BTI 2012 | Regionalbericht Naher Osten und Nordafrika

BTI 2012 | Regionalbericht Naher Osten und Nordafrika BTI 2012 | Regionalbericht Naher Osten und Nordafrika

09.02.2013 Aufrufe

BTI 2012 | Regionalbericht Naher Osten und Nordafrika 6 Meinungs- und Pressefreiheit sowie der Gewaltenteilung zur Abwertung. Letzteres führte auch im Oman zur Abwertung, negativ verstärkt durch eine zunehmend eingeschränkte Unabhängigkeit der Justiz. Auch Katar (Rang 91) bestätigte seine zuletzt hoffnungsvollen Liberalisierungsschritte nicht und fiel um 0,12 Punkte zurück. Zum einen wird in dem kleinen Emirat ein stärkerer Einfluss religiöser Würdenträger auf den politischen Prozess ausgemacht, zum anderen wurden die Gewaltenteilung sowie die Bürgerrechte zunehmend verletzt. Zur Abwertung führte zudem die Tatsache, dass die ursprünglich einmal für 2004 vorgesehenen Parlamentswahlen im Berichtszeitraum ein weiteres Mal verschoben wurden und nun erst für 2013 anberaumt sind. Die nordafrikanischen Staaten (mit Ausnahme Tunesiens) und die Länder der Levante gehören schließlich allesamt zu den Verlierern. Auf äußerst niedrigem Niveau verblieb Syrien, das seit den Fortschritten nach dem Abzug aus dem Libanon 2005 ohne nennenswerte Änderungen bei der politischen Transformation nach wie auf Rang 115 aller 128 BTI-Länder steht. Das harte Vorgehen der Regierung gegen die Demonstrierenden im Jahr 2011 zeigt in erschreckender Weise die Unmenschlichkeit des technokratischen Regimes und führt Syrien in Zustände zurück, die man mit dem Tod von Hafiz al-Assad überwunden gehalten hätte. Gleiches gilt für Libyen. Das Land, bei der politischen Transformation in den vergangenen Jahren stets auf extrem niedrigem Niveau, wurde aufgrund verschlechterter Presse- und Meinungsfreiheit, die nun auf dem untersten Niveau rangiert, sowie wegen Einschränkungen bei der Unabhängigkeit der Justiz nochmals um 0,10 Punkte abgewertet und befindet sich damit nun auf Rang 117. Obwohl das Regime um Muammar al-Gaddafi das eigene Land stets als Musterbeispiel für eine funktionierende direkte Demokratie dargestellt hatte und es sogar als Modell für die gesamte Welt propagierte, sind in Wirklichkeit nicht einmal mehr Ansätze von funktionierender Demokratie zu finden. Und dies, obwohl die jüngsten, mit großer Brutalität gegen die Oppositionsbewegung durchgeführten Unterdrückungsmaßnahmen erst nach Beendigung des Untersuchungszeitraums für den BTI 2012 einsetzten, nämlich ab dem 16. Februar 2011. In Ägypten setzte sich der bereits im letzten BTI festgestellte Abwärtstrend im politischen Bereich bis zum Ende von Hosni Mubaraks Amtszeit als Staatspräsident am 11. Februar 2011 fort. Das Land erfährt eine Abwertung um 0,13 Punkte, sodass Ägypten im aktuellen Demokratie-Ranking nur noch auf Rang 91 liegt. Damit zählte das Mubarak-Regime mit einem Wert von 4,08 zwar noch zu den moderaten Autokratien, jedoch nur noch mit leichtem Abstand zur untersten Kategorie, den harten Autokratien (ab einem Wert kleiner als 4,00). Verschlechterungen wurden insbesondere im Bereich der Versammlungsfreiheit, der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit der Justiz verzeichnet. Für Letzteres war die Beschneidung der Beaufsichtigungsrechte von Richtern bei der Durchführung von landesweiten Wahlen ausschlaggebend, die man ihnen erst eingeräumt und dann wieder entzogen hatte. Zudem installierte das Mubarak-Regime parallele Sondergerichte, um mehr und mehr Justizverfahren unter unmittelbare Kontrolle zu bekommen. Diese Sondergerichte unterlagen keinerlei zivilrechtlicher Kontrolle und schränkten die grundlegenden Bürgerrechte der Angeklagten in deutlicher Weise ein.

BTI 2012 | Regionalbericht Naher Osten und Nordafrika 7 In Algerien wurden vor allem die politischen Partizipationsmöglichkeiten von Interessengruppen eingeschränkt. Neben der offiziellen Gewerkschaft Union générale des travailleurs Algériens haben es die kleineren, autonomen Gewerkschaften zunehmend schwerer, für die Interessen ihrer Mitglieder einzutreten. Gegenüber dem Lehrerverband Conseil national des enseignants contractuels ging der Staatsapparat beispielsweise bei mehreren Protestaktionen im Jahr 2009 ausgesprochen repressiv vor: Demonstrationsteilnehmer wurden verhaftet oder von Polizeikräften auf offener Straße zusammengeschlagen, sodass sie ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten. Derartige Maßnahmen trafen auch einige weitere Gewerkschaften. Dass die innenpolitische Situation in Algerien im Vergleich zu anderen arabischen Ländern dennoch relativ ruhig blieb, hat vor allem zwei Gründe: Zum einen reagierte das Regime von Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika auf die im Januar 2011 aufkommenden Proteste relativ schnell und hob am 23. Februar 2011 den seit 19 Jahren währenden Ausnahmezustand auf; zum anderen leidet die algerische Gesellschaft immer noch unter dem Trauma des Bürgerkriegs (1992–2000), sodass für die Mehrheit der Bevölkerung öffentliche Ordnung und Ruhe wichtiger sind als Forderungen nach Demokratie. Jordanien verharrt bei der politischen Transformation zwar auf Rang 97, allerdings mit einem um 0,10 Punkte verschlechterten Wert (jetzt 3,92 Punkte). Grund dafür waren Abwertungen in den Bereichen Gewaltmonopol und Staatsidentität, die durch einige Zusammenstöße der Clans in den ländlichen Gegenden rund um Ajlun, Mafraq und anderen Städten hervorgerufen wurden. Höhepunkt der gewaltsamen Auseinandersetzungen waren die Parlamentswahlen im November 2010, bei denen es zu Unruhen an verschiedenen Orten des Landes kam. Insgesamt lassen sich für die Mehrzahl der untersuchten Länder leichte bis deutliche Rückschritte bei der politischen Transformation konstatieren. Die Öffnungstendenzen rund um das Jahr 2005 haben sich als temporäre Ausnahme, nicht aber als Trendwende in der „demokratieresistenten“ Region erwiesen. Die jetzige Demokratisierungswelle ist im Gegensatz dazu jedoch von unten getragen anstatt von oben verordnet, sodass Anlass zur Hoffnung besteht, dass zumindest in Tunesien und Ägypten tatsächlich nachhaltige Demokratisierungsschritte eingeleitet werden können. Wirtschaftliche Transformation Bei der wirtschaftlichen Transformation ist „Stagnation“ das prägende Stichwort für die Beschreibung der jüngsten Entwicklungen. Bemerkenswert ist einzig der Aufstieg Katars von der zweitbesten in die beste Kategorie – das kleine Emirat ist damit die einzige „entwickelte Marktwirtschaft“ der Region. Das Gegenstück dazu bildet der Sudan, der den Irak als regionales Schlusslicht abgelöst hat. Positiv ist der Sprung Marokkos von der zweitschlechtesten Kategorie ins Mittelfeld mit einer Einstufung als „Marktwirtschaft mit Funktionsdefiziten“. Allerdings fiel Oman, im letzten BTI erst aufgestiegen, in ebendiese Kategorie wieder zurück. Keine Kategorie-

<strong>BTI</strong> <strong>2012</strong> | <strong>Regionalbericht</strong> <strong>Naher</strong> <strong>Osten</strong> <strong>und</strong> <strong>Nordafrika</strong> 6<br />

Meinungs- <strong>und</strong> Pressefreiheit sowie der Gewaltenteilung zur Abwertung. Letzteres führte auch im<br />

Oman zur Abwertung, negativ verstärkt durch eine zunehmend eingeschränkte Unabhängigkeit der<br />

Justiz.<br />

Auch Katar (Rang 91) bestätigte seine zuletzt hoffnungsvollen Liberalisierungsschritte nicht <strong>und</strong><br />

fiel um 0,12 Punkte zurück. Zum einen wird in dem kleinen Emirat ein stärkerer Einfluss religiöser<br />

Würdenträger auf den politischen Prozess ausgemacht, zum anderen wurden die Gewaltenteilung<br />

sowie die Bürgerrechte zunehmend verletzt. Zur Abwertung führte zudem die Tatsache, dass die<br />

ursprünglich einmal für 2004 vorgesehenen Parlamentswahlen im Berichtszeitraum ein weiteres<br />

Mal verschoben wurden <strong>und</strong> nun erst für 2013 anberaumt sind.<br />

Die nordafrikanischen Staaten (mit Ausnahme Tunesiens) <strong>und</strong> die Länder der Levante gehören<br />

schließlich allesamt zu den Verlierern. Auf äußerst niedrigem Niveau verblieb Syrien, das seit den<br />

Fortschritten nach dem Abzug aus dem Libanon 2005 ohne nennenswerte Änderungen bei der<br />

politischen Transformation nach wie auf Rang 115 aller 128 <strong>BTI</strong>-Länder steht. Das harte Vorgehen<br />

der Regierung gegen die Demonstrierenden im Jahr 2011 zeigt in erschreckender Weise die<br />

Unmenschlichkeit des technokratischen Regimes <strong>und</strong> führt Syrien in Zustände zurück, die man mit<br />

dem Tod von Hafiz al-Assad überw<strong>und</strong>en gehalten hätte.<br />

Gleiches gilt für Libyen. Das Land, bei der politischen Transformation in den vergangenen Jahren<br />

stets auf extrem niedrigem Niveau, wurde aufgr<strong>und</strong> verschlechterter Presse- <strong>und</strong> Meinungsfreiheit,<br />

die nun auf dem untersten Niveau rangiert, sowie wegen Einschränkungen bei der Unabhängigkeit<br />

der Justiz nochmals um 0,10 Punkte abgewertet <strong>und</strong> befindet sich damit nun auf Rang 117. Obwohl<br />

das Regime um Muammar al-Gaddafi das eigene Land stets als Musterbeispiel für eine<br />

funktionierende direkte Demokratie dargestellt hatte <strong>und</strong> es sogar als Modell für die gesamte Welt<br />

propagierte, sind in Wirklichkeit nicht einmal mehr Ansätze von funktionierender Demokratie zu<br />

finden. Und dies, obwohl die jüngsten, mit großer Brutalität gegen die Oppositionsbewegung<br />

durchgeführten Unterdrückungsmaßnahmen erst nach Beendigung des Untersuchungszeitraums für<br />

den <strong>BTI</strong> <strong>2012</strong> einsetzten, nämlich ab dem 16. Februar 2011.<br />

In Ägypten setzte sich der bereits im letzten <strong>BTI</strong> festgestellte Abwärtstrend im politischen Bereich<br />

bis zum Ende von Hosni Mubaraks Amtszeit als Staatspräsident am 11. Februar 2011 fort. Das<br />

Land erfährt eine Abwertung um 0,13 Punkte, sodass Ägypten im aktuellen Demokratie-Ranking<br />

nur noch auf Rang 91 liegt. Damit zählte das Mubarak-Regime mit einem Wert von 4,08 zwar noch<br />

zu den moderaten Autokratien, jedoch nur noch mit leichtem Abstand zur untersten Kategorie, den<br />

harten Autokratien (ab einem Wert kleiner als 4,00). Verschlechterungen wurden insbesondere im<br />

Bereich der Versammlungsfreiheit, der Gewaltenteilung <strong>und</strong> der Unabhängigkeit der Justiz<br />

verzeichnet. Für Letzteres war die Beschneidung der Beaufsichtigungsrechte von Richtern bei der<br />

Durchführung von landesweiten Wahlen ausschlaggebend, die man ihnen erst eingeräumt <strong>und</strong> dann<br />

wieder entzogen hatte. Zudem installierte das Mubarak-Regime parallele Sondergerichte, um mehr<br />

<strong>und</strong> mehr Justizverfahren unter unmittelbare Kontrolle zu bekommen. Diese Sondergerichte<br />

unterlagen keinerlei zivilrechtlicher Kontrolle <strong>und</strong> schränkten die gr<strong>und</strong>legenden Bürgerrechte der<br />

Angeklagten in deutlicher Weise ein.

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