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09.02.2013 Aufrufe

Art Brut, Kreativität und geistige Behinderung ten bislang eher am Rande des allgemeinen Museums- und Kunst- betriebs ihren Platz. Das gilt gleichfalls für die nicht-professionelle Kunst der sogenann- ten Geisteskranken 2 , die im 19. Jahrhundert von einigen Psychia- tern entdeckt und zunächst unter psychopathologischen Gesichtspunkten studiert als Beleg für eine enge Verbindung von „Genie und Irrsinn“ (LOMBROSO 1887) ausgewiesen wurde. Damit fehlte in der Anfangszeit der Entdeckungen jegliches Verständnis für die künstlerischen Leistungen von Menschen, die hinter den Mauern psychiatrischer Anstalten häufig ein tristes Dasein fristen mussten (dazu auch NAVRATIL 1998, 88). 3 Erst Anfang des 20. Jahrhunderts, befördert durch Veröffentli- chungen von M. REJA (1907), W. MORGENTHALER (1921) und H. PRINZHORN (1922), wurde ein neuer Zugang zur „Bildnerei der Geisteskranken“ (PRINZHORN) sichtbar, der die künstlerischen Arbeiten unter ästhetischen Gesichtspunkten wertzuschätzen wuss- te. PRINZHORN, der über 5000 Werke aus mehreren europäischen Ländern zusammengetragen hatte, wandte sich nicht nur gegen die Entwertung, sondern warnte zugleich auch vor dem Fehlschluss, von der Ähnlichkeit der Bildnereien psychisch Kranker mit zeitge- nössischen Kunstwerken auf den Geistes- oder psychischen Gesundheitszustand ihrer Produzenten zu schließen: „Es ist nämlich oberflächlich und falsch, aus Ähnlichkeit der äußeren Erscheinung Gleichheit der dahinterliegenden seelischen Zustände zu konstru- ieren. Der Schluss: dieser Maler malt wie jener Geisteskranke, also ist er geisteskrank, ist keineswegs beweisender und geistvoller als der andere: Pechstein, Heckel u. a. machen Holzfiguren wie Kame- runneger, also sind sie Kamerunneger. Wer zu so einfältigen 2 Wenn wir hier von sogenannten Geisteskranken sprechen, dann deshalb, weil unter diesem „Oberbegriff“ nicht nur Menschen mit psychischen Störungen, sondern gleichfalls mit geistigen oder seelischen Behinderungen gefasst wurden, die in psychiatrischen Heil- und Pflegeanstalten untergebracht waren. 3 Das betraf auch die „savants“, soweit diese nicht unter der Obhut und in der Gunst von engagierten Ärzten aus Idiotenanstalten oder des „Idiotenwesens“ standen. - 35 - Heilpädagogik online 02/ 06

Art Brut, Kreativität und geistige Behinderung Schlüssen neigt, hat keinen Anspruch ernst genommen zu werden“ (PRINZHORN 1922, 346). Zudem führten ihn seine Untersuchungen zu der Überzeugung, dass jedem Menschen „eine ursprüngliche Gestaltungskraft“ (ebd., 344) zukomme, die gewöhnlich latent bleiben würde, aber ebenso verkümmern oder gar durch einen zu sehr verkopften Schulunter- richt verschwinden könnte (ebd.). Wenngleich er hierbei quasi je- dem Menschen ein kreatives Potential attestierte, verlor er sich aber nicht in einem Euphemismus, indem er sein gesamtes Bildma- terial als künstlerisch-kreativ auswies, sondern zwischen außerge- wöhnlichen Kunstwerken und einfachen Bildnereien differenzierte (ebd., 5, 338, 349). Indem er den Prozentsatz „künstlerisch be- gabter“ Menschen mit psychischen Störungen oder intellektuellen Behinderungen nicht höher veranschlagte als bei „Nichtkranken“ (ebd., 340, 315), wollte er eine Hochstilisierung der Bildnereien von sog. Geisteskranken als Kunst bzw. eine Idealisierung ihrer Werke vermeiden. Einer solchen Tendenz begegnen wir in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bei einigen Künstlern der Moderne, vor allem aus dem Lager des Expressionismus oder Surrealismus, die nicht nur in den Arbeiten der sogenannten Geisteskranken, sondern ebenso in den Werken der sogenannten Primitiven und Naiven sowie in der Bildnerei von Kindern „Urspünglichkeit“, Authentizität, Originalität und schöpferische Ausdruckskraft entdeckten (dazu MUSEUM KUNST PALAST 2005, 14f., 150; KOSSOLAPOW 1975, 19, 72). Mit dem Interesse am Außergewöhnlichen – nicht selten gepaart mit dem Interesse am Mythos des „Wilden“ – sowie der damit ver- knüpften Suche nach dem „Andersartigen“ (KUNSTMUSEUM BASEL 2004, 61) wurden vonseiten der professionellen Modernisten die bisherigen intellektuellen und künstlerischen Maßstäbe nunmehr gänzlich in Frage gestellt und durch neue ästhetische Werte - 36 - Heilpädagogik online 02/ 06

Art Brut, Kreativität und geistige Behin<strong>de</strong>rung<br />

Schlüssen neigt, hat keinen Anspruch ernst genommen zu wer<strong>de</strong>n“<br />

(PRINZHORN 1922, 346).<br />

Zu<strong>de</strong>m führten ihn seine Untersuchungen zu <strong>de</strong>r Überzeugung,<br />

dass je<strong>de</strong>m Menschen „eine ursprüngliche Gestaltungskraft“ (ebd.,<br />

344) zukomme, die gewöhnlich latent bleiben wür<strong>de</strong>, aber ebenso<br />

verkümmern o<strong>de</strong>r gar durch einen zu sehr verkopften Schulunter-<br />

richt verschwin<strong>de</strong>n könnte (ebd.). Wenngleich er hierbei quasi je-<br />

<strong>de</strong>m Menschen ein kreatives Potential attestierte, verlor er sich<br />

aber nicht in einem Euphemismus, in<strong>de</strong>m er sein gesamtes Bildma-<br />

terial als künstlerisch-kreativ auswies, son<strong>de</strong>rn zwischen außerge-<br />

wöhnlichen Kunstwerken und einfachen Bildnereien differenzierte<br />

(ebd., 5, 338, 349). In<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>n Prozentsatz „künstlerisch be-<br />

gabter“ Menschen mit psychischen Störungen o<strong>de</strong>r intellektuellen<br />

Behin<strong>de</strong>rungen nicht höher veranschlagte als bei „Nichtkranken“<br />

(ebd., 340, 315), wollte er eine Hochstilisierung <strong>de</strong>r Bildnereien<br />

von sog. Geisteskranken als Kunst bzw. eine I<strong>de</strong>alisierung ihrer<br />

Werke vermei<strong>de</strong>n.<br />

Einer solchen Ten<strong>de</strong>nz begegnen wir in <strong>de</strong>n ersten Jahrzehnten <strong>de</strong>s<br />

20. Jahrhun<strong>de</strong>rts bei einigen Künstlern <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rne, vor allem aus<br />

<strong>de</strong>m Lager <strong>de</strong>s Expressionismus o<strong>de</strong>r Surrealismus, die nicht nur in<br />

<strong>de</strong>n Arbeiten <strong>de</strong>r sogenannten Geisteskranken, son<strong>de</strong>rn ebenso in<br />

<strong>de</strong>n Werken <strong>de</strong>r sogenannten Primitiven und Naiven sowie in <strong>de</strong>r<br />

Bildnerei von Kin<strong>de</strong>rn „Urspünglichkeit“, Authentizität, Originalität<br />

und schöpferische Ausdruckskraft ent<strong>de</strong>ckten (dazu MUSEUM<br />

KUNST PALAST 2005, 14f., 150; KOSSOLAPOW 1975, 19, 72). Mit<br />

<strong>de</strong>m Interesse am Außergewöhnlichen – nicht selten gepaart mit<br />

<strong>de</strong>m Interesse am Mythos <strong>de</strong>s „Wil<strong>de</strong>n“ – sowie <strong>de</strong>r damit ver-<br />

knüpften Suche nach <strong>de</strong>m „An<strong>de</strong>rsartigen“ (KUNSTMUSEUM BASEL<br />

2004, 61) wur<strong>de</strong>n vonseiten <strong>de</strong>r professionellen Mo<strong>de</strong>rnisten die<br />

bisherigen intellektuellen und künstlerischen Maßstäbe nunmehr<br />

gänzlich in Frage gestellt und durch neue ästhetische Werte<br />

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Heilpädagogik online 02/ 06

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