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Entwicklung und Sozialisation bei progredienter Erkrankung 2 Spezifische Sozialisations- und Entwicklungsbe- dingungen bei progredienter Erkrankung „Sozialisation bezeichnet den Prozeß der Entstehung und Entwick- lung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und dinglich-materiellen Um- welt“ (HURRELMANN 2001, 70). In diesem Begriffsverständnis ist zum Ausdruck gebracht, dass die Entwicklung des Individuums durch soziale und gesellschaftliche Faktoren beeinflusst ist und sich in einem Prozess der sozialen Interaktion konstituiert. Diese allge- meine Aussage behält selbstverständlich für die Sozialisationspro- zesse von Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen ihre Gül- tigkeit. Auch hier handelt es sich um individuelle Prozesse, die sich gleichwohl mit der Hilfe überindividueller Dimensionen beschreiben lassen. 2.1 Die personale Ebene „Die Basis der sozialen Entwicklung ist die subjektive Realität des Individuums“ (BERGEEST 1999, 223). Die subjektive Realität – der Alltag – lebensbedrohlich erkrankter Kinder und Jugendlicher ist häufig geprägt durch das Erleben „seelischer Erschütterungen, Schmerzen, Unwohlsein, Verzichte, den zunehmenden Verlust der eigenen Selbständigkeit mit gleichzeitiger Zunahme der Hilfs- und Pflegebedürftigkeit, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Trennung von Bezugspersonen und Bezugsgruppen, Mitleidsre- aktionen der sozialen Umwelt sowie durch das persönliche Erleben des „Nicht-mehr-dazu-Gehörens“, des Anders-Seins“ (ORTMANN 1996, 509). Grundsätzlich sind alle subjektiven Belastungsfaktoren und die den Kindern und Jugendlichen zur Verfügung stehenden Copingstrategien maßgeblich vom Entwicklungsalter der Betrof- fenen bestimmt. So divergieren Bedingungen und Erleben von - 63 - Heilpädagogik online 02/ 06
Entwicklung und Sozialisation bei progredienter Erkrankung Krankheit in den ersten Lebensjahren maßgeblich von denen in der Adoleszenz. Aus salutogenetischer Perspektive bedarf die Aussage BÜRGINs „Krankheit ist also auch eine Situation von psychischem Streß“ (BÜRGIN 1981, 93) demnach einer genaueren Diffe- renzierung und expliziten Berücksichtigung der für die Bewältigung von Anforderungen hilfreichen Teilkomponenten des Kohärenz- sinnes der betroffenen Individuen (vgl. ANTONOVSKY 1997). Festzuhalten ist, dass die drei aus der Stressforschung bekannten potentiellen Belastungssituationen im Kindes- und Jugendalter alle für die spezifische Lebenssituation progredient erkrankter Kinder und Jugendlicher zutreffen. Bei diesen handelt es sich „(a) um Entwicklungsaufgaben, (b) um kritische Lebensereignisse und (c) um alltägliche Belastungen“ (TANJOUR/RESCHKE 2002, 99). Als ein bestimmendes Kriterium auf der personale Ebene lässt sich die Progredienz der Erkrankung herausstellen: So kann davon aus- gegangen werden, dass das Erleben des Fortschreitens einer Er- krankung Denken und Fühlen eines jungen Menschen erheblich be- einflusst. Intrapsychisch gelten krankheitsspezifische Ängste als besondere Begleiterscheinungen des Lebens mit einer pro- gredienten Erkrankung. Diese können sich in hilflos wirkender aggressiver Abwehr, in körperlicher Erstarrung und stummer Verweigerung oder in Formen psychovegetativer Dekompensation bis hin zur Ohnmacht äußern (vgl. SCHRÖDER 1996, 15). Diese Ängste beziehen sich meist auf die mit medizinischen Maßnahmen oder körperlichen Symptomen verbundenen Schmerzen, den zu erwartenden vorgezogenen Tod oder den Verlust sozialer Bezie- hungen. Erleben körperlich beeinträchtigte Menschen im Kindes- und Jugendalter generell „problematische Entwicklungsbedingungen bei der natürlichen, spontanen Bildung ihres basalen Selbstkonzeptes“ - 64 - Heilpädagogik online 02/ 06
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Entwicklung und Sozialisation bei progredienter Erkrankung<br />
2 Spezifische Sozialisations- und Entwicklungsbe-<br />
dingungen bei progredienter Erkrankung<br />
„Sozialisation bezeichnet <strong>de</strong>n Prozeß <strong>de</strong>r Entstehung und Entwick-<br />
lung <strong>de</strong>r Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von <strong>de</strong>r<br />
gesellschaftlich vermittelten sozialen und dinglich-materiellen Um-<br />
welt“ (HURRELMANN 2001, 70). In diesem Begriffsverständnis ist<br />
zum Ausdruck gebracht, dass die Entwicklung <strong>de</strong>s Individuums<br />
durch soziale und gesellschaftliche Faktoren beeinflusst ist und sich<br />
in einem Prozess <strong>de</strong>r sozialen Interaktion konstituiert. Diese allge-<br />
meine Aussage behält selbstverständlich für die Sozialisationspro-<br />
zesse von Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen ihre Gül-<br />
tigkeit. Auch hier han<strong>de</strong>lt es sich um individuelle Prozesse, die sich<br />
gleichwohl mit <strong>de</strong>r Hilfe überindividueller Dimensionen beschreiben<br />
lassen.<br />
2.1 Die personale Ebene<br />
„Die Basis <strong>de</strong>r sozialen Entwicklung ist die subjektive Realität <strong>de</strong>s<br />
Individuums“ (BERGEEST 1999, 223). Die subjektive Realität – <strong>de</strong>r<br />
Alltag – lebensbedrohlich erkrankter Kin<strong>de</strong>r und Jugendlicher ist<br />
häufig geprägt durch das Erleben „seelischer Erschütterungen,<br />
Schmerzen, Unwohlsein, Verzichte, <strong>de</strong>n zunehmen<strong>de</strong>n Verlust <strong>de</strong>r<br />
eigenen Selbständigkeit mit gleichzeitiger Zunahme <strong>de</strong>r Hilfs- und<br />
Pflegebedürftigkeit, Einschränkungen <strong>de</strong>r Bewegungsfreiheit,<br />
Trennung von Bezugspersonen und Bezugsgruppen, Mitleidsre-<br />
aktionen <strong>de</strong>r sozialen Umwelt sowie durch das persönliche Erleben<br />
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1996, 509). Grundsätzlich sind alle subjektiven Belastungsfaktoren<br />
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