Mündlichkeit - elementargermanistik.uni-bremen.de - Universität ...
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Der dritte Schritt: Gestische Darstellung<br />
Die gestische Darstellung ist für <strong>de</strong>n Erzähler mehr als<br />
beliebiges Ausschmücken. Das erklärt sich aus <strong>de</strong>m<br />
Erzählen selbst: Erzählen heißt ja, die gegenwärtige<br />
Situation, auf die sich sprachliches Han<strong>de</strong>ln in <strong>de</strong>r<br />
Alltagskomm<strong>uni</strong>kation bezieht, zu verlassen und sich<br />
in <strong>de</strong>r Vorstellung in eine vergangene o<strong>de</strong>r fiktive<br />
Handlungssituation zu begeben. Im Gegensatz zur<br />
Re<strong>de</strong>, die auf die gegenwärtige sinnlich erfahrbare<br />
Handlung bezogen ist, muss das Umfeld nun in <strong>de</strong>r<br />
Vorstellung konstruiert wer<strong>de</strong>n.<br />
Gestische Darstellung unterstützt die Vorstellungsfähigkeit.<br />
Darstellen<strong>de</strong> Gestik arbeitet mit verkürzten<br />
Spielhandlungen. Je<strong>de</strong>m Spiel aber liegt eine Vorstellung<br />
zugrun<strong>de</strong>, die es in stellvertreten<strong>de</strong>r „symbolischer“<br />
Aktivität zu realisieren sucht. Deshalb rufen<br />
diese verkürzten gestischen Spiele im Betrachter wie<strong>de</strong>r<br />
Vorstellungsbil<strong>de</strong>r hervor.<br />
Ich nehme aus <strong>de</strong>r Gesamthandlung o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Gesamtbild<br />
eine Bewegung o<strong>de</strong>r ein Detail heraus und<br />
bil<strong>de</strong> es im Bewegungsraum meiner Hän<strong>de</strong> vor <strong>de</strong>m<br />
Körper ab.<br />
Ich bin dabei nicht auf die Hän<strong>de</strong> beschränkt, Bewegungen<br />
<strong>de</strong>r Füße, <strong>de</strong>s Kopfes etc können ebenso gestisch<br />
benutzt wer<strong>de</strong>n. Ich erzeuge damit in <strong>de</strong>r Vorstellung<br />
<strong>de</strong>s Zuhörers/Zuschauers das Bestreben, sich<br />
Siehe dazu die Übungen zur Darstellung in 1.2.<br />
Der vierte Schritt: Formeln entwickeln<br />
Beim wie<strong>de</strong>rholten Erzählen schleifen sich feststehen<strong>de</strong><br />
Wendungen ein, die bald zum unverzichtbaren<br />
Bestand dieser Geschichte gehören: Gelungene Formulierungen<br />
ebenso wie einzelne Dialogpassagen<br />
unserer Hel<strong>de</strong>n.<br />
Im Gegensatz zum Lesen, wo die Wie<strong>de</strong>rholung stört,<br />
erleichtert die wie<strong>de</strong>rholen<strong>de</strong> Formel <strong>de</strong>m Hörer das<br />
Aufnehmen <strong>de</strong>r Erzählung. Dem Erzähler schafft es<br />
einen Ruhepunkt in <strong>de</strong>r ständigen improvisieren<strong>de</strong>n<br />
Formulierung.<br />
Zum Erzählen literarischer Vorlagen<br />
Auch kürzere literarische Texte, Kurzgeschichten, Novellen<br />
o<strong>de</strong>r Geschichten aus Kin<strong>de</strong>rbüchern können<br />
als Vorlagen mündlicher Erzählungen dienen. Dabei<br />
sind allerdings die Unterschie<strong>de</strong> zwischen einer mündlichen<br />
und einer geschriebenen Erzählung zu berücksichtigen.<br />
Der Erzähler berichtet in erster Linie von <strong>de</strong>n Handlungen<br />
seiner Hel<strong>de</strong>n, innere Entwicklungen o<strong>de</strong>r Überlegungen<br />
<strong>de</strong>r Hel<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Sichtweisen und Bewertungen<br />
<strong>de</strong>s Erzählers lassen sich nur in knapper Form<br />
in die Erzählung einfügen: Beim Hören sind solche<br />
Betrachtungen nur schwer aufzunehmen. Märchen<br />
„übersetzen“ <strong>de</strong>shalb die innere Entwicklung in äuße-<br />
das ganze Bild vorzustellen. Wie alle nonverbalen<br />
Signale sind gestische Zeichen nicht präzise, sie wer<strong>de</strong>n<br />
erst im Kontext <strong>de</strong>r Erzählung fixiert. Einmal festgelegt<br />
können sie immer wie<strong>de</strong>r benutzt wer<strong>de</strong>n und<br />
rhythmisieren die Erzählung ganz ähnlich wie die<br />
sprachlichen Formeln, von <strong>de</strong>nen noch die Re<strong>de</strong> sein<br />
wird.<br />
Die gestische Darstellung erfor<strong>de</strong>rt etwas Vorbereitung.<br />
Um für eine Geschichte eine sprachliche Form zu<br />
fin<strong>de</strong>n, die vor einem kleineren Publikum erzählbar ist,<br />
hat man sie nur einige Male drauflos zu erzählen, am<br />
besten zunächst vor guten Bekannten. Beim dritten<br />
o<strong>de</strong>r vierten Mal liegt sie dann schon ganz gut auf <strong>de</strong>r<br />
Zunge. Die gestische Darstellung muss etwas bewusster<br />
angelegt wer<strong>de</strong>n. Man hat allerdings auch hier die<br />
Möglichkeit, zunächst vor wenigen Zuhörern zu erzählen<br />
und dabei darauf zu achten, wie uns an bestimmten<br />
Stellen die Hand zuckt o<strong>de</strong>r welches Mienenspiel<br />
wir an<strong>de</strong>uten etc. Sobald man diese Impulse bewusster<br />
wahrnimmt und vergrößert, erhält man eine Darstellungsweise,<br />
die <strong>de</strong>n eigenen Möglichkeiten gut<br />
entspricht.<br />
Zur Vorbereitung einer Erzählung ist es sinnvoll, bewusst<br />
nach solchen festen Formulierungen zu suchen.<br />
Das einfachste Verfahren dafür ist wie<strong>de</strong>rum, eine<br />
Geschichte mehrmals in unverfänglicher Situation zu<br />
erzählen, und darauf zu achten, welche Wendungen<br />
sich einschleifen.<br />
An dramatischen Punkten erfolgen<strong>de</strong> Dialoge o<strong>de</strong>r<br />
solche, die eine Figur kennzeichnen, sollte man wörtlich<br />
zur Verfügung haben und dafür jetzt, aber eben<br />
erst jetzt, wie<strong>de</strong>r auf die Textvorlage zurückgreifen.<br />
re Handlung und bewähren sich auch unter diesem<br />
Gesichtspunkt als robuste „Erzählstückl“. Beim<br />
Schreiben lassen sich dagegen vergleichsweise beschei<strong>de</strong>ne<br />
Handlungen so ausformulieren, dass sie im<br />
Leser Spannung und Interesse wecken, von ihm verfolgt<br />
und aufgenommen wer<strong>de</strong>n können.<br />
Die Auswahl <strong>de</strong>r Vorlage ist hier also mit beson<strong>de</strong>rer<br />
Sorgfalt vorzunehmen.<br />
Um eine geschriebene Erzählung in freier mündlicher<br />
Version wie<strong>de</strong>rzugeben, muss ihr eine klare, übersichtliche<br />
und abgeschlossene Handlung zugrun<strong>de</strong> liegen.<br />
Die mündliche Erzählung literarischer Vorlagen soll<br />
das Lesen nicht ersetzen, kann aber vor allem in <strong>de</strong>r<br />
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