicht, dass Christoph<br />

das gedacht hat, aber jedenfalls hatten wir danach anderthalb<br />

Jahre keinen Kontakt.<br />

Haben Sie noch einmal mit ihm gesprochen, bevor er starb?<br />

Ja, das habe ich. Wir haben uns noch gesprochen. Das war auch gut<br />

und wichtig. Ich sollte auch Überraschungsgast auf seiner Hochzeit<br />

sein, was mir aber leider nicht möglich war. Da kam ein Drehplan<br />

dazwischen.<br />

Was drehen Sie denn gerade?<br />

Viel. Morgen fliege ich nach Prag und spiele dort den Papst. Danach<br />

Köln und dann ein paar Tage Berlin. Ich kann jetzt innerhalb eines<br />

Jahres einen Bordellbesitzer, einen Obdachlosen und Bela Bartok<br />

spielen und unter anderem mit Dani Levy, Fatih Akin und Werner<br />

Herzog arbeiten. Alles Rollen, die ich nicht ablehnen wollte. Es ist ja<br />

nicht die Regel, dass ich soviel arbeite.<br />

Was machen Sie denn, wenn Sie nicht arbeiten?<br />

Ich kann ganz gut zu Hause sein. Ich sammele Kunst, in zwei Häusern<br />

hier in L.A. und Santa Monica. Warhol, Trockel, Bisky, alles. Ich<br />

habe Hunde. Ich habe gerade 33 Palmen gepflanzt. Ich kann mich<br />

beschäftigen, danke der Nachfrage (lacht).<br />

Sie haben vor ein paar Jahren eine alte Schule im sächsischen Gehren,<br />

mitten im Nirgendwo, gekauft. Wieso?<br />

Die habe ich entdeckt, als wir da Lulu und Jimi gedreht haben. Wieder:<br />

Ich brauche Platz. Und Gehren ist mein Schloss. Da ist ein Teil<br />

meiner Kunst. Vielleicht zieh ich da auch mal hin. Aber erstmal will<br />

ich da jetzt mit Isabella Rosselini einen <strong>Film</strong> drehen, ein Märchen,<br />

das passt da ganz gut hin, so in die Mitte von Nichts. Und dann gibt’s<br />

da jede Menge frische Luft. Vielleicht eröffne ich ja dort eine Pension<br />

und lasse Amerikaner aus L.A. da hinkommen, aus dem Smog. An<br />

jedem offenen Fenster ein Amerikaner, der einfach nur atmet. Das ist<br />

doch ein schönes Bild, oder? s<br />

10 11<br />

kino<br />

FILMLICHTER


kino kino<br />

IdENTITäTs-<br />

KLEzMER<br />

von jeSSica ellen<br />

Bisher waren die <strong>Film</strong>e des französischen Regisseurs Jean-Jacques Zilbermann in Deutschland – wenn<br />

überhaupt – nur auf Festivals zu sehen, was sich mit diesem Juwel einer schwulen jüdisch-arabischen<br />

Komödie endlich ändern wird. „Das verrückte Liebesleben des Simon Eskenazy“ läuft im Januar in der<br />

Gay-<strong>Film</strong>nacht.<br />

s Wer die Vorgängerin Une femme est un homme comme les autre<br />

(Eine Frau ist ein Mann wie jeder andere auch) gesehen hat, kennt<br />

ihn schon: den chaotischen Klarinettisten Simon Eskenazy. Damals<br />

war es der hübschen Rosalie aus streng religiösem, jüdischen Hause<br />

gelungen, den Unwilligen unter den Traubaldachin zu schleifen und<br />

sich – ein einmaliger Ausrutscher – von ihm schwängern zu lassen.<br />

Doch Simon konnte und wollte nicht von den Männern lassen. Rosalie<br />

kehrte ihm und Frankreich den Rücken und rächte sich, indem sie<br />

Simon den Zugang zu seinem Sohn verwehrte.<br />

Und nun die Fortsetzung: Dass seine Ex es sich nach zehn Jahren<br />

bis auf weiteres anders überlegt hat und Simon zur zweiten Hochzeit<br />

einlädt, während dieser um die Zuneigung seines koscheren Sprösslings<br />

buhlen muss, der mit seinem Vater anfangs so gar nichts am Hut<br />

hat, ist noch das geringste seiner Probleme.<br />

Eine Amerika-Tournee steht bevor, als sich seine Mutter Bella<br />

die Hüfte bricht und nach dem Krankenhausaufenthalt zu ihm zieht.<br />

Bald ist das ganze Auschwitz-Komitee in Simons Wohnung versammelt,<br />

dessen Vorsitzende sie ist. Damit nicht genug: Die rigide Krankenschwester,<br />

die Simon einstellt, und ihre bettlägerige Patientin<br />

hassen einander von Herzen.<br />

Simon träumt von trauter Zweisamkeit mit Rafael, dem schüchternen<br />

Philosophiestudenten, der sich gerade entschlossen hat, seine<br />

Frau zu verlassen. Er gefällt sogar Bella. Doch leider zeigt sich, dass<br />

Rafael nicht gerade ein Ausbund an Temperament, um nicht zu sagen<br />

eine wandelnde Schlaftablette ist. Und so wacht Simon am Morgen<br />

des 14. Juli neben Naim, der sicherlich schönsten Transe mit algerischem<br />

Migrationshintergrund, die Paris zu bieten hat, auf, die er als<br />

Bedienung in einem Kabarett abgeschleppt hat.<br />

Simon will den Onenightstand, so schnell wie möglich loswerden,<br />

doch Naim lässt sich nicht so einfach entsorgen. Unversehens hat<br />

er sich in Simons Herz und bald auch in seinem Leben eingenistet.<br />

Naim ist empört, wie respektlos Simon seine Mutter behandelt. Seine<br />

erste Maßnahme ist die Vertreibung der unsympathischen Krankenschwester,<br />

als deren Ersatz er sich kurz darauf präsentiert. Bella ist<br />

begeistert von der Studentin „Habiba“, die ihr Haarpflegetipps gibt<br />

und sie liebevoll umsorgt.<br />

Bella lernt wieder gehen, sogar tanzen – aber dann stirbt sie<br />

unerwartet, und mit ihr Naims/Habibas Aufgabe. Doch ob Begräbnis<br />

oder Hochzeit – immer taucht eine geheimnisvolle Schönheit auf, die<br />

Simon den Kopf verdreht … kein anderer als Naim, der Perfektionist<br />

als Femme Fatale im exklusiven Fummel.<br />

Naim ist die eigentliche Zentralfigur der Geschichte. Mühelos<br />

spielt sein Darsteller Mehdi Debhi, ein Student am Conservatoire<br />

Simon Eskenazy (Antoine de Caunes, großes Foto); Naim (Mehdi Debhi) und Bella (Judith Magre, kleines Foto links)<br />

National, gestandene Stars wie Antoine de Caunes (Simon) und Elsa<br />

Zylberstein (Rosalie) an die Wand. Regisseur Zilbermann wählte ihn<br />

unter mehr als 300 Kandidaten beim Casting aus und bewies damit<br />

ein gutes Händchen. Nur scheinbar eine Nebenrolle, zieht Naim –<br />

wie bei vergleichbaren Molièrefiguren – mit leichter Hand die Fäden<br />

des Geschehens.<br />

Weil ein Paradiesvogel wie Naim so gar nicht in Simons braven<br />

Lebensentwurf integrierbar ist, löst er widersprüchliche Gefühle aus:<br />

Begehren und Abwehr. Simon sehnt sich nach der schwulen Variante<br />

bürgerlicher Beschaulichkeit, wie Rafael sie verkörpert, aber braucht<br />

lange, um sich einzugestehen, dass sie nicht zu ihm passt, ihn sogar<br />

langweilt. Wenn Simon Naim vor Rafaels Augen küsst, ist das schon<br />

ziemlich grausam und sagt viel über Simons Unfähigkeit aus, ehrlich<br />

zu sich selbst und anderen zu sein. Andererseits ähnelt Rafael auch<br />

in dieser Situation einem Schaf auf der Weide. Naim dagegen entzieht<br />

sich und taucht überraschend da auf, wo und wann man ihn am<br />

wenigsten erwartet. Er ist zweifellos in Simon verliebt, aber niemals<br />

verleugnet er sich selbst. Er spielt mit den vielen Masken, die alle ein<br />

Stück von ihm, ein Aspekt seiner Persönlichkeit sind. Voller ironischem<br />

Stolz und mit viel Lust an der Provokation macht er sich einen<br />

Spaß daraus, Simons ohnehin nicht gerade übersichtliches Leben<br />

noch mehr durcheinander zu wirbeln; dabei reizt Zilbermann das<br />

Konfliktpotential der jüdisch/arabischen Konstellation nicht einmal<br />

aus.<br />

Bemerkenswert, wie der Regisseur die vielen Handlungsstränge,<br />

jüdisches Milieu und die multikulti-schwule Liebesgeschichte miteinander<br />

verbindet, ohne je die Kontrolle zu verlieren. Die Komik<br />

ist eher leise, selbstironisch und durch Bellas Tod gebrochen. Das<br />

Happy-End gönnt man den Überlebenden dieser Tour de Force um<br />

so mehr. s<br />

Das verrückte Liebesleben<br />

des Simon Eskenazy<br />

von Jean-Jacques Zilbermann<br />

FR 2009, 100 Minuten, OmU<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino<br />

Gay-<strong>Film</strong>nacht im Januar<br />

www.gay-filmnacht.de<br />

12 13<br />

EDITIoN SALZGEBER (3)


kino<br />

sTARKEs sTüCK<br />

von Michael Sollorz<br />

Mit der kleinen Liebesgeschichte von Jamie und Ste, den Nachbarjungs aus der Hochhaussiedlung, rührte<br />

„Beautiful Thing“ seit 1996 ungezählte <strong>Film</strong>fanherzen. Ein Feelgoodmovie aus schwierigen Umständen,<br />

Coming-out-Klassiker und ein kleines Stück Utopia, ohne das man, wie unser Autor weiß, nicht<br />

menschenwürdig leben kann. Wer „Beautiful Thing“ nicht kennt, hat was verpasst und kann das nachholen:<br />

im Februar in der Gay-<strong>Film</strong>nacht.<br />

Beautiful Thing<br />

von Hettie MacDonald<br />

UK 1996, 90 Minuten, DF<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Im Kino<br />

Gay-<strong>Film</strong>nacht im Februar<br />

www.gay-filmnacht.de<br />

EDITIoN SALZGEBER<br />

s „Was glotzt du so, du Weichei?“ – So fängt das Drama schon an.<br />

Die Jungs in seiner Klasse mobben Jamie. Gemessen an dem Terror,<br />

dem er in der Schule jeden Tag ausgesetzt ist, macht der Sechzehnjährige<br />

noch einen erstaunlich unversehrten Eindruck.<br />

Seine Gegend ist nichts für Schwache; lerne, dich zu wehren,<br />

sonst gehst du kaputt. Und Jamie hat eine grandiose Lehrmeisterin<br />

– seine Mutter Sandra. Die ist, natürlich neben der Liebe, in dem kleinen,<br />

starken Kinostück der Star, die Seele; ihre energische Präsenz<br />

macht es unverwechselbar. Sie jobbt im Pub, ein strammes Weibsbild,<br />

fünfunddreißig, die Kippe zwischen den Lippen. Manchmal werden<br />

ihre Augen eng, dann sieht sie aus wie ein misstrauisches Tier, das<br />

man nicht zum Feind haben möchte. Sie hat Haare auf den Zähnen<br />

und würde sich gewiss auch kloppen. Selbst noch fast ein Kind, als<br />

sie ihren Jamie bekam, liebt sie den Jungen heute über alles. Doch<br />

er überfordert sie auch, zumal sie große Pläne hat, raus will aus<br />

dem Dreck, eine eigene Kneipe betreiben, umziehen in eine bessere<br />

Gegend. Diesem Ehrgeiz opfert sie sogar ihren Lover; eine bittere<br />

Szene, als sie ihm sagt, dass er nicht mehr kommen soll. Dabei war<br />

er doch immer gut zu ihr und sie hatten Spaß, und nun steht er da<br />

mit seiner traurigen Blume und seinen langen Haaren, eigentlich ein<br />

guter Fang, aber eben nicht gut genug.<br />

Nur einmal ist kurz von Jamies Vater die Rede. „Bin ich wie mein<br />

Dad?“, fragt Jamie, und Mutter Sandra antwortet: „Nein, du bist wie<br />

ich.“ Ansonsten spielt der Alte keine Rolle; sie verdrücken sich eben.<br />

Auch die andern Wohnungen im Block beherbergen nicht gerade<br />

Musterfamilien. Der Ton ist rau und keineswegs nur herzlich. „Verpiss<br />

dich, du Fotze!“, knurrt der trunksüchtige Nachbar hinter seiner<br />

Wohnungstür, als ihn Mutter Sandra durch den Briefschlitz zur Rede<br />

stellen will, weil er seinen Sohn wieder geschlagen hat, den stillen<br />

Steven, der in Jamies Klasse geht – und in den sich Jamie verliebt.<br />

Um dem Nachbarjungen zu helfen, holt ihn Mutter Sandra für die<br />

Nacht rüber zu sich. „Ich fürchte, du musst das Bett mit Jamie teilen.“<br />

Jamie kann sein Glück kaum fassen, so nimmt das Schicksal seinen<br />

schönen Lauf. Wem legt schon seine Mutter den ersten Geliebten ins<br />

Bett?<br />

Der schwule Mann und Mutti – ein Thema von Format. Wo lägen<br />

Schrecken und Gelächter dichter beieinander? Denn sie sind ja nicht<br />

immer gute Freundinnen, denkt man bloß an die greise Anne Bancroft<br />

in Torch Song Trilogy, wie sie in der Küche Harvey Fierstein zur<br />

Schnecke macht, oder, noch eine Liga monströser, Katherine Hep burn<br />

in Suddenly, Last Summer aus dem Jahre 1959, zu dem Gore Vidal und<br />

Tennessee Williams das Drehbuch schrieben.<br />

Beautiful Thing geht ebenfalls auf ein Theaterstück zurück.<br />

Es erlebte seine Uraufführung 1993 in London unter der Regie von<br />

Hettie McDonald, die drei Jahre später den <strong>Film</strong> realisieren konnte.<br />

Neben dem erfrischenden Soundtrack und den schnellen, deftigen<br />

Dialogen bezieht er seine mitreißende Energie auch aus der genauen<br />

Kenntnis des Milieus und seiner Akteure. Bevor der 1968 in Liverpool<br />

geborene Autor Jonathan Harvey vom Schreiben leben konnte,<br />

war er Grundschullehrer in Thamesmead, eben jener Hochhaussiedlung<br />

in Londons Südosten, wo auch Beautiful Thing entstand und<br />

schon Stanley Kubrick Teile von A Clockwork Orange drehte. Thamesmead<br />

steht für durchmischte Ethnien, Sozialhilfe und Suff. Noch<br />

nirgends sind die tristen Tableaus einfühlsamer ausgebreitet worden<br />

als im New British Cinema, in den Arbeiten von Mike Leigh, Stephen<br />

Frears oder Ken Loach. Bei schwächeren Regisseuren, darunter<br />

manchem deutschen Nachahmer, scheint soziales Elend oft nur die<br />

Kulisse abzugeben, und nicht immer erkennt man hinterher – abgesehen<br />

vom Unterhaltungsanspruch – weiterführende künstlerische<br />

Absichten.<br />

Beautiful Thing ist in der Hinsicht vollkommen unzweideutig.<br />

Hier geht es um eine klare Botschaft, einen Auftrag. Der <strong>Film</strong> will<br />

seinen Zuschauern Bilder geben, die Zuversicht stiften und ermutigen.<br />

Nimm den Kopf hoch und geh deinen Weg, auch bei hartem<br />

Gegenwind. Denn selbst im milderen Klima spürbarer Liberalisierung<br />

bleibt das Coming-Out individuell meistens ein harter Brocken.<br />

Nicht zufällig fällt einem der gleichnamige DDR-Spielfilm ein. Für<br />

Regisseur Heiner Carow war der provokante Schlachtruf des Dramatikers<br />

Friedrich Wolf, „Kunst ist Waffe“, keineswegs nur ideologische<br />

Phrase, sondern er sah sich mit seiner Arbeit an der Seite der Menschen<br />

in ihrem Ringen um ein besseres Leben. Über seine Zuschauer<br />

zu sozialistischen Zeiten hat er einmal gesagt: „Sie waren nicht viel<br />

reicher und nicht viel ärmer, sie mussten ihre Kohlen rein tragen<br />

und sorgten sich um ihre Kinder und saßen manchmal weinend zu<br />

Hause, weil sie nicht wussten, wie sie das alles schaffen sollten. Ich<br />

war immer sicher, die Leute zu kennen, zu denen ich rede.“ In diesem<br />

Sinne sind Beautiful Thing und Coming Out auch darin spürbar<br />

wesensverwandt: Sie entstanden in einem Gefühl der Verbundenheit<br />

und Verantwortung.<br />

„Es wird nach einem happy end / Im <strong>Film</strong> jewöhnlich abjeblendt“,<br />

schrieb Kurt Tucholsky in der Weltbühne über ein ehernes Gesetz des<br />

Kintopps. Achtzig Jahre ist das her – und gilt noch immer. Wie gerne<br />

man Jamie und Steven zuschaut in ihrer arglosen Unschuld, dem<br />

behutsamen Vortasten aufs verminte Feld erster Zärtlichkeit. Noch<br />

ist alles drin. Man wünscht ihnen den Hauptgewinn. Und hat man<br />

nicht das große Glück, Beautiful Thing mit heißen Ohren im Sozialkundeunterricht<br />

anschauen zu dürfen, sondern erst reiferen Alters im<br />

Lichtspielhaus, fragt man sich natürlich bange, was den kleinen Helden<br />

noch bevorsteht. Werden sie alles richtig machen? Wie lange wird<br />

es mit ihnen halten? Müssen sie raus aus der Hochhaussiedlung, und<br />

wie werden sie zwanzig Jahre später leben in ihrer kleinen Wohnung,<br />

mit dem Theaterabonnement und zwei Perserkatzen? Nein, wir fragen<br />

lieber nicht. „Und darum wird beim happy end / Im <strong>Film</strong> jewöhnlich<br />

abjeblendt.“<br />

Zuvor aber noch dieses unvergessliche Schlussbild, mit dem sich<br />

Beautiful Thing in die <strong>Film</strong>geschichte einschreibt. „Komm, tanz mit<br />

mir“, sagt Jamie nach all dem durchlittenen Kummer mit der Selbstannahme,<br />

und als sein Liebster im Hof vor aller Augen der Aufforderung<br />

folgt, betreten wir das Reich Utopia, ohne das niemand wirklich<br />

menschenwürdig leben kann. Dieses Schlussbild ist ein großes<br />

Gleichnis. Wer davon nicht berührt wird, dem hat sein Leben noch<br />

keinen Mut abverlangt, zum Beispiel den Mut, draußen die Hand des<br />

anderen nicht loszulassen, oder den Mut, sich zu küssen, auf einer<br />

belebten Straße und bitte nicht bloß zu Karneval.<br />

Selbst wer die Verfolgung des Andersartigen in der Ära Westerwelle<br />

& Wowereit für überwunden erklärt, weil ihm das Opfer-<br />

Gebarme unsexy scheint, wird still für sich einsehen, wie zielsicher<br />

diese einfache Szene der beiden eng umarmt tanzenden Jungs in das<br />

Herz unserer gemeinsamen Erfahrung vordringt. Denn die Kinder<br />

sind, noch immer, in Gefahr. Deswegen nimmt Mutter Sandra die<br />

Hand der verdrehten schwarzen Nachbarstochter. Die Frauen ergreifen<br />

wortlos Partei, solidarisieren sich, indem sie gleichfalls zu tanzen<br />

beginnen, langsam und umschlungen. „Dream A Little Dream<br />

Of Me“, erklingt dazu, und die Nachbarn glotzen. Die Kamera fährt<br />

die Parade ab. Da ist nicht viel Freude zu entdecken, bestenfalls<br />

Erstaunen, Belustigung, Fassungslosigkeit, aber eben auch Häme,<br />

Abscheu, reichlich unverhohlene Missbilligung. Aber so, wie Mutter<br />

Sandra trotzig die Versammelten mustert und voller Kampflust<br />

ihr Kinn vorstreckt, wird es kein Aas mehr wagen, den ersten Stein<br />

zu werfen. Ungefähr auf diesem „Zivilisationsstand“ befinden sich<br />

ein paar westeuropäische Gesellschaften, in denen es sich aushalten<br />

lässt. Jedoch schon in Budapest schützt die Polizei zum CSD die tapfere<br />

kleine Schar Demonstranten mit hohen Zäunen vor dem schäumenden<br />

Volkszorn. Machen wir uns nichts vor. Die Zeit, in der keine<br />

Coming-Out-<strong>Film</strong>e mehr entstehen müssen, und zwar nirgendwo auf<br />

unserer Welt – diese Zeit liegt noch in weiter Ferne. s<br />

14 15<br />

kino


kino kino<br />

HEUL doCH!<br />

von Peter SchMidt<br />

Rob epstein und Jeffrey friedman legen mit „howl – Das Geheul“ im Januar den ultimativen allen<br />

Ginsberg film vor. ein anlass für SISSy sich mal anzugucken, welchen einfluss die Beat-Generation in<br />

den letzten 50 Jahren auf das Kino hatte und weiter haben wird. eine kleine Bestandsaufnahme.<br />

16<br />

Peter Orlovsky (Aaron Tveit) und Allen Ginsberg (James Franco)<br />

PANDoRA FILM<br />

s Neal Cassady lief in der Nacht des 3. Februar 1968 etwas außerhalb<br />

von San Miguel de Allende in Mexiko im Regen die Bahngleise<br />

entlang, als er beschloss, dass er jetzt zu müde sei, um weiterzugehen.<br />

Er legte sich hin. Wenig später fiel er auf Grund der Mischung aus<br />

Alkohol und Drogen in seinem Blut in ein Koma und wachte nie wieder<br />

auf. Cassady war 41, als er starb, und einen erheblichen Teil seines<br />

Lebens betrunken gewesen.<br />

1955 begann der 27-jährige Allen Ginsberg ein Gedicht zu schreiben,<br />

dessen „heimlicher Held“ Cassady war: „Howl“. Lange gab der<br />

Dichter vor, „Howl – Das Geheul“ in einem einzigen wilden Rausch<br />

verfasst zu haben, denn so las es sich. In Wahrheit arbeitete Ginsberg<br />

mehrere Monate an dem Text, den er kurz nach Fertigstellung in<br />

einem Cafe in San Francisco erstmals öffentlich vortrug.<br />

1957 wurden 520 in England gedruckte Exemplare von „Howl and<br />

other poems“ vom amerikanischen Zoll beschlagnahmt und Ginsbergs<br />

Verleger Lawrence Ferlinghetti wegen „Obszönität“ angeklagt.<br />

Besonders die Zeilen, in denen Ginsberg beschrieb, wie „engelhafte<br />

Hipster“ sich von „heiligen Motorradfahrern in den Arsch ficken“ ließen<br />

und dabei „vor Freude schrien“, hatten es der Anklage angetan.<br />

Im selben Jahr gestand Ginsberg einem Journalisten: „Das, wovor<br />

ich mich am meisten fürchtete, war immer, was mein Vater bloß denken<br />

würde. Darüber, was da so drin stand. Aber da ich nie daran<br />

gedacht hatte, „Howl“ zu veröffentlichen, nahm ich an, ich könne<br />

auch einfach schreiben was ich wollte.“ Falsch gedacht.<br />

2010 ist „Howl“ das vielleicht bekannteste Werk der amerikanischen<br />

Poesie der letzten 60 Jahre. Alle paar Jahre klagen an irgendeinem<br />

amerikanischen College mal wieder Eltern, weil sie nicht wollen,<br />

dass ihre Kinder Ginsbergs „Geheul“ zu hören bekommen. Sie verlieren<br />

jedes Mal, denn schon 1957 ist im Prozess gegen Ferlinghetti<br />

geklärt worden, dass „Howl“ mehr ist als die Summe seiner teils kruden<br />

Worte: ein Kunstwerk, das es zu schützen gilt, das Porträt einer<br />

Generation, die Innenansicht der ersten amerikanischen Counter-<br />

Culture: der Beat-Generation.<br />

Diesen Durchbruch im Kampf um die Meinungs- und Redefreiheit<br />

machen die Oscar-Preisträger Rob Epstein und Jeffrey Friedman<br />

jetzt zur Grundlage ihres ersten Spielfilms. Howl wurde im Wettbewerb<br />

der Berlinale 2010 präsentiert und lief im letzten Herbst vielbeachtet,<br />

positiv besprochen und gut besucht in den amerikanischen<br />

Kinos. James Franco, der im <strong>Film</strong> Allen Ginsberg spielt, war im Februar<br />

für fünf Tage das Hauptgesprächsthema unter Schwulen in Berlin<br />

und nahm zum Abschluss einen Teddy für seinen überaus queeren<br />

Kurzfilm The Feast of Stephen mit nach Hause.<br />

Im <strong>Film</strong> benutzen die Regisseure den ersten öffentlichen Vortrag<br />

von „Howl“ und den Prozess um den Text nicht nur, um eine Ginsberg-Biografie<br />

zu erzählen, sondern auch dazu, das gesellschaftliche<br />

Spannungsfeld, in dem sich die „Beats“ 1 bewegten, darzustellen und<br />

den selbstbewussten Umgang der Gruppe mit Homosexualität zu<br />

illustrieren.<br />

Epsteins und Friedmans postulierte Absicht, „‚Howl‘ durch den<br />

<strong>Film</strong> einer jüngeren Generation zugänglich zu machen“, scheint im<br />

richtigen Moment und mit den richtigen Zutaten auf den Zeitgeist<br />

getroffen zu sein. Allerdings scheitert der <strong>Film</strong> in seinen Animationssequenzen,<br />

die die Regisseure dazu benutzen wollten, den Text des<br />

Gedichts in Bilder zu übersetzen, völlig. Und das weniger technisch<br />

als schlicht daran, dass man sich im amerikanischen Mainstream-<br />

Kino auf die Nichtdarstellbarkeit von pornografischen Inhalten<br />

geeinigt hat. So werden heilige fickende Motorradfahrer zu psychedelisch<br />

angeschmierten Blumen und Bienchen und jedes Mal, wenn<br />

jemand bläst, ist eine in Sonnenlicht zerfließende Trompete zu sehen.<br />

Im <strong>Film</strong> sagt ein als Zeuge im Prozess berufener Literaturwissenschaftler:<br />

„Poesie lässt sich nicht in Prosa übersetzen, sonst wäre sie<br />

1 „Beats“ war die Eigenbezeichnung, das gebräuchlichere „Beatniks“ ein Schimpfwort der<br />

konservativen Öffentlichkeit.<br />

17


kino<br />

Allen Ginsberg (James Franco)<br />

keine Poesie.“ Quot erat demonstrandum. Trotzdem ist Howl mehr<br />

als sehenswert, vor allem wegen des fantastischen Ensembles: Franco<br />

wird unter anderem von Treat Williams, David Strathairn, Bob Balaban<br />

und der wie immer fabelhaften Mary-Louise Parker dabei unterstützt,<br />

Ginsberg und sein Gedicht einmal mehr ins postmodern unterhaltsame<br />

Nirwana zu kultivieren. Schockierend ist das nicht mehr,<br />

aber schön bunt.<br />

Die cineastische Legendenbildung um „Die Beat-Generation“<br />

begann schon 1959, als der <strong>Film</strong> Die Haltlosen in die amerikanischen<br />

Kinos kam, in dem sich Busenwunder Mami van Doren von einem<br />

Beat vergewaltigen lassen muss und Louis Armstrong eine bürgertaugliche<br />

Version des Beat spielen darf, der sich zum Jazz ungefähr so<br />

verhält wie der Rock zum Punk. Zwei Jahre zuvor war Jack Kerouacs<br />

„On the Road“ erschienen und hatte ihn, Cassidy, der die Grundlage<br />

für die Hauptfigur von „On the Road“ ist, und mit ihnen alle Beats zu<br />

Ikonen der amerikanischen (Gegen-)Kultur gemacht.<br />

Im gleichen Jahr, in dem „Die Haltlosen“ dem Mainstream-Publikum<br />

ein Zerrbild der Gruppe zeigte, veröffentlichten die so Verunglimpften<br />

ihren einzigen eigenen <strong>Film</strong>: Pull My Daisy. Der von Jack<br />

Kerouac als Regisseur verantwortete Halbstünder veranschaulicht,<br />

wie der Besuch eines Bischofs bei einem bürgerlichen Paar von den<br />

Beat-Freunden desselben torpediert wird. Ginsberg, sein Lebensgefährte<br />

Peter Orlovsky und ihre Freunde spielen sich selbst und haben<br />

einen Heidenspaß an der Überhöhung ihrer inzwischen öffentlichen<br />

Images.<br />

Während der 60er und 70er Jahre nahm der Einfluss der im Beat<br />

postulierten Werte Freiheit, Zärtlichkeit und Selbsterforschung ohne<br />

Rücksicht auf Verluste oder Moral stetig zu. Blumenkinder, freie<br />

Liebe oder das von Ginsberg mit initiierte Auftauchen von Zen und<br />

Buddhismus in der amerikanischen Kultur, das Autorenkino der 60er<br />

und 70er, die Etablierung von Beatpapst William S. Burroughs als<br />

literarische Größe, Hunter S. Thompsons von „On the Road“ inspirierter<br />

New Journalism oder der 1975 mit fünf Oscars ausgezeichnete<br />

Einer flog übers Kuckucksnest nach der Romanvorlage von Ken Kesey<br />

– nichts davon wäre ohne die Beat-Bewegung denkbar gewesen. „Man<br />

musste erst die Grenzen der Wahrnehmung auflösen, bevor man weiterdenken<br />

konnte“, hat es Burroughs einmal umschrieben.<br />

Diese deutlichen Zeichen der gesellschaftlichen Wirksamkeit<br />

wurden erst 1980 erstmals in einen Spielfilm verpackt. In John<br />

Byrums Heart Beat spielt Nick Nolte Neal Cassady, <strong>Sissy</strong> Spacek seine<br />

Frau Carolyn, auf deren Memoiren der <strong>Film</strong> basiert, und John Heard<br />

darf als Jack Kerouac die egomanischen Seiten seiner Figur ausstellen.<br />

Der Claim zum <strong>Film</strong>, “They shocked us. They outraged us. They<br />

didn’t do anything wrong. They just did it first.”, zeigt, dass der Einfluss<br />

der Beats auf die gesamte amerikanische Kultur der zweiten<br />

Hälfte des 20. Jahrhunderts längst Allgemeingut war.<br />

18<br />

PANDoRA FILM<br />

Seitdem haben sich unzählige amerikanische <strong>Film</strong>e mit den Beats<br />

auseinandergesetzt und auch ihre Werke sind mehrfach verfilmt worden.<br />

Die bekanntesten sind The Last Time I Committed Suicide mit<br />

Keanu Reeves, David Cronenbergs Naked Lunch von 1991 und Noah<br />

Buschels Neal Cassady von 2007. Ein unentdeckter Schatz: Beat aus<br />

dem Jahr 2000, in dem Courtney Love Joan Vollmer Burroughs spielt.<br />

Der als Ehedrama angelegte und in Deutschland unter dem Titel Extreme<br />

Beat auf DVD veröffentlichte Indiestreifen gibt überraschenderweise<br />

Kiefer Sutherland die Gelegenheit, als mittelalter, tuntiger<br />

Williams S. Burroughs zu brillieren.<br />

Für Neu- oder Quereinsteiger ins Thema gibt es einen Schwung<br />

sehr erhellender Dokus. The Beat Generation von 1987 war einer<br />

der ersten <strong>Film</strong>e der Edition Salzgeber und ist auch heute noch sehr<br />

sehenswert. In dem gerade auf DVD wiederveröffentlichten Die Beat<br />

Generation – Wie alles anfing und im amerikanischen sehr viel origineller<br />

betitelten The Source von 1999 spielt Johnny Depp passenderweise<br />

Jack Kerouac und Dennis Hopper darf Allen Ginsbergs Texte<br />

zu seinen eigenen machen. Beide <strong>Film</strong>e strotzen vor Originalaufnahmen<br />

mit den Vertretern der Beats und bespiegeln eindrucksvoll, wie<br />

lebendig deren Werte auch im neuen Jahrtausend sind.<br />

Für 2011 ist die Neuverfilmung von „On the Road“ von Walter Salles<br />

mit Sam Riley in der Hauptrolle in Arbeit. Neal Cassady scheint<br />

auch über dreißig Jahre nach seinem Tod sehr lebendig zu sein. Es<br />

darf also weiter geheult werden. Das ist eine gute Sache. s<br />

Die Beatgeneration –<br />

Wie alles anfing<br />

von Chuck Workman<br />

US 1998, 85 Minuten, OmU<br />

Auf DVD<br />

Ascot Elite, www.ascot-elite.de<br />

Howl – Das Geheul<br />

von Rob Epstein und Jeffrey Friedman<br />

US 2010, 90 Minuten, DF<br />

Pandora <strong>Film</strong>, www.pandorafilm.de<br />

Im Kino<br />

ab 6. Januar 2011<br />

Wie ich zum ersten Mal<br />

Selbstmord beging<br />

von Stephen Kay<br />

US 1997, 89 Minuten, DF<br />

Auf DVD<br />

Kinowelt, www.arthaus.de<br />

Naked Lunch<br />

von David Cronenberg<br />

CA/UK/JP 1991, 110 Minuten, DF<br />

Auf DVD<br />

Kinowelt, www.arthaus.de<br />

Ab 2.12. im Kino – alle Infos unter houseofboys.de<br />

Auch am 17. & 20.12. in der Gay-<strong>Film</strong>nacht im CinemaxX


kino<br />

MUTTERMoRd<br />

von johann WaSSer<br />

Das kanadische Wunderkind Xavier Dolan schrieb mit sechzehn<br />

sein erstes Drehbuch, eine halbbiografische Geschichte um<br />

ein gestörtes Mutter-Sohn-Verhältnis. Damit sorgt er seit der<br />

Premiere in Cannes 2009 für Furore. Nun kommt „I Killed My<br />

Mother“ endlich auch in die deutschen Kinos.<br />

Eine Annäherung.<br />

s Eine Szene, wie sie so oder ähnlich jeder kennt, der sich als<br />

Jugendlicher für seine Eltern geschämt hat oder zumindest von ihnen<br />

genervt war: Mutter und Sohn sitzen am Küchentisch und die Frau<br />

im geschmacklosen Pullover isst recht unbeholfen ein Brötchen, Reste<br />

des cremigen Belags bleiben in ihren Mundwinkeln hängen. Der Sohn<br />

verdreht nur die Augen und weist sie auf ihren Fauxpax hin. Überhaupt<br />

hat der 16-jährige Hubert dauernd was an ihr auszusetzen:<br />

Wenn sie sich während der Autofahrt am Steuer schminkt, wenn sie<br />

nicht zuhört oder Dinge vergisst, wenn sie ihre Soaps im Fernsehen<br />

ansieht. In der Schule behauptet er, seine Mutter sei tot. In ebenso brillanten<br />

wie bösartigen Dialogen breiten Mutter und Sohn ihr neurotisches<br />

Verhältnis aus, das durchaus ambivalent ist. Wenn ihr jemand<br />

etwas antun würde, wäre Hubert zum Rachemord bereit. Und trotzdem<br />

kann er locker 100 Leute aufzählen, die er mehr liebt als sie.<br />

Einer von ihnen ist sein Freund Antonin, mit dem er seit zwei<br />

Monaten zusammen ist. Seine Mutter erfährt das nebenbei im Sonnenstudio,<br />

von Antonins Mutter. Und während sie sich mit ihrem<br />

Sohn wegen jeder Kleinigkeit in die Haare kriegt, versucht er sein<br />

eigenes verwirrendes Leben auf die Reihe zu bringen.<br />

Gespielt und inszeniert wird dieser Hubert von Xavier Dolan. Das<br />

Buch schrieb er ebenfalls, es basiert lose auf der Beziehung zu seiner<br />

eigenen Mutter. Im Mai 2009 hatte der <strong>Film</strong> seine Weltpremiere auf<br />

dem <strong>Film</strong>fest in Cannes, wo er gleich drei Preise abräumte. Und über<br />

Nacht wurde aus einem 20-jährigen Jungen das Phänomen Xavier<br />

Dolan, das kanadische Wunderkind. Jung, smart, wahnsinnig gutaussehend,<br />

aber auch leicht arrogant, wurde er zunächst in Frankreich,<br />

dann weltweit zum Festival- und Mediendarling. Im vergangenen<br />

Februar ging der <strong>Film</strong> dann sogar als kanadischer Beitrag ins Oscar-<br />

Rennen für den besten nichtenglischsprachigen <strong>Film</strong>. Da war Xavier<br />

Dolan nach US-amerikanischem Recht noch nicht einmal volljährig.<br />

Geboren wurde der Sohn eines Schauspielers am 20. März 1989<br />

in Québec. Als Kind spielte er in zahlreichen kanadischen <strong>Film</strong>en<br />

und Serien mit, bevor er mit sechzehn ein Drehbuch schrieb, in<br />

einem Alter also, in dem die anderen Jungs eher mit Hormonen und<br />

dem Erkunden des eigenen Körpers und denen anderer beschäftigt<br />

sind und sich ihre libidinöse Kreativität aufs Verfassen schwülstiger<br />

Gedichte beschränkt. Es war sein erstes Drehbuch und sein erster<br />

<strong>Film</strong>, ohne jedes Vorwissen, finanziert von den 150.000 Dollar, die er<br />

sich als Kinderstar verdient hatte. Woher hatte er mit sechzehn dieses<br />

Selbstvertrauen? „Das ist weniger Selbstvertrauen als Ignoranz. Der<br />

<strong>Film</strong> hat etwas Amateurhaftes. Das heißt nicht, dass ich nicht stolz auf<br />

einige Ideen darin bin, aber es war doch eher ein Suchen nach einer<br />

eigener Handschrift, eine Art Experiment.“ Eines freilich, das ihn auf<br />

den Roten Teppich in Cannes und danach so ziemlich jedes <strong>Film</strong>fest<br />

dieser Welt brachte. Das deutlichste Ergebnis dieses Ausprobierens,<br />

sein prägnantestes Stilmittel sind Szenen von oft banaler Alltäglichkeit,<br />

die durch Zeitlupe und den Einsatz musikalischer Motive überhöht<br />

werden. Sie sind zugleich schön, fast zu schön, und tieftraurig.<br />

Aber so formal ungewöhnlich sie auch scheinen, neu sind sie nicht.<br />

Mit ganz ähnlichem Effekt (und ähnlichem Score) hat das auch schon<br />

Wong Kar-Wai in In the Mood for Love getan. Das macht Xaviers Szenen<br />

freilich nicht weniger berückend.<br />

Auch sein zweiter <strong>Film</strong> Heartbeats, den er gleich im Anschluss<br />

drehte und der im Frühjahr in den deutschen Kinos anlaufen wird,<br />

sei zum Teil autobiografisch, sagt Xavier. „Nicht eins zu eins, aber für<br />

mich ist Liebeskummer wie eine Platte mit einem Sprung – alles wiederholt<br />

sich immer wieder. Ich werde in Liebesdingen einfach nicht<br />

erwachsen. Auch wenn ich es in der Theorie besser weiß, benehme ich<br />

mich doch noch immer wie ein unbeholfener Teenager.“ Er kokettiert<br />

überhaupt gern mit seinem Alter. Wenn er Fragen nach der Bedeutung<br />

seiner <strong>Film</strong>e nicht mag, sagt er gern Sätze wie „Ich bin jung. Ich<br />

habe keine Ahnung, was ich tue.“ Wie arbeitest du? „Ich schreibe und<br />

dann drehe ich.“ So einfach? „Ja. Bisher zumindest. Aber es ist einfach,<br />

weil es ignorant ist. Es ist jung und unbedarft und frei und liebevoll.<br />

<strong>Film</strong>emachen ist für mich wie Liebemachen, ich denke nicht viel<br />

darüber nach. Es sind einfach Dinge, die raus müssen.“ Deshalb fing<br />

er auch sofort nach dem Erfolg in Cannes mit seinem zweiten <strong>Film</strong> an.<br />

„Es war mir unvorstellbar, nach I Killed My Mother warten zu müssen,<br />

bis ich den nächsten <strong>Film</strong> machen kann. Das ist für mich kein<br />

Job. Es ist eine Droge, eine Lebenseinstellung. Mein Modus Vivendi.“<br />

Und auch der dritte <strong>Film</strong> ist bereits in Arbeit. Lawrence Always wird<br />

noch ambitionierter. „Ein tragischer Liebesfilm über einen Mann,<br />

der zur Frau werden will und seine Verlobte bittet, bei ihm zu bleiben<br />

und ihm bei seiner Transformation beizustehen.“ Und mit einem<br />

ironischen Grinsen fügt er hinzu: „Nicht biografisch.“ Und er plant<br />

diesmal auch nicht, selbst mitzuspielen. Überhaupt scheint die Schauspielerei<br />

ein sensibles Thema zu sein. Auf die offensichtlich nervige<br />

Frage, ob er auch wieder für andere Regisseure vor der Kamera stehen<br />

wird, verdreht er ganz Hubert-isch die Augen. „Ich werde einfach<br />

nicht als Schauspieler gesehen. Ich bekomme keine Anfragen. Wenn<br />

mich jemand fragen würde, würde ich ja sagen. Vielleicht denken sie,<br />

ich sei ein Laiendarsteller oder einfach nur schlecht und ein Loser,<br />

der sich in seinen <strong>Film</strong>en selbst besetzt, weil er sonst keine Rollen<br />

bekommt.“ Wenn man leise Zweifel anbringt, schnaubt er verächtlich:<br />

„Das ist die Realität! All die Preise waren für den <strong>Film</strong>, nicht für<br />

meine Performance.“<br />

Die Aversion gegen den Vergleich mit seiner Generation hat<br />

Xavier mit Hubert gemein: „Hör auf, mich mit den anderen zu vergleichen.<br />

Ich bin nicht wie sie!“, schreit der seine Mutter an und man<br />

kann nur ahnen, worauf Xavier damit in seiner eigenen Biographie<br />

anspielt. Denn da will er sich nicht so richtig festlegen: „Einiges passierte<br />

so in meinem Leben, aber das ist heute längst anders. Und ich<br />

habe viel dazu erfunden.“ Vielleicht erklärt das auch den Hype um<br />

ihn, als <strong>Film</strong>emacher und als Person. Klar, da ist die Faszination fürs<br />

Wunderkind, die Entdeckung eines Talents quasi aus dem Nichts, der<br />

Drang zum Geniekult, aber es ist mehr. Da ist endlich wieder einer,<br />

der sich was traut, mit einem unbedingten Stilwillen. Und einer, der<br />

seine Neurosen und seinen Herzschmerz mit jugendlicher Grandezza<br />

und Übertreibung in Bilder verwandelt, die zum Sterben schön sind.<br />

Wong Kar-Wai fällt da ein, aber auch Tom Ford. Nur ist Xavier Dolan<br />

halb so alt wie sie. Kaum auszumalen, was aus ihm noch werden kann.<br />

Möge er nicht allzu schnell erwachsen werden. s<br />

I Killed My Mother<br />

von Xavier Dolan<br />

CA 2009, 100 Minuten, Fassung<br />

Kool <strong>Film</strong>, www.koolfilm.de<br />

Im Kino<br />

ab 3. Februar<br />

20 21<br />

KooL FILM<br />

kino


kino kino<br />

A Crying Boy<br />

SaScha WeStPhal<br />

Dass sich die Queer-Artistin Sam Taylor-Wood ausgerechnet<br />

den jungen John Lennon als Helden ihres ersten Spielfilms<br />

auswählt, konnte man nicht unbedingt erwarten. Aber wie<br />

sie ihn inszeniert, ist durchaus doppelbödig. „Nowhere Boy“<br />

startet am 8. Dezember in den Kinos.<br />

s „Crying Men“ – „Weinende Männer“, so heißt eine Serie von Photographien<br />

der englischen <strong>Film</strong>emacherin, Photographin und Videokünstlerin<br />

Sam Taylor-Wood aus dem Jahr 2002. Auf 28 großformatigen<br />

Photographien zeigt sie Männer beim Weinen. Einige von ihnen<br />

sind in Tränen aufgelöst, andere versuchen, ihre Emotionen unter<br />

Kontrolle zu bringen. Ein paar machen Anstalten, ihre Gesichter hinter<br />

erhobenen Händen und Armen zu verbergen, wieder andere blicken<br />

direkt in die Kamera. Doch etwas haben diese Bilder trotz allem<br />

gemeinsam: Jedes von ihnen ist Spiel und Inszenierung, und keines<br />

zeigt einen anonymen Fremden. Alle Porträtierten sind berühmte<br />

Schauspieler, die der Betrachter der Photoserie schon unzählige Male<br />

gesehen hat, nur eben so noch nicht.<br />

Die Stars spielen zwar für Sam Taylor-Woods Kamera nur eine<br />

Rolle, ganz so wie sonst auch. Aber dabei zeigen sie eine Verletzlichkeit,<br />

die etwas Subversives hat. Männer weinen in der abendländischen<br />

Welt nicht – zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Tränen<br />

gelten immer noch als ein Zeichen von Schwäche, als Blöße, die sich<br />

niemand geben möchte. Sie sind einfach nicht mit dem bürgerlichen,<br />

protestantisch geprägten Bild von Männlichkeit vereinbar, das unsere<br />

Kultur in den vergangenen 200 Jahren so nachhaltig geformt hat.<br />

Seit den späten 60er Jahren hat dieses Bild zwar immer mehr<br />

Risse bekommen. Doch noch ist seine Tyrannei nicht Vergangenheit;<br />

und das verleiht der Serie „Crying Men“ solch eine Kraft. Sam Taylor-<br />

Wood inszeniert, mehr noch zelebriert ein anderes, ein empfindsameres<br />

Ideal. Ihre Bilder konfrontieren den Betrachter mit einer Männlichkeit,<br />

die sich öffnet statt sich zu verschließen, die auf Ehrlichkeit<br />

und Emotionen statt auf Macht und Stärke fußt. Die Tränen ihrer<br />

Models sind irritierend und verführerisch, verstörend und ergreifend,<br />

und sie höhlen als stete Tropfen den Stein im kontrollierten Herzen<br />

der westlichen Gesellschaft aus.<br />

Noch einmal geht der von Aaron Johnson gespielte John Lennon<br />

durch den Park, den er in den letzten drei Jahren so oft durchquert<br />

hat … jedes Mal, wenn er auf dem Weg vom Haus seiner Tante Mimi<br />

unterwegs zu Julia, seiner Mutter, war, die ihn einst, da war er gerade<br />

fünf Jahre alt, ihrer Schwester überlassen hatte. Die Wunden, die dieser<br />

Verrat hinterlassen hatte, begannen gerade erst zu heilen. Doch<br />

dann hat ein Auto Julia, die nach einem gemeinsamen Tag mit Mimi<br />

auf dem Weg nach Hause war, aus dem Leben gerissen. Nun ist John<br />

wieder alleine mit seiner Tante und seinen Erinnerungen. Also kehrt<br />

er, vielleicht zum letzten Mal, in den Park zurück. Aus dem aufsässigen,<br />

seine Verlorenheit hinter einer Maske aus Anmaßung und Unverschämtheit<br />

verbergenden Jungen ist der John Lennon geworden, der<br />

schon wenige Jahre später zur Pop-Ikone werden sollte.<br />

Doch an diesem Nachmittag setzt Lennon sich einfach unter<br />

einen der großen Bäume ins Gras und raucht. Zwischen den Zügen<br />

spielt er mit der Zigarette in seinen Fingern, während sein Blick ins<br />

Nichts geht. In einer Großaufnahme, die alles um ihn herum zu Schemen<br />

macht und in Aaron Johnsons Gesicht eine ganze Welt entdeckt,<br />

füllen sich seine Augen nach und nach mit Tränen. Für einen Moment<br />

steht die Zeit in Sam Taylor-Woods erstem langen Spielfilm still.<br />

Ginge es alleine nach den Regeln Hollywoods und seiner Nachahmer<br />

auf der ganzen Welt, wäre diese kleine Szene gänzlich überflüssig<br />

und wahrscheinlich auch nie gedreht worden. Schließlich erzählt sie<br />

nichts. Doch ohne sie wäre Nowhere Boy nichts als ein weiteres freudianisches<br />

Musikerporträt wie so viele andere aus den vergangenen<br />

Jahren. Schon zuvor zeigt Sam Taylor-Wood mehrmals einen weinenden<br />

John Lennon. In diesen Tränen entladen sich die Dramen und<br />

Tragödien seiner Kindheit und Jugend. Es sind Momente klassischer<br />

Kino-Sentimentalität. Nicht so diese eine Großaufnahme, die einen<br />

Bogen zu Taylor-Woods „Crying Men“-Zyklus spannt: Aaron Johnson<br />

weint die Tränen einer von ihren Masken befreiten Männlichkeit.<br />

Es sind hermaphroditische Tränen. Durch sie wird das Biopic zum<br />

transgressiven Kunstwerk. s<br />

Nowhere Boy<br />

von Sam Taylor Wood<br />

GB/CA 2009, 98 Minuten, DF/OmU<br />

Senator, www.www.senator.de<br />

Im Kino<br />

ab 8. Dezember<br />

SENAToR (2)<br />

Ins offene<br />

von jan küneMund<br />

In Benoit Jacquots Spielfilm „Villa Amalia“ (Kinostart am 25.11.) gibt eine rätselhafte<br />

Heldin ihr bisheriges Leben auf und macht sich auf den Weg in etwas Neues<br />

(zum Beispiel eine Affäre mit einer Frau). Isabelle Huppert gibt dieser Heldin ein<br />

unergründliches Gesicht und der <strong>Film</strong> fiebert unbeirrt und traumhaft schön durch<br />

seine geheimnisvolle Geschichte.<br />

s Ich höre auf. Ich verlasse dich. Mit uns ist<br />

es vorbei. Ich verkaufe alles. Ich kündige. Es<br />

ist aus.<br />

Eine Frau macht einen sauberen Schnitt,<br />

trennt sich von Mann, Karriere, Wohnung,<br />

ihrem Auto, ihrem Telefon, ihrem Klavier,<br />

ihrer Frisur. Auf die Frage nach dem Warum<br />

reagiert sie den ganzen <strong>Film</strong> hindurch<br />

al lergisch. Gut, es ist etwas vorgefallen – sie<br />

hat gesehen, wie ihr Mann eine andere Frau<br />

küsst – aber die Bewegung dieser Frau ins<br />

Geheimnisvolle ist nicht allein durch diesen<br />

Vorfall motiviert.<br />

Benoit Jacquots <strong>Film</strong> über seine nomadische<br />

Heldin inszeniert exzessiv (wie andere<br />

vorher auch) das Gesicht und den Körper der<br />

Schauspielerin Isabelle Huppert als perfekte<br />

Projektionsflächen, in denen permanent<br />

Bewegung herrscht, die aber nichts von sich<br />

aus bedeuten oder einfach lesbar wären. Die<br />

kleine Welt um die Figur Eliane Hidenstein<br />

verrät genausowenig, warum sie so verlassenswert<br />

ist – wir sehen sie nur als Ensemble<br />

zu verkaufender, aufzugebener Dinge.<br />

Eben noch sagt die Pianistin und Komponis-<br />

tin, dass das Klavier ihr Beruf ist, so wird es<br />

einige Szenen später schon in den LKW der<br />

Speditionsfirma verfrachtet. Scheint ihr Auto<br />

gerade noch der Schutzraum gewesen zu<br />

sein, in dem sich ihre Wut über die Untreue<br />

ihres Mannes in einem lauten Schrei äußern<br />

lässt, so wird es wenig später beim Autohändler<br />

abgegeben. Nie sieht man Eliane Hidenstein,<br />

die ihren Namen schon zuvor in „Ann<br />

Hidden“ geändert hat und später nochmal in<br />

„Anna“ ändern wird, etwas kaufen. Immer<br />

wieder dagegen zu Müllcontainern laufen,<br />

in die sie scheinbar neue Dinge wieder entsorgt.<br />

Sehr deutlich wird gezeigt, wie diese<br />

Figur zum Subjekt wird, in dem sie sich von<br />

festen Verbindungen löst. Doch Villa Amalia<br />

ist kein Sozialdrama.<br />

Der Moment des Schnitts, der die frühere<br />

von der neuen Ann-Eliane trennt, ist ganz<br />

bewusst ein <strong>Film</strong>-Moment. Es ist Nacht, es<br />

regnet, es gibt eine Autoverfolgungsfahrt,<br />

eine verbotene Entdeckung, eine verlorene<br />

Frau auf der Straße, das plötzliche Auftreten<br />

eines alten Freundes aus der Kindheit, eine<br />

dramatisierte Verunsicherung im Straßenla-<br />

PERIPHER FILMVERLEIH<br />

ternenlicht, ein Wegkippen des Alltags, ein<br />

leichtes Bildfieber. Danach soll – mit großer<br />

Entschiedenheit – alles anders werden und<br />

wir sehen, wie Ann-Eliane das anstellt. „Es<br />

ist gar nicht so einfach, heute zu verschwinden!“,<br />

sagt ihr Freund. Aber sie tut ihr Möglichstes,<br />

vermeidet alles, was sie bindet, festhält,<br />

lokalisierbar macht, auch den Freund.<br />

Sie wählt die Rolle der Nomadin wie eine<br />

Bebilderung der feministischen Figur Rosi<br />

Braidottis als Annahme und Subjektposition<br />

ihrer Ort- und Identitätslosigkeit. Sie spricht<br />

Deutsch in Deutschland und Italienisch in<br />

Italien, sie macht ohne Aufhebens aus Ann<br />

Anna, sie taucht ins Meer ein wie vorher in<br />

ihr kommunales Schwimmbad, sie spielt auf<br />

herumstehenden, verstimmten Klavieren,<br />

sie schreckt in Hotelzimmern neben neuen<br />

Männern aus dem Schlaf auf. Sie verschwindet<br />

nicht nur, sie wird zum Geheimnis.<br />

Nach ungefähr einer Stunde taucht die<br />

Villa Amalia aus dem <strong>Film</strong>titel auf. Ein verlassenes<br />

Haus auf Ischia, das nur noch dem<br />

Berg gehört, an dem es hängt. Es blickt, filmwirksam<br />

rot getüncht wie zuvor Anna filmwirksam<br />

taubengrau gekleidet, aufs Meer<br />

hinaus. Man sieht nicht, wie sie es bezieht,<br />

Möbel kauft, herrichtet. Es steht da einfach,<br />

im <strong>Film</strong>. Ein junges Paar taucht auf, von dem<br />

bald nur noch die Frau in der Geschichte<br />

bleibt, Giulia. Mit Giulia ist Anna plötzlich<br />

zusammen, ohne dass das (ein Klassiker des<br />

lesbischen <strong>Film</strong>s!) der Schritt von einer falschen<br />

Identität in eine gleichgeschlechtliche<br />

richtige wäre. Giulia findet, dass Annas<br />

Gesicht „aus einer anderen Welt“ kommt.<br />

Kurz bevor sich Anna mit einem erneuten<br />

Aufreißen der Villa-Amalia-Jalousien<br />

aus dem <strong>Film</strong> verabschiedet, ohne dass damit<br />

angedeutet würde, dass sie einen neuen Ort,<br />

eine neue Identität angenommen hätte (es ist,<br />

wie Ekkehard Knörer geschrieben hat, einfach<br />

eine Geste, ein Schlussbild „ins Offene“),<br />

führt sie die Geschichte noch einmal in die<br />

Eliane-Vergangenheit. Sie begegnet ihrem<br />

Vater, der die Familie damals verlassen hat.<br />

In Elianes Gesicht kämpfen das kindliche<br />

Trauma und das neue Verständnis für den<br />

Vater, der kurz nach ihrer Geburt gegangen<br />

war, gekündigt hatte, der losließ, mit dem es<br />

aus war, der keine Lust hatte auf Baby, Kind,<br />

Vorhänge vor jedem Fenster, katholische<br />

Tränen und gutes Essen. Er sagt: „Sowas wie<br />

eine normale Existenz gibt es nicht.“ s<br />

Villa Amalia<br />

von Benoit Jacqout<br />

CH/FR 2010, 102 Minuten, OmU<br />

Peripher Fimverleih,<br />

www.peripherfilm.de<br />

22 23<br />

Im Kino<br />

ab 25. November


kino kino<br />

„Besingen will ich, wie sich Gestalten in andere Körper wandelten.“<br />

oVID: „METAMoRPHoSEN“<br />

GöTTLICHE<br />

VERwANdLUNGEN<br />

von SaScha WeStphal<br />

Der portugiesische <strong>Film</strong>emacher João Pedro Rodrigues ist ein freier Radikaler des Weltkinos. Seine <strong>Film</strong>e sind autark,<br />

wild, sexy und kümmern sich wenig um ein Phantom namens Realismus. Mit „To Die Like A Man“ kommt nach<br />

„o Fantasma“ und „Two Drifters“ auch sein dritter Spielfilm, den viele für seinen schönsten halten, in die deutschen<br />

Kinos. Unser Autor unternimmt aus diesem Anlass den anspruchsvollen Versuch, sich der <strong>Film</strong>sprache des Regisseurs<br />

anzunähern.<br />

24<br />

EDITIoN SALZGEBER<br />

s Eine gewisse Tendenz zum Kargen und Strengen war im Kino<br />

des vergangenen Jahrzehnts nicht zu übersehen. Viele der <strong>Film</strong>e und<br />

auch der Regisseure, die in jenen Jahren auf den größeren und kleineren<br />

Festivals ästhetische wie künstlerische Maßstäbe setzten, verband<br />

ein eher nüchterner Blick und eine deutliche Vorliebe für lange,<br />

exakt kadrierte Einstellungen. So setzte man sich ab von den Produkten<br />

der Industrie und konnte sich damit zumindest einer grundsätzlichen<br />

Wertschätzung in gewissen Cinephilen- und Kritikerkreisen<br />

sicher sein. Jenseits aller spezifischen Eigenarten der einzelnen<br />

<strong>Film</strong>e und der individuellen Präferenzen ihrer Macher schälte sich<br />

so ein vereinheitlichter Stil heraus, der mehr und mehr zum Markenzeichen<br />

des cineastischen Widerstands wurde. Man formierte sich<br />

und stand dem ewigen Widersacher wenigstens im Punkte Globalisierung<br />

in nichts nach.<br />

Auf welcher Seite dieser Frontlinien der portugiesische <strong>Film</strong>emacher<br />

João Pedro Rodrigues zu finden ist, steht erst einmal außer<br />

Frage. Schon ein flüchtiger Blick in seine in der amerikanischen <strong>Film</strong>zeitschrift<br />

„<strong>Film</strong> Comment“ veröffentlichte Top Ten der Nuller Jahre<br />

sagt schließlich alles. Da stehen <strong>Film</strong>e von Eugène Green und Valeska<br />

Grisebach, von Christian Petzold und Angela Schanelec neben Werken<br />

von Pedro Costa und Alain Guiraudie, von Jacques Nolot und<br />

Straub-Huillet. Allein Apichatpong Weerasethakuls Blissfully Yours<br />

und John Gianvitos höchst eigenwilliges Epos The Mad Songs of<br />

Fernanda Hussein fallen ein wenig aus dem Rahmen und verweisen<br />

auf eine zweite Seite in Rodrigues’ Kino-Kosmos.<br />

Auch João Pedro Rodrigues’ eigene Arbeiten fügen sich zumindest<br />

stilistisch durchaus in das vorherrschende Bild ein. Immer wieder<br />

verweilt der Blick der Kamera etwas länger auf einer Landschaft<br />

oder einem Gesicht als unbedingt nötig wäre … und welch ein Blick<br />

das erst ist. Jede noch so beiläufige Einstellung ist von einer absoluten<br />

kompositorischen Perfektion, jede noch so expressive Kamerafahrt<br />

folgt einem strengen visuellen Versmaß. Doch das ist eben nur die<br />

eine Seite. Auf der anderen stehen Geschichten und Schnitte, Bewegungen<br />

ins Irreale und radikale, die Wirklichkeit negierende statt<br />

spiegelnde Leerstellen.<br />

All das will so gar nicht zu dem im Weltkino dominanten nüchternen<br />

Ton passen. Jeder der drei langen Spielfilme, die João Pedro<br />

Rodrigues in der vergangenen Dekade realisieren konnte, hat etwas<br />

Delirierendes. Seine Erzählungen und seine Figuren sind ganz im<br />

Gegensatz zu seinen Bildern eben nicht kontrolliert, sondern durch<br />

und durch unbändig und maßlos. Sie entziehen sich gängigen rationalen<br />

und psychologischen Erklärungsmustern mit einer Vehemenz, die<br />

ihresgleichen sucht. Die Realität wird durchlässig für das Mythische<br />

und die Berührung mit ihm verwandelt sie. Nichts ist auf ewig festgelegt<br />

und festgeschrieben, alles kann in etwas anderes transformiert<br />

werden, und niemand muss sein Leben lang der Gleiche bleiben.<br />

Sérgio, dem Ricardo Meneses seinen Körper gibt, ist nahezu<br />

immer unterwegs. Sein ganzes Leben ist ein unablässiges Cruising,<br />

eine unausgesetzte Suche nach Männern und Müll, nach fetischisierten<br />

Gegenständen und elementaren Gefühlen. Sein Revier, das er als<br />

Müllmann und als drifter durch eine Welt des anonymen Sex wieder<br />

und wieder durchstreift, wird in O Fantasma zu einem rätselhaften<br />

Transitraum, eher einem verstörenden Nicht-Raum, der weder bruchlos<br />

der alltäglichen Realität noch ganz dem Reich Mythos gewordener<br />

Triebe angehört. Es ist ein Universum des ewigen Dazwischen, in<br />

dem Sérgio nach und nach seine menschliche Identität aufgibt, sich<br />

zunächst in einen Hund und letzten Endes in ein Phantom, ein Fantasma<br />

der Nacht, verwandelt.<br />

Ein schwarzer Dobermann läuft unruhig den Flur einer Wohnung<br />

entlang. Es zieht ihn mit aller Macht zu einer verschlossenen<br />

Tür. Aus dem Raum dahinter dringen kaum definierbare Laute auf<br />

den Flur. Was den Hund derart in Aufregung versetzt, offenbart dann<br />

Links: Tonia (Fernando Santos) in „To Die Like A Man“<br />

Oben: Sérgio (Ricardo Meneses) in „O Fantasma“; unten: Odete (Ana Cristina de Oliveira)<br />

in „Two Drifters“<br />

ein Schnitt: Ein Mann in einem schwarzen Ganzkörper-Latexanzug<br />

penetriert einen anderen, mit Handschellen gefesselten Mann und<br />

drückt ihm dabei ein Tuch auf den Mund. Er lässt seiner Begierde<br />

freien Lauf. Der Andere ist ihm ausgeliefert, wehrlos, nur ein Objekt<br />

eines Triebs, der nichts als seine Befriedigung kennt. In diesen ersten<br />

Momenten von João Pedro Rodrigues’ Spielfilmdebüt ist Sérgios<br />

Metamorphose schon nahezu abgeschlossen. Seine frühere Persönlichkeit<br />

hat er abgestreift, nun ist er nichts als dieser schwarz glänzende<br />

Anzug, ein Wesen ohne Hemmungen und ohne Sprache, dem<br />

Dobermann auf dem Flur näher als dem Mann in seiner Gewalt. Als<br />

er etwas ablässt von dem namenlosen Anderen, ein erneuter Schnitt,<br />

nun durch Raum und Zeit.<br />

Ein Müllwagen fährt durch das nächtliche Lissabon. Einer der<br />

beiden Männer, die hinten auf den kleinen Plattformen stehen, ist<br />

Sérgio. Er kommt aus dem Nichts der Nacht und wird am Ende auch<br />

wieder in ihm verschwinden. Mit den Menschen um ihn herum verbindet<br />

diesen jungen Mann fast nichts. Fatima, eine seiner Arbeitskolleginnen,<br />

ist sichtlich an ihm interessiert, aber er tut so, als nehme<br />

er die Signale nicht wahr. Als er schließlich doch reagiert, ist sie ob<br />

seiner animalischen Ungehemmtheit, seiner wilden Rohheit, entsetzt<br />

und stößt ihn von sich. Aber das berührt ihn längst nicht mehr.<br />

Sérgio, der zuvor nur Gefühle für den auf dem Gelände der Einsatzzentrale<br />

der Müllabfuhr lebenden Hund hatte, ist nun besessen<br />

von einem jungen Mann, bei dem er einmal Sperrmüll abgeholt hat.<br />

Aber auch dem kann er sich nur gleich einem Hund nähern, lauernd<br />

und schnüffelnd. Selbst die Sehnsucht schlägt um in ein rein instinktives<br />

Begehren. Einmal dringt er nachts in dessen leeres Zimmer ein<br />

und uriniert auf das Bett. Das Revier ist markiert, später wird er das<br />

Objekt seiner Begierde eben dort überwältigen und aus dem Fenster<br />

25<br />

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kino kino<br />

schmeißen. Danach gibt es für das Geschöpf, das einst Sérgio war, nur<br />

noch die Müllhalde, über die er streunt wie ein herrenloser Hund.<br />

Wie Sérgio ist auch Ana Cristina de Oliveiras Odete in João Pedro<br />

Rodrigues’ gleichnamigen zweiten <strong>Film</strong> eine Besessene, eine die Welt<br />

nach ihrem Willen formende Stalkerin. Sie, die Tag für Tag auf Rollschuhen<br />

durch die Gänge eines Supermarkts fährt und damit ihr Geld<br />

verdient, hat nur einen Wunsch. Sie will unbedingt ein Kind bekommen.<br />

Nur will ihr Freund, ein Sicherheitsmann im selben Supermarkt,<br />

davon nichts wissen. Also schmeißt sie ihn aus ihrer Wohnung und<br />

ihrem Leben. Aber da ist auch noch der 21-jährige Pedro, der im gleichen<br />

Haus gewohnt hat und gerade erst bei einem Autounfall ums<br />

Leben gekommen ist. Kurz zuvor hatten er und sein Geliebter Rui noch<br />

in einer nächtlichen Hochzeitstravestie Ringe getauscht … bis dass der<br />

Tod sie scheide. Minuten später war es dann so weit. Nun weht ein<br />

seltsamer Wind durch Odetes kleine Souterrainwohnung, ein Wind<br />

des Wandels, der sie auch weiter begleiten wird.<br />

Schon bald darauf ist Odete sicher, dass sie und Pedro sich<br />

unsterblich geliebt haben und dass sie sein Kind unter ihrem Herzen<br />

trägt. Nichts bringt sie von all dem ab, und der Wind ist von nun an<br />

ihr treuester Gefährte. Er trägt sie in Pedros Welt, erst einmal zu seiner<br />

verwitweten Mutter und schließlich auch zu Rui. Beide wollen<br />

ihr eigentlich nicht glauben und doch können sie sich ihr nicht entziehen.<br />

Selbst Ruis Selbstmordversuch bringt ihn letztlich nur näher<br />

zu ihr, die Pedro ähnlicher und ähnlicher wird, die sich die Haare so<br />

schneiden lässt, wie er sie trug, und seinen Kleiderschrank plündert.<br />

Am Ende haben sie und der Tote es dann geschafft. Sie ist mit Rui in<br />

dessen Wohnung und schläft mit ihm wie einst Pedro.<br />

Vor langer Zeit schon hatte António Cipiao (Fernando Santos)<br />

beschlossen, eine andere zu werden. Zusammen mit dem Nachtclub-<br />

Besitzer Teixeira hat er Tonia geschaffen. Als glamouröse Drag Queen<br />

mit einer langen blonden Lockenperücke war Tonia über Jahre hinweg<br />

der große Star des Clubs. Nur wird sie nun langsam älter und<br />

älter. Jenny, eine atemberaubende afrikanische Transsexuelle, einst<br />

von Tonia entdeckt, macht ihr den Platz und den Ruhm streitig. Zudem<br />

hatten Tonia immer Kraft und Mut gefehlt, ihre Verwandlung endgültig<br />

zu machen. Den letzten operativen Eingriff, der aus ihr tatsächlich<br />

eine Frau gemacht hätte, hat sie wieder und wieder hinausgeschoben.<br />

Antónios Wille hat Tonia erschaffen und dafür er hat unendlich viel in<br />

Kauf genommen, Schmerzen und Einsamkeit, den Verlust seines einzigen<br />

Sohnes, der sich von Tonia voller Verzweiflung und Wut abgewendet<br />

hat, und als streng gläubiger Katholik die Angst vor der Strafe<br />

Gottes. Aber über eines hatte auch Tonia keine Macht. Ihren Körper<br />

konnte sie nicht allein aus eigener Kraft vollständig umformen, und so<br />

ist sie schließlich nach überaus schmerzvollen Brustimplantaten auf<br />

etwa halbem Wege stehengeblieben.<br />

Nun sind es gerade diese Implantate, die Tonia mit aller Macht<br />

das Zerbrechliche, das Unfertige, ihrer Identität wie auch ihres<br />

Lebens, vor Augen führen. Aus einem Furunkel direkt an der linken<br />

Brustwarze fließt beinahe unablässig ein milchig-rotes Sekret. Eiter,<br />

Blut und Silikon vermischen sich zur einer Milch des Leidens und des<br />

Todes. Wie so viele andere Schmerzen und Verletzungen verheimlicht<br />

Tonia auch diese neue Wunde ihrer Wandlung so lange wie nur<br />

eben möglich. Doch dann bricht sie zusammen und kommt ins Krankenhaus.<br />

Die Implantate haben sich entzündet und müssen aus ihrem<br />

vom HIV geschwächten Körper heraus. Eine erneute Verwandlung<br />

steht bevor, und wieder trifft sie eine radikale Entscheidung: Tonia,<br />

die immer auch ein Ideal und ein Traum war, muss ganz verschwinden,<br />

und Antonio kehrt zurück, um als ein Mann zu sterben.<br />

O Fantasma, Odete, der in Deutschland unter dem Titel Two Drifters<br />

erschienen ist, und Morrrer Como Um Homem (To Die Like a<br />

Man) – sie alle sind Kapitel, oder eigentlich eher filmische Gesänge<br />

in einer noch längst nicht abgeschlossenen Chronik der Verwandlungen.<br />

Allerdings erzählt João Pedro Rodrigues anders als Ovid<br />

keinen bis in seine Gegenwart reichenden Schöpfungsmythos. Seine<br />

Oben: „O Fantasma“; Mitte: „Two Drifters“; unten: „To Die Like A Man“<br />

„Metamorphosen“ sind eher moderne Apokryphen, Alternativen zu<br />

den dominanten Erzählungen unserer Zeit und Welt. Die Götter, die<br />

bei Ovid noch der Motor allen Wandels sind, die den Menschen eine<br />

andere Gestalt geben und sie damit entweder strafen oder erhöhen,<br />

sind verschwunden. Zunächst wurden sie verdrängt von dem einen<br />

dreifaltigen Gott und seinen Heiligen, und dann sind sie vergessen<br />

worden. Die einzige Verwandlung, die das Christentum kennt und die<br />

João Pedro Rodrigues in einem gloriosen Moment am Ende von Morrer<br />

Como Um Homem auf seine wundervoll idiosynkratische Weise<br />

zitiert, kommt nach dem Tod. Wer schon im Leben ein anderer oder<br />

eine andere werden will, ist auf sich selbst gestellt.<br />

Sérgios Phantomwerdung, die Transmigration von Pedros Seele<br />

in den Körper von Odete und Tonias Passion, die nur in einer Wiederauferstehung<br />

gipfeln kann – João Pedro Rodrigues’ <strong>Film</strong>e erzählen<br />

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EDITIoN SALZGEBER<br />

von göttlichen Ereignissen in einer Welt ohne Gott. Psychologische Interpretationen verbieten<br />

sich also ganz von selbst, erst recht, wenn Rodrigues sie wie in Odete selbst andeutet. Für die<br />

Ärzte in dem Krankenhaus, in dem Odete nach einem Zusammenbruch landet, steht die Diagnose<br />

bald fest: Ihre Schwangerschaft sei nur Schein, eine Einbildung, das physische Produkt<br />

einer überaus seltenen psychischen Störung, die aber mit Hilfe von Medikamenten durchaus<br />

heilbar sei. Doch der Gedanke an eine Heilung hat in Rodrigues’ Zwischenwelt etwas gänzlich<br />

Abwegiges. Er ist mit einer normativen Vorstellung von Normalität verbunden, gegen die diese<br />

<strong>Film</strong>e mit aller Macht ankämpfen. Ideen und Fantasien werden in ihnen eben nicht nur im<br />

Kopf geboren. Sie sind keinesfalls nur Ausdruck bewusster und unbewusster Prozesse in der<br />

menschlichen Psyche. Auch der Körper, das Fleisch, hat seine ihm eigenen Fantasmen.<br />

Die Idee des „Neuen Fleisches“, der David Cronenberg solange in seinen <strong>Film</strong>en nachgegangen<br />

ist, erlebt in den Arbeiten João Pedro Rodrigues’ seine Metamorphose. Aus den aus<br />

dem Geist der modernen Wissenschaft und Technik geborenen SciFi- und Horror szenarien<br />

des kanadischen <strong>Film</strong>emachers werden im ursprünglichsten Sinne melo-dramatische Fiebervisionen.<br />

Die Gesellschaft mag ihre eingefahrenen und oft auch festgeschriebenen Vorstellungen<br />

haben. Doch in Wahrheit sind sowohl das Geschlecht und der Körper eines Menschen als<br />

auch das, was gemeinhin als Identität gilt, nahezu unendlich wandel- und verwandelbar. Das<br />

Flüchtige und Unbeständige des nur scheinbar Festen nährt ein überwältigendes, namenloses<br />

Begehren, in Sérgio wie in Odete und Tonia. Es ist eine Sehnsucht nach Freiheit jenseits<br />

der Grenzen des Vorbestimmten. Sérgio muss zum schwarzen Latexwesen, zu einem aus dem<br />

Menschen heraus gebrochenen Hund werden, Odete muss eins mit Pedro sein, und Tonia wird<br />

ihre tiefe Liebe für die Liebe erst nach ihrer letzten, der ultimativen Verwandlung ganz ausleben<br />

können.<br />

João Pedro Rodrigues’ Kino der Metamorphosen ist aber nicht nur eins der menschlichen<br />

Verwandlungen. Seine <strong>Film</strong>e selbst sind in einem ständigen Wandel begriffen. Auch in ihnen ist<br />

nichts festgefügt. Genregrenzen werden zwar immer wieder gezogen, aber nur um sie dann zu<br />

durchbrechen, das eine Genre mit dem anderen kurzzuschließen und einen Prozess in Gang zu<br />

halten, der fast einem Perpetuum mobile ewiger Transformation gleichkommt. Der enigmatische<br />

Erstling O Fantasma ist dabei ohne Frage noch seine am deutlichsten in sich geschlossene<br />

Arbeit, die eine klare Linie oder – wie Ekkehard Knörer es einmal formuliert hat – „ein Gesetz“<br />

hat. Es ist die Linie vom Dunkel ins Dunkel und das Gesetz des Triebs.<br />

Alleine der Einsatz der Musik, die Songs, die Sérgios Gang aus der Welt begleiten, lassen<br />

diesen filmischen Vektor ein wenig brüchig werden. In ihnen offenbart sich schon Rodrigues’<br />

Hang zum Melos, zu einem Erzählen, das aus der Musik geboren ist, und damit auch zum<br />

Musical. In Odete tritt er dann umso deutlicher in den Vordergrund. Mit „Moon River“, dem so<br />

berauschend traurigen Song aus Blakes Edwards Verfilmung von Truman Capotes „Breakfast<br />

at Tiffany’s“, hat er ein fast schon wagnerisches Leitmotiv, das nicht nur für Ruis und Pedros<br />

Liebe steht. Dieser Song hält vielmehr zusammen, was ansonsten mit aller Kraft auseinanderstrebt:<br />

das Melodramatische und das Satirische, das Sentimentale und das Kühl-Beobachtete.<br />

Schon in der ersten Szene des <strong>Film</strong>s, in der sich Rui und Pedro voneinander verabschieden<br />

und nicht ahnen, dass es für immer ist, reizt João Pedro Rodrigues so ziemlich jedes Klischee<br />

des Melodramatischen aus. Natürlich muss in dem Moment, in dem Rui den toten, blutüberströmten<br />

Pedro ein letztes Mal in seinen Armen hält, wie aus dem Nichts ein Wolkenbruch<br />

einsetzen. Ovids Götter mögen verschwunden und vergessen sein, aber angesichts einer Liebe<br />

wie dieser muss sich der Himmel öffnen. Was wie Ironie wirkt, gibt aber in Wahrheit dem<br />

Melodram zurück, was des Melodrams ist. Auch das ist ein elementarer Teil von João Pedro<br />

Rodrigues’ fortwährendem Metamorphosen-Projekt.<br />

Die Entwicklung von O Fantasma zu Morrer Como Um Homem ist eine der Öffnung und<br />

dabei eine konsequenter erzählerischer Wandlungen. Die innere Bewegung des <strong>Film</strong>s folgt<br />

weiterhin der einer Metamorphose. Allerdings tritt an die Stelle des einen Gesangs ein vielstimmiger<br />

Choral. João Pedro Rodrigues fächert Tonias Geschichte in eine Folge von Szenen<br />

und Variationen auf. Das Grundmotiv ist – frei nach dem Titel eines Lieds von Charles Aznavour<br />

– die Frage: „Was macht eine Frau eine Frau?“ Alles in Rodrigues’ grandiosem Melo-<br />

Drama verweist auf die Konstruktionen von Weiblichkeit, die in der Welt der Transvestiten<br />

und Transsexuellen sich ganz augenfällig als eben solche erweisen. Das Weibliche ist in der<br />

patriarchalischen Gesellschaft immer etwas Gemachtes, etwas durch Abgrenzung Erschaffenes,<br />

entweder erzwungen durch männliche Erwartungen oder aus eigener Kraft geboren.<br />

Tonias tragisches Scheitern und ihr später, dann aber wahrhaft göttlicher Triumph sind der<br />

Stoff eines großartigen, zutiefst erschütternden Klagegesangs, der sich schlussendlich nur in<br />

eine ebenso grandiose, zutiefst ergreifende Utopie verwandeln kann. s<br />

<strong>Film</strong>ografie João Pedro Rodrigues<br />

O Pastor (1988, Kurzfilm)<br />

Parabéns! (1997, Kurzfilm)<br />

Viagem À expo (1998, Dokumentarfilm)<br />

O fantasma (2000)<br />

Odete / Two Drifters (2005)<br />

China, China (2007, Kurzfilm)<br />

morrer Como Um homem /<br />

To Die like a man (2009)<br />

O Fantasma<br />

von João Pedro Rodrigues<br />

PT 2000, 90 Minuten, OmU<br />

Auf DVD<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

Two Drifters – Odete<br />

von João Pedro Rodrigues<br />

PT 2005, 98 Minuten, OmU<br />

Auf DVD<br />

Pro-Fun Media, www.pro-fun.de<br />

To Die Like A Man<br />

von João Pedro Rodrigues<br />

PT/FR 2009, 135 Minuten, OmU<br />

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de<br />

26 27<br />

Im Kino<br />

Frühjahr 2011


kino<br />

Drei<br />

von Tom Tykwer<br />

DE 2010, 119 Minuten, dt. OF<br />

X Verleih, www.x-verleih.de<br />

im Kino<br />

ab 23. Dezember<br />

MAUERPARKBIER<br />

von jan küneMund<br />

Tom Tykwer ist wieder zurück in Deutschland und dreht eine kleine Berliner Geschichte über drei<br />

ineinander verliebte Menschen. Wenigstens ist das der Ausgangspunkt. Denn dem leichten Liebes- und<br />

Beziehungsmodell stehen große Diskurse über erste und letzte Dinge gegenüber. Im Kino ab 23.12.<br />

s Eigentlich möchte man diesen <strong>Film</strong> gut finden, ihn verteidigen gegen die Detail-Nörgler und die an seinem Thema<br />

Nicht-Interessierten. Ausgerechnet Tom Tykwer, der Kino als geschlossenes System zu begreifen scheint und sich<br />

gerne darin einschließt, versucht einen offenen, verspielten Essay über die mutmaßlich nächstliegende Außenwelt,<br />

über die gebildeten, selbstständigen, kultur- (also an der Vermittlung von „Leben“) interessierten, mit den „Identitätlichkeiten“<br />

(Blixa Bargeld) hadernden und daher immer an ihrem Tun zweifelnden und Ich-Bedenken tragenden<br />

westeuropäischen Intellektuellen und ihrer Suche nach der Leichtigkeit. Und dreht eine kleine Geschichte über ein<br />

Berliner Heteropaar, das sich unabhängig voneinander und voreinander geheim gehalten in einen Mann verliebt. Denselben<br />

Mann. Sind wir in unserer Gesellschaft schon so weit?, fragt das Presseheft. Merkwürdigerweise nicht, sagen<br />

die Beteiligten. Interessiert uns das?, wird das Kinopublikum fragen.<br />

Eine Frage, die man sich tatsächlich angesichts des Ergebnisses stellt, ist allerdings, ob sich der <strong>Film</strong> mit allen<br />

formalen Konsequenzen für das gesellschaftliche Thema interessiert (also tatsächlich einen ‚queeren‘ Entwurf wagt),<br />

oder ob er sich (mit allen formalen Konsequenzen) für eine vertrackte, getrickste, verblüffende, provozierende, täuschende<br />

kleine Kinogeschichte interessiert. Auf beiden Ebenen hängt der <strong>Film</strong> einer Uneigentlichkeit nach. So wie<br />

die meisten Berliner KellnerInnen „eigentlich“ was anderes machen, machen auch die Figuren in diesem <strong>Film</strong>, die<br />

man ja alle lieb haben soll, irgendwas und wollen eigentlich was anderes machen. Und auch der <strong>Film</strong> selbst erzählt<br />

etwas und hält sich permanent offen, ob er nicht eigentlich was anderes erzählen will: Stammzellenforschung zum<br />

Beispiel, Tod, Kunst, Ethikrat. Und dieses Offenhalten als Haltung hat nichts damit zu tun, dass man mit Offenheit ins<br />

Außen, ins (meinetwegen) „Leben“, ins Unerforschte und Unkontrollierte schaut. Wie üblich bei Tykwer steckt Drei<br />

voller kleiner Taschenspielertricks, gestrickter Geschichtchen, <strong>Film</strong>zitate, kleiner Gags – all das, um immer wieder<br />

die Möglichkeiten des Kinos und eine Freiheit im Umgang mit ihnen zu behaupten. Und hinter dieser Behauptung<br />

steckt eigentlich der Kontrollwahn des Knöpfchendrückers, ein etwas verzweifelter Versuch, Menschen zu verblüffen<br />

und zu bezaubern, um von ihnen geliebt zu werden: Scherenschnitte,<br />

Engel über Berlin, Zahlenmystik in Splitscreen, Stummfilmgefake<br />

(der inflationäre „aged film“ Effekt) usw. Man kennt das alles (und<br />

erträgt es – auch mit mehr Nachsicht – genauso wenig) in filmstudentischen<br />

Arbeiten, die immer Handwerk zeigen wollen und doch<br />

eigentlich von einer Sehnsucht nach den Knöpfchen zeugen, die man<br />

einfach nur drücken muss. Und genügte das alles bei Tykwer noch<br />

nicht, so müssen die einzelnen Frank-Griebe-glatten Bilder so süffig<br />

geschnitten und mit Musik eingefettet werden, dass nur ja kein Stehenbleiben,<br />

Abstand nehmen und Augenwandern entsteht. Was anderes<br />

als das, was ein Tykwer will, soll man denn im absurden Bild einer<br />

Leichenwagenkutscherin Sophie Rois auf der Straße des 17. Junis in<br />

Schwarzweiß entdecken?<br />

Trotzdem möchte ich das mögen. Möchte das ernst nehmen als<br />

Bewegung ins Kleine, Zärtliche, Naheliegende, Leichte von drei<br />

Menschen, die sich finden und das Sich-Gefunden-Haben noch lösen<br />

müssen. Wie nervig und doch ok die Freiheit in einem Sonntagnachmittag-Mauerpark-Bier<br />

erzählt wird. Wie richtig das permanente<br />

Ins-Theater/Ballett/Kino/Museum-Laufen und das Keine-Haltung-<br />

Finden zu TV-Bildern aus Bagdad und Kabul ausgestellt wird. Wie<br />

schön das Bild der Hochspannungsleitungen ist, über die die schwere<br />

Erzählung einer prototypischen Beziehung gelegt wird. Und wie<br />

echt diese drei Schauspieler das spielen und wie schön sie in diesem<br />

<strong>Film</strong> auf die Leinwand gebracht werden, auch wenn sie dabei (so das<br />

Schlussbild) nur die Petrischale unter dem Erzählermikroskop ausfüllen.<br />

Einen derartig abgeschlossenen, zusammengezurrten Entwurf<br />

über Freies und Offenes – das knirscht. Aber es macht mal einer<br />

und füllt das auf mit einer Materialschlacht aus Diskursen, mit denen<br />

unser Nachdenken über Freiheit zu tun hat. In 20 Jahren werden wir<br />

wahrscheinlich sagen: Ja, so war das, so waren wir damals. Jetzt, im<br />

Kino, muss man den Wert des Genervtseins sehen und erkennen, dass<br />

ein Geschichtchenstricker einen gerade „verhandelt“, wie es in der<br />

Drei-Sprache so schön heißt. „Mach dir keinen Stress!“, sagt Adam<br />

zu Simon nach dem Sex. Schön. Aber es geht weiter: „Du musst dich<br />

nur verabschieden.“ Und noch weiter: „Von deinem deterministischen<br />

Biologieverständnis.“ Ist ja gut. s<br />

28 29<br />

kino<br />

X VERLEIH<br />

„Aufregender cineastischer Genremix”<br />

SPIEGEL.DE<br />

„Erweckt ein brilliantes Gedicht zum Leben”<br />

THE NEW YORK TIMES<br />

„Mutig, engagiert und einfallsreich”<br />

LOS LOS ANGELES ANGELES TIMES TIMES<br />

DAS GEDICHT EINER GENERATION<br />

DER BEAT EINER REVOLUTION<br />

JAMES FRANCO<br />

ist<br />

ALLEN GINSBERG<br />

DAS GEHEUL<br />

Ein <strong>Film</strong> von<br />

ROB ROB EPSTEIN & JEFFREY FRIEDMAN<br />

www.pandorafilm.de<br />

AB 6. JANUAR IM KINO


dvd<br />

EINER MUss<br />

Es JA MACHEN<br />

intervieW: nando rohner<br />

Scud, der Künstlername des Regisseurs, Produzenten und<br />

Drehbuchautors Danny Cheng Wan-Cheung, wirkt auf uns<br />

genauso eigenartig wie für Kenner des Hongkong-Kinos<br />

die offene Thematisierung von Homosexualität und die<br />

expliziten Nacktszenen in seinen <strong>Film</strong>en. Womit aber noch<br />

nicht ansatzweise umrissen wäre, wie wild, poetisch und<br />

originell Scud seine Kinogeschichten erzählt. Gerade sind<br />

die ersten beiden Spielfilme einer geplanten Trilogie in<br />

Deutschland auf DVD erschienen („Permanent Residence“ und<br />

„Amphetamine“). Also hat sich SISSY mal mit Scud getroffen<br />

und erfahren, unter welchen Bedingungen seine <strong>Film</strong>e in<br />

Hongkong entstehen.<br />

sissy: Hallo Scud, schön, dass Sie sich für uns Zeit nehmen. Wie kommt<br />

man eigentlich darauf, sich so zu nennen (englisch für „jagen“)?<br />

Scud: Das geht auf meinen chinesischen Namen zurück, der übersetzt<br />

„Jagende Wolken” bedeutet.<br />

Aha. Und wer steckt hinter diesem Künstlernamen?<br />

Ein ziemlich einsamer Mensch. Jemand, der viele Dinge macht, die<br />

andere Menschen nicht interessieren. Zum Beispiel als <strong>Film</strong>emacher<br />

zu arbeiten. Zum Beispiel solche <strong>Film</strong>e wie meine zu machen,<br />

mit denen man kein Geld verdient, was mir ja völlig klar ist, denn ich<br />

mache keine <strong>Film</strong>e, um damit Geld zu verdienen und finanziere sie<br />

komplett selbst. Aber wenn man mit seinen <strong>Film</strong>en nicht viel Geld<br />

verdient, dann ist man eben zwangsläufig einsam (lacht).<br />

Aber warum finanzieren Sie denn Ihre <strong>Film</strong>e komplett selbst?<br />

Um künstlerisch unabhängig zu sein, das war schon immer mein<br />

Traum. Ich will mir keine Gedanken darüber machen müssen, was<br />

andere Leute über mich und meine <strong>Film</strong>e denken. Außerdem gab es<br />

da eine traumatische Erfahrung: Bei meinem ersten <strong>Film</strong> habe ich mir<br />

Geld von meiner Mutter geborgt, was für beide Seiten nicht sonderlich<br />

befriedigend war. Allein, um mir nie wieder Geld von meiner Mutter<br />

borgen zu müssen, finanziere ich seitdem meine <strong>Film</strong>e selbst! (lacht).<br />

Wenn man etwas über künstlerische Arbeit in China hört, ist oft von<br />

Zensur die Rede. In Ihren <strong>Film</strong>en geht es explizit um Homosexualität.<br />

Wie schwierig ist es, sich im Hongkong-Kino mit diesem Thema zu<br />

befassen?<br />

Die <strong>Film</strong>e zu drehen ist nicht sonderlich schwer. Aber an den Kinokassen<br />

hat man damit natürlich keinen Erfolg. Doch für mich ist das<br />

in Ordnung. Die Schwulen in Hongkong trauen sich zwar nicht, sich<br />

Großes Foto links: „Permanent Residence“; kleine Fotos rechts: „Amphetamine“<br />

die <strong>Film</strong>e im Kino anzusehen, aber später kaufen sie die DVDs und<br />

sehen sie zu Hause, wo niemand sie deswegen verurteilt. Und die Vorstellung,<br />

dass meine <strong>Film</strong>e im Geheimen wahrgenommen und geliebt<br />

werden, ist sehr befriedigend.<br />

Darsteller im <strong>Film</strong> frontal nackt zu zeigen ist ja im Hongkong-Kino<br />

normalerweise nicht üblich, Sie machen das aber ständig. Ist das als<br />

Provokation gemeint?<br />

Nein, ganz und gar nicht. Ich bin immer wieder überrascht, wenn solche<br />

Szenen für einen Skandal sorgen (lacht). Für mich sind sie etwas<br />

vollkommen Normales, sie dienen der Story und der Atmosphäre<br />

des <strong>Film</strong>s. Skandale beweisen nur, wie konservativ die Zuschauer in<br />

Hongkong sind, im europäischen Kino würden solche Szenen keine<br />

derartige Reaktion nach sich ziehen. Weshalb ich als <strong>Film</strong>emacher<br />

auch eher eine Nähe zum europäischen Kino verspüre und weniger<br />

zum Kino aus Hongkong oder Asien im Allgemeinen.<br />

Macht Ihnen denn die <strong>Film</strong>crew keine Schwierigkeiten, wenn homoerotische<br />

oder die vorhin angesprochenen Nacktszenen gedreht werden sollen?<br />

Nein, das ist noch nie passiert. Ein Gegenbeispiel: Bei Permanent<br />

Residence habe ich mit Herman Yau als Kameramann gearbeitet, der<br />

in Hongkong selbst ein bekannter Regisseur ist und außerdem ein<br />

glücklich verheirateter Mann. Im <strong>Film</strong> gibt es eine intensive Liebesszene<br />

zwischen den beiden Hauptdarstellern, bei der ich mir nicht<br />

sicher war, ob man sie auch wirklich so intensiv umsetzen sollte. Doch<br />

Herman bestand darauf, weil er sich sicher war, dass die Szene im fertigen<br />

<strong>Film</strong> sehr romantisch wirken würde. Er wollte sie sogar noch<br />

intensiver haben. Er hat sich trotz anderer sexueller Vorlieben völlig<br />

in den <strong>Film</strong> und in meine Intention hineinversetzt. Das ist für mich<br />

als Regisseur eine tolle Erfahrung.<br />

PRo-FUN MEDIA (3)<br />

Permanent Residence<br />

von Scud<br />

HK/CH 2009, 112 Minuten, OmU<br />

Amphetamine<br />

von Scud<br />

HK/CH 2010, 97 Minuten, OmU<br />

Auf DVD<br />

beide bei Pro-Fun Media,<br />

www.pro-fun.de<br />

Wenn man einen genaueren Blick auf die alten Martial-Arts-<strong>Film</strong>e,<br />

aber auch auf die Hongkong-Gangsterfilme der 80er und 90er Jahre<br />

wirft, dann spürt man in all diesen <strong>Film</strong>en eine latente Homosexualität.<br />

Ist sich das Publikum in Hongkong dessen bewusst, oder wird dies eher<br />

ignoriert oder sogar verdrängt?<br />

Ich bin mir nicht sicher, wie ich darauf antworten soll. Ich denke,<br />

Homosexualität wurde schon immer im Hongkong-Kino behandelt.<br />

Nur wurde sie dem Publikum auf eine andere, eine indirekte Art präsentiert,<br />

als Männerfreundschaft zum Beispiel oder als eingeschworene<br />

Bruderschaft. Explizite Homosexualität gab es in <strong>Film</strong>en nur,<br />

um darüber Witze zu reißen. Über viele Jahre hinweg hat es in Hongkong<br />

keinen einzigen <strong>Film</strong> gegeben, in dem Homosexualität als solche<br />

im Mittelpunkt stand.<br />

Also gehen Sie ins andere Extrem, stellen Schwulsein explizit zur Schau<br />

und legen dadurch die existierenden gesellschaftlichen Vorurteile<br />

offen?<br />

Nein. Ich verfolge mit all meinen <strong>Film</strong>en keine soziale oder politische<br />

Intention. Ich möchte einfach nur eine gute Geschichte erzählen, die<br />

es meiner Meinung nach wert ist, erzählt zu werden. Selbstverständlich<br />

würde es mich freuen, wenn Menschen durch meine <strong>Film</strong>e toleranter<br />

und verständnisvoller werden. Mir geht es dabei aber nicht<br />

nur um Homosexualität, sondern um den Menschen an sich und<br />

seine Entfaltungsmöglichkeiten als Individuum. Ich versuche <strong>Film</strong>e<br />

zu machen, die mehr als nur Gay-Movies sind und auch anders funktionieren,<br />

als man es vielleicht von dieser Art von <strong>Film</strong>en erwarten<br />

würde. Ich gehe neue Wege und erzähle ungewöhnliche Geschichten.<br />

Wenn andere <strong>Film</strong>emacher es nicht machen, dann muss ich es<br />

halt tun. s<br />

30 31<br />

dvd


dvd<br />

süßwasser<br />

von Gunther GeltinGer<br />

In der allgemeinen Feier des aktuellen philippinischen Kinos wird der <strong>Film</strong>emacher Aureaus Solito meist<br />

etwas übergangen, obwohl sein Debütfilm „The Blossoming of Maximo oliveiros“ 2006 den Spielfilm-<br />

Teddy der Berlinale erhielt. Die ‚neue Welle‘ des philippinischen Kinos ist tatsächlich eine queere Bewegung,<br />

fast alle Regisseure berufen sich auf den legendären Lino Brocka, dessen „Macho Dancer“ 1988 ein eigenes<br />

Queerfilm-Genre begründete. Solitos letzter <strong>Film</strong> „Boy“, der jetzt in Deutschland auf DVD erscheint,<br />

versteht sich als Würdigung und gleichzeitig Dekonstruktion des Macho-Dancer-Genres.<br />

s Bis Boy das Lokal der Macho-Dancer betritt, besteht<br />

seine Welt aus den schmiegsamsten aller Elemente: aus<br />

Träumen, Worten und Wasser. Von seinen drängenden<br />

erotischen Phantasien erleichtert er sich mit der Hand,<br />

und was davon bleibt, versucht er, in einem Kurs für kreatives<br />

Schreiben in Sprache umzusetzen. Doch am ehesten<br />

scheinen ihn die stummen, rätselhaft schönen Fische zu<br />

verstehen, die er in Aquarien züchtet. Boys Zimmer ist<br />

eine Halbwelt aus Wasser und den Gedankenlabyrinthen<br />

eines Achtzehnjährigen. In diesem Privatraum ist der filmische<br />

Blick auf die Hauptfigur ein vielfach gebrochener,<br />

gespiegelt in den Glasscheiben der Becken, durchkreuzt<br />

von den schillernden Leibern tropischer Muschelbarsche.<br />

Als Boy mit großer Hingabe ein neues Aquarium<br />

einrichtet, ist das Bild zweigeteilt: über der Wasseroberfläche<br />

die Wirklichkeit mit Boys tatsächlich knabenhaftem<br />

Gesicht, darunter das Reich der Fische und Vorstellungen.<br />

Das Biotop, erklärt er, bilde die Bedingungen der<br />

Natur nach.<br />

Auch seine Gedichte sind Biotope, ein individueller<br />

Lebensraum in einer zerstörten oder von Zerstörung<br />

bedrohten Umwelt. Ein Biotop stellt das Natürliche künstlich<br />

her, um es zu erhalten, es ist ein Derivat von etwas<br />

Verlorenem. Boys Unterwasserlandschaften symbolisieren<br />

den Versuch, die Kindheit ins Erwachsensein hinüberzuretten,<br />

und Auraeus Solitos <strong>Film</strong> bildet das visuelle<br />

Aquarium dafür, eine intakte, aber stilisierte Welt, die<br />

sich farbmächtig gegen die Wüste der Realität stellt.<br />

Solitos letzter <strong>Film</strong> The Blossoming Of Maximo Oliveiros,<br />

der mit dem Teddy Award 2006 ausgezeichnet wurde,<br />

lebt von der Nähe der Kamera zu den Protagonisten, die<br />

sich nicht scheut, bei aller Schönheit des jungen Helden<br />

Maxi auch den Dreck seiner Lebenswelt in Szene zu setzen.<br />

In Boy geht der Regisseur nun einen gegenteiligen<br />

Weg: Das Glas der Aquarienwelt verwehrt dem Betrachter<br />

das Eintauchen in Boys Innenleben und lässt das von<br />

Armut und vormaliger politischer Repression geprägte<br />

Äußere einer philippinischen Großstadt wie eine Kulisse<br />

erscheinen, eine Art urbanes Ozeanarium und Gegenbild<br />

zum Biotop des Kinderzimmers, ebenso ästhetisch überhöht<br />

und dominiert von einem abwesenden Vater sowie<br />

einer ununterbrochen plappernden Gluckenmutter, die<br />

Boys schmalen Mund kaum zum Reden bringt.<br />

Als zu Beginn der Macho-Dancer die Bühne des einschlägigen<br />

Lokals betritt, steht dieser Mund vor Verwirrung<br />

halb offen. Amphibisch träge vollführt Aries seinen<br />

erotischen Tanz, und Boy flüchtet auf die Toilette, um seine Erektion<br />

zu entlasten, die härteste seines bisherigen Lebens beim Anblick von<br />

Jungen, die einen Harten haben, während sie durch ihr hartes Leben<br />

tanzen, wie es später in einem seiner noch eher hilflosen Gedichte<br />

heißt. Die Sichtblende am Urinal verbirgt seine Begierde und Angst,<br />

nur Belinda, die Puffmutter, sieht beides und nennt den Preis für<br />

Aries.<br />

Hier könnte die von Brüchen und Enttäuschungen geprägte<br />

Geschichte eines Jungen beginnen, der seine sexuelle Identität sucht<br />

und einen Stricher findet, dessen Zuneigung sich am eigenen Kaufwert<br />

bemisst. Doch die Fährte ist eine Falle, in die der Zuschauer<br />

tappt, während sein Blick von den makellosen Körpern ge- und verführt<br />

wird. Der Macho-Dancer mit seiner harten, laut Belinda an<br />

entscheidender Stelle übergroßen Männlichkeit erweist sich als Maskerade<br />

– unzählige Kamerablicke auf Aries’ Unterhose und in ein<br />

Gesicht, das derart erfüllt von ungestümen Verlangen nicht minder<br />

boyish ist, lassen am XL-Panzer des Strichers zweifeln. Nur, wer fest<br />

an die Notwendigkeit seines Biotops glaubt, findet die künstlichen –<br />

oder künstlerischen – Mittel, es zu erschaffen.<br />

Hartnäckig verweigert der Regisseur alles Kaputte in der Welt<br />

des jungen Paares und ordnet Dramaturgie und Ästhetik seines <strong>Film</strong>s<br />

dem Rausch der Verliebtheit unter. Das Knirschen möglicher Risse<br />

wird vom Gesäusel der Liebeslieder übertönt: Die Welt muss lernen,<br />

dass die Antwort Liebe ist, singt eine der Drag-Queens in der Show,<br />

und der <strong>Film</strong> folgt fast trotzig diesem Trugschluss. Nur die Geräusche<br />

der Aquarien in Boys Zimmer heben sich als eigenständige Ebene vom<br />

süßlichen Soundtrack ab: ein unterschwelliges Gluckern und Dröhnen<br />

aus dem Wasser. Hindurch beobachtet Solitos Kamera in der Silvesternacht<br />

den ersten Kuss, der von der Mutter unterbrochen wird.<br />

Mehrere Male entzieht sich Boy der Verführungstaktik des angeblichen<br />

Strichers, wie ein Junge, der sich vor einer nicht mehr kindgemäßen<br />

Aufgabe schmollend in die Ecke setzt. Als Aries ihn endlich<br />

überwältigt, vollzieht sich das Erste Mal gleichsam unter Wasser, in<br />

Boys Biotop; die Bewegungen der Körper verschmelzen mit denen der<br />

Fische, so genannter Teufelsangeln, die im Vordergrund durchs Bild<br />

stechen, anmutig, fremdartig und mit ihren nadelförmigen Leibern<br />

ein wenig bedrohlich.<br />

Später nimmt Aries Boy mit zu sich nach Hause, und wieder sind<br />

es die jugendlichen Körper mit ihrer Illusion ewigen Begehrens, die<br />

alles Schäbige des sozialen Milieus überstrahlen: Betrunken umtanzen<br />

sie sich in der Baracke, während an der Wand das Bild der Jungfrau<br />

Maria über die Reinheit der Szenen wacht, in denen Boy seine<br />

Unschuld verliert. Als er am nächsten Morgen ins grelle Licht blinzelt,<br />

sieht er zum ersten Mal nicht mehr kindlich aus: blass, abgefickt<br />

und versoffen kotzt er in eine Ecke. Die Kamera springt zurück und<br />

nimmt eine jähe Distanz zu den Figuren ein. Halb vom Gerümpel verstellt<br />

zeigt sie, wie Aries Boy die Schuhe bindet. Es ist Neujahr, das<br />

Feuerwerk längst verraucht, die aufgewallten Gefühle erkaltet. Ich<br />

will nach Hause, sagt Boy, wie einer, der sich verlaufen hat.<br />

Das Gedicht, das er später seiner Schreibgruppe vorstellt, hat<br />

er aus Liebeskummer verfasst. Es heißt B(u)oyancy, in den deutschen<br />

Untertiteln mit „Beschwingtheit“ übersetzt, und bündelt den<br />

Schwung eines jungen Dichters, der seine Sprache vom Wasser gelernt<br />

hat und von der Schwerelosigkeit der Fische. s<br />

Boy<br />

von Auraeus Solito<br />

PH 2009, 80 Minuten, OmU<br />

Auf DVD<br />

GM <strong>Film</strong>s, www.gmfilms.de<br />

32 33<br />

GM FILMS<br />

dvd<br />

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Olivier (32)<br />

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„Before Stonewall“ (Greta Schiller, Robert Rosenberg und Andrea Weiss, 1984)<br />

dIE EIGENE<br />

GEsCHICHTE<br />

von chriStoPh MeyrinG<br />

Die schwulen und lesbischen Bürgerrechtsbewegungen seit Ende der 1960er Jahre<br />

haben immer wieder auf eine Lücke in den Geschichtsbüchern und im Bewusstsein<br />

der homosexuellen ‚Community‘ hingewiesen: Es gibt kaum Dokumente einer<br />

‚eigenen Geschichte‘, dagegen massenweise falsche und klischeehafte Bilder, die sich<br />

der Mainstream vom schwulen und lesbischen Leben gemacht hat. Seitdem sind<br />

einige Dokumentarfilme entstanden, die diese Lücke erfolgreich geschlossen haben –<br />

die DVD-Box „Gay History“ versammelt fünf von ihnen.<br />

EDITIoN SALZGEBER<br />

s Wie stellt sich die Lage der Lesben und Schwulen gegenwärtig<br />

dar? Keine einfache Frage, denn zuerst ist zu fragen, wo eigentlich?<br />

Verlässt man nämlich die Grenzen der demokratisch geprägten westlichen<br />

Welt, ja verlässt man auch nur die Grenzen West- und Mitteleuropas,<br />

dann präsentiert sich die Lage gar nicht mehr rosig: Wer beispielsweise<br />

schon am anderen Ufer des Grenzflusses Oder vom anderen Ufer<br />

ist, hat nicht sonderlich viel Grund, sich im ursprünglichen wie im<br />

übertragenen Wortsinn „gay“ zu verhalten. Und betrachtet man das<br />

Ganze aus der Weltraumperspektive, so färbt sich der weitaus größte<br />

Teil unseres Globus ziemlich düster ein. In den übelsten Weltgegenden<br />

müssen diejenigen, die ihre Neigungen zum eigenen Geschlecht<br />

nicht sorgsam genug verbergen, sogar um ihr Leben fürchten, manche<br />

verlieren es tatsächlich. Und hierzulande? Hier, so darf mit Fug und<br />

Recht behauptet werden, hat sich die Lage während der letzten Jahre<br />

ziemlich gebessert, sowohl was die rechtliche Stellung der Homosexuellen<br />

betrifft als auch ihre gesellschaftliche Akzeptanz: FernsehmoderatoInnen,<br />

SchauspielerInnen, ProfessorInnen, Bürgermeister<br />

und selbst Minister outen sich mehr oder auch weniger freiwillig als<br />

andersrum, und das ist im sprichwörtlichen Sinne sicher auch gut<br />

so. Kaum eine Vorabendserie, die nicht mindestens eine gutgelaunte<br />

Lesbe oder ein gutgebautes Schwulenpaar gute und schlechte Zeiten<br />

durchleben lässt. Schon geht mancherorts die Rede davon, dass nun<br />

doch – bitteschön – alles erreicht sei. Die bunten Paraden anlässlich<br />

des Christopher Street Days, die alljährlich die Innenstädte bundesdeutscher<br />

Metropolen und sogar kleinerer Großstädte lautstark<br />

durchziehen, so heißt es zuweilen, seien auch nur noch nostalgischfolkloristische<br />

Party-Events, die ihren politischen Zweck, sofern sie<br />

denn überhaupt noch einen verfolgten, längst eingebüßt hätten. Nicht<br />

nur bei vielen jüngere Homos rufen Vokabeln wie „Community“ und<br />

Parolen wie „Fight for Gay Rights!“ bestenfalls Befremden hervor,<br />

als „Bewegungslesbe“ oder „Berufsschwuler“ möchte niemand mehr<br />

identifiziert werden, schon gar nicht aufgrund des Kleidungsstils. Und<br />

zu Recht möchte sich auch niemand mehr eine bestimmte schwule<br />

oder lesbische Identität aufzwingen lassen, schließlich ist man ein<br />

Individuum und kein wandelndes Klischeebild.<br />

Dass nun alles erreicht und in Butter sei, würden – allein aufgrund<br />

der objektiv zu beurteilenden Rechtslage – nun aber ernsthaft nicht<br />

einmal die größten Optimistinnen und gutgläubigsten Schönfärber<br />

behaupten, zumal auch niemand mehr so naiv ist, an einen ungebrochenen,<br />

linear verlaufenden Fortschritt zum Guten zu glauben, der<br />

im historischen Prozess auch eine gewisse Singularität beanspruchen<br />

könnte. Rückschläge also gibt es, und einige lassen sich sicherlich<br />

benennen. So kehrt mit dem Erstarken des Religiösen spürbar auch<br />

ein Erstarken religiös motivierter oder religiös verbrämter Ressentiments<br />

wieder, die sich zum Teil in offener Aggression artikulieren.<br />

Gewalttätigkeiten gegen Homosexuelle sind keineswegs aus dem<br />

Straßenbild verschwunden. Protagonisten einer sich als revolutionär<br />

gebärdenden Hip-Hop-Kultur, unter ihnen intellektuelle Größen wie<br />

Eminem und Bushido, kokettieren – immerhin kapitalistisch bauernschlau<br />

– mit dumpfestem Schwulenhass, während sie gleichzeitig<br />

heulsusig eine ach so problematische Jugend zu Markte tragen.<br />

Ihre jugendlichen Fans, die sich inszenieren als kämen sie aus der<br />

tiefsten Bronx, nicht selten aber in Hamburg-Eppendorf oder Berlin-<br />

Grunewald das Gymnasium besuchen, finden etwas „schwul“, wenn<br />

sie etwas bescheuert finden, eine sprachliche Praxis, die für den<br />

sprachgewandten „Zeit“-Kolumnisten Harald Martenstein erheiternder<br />

Weise rein gar nichts mit einer Abneigung gegen Schwule zu<br />

tun hat. Und Lesben, die es immer noch wagen, sich nicht wie eine<br />

Infotainment-Tussi zu stylen, sind sowieso trampelige „Kampflesben“.<br />

Merkwürdige Tendenzen artikulieren sich aber auch – immer<br />

noch oder wieder verstärkt? – unter den Betroffenen selbst, sofern sie<br />

sich überhaupt als Betroffene fühlen. Denn, wie schon ein flüchtiger<br />

Blick in eine Internet-Kontaktbörse wie „Gayromeo“ lehrt, verkehrt<br />

dort eine mehr als unrealistische Anzahl von Bisexuellen, offenbar<br />

weil – die durch fünf Profilfotos mit „Freundinnen“ unterstrichene<br />

– Bisexualität die Profilinhaber unschwuler oder im mathematisch<br />

exakten Sinne halb so schwul erscheinen lässt. Gesucht werden dann<br />

gerne „Normale“ oder „normal Gebliebene“ (wer oder was bildet hier<br />

die Norm?), da man sich selbst ja auch mit dem Gütesiegelbegriff<br />

„heterolike“ annonciert, der rein logisch betrachtet nichts anderes<br />

als (Selbst-) Abneigung offenbart und insofern auf die Vorschlagsliste<br />

zum Unwort des Jahres gehört. Und abgesehen von der vielfach<br />

erwünschten Distanz zur „Szene“ – von der man immer schon<br />

gerne gewusst hätte, wo sie nun jetzt gerade wieder tobt, und ob man<br />

eigentlich dazu gehört, wenn man gelegentlich am Wochenende an<br />

einschlägigen Orten das Tanzbein schwingt – hat sich in vielen Profilen<br />

ein regelrechter, in mackerhaft-aggressiver Tonlage vorgetragener<br />

Tuntenhass kultiviert: „Gender Trouble“ war gestern!?<br />

Die Lage, so will es – wie ohnehin meistens – scheinen, ist also<br />

unübersichtlich und – zwischen Zweckoptimismus und Kulturpessimismus<br />

hin und her schwankend – schwer zu beurteilen. Wenn das<br />

Gegenwärtige unklar ist, dann lohnt vielleicht ein Blick in die Vergangenheit,<br />

die immer kurz vor Weihnachten Hochkonjunktur hat, und<br />

zwar in Gestalt ebenso dickleibiger wie geschichtsschwangerer Empfehlungen<br />

für den Gabentisch. Populär- sowie hochwissenschaftliche<br />

Schmöker historischen Inhalts, zu nicht unbeträchtlichem Teil von<br />

Guido Knopp herausgegeben, stapeln sich nun wieder in den Buchläden:<br />

„Hitlers Helfer“, „Hitlers Frauen“, „Hitlers Kinder“, „Hitlers<br />

Kinder antworten“, „Die Geschichte Europas“, „Chronik der Weltgeschichte“,<br />

„Chronik der Deutschen“, „Chronik des 20. Jahrhunderts“<br />

etc. pp. Beworben werden die lehrreichen Werke häufig mit schulmeisterlich-hochtönenden<br />

Sätzen wie: „Nur wer die Grundlagen der<br />

eigenen Kultur kennt, entwickelt ein Verständnis für sich selbst und<br />

die eigene Identität“, oder solchen, in denen sich „die eigenen Wurzeln“<br />

und ihre „Bedeutung für die Wahrnehmung der Gegenwart“<br />

fest eingewurzelt haben. Ungeachtet der schwierigen Frage, inwieweit<br />

nun der Investiturstreit (1076–1122) oder der Siebenjährige<br />

Krieg (1756–1763) ganz real in die eigene Biographie intervenierten<br />

und dieserart an der Persönlichkeitsbildung mitwirkten, entbehren<br />

diese Aussagen mitunter ja nicht eines gewissen Wahrheitsgehaltes.<br />

Vielleicht aber dürfen historische Rückblicke ja zunächst auch einfach<br />

nur interessant und faszinierend sein. Die von der Edition Salzgeber<br />

herausgebrachte, gerade erschienene DVD-Box Gay History,<br />

eine filmische „Emanzipationsgeschichte des 20. Jahrhunderts“,<br />

ist es auf jeden Fall – womit sich dieser Text, passend zum Thema,<br />

nun frühzeitig und offenherzig als schriftliche Dauerwerbesendung<br />

geoutet hat. Und zwar reinsten Gewissens, denn die auf fünf DVDs<br />

im Schuber versammelten Dokumentarfilme dürfen mittlerweile mit<br />

Recht Klassiker-Status für sich in Anspruch nehmen.<br />

Zeitlich am frühesten innerhalb dieser „Chronik der Homos“ setzt<br />

Greta Schillers Before Stonewall (USA 1984, Co-Regie: Robert Rosenberg,<br />

Erzählerin: Rita Mae Brown) an, der es gemäß seines Titels<br />

unternimmt, die Geschichte der amerikanischen Lesben und Schwulen<br />

vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis zu den befreienden Krawallen<br />

rund um die Schwulenbar „Stonewall“ am 27. Juni im New Yorker<br />

Greenwich Village, die das Modell für die heutigen CSD-Paraden bilden,<br />

in Form einer Mixtur aus Zeitdokumenten (darunter z. T. äußerst<br />

komische Sequenzen aus alten Hollywood-<strong>Film</strong>en) und Interviews<br />

mithilfe einer ordnenden Erzählstimme zu rekonstruieren. Man<br />

erfährt dabei u.a., dass der Begriff „gay“ zunächst alle gesellschaftlich<br />

Randständigen bezeichnete, dass sich während der 1920er bis<br />

zur großen Depression der 1930er Jahre in Teilen einiger Metropolen<br />

(in New Yorks Harlem und Greenwich Village, San Franciscos Barbary<br />

Coast und New Orleans’ French Quarter) der erste homosexuelle<br />

Underground bildete, und dass der Zweite Weltkrieg dem homosexuellen<br />

Selbstverständnis überraschender Weise eher zuträglich war.<br />

Ausgerechnet über ihren Dienst in der Armee nämlich erfuhren viele<br />

aus der Provinz stammende Lesben und Schwule erstmals, dass sie<br />

34 35<br />

dvd


dvd<br />

Von oben: „The Times of Harvey Milk“ (Rob Epstein, 1984); „Common Threads – Stories<br />

From The Quilt“ (Robert Epstein und Jeffrey Friedman, 1989); „Paragraph 175“ (Robert<br />

Epstein und Jeffrey Friedman, 2000), „Verzaubert“ (Dorothée von Diepenbroick, Jörg<br />

Fockele, Jens Golombek, Dirk Hauska, Sylke Jehna, Claudia Kaltenbach, Ulrich Prehn,<br />

Johanna Reutter und Katrin Schmersahl, 1992)<br />

EDITIoN SALZGEBER (4)<br />

nicht die einzigen „Perversen“ und somit vielleicht gar nicht pervers<br />

waren. Da Frauen infolge kriegsbedingten Männermangels zu dieser<br />

Zeit an der Heimatfront in zivilen und militärischen Funktionen<br />

sehr gefragt waren, emanzipierten sich vor allem die Lesben, wie eine<br />

Zeitzeugin im Interview eindrucksvoll bestätigt: „Mein Bataillon war<br />

zu 97% lesbisch!“ Ferner berichtet sie von einer Episode, in der General<br />

Eisenhower ihr die Anweisung gab, alle Lesben aus ihrer Einheit<br />

zu entfernen. Auf ihren Einwand hin, dass dann die meisten, sie<br />

eingeschlossen, den Dienst quittieren müssten, sah sich der Kriegsheld<br />

schließlich kleinlaut zum Rückzug animiert: „Vergessen Sie den<br />

Befehl.“ Nach der Schilderung der düsteren McCarthy-Ära während<br />

der späten 1940er und frühen 1950er Jahre, in der Homosexuelle als<br />

potentielle Spione Moskaus verfolgt wurden („Unter McCarthy hatte<br />

man als Schwuler das Gefühl, man sei eine Mata Hari“), endet der<br />

<strong>Film</strong> mit den ersten Ansätzen eines homosexuellen Selbstbewusstseins<br />

(in Gestalt von Interessensverbänden und Zeitschriften wie<br />

„Out“ und „Mattachine Revue“), welche durch die Bürgerrechtsbewegungen<br />

der 50er und 60er („Black Power“, Women’s Liberation“,<br />

Hippiebewegung) wesentlich katalysiert wurden.<br />

Eine Galionsfigur der amerikanischen Lesben- und Schwulenbewegung<br />

stellt Rob Epsteins Oscar-prämierter Dokumentarfilm The<br />

Times of Harvey Milk (USA 1984, Erzähler: Harvey Fierstein) mit<br />

dem besagten Aktivisten und späteren Stadtrat von San Francisco<br />

in den Mittelpunkt. Das Charisma Milks, dessen Leben und Wirken<br />

von seinen Anfängen als Inhaber eines kleinen Fotoladens im Castro-<br />

Viertel bis hin zu seiner Ermordung im Rathaus durch eine Montage<br />

von zeitgenössischen Medienberichten mit Interviews und Erzählerkommentaren<br />

nachgezeichnet wird, blitzt immer dann am eindrucksvollsten<br />

auf, wenn die Kamera ihn redend und argumentierend zeigt.<br />

In diesen Momenten wird klar, warum er so erfolgreich Menschen<br />

überzeugen und Massen mobilisieren konnte. Haarsträubendes ist<br />

zum Ende zu erfahren, sofern der erzkonservative Ex-Stadtrat Dan<br />

White, der Milk sowie den liberalen Bürgermeister George Moscone<br />

am 27.11.1978 nacheinander durch mehrere Kugeln in ihren Amtszimmern<br />

niederstreckte und auf beide noch schoss, als sie bereits am<br />

Boden lagen, im Gerichtsverfahren erfolgreich mildernde Umstände<br />

geltend machen konnte. Nach nur acht Jahren Haft war er schon im<br />

Jahr 1984 wieder auf freiem Fuß.<br />

Den achtziger Jahren, der Dekade von Aids, wendet sich Robert<br />

Epsteins und Jeffrey Friedmans ebenfalls mit dem Oscar ausgezeichneter<br />

Dokumentarfilm Common Threads – Stories From The Quilt<br />

(USA 1989, Erzähler: Dustin Hoffman, Musik: Bobby McFerrin) zu.<br />

Den Ausgangspunkt der Darstellung bildet der „Auds-Memorial-<br />

Quilt“, eine riesiges, aus tausenden, von den Hinterbliebenen für<br />

die Opfer gestalteten Einzelsegmenten zusammengesetztes, 1987<br />

begonnenes und seitdem stetig expandierendes Textil-Kunstwerk,<br />

das 1996 letztmals auf der National Mall in Washington D.C. ausgebreitet<br />

wurde. Der Blick der <strong>Film</strong>emacher geht zunächst vom Großen<br />

aufs Kleine, dergestalt, dass durch Interviews mit Hinterbliebenen<br />

mehrere, sehr unterschiedliche und bewegende Einzelschicksale –<br />

darunter ein drogensüchtiger Ehemann, ein hämophiles Kind, ein<br />

schwuler Vater – vorgestellt werden. Sofern diese Einzelschicksale<br />

mit der damaligen gesellschaftlich-politischen Situation, die durch<br />

allerhand filmische Zeitdokumente verständlich gemacht wird, auf<br />

tragische Weise eng verwoben sind, setzt sich aus den biographischen<br />

Puzzleteilen nach und nach schließlich eine Geschichte der Krankheit<br />

im Amerika der 1980er Jahre zusammen. Und diese Geschichte<br />

stellt kein Ruhmesblatt für die Administration des seinerzeit amtierenden<br />

Präsidenten Ronald Reagan dar, der das Wort Aids 1985 – als<br />

sich schon Tausende mit dem Virus angesteckt hatten – erstmals<br />

überhaupt aussprach und wenig Neigung zeigte, ausreichend finanzielle<br />

Mittel für die Erforschung und Bekämpfung der „Schwulenpest“<br />

zur Verfügung zu stellen. 1989, zum Zeitpunkt der Entstehung des<br />

<strong>Film</strong>s, belief sich die Anzahl der Infizierten bereits auf über 100.000,<br />

ca. 59.000 Menschen waren bereits gestorben, mehr als im Vietnamkrieg. Eine Erfahrung, die<br />

man sonst tatsächlich nur aus Kriegszeiten kennt, machten damals vor allem schwule Männer,<br />

denn nicht wenige verloren binnen kurzer Zeit ihren gesamten Freundeskreis.<br />

Eine große Rolle spielt der Krieg, in diesem Fall der Zweite Weltkrieg, auch im vielfach<br />

preisgekrönten und 2000 im Rahmen der Berlinale uraufgeführten Dokumentarfilm Paragraph<br />

175 (GB/DE/USA 2000, Erzähler: Rupert Everett), mit der sich die Amerikaner Epstein<br />

und Friedman (mit Hilfe des Historikers Klaus Müller) nun einer dezidiert deutschen Problematik<br />

annehmen. Der <strong>Film</strong> versucht eine bewusst offen gelassene und deshalb skandalöse<br />

Lücke der Geschichtsschreibung zumindest ansatzweise zu schließen und kommt dabei, wie<br />

er selbst zugibt, fast schon zu spät. Denn die meisten Betroffenen, in erster Linie homosexuelle<br />

Männer, waren zum Zeitpunkt der Dreharbeiten schon altersbedingt verstorben. Die wenigen<br />

aber, die den Nazi-Terror überstanden haben (etwa 100.000 Homosexuelle sind inhaftiert<br />

und gefoltert worden, darunter 10.000–15.000 in Konzentrationslagern; Von diesen haben nur<br />

etwa zehn überlebt) und über ihre Verfolgung und Misshandlung während dieser Schreckenszeit<br />

noch vor der Kamera Auskunft geben konnten, tun dies in unglaublich eindringlicher und<br />

ebenso unterschiedlicher Art und Weise: Ein Zeitzeuge wirkt fast heiter, ein anderer analytisch-abwägend,<br />

der nächste greisenhaft-sanftmütig, ein weiterer lässt Scham (!) erkennen,<br />

gibt an, noch mit niemandem über seine Erlebnisse gesprochen zu haben, und fängt im Verlauf<br />

seiner Erinnerungen bitterlich an zu weinen – und nur einer schreit seinen gerechten Zorn<br />

über das erlittene Unrecht laut aus sich heraus. Stark wirkt der <strong>Film</strong> aber auch darin, dass<br />

er mitdokumentiert, wie die Opfer zum Sprechen ermutigt wurden und wo ihre Auskunftsbereitschaft<br />

endete. Der Anfang des <strong>Film</strong>s, der durchgängig mit faszinierenden historischen<br />

Bilddokumenten aufwartet, schildert die – auch für die Homosexuellen beiderlei Geschlechts<br />

– goldenen 20er-Jahre, in denen der – ursprünglich aus dem preußischen Landrecht von 1794<br />

stammende, in der Folgezeit mehrfach ver- und entschärfte und tatsächlich erst 1994 vollständig<br />

aufgehobene – Diskriminierungsparagraph 175 weitgehend ignoriert wurde. „Man<br />

konnte“, so die einzige Zeitzeugin über die Lage im Weimar-Berlin, „tun, was man wollte.“<br />

Umso erschreckender wirkt dann der Rückfall in die Barbarei der Naziherrschaft.<br />

Ebenfalls mit der Nazi-, darüber hinaus aber auch mit der Nachkriegszeit, den 1950er und<br />

1960er Jahren, beschäftigt sich Verzaubert (DE 1993), der letzte und einzige (rein) deutsche<br />

der fünf Dokumentarfilme, der vor allem auf – nicht minder eindrucksvolle – Zeitzeugeninterviews<br />

setzt, die durch historische – allerdings zumeist fotografische – Bilddokumente ergänzt<br />

werden. Dass der sieben Jahre früher als der methodisch ähnlich verfahrende Paragraph 175<br />

entstandene Streifen allein visuell etwas weniger professionell und aufwendig anmutet, stellt<br />

eher ein Wunder als ein Manko dar, sofern er von neun Hamburger Studierenden unter schwierigen<br />

finanziellen Bedingungen realisiert wurde. Den Titel der filmischen Kraftanstrengung<br />

erklärt gleich zu Anfang eine der Interviewten, die den neumodischen Begriffen „schwul“<br />

und „lesbisch“ wenig abgewinnen kann und „verzaubert“ eindeutig zauberhafter findet. Eine<br />

andere, deren tragische Vergangenheit merkliche Züge von Verbitterung hinterlassen hat,<br />

bezeichnet die Verzauberten durchgängig in ihrer historischen Terminologie als „Freundschaftsfrauen“<br />

bzw. „Freundschaftsmänner“. Einer dieser älteren Freundschaftsmänner, der<br />

die Hölle von Auschwitz überlebt hat, beschreibt seine Zeit im Lager dann – mehr erschütternder<br />

als befremdlicher Weise – als insgesamt gar nicht so schlimm, offenbar um nicht so viel<br />

Aufhebens von seinem Schicksal zu machen. Verzaubert versteht aber nicht nur zu erschüttern,<br />

sondern auch zu bezaubern, z.B. dann, wenn die sehr unterschiedlichen älteren Damen<br />

und Herren zum Teil in norddeutschem Dialekt mit viel Charme und Witz davon berichten,<br />

wie sie über lange Zeit ihre soziale Umwelt getäuscht und die Obrigkeit ausgetrickst haben.<br />

Und fast wie nebenbei setzt sich aus den Interviewaussagen ein verschüttetes oder bewusst<br />

verdrängtes, auf jeden Fall aber faszinierendes Stück Hamburger Stadtgeschichte zusammen,<br />

das bis weit in die Zeit der jungen Bundesrepublik hineinreicht. Dass, wie auch zu erfahren<br />

ist, die Verhaftungen aufgrund des weiterhin wirksamen § 175 noch nach Kriegsende anhielten<br />

und selbst vor KZ-Überlebenden nicht halt machten, woraufhin sich einige von ihnen das<br />

Leben nahmen, bedeutet für unseren Staat allerdings eine ausgesprochene Schande, die nur<br />

ungern angesprochen wird.<br />

Abgesehen davon, dass man tatsächlich froh ist, im Hier und Jetzt zu leben – in diesem Fall<br />

wirkt der berüchtigte Satz von der „Gnade der späten Geburt“ gar nicht mehr so abwegig –,<br />

mag sich nach Durchsicht der fünf großartigen Dokumentarfilme mitunter auch die eine oder<br />

andere Einsicht vermittelt haben. Vielleicht diese, dass es eine klar definierbare lesbische oder<br />

schwule Identität wohl zu keiner Zeit gegeben hat, sondern vielmehr schon immer zahlreiche<br />

höchst unterschiedliche Lebens- und Selbstentwürfe nebeneinander existierten. Vielleicht<br />

aber auch jene, dass ohne einen massenhaften, solidarischen und entschlossenen Zusammenschluss<br />

von Lesben und Schwulen – unter- und miteinander –, man nenne dies nun Community<br />

oder sonst wie, niemals auch nur der geringste Fortschritt zum Besseren erzielt wurde. Ist das<br />

jetzt schon Geschichtsbewusstsein? s<br />

Gay History<br />

Emanzipationsgeschichte des<br />

20. Jahrhunderts. 5 DVDs im<br />

Schuber.<br />

Box und Einzel-DVDs bei der<br />

Edition Salzgeber,<br />

www.salzgeber.de<br />

Before Stonewall<br />

von Greta Schiller, Robert<br />

Rosenberg, Andrea Weiss<br />

US 1984, 87 Minuten, OmU<br />

The Tmes of Harvey Milk<br />

von Robert Epstein<br />

US 1984, 90 Minuten, OmU<br />

Common Threads –<br />

Stories from the Quilt<br />

von Robert Epstein, Jeffrey Friedman<br />

US 1989, 79 Minuten, DF, OmU<br />

Paragraph 175<br />

von Robert Epstein, Jeffrey Friedman<br />

US 1999, 75 Minuten, OmU<br />

Before Stonewall<br />

von Dorothée von Diepenbroick,<br />

Jörg Fockele, Jens Golombek, Dirk<br />

Hauska, Sylke Jehna, Claudia Kaltenbach,<br />

Ulrich Prehn, Johanna Reutter,<br />

Katrin Schmersahl<br />

DE 1992, 89 Minuten, dt. OF<br />

36 37<br />

dvd


nachruf<br />

MARTIN BüssER<br />

(1968–2010)<br />

von BirGit Binder<br />

Am 23. September ist Martin Büsser gestorben. Der Autor, Journalist, Herausgeber,<br />

Musiker war ein leidenschaftlicher und unvergleichlicher Zusammen-Denker von<br />

Queer- und Poptheorie. Aus einem Streit mit ihm über die angebliche DVD-Brache im<br />

Arthousebereich wurde sehr schnell eine Freundschaft, wenig später konnten wir ihn<br />

schon als Autor für die SISSY gewinnen. Erinnerungen an eine Stimme, die uns fehlt.<br />

Scans aus dem Bildroman „Der Junge von nebenan“ von Martin Büsser,<br />

erschienen im Verbrecher Verlag 2009, 108 Seiten, broschur. (www.verbrecherei.de).<br />

„Wer die Gefühle verbieten will, die möglicherweise zur Flucht führen<br />

können, setzt stets schon voraus, den eigentlich richtigen Weg, also ‚die<br />

Realität‘ zu kennen und ist gefährlich nahe an jenen inzwischen geflügelten<br />

Worten von Arno Schmidt: ‚Nur die Phantasielosen flüchten in<br />

die Realität und zerschellen dann, wie billich, daran.‘“<br />

MARTIN BüSSER: „THE ART oF NoISE – EINE KLEINE GESCHICHTE DER SoUND CULTURE“,<br />

IN: TESTCARD #3, S. 18.<br />

s Seine Stimme sprach über die Musik, die er liebte und auflegte im<br />

Radio, in Texten über <strong>Film</strong> & Kunst, zuletzt hinterließ er uns einen<br />

queeren Bildroman, „Der Junge von nebenan“. Als Mitbegründer des<br />

Ventil-Verlags gab er ab 1995 die „testcard“ mit heraus, fast scheint<br />

es, als sei eine bestimmte Zeit mit ihm gegangen. Ich habe nicht das<br />

Glück gehabt, Martin Büsser sagen zu können, wie singulär entscheidend<br />

er wohl nicht nur für mein Leben war und immer wieder ist,<br />

wenn ich seine Texte lese, Zeichnungen anschaue oder seine Stimme<br />

höre. Ich habe eines Abends nach der Todesnachricht geweint, weil<br />

ich mit Wucht erkannte: Wir alle haben ein Archiv verloren und sind<br />

jetzt zurückgeworfen auf das, was er uns hinterlassen hat und das,<br />

was wir auch daraus und damit und deswegen in unserem Leben entstehen<br />

lassen. In Nachrufen können wir lesen, dass Martin Büsser,<br />

Autor und Verleger, DJ, Zeichner, Theoretiker, Künstler, popkultureller<br />

Ethnologe ohne Spiegel und darum konzentriert und kritisch<br />

selbstreflexiv seinen Regionen gegenüber – sei es örtlich, politisch,<br />

geschlechtlich – sich immer wieder eingemischt, Diskurszeit bis aufs<br />

äußerste genutzt hat, und wie uneitel er sich artikulierte.<br />

Martin Büsser schrieb regelmäßig Plattenkritiken für „Intro“,<br />

hielt beißende Vorträge wie „Geschlechterverhältnisse in Punk- und<br />

Hardcore-Szene“ im Jenseits-der-Geschlechtergrenze-Podcast der<br />

ag queerstudies hamburg („Diese Hymne auf den Analverkehr, Frankie<br />

goes to Hollywood, ‚RELAX, don’t do it – if you wanna come, …‘“)<br />

oder schreibt „Fragmente einer Porno-Komparatistik“, deren Analyse<br />

offenbart, was ihr Titel verspricht „For Your Pleasure“ (testcard #17:<br />

„sex“). Seit ich diesen Text gelesen habe, bekomme ich immer häufiger<br />

die Fresse auf und sage: Ich bin schwul und transgender und<br />

das ist o.k. so, und ja, manchmal, da macht mir das Freude. Martin<br />

Büssers Tod erinnert daran, wie wenigen Menschen, die sich Männer<br />

nennen, sich manche von uns nahe fühlen können. So nahe, dass zu<br />

wissen, dass es nur einen von ihnen gegeben haben mag, der die Zartheit<br />

und Schärfe besaß, uns Diskurszeit zu geben und immer wieder<br />

für sie zu sprechen gut genug ist, um weiter zu machen. So gut genug,<br />

dass ich den Satz „Selbst wenn es“ (das Leben!) „die meiste Zeit zum<br />

Kotzen ist“ aus „Lang leben die Könige! Vom Ereignis des Kingen“ (in:<br />

Hot Topic, hg. Von Sonja Eismann, Ventil Verlag) streichen mag, wenn<br />

es einen Martin Büsser zu geben vermochte auf diesem Planeten.<br />

Im Paradox, dass wir nicht nur (mit) Punk leben, wortwörtlich<br />

und qua Etymologie dieses Wortes (Knastslang, „vergewaltigte Mitinsassen<br />

und Schwule“), während Homophobie immer wieder an die<br />

Oberfläche dessen gerät, was unter Punk verstanden werden sollte<br />

und wird. Ein Paradox, das abstrahiert bedeutet, dass die allerorts<br />

stattfindenden Auslöschungen unserer queeren Geschichte als „der<br />

Geschichte“ zugehörig verramscht werden anstatt daraus die revolutionären<br />

Splitter in unseren Leben zusammenzusetzen, „If the kids<br />

are united“.<br />

„schnell, sexy, schön, vergänglich“ zitiert Martin Büsser Diedrich<br />

Diedrichsen in einem Vortrag („Testcard und Popkritik in Deuschland“).<br />

Auch wenn Martin Büsser dieses Wort einmal „leidig“ nannte,<br />

„schnell, sexy, schön, vergänglich“, mit einem kritischen Gedächtnis<br />

AUTHENTISCH warst Du auch. Deine „Lipstick Traces“ sollen uns<br />

noch lange haften bleiben und in Atem halten. RIP Martin Büsser. s<br />

Martin Büsser: Geschlechterverhältnisse in der Punk- und Hardcore-<br />

Szene. Podcast-Vortrag vom 07. Mai 2008, AGQueerStudies, Hamburg:www.agqueerstudies.de/martin-busser-geschlechterverhaltnisse-in-der-punk-und-hardcore-szene<br />

Martin Büsser: „Testcard“ und Popkritik in Deutschland. Vortrag im<br />

Wiener „Depot“, Juli 1998: www.txt.de/testcard/buesser<br />

www.pechsaftha.de<br />

www.testcard.de<br />

www.icantrelaxin.de<br />

38 39<br />

nachruf


filmflirt<br />

der Moment<br />

Friedrich KröhnKe Flirtet mit „capote“<br />

Kaum jemand hat in Deutschland hinreißendere Geschichten über die tragikomische Sehnsucht nicht mehr<br />

ganz so junger Herren nach dem moralisch beanstandeten Glück geschrieben. Auch das Kino spielt bei<br />

Friedrich Kröhnke immer eine Rolle. In dem bekanntesten seiner vielen Romane erzählt Friedrich Kröhnke<br />

vom Leben und Sterben seiner besten Freundin „Helen“ als Geschichte der Kinofilme, die sie gemeinsam<br />

gesehen haben („Wie in schönen <strong>Film</strong>en“). Es folgte eine Novelle über die mythenumwobene letzte Highway-Fahrt<br />

des Regisseurs Murnau („Murnau. Eine Fahrt“). Zuletzt erschien „Ein Geheimnisbuch“.<br />

s Ach wer von uns ist schon ein Truman Capote! Du<br />

nicht und ich nicht … Plötzlich in der New Yorker Literatenszene<br />

aufschlagender blonder Knirps, der scheinbar<br />

ein kleiner Junge ist und jedenfalls ein von Gott begnadeter<br />

Erzähler. Du nicht und ich nicht. Verfasser wundervoller<br />

Geschichten aus den Südstaaten über verrückte<br />

Knäblein und ihnen in Verrücktheit nicht nachstehende<br />

alte Damen. Autor von Geschichten wie „A Christmas<br />

Memory“ und „A Diamond Guitar“, für die zu danken<br />

man jedes Jahr einmal seine Urne tätscheln und küssen<br />

sollte. Du nicht und ich nicht der auf Partys umringte<br />

boshafte Plauderer mit der Fistelstimme. Und doch …<br />

Wir mögen es, meine Freundin und ich, im Xenon zu<br />

sitzen. Biopics! Wir mögen überhaupt das Xenon, aber<br />

erst recht, wenn Biopics gezeigt werden. Nach dem über<br />

Kinsey letztens, dem über Françoise Sagan unlängst setzen<br />

wir uns genüsslich, den kleinen großen Capote zu<br />

sehen, Autos von früher und wogende Weizenfelder, den<br />

Tod und den Tratsch.<br />

Da sitzen wir in den hinfälligen Sesseln, ich trink<br />

mein Bier aus der Dose, und nach und nach, irritiert,<br />

bemerken wir, es ist ein schlimmer <strong>Film</strong>, und bemerken<br />

wir: Das bin ja ich! Das bist ja du …<br />

Alles ist da, wie ich es kenne! … Der Klassenkasper,<br />

der später zum Schwulen wird, gefangen in seinem Kerker<br />

aus Angeberei, Parodie, Geschwätz und Begabung.<br />

Der eitle Schriftsteller, der, fasziniert von den gewalttätigen<br />

schönen Biestern, Umgang mit ihnen pflegt, verliebt<br />

in sie ist, sie zugleich, schlau, als Stoff, als Material<br />

nutzt, froh ist, sie auch wieder fallen lassen zu können.<br />

Die Freundin, die da ist, wenn er die dummen Kriminellen<br />

mit den blitzenden Augen los sein will. Und ohne die<br />

er nichts wäre. Und die, ohne so viel Wind zu machen,<br />

ihrerseits Beachtliches leistet …<br />

Eine alles dieses bis zum Äußersten treibende Parabel:<br />

die hilflose Faszination, die Blasiertheit, die Freundin,<br />

sogar meine Phantasien vom Elektrischen Stuhl –<br />

aber als wahre Geschichte um Leben und Tod und so sehr<br />

trist, ein so sehr harter <strong>Film</strong>.<br />

Und all das ist so genau gearbeitet, jede Farbe, jeder<br />

Schal, jeder schale Scherz. Und all das spielt uns mit dem<br />

Gewicht einer ganzen Persönlichkeit Philip Seymour<br />

Hoffman, den wir schon als Gegenspieler des jungen Tom<br />

Ripley im 1950er Italien liebten, manchmal so fotografiert,<br />

dass man nur das Gesicht dessen, mit dem er redet,<br />

sieht und von T.C. nur die große Brille – und spielt uns<br />

Catherine Keener als Harper Lee wie so eine Art Christa<br />

Wolf aus Amerika …<br />

40<br />

Betreten erkennt der Schriftsteller Kröhnke aus Berlin:<br />

Du Schreck, auch ich bin Capote. Und wohl ein paar<br />

mehr, die sich während des Abspanns aus dem Xenon<br />

schleichen, die haben sich auch ertappt gefühlt …<br />

Und wir sitzen noch drin und wünschten so sehr, wir<br />

wären gleich zu Anfang in das schöne alte Auto gestiegen,<br />

du ans Steuer, versteht sich, und wären aus Kansas<br />

weggefahren, du und ich, Harper Lee und T.C. Durch<br />

besagte Weizenfelder immer nach Süden, abends Wein<br />

und Motels und den Fatalitäten der Gier nach jugendlichen<br />

Männern entkommen – nach Alabama und in die<br />

Kindheit. Niemand wäre erschossen worden, niemand<br />

hingerichtet und noch jede Spottdrossel am Leben. s<br />

Capote<br />

von Bennett Miller<br />

US/CA 2005, 110 Minuten, DF<br />

Auf DVD<br />

Sony Pictures Home Entert.,<br />

www.sphe.de<br />

Wie in schönen <strong>Film</strong>en<br />

von Friedrich Kröhnke<br />

Roman, 156 Seiten<br />

Ammann Verlag,<br />

www.ammann.ch<br />

Murnau<br />

von Friedrich Kröhnke<br />

Novelle, 72 Seiten<br />

Rimbaud Verlag,<br />

www.rimbaud.de<br />

SoNY PICTURES<br />

Ein Geheimnisbuch<br />

von Friedrich Kröhnke<br />

Roman, 144 Seiten<br />

Ammann Verlag,<br />

www.ammann.ch<br />

Neu auf dVd<br />

von Maike Schultz (MS), chriStoPh MeyrinG (cM), Peter SchMidt (PeSch) und jan küneMund (jk)<br />

PEPI, LUCI, BOM UND DER REST DER<br />

BANDE<br />

ES 1980, Regie: Pedro Almodóvar, Universum<br />

Nachdem Pepi (Carmen<br />

Maura) in ihrer Wohnung<br />

von einem fiesen Polizisten,<br />

der ihre kleine Dope-<br />

Plantage auf dem Balkon<br />

erspäht hat, rüde vergewaltigt<br />

worden ist, sinnt<br />

sie auf Vergeltung. Zu diesem<br />

Zweck heuert sie ihre<br />

Freundin Bom (Olvido „Alaska“ Gara) und deren<br />

Kumpels von der Punk-Band „Bomitoni“ an.<br />

Die schlagen mit dem Zwillingsbruder des gesetzlosen<br />

Gesetzeshüters aber leider den Falschen<br />

krankenhausreif. Immer noch rachedurstig<br />

machen sich Pepi und Bom daraufhin an die<br />

Polizistengattin Luci (Eva Siva) heran, vorgeblich,<br />

um bei ihr Strickunterricht zu nehmen.<br />

Überraschenderweise outet sich die äußerlich<br />

so biedere Hausfrau im Verlauf der verkrampften<br />

Handarbeitsversuche als knallharte Masochistin.<br />

Da sie somit bestens in das Beuteraster<br />

der dominanten Bom passt – „Vierzig und<br />

schlaff, genau wie ich’s mag!“ – verlässt sie kurzentschlossen<br />

ihren Gatten, um der minderjährigen<br />

Punkerin fortan als Sexsklavin dienstbar<br />

zu sein. Gemeinsam machen Pepi, Luci und<br />

Bom nun die aufblühende Undergroundszene<br />

Madrids unsicher. Bis Luci plötzlich von der<br />

Bildfläche verschwindet … Da der Regisseur damals<br />

noch hauptberuflich bei der staatlichen<br />

Telefónica beschäftigt war, konnte Pedro Almodóvars<br />

Kinoerstling aus dem Jahr 1980 nur am<br />

späten Nachmittag und an Wochenenden gedreht<br />

werden. Der Comic-hafte, schrillbunte<br />

Streifen, der zuweilen an die Trash-Movies<br />

John Waters’ erinnert, ist noch unverkennbar<br />

ein Produkt der Subkulturbewegung „Movida<br />

madilena“, lässt aber bereits die Handschrift<br />

des Meisters erkennen. Zahlreiche Tabubrüche<br />

– inhaltlicher wie technischer Art – scheinen<br />

dabei einkalkuliert. Denn, so Almodóvar selbst:<br />

„Wenn ein <strong>Film</strong> ein oder zwei Fehler hat, ist das<br />

nur ein unvollkommener <strong>Film</strong>. Wenn dagegen<br />

diese Fehler derart überhand nehmen, wird es<br />

zum Stil.“ Gemeinsam mit Zerrissene Umarmungen<br />

ergänzt Pepi, Luci, Bom (OmU) die sehr<br />

ansprechend ausgestattete große Pedro-Almodóvar-Edition,<br />

deren letzte Lücke demnächst<br />

mit der DVD-Version des nekrophilen Stierkampfdramas<br />

Matador (1986) geschlossen werden<br />

wird. cm<br />

DU SOLLST NIChT LIEBEN<br />

IL/FR/DE 2009, Regie: Haim Tabakman, Edition Salzgeber<br />

Der Jerusalemer Fleischer<br />

Aaron, ultraorthodoxer<br />

Jude, verheiratet und Vater<br />

von drei Kindern, verliebt<br />

sich in Ezri, einen<br />

22-jährigen Jeshiva-Schüler,<br />

den er als Lehrling in<br />

seinem Geschäft anstellt<br />

und in seine Familie aufnimmt,<br />

nachdem der Regen ihn ihm vor die<br />

Füße gespült hat. „Tabakman schafft es mit für<br />

einen Debütanten traumhafter Sicherheit, weder<br />

Aarons Liebe zu Ezri, noch die zu seiner Familie<br />

und zu seinem Gott zu denunzieren, sondern<br />

zeigt, unterstützt von einem wunderbaren<br />

Ensemble, wo die Schwierigkeiten liegen, wenn<br />

das Herz größer wird als der Verstand erlaubt.<br />

Sein Hauptdarsteller Zohar Strauss ist für seine<br />

Bravourleistung mit dem Darstellerpreis des Jerusalemer<br />

<strong>Film</strong>festivals bedacht worden und<br />

der israelische Popstar Ran Danker liefert als<br />

Ezri eine nicht nur den Augen schmeichelnde<br />

Vorstellung ab. Der stilistisch vielleicht am<br />

ehesten mit Rosselini und dem cinéma verité<br />

vergleichbare <strong>Film</strong> lässt seine Darsteller in Ruhe<br />

und überfrachtet seine Bilder nicht. Tabakman<br />

weiß um das Potential seiner Geschichte und<br />

tut gut daran, ihm zu vertrauen.“ (Paul Schulz<br />

in der SISSY 1/10)<br />

TOO MUCh PUSSY! FEMINIST SLUTS<br />

IN ThE QUEER X ShOW<br />

FR 2010, Regie: Emilie Jouvet, GM <strong>Film</strong>s<br />

Bei diesen Feministinnen<br />

würden Alice Schwarzer<br />

sicher die (Achsel-)Haare<br />

zu Berge stehen: Eine Sexarbeiterin,<br />

eine Stripperin<br />

und ein paar Pornostars<br />

ziehen gemeinsam mit anderen<br />

willigen Damen aus,<br />

der Welt das Fürchten zu<br />

nehmen. Vor der eigenen Vagina etwa, die bei<br />

Performance-Shows vom Publikum ertastet<br />

und mit einer Lupe beguckt werden darf. Um<br />

eine sex-positive Einstellung zu vermitteln, touren<br />

die sieben Frauen im Bus quer durch Europa,<br />

zeigen ihren Gebärmutterhals auf Berliner<br />

Bauwagenplätzen und führen Fesselspiele in<br />

Pariser Underground-Clubs vor. Wenn es sein<br />

muss auch schon mal mit der Herrentoilette als<br />

Backstage-Bereich, wie bei den Outgames in<br />

Kopenhagen. Die französische Fotografin und<br />

Regisseurin Emilie Jouvet (One Night Stand)<br />

hat die Aktivistinnen einen Sommer lang begleitet<br />

und daraus die sehenswerte Doku Too Much<br />

Pussy! Feminist Sluts In The Queer X Show gemacht.<br />

Auch dass Wendy Delorme & Co es mit<br />

ihren provokanten Auftritten nicht immer leicht<br />

haben, zeigt der <strong>Film</strong>: „Too Much Pussy!“ lautet<br />

die Reaktion eines prüden Clubbetreibers, der<br />

den Frauen kurzerhand die Bühnenzeit kürzt.<br />

Unterwegs bekommen sie SMS von der Freundin<br />

zu Hause, tauschen Vergewaltigungsfantasien<br />

aus und haben – natürlich – Sex. Nur schade,<br />

dass der DVD als Bonusmaterial nicht die<br />

unzensierte Fassung beiliegt, die Jouvet für das<br />

Pornfilmfestival Berlin gedreht hat. ms<br />

ThE OWLS<br />

US 2010, Regie: Cheryl Dunye, Pro-Fun Media<br />

frisch ausgepackt<br />

Was bleibt, wenn eine<br />

Gruppe wie Riot Grrrls in<br />

die Jahre kommt? Wenn<br />

vom Sex,-Drugs&Rockn’Roll-Leben<br />

nur noch die<br />

Alkoholsucht übrig ist?<br />

Viel weiser sind die Frauen<br />

in Cheryl Dunyes <strong>Film</strong><br />

mit dem Alter jedenfalls<br />

nicht geworden, wie es der Titel (Older Wiser<br />

Lesbians = OWLs) verheißt. In ihrem Berlinale-Beitrag<br />

2010 erzählt die Teddy-Gewinnerin<br />

(The Watermelon Woman) von der fiktiven Lesbenband<br />

Screech. Früher besangen die vier<br />

Musikerinnen die feministische Revolution,<br />

nun bröckeln Karriere, Beziehungen und<br />

Freundschaft: Frontfrau Iris ertränkt ihre<br />

Profilsucht in Cocktails, während ihre Ex MJ<br />

einsam vor dem Laptop masturbiert; Carol und<br />

Lily kompensieren ihre Entfremdung dagegen<br />

mit einem Kinderwunsch. Als bei einer Party<br />

ein Mädchen stirbt und Carols Gärtnerin anfängt,<br />

unangenehme Fragen zu stellen, müssen<br />

sich die Frauen erneut zusammenraufen.<br />

In einer raffinierten Genre-Kreuzung aus<br />

Thriller und pseudo-dokumentarischen Interviews<br />

wird der Todesfall rekonstruiert – und<br />

offenbart sich nur als Gipfel eines Eisbergs aus<br />

unausgesprochenen Problemen. Teamwork ist<br />

alles bei The Owls, auch hinter der Kamera.<br />

Cheryl Dunye und ihre Produzenten luden<br />

vorm Dreh eine Gruppe queerer Künstler ein.<br />

So entstand das vielversprechende „Parliament<br />

Collective“, das die Geschichte gemein-<br />

41


frisch ausgepackt<br />

sam entwickelte – und mit Darstellerinnen wie<br />

Guinevere Turner (Go Fish, The L Word), Lisa<br />

Gornick (Tick Tock Lullaby) und Deak Evgenikos<br />

(Itty Bitty Titty Committee) viele bekannte<br />

Gesichter der Szene versammelt. ms<br />

DAKAN – SChICKSAL<br />

GN/FR 1997, Regie: Mohamed Camara, Edition Salzgeber<br />

Logline: „Der erste schwule<br />

<strong>Film</strong> aus Westafrika.“<br />

Und beim emanzipierten<br />

Draufblick auf eine der<br />

vielen Diskriminierungsregionen<br />

klingt da auch<br />

ein „Na endlich!“ mit.<br />

Doch hier wird nichts<br />

nachgeholt, sondern poetisch<br />

und soziologisch präzise kontextualisiert.<br />

Eine Liebe zweier Männer in Guinea ist keine<br />

Sensation, hat aber andere Konsequenzen für<br />

das Umfeld und die Liebenden, und das zeigt<br />

dieser Spielfilm mit einem milden, sehr humanistischen<br />

Blick. Für die Eltern steht die wirtschaftliche<br />

und soziale Existenz auf dem Spiel,<br />

und die beiden von ihren Familien geliebten<br />

Jungs brechen unter diesem Druck zusammen,<br />

obwohl sie sich ihrer selbst und ihrer Gefühle<br />

völlig sicher sind. Im Zeigen, wie sie versuchen,<br />

Gefühl und Verantwortung zusammenzubringen,<br />

fängt der <strong>Film</strong> sehr uneuropäisch an zu<br />

schweben – im Treiben von Fischerboten, im<br />

Rauschen des Urwaldregens, in den Trancen<br />

der Heilungsrituale, im Sound der fantastischen<br />

Musik von Sory Kouyate. Und nicht zuletzt<br />

im strahlenden Lächeln, mit dem Sory der<br />

fassungslosen Ärztin erklärt, warum er in der<br />

Schule einen Schwächeanfall hatte: „Ich bin in<br />

einen Jungen verliebt!“ jk<br />

ChLOE<br />

US/CA/FR 2009, Regie: Atom Egoyan, Kinowelt<br />

Dana Stevens schrieb im<br />

Slate Magazine, es gäbe<br />

zwei gute Gründe, sich<br />

Chloe anzusehen: die<br />

nackte Amanda Seyfried<br />

und die nackte Julianne<br />

Moore. So was traut man<br />

sich hierzulande ja höchstens<br />

als Zitat aufzuschreiben.<br />

Wobei die Nacktheit in diesem <strong>Film</strong> äußerst<br />

vielschichtig ist, wie immer alles in Atom<br />

Egoyans <strong>Film</strong>en äußerst vielschichtig ist, weswegen<br />

es auch immer homoerotische Untertöne<br />

darin gibt, weil es überhaupt vor allem Untertöne<br />

darin gibt. Das ist nicht nur ein Erotikthriller<br />

über zwei Frauen und einen Mann, sondern<br />

eine sich immer weiter zusammenziehende<br />

Studie über das ständige Eingreifen in die Intimität<br />

des Anderen, darüber, dass nichts in Körpern<br />

und Gesichtern eindeutig lesbar ist und<br />

dass Transparenz auf keinen Fall für Durch-<br />

42<br />

blick sorgt. Vierter Hauptdarsteller: das Ravine<br />

House von Drew Mandel, das Absonderung und<br />

völlige Durchdringung erzählt – es steht in Toronto<br />

und ist einer von vielen Unbehausungen,<br />

die Egoyan als Drehorte nutzt. Es gibt den<br />

ängstlichen Blick frei auf das Unergründliche<br />

in den makellosen Gesichtern von Moore und<br />

Seyfried und die maßlose Grausamkeit, die sie<br />

sich und anderen aus lauter Anziehung antun.<br />

Dazwischen: Bilder von großer Schönheit, kristalline<br />

Wintermärchenstimmung, kratzende<br />

Orchesterwellen. Die Lesbe wieder als böse<br />

Verführerin, werden viele sagen. Kaltes Formexperiment,<br />

andere. Aber der Hauch aus giftiger<br />

Schönheit hängt noch in der Luft, nachdem<br />

man sich die Augen gerieben hat. jk<br />

PATRIK 1,5<br />

SE 2008, Regie: Ella Lemhagen, Edition Salzgeber<br />

Ein schwules Paar möchte<br />

bürgerlich werden und die<br />

Adoptionsbehörde bedient<br />

ihren Kinderwunsch gemeinerweise<br />

mit einem<br />

15-jährigen homophoben,<br />

kleinkriminellen Teenager.<br />

„Es gelingt Ella Lemhagen,<br />

aus einem simplen<br />

dramaturgischen Einfall ein Drama zu kreieren,<br />

das auf vielen verschiedenen Ebenen funktioniert:<br />

Schonungslos entlarvt sie die Verlogenheit<br />

des schönen Scheins, in dem sich die Nachbarschaft<br />

des Männerpaares ihr warmes Nest<br />

errichtet hat. Und nicht minder behutsam nutzt<br />

sie den pöbelnden Teenager in diesem Mikrokosmos<br />

als Spiegel, um ein Psychogramm der<br />

beiden Hauptfiguren zu zeichnen.“ (Maike<br />

Schultz in SISSY 3/10)<br />

PERMANENT RESIDENCE,<br />

HK 2009, Regie: Scud, Pro-Fun Media<br />

Normalerweise warten<br />

<strong>Film</strong>emacher ja ein bisschen,<br />

bevor sie sich einen<br />

8 ½ in ihrer <strong>Film</strong>ografie<br />

gönnen. Schließlich will<br />

man ja was zu erzählen<br />

haben, bevor man so was<br />

macht. Das chinesische<br />

Regiewunderkind Scud,<br />

das bei der Berlinale 2010 mit seinem erst dritten<br />

<strong>Film</strong> Amphetamine positiv auffiel, erzählt in<br />

seinem zweiten, semiautobiografischen Werk<br />

aber einfach die Geschichte seines ersten <strong>Film</strong>s:<br />

Junges IT-Genie kommt nach Hongkong, um<br />

dort einen Baseballfilm zu drehen, der sich<br />

nicht so recht zwischen Sport und Softcorepornografie<br />

entscheiden mag und ein Kritikererfolg<br />

wird. Parallel verliebt er sich in den heterosexuellen<br />

Windson und sieht keinen Stich, auch<br />

wenn die beiden schönen Männer ständig miteinander<br />

ringen, baden, schmusen und Händ-<br />

chenhalten. Man muss das verstehen: Was bei<br />

uns auf erotischer Ebene aussieht wie die<br />

schwule Version von Schulmädchenreport, ist<br />

für asiatische Augen Die 100 Tage von Sodom<br />

und sein Regisseur deswegen eine gefeierte<br />

Skandalnudel. Gefeiert wohl und auch vor allem<br />

dafür, das er so ein fantastischer Handwerker<br />

ist. Permanent Residence strotzt vor tollen,<br />

interessanten Bildern, die man sehr gern ansieht,<br />

auch wenn sie keinen erzählerischen Sinn<br />

haben. Wenn Scud den irgendwann finden sollte,<br />

wird er ein echtes Meisterwerk drehen. Bis<br />

dahin kann er gern weiter <strong>Film</strong>e machen, die<br />

nur aussehen, als wären sie welche. pesch<br />

PLAN B<br />

AR 2009, Regie: Marco Berger, Pro-Fun Media<br />

Wolfgang Tillmans bedauert<br />

(in der „Zeit“ nicht<br />

abgedruckt) das vernachlässigte<br />

Arschloch des<br />

Heteromannes, Tom Tykwer<br />

(Drei) kümmert sich<br />

darum und Lynn Shelton<br />

(Humpday) lässt ihre<br />

Männer zumindest darüber<br />

reden … Heteromännlichkeit steht gerade<br />

mancherorts als solche zur Disposition. In<br />

Marco Bergers <strong>Film</strong> ist Schwulsein wenigstens<br />

ein Plan B, wenn Plan A heißt: die Freundin an<br />

sich binden. Brunos Freundin ist abgehauen<br />

und er versucht absurderweise die Verführung<br />

ihres Freundes, weil er gehört hat, dass der<br />

auch Männer mag. Soweit so Story. Und funktioniert<br />

ja auch alles gar nicht. Wie sich das Ganze<br />

aber entwickelt, langsam, eindringlich,<br />

schüchtern, ohne dass sich der <strong>Film</strong> jemals über<br />

die in ihrer Männlichkeit verunsicherten Jungs<br />

lustig macht, ist berührend und besonders. Natürlich<br />

interessiert das am Ende wieder nur die<br />

schwulen <strong>Film</strong>fans. Aber so einfach sind diese<br />

Grenzen eben nur im Zielgruppenmarketing zu<br />

ziehen. jk<br />

AMPhETAMIN<br />

HK 2010, Regie: Scud, Pro-Fun Media<br />

Daniel, ein erfolgreicher<br />

und wohlhabender Finanzmanager,<br />

ist gerade<br />

erst nach Hong Kong in<br />

ein schickes Penthouse<br />

gezogen, als er dem hübschen<br />

Kafka begegnet,<br />

der ihn sofort magisch<br />

anzieht. Die Attraktion ist<br />

durchaus beidseitig. Kafka allerdings, der als<br />

Schwimmtrainer arbeitet und aus der Unterschicht<br />

stammt, ähnelt den Texten seines berühmten<br />

Namensvetters insofern, als er sehr<br />

unzugänglich und rätselhaft wirkt. Bald findet<br />

Daniel heraus, dass Kafka süchtig nach Amphetamin<br />

ist. Doch dies scheint nicht sein ein-<br />

ziges Geheimnis zu sein … Obwohl die zuweilen<br />

allzu pathetischen Dialoge nicht gerade<br />

nobelpreisverdächtig anmuten und auch die<br />

Bildsymbolik des <strong>Film</strong>s wenig mit kafkaesker<br />

Vieldeutigkeit zu tun hat, versteht diese Liebesgeschichte<br />

durchaus zu verführen. Denn<br />

sie ist äußerst aufwendig und rasant gefilmt<br />

und überrascht durch blitzlichtartige Vorausdeutungen<br />

und Rückblenden im Stil der Videoclip-Ästhetik.<br />

Vor allem innerhalb der Sequenz,<br />

in der sich die beiden Protagonisten am<br />

Gummiseil todesmutig von einer Hafenbrücke<br />

in die Tiefe stürzen, agiert die Kamera wie auf<br />

Droge und erzeugt ein Schwindelgefühl, das<br />

nicht nur Akrophobikern den Angstschweiß<br />

auf die Stirn treiben wird. cm<br />

TAXI ZUM KLO – JUBILÄUMSEDITION<br />

DE 1980, Regie: Frank Ripploh, Pro-Fun Media<br />

„Taxi to the Toilet sahen in<br />

New York 200.000 Besucher.<br />

Eingespielt hatte er<br />

allein dort 1 Million Dollar.<br />

In Boston wurde er<br />

zum besten fremdsprachigen<br />

<strong>Film</strong> gekürt. In der<br />

BRD wurde er ebenfalls<br />

Kult. In den Kinos. Auf<br />

den Festivals (Hof, dann Saarbrücken mit dem<br />

renommierten Max-Ophüls-Preis). Aber weil<br />

das damals alles so war, bräuchte das heute<br />

nicht interessieren. Das Sensationelle ist doch,<br />

dass das, was <strong>Film</strong>-Einmalereignis der frühen<br />

achtziger Jahre war, auch heute funktioniert.<br />

Aus dem Stand. Jedenfalls bei mir. Mehr kann<br />

ich ja nicht sagen. Ich rede doch keinem etwas<br />

ein. Aber ich gönne allen die Fahrt mit dem Taxi<br />

zum Klo.“ (Dietrich Kuhlbrodt in SISSY 3/10)<br />

LOVE OF SIAM<br />

TH 2007, Regie: Chookiat Sakveerakul, Pro-Fun Media<br />

„Meine Seele zittert / Mein<br />

Herz bebt vor Angst.“ Sowas<br />

singt eine Schülerband<br />

aus lauter Jungs, die<br />

noch kaum einen Flaum<br />

über der Oberlippe haben.<br />

Das ist pathetisch und süß<br />

zugleich. Und so sind die<br />

ganzen 150 Minuten dieses<br />

<strong>Film</strong>s. Es geht – aber so richtig! – um die Liebe.<br />

Und im Mittelpunkt steht ein schwuler<br />

Teenager, der seit Kindertagen in den Nachbarsjungen<br />

verliebt ist. Jetzt ist Mew Sänger,<br />

Komponist und Texter besagter Schülerband<br />

und am Siam Square trifft der den zwischenzeitlich<br />

verlorenen Freund Tong wieder – und<br />

nun zittert seine Seele und sein Herz bebt. Das<br />

ist ganz schön gewagt für thailändisches Mainstreamkino.<br />

Und das Publikum, das geschickt<br />

in eine übliche (also heterosexuelle) Teenieromanze<br />

gelockt wurde, musste wohl auch ganz<br />

schön schlucken, hat der Regisseur erzählt. Erzählt<br />

wird aber noch viel mehr, mit ziemlich<br />

viel Personal. Über Liebe und Trauer und Liebe<br />

und Enttäuschungen und Liebe. Und am Ende<br />

steht folgerichtig kein Coming-Out und schon<br />

gar kein erlösender Sex, sondern ein Liebes-<br />

Bekenntnis. Und die Kamera zeigt, wie sich<br />

Fliegen auf Strohhalmen aus der Limonade retten<br />

und wie jemand beim Christbaumschmücken<br />

nach langer Überlegung lieber eine männliche<br />

als eine weibliche Figur aufhängt. Das ist<br />

sehr süß und ein bisschen pathetisch. jk<br />

PEACOCK<br />

USA 2010, Regie: Michael Lander, Kinowelt<br />

Es ist absolut nachvollziehbar,<br />

warum Peacock<br />

mit guten Schauspielern<br />

um sich werfen kann. Ellen<br />

Page, Susan Sarandon<br />

und Bill Pullman haben in<br />

Michael Landers als Thriller<br />

getarnter 50er-Jahre-<br />

Charakterstudie jede<br />

Menge wunderbarer Dinge zu arbeiten und sind<br />

als junge Mutter, alternde Matrone und irrer<br />

Postangestellter gegen ihren eigentlichen Typ<br />

besetzt. Stinken allerdings auch alle gegen Cillian<br />

Murphy ab. Denn der darf als Hauptfigur mit<br />

gespaltener Persönlichkeit gleich zwei tolle Rollen<br />

spielen: John, einen etwas mausigen Kleinstadtbewohner,<br />

und Emma, eine etwas mausige<br />

Kleinstadtbewohnerin, die sich dringend von<br />

ihrer männlichen Persönlichkeitshälfte emanzipieren<br />

möchte und dafür allerlei Übles anzettelt,<br />

wovon der Herr im Körper jedoch nichts<br />

weiß. Es ist nach Breakfast on Pluto schon das<br />

zweite Mal, dass Murphy als weibliches Wesen<br />

absolut überzeugt und wenn die Qualität seiner<br />

Darbietungen so bleibt, darf er das gern noch<br />

öfter machen. Peacock erfreut neben seinem<br />

fantastischen Ensemble vor allem dadurch, dass<br />

er so komplex und geduldig erzählt ist. Manche<br />

Menschen werden das langweilig finden, SISSY<br />

findet das unglaublich toll. pesch<br />

LE FIL – SPUR UNSERER SEhNSUChT<br />

FR/BE/TN 2009, Regie: Mehdi Ben Attia, Pro-Fun Media<br />

Der Pressetext behauptet:<br />

„Kurz nach dem Tod seines<br />

Vaters kehrt der attraktive<br />

Jungarchitekt<br />

Malik (Antonin Stahly) in<br />

seine Heimat Tunesien<br />

zurück – und in den Schoß<br />

seiner Mutter.“ Unschöne<br />

ödipale Vorstellung. Auch<br />

wenn Maliks Mama von der immer noch hinreißenden<br />

Claudia Cardinale gespielt wird. Zutreffend<br />

ist: Malik kommt aus Frankreich zurück<br />

nach Tunesien und damit auch zurück in<br />

eine Welt voller Moralvorstellungen, die er in-<br />

nerlich längst abgestreift hat. Bis Mama ihn mit<br />

dem hübschen Gärtner Bilal (Salim Kechiouche)<br />

im Bett erwischen kann, ist es da noch ein<br />

weiter Weg. Auf dem das Mamasöhnchen unter<br />

anderem das Angebot seiner besten lesbischen<br />

Freundin annimmt, mit ihr ein Kind zu zeugen<br />

und sie zu heiraten. Am Ende sind alle glücklich<br />

geoutet und Oma, Enkel, beide Väter und beide<br />

Mütter tollen zusammen am Strand herum. Für<br />

den ersten tunesischen <strong>Film</strong> zum Thema Homosexualität<br />

überhaupt ein gewagtes Statement.<br />

pesch<br />

SUNDAY, BLOODY SUNDAY<br />

UK 1971, Regie: John Schlesinger, CMV Laservision<br />

John Schlesingers klassisches<br />

Drama über eine<br />

fragile Dreierbeziehung<br />

zweier Männer und einer<br />

Frau. „Selbst in der privilegierten<br />

Welt, in der sich<br />

David, Bob und Alex bewegen,<br />

scheinen die in den<br />

60er Jahren gelebten Freiheiten<br />

nach und nach zu schwinden. Der Traum<br />

einer ganzen Gesellschaft von einem Leben in<br />

Offenheit ist schon wieder zu einem Vorrecht<br />

einer Klasse geworden. Aber in John Schlesingers<br />

<strong>Film</strong> bleibt er trotz allem lebendig, in der<br />

Selbstverständlichkeit, mit der David und Bob<br />

ihr Begehren ausleben, und in dem innigen, von<br />

Liebe und Zärtlichkeit erfüllten Kuss, mit dem<br />

Peter Finch und Murray Head Kinogeschichte<br />

geschrieben haben.“ (Sascha Westphal in SIS-<br />

SY 3/10)<br />

A LOVE TO hIDE<br />

frisch ausgepackt<br />

FR 2005, Regie: Christian Faure, CMV Laservision<br />

Außer Bent gibt es keine<br />

herausragenden Spielfilme<br />

über Schwule im Dritten<br />

Reich. Das ändert auch<br />

A Love to Hide nicht, aber<br />

sehen sollte man diesen<br />

französischen Fernsehfilm<br />

zur gleichen Thematik<br />

deswegen trotzdem.<br />

Denn auch wenn Christian Faures Werk bei<br />

weitem nicht die Schlagkraft von Aimee und Jaguar<br />

entwickelt, weil er auch gleich noch die<br />

Geschichte der Juden unter dem Vichy-Regime<br />

erzählen muss, bietet A Love To Hide mit Jérémie<br />

Renier und Bruno Todeschini zwei großartige<br />

Hauptdarsteller, die der komplizierten<br />

Geschichte einfache, emotional stimmige Augenblicke<br />

entgegenhalten, bis irgendwer oder<br />

auch alle im Publikum heulen. Weil die Liebesgeschichte<br />

so schön und so kompliziert ist und<br />

das Paar vom Schicksal so ungerecht behandelt<br />

wird. Eine gelungene Geschichtsstunde mit<br />

zwei wirklich guten Schauspielern in den<br />

Hauptrollen. Passt so. pesch<br />

43


frisch ausgepackt<br />

hEMMUNGSLOS – INFIDELES<br />

FR 2009, Regie: Claude Pérès, Edition Salzgeber<br />

Dieser Claude Pérès ist ein<br />

merkwürdiger Typ. Verständlicherweiseinteressiert<br />

er sich für Sex und<br />

ebenso verständlicherweise<br />

will er mit einem<br />

anderen attraktiven Mann<br />

Sex haben. Und weil er<br />

sich für einen <strong>Film</strong>emacher<br />

hält, ist es verständlich, dass er über das<br />

Thema Sex einen <strong>Film</strong> drehen will. Da gibt es<br />

allerdings ein kleines Problem: Claude Pérès ist<br />

Franzose. Und da gehören definierte Bauchmuskeln<br />

frei nach Barthes zu den Mythen des<br />

Alltags und das Objekt der Begierde ist nach<br />

Lacan ein kleines „a“, das grundsätzlich durch<br />

einen Mangel strukturiert ist. Jetzt steht ihm<br />

zwar mit Marcel Schlutt ein pornografisch versierter,<br />

äußerst entspannter Lust-Profi gegenüber,<br />

der völlig unkompliziert alles Naheliegende<br />

mitmacht, aber Herr Pérès muss noch durch<br />

verschiedene Phasen der Reflexion, der Verwirrtheiten<br />

und Ohnmachtsanfälle (kein Witz!)<br />

hindurch, bis er endlich die Play-Taste seiner<br />

Kamera und einen Bezug zu seiner eigenen<br />

Geilheit findet. Das ist alles hochgradig skurril,<br />

gar nicht so unsexy (weil es sich der Sache so<br />

kompliziert langsam nähert) und intellektuell<br />

nicht wirklich befriedigend. Da aber über den<br />

Sex, den man sieht, auch geredet wird, kann die<br />

FSK sowas auch 16-Jährigen empfehlen. Das<br />

Schönste an dem <strong>Film</strong> ist auf jeden Fall der<br />

Joint danach. jk<br />

LUCKY BASTARD<br />

USA 2009, Regie: Everett Lewis, Pro-Fun Media<br />

Everett Lewis hat schon<br />

ein paar wirklich gute <strong>Film</strong>e<br />

gemacht: The Natural<br />

History of Parking Lots<br />

zum Beispiel, mit dem er<br />

vor 20 Jahren debütierte.<br />

Oder die feine L.A.-Punk-<br />

Liebesgeschichte Luster,<br />

die inzwischen aber auch<br />

schon acht Jahre alt ist. Sein neuer <strong>Film</strong> Lucky<br />

Bastard hat vor allem ein Problem: Er nimmt<br />

sich ein bisschen wichtig. Die Geschichte vom<br />

Innenarchitekten Rusty, der sich in eine männliche<br />

Crackhure verliebt, obwohl er einen netten<br />

und ansehnlichen Mann zu Hause hat, ist eine<br />

von einem offenbar infantilen Mittelstands-Homosexuellen<br />

amerikanischer Prägung, dessen<br />

therapeutisches Laufband zwei Stufen zu niedrig<br />

eingestellt ist und der sich deswegen eine<br />

Zeit lang relativ albern aufführt. Mehr war<br />

nicht. Zwischendurch darf Dale Dymkoski als<br />

besagte Crackhure einen der peinlicheren Monologe<br />

der <strong>Film</strong>geschichte herunterkaspern<br />

und natürlich ziehen sich alle ständig aus und<br />

44<br />

die Frauenfiguren sind völlig überzeichnet. Den<br />

<strong>Film</strong> trotz all dem angucken kann man, wenn<br />

man Hauptdarsteller Patrick Tatten niedlich<br />

findet, was einem Großteil der schwulen Weltbevölkerung<br />

nicht schwer fallen dürfte. Oder<br />

wenn man sich schon immer gewünscht hat,<br />

vorspulen zu können, wenn sich hübsche Männer<br />

bescheuert benehmen. pesch<br />

WASSER UND BLUT<br />

US 2009, Regie: John G. Young, Bildkraft<br />

Ein schwuler Teenager<br />

aus New York muss nach<br />

dem Tod seiner Mutter zu<br />

seiner Tante in den ländlichen<br />

Süden ziehen, wo er<br />

als ultimativer Außenseiter<br />

behandelt wird. „Die<br />

Messlatte ist fix gelegt,<br />

und zwar hoch. William<br />

Faulkner, Flannery O’Connor, James Baldwin.<br />

Das ganz große Fish-Out-Of-Water-Südstaaten-<br />

Drama soll Wasser und Blut sein. Der deutsche<br />

Titel des <strong>Film</strong>s spielt fein mit der Dickflüssigkeit<br />

und damit verbundenen Sprichwörtlichkeit<br />

beider Substanzen und fasst die (Wahl-)Familiengeschichte,<br />

die der <strong>Film</strong> auch ist, so gut zusammen.<br />

Schön. Traurig.“ (Paul Schulz in<br />

SISSY 3/10)<br />

ALEX UND DER LöWE<br />

D 2010, Regie: Yuri Gárate, Pro-Fun Media<br />

André Schneider muss<br />

sich sehr, sehr lieb haben.<br />

Anders ist es kaum zu erklären,<br />

dass er sich als<br />

Produzent bei Alex und<br />

der Löwe nicht nur als<br />

Drehbuchautor und Co-<br />

Regisseur, sondern auch<br />

gleich noch als einen von<br />

zwei Hauptdarstellern engagiert hat. Oder vielleicht<br />

doch: Der <strong>Film</strong> hatte mit nur 25.000 Euro<br />

kein wirklich vorhandenes Budget. Solche monitären<br />

Verhältnisse zwingen einen wahrscheinlich<br />

zu geradezu Streisandscher Personalökonomie.<br />

Die muss ja aber nichts Schlechtes<br />

sein und hat bei Alex und der Löwe auch keinerlei<br />

Einfluss auf den Spaßfaktor des <strong>Film</strong>s, der<br />

ist extrem hoch. Was vor allem am Script der<br />

Screwball-Komödie liegt. Und am anderen<br />

Hauptdarsteller. Der heißt Marcel Schlutt und<br />

ist eigentlich eher für Erwachsenenunterhaltung<br />

bekannt. Macht aber in Alex und der Löwe<br />

schauspielerisch eine ausgesprochen gute Figur,<br />

während der Rest des Ensembles ein bisschen<br />

almodóvarisch übersteuert rüberkommt<br />

oder einfach seine lustigen Texte aufsagt. Insgesamt:<br />

Hübscher kleiner Berlin-<strong>Film</strong>, der seine<br />

handwerklichen Schwächen durch den Einsatz<br />

seines Personals ganz gut auszugleichen in<br />

der Lage ist. pesch<br />

MÄNNER AL DENTE<br />

IT 2010, Regie: Ferzan ozpetek, Prokino<br />

Ein Pastafabrikantensohn<br />

will sich outen, doch sein<br />

Bruder kommt ihm zuvor<br />

und lässt ihn dadurch mit<br />

der Verantwortung sitzen.<br />

„Mit Männer al dente ist<br />

der <strong>Film</strong>stoff Homosexualität<br />

mitten im italienischen<br />

Mainstream angekommen.<br />

Und mit Ozpetek ist es ein türkischer<br />

schwuler Regisseur, der es am besten schafft,<br />

die heterosexuelle italienische Gesellschaft abzubilden<br />

und dabei die besten Schauspieler des<br />

Landes einzubinden. Nichts an der Darstellung<br />

von Homosexualität ist mutig oder provokant.<br />

Tommaso und seine römischen Homo-Freunde<br />

sehen so aus, als seien sie gerade aus der Lacoste-Werbung<br />

gepurzelt: reich, jung, schön, muskulös<br />

und erfolgreich. Das Wichtigste ist weiterhin<br />

die Familie, erweitert um die schwulen<br />

Freunde.“ (Malte Göbel in SISSY 2/10)<br />

I LOVE YOU, PhILLIP MORRIS<br />

US 2009, Regie: John Requa & Glenn Ficarra, Prokino<br />

„Eine dieser Geschichten,<br />

die für ein Drehbuch eigentlich<br />

zu übertrieben<br />

klingen – und doch wahr<br />

sind. Denn tatsächlich<br />

gibt es diesen Steven Ray<br />

Russell, den Carrey verkörpert,<br />

wirklich: einen<br />

aufrecht-christlichen Familienvater,<br />

der nach dem Coming-Out radikal<br />

sein Leben ändert und schließlich sein Geld als<br />

Trickbetrüger verdient. Im Gefängnis verliebt<br />

er sich in Phillip Morris (Ewan McGregor) –<br />

und bricht nach dessen Entlassung immer wieder<br />

aus, um bei ihm zu sein. Schön mitzuerleben,<br />

wie Jim Carrey auf dem schmalen Grat<br />

zwischen dramatischen Liebesbeweisen und<br />

albernen Grimassen mit vollem Körpereinsatz<br />

darum kämpft, vielleicht doch noch zur Schwulenikone<br />

zu werden.“ (Patrick Heidmann in<br />

SISSY 4/09)<br />

PORNOGRAPhY: EIN ThRILLER<br />

US 2009, Regie: David Kittredge, Bildkraft<br />

Drei Männer fallen ihrer<br />

Suche nach echten Gefühlen<br />

hinter pornografischen<br />

Bildern zum Opfer.<br />

„Wie ein Katalog postmoderner<br />

Ängste entwickelt<br />

sich dieser merkwürdig<br />

auf sein männliches, körper-<br />

und wahrheitsbesessenes<br />

Personal beschränkte Thriller. Überall<br />

finden sich Spuren von Überwachung, von Dé-<br />

jà-Vus, von Geschichten hinter Geschichten,<br />

laufen Recherchen nach der Wahrheit ins Leere<br />

bzw. führen zu noch größeren Rätseln, die<br />

umso mehr Angst machen. Kein Krimi ist das,<br />

in dem ein Sherlock Holmes (oder meinetwegen<br />

Donald Strachey) Licht ins Dunkel bringt, hier<br />

greift die Dunkelheit erst durch den Versuch,<br />

sie aufzuhellen, so richtig um sich.“ (Jan Künemund<br />

in SISSY 2/10)<br />

EDGAR ALAN POE’S UNTERGANG DES<br />

hAUSES UShER<br />

US 2008, Regie: David DeCoteau, Pro-Fun Media<br />

Dieser <strong>Film</strong> ist Trash. Und<br />

da gibt es auch kein Aber.<br />

„Ein David DeCoteau<br />

<strong>Film</strong>“ steht über dem Titel<br />

und das ist nun wirklich<br />

kein Gütesiegel – völlig<br />

zurecht hat der Herr den<br />

Spitznamen „Schlockmeister“,<br />

was in richtigem<br />

Deutsch sowas wie „Ramschhändler“ heißt.<br />

Was hier verramscht wird, ist allerdings gute<br />

Literatur: Poes klassische Geschichte von Victor,<br />

der seinen Jugendfreund Roderick Usher<br />

und dessen Schwester nicht vor Zerfall und Todestrieb<br />

retten kann. Das dämonische Schloss<br />

in dieser Videovariante ist also ein braves Backsteingemäuer<br />

und der moribunde Hausherr<br />

trägt zur Entschlüsselbarkeit seiner Verfassung<br />

Sonnenbrille. Der andere Posterboy gibt den<br />

Victor und wird dramatisch von toten Klempnern,<br />

Malern und Gärtnern in knappen Unterhosen<br />

verfolgt, welchen immer nur halb (nämlich<br />

hinten) herunterrutschen. Irgendetwas<br />

Geschlechtliches passiert beim Untergang des<br />

Hauses Abercrombie & Fitch nicht und die horrormäßigen<br />

Dialoge werden Tonmeister sei<br />

Dank von merkwürdigen Störgeräuschen übertönt.<br />

Alles Weitere ist eine Sache des Fetischs<br />

(Posterkörper & Unterhosen). Weitere „David<br />

DeCoteau Poe Verfilmungen“ sind bereits verbrochen,<br />

u.a. The Raven und Pit & Pendulum.<br />

The Horror! The Horror! jk<br />

PRECIOUS – DAS LEBEN IST KOSTBAR<br />

US 2009, Regie: Lee Daniels, Prokino<br />

„Die 16-jährige Precious,<br />

die eigentlich Claireece<br />

heißt, träumt von Glamour,<br />

von tollen Kleidern<br />

und einem Leben im Rampenlicht.<br />

Doch die Realität<br />

sieht anders aus. Mit<br />

rauer Authentizität, ergänzt<br />

um einen Hauch<br />

magischen Realismus, gelingt Lee Daniels das<br />

Kunststück, in unvergesslichen Bildern nicht<br />

nur mit erschütternder Wucht von der Grausamkeit<br />

der menschlichen Existenz zu erzählen,<br />

sondern auch ebenso zart wie liebevoll die<br />

Hoffnung auf ein gutes Ende aufrecht zu halten.<br />

Ein zutiefst bewegender, nachdenklich machender<br />

und im besten Sinne seelenvoller <strong>Film</strong>,<br />

den jeder gesehen haben sollte.“ (Patrick Heidmann<br />

in SISSY 1/10)<br />

SŒUR SOURIRE –<br />

DIE SINGENDE NONNE<br />

FR 2009, Regie: Stijn Coninx, Edition Salzgeber<br />

„Der Regisseur Stijn Coninx<br />

interpretiert Jeanine<br />

als eine Frau voller Widersprüche.<br />

Provokant und<br />

ängstlich, stolz und selbstzweiflerisch,freiheitsliebend<br />

und auf der Suche<br />

nach einer festen Struktur,<br />

die sie hält und vor<br />

sich selbst schützt. Unentschlossen und voller<br />

Sehnsucht nach Verbindlichkeit, ist sie ständig<br />

auf der Flucht: vor der lieblosen Mutter flieht<br />

sie mit der Schwester im Tagtraum nach Afrika,<br />

vor der Verliebtheit ihrer Freundin auf der<br />

Kunsthochschule, die für Selbstverwirklichung<br />

steht, hinter die Klostermauer zur Selbstverneinung,<br />

zu der sie aber auch nicht fähig ist. Sie<br />

rebelliert, besteht auf ihre individuelle Kreativität,<br />

wird berühmt, verlässt das Kloster und<br />

zieht, noch immer voller Abwehr, mit ihrer<br />

Freundin zusammen. Mit allem ist sie vollständig<br />

überfordert. Am meisten jedoch damit, dass<br />

ihre Karriere, die so phänomenal begann, an<br />

eben jenen Instanzen scheitert, die sie anfangs<br />

förderten - den Medien und der Kirche. Ohne<br />

ihr Habit ist sie einfach nur eine junge Frau mit<br />

einer guten Stimme.“ (Jessica Ellen in SISSY<br />

3/10)<br />

L-ShORTS – DIE ZWEITE<br />

DE, PL, NL, CA, US, FR 2002–09, Edition Salzgeber<br />

Ein bisschen wirken die<br />

Geschichten in L-Shorts –<br />

Die Zweite wie die Puzzle-<br />

Teile einer lesbischen Biografie,<br />

nur dass jeder<br />

Lebensabschnitt eine andere<br />

Protagonistin hat. Da<br />

ist das junge Mädchen in<br />

der Wüste, das sich zu einer<br />

Spielkameradin hingezogen fühlt (Das<br />

Eselmädchen); die College-Studentin, die sich<br />

nicht traut, sich vor ihrer Mutter zu outen (wie<br />

High School Musical in queer: Wie sage ich es<br />

nur?) ; die spielsüchtige Midlife-Crisis-Frau an<br />

ihrem 40. Geburtstag (Abnehmender Merkur);<br />

und schließlich die alte Dame, die der Enkelin<br />

ihrer verstorbenen Geliebten begegnet (Im<br />

Sommer sitzen die Alten). So abwechslungsreich<br />

wie die Altersgruppen kommen im zweiten Teil<br />

der Kurzfilmreihe „Die Besten aus der L-<strong>Film</strong>nacht“<br />

auch die Themen daher. Vielleicht liegt<br />

es an den sieben Regisseurinnen, die fast alle<br />

aus einem anderen Land stammen: In Polen<br />

kommt es zur unschönen Möbel-Übergabe bei<br />

der Ex-Freundin (Am Ende der Straße), die US-<br />

Lesbe lädt sich potenzielle Partnerinnen zum<br />

Casting ein (Interview mit meiner neuen Freundin)<br />

und eine Französin beobachtet ihre Nachbarin<br />

durch ein Loch in der Badezimmerwand<br />

(Nebenan). Sexy, melancholisch und herrlich<br />

schräg: So kann die Mischung ruhig weitergehen.<br />

Vor allem, wenn die Frauen so stark sind<br />

wie Farouzi auf ihrem Esel. ms<br />

YNGLINGE<br />

DK, SE, IS 2006–08, Edition Salzgeber<br />

frisch ausgepackt<br />

Carsten, ein dänischer<br />

Teenager, verliebt sich in<br />

den Vater seiner Freundin<br />

und entdeckt dabei seine<br />

Homosexualität (Erwachen,<br />

Regie: Christian<br />

Tafdrup). Love, ein Schwede<br />

Anfang der Zwanzig,<br />

möchte endlich seine<br />

Jungfräulichkeit verlieren, wird aber in der<br />

Wohnung eines Fremden, den er auf der Straße<br />

aufgegabelt hat, brutal vergewaltigt. (Mein<br />

Name ist Love, Regie: David Färdmar). Nach<br />

mehreren Versuchen mit Frauen gesteht der<br />

junge Isländer Gudni Geir seiner dominanten<br />

Mutter endlich, dass er schwul ist. Sie empfindet<br />

diese Tatsache irritierender Weise als ein<br />

Geschenk des Himmels (Mama weiß es am besten,<br />

Regie: Barði Guðmundsson). Auf einem dänischen<br />

Autobahnrastplatz filmt der halbwüchsige<br />

Rasmus einen Familienvater beim Cruising<br />

und verfolgt ihn bis nach Hause, um ihn zu erpressen.<br />

Statt Geld bekommt Rasmus im Wohnungsflur<br />

seinen ersten Sex (Ynglinge, Regie:<br />

Mikkel Munch-Fals). Vier filmische Coming-<br />

Out-Kurzgeschichten, die kaum etwas erzählen<br />

und die sicherlich kaum etwas Neues erzählen.<br />

Das ist aber unwichtig, denn die Gesichter der<br />

durchweg hervorragenden Darstellerinnen und<br />

Darsteller erzählen so viel, so nuanciert und so<br />

glaubwürdig, dass sich jeder positive Eindruck,<br />

den das skandinavische Kino in den letzten<br />

Jahren hinterlassen hat, aufs Eindrucksvollste<br />

bestätigt. cm<br />

45


service<br />

BEzUGsqUELLEN<br />

Nicht-heterosexuelle DVDs erhalten Sie unter anderem in den folgenden Läden. Die Auswahl<br />

wird laufend ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!<br />

BERLIN B_BOOKS Lübbenerstraße 14, 030/6117844 · BRUNO’S Bülowstraße<br />

106, 030/61500385 · BRUNO’S Schönhauser Allee 131, 030/61500387<br />

· DUSSMANN Friedrichstraße 90 · GALERIE JANSSEN Pariser Straße 45,<br />

030/8811590 · KADEWE Tauentzienstraße 21–24 · MEDIA MARKT ALExA Grunerstraße<br />

20 · MEDIA MARKT NEUKöLLN Karl-Marx-Straße 66 · NEGATIVE-<br />

LAND Dunckerstraße 9 · PRINz EISENHERz BUCHLADEN Lietzenburger Straße<br />

9a, 030/3139936 · SATURN ALExANDERPLATz Alexanderplatz 7 · SATURN<br />

EUROPACENTER Tauentzienstraße 9 · VIDEO WORLD Kottbusser Damm 73<br />

· VIDEODROM Fürbringer Straße 17 BOCHUM SATURN Kortumstraße<br />

72 DARMSTADT SATURN Ludwigplatz 6 DORTMUND LITFASS DER<br />

BUCHLADEN Münsterstraße 107, 0231/834724 DüSSELDORF BOOKxxx<br />

Bismarckstraße 86, 0211/356750 · SATURN Königsallee 56 · SATURN<br />

Am Wehrhahn 1 ESSEN MüLLER Limbecker Straße 59–65 FRANK-<br />

FURT/MAIN OSCAR WILDE BUCHHANDLUNG Alte Gasse 51, 069/281260<br />

· SATURN Zeil 121 HAMBURG BUCHLADEN MäNNERSCHWARM Lange<br />

Reihe 102, 040/436093 · BRUNO’S Lange Reihe/Danziger Straße 70,<br />

040/98238081 · CLEMENS Clemens-Schultz-Straße 77 · EMPIRE MEGASTO-<br />

RE Bahrenfelder Straße 242–244 · MEDIA MARKT Paul-Nevermann-Platz<br />

15 KöLN BRUNO’S Kettengasse 20, 0221/2725637 · MEDIA MARKT Hohe<br />

Straße 121 · SATURN Hansaring 97 · SATURN Hohe Straße 41–53 · VIDEO-<br />

TAxI Hohenzollernring 75–77 LEIPzIG LEHMANNS BUCHHANDLUNG<br />

Grimmaische Straße 10 MANNHEIM DER ANDERE BUCHLADEN M2 1,<br />

0621/21755 MüNCHEN BRUNO’S Thalkirchner Straße 4, 089/97603858<br />

· LILLEMOR’S FRAUENBUCHLADEN Barerstraße 70, 089/2721205 · MAx<br />

& MILIAN Ickstattstraße 2, 089/2603320 · SATURN Schwanthalerstraße<br />

115 · SATURN Neuhauser Straße 39 NüRNBERG MüLLER Königstraße<br />

26 STUTTGART BUCHLADEN ERLKöNIG Nesenbachstraße 52,<br />

0711/639139 TRIER MEDIA MARKT Ostallee 3–5 TüBINGEN FRAUEN-<br />

BUCHLADEN THALESTRIS Bursagasse 2, 07071/26590 WIEN BUCHHAND-<br />

LUNG LöWENHERz Berggasse 8, + 43/1/13172982<br />

Dominikanerplatz 4<br />

WüRzBURG MüLLER<br />

KINos<br />

Nicht-heterosexuelle <strong>Film</strong>e können Sie unter anderem in den folgenden Kinos sehen. Die Auswahl<br />

wird laufend ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!<br />

AALEN KINO AM KOCHER Schleifbrückenstraße 15,<br />

07361/5559994 ASCHAFFENBURG CASINO FILMTHEATER Ohmbachsgasse<br />

1, 06021/4510772 AUGSBURG CINEMAxx Willy-Brandt-Platz 2,<br />

01805/24636299 BERLIN ARSENAL Potsdamer Straße 2, 030/26955100<br />

· KINO INTERNATIONAL Karl-Marx-Allee 33, 030/24756011 · xENON KINO<br />

Kolonnenstraße 5–6, 030/78001530 · CINEMAxx POTSDAMER PLATz Potsdamer<br />

Straße 5, 01805/24636299 · EISzEIT Zeughofstraße 20, 030/6116016<br />

· FSK AM ORANIENPLATz Segitzdamm 2, 030/6142464 BIELEFELD CI-<br />

NEMAxx Ostwestfalenplatz 1, 0521/5833583 BOCHUM ENDSTATION<br />

KINO IM BHF. LANGENDREER Wallbaumweg 108, 0234/6871620 BRE-<br />

MEN KINO 46 Waller Heerstraße 46, 0421/3876731 · CINEMAxx Breitenweg<br />

27, 01805/24636299 DORTMUND SCHAUBURG Brückstraße 66,<br />

0231/9565606 DRESDEN KID – KINO IM DACH Schandauer Straße 64,<br />

0351/3107373 · CINEMAxx Hüblerstraße 8, 01805/24636299 ESSEN CI-<br />

NEMAxx Berliner Platz 4–5, 01805/24636299 ESSLINGEN KOMMU-<br />

NALES KINO Maille 4–9, 0711/31059510 FRANKFURT/MAIN MAL SEH’N<br />

Adlerflychtstraße 6, 069/5970845 · ORFEOS ERBEN Hamburger Allee<br />

45, 069/70769100 FREIBURG KOMMUNALES KINO Urachstraße 40,<br />

0761/709033 · CINEMAxx Bertholdstraße 50, 01805/24636299 GöT-<br />

TINGEN KINO LUMIèRE Geismar Landstraße 19, 0551/484523 HAM-<br />

BURG METROPOLIS KINO Steindamm 52–54, 040/342353 · CINEMAxx<br />

WANDSBEK Quarree 8–10, 01805/24636299 HANNOVER APOLLO STUDIO<br />

Limmerstraße 50, 0511/452438 · CINEMAxx Nikolaistraße 8, 01805/24636299<br />

· KINO IM KüNSTLERHAUS Sophienstraße 2, 0511/16845522 KARLSRU-<br />

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10, 0721/25041 KIEL DIE PUMPE – KOMMUNALES KINO Haßstraße 22,<br />

0431/2007650 · CINEMAxx Kaistraße 54–56, 01805/24636299 · TRAUM<br />

KINO Grasweg 48, 0431/544450 KöLN FILMPALETTE Lübecker Straße 15,<br />

0221/122112 · KöLNER FILMHAUS Maybachstraße 111, 0221/2227100 KON-<br />

STANz zEBRA KINO Joseph-Belli-Weg 5, 07531/60162 LEIPzIG PAS-<br />

SAGE KINO Hainstraße 19 a, 0341/2173865 MAGDEBURG CINEMAxx<br />

Kantstraße 6, 01805/24636299 MANNHEIM CINEMA QUADRAT Collinistraße<br />

5, 0621/1223454 MARBURG CINEPLEx Biegenstraße 1a,<br />

06421/17300 MüNCHEN NEUES ARENA FILMTHEATER Hans-Sachs-<br />

Straße 7, 089/2603265 · CITy KINO Sonnenstraße 12, 089/591983 · CINE-<br />

MAxx Isartorplatz 8, 01805/24636299 MüNSTER CINEMA FILMTHEA-<br />

TER Warendorfer Straße 45–47, 0251/30300 NüRNBERG KOMMKINO<br />

Königstraße 93, 0911/2448889 OFFENBACH CINEMAxx Berliner Straße<br />

210, 01805/24636299 OLDENBURG CINE K Bahnhofstraße 11,<br />

0441/2489646 · CINEMAxx Stau 79–85, 01805/24636299 POTSDAM<br />

THALIA ARTHOUSE Rudolf-Breitscheid-Straße 50, 0331/7437020 RE-<br />

GENSBURG WINTERGARTEN Andreasstraße 28, 0941/2980963 · CINEMAxx<br />

Friedenstraße 25, 01805/24636299 SAARBRüCKEN KINO ACHTEINHALB<br />

Nauwieser Straße 19, 0681/3908880 · KINO IM FILMHAUS Mainzer Straße<br />

8, 0681/372570 SCHWEINFURT KUK – KINO UND KNEIPE Ignaz-Schön-<br />

Straße 32, 09721/82358 STUTTGART CINEMAxx AN DER LIEDERHALLE<br />

Robert-Bosch-Platz 1, 01805/24636299 TRIER BROADWAy FILMTHEATER<br />

Paulinstraße 18, 0651/96657200 WEITERSTADT KOMMUNALES KINO<br />

Carl-Ulrich-Straße 9–11 / Bürgerzentrum, 06150/12185 WUPPERTAL CI-<br />

NEMAxx Bundesallee 250, 01805/24636299 1181<br />

Veitshöchheimer Straße 5a, 01805/24636299<br />

WüRzBURG CINEMAxx<br />

46<br />

IMPRESSUM<br />

Herausgeber Björn Koll<br />

Verlag Salzgeber & Co. Medien GmbH<br />

Mehringdamm 33 · 10961 Berlin<br />

Telefon 030 / 285 290 90 · Telefax 030 / 285 290 99<br />

Redaktion Jan Künemund, presse@salzgeber.de<br />

Art director Johann Peter Werth, werth@salzgeber.de<br />

Autoren Birgit Binder, Jessica Ellen, Gunther Geltinger, Friedrich Kröhnke, Jan<br />

Künemund, Christoph Meyring, Nando Rohner, Ralf Rühmeyer, Peter<br />

Schmidt, Paul Schulz, Maike Schultz, Michael Sollorz, Johann Wasser,<br />

Kerstin Welzenheimer, André Wendler, Sascha Westphal<br />

Anzeigen Jan Nurja, nurja@salzgeber.de<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste 2/2010 (www.sissymag.de/media).<br />

SISSY erscheint alle drei Monate, jeweils für den Zeitraum Dezember/<br />

Januar/Februar – März/April/Mai – Juni/Juli/August – September/<br />

Oktober/November. Auflage: 40.000 Exemplare (Druckauflage).<br />

druck Möller Druck, Berlin<br />

Rechte Digitale oder analoge Vervielfältigung, Speicherung, Weiterverarbeitung<br />

oder Nutzung sowohl der Texte als auch der Bilder zu kommerziellen<br />

Zwecken bedürfen einer schriftlichen Genehmigung des Herausgebers.<br />

Verteilung deutschlandweit in den schwul-lesbischen Buchläden, in den CinemaxX-<br />

Kinos in Augsburg, Berlin, Bielefeld, Bremen, Dresden, Essen, Freiburg,<br />

Hamburg, Hannover, Kiel, Magdeburg, Mannheim, München, Offenbach,<br />

Oldenburg, Stuttgart, Wuppertal. Außerdem hier: Hochschule für<br />

<strong>Film</strong> und Fernsehen „Konrad Wolf“ (Potsdam), Deutsche <strong>Film</strong>- und<br />

Fernsehakademie Berlin, Orlando (Bochum), Birdcage (Kiel), Café Gnosa<br />

(Hamburg), Café ERA (Köln), Kunsthochschule für Medien Köln. Wenn<br />

Sie die SISSY ebenfalls auslegen möchten: Eine kurze E-Mail genügt!<br />

Haftung Für gelistete Termine und Preise können wir keine Garantie geben.<br />

Die Angaben entsprechen dem Stand des Drucklegungstages.<br />

Bildnachweise Die Bildrechte liegen bei den jeweiligen Anbietern.<br />

Abo Sie können SISSY kostenfrei abonnieren: abo@sissymag.de<br />

Auch das noch …<br />

SISSY freut sich über Nachwuchs: Gustav.<br />

ISSN 1868-4009<br />

Tabu Kinderprostitution.<br />

Tomek ist fünfzehn. Der aufgeweckte Junge lebt an der polnisch–<br />

deutschen Grenze und ist es gewohnt, für sich selbst zu sorgen.<br />

Die Eltern, Lehrer und Priester sind schlechte Vorbilder und interessieren<br />

sich nicht für Tomeks Träume. Um die geliebten Sterne<br />

zu beobachten, fehlt in der Schule ein Obervatorium und dafür<br />

das Geld. Um die Ansprüche seiner ersten Freundin zu befriedigen<br />

„Hauptdarsteller Garbacz macht<br />

diesen <strong>Film</strong> zu einem Ereignis.“<br />

radio eins<br />

„Wirklich ein starkes Stück<br />

realistisches Gegenwartskino.“<br />

siegessäule<br />

„Ein tief suggestiver,<br />

berührender <strong>Film</strong>.“<br />

tagesspiegel<br />

„Eindrucksvoll!“<br />

süddeutsche zeitung<br />

BESTER<br />

SCHAUSPIELER<br />

Karlovy Vary<br />

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Polish <strong>Film</strong> Festival<br />

FILMPREIS FÜR<br />

KINDERRECHTE<br />

Unabhängiges<br />

<strong>Film</strong>fest Osnabrück<br />

AB 4. DEZEMBER<br />

AUF DVD!<br />

ebenfalls. Sein bester Freund Ciemny lässt sich im Grenzgebiet an<br />

deutsche Sextouristen vermitteln. Auch Tomek sieht bald, dass das<br />

eine Möglichkeit ist, schnell an Geld zu kommen. Nach den ersten<br />

Erfahrungen auf dem Strich lernt er schnell, wie das Geschäft funktioniert.<br />

Zu spät muss er erkennen, dass alles im Leben seinen Preis<br />

hat. Und der Preis, den Tomek zu zahlen hat, ist hoch.


JEMAND WARTET AUF DICH.<br />

Es wird Zeit, dass sich die Wege kreuzen.<br />

Bei gayPARSHIP fi nden sich anspruchsvolle Frauen, die auf der Suche nach Verbindlichkeit<br />

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