Wenn einem Dorf das Gas abgedreht wird - Andrássy Universität ...
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11. Jahrgang/Nr. 9 Budapest, 28. Februar - 6. März 2011 www.bzt.hu 750 Forint - 3,00 Euro<br />
KONTROVERSE:<br />
Vertreter von Regierung und<br />
Opposition trafen sich beim DWC<br />
zu einer Podiumsdiskussion.<br />
Politik Seite 4-5 Wirtschaft Seite 6 Kultur Seite 11<br />
EINE REPORTAGE<br />
VON PETER BOGNAR,<br />
KONSTANZE FAßBINDER,<br />
INES GRUBER UND LISA WEIL<br />
2000 Einwohner, 90% Roma,<br />
100% Arbeitslosigkeit – <strong>das</strong> ist die<br />
Realität in Tiszabõ.<br />
m etwa 120 Kilometer entfern-<br />
Iten Budapest spricht die Regierung<br />
im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft<br />
davon, wie man die<br />
Roma durch Bildung integrieren<br />
solle. In Tiszabõ und dem nahe gelegenen<br />
Tiszabura, den beiden einkommensschwächsten<br />
Gemeinden<br />
des Landes, wäre man hingegen<br />
froh, wenn man den normalen<br />
Schulbetrieb aufrecht erhalten<br />
könnte: Während die Schule in Tiszabura<br />
wegen unbezahlter <strong>Gas</strong>rechnungen<br />
bereits geschlossen<br />
wurde, hängt es in Tiszabõ am seidenen<br />
Faden, ob der Ort sich seine<br />
Bildungseinrichtung weiter leisten<br />
kann.<br />
Hoffnungslosigkeit und <strong>das</strong> Gefühl,<br />
von der Regierung im Stich<br />
gelassen worden zu sein, überwältigen<br />
die Menschen dort Tag für<br />
Tag. Akute Mängel gehören für die<br />
meisten Einwohner zum Alltag:<br />
Mangel an Heizmaterial, Strom,<br />
Arbeit, Bildung und Perspektive.<br />
Dafür haben sie andere Faktoren<br />
wie Straßenhunde, Frustration,<br />
Kriminaltät, Schulden und vor allem<br />
Zeit im Überfluss.<br />
Reise<br />
ins Nirgendwo<br />
Trotz eindringlicher Warnung im<br />
unweit gelegenen Törökszentmiklós<br />
– es sei in Tiszabõ sehr gefährlich<br />
– fuhr <strong>das</strong> Reportageteam der<br />
KONJUNKTURPAKET:<br />
Die umfassenden Reformprogramme<br />
der Regierung lassen<br />
weiterhin auf sich warten.<br />
BUDAPESTER ZEITUNG in die beiden<br />
ärmsten Gemeinden Ungarns.<br />
Die Fahrt dorthin führte über mit<br />
Schlaglöchern übersäte, vereiste<br />
KURIOSITÄT:<br />
Andrej Tóth stellt auf dem<br />
Kulturschiff A38 seine etwas<br />
anderen Bilder vor.<br />
Straßen, einspurige Eisenbahnbrücken<br />
und ungesicherte Dämme in<br />
ein Niemandsland. Weit abseits von<br />
ausgerollten roten Teppichen, Sekt-<br />
empfängen und vollmundigen Politikerreden<br />
bot sich in Tiszabõ ein<br />
Bild der Trostlosigkeit. In Tiszabura,<br />
der zweitärmsten Ort Ungarns,<br />
KRITIK:<br />
Historiker Hans Mommsen<br />
spricht über die nationalsozialistische<br />
Vergangenheit Deutschlands.<br />
Gesellschaft Seite 16<br />
Reise in die zwei ärmsten Ortschaften Ungarns<br />
<strong>Wenn</strong> <strong>einem</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>das</strong> <strong>Gas</strong> <strong>abgedreht</strong> <strong>wird</strong><br />
In Deutschland war es 1949 <strong>das</strong> letzte Mal<br />
soweit, in Frankreich kam es 1958 zuletzt<br />
dazu und nun, 2011, soll auch in Ungarn eine<br />
neue Verfassung den Beginn einer neuen<br />
Staatlichkeit symbolisieren. Nach Bekanntwerden<br />
der Wahlergebnisse sprach Premier<br />
Viktor Orbán von einer „Revolution in den<br />
Wahlkabinen“. Die Ablösung der Verfassung<br />
von 1949 durch ein neues Staatsrecht<br />
ist in den Augen der Regierung die logische<br />
und einzig mögliche Option.<br />
eit der Wende gab es mehrere Anläufe,<br />
Sdem Staat eine neue Verfassung zu geben.<br />
Sowohl die Antal-Regierung (1990-94)<br />
als auch die Regierung Horn (1994-98)<br />
unternahmen entschlossene, jedoch wenig<br />
erfolgreiche Versuche, den Systemwechsel<br />
BZT / Peter Bognar<br />
Roma-Kinder auf dem Schulhof in Tiszabõ – noch befinden sie sich auf einer „Insel des Friedens“.<br />
mittels einer neuen Verfassung zum Abschluss<br />
zu bringen. So sehr eine neue<br />
Verfassung selbst noch 1998 notwendig gewesen<br />
wäre als Viktor Orbán <strong>das</strong> erste Mal<br />
die Regierungsgeschäfte übernahm, so sehr<br />
scheiterte auch er daran, einen breiten, für<br />
dieses Vorhaben notwendigen Konsens herzustellen.<br />
Gelebte Verfassung<br />
Trotz Flickenschusterei hat sich die ungarische<br />
Verfassung in den letzten 20 Jahren jedoch<br />
als durchaus belastbares Staatskonzept<br />
bewährt. Neben diversen Änderungen hat<br />
vor allem <strong>das</strong> Verfassungsgericht dabei geholfen,<br />
Ungenauigkeiten im Text zu interpretieren<br />
und damit Rechtssicherheit herzu-<br />
stellen. Ähnlich wie beim deutschen Grundgesetz<br />
wurde die Verfassung aber nie durch<br />
den Willen des Volkes legitimiert. In beiden<br />
Fällen hat sich dies jedoch im Prinzip als obsolet<br />
erwiesen, da die gelebte Verfassung akzeptiert<br />
war und ihre Legitimität nicht in<br />
Frage gestellt wurde.<br />
Verschiedene Konzepte<br />
Ebenso wie die fehlende Legitimierung<br />
findet der Fidesz weiterhin die Tatsache inakzeptabel,<br />
<strong>das</strong>s die Verfassung Ungarns rein<br />
formal noch immer auf „stalinistischen<br />
Grundlagen“ beruht. Nicht zuletzt diese beiden<br />
Makel will der Fidesz nun mittels einer<br />
neuen Verfassung beheben. Durch ihre verfassungsändernde<br />
Zweidrittelmehrheit ist<br />
gab es zumindest vereinzelt noch<br />
einen Funken Hoffnung.<br />
Lesen Sie den vollständigen<br />
Artikel auf den Seiten 8-9.<br />
Ungarn bekommt eine neue Verfassung<br />
Ohne stalinistische Wurzeln und vom Volkswillen legitimiert<br />
www.takarékbank.hu<br />
KURSE<br />
322.12 323.64<br />
18. Feb. 25. Feb.<br />
269.65 272.80<br />
18. Feb. 25. Feb.<br />
208.56<br />
18. Feb.<br />
207.68<br />
25. Feb.<br />
198.67 201.72<br />
18. Feb. 25. Feb.<br />
BSE<br />
OPEN<br />
22,548.10<br />
21. Feb.<br />
Budapest<br />
Stock Exchange<br />
BUX peak: 30,118.12 July 23, 2007<br />
BUX low: 9,461 March 13, 2009<br />
22,548.10<br />
22,573.15<br />
23,046.76<br />
22,537.64<br />
22,363.85<br />
22,352.78<br />
MO DI MI DO FR<br />
die Regierungskoalition bei diesem Vorhaben<br />
nicht auf die Zustimmung der anderen drei<br />
im Parlament vertretenen Parteien angewiesen.<br />
Neben dem Konzept der Fidesz-KDNP-<br />
Fraktion haben noch die MSZP und die<br />
LMP eigene Verfassungskonzepte vorgelegt.<br />
Allerdings sieht nur die ehemalige Regierungspartei<br />
MSZP die Notwendigkeit einer<br />
neuen Verfassung. Die seit 2010 <strong>das</strong> erste<br />
Mal im Parlament vertretene LMP spricht<br />
sich hingegen klar gegen eine neue<br />
Verfassung aus. Sie erkennt lediglich die<br />
Notwendigkeit diverser Verfassungsänderungen<br />
an.<br />
Auf der Seite 3 stellen wir Ihnen die wichtigsten<br />
Eckpunkte der verschiedenen Verfassungsentwürfe<br />
vor.<br />
CLOSE<br />
23,046.76<br />
25. Feb.<br />
771785 110000 1 1 0 0 9
2 BUDAPESTER ZEITUNG POLITIK 28. FEBRUAR - 6. MÄRZ 2011 • NR. 9<br />
KOMPAKT<br />
� Jobbik legt Kranz vor Holocaust-Mahnmal<br />
nieder. Wie <strong>das</strong> Internetportal index.hu<br />
berichtet, hat die Jobbik-Partei im Rahmen des<br />
von ihnen ausgerufenen „Tag der Ehre“ an <strong>einem</strong><br />
Holocaust-Mahnmal in Karcag einen Kranz<br />
niedergelegt. Dabei habe es sich jedoch laut<br />
dem Vize-Vorsitzenden der Partei, Elõd Novák,<br />
um ein Versehen gehandelt; <strong>das</strong> Mahnmal war<br />
für ein Kriegerdenkmal gehalten worden. Durch<br />
minimalen Rechercheaufwand hätte dies verhindert<br />
werden können: Auf der Rückseite des<br />
Denkmals, vor dem Novák auch eine Rede hielt,<br />
ist auf einer Plakette folgende Aufschrift zu<br />
lesen: „Zum ewigen Gedenken an die in Vernichtungslagern<br />
und Arbeitsdiensten ermordeten<br />
446 jüdischen Karcager Märtyrer“.<br />
� Rauchverbot in <strong>Gas</strong>tstätten ab Sommer.<br />
Mehrere Abgeordnete der Regierungskoalition<br />
stellten einen Antrag auf Änderung des Nichtraucher-Schutzgesetzes<br />
dahingehend, <strong>das</strong>s in<br />
sämtlichen öffentlichen Gebäuden <strong>das</strong> Rauchen<br />
nicht mehr gestattet sein soll. Der Vorschlag<br />
beinhaltet außerdem Bußgelder bei Verstößen<br />
gegen die neue Regelung. Allerdings soll es eine<br />
Übergangsfrist von drei Monaten ab Juli geben.<br />
Die Einnahmen aus den Bußgeldern sollen<br />
ausschließlich für gesundheitspolitische Zwecke<br />
verwendet werden.<br />
� Untersuchungsausschuss zur Staatsverschuldung.<br />
Am heutigen Montag <strong>wird</strong> ein<br />
Untersuchungsausschuss zur Entstehung der<br />
Staatsverschuldung eingesetzt. Dieser soll nach<br />
Ansicht der Regierung herausfinden, „wer und<br />
aus welcher Motivation heraus Ungarn endgültig<br />
und dramatisch in den letzten 8 Jahren verschuldet<br />
hat“. Regierungssprecher Péter<br />
Szíjjártó bezeichnete die Staatsschulden als<br />
den größten Feind der Nation, den es anzugehen<br />
gelte. Der Ausschuss <strong>wird</strong> ausschließlich<br />
aus Mitgliedern des Fidesz bestehen.<br />
BUDAPESTER ZEITUNG<br />
ISSN 1419-8770<br />
Verlag: BZT Media Kft.<br />
1037 Budapest, Kunigunda útja 18<br />
Chefredakteur & Herausgeber: Jan Mainka<br />
Tel: 453-0752, 453-0753 Fax: 240-7583<br />
E-Mail: verlag@bzt.hu - redaktion@bzt.hu<br />
Internet: www.bzt.hu<br />
Politik: Peter Bognar<br />
Kultur: Ines Gruber<br />
Fotos: Aaron Taylor<br />
Layout: Zsuzsa Urbán<br />
Marketing & Sales: Jan Mainka<br />
Abo & Distribution: Ildikó Varga<br />
Druck: Adoc Nyomda Kft.<br />
Kioskvertrieb: Hungaropress Kft.<br />
Abonnement:<br />
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Budapester Zeitung ist Partner der:<br />
THE BUDAPEST TIMES<br />
Schmiergeldaffäre im Verteidigungsministerium<br />
Ex-Verteidigungsminister unter Verdacht<br />
Muskelprotze mit politischem Rückenwind: Gute Geschäfte dank hochrangiger Beziehungen.<br />
Der ehemalige sozialistische Verteidigungsminister<br />
Ferenc Juhász (2002-2006) steht mit dem<br />
Rücken zur Wand. Juhász wurde am vorvergangenen<br />
Freitag in der Sendung Célpont des ungarischen<br />
Nachrichtensenders hírTV zur Last gelegt,<br />
Schmiergelder entgegengenommen zu haben.<br />
ach Informationen von hírTV sagte der der<br />
NBestechung verdächtigte Brigadegeneral<br />
János O. gegenüber der Staatsanwaltschaft gegen<br />
den Ex-Verteidigungsminister aus. Demnach<br />
streifte auch Ferenc Juhász millionenschwere<br />
Bestechungsgelder ein. János O. sagte aus, <strong>das</strong>s<br />
er dem einstigen Staatssekretär im Verteidi-<br />
gungsministerium, László Fapál, einmal zwölf<br />
Millionen Forint in <strong>einem</strong> Kuvert überreicht habe.<br />
Gemäß jener Aussage, die hírTV vorliegt,<br />
sagte János O. wörtlich: „Er (Fapál) hat vier Millionen<br />
herausgenommen und in eine rote Getränkedose<br />
getan, möglich, <strong>das</strong>s er <strong>das</strong> Geld in<br />
eine Whisky-Dose legte. Er sagte mir daraufhin,<br />
<strong>das</strong>s dies für den Chef sei (…) Chef bedeutete<br />
Minister Ferenc Juhász.“<br />
Laut hírTV sagte János O. zudem aus, <strong>das</strong>s<br />
Fapál ihm gegenüber einmal geäußert hätte, <strong>das</strong>s<br />
jene 50 Prozent, die er bekomme, dreigeteilt<br />
würden. Außer ihm bekämen noch Ferenc Juhász<br />
und der damalige Kabinettschef Mihály Zámbori<br />
ihren Teil. Fapál wurde mit Verdacht auf Beste-<br />
Verdacht auf Veruntreuung<br />
Moskauer Immobilientransfer wirft<br />
Schatten auf Regierung Gyurcsány<br />
Neben den Korruptionsvorwürfen<br />
gegen den sozialistischen Ex-Verteidigungsminister<br />
Ferenc Juhász<br />
berichteten die regierungsnahen<br />
Medien zuletzt auch eingehend<br />
über den 2008 erfolgten Verkauf einer<br />
Moskauer Immobilie durch den<br />
ungarischen Staat. Bekanntlich war<br />
damals die linksliberale Regierung<br />
von Ferenc Gyurcsány am Ruder.<br />
Finanzminister war seinerzeit der<br />
sozialistische Politiker János Veres.<br />
as an der Sache verquer ist, ist<br />
Wder viel zu niedrige Verkaufspreis<br />
der Moskauer Immobilie. Bei<br />
der ehemaligen ungarischen Handelsvertretung<br />
handelt es sich um<br />
ein 17.000 Quadratmeter großes,<br />
zentral gelegenes realsozialistisches<br />
Gebäude, <strong>das</strong> vor dem Verkauf die<br />
größte Immobilie des ungarischen<br />
Staates im Ausland war. Das Gebäude<br />
wurde vom ungarischen Staat im<br />
Jahr 2008 um läppisch anmutende<br />
3,5 Milliarden Forint verkauft.<br />
Im November 2009 veröffentlichte<br />
die konservative Wochenzeitung<br />
Heti Válasz zum ersten Mal ei-<br />
ne offizielle Wertbestimmung des<br />
Moskauer Gebäudes. Laut Dokumenten,<br />
die Heti Válasz vorlagen,<br />
hatte jene russische Immobilienfirma,<br />
die vom ungarischen Staat<br />
mit der Veräußerung des Gebäudes<br />
beauftragt worden war, Angebote<br />
zwischen acht und 13,5 Milliarden<br />
Forint bekommen. Gleichwohl habe<br />
die Regierung Gyurcsány die<br />
Immobilie um den genannten<br />
Spottpreis an ein Offshore-Unternehmen<br />
veräußert. Die Wochenzeitung<br />
Heti Válasz ließ in ihrem<br />
Artikel damals auch durchblicken,<br />
<strong>das</strong>s selbst János Veres in der Angelegenheit<br />
involviert sein könnte.<br />
Veres hatte <strong>das</strong> Blatt daraufhin vor<br />
Gericht verklagt, allerdings erfolglos.<br />
Mindensten fünf Milliarden<br />
Forint Schaden<br />
Weil ihr die ganze Sache in hohem<br />
Maße suspekt erschienen war,<br />
hatte die Wochenzeitung Heti Válasz<br />
<strong>das</strong> Dokument der Staatsanwaltschaft<br />
zukommen lassen. Die<br />
Behörde erachtete es daraufhin für<br />
begründet, ein strafrechtliches Verfahren<br />
einzuleiten, wurde doch<br />
dem Staat ein Schaden von mindestens<br />
fünf Milliarden Forint zugefügt.<br />
Im Rahmen des Verfahrens<br />
wurden vor drei Wochen der ehemalige<br />
ungarische Botschafter in<br />
Moskau, Árpád Székely, die frühere<br />
Staatssekretärin im Außenministerium,<br />
Márta Fekszi, und der Generaldirektor<br />
des Nationalen Ungarischen<br />
Vermögensverwalters,<br />
Miklós Tátrai, festgenommen und<br />
verhört. Die drei Personen wurden<br />
aber bald wieder freigelassen.<br />
Vor zwei Wochen berichtete die<br />
Moskauer Zeitung Vedomoszty davon,<br />
<strong>das</strong>s der jetzige Eigentümer<br />
des Gebäudes, <strong>das</strong> Regionale Entwicklungsministerium<br />
in Russland,<br />
umgerechnet rund 21 Milliarden<br />
Forint, also <strong>das</strong> Siebenfache, für die<br />
Immobilie an besagtes Offshore-<br />
Unternehmen überwiesen habe.<br />
Nachdem der stellvertretende russische<br />
Ministerpräsident, Dimitri Kosak,<br />
erfahren hatte zu welchem Preis<br />
die Immobilie zuvor den Besitzer<br />
chung bereits im vergangenen Dezember in Untersuchungshaft<br />
genommen. Er war bis Juni<br />
2006 Staatssekretär im Verteidigungsministerium<br />
gewesen. Später arbeitete er als Berater für<br />
<strong>das</strong> Ministerium.<br />
In der besagten Sendung von hírTV, wurde<br />
unter Hinweis auf laufende Ermittlungen der<br />
Staatsanwaltschaft berichtet, <strong>das</strong>s es im Verteidigungsministerium<br />
seinerzeit Usus gewesen sei,<br />
<strong>das</strong>s die Offiziere fünf bis zehn Prozent der<br />
Bestellungen durch <strong>das</strong> Ministerium von den<br />
Zulieferern und vertraglichen Partnern zurückverlangt<br />
und <strong>das</strong> Geld untereinander aufgeteilt<br />
hätten. Brigadegeneral János O. soll der Kopf<br />
der korrupten Machenschaften gewesen sein.<br />
Die illegalen Gelder seien zur Hälfte in die<br />
Taschen der Offiziere und zur Hälfte in die<br />
Portemonnaies der ministeriellen Leitung geflossen.<br />
Juhász weist<br />
Vorwürfe zurück<br />
Ferenc Juhász wies die gegen ihn erhobenen<br />
Korruptionsvorwürfe umgehend zurück. Er erklärte,<br />
<strong>das</strong>s die Staatsanwaltschaft in dieser Causa<br />
bereits seit <strong>einem</strong> Jahr Ermittlungen führe und<br />
er noch kein einziges Mal als Zeuge verhört worden<br />
sei.<br />
Unterdessen schrieb die regierungsnahe, konservative<br />
Zeitung Magyar Nemzet, <strong>das</strong>s in jenen<br />
Akten, die mit den Bestechungen beim<br />
Verteidigungsministerium zu tun haben, auch<br />
die Security-Firma In-Kal Security erwähnt werde.<br />
In-Kal Security habe einige öffentliche Aufträge<br />
erhalten und angeblich auch Schmiergelder<br />
an <strong>das</strong> Verteidigungsministerium bezahlt. Die<br />
öffentlichen Aufträge seien vermutlich deshalb<br />
an In-Kal Security vergeben worden, weil der<br />
heutige stellvertretende Chef der Sozialisten,<br />
László Kovács, enge Kontakte zur Security-Firma<br />
pflege, schreibt Magyar Nemzet.<br />
PETER BOGNAR<br />
gewechselt hatte, wollte er den<br />
Kaufvertrag in seiner ersten Wut sogar<br />
für nichtig erklären lassen.<br />
Schließlich entschied die russische<br />
Regierung, <strong>das</strong> Gebäude billiger renovieren<br />
zu lassen als ursprünglich<br />
geplant gewesen war.<br />
Ferenc Gyurcsány<br />
involviert?<br />
In der vorvergangenen Woche<br />
schrieb die bereits erwähnte Wochenzeitung<br />
Heti Válasz unter Berufung<br />
auf die Regierungskontrollbehörde<br />
(Kehi), <strong>das</strong>s die damalige<br />
politische Führung des Landes<br />
vom Verkauf der Moskauer Immobilie<br />
wissen hätte müssen. Laut<br />
Kehi-Leiter Szabolcs Barna Gaál<br />
hat <strong>das</strong> Gyurcsány-Kabinett im Juni<br />
2008 in einer Regierungssitzung<br />
über <strong>das</strong> Schicksal des Moskauer<br />
Gebäudes gesprochen und registriert,<br />
<strong>das</strong>s die Immobilie nicht<br />
mehr im Eigentum des ungarischen<br />
Staates ist. Angeblich seien Außenministerin<br />
Kinga Göncz und János<br />
Veres damals beauftragt worden,<br />
die Angelegenheit mit entsprechenden<br />
Dokumenten „auszubügeln“.<br />
Vor diesem Hintergrund stellt Heti<br />
Válasz die Frage, ob nicht auch der<br />
frühere Regierungschef Ferenc<br />
Gyurcsány in die Sache involviert<br />
gewesen sei.<br />
PETER BOGNAR
28. FEBRUAR - 6. MÄRZ 2011 • NR. 9 POLITIK BUDAPESTER ZEITUNG 3<br />
ngeachtet der Forderungen der<br />
UOpposition <strong>wird</strong> es über die<br />
neue Verfassung allerdings keine<br />
Volksabstimmung geben. So <strong>wird</strong><br />
der häufig genannte Makel der noch<br />
gültigen Verfassung, keine Legitimation<br />
durch <strong>das</strong> Volk zu haben, erneut<br />
nicht behoben. Stattdessen soll<br />
durch einen Fragebogen, der an jeden<br />
wahlberechtigten Ungarn verschickt<br />
<strong>wird</strong>, <strong>das</strong> Volk „Mitsprache“<br />
bekommen. Rechtsexperten stellen<br />
diese Praxis jedoch in Frage. Sie<br />
verweisen darauf, <strong>das</strong>s für die Auswertung<br />
der Fragebögen bis zur geplanten<br />
Verabschiedung der Verfassung<br />
Ende April nicht genug Zeit<br />
bleibe. Auch werden die zwölf Fragen<br />
inhaltlich kritisiert. Bei einer<br />
Mehrheit der Fragen seien die<br />
Antworten schon jetzt absehbar.<br />
Über den konkreten Inhalt der<br />
neuen Verfassung kann bislang nur<br />
spekuliert werden. Die Parlamentsdebatte<br />
zur Verfassungskonzeption<br />
am Dienstag vorvergangener Woche<br />
brachten jedenfalls wenig neue<br />
Erkenntnisse. Vermutlich auch deshalb,<br />
weil an der Debatte lediglich<br />
15 Abgeordnete teilnahmen.<br />
Neue Rolle der<br />
Stephans-Krone<br />
Die ungarische Verfassungskonzeption<br />
sieht vor, die Heilige Stephanskrone<br />
in die Präambel aufzunehmen,<br />
als „Ausdruck ungarischer<br />
Staatlichkeit“. Diese Betrachtungsweise<br />
ist bisher nur in der so genannten<br />
Lehre der Heiligen Krone<br />
vorgekommen – eine stark revisionistische<br />
Sichtweise, welche die<br />
Krone als eigentlichen Träger der<br />
Staatsmacht sieht. Jedoch hat die<br />
Ungarn bekommt eine neue Verfassung<br />
Stephans-Krone soll in die Präambel<br />
Schon 1031 und jetzt wieder: Die Heilige Stephanskrone als Symbol der Staatlichkeit.<br />
Seit dem Frühjahr 2010 heißt es aus Regierungskreisen, <strong>das</strong>s an den<br />
Wahlurnen eine „Revolution“ vollzogen worden sei. Heute ist in jedem öffentlichen<br />
Gebäude <strong>das</strong> Nationale Bekenntnis zur Zusammenarbeit zu finden,<br />
in dem sich die Regierung zu einer neuen Gesellschaftsordnung bekennt<br />
und dem ungarischen Volk für <strong>das</strong> entgegengebrachte Vertrauen<br />
und die friedliche „Revolution“ dankt. In der Menschheitsgeschichte gingen<br />
Revolutionen fast immer mit Verfassungsänderungen einher. Ein gutes<br />
Beispiel ist Frankreich. Hier wurde jede neue Republik mit einer neuen<br />
Verfassung fundiert. Im April bekommt auch Ungarn ein neues<br />
Grundgesetz.<br />
Lehre nie wissenschaftliche Anerkennung<br />
erlangt, da die Krone als<br />
völkerrechtlich souveränes Subjekt<br />
in der Rechtswissenschaft als nicht<br />
haltbar eingestuft wurde.<br />
Die Heilige Krone ist explizit<br />
nicht in die Reihe der nationalen<br />
Symbole aufgenommen. Durch die<br />
Voranstellung der Heiligen Krone<br />
in die Präambel <strong>wird</strong> ihr eine verfassungsrechtliche<br />
Sonderstellung zuteil.<br />
Laut Opposition sollten in der<br />
Präambel nur die herausragenden<br />
Staatsziele formuliert sein. Diese<br />
Meinung <strong>wird</strong> auch von der Mehrheit<br />
der Rechtsgelehrten in Deutschland<br />
und Ungarn vertreten.<br />
Besonderer<br />
Schutz der Ehe<br />
In Absatz 9 des ersten Kapitels<br />
heißt es, <strong>das</strong>s jeder Anspruch auf<br />
die unveräußerlichen Menschenund<br />
Bürgerrechte hätte. Niemand<br />
dürfe aufgrund von Rasse, Hautfarbe,<br />
Geschlecht et cetera benachteiligt<br />
werden. Die sexuelle Neigung<br />
<strong>wird</strong> unter den oben genannten<br />
Gründen nicht explizit erwähnt,<br />
kann aber durch Auslegung des Textes<br />
durchaus als ebenfalls genannt<br />
betrachtet werden.<br />
Dies erscheint in Absatz 7, wo<br />
der Begriff der Ehe definiert <strong>wird</strong>,<br />
schon in <strong>einem</strong> etwas anderen<br />
Licht. Die Ehe <strong>wird</strong> hier unter besonderen<br />
Schutz gestellt. Wörtlich<br />
heißt es in der Konzeption: „Die<br />
Verfassung (...) stellt die Ehe unter<br />
besonderen Schutz, als die grundlegendste<br />
und natürlichste Einheit<br />
zwischen Mann und Frau(...) und<br />
die daraus hervorgehende Familie“.<br />
In Hinblick auf die Anti-Diskri-<br />
minierungsgrundsätze in Absatz 9<br />
ergibt <strong>das</strong> eine andere Auslegung.<br />
Da die Institution der Familie laut<br />
Konzeption mit Mann und Frau<br />
gleichzusetzen ist, kann davon ausgegangen<br />
werden, <strong>das</strong>s jede andere<br />
Art von Lebensgemeinschaft rechtlich<br />
ins Hintertreffen gerät.<br />
Kein konstruktives<br />
Misstrauensvotum mehr<br />
Im Verfassungskonzept der oppositionellen<br />
Partei LMP beispielsweise<br />
<strong>wird</strong> dieser Sorge Ausdruck<br />
verliehen. Durch die vom Ausschuss<br />
gewählte Formulierung <strong>wird</strong> eine<br />
rechtliche Benachteiligung von Alleinerziehern<br />
oder gleichgeschlechtlichen<br />
Partnerschaften ermöglicht.<br />
Die Sozialisten (MSZP) nehmen<br />
hierzu nicht Stellung.<br />
Keinen Spielraum lässt hingegen<br />
die Formulierung zum Recht auf<br />
Leben. Im Regierungskonzept heißt<br />
es wörtlich: „Als grundlegendes<br />
Menschenrecht<br />
gebührt dem<br />
Recht auf Leben,<br />
welches mit der<br />
Empfängnis beginnt,<br />
besonderer<br />
Schutz.“ Damit<br />
<strong>wird</strong> der bisherigen<br />
Rechtspraxis<br />
in Bezug auf Abtreibungen<br />
und dem<br />
damit verbundenenSelbstbestimmungsrecht<br />
der<br />
Frau jegliche Grundlage<br />
entzogen. Besonders<br />
schwer<br />
wiegt, <strong>das</strong>s die Konzeption keinerlei<br />
Ausnahmen vorsieht. Letztlich <strong>wird</strong><br />
aber alles vom genauen Wortlaut des<br />
Verfassungstextes und von der späteren<br />
Rechtsprechung des Verfassungsgerichts<br />
abhängen. Allerdings<br />
bietet die jetzige Formulierung absolut<br />
keinen Raum für Interpretationen.<br />
Im Verfassungsentwurf der LMP<br />
heißt es dazu, es sei „komplett unbegründet,<br />
die Abtreibungsdebatte<br />
wieder zu eröffnen.“ Dementspre-<br />
Die Lehre der<br />
Heiligen Krone<br />
findet bis heute in<br />
der Wissenschaft<br />
keine Anerkennung.<br />
Sie gilt als<br />
revisionistisch.<br />
chend sei die bisherige Rechtspraxis<br />
beizubehalten, <strong>das</strong> Recht auf Leben<br />
ab dem Zeitpunkt der Empfängnis<br />
daher nicht akzeptabel. Die MSZP<br />
spricht in ihrem Entwurf vom<br />
Recht auf Leben schon vor der Geburt,<br />
jedoch unter rechtlichen Beschränkungen<br />
und strengen Bedingungen.<br />
Einer der wohl kritischsten Punkte<br />
des Verfassungskonzepts betrifft<br />
<strong>das</strong> konstruktive Misstrauensvotum.<br />
Noch kann <strong>das</strong> ungarische Parlament<br />
dem amtierenden Ministerpräsidenten<br />
<strong>das</strong> Misstrauen aussprechen<br />
und so die Neuwahl eines Ministerpräsidenten<br />
herbeiführen. Allerdings<br />
kann dem amtierenden Regierungschef<br />
nur <strong>das</strong> Vertrauen entzogen<br />
werden, wenn ein Nachfolger<br />
bereits feststeht.<br />
Die neue Verfassung soll laut Konzeption<br />
den Aspekt des konstruktiven<br />
Misstrauensvotums außen vor<br />
lassen. Ein Misstrauensvotum könnte<br />
demnach auch ohne anschließend<br />
neu gewählten Ministerpräsidenten<br />
durchgeführt wer-<br />
den. Außerdem<br />
heißt es dort, sofern<br />
<strong>das</strong> Parlament<br />
dem Ministerpräsidenten<br />
innerhalb<br />
von zwölf Monaten<br />
drei Mal<br />
<strong>das</strong> Vertrauen entzieht,<br />
ist <strong>das</strong> Parlament<br />
aufzulösen.<br />
Weiterhin kann<br />
der Staatspräsident<br />
<strong>das</strong> Parlament auflösen,<br />
sofern nach<br />
erfolgtem Misstrauensvotum binnen<br />
40 Tagen kein neuer Ministerpräsident<br />
gewählt ist. Die Einigung auf<br />
einen Ministerpräsidenten nicht als<br />
zwingenden Teil des Misstrauensvotums<br />
zu verankern, lässt den Schluss<br />
zu, <strong>das</strong>s mit dieser Regelung - aus<br />
welchen Gründen auch immer - der<br />
Weg zu vorgezogenen Neuwahlen bewusst<br />
geebnet werden soll. Denn ist<br />
die regierende Koalition mit ihrem<br />
Ministerpräsidenten unzufrieden und<br />
spricht sie ihm <strong>das</strong> Misstrauen aus,<br />
BZT / Aaron Taylor<br />
ohne sich auf einen Nachfolger zu einigen,<br />
sind Neuwahlen <strong>das</strong> Einzige,<br />
um diese Situation zu lösen.<br />
Schwammige<br />
Vertrauensfrage<br />
Ebenfalls kritisch ist der zweite<br />
Absatz zur Auflösung des Parlaments<br />
zu betrachten. Der Staatspräsident<br />
wäre demnach berechtigt, <strong>das</strong> Parlament<br />
in Fällen von politischen Vertrauenskrisen<br />
aufzulösen. Was sich<br />
im ersten Anlauf wie die Grundlage<br />
analog zur Vertrauensfrage in<br />
Deutschland liest, entpuppt sich<br />
beim zweiten Lesen als absolut unkonkrete<br />
Formulierung ohne Schranken<br />
und klare Richtlinien. Während<br />
in Deutschland an die Vertrauensfrage<br />
enorm hohe verfassungsrechtliche<br />
Ansprüche gestellt werden und sie<br />
nach gängiger Rechtsprechung explizit<br />
nicht aus politischen Gründen<br />
gestellt werden darf, sieht die ungarische<br />
Konzeption keinerlei Beschränkungen<br />
vor. Insbesondere <strong>das</strong><br />
Recht des Staatspräsidenten, <strong>das</strong><br />
Parlament aufzulösen, wirft viele<br />
Fragen auf. Auf wessen Initiative löst<br />
er <strong>das</strong> Parlament auf? Wann ist die<br />
„verfassungsrechtlich-politische Vertrauenskrise“<br />
erreicht, so<strong>das</strong>s eine<br />
Parlamentsauflösung notwendig<br />
<strong>wird</strong>?<br />
Im Verfassungsentwurf der LMP<br />
<strong>wird</strong> die im Regierungskonzept<br />
vorgeschlagene Auflösung des Parlaments<br />
für den Fall, <strong>das</strong>s binnen<br />
zwölf Monaten kein Haushalt verabschiedet<br />
<strong>wird</strong>, unterstützt. Allerdings,<br />
so die LMP, darf der Wirkungskreis<br />
des Staatspräsidenten<br />
nicht in dem Maße erweitert werden,<br />
wie es <strong>das</strong> Regierungskonzept<br />
vorsieht. Dies würde zu einer Verschiebung<br />
in Richtung eines präsidialen<br />
Systems führen und damit<br />
die Kräfteverhältnisse innerhalb des<br />
Staatssystems stark verändern,<br />
meint die LMP. Die MSZP sieht die<br />
Aufgaben des Staatspräsidenten in<br />
der Verfassung von 1989/90 zur<br />
Genüge beschrieben. Es seien daher<br />
keine Änderungen notwendig.<br />
Auch die Frage des konstruktiven<br />
Misstrauensvotums sieht die MSZP<br />
durch die bisherige Verfassung und<br />
insbesondere durch die Deutung<br />
des Verfassungsgerichts als geklärt an.<br />
Erbrecht als Teil der Verfassung<br />
Zu hinterfragen ist schließlich<br />
auch, warum die Verfassungskonzeption<br />
unter dem Recht auf die<br />
Unverletzlichkeit des Eigentums<br />
auch die Pflicht zur Nachlassregelung,<br />
sprich zum Aufsetzen eines<br />
Testaments, anführt. Das Erbrecht<br />
ist in Deutschland – und derzeit<br />
auch noch in Ungarn – Teil des<br />
Zivilrechts und <strong>wird</strong> durch Gesetze<br />
geregelt. In keiner anderen europäischen<br />
Verfassung ist <strong>das</strong> Erbrecht<br />
als Teil des Staatsrechts angesiedelt.<br />
Das Konzept sieht als eines der<br />
Staatsziele an, jedem Bürger zu<br />
Arbeit zu verhelfen. Dieser Punkt<br />
ist aus zwei Gründen kritisch zu betrachten.<br />
Einerseits wäre die Formulierung<br />
eines Staatsziels in der<br />
Präambel besser aufgehoben (siehe<br />
oben). Andererseits ist die Hilfe zu<br />
Arbeit als Recht so schwammig formuliert,<br />
<strong>das</strong>s sich daraus keine<br />
Pflicht des Staates ableiten lässt.<br />
Heute findet man <strong>das</strong> „Recht auf<br />
Arbeit“ nur noch in sozialistischen<br />
Verfassungen in Lateinamerika.<br />
Freilich, die Konzeption ist noch<br />
lange keine Verfassung, nichtsdestoweniger<br />
lassen sich in ihr viele<br />
Punkte erkennen, die, im Falle ihrer<br />
Umsetzung, zumindest kritisch zu<br />
betrachten wären.<br />
ELISABETH KATALIN GRABOW
4 BUDAPESTER ZEITUNG POLITIK 28. FEBRUAR - 6. MÄRZ 2011 • NR. 9 28. FEBRUAR - 6. MÄRZ 2011 • NR. 9 POLITIK BUDAPESTER ZEITUNG 5<br />
DWC-Podiumsdiskussion zur Lage Ungarns<br />
„In Ungarn gibt es keine Demokratiekrise“<br />
Neben den vielen bekannten, eher wirtschaftlichen Problemen, wie die hohe<br />
Staatsverschuldung und die zu geringe Beschäftigungsrate, hat Ungarn auch<br />
schwerwiegende politische Probleme. Nicht zuletzt die Unfähigkeit und Unwilligkeit<br />
der Vertreter verschiedener politischer Lager, ihre Meinungsverschiedenheiten<br />
im offenen Wettbewerb der Argumente direkt und gesittet<br />
miteinander auszutragen. Letzten Mittwoch bot der Deutsche Wirtschaftclub<br />
(DWC) <strong>das</strong> Forum für einen solchen Wettbewerb.<br />
Im Rahmen einer Podiumsdiskussion<br />
unter dem Titel „Quo Vadis Magyarország?“<br />
machten sich Vertreter von<br />
Regierung und Opposition in entspannter<br />
Atmosphäre Gedanken über<br />
die Lage und Aussichten ihrer Heimat.<br />
Die Regierung wurde dabei von<br />
Zoltán Kovács (Fidesz), Staatssekretär<br />
im Ministerium für öffentliche Verwaltung<br />
und Justiz, vertreten. Unterstützt<br />
wurde er vom Medienjuristen<br />
Márk Lengyel.<br />
Counterpart der beiden war ein weiterer<br />
Kovács, nämlich <strong>das</strong> MSZP-Urgestein<br />
László Kovács, derzeit Vize seiner<br />
Partei und vormals unter anderem<br />
Parteichef, Außenminister und EU-<br />
Kommissar, um nur die wichtigsten<br />
seiner zahlreichen ehemaligen Funktionen<br />
zu nennen. Die Moderation des<br />
Abends oblag Frau Ellen Bos, Leiterin<br />
der Doktorschule an der <strong>Andrássy</strong>-<br />
<strong>Universität</strong> Budapest. Flankiert wurde<br />
die Runde durch die DWC-Vorstandsmitglieder<br />
Arne Gobert (Rechtsanwalt<br />
bei der Anwaltskanzlei Gobert, Fest &<br />
Partners) sowie Jan Mainka (Herausgeber<br />
der Budapester Zeitung und Budapest<br />
Times).<br />
Eröffnet wurde der Abend vom<br />
DWC-Vorsitzenden Manfred Bey, der in<br />
seiner Begrüßungsansprache keinen<br />
Hehl aus seiner Freude darüber machte,<br />
<strong>das</strong>s dem Club die schöne Aufgabe zugefallen<br />
ist, einmal die Bühne für eine<br />
der seltenen, außerhalb des Parlaments<br />
stattfindenden Begegnungen von Regierung<br />
und Opposition abzugeben.<br />
Sodann hatten die Vertreter der Diskussionsrunde<br />
<strong>das</strong> Wort. Im Wesentlichen<br />
wurden in den folgenden gut<br />
zwei Stunden die Themen Krisenbewältigung,<br />
Strukturreformen, Demokratie<br />
und Mediengesetz systematisch<br />
abgehandelt.<br />
Lesen Sie im Folgenden einige Auszüge<br />
aus den Beiträgen, wobei natürlich die<br />
Meinungen der beiden Spitzenpolitiker<br />
den Vorrang genießen. Da Zoltán Kovács<br />
als Regierungsvertreter häufiger um seine<br />
Meinung gebeten wurde als László<br />
Kovács, ist der Staatssekretär auch unter<br />
den nachstehenden Auszügen überproportional<br />
vertreten. Zunächst die Eröffnungserklärungen:<br />
� Zoltán Kovács: Vor neun Monaten<br />
gab es ein – selbst mit Blick auf <strong>das</strong> ungarische<br />
Wahlsystem – ungewohntes<br />
Ergebnis: Eine Parteienallianz aus Fidesz<br />
und KDNP errang eine Zweidrittelmehrheit,<br />
mit der sie sich auf den<br />
Weg machen konnte, die Aufgaben abzuarbeiten,<br />
die teilweise schon seit<br />
langem bekannt waren beziehungsweise<br />
sich aus den Erfahrungen der letzten<br />
zwanzig Jahre ergaben. (…) Unsere<br />
Ziele sind außerordentlich ambitiös.<br />
Hinter ihnen steht vor allem die Erkenntnis,<br />
<strong>das</strong>s unser Land irgendwo<br />
vom Weg abgekommen ist, sich verirrt<br />
hat. Nach unserer Sicht ist unser Land<br />
an einen Scheideweg angelangt, an<br />
dem wir mit der auf Illusionen und<br />
bloßen Worten beruhenden Politik brechen<br />
müssen. Stattdessen müssen jetzt<br />
Taten und eine echte Umgestaltung die<br />
Hauptrolle spielen. Eine besondere<br />
Bedeutung hat die Forderung mit Blick<br />
auf die vergangenen acht Jahre, in denen<br />
Ungarn seine Führungsrolle in der<br />
Region eingebüßt hat und zu <strong>einem</strong><br />
der Schlusslichter Europas wurde. Es<br />
kam sogar zu so bedauerlichen Ereignissen<br />
wie 2006, als sich die Regierung<br />
gegen <strong>das</strong> eigene Volk wandte. (...)<br />
Wir haben mit der Entschlossenheit<br />
<strong>das</strong> Regierungsruder übernommen, die<br />
Neugestaltung des Landes mit voller<br />
Kraft voranzutreiben und die Aufgaben<br />
zu erledigen, denen sich in den<br />
letzten zwanzig Jahren keine Regierung<br />
stellen wollte oder konnte. Wir<br />
wollen die Bedingungen für eine nachhaltige<br />
Entwicklung Ungarns schaffen,<br />
eine Entwicklung, die in jeder Beziehung<br />
den Normen entspricht, zu denen<br />
sich Ungarn auch bisher schon bekannt<br />
hat beziehungsweise den Erwartungen,<br />
denen Ungarn als Mitglied<br />
der EU und zahlreicher weiterer internationaler<br />
Organisationen entsprechen<br />
möchte.<br />
� László Kovács: In einer Sache stimme<br />
ich mit dem Staatssekretär sicher<br />
überein, nämlich, <strong>das</strong>s solche Begegnungen<br />
sehr nützlich sind. (…) <strong>Wenn</strong><br />
mich damals zur Zeit der Beitrittsverhandlungen<br />
jemand gefragt hätte, wie<br />
weit Ungarn noch davon entfernt ist,<br />
ein sich völlig harmonisch in die Gemeinschaft<br />
einfügendes Mitgliedsland<br />
zu werden, dann hätte ich gesagt:<br />
„Nicht mehr so weit. Wir sind ja schon<br />
auf der Schwelle!“ <strong>Wenn</strong> ich heute<br />
gefragt würde, würde ich sagen, <strong>das</strong>s<br />
wir uns von diesem Zustand entfernt<br />
haben. (…) Über eine erst seit zehn<br />
Monaten im Amt befindliche Regierung<br />
kann man noch kein endgültiges<br />
Urteil sprechen. Unsere ernsten<br />
wirtschaftlichen Probleme sind weiterhin<br />
ungelöst und haben sich teilweise<br />
sogar noch weiter zugespitzt. Die<br />
sozialen Unterschiede haben sich bedeutend<br />
vergrößert. Die Schere zwischen<br />
den oberen zehn Prozent und<br />
dem Rest der Bevölkerung wurde<br />
größer. Für viele haben sich die Lebensbedingungen<br />
verschlechtert. Der<br />
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit<br />
wurden ernsthafte Schäden zugefügt.<br />
Die internationale Position Ungarns<br />
wurde ein wenig erschüttert, was ich<br />
als ehemaliger Außenminister besonders<br />
schmerzhaft empfinde. Vertrauen<br />
wir darauf, <strong>das</strong>s Ungarn auf den richtigen<br />
Weg zurückfindet! Denn der<br />
derzeitige Weg ist gewiss nicht der<br />
Weg, der den Interessen der großen<br />
Mehrheit des ungarischen Volkes<br />
entspricht. Im Übrigen, was die<br />
vorherigen acht Jahre betrifft: Der<br />
Staatssekretär Zoltán Kovács: „Die neue Verfassung <strong>wird</strong> auf dem Boden der europäischen Werte stehen.“<br />
Fidesz hätte nicht so deutlich gewonnen,<br />
wenn in unseren acht Jahren alles<br />
einwandfrei gelaufen wäre. Zweifellos:<br />
Die Reformen, die die vorherigen<br />
Regierungen vorhatten, wurden nur<br />
verkündet, gelangten aber nicht zur<br />
Ausführung. Das hatte auch mit dem<br />
harten Wiederstand der damaligen<br />
Opposition zu tun. Der zweite Grund<br />
ist die internationale Finanz- und<br />
Wirtschaftskrise, die selbst die stärksten<br />
Länder in Mitleidenschaft gezogen hat.<br />
Zwischen Regierung und Opposition<br />
gab es einen Dissens bezüglich der Frage,<br />
wie dem Land<br />
zu helfen sei. Die<br />
damalige Oppositi-<br />
on behauptete nicht<br />
durch Sparen, sondern<br />
durch Steuersenkungen<br />
und<br />
Konjunkturprogramme.<br />
Meiner Meinung<br />
nach wäre<br />
dieser Weg ein selbstmörderischergeworden.<br />
Als späte<br />
Genugtuung sehe<br />
ich jetzt, <strong>das</strong>s auch<br />
die amtierende Regierung<br />
nicht umhin<br />
kommt, den<br />
von uns eingeschlagenen<br />
Weg des Sparens<br />
zu beschreiten.<br />
(…) Den Vorwurf,<br />
<strong>das</strong>s sich die Regierung 2006<br />
gegen <strong>das</strong> eigene Volk gewandt hat,<br />
kann ich nicht im Raum stehen lassen.<br />
Sie hat sich nicht gegen <strong>das</strong> eigene<br />
Volks gewandt, sondern gegen Demonstranten,<br />
die nicht mit friedlichen<br />
Absichten demonstrierten. In meiner<br />
Zeit in Brüssel habe ich viele derartige<br />
Zusammenstöße erlebt, zwischen der<br />
Polizei des demokratischen belgischen<br />
Staates und gewissen Demonstranten.<br />
� Arne Gobert: Das große Bild, <strong>das</strong><br />
Ungarn gegenüber vielen Investoren<br />
BZT / Aaron Taylor (3)<br />
„Wir brauchen wieder<br />
mehr Rechtssicherheit.<br />
Mit Blick auf die Praxis<br />
halte ich eine Revision<br />
des hiesigen Rechtssystems<br />
für unbedingt<br />
notwendig. In diesem<br />
Kontext finde ich auch<br />
die Erarbeitung einer<br />
neuen Verfassung<br />
erforderlich.“<br />
bietet, gibt Anlass für eine gewisse Verunsicherung.<br />
Diese ist teils so stark,<br />
<strong>das</strong>s sie sogar durchaus existierende<br />
gute Nachrichten verschluckt. <strong>Wenn</strong><br />
man heute im Ausland internationalen<br />
Investorenkonferenzen zu Ungarn beiwohnt,<br />
dann <strong>wird</strong> man nicht in erster<br />
Linie danach gefragt, wie hoch denn<br />
etwa der Körpersteuersatz sei oder<br />
welche Investitionsanreize man bekommen<br />
könne, sondern wie es mit<br />
der Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit<br />
aussehe. Ich denke, wenn bei<br />
<strong>einem</strong> Land, <strong>das</strong> Mitglied in der EU<br />
ist, solche Fragen ganz oben auf der<br />
Tagesordnung stehen, dann gibt es irgendwo<br />
ein kleines Problem. Entweder<br />
hinsichtlich der Außendarstellung oder<br />
der Realität. Da stellen sich mir zwei<br />
Fragen: Ist die Verunsicherung gerechtfertigt<br />
und was kann man dagegen<br />
tun? Ich denke, es ist für uns alle<br />
wichtig, <strong>das</strong>s Ungarn ein attraktiver Investitionsstandort<br />
bleibt, <strong>das</strong>s Investoren<br />
gerne hierherkommen, <strong>das</strong>s sie hier<br />
investieren und nicht in den Nachbarländern.<br />
Ich glaube, wir sind uns alle<br />
einig, <strong>das</strong>s etwas getan werden muss,<br />
wenn ein Staatshaushalt in Schieflage<br />
geraten ist. Die Frage ist aber, wie diese<br />
Maßnahmen angegangen werden.<br />
<strong>Wenn</strong> beispielsweise rückwirkend<br />
Steuern erlassen werden, kann dies Ungarns<br />
Image einen schweren Schaden<br />
zufügen und verhindern, <strong>das</strong>s mehr Investitionen<br />
nach Ungarn kommen.<br />
� Ellen Bos: Sind die Maßnahmen der<br />
Regierung gegen die Wirtschaftskrise<br />
effektiv?<br />
� Zoltán Kovács: Im Mai 2010 übernahm<br />
die neue Regierung unter<br />
scheinbar geordneten Verhältnissen die<br />
ungarische Wirtschaft. Schnell stellte<br />
sich aber heraus, <strong>das</strong>s der letztjährige<br />
Haushalt nicht zu halten war. Daher<br />
mussten wir zu drastischen Maßnahmen<br />
greifen. (…) Die Krise hat Ungarn<br />
2008 in <strong>einem</strong> sehr verwundbaren<br />
Zustand erwischt. Deswegen waren<br />
auch ihre Folgen viel schwerwiegender.<br />
Die Krise hat nicht bloß gezeigt,<br />
<strong>das</strong>s die ungarische Wirtschaft<br />
krank ist, sondern auch, <strong>das</strong>s es viele<br />
nicht nachhaltige Strukturen gibt. Sie<br />
hat aber auch gezeigt, <strong>das</strong>s nicht nur<br />
innerhalb der Wirtschaft ernste Probleme<br />
existieren, sondern auch die juristischen<br />
und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen<br />
verbesserungsbedürftig<br />
sind. Ein besonderes<br />
Problem sehe<br />
ich in der Institu-<br />
Zoltán Kovács<br />
tionalisierung der<br />
Korruption. Auf jeden<br />
Fall haben all<br />
die vorgefundenen<br />
Bedingungen, die<br />
von uns bisher<br />
unternommenen<br />
Schritte erfordert<br />
und gerechtfertigt.<br />
Die Maßnahmen<br />
der letzten neun<br />
Monate haben verhindert,<br />
<strong>das</strong>s <strong>das</strong><br />
Haushaltsdefizit<br />
auf über sieben<br />
Prozent empor klettert.<br />
Wir brauchen<br />
wieder mehr Rechtssicherheit.<br />
Mit Blick<br />
auf die Praxis halte ich eine Revision<br />
des hiesigen Rechtssystems für unbedingt<br />
notwendig. In diesem Kontext<br />
finde ich auch die Erarbeitung einer<br />
neuen Verfassung erforderlich. (…) Im<br />
Übrigen finde ich es durchaus nicht<br />
normal, wenn die Polizei auf friedliche<br />
Demonstranten schießt – wie auch unabhängige<br />
Experten bestätigt haben.<br />
So etwas darf es in <strong>einem</strong> demokratischen<br />
Land nicht geben!<br />
� László Kovács: Anfang September<br />
äußerten sich führende Vertreter der<br />
Regierung noch dahingehend, <strong>das</strong>s<br />
Ungarn eine der stabilsten Volkswirtschaften<br />
der Welt sei. Angeblich<br />
herrschten in der Wirtschaft geordnete<br />
Verhältnisse. Dann war plötzlich von<br />
<strong>einem</strong> über sieben Prozent ausufernden<br />
Defizit die Rede. (…) Wenige Wochen<br />
nach der Wahl hat sich Premier Orbán<br />
damit gebrüstet, <strong>das</strong>s Ungarn innerhalb<br />
der EU Rekordhalter bei der<br />
Defizitverminderung sei. Das unterschreibe<br />
ich gerne. Es ist aber ein Verdienst<br />
der Bajnai-Regierung. (…) Jetzt<br />
sieht es so aus, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Budget zwar<br />
kurzfristig durch Sondereinnahmen,<br />
wie dem Erlass der Sondersteuern und<br />
der Enteignung der privaten Rentengelder,<br />
gerettet werden konnte. Ich<br />
habe aber die Sorge, <strong>das</strong>s – wenn die<br />
ungarische Regierung in Kürze <strong>das</strong><br />
Konvergenzprogramm einreicht – die<br />
EU-Kommission Zweifel an dessen<br />
Nachhaltigkeit anmelden <strong>wird</strong>. <strong>Wenn</strong><br />
es keine Strukturreformen gibt, dann<br />
<strong>wird</strong> all den verabschiedeten Maßnahmen<br />
ein nur vorrübergehender Erfolg<br />
zuteil.<br />
� Zoltán Kovács: Die Rentenkassen,<br />
um die es geht, waren keine echten privaten<br />
Rentenkassen. Die echten privaten<br />
Rentenkassen werden in Ungarn<br />
von niemandem angerührt. Wir respektieren<br />
sie und unterstützen ihre<br />
Existenz. Das System der individuellen<br />
Ansparungen ist ein wichtiger Pfeiler<br />
des ungarischen Rentensystems. Das<br />
Problem sind aber die obligatorischen<br />
privaten Rentenkassen. Von diesem<br />
System hat sich in Ungarn herausgestellt,<br />
<strong>das</strong>s es nicht gut funktioniert. Es<br />
entzog der ersten, staatlichen Säule des<br />
Rentensystems, bedeutende finanzielle<br />
Mittel. Es geht also um einen Schritt,<br />
der schon längst hätte getan werden<br />
müssen. Die daraus stammenden Einnahmen<br />
werden wir nicht verspekulieren,<br />
sondern werden sie zur Senkung<br />
der Staatsverschuldung verwenden.<br />
� László Kovács: Es geht bei der kritisierten<br />
Säule um Eigenvorhersorge.<br />
Seinerzeit stimmte der Fidesz meiner<br />
Erinnerung nach mit der Schaffung<br />
dieser Säule des Rentensystems überein.<br />
Noch kürzlich hatte sogar Viktor<br />
Orbán festgestellt, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Problem<br />
mit dem Rentensystem für die kommenden<br />
dreißig Jahre gelöst sei, es auf<br />
drei soliden Pfeilern ruhe und man<br />
nicht eingreifen müsse. Inzwischen<br />
hatte man es sich anders überlegt, <strong>das</strong><br />
Geld wurde eben benötigt. Es wäre eleganter<br />
gewesen und konsequenter,<br />
wenn die Mittel aus der halbstaatlichen<br />
nicht in die staatliche Rentenkasse umgruppiert<br />
worden wären, sondern in<br />
die freiwillige Rentenversicherung. Die<br />
Gelder wurden jetzt entnommen, man<br />
<strong>wird</strong> aber erst später sehen, wofür sie<br />
wirklich verwendet wurden. Im Moment<br />
sieht es so aus, als würden sie zur<br />
Deckung laufender Einnahmen benutzt<br />
und nur zu <strong>einem</strong> geringen Teil<br />
zur Senkung der Staatsverschuldung.<br />
� Ellen Bos: Wie sieht es mit den Strukturreformen<br />
aus?<br />
� Zoltán Kovács: Das Wort Reform<br />
mag ich nicht sehr, ich würde es lieber<br />
Paradigmenwechsel nennen. Wir haben<br />
diesbezüglich eine andere Herangehensweise<br />
als die vorherige Regierung.<br />
Es ist nicht ausschlaggebend<br />
wie viel im Einzelfall gespart werden<br />
kann, sondern, <strong>das</strong>s Systeme entstehen,<br />
die rationaler, sparsamer und effizienter<br />
funktionieren. Und wenn sich entlang<br />
dieser Schritte auch Spareffekte ergeben,<br />
dann umso besser. Die Erneuerung<br />
Ungarns bedeutet nach unserer<br />
Auffassung, <strong>das</strong>s alle Versorgungssysteme<br />
selbsterhaltend funktionieren und<br />
sparsam im Umgang mit Steuergeldern<br />
sein müssen. Außerdem sollten sie<br />
den Erwartungen zu Beginn des 21.<br />
Bei der Podiumsdiskussion des Deutschen Wirtschaftsclubs Budapest wurde gut zwei Stunden lang intensiv über die Frage „Quo Vadis Magyarország?“ nachgedacht.<br />
Jahrhunderts entsprechen. (…) <strong>Wenn</strong><br />
wir von Paradigmenwechsel sprechen,<br />
muss man auch sehen, <strong>das</strong>s es nicht nur<br />
um Ungarn geht. (…) 2008 war ein<br />
schweres Warnzeichen für EU. Das Leben<br />
so fortzusetzen wie gewohnt, geht<br />
mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht<br />
mehr. Es finden große Umschichtungen<br />
und Umorganisierungen in der<br />
Weltwirtschaft statt. Europa steht<br />
dabei nicht gut da. Die Schritte, die<br />
Ungarn, teils als Mitglied der EU und<br />
teils als ein in der<br />
Krise befindliches<br />
mitteleuropäisches<br />
Land unternimmt,<br />
sind also nicht nur<br />
im nationalen, sondern<br />
auch internationalen<br />
Kontext<br />
zu sehen. Für Ungarn<br />
gab es mit der<br />
Krise von 2008<br />
keine großen Möglichkeiten,<br />
einen anderen<br />
Weg zu beschreiten<br />
als den<br />
eingeschlagenen.<br />
Für ein Land, in<br />
dem die Verschuldung<br />
bei über 80<br />
Prozent liegt und<br />
<strong>das</strong>s nach Malta die<br />
geringste Beschäftigungsquoteaufweist,<br />
sind die klassischen Rezepte nicht<br />
anwendbar. Deshalb versucht die Regierung<br />
mit der Schaffung von Arbeitsplätzen<br />
und der Verminderung der<br />
Staatsverschuldung aus der gegenwärtigen<br />
prekären Lage auszubrechen. Die<br />
dabei im Einzelnen unternommenen<br />
Schritte kann man jetzt kritisieren, die<br />
letzten Jahre haben aber bewiesen, <strong>das</strong>s<br />
die klassischen Rezepte nicht funktionieren.<br />
� László Kovács: Was wir gegenwärtig<br />
erleben, ist keine Steuerreform. Das ist<br />
eine Steuerumverteilung. Es geht nicht<br />
einmal um größere Steuersenkungen,<br />
wie von der Regierung zuvor versprochen.<br />
In den Genuss von Steuersenkungen<br />
kommen nur Bürger mit<br />
<strong>einem</strong> Bruttoeinkommen von über etwa<br />
300.000 Forint. Wessen Einkommen<br />
darunter liegt, für den führen die<br />
Änderungen zu einer Verminderung<br />
des Nettolohns. Das ist gesellschaftlich<br />
gesehen nicht gerade gerecht. (…) Was<br />
die selbsterhaltenden Verteilungssysteme<br />
betrifft, so höre ich mit Freude von<br />
den Plänen der Regierung. Seinerzeit<br />
wollte die Gyurcsány-Regierung <strong>das</strong>selbe.<br />
Mit der Einführung der Praxisgebühr<br />
und Krankenhaustagegeldes<br />
sollte beispielsweise ein ganz bescheidener<br />
Schritt in Richtung eines selbsterhaltenden<br />
Gesundheitssystems gegangen<br />
werden. Der Fidesz machte<br />
diesem Ansinnen damals mit <strong>einem</strong><br />
Referendum einen Strich durch die<br />
Rechnung. Auch <strong>das</strong> Bildungssystem<br />
sollte durch die Einführung von Studiengebühren<br />
auf eine gesündere fi-<br />
„Es ist eine wirklich<br />
ungarische Frage, zu<br />
entscheiden, wie man<br />
zur Geschichte steht<br />
und was man mit einer<br />
neuen Verfassung ausdrücken<br />
möchte. Für<br />
<strong>das</strong> Selbstverständnis<br />
eines Landes kann es<br />
manchmal durchaus<br />
wichtig sein,<br />
eine neue Verfassung<br />
zu erlassen. “<br />
nanzielle Basis gestellt werden. Auch<br />
dies wurde durch <strong>das</strong> Referendum<br />
vereitelt. Ich würde mich freuen, wenn<br />
die Regierung jetzt etwas in diese<br />
Richtung unternehmen würde. Egal,<br />
ob wir es nun Reform oder Neuordnung<br />
nennen. (…) Die Veröffentlichung<br />
der Strukturreformen scheint sich immer<br />
weiter zu verzögern. Dass wir als<br />
Opposition den Tag der Veröffentlichung<br />
ungeduldig herbeisehnen, ist<br />
<strong>das</strong> geringste Problem, aber die Investoren<br />
und interna-<br />
Arne Gobert<br />
tionalen Geldkreise<br />
wiegen schwerer.<br />
Ich hoffe, <strong>das</strong>s ihre<br />
Geduld noch etwas<br />
anhält.<br />
� Zoltán Kovács:<br />
<strong>Wenn</strong> Herr Kovács<br />
davon spricht, <strong>das</strong>s<br />
es sich nicht um<br />
eine Steuerreform<br />
handelt, dann muss<br />
ich ihm wiedersprechen.<br />
Es handelt<br />
sich um den<br />
Beginn einer Steuerreform,<br />
ja sogar<br />
einer Steuerrevolution,<br />
in deren Ergebnis<br />
wir bereits<br />
mittelfristig ein<br />
Land sehen wollen,<br />
<strong>das</strong> sowohl in Hinblick auf die Steuerlasten<br />
als auch die administrativen<br />
Belastungen von Unternehmen zu den<br />
wettbewerbsfähigsten Mitteleuropas<br />
zählen <strong>wird</strong>. Oder besser: Wieder<br />
zählen <strong>wird</strong>. Denn zur Jahrtausendwende<br />
unter der ersten Orbán-Regierung<br />
waren wir schon einmal so weit.<br />
Die Folgen der vergangenen acht Jahre<br />
zu beseitigen, <strong>wird</strong> nicht leicht sein.<br />
Herr Kovács wies darauf hin, was seine<br />
Regierung einst wollte. Bei uns befinden<br />
sich die Absichten aber nicht nur<br />
auf der Ebene von bloßen Wünschen,<br />
wir haben bereits mit ihrer Umsetzung<br />
begonnen. In den vergangenen zehn<br />
Monaten haben wir mehr als 170<br />
Gesetzesnovellen durchs Parlament gebracht.<br />
Diese großen Veränderungen<br />
können aber freilich nicht ganz ohne<br />
die Verletzung von Interessen durchgeführt<br />
werden. (…) Eine Diskriminierung<br />
ausländischer Firmen kann ich<br />
nicht erkennen. Beim Erlass der Sondersteuern<br />
motivierte uns vor allem,<br />
<strong>das</strong>s sich auch die Segmente am Preis<br />
für die Erneuerung der Wirtschaft<br />
beteiligen sollen, die in den vergangenen<br />
Jahren sehr stark von den<br />
Vorzügen Ungarns profitiert haben.<br />
� Ellen Bos: Braucht Ungarn eine<br />
neue Verfassung?<br />
� Zoltán Kovács: In Ungarn gibt es<br />
keine Demokratiekrise. In den vergangenen<br />
zwei Monaten haben immense<br />
Kräfte daran gearbeitet, zu beweisen,<br />
wir hätten eine. Unsere Regierung muss<br />
sich aber in Sachen Demokratie nicht<br />
von solchen Ratgebern belehren lassen,<br />
die teilweise an der Leitung des alten<br />
Systems beteiligt waren. Die ungarische<br />
Wende war eine samtene. Sie ließ aber<br />
zahlreiche Probleme offen, die bis heute<br />
ihrer Lösung harren. Man kann lange<br />
Prozesse nicht überspringen. <strong>Wenn</strong> wir<br />
im Fall von Ungarn von <strong>einem</strong> Demokratiedefizit<br />
sprechen, dann hat <strong>das</strong><br />
weniger mit den aktuellen Maßnahmen<br />
zu tun, sondern mit der Struktur, in denen<br />
vierzig Jahre Kommunismus nachwirken.<br />
Ungarn muss aus eigener Kraft<br />
mit diesem Erbe fertigwerden. Deshalb<br />
brauchen wir auch eine neue Verfassung.<br />
� Arne Gobert: Ich beziehe nicht gern<br />
zur Verfassungsdiskussion Stellung.<br />
Das ist eine wirklich ungarische Frage,<br />
zu entscheiden, wie man zur Geschichte<br />
steht und was man mit einer neuen Verfassung<br />
ausdrücken möchte. Für <strong>das</strong><br />
Selbstverständnis eines Landes kann es<br />
manchmal durchaus wichtig sein, eine<br />
neue Verfassung zu erlassen. Entscheidend<br />
ist, was man mit dem Rahmen<br />
anfängt. (…) Ein Verfassungsgericht<br />
ist Teil einer Gewaltenteilung.<br />
Eine abstrakte und konkrete Normenkontrolle.<br />
Für mich ist es ein Ausdruck<br />
der Demokratie. Die Gerichte als Teil<br />
der Gewaltenteilung mit dem Verfassungsgericht<br />
oben drauf, sind <strong>das</strong><br />
wichtigste Element, um Rechtssicherheit<br />
dokumentieren zu können.<br />
� László Kovács: Als wir 1994 72 Prozent<br />
der Mandate erzielten, sprachen<br />
wir uns dafür aus, <strong>das</strong>s man mit zwei<br />
Drittel nicht die Verfassung ändern<br />
kann. Wir waren stattdessen für eine<br />
Grenze von mindestens Vier Fünfteln.<br />
Wir haben uns also selbst begrenzt.<br />
(…) Heute bewegt sich Ungarn de facto<br />
in Richtung Einparteiensystem.<br />
� Ellen Bos: Wird auf dem Weg zur<br />
neuen Verfassung auch nach <strong>einem</strong><br />
Konsens über <strong>das</strong> Fidesz-Lager hinaus<br />
gesucht?<br />
� Zoltán Kovács: Zuerst wollte die<br />
MSZP 1994 die Verfassung ändern.<br />
Nicht zuletzt deshalb, weil die zu dem<br />
Zeitpunkt und auch heute noch<br />
gültige, zur Wende modifizierte Verfassung<br />
nur als provisorische Verfassung<br />
gedacht war. Dieser Fakt <strong>wird</strong> von den<br />
Sozialisten heute geflissentlich übersehen.<br />
(…) Aber es handelt sich immer<br />
noch nur um eine veränderte Variante<br />
einer in ihrem Kern stalinistischen Verfassung.<br />
Schon allein aus symbolischen<br />
Gründen ist es deshalb höchste Zeit,<br />
sie zu ändern. (…) Meiner Erinnerung<br />
nach kam es 1994 nicht wegen der<br />
Selbstbeschränkung zu keiner Änderung<br />
der Verfassung, sondern wegen<br />
Problemen mit dem Koalitionspartner.<br />
Die Idee einer neuen Verfassung stand<br />
auch 2002, zu Beginn der Medgyessy-<br />
Regierung, auf der Tagesordnung. Es<br />
fehlte damals nur die notwendige<br />
Zweidrittelmehrheit. (…) Abgesehen<br />
von der symbolischen Komponente<br />
sprechen auch zahlreiche weitere Gründe,<br />
bei einer der Zukunft zugewandten<br />
Regierung, für eine Änderung der<br />
Verfassung. (…) Zur neuen Verfassung<br />
möchte ich drei wichtige Dinge hervorheben.<br />
Erstens: Die Verfassung<br />
<strong>wird</strong> auf dem Boden der europäischen<br />
Werte stehen und die Europäische<br />
Grundrechtecharta respektieren. Zweitens:<br />
Es <strong>wird</strong> durch sie zu keinerlei<br />
größeren institutionellen Veränderungen<br />
kommen. Die Institutionen, die im<br />
Rahmen des demokratischen Ungarns<br />
entstanden sind, werden in Ehren gehalten.<br />
Drittens: Ein Passus der neuen<br />
Verfassung <strong>wird</strong> verhindern, <strong>das</strong>s sich<br />
Ungarn noch einmal bis an den Rand<br />
des Zusammenbruchs verschuldet.<br />
� Ellen Bos: Wird es im Interesse einer<br />
größeren Legitimität der neuen<br />
Verfassung eventuell ein Referendum<br />
über sie geben?<br />
MSZP-Vize László Kovács und Moderatorin Ellen Bos, Dozentin an der <strong>Andrássy</strong>-<strong>Universität</strong>.<br />
� Zoltán Kovács: Wie der gesamte<br />
Verfassungsschöpfungsprozess ist<br />
auch die Frage eines Referendums<br />
noch offen. Die Regierung ist nur<br />
im technischen Sinne Teil des Prozesses.<br />
Wir werden jedweder politischer<br />
Kraft jedwede Hilfe angedeihen<br />
lassen, die von einer Regierung<br />
in einer solchen Situation zu erwarten<br />
wäre. Die Verfassungsänderung<br />
ist Sache der Parlamentarier.<br />
Meine private Meinung zur Frage<br />
eines Referendums – ich bin ja nicht<br />
Mitglied des Parlaments – ist folgende:<br />
Eine Verfassungsänderung<br />
ist für ein Referendum, bei dem es<br />
praktisch nur um ein „Ja“ oder<br />
„Nein“ geht, eine zu komplexe Materie.<br />
Ich würde die Entscheidung<br />
lieber dem Parlament überlassen.<br />
(…) Ich bin übrigens nicht der<br />
Meinung, <strong>das</strong>s Vierfünftel oder eine<br />
noch stärkere Unterstützung notwendig<br />
sein sollten, um eine Verfassung<br />
zu ändern. Die Kräfteverhältnisse,<br />
die heute im Parlament<br />
existieren, sind nicht zufällig entstanden.<br />
Sie sind Ausdruck des<br />
Wählerwillens. Sie sind aber übrigens<br />
auch nicht dergestalt, <strong>das</strong>s man<br />
eine Wiedergeburt des Einparteiensystems<br />
fürchten müsse. Die Wählergunst<br />
kann sich auch wieder ändern<br />
und bei den kommenden Parlamentswahlen<br />
zu einer komplett anderen<br />
Kräftekonstellation im Parlament<br />
führen. Die regierenden Parteien wissen,<br />
<strong>das</strong>s die momentane Zweidrittelmehrheit<br />
nicht nur eine Möglichkeit,<br />
sondern auch eine riesige<br />
Verantwortung ist. Bei ihrer ungenügenden<br />
Wahrnehmung müssen gegebenenfalls<br />
auch die negativen Konsequenzen<br />
akzeptiert werden.<br />
JAN MAINKA
6 BUDAPESTER ZEITUNG WIRTSCHAFT 28. FEBRUAR - 6. MÄRZ 2011 • NR. 9<br />
KOMPAKT<br />
� Kommt die Pflichtmitgliedschaft in der<br />
Kammer? Laut Zeitungsmeldungen soll die Mitgliedschaft<br />
in den Industrie- und Handelskammern<br />
angeblich schon Mitte des Jahres zur<br />
Pflicht für sämtliche in Ungarn tätigen Unternehmen<br />
und Gewerbetreibenden gemacht werden.<br />
Die landesweite MKIK des bekanntermaßen<br />
guten Orbán-Vertrauten László Parragh<br />
<strong>wird</strong> dem Vernehmen nach mit weitreichenden<br />
Vollmachten z.B. im Rechtsgebungsprozess<br />
oder in der Berufsausbildung ausgestattet.<br />
� Parteien klauen Hand in Hand. Ohne Resonanz<br />
blieb die Aussage des Fraktionschefs<br />
der Sozialisten und früheren Vizebürgermeisters<br />
von Szombathely, Csaba Czeglédi, wonach<br />
die Parteien laufend und abgestimmt öffentliche<br />
Gelder abzweigen. Das erklärt sich der Politiker<br />
mit der Gleichgültigkeit der Menschen, die von<br />
einer solchen Behauptung nicht mehr überrascht<br />
würden. Der Fidesz habe die MSZP im<br />
rechten Moment diskreditiert und tue seither so,<br />
als sei man selbst von der Korruption verschont<br />
geblieben. Es gibt landesweit ungezählte aufgedeckte<br />
Fälle, in denen mindestens 10% von<br />
Aufträgen oder Ausschreibungsgeldern an örtliche<br />
Politiker zurückflossen.<br />
� 107 Prozent für Großraum Budapest.<br />
Die Region Zentral-Ungarns ist nach der Kaufkraft<br />
pro Kopf der Bevölkerung mit 107% kaum<br />
besser gestellt als der EU-Durchschnitt. Damit<br />
liegt die ungarische Hauptstadt selbst hinter Bukarest<br />
(113%) und findet ergo keinen Platz auf<br />
der TOP25-Liste der reichsten Regionen Europas,<br />
auf der hinter London, Luxemburg und<br />
Brüssel bereits auf Platz 6 Prag und auf Platz 9<br />
Bratislava – noch vor Wien! – folgen. Nordungarn,<br />
die komplette Große Tiefebene und Süd-<br />
Transdanubien gehören derweil mit 40-45% des<br />
durchschnittlichen Einkommens zu den 20 ärmsten<br />
Regionen in Europa.<br />
� Zehn Banken erwarten Offshore-Gelder.<br />
Die Finanzaufsicht PSZÁF hat zehn Geldinstitute<br />
bestimmt, die bei der Heimkehr von Offshore-<br />
Vermögen mitwirken sollen. Ungarische Privatpersonen<br />
dürfen ihr früher am Finanzamt vorbei<br />
ins Ausland transferiertes Vermögen nunmehr<br />
vergünstigt mit 10% versteuern lassen. Unter<br />
den kooperierenden Großbanken finden sich u.<br />
a. die MKB, Erste Bank, Raiffeisen und Volksbank.<br />
� Wohnungsbau wie in den 90ern. Im vergangenen<br />
Jahr entstanden rund 20.800 Wohnungen,<br />
ein gutes Drittel weniger als noch 2009,<br />
meldete <strong>das</strong> Zentralamt für Statistik (KSH). Die<br />
Zahl der neu erteilten Baugenehmigungen sank<br />
gar auf <strong>das</strong> historische Tief von 17.350, weshalb<br />
2011 am Wohnungsmarkt ganz sicher nicht mit<br />
einer Erholung gerechnet werden darf. In der<br />
Neubaustatistik fanden sich zuletzt Ende der<br />
90er Jahre so wenige übergebene Wohnungen<br />
– die Branche geht von einer „natürlichen Reproduktionsrate“<br />
mit 40.000 Wohnungen im Jahr aus.<br />
Richtigstellung des Artikels, der am 6. Dezember<br />
2010 (11. Jahrgang/Nummer 49) unter dem Titel<br />
„Ungarische Unternehmer: Der Ikarus-Mann<br />
Gábor Széles – Privatisieren auf Ungarisch“ erschienen<br />
ist.<br />
n unserem Artikel, der am 6. Dezember 2010<br />
Ierschienen ist, haben wir auf Grundlage von<br />
Informationen, die uns zugespielt worden sind,<br />
und die – wie sich herausgestellt hat – falsche<br />
Fakten enthielten, folgendes veröffentlicht: „Die<br />
MNV strengte gegen die Unternehmen MT-Liz<br />
und Ikarus Holding einen Megaprozess an, bei<br />
dem es um mehr als 20 Milliarden Forint ging.<br />
Die Klage: vielfache Unterlassung der Verpflichtung<br />
zur Erhaltung der Belegschaft. Inzwischen<br />
belaufen sich die Forderungen des Staates auf<br />
rund 34 Milliarden Forint. Das Verfahren am<br />
Hauptstädtischen Gericht ist nach fünf Jahren<br />
allerdings noch immer anhängig.“<br />
Die Ankündigung der lang erwarteten<br />
Strukturreformen und Ausgabenkürzungen<br />
wurde vergangene<br />
Woche wieder verschoben. Bei der<br />
Bekanntgabe kam es zu einiger Verwirrung,<br />
als die Regierungssprecherin<br />
und der Sprecher des Regierungschefs<br />
unterschiedliche Veröffentlichungsfristen<br />
für die Einzelheiten<br />
des Reformpakets nannten.<br />
Die immer wieder verschobene Bekanntgabe<br />
der sogenannten „Reformpläne“<br />
erinnert frappant an die<br />
Art und Weise, wie die Regierung<br />
Gyurcsány mit Reformen umging.<br />
Gyurcsány konnte sich damals nicht<br />
dazu entschließen, die erforderlichen<br />
Schritte zu setzen und professionelle<br />
Verbündete, wie Lehrer<br />
und Ärzte für seine Änderungspläne<br />
hinter sich zu versammeln.<br />
ie Märkte warten darauf, <strong>das</strong>s<br />
DRegierungschef Viktor Orbán<br />
seine Versprechen, die er vor <strong>einem</strong><br />
Monat in <strong>einem</strong> Interview im „Wall<br />
Street Journal“ gemacht hatte, einlöst.<br />
Damals reichten einige Worte<br />
über Ausgabenkürzungen, um die<br />
Märkte und Investoren in Hinblick<br />
auf die Stabilität des Finanzsektors<br />
in Ungarn zu beruhigen. Jetzt reichen<br />
den Investoren keine schönen<br />
Versprechungen mehr, sie haben genug<br />
von der offensichtlichen Unentschlossenheit<br />
der Regierung.<br />
Falls auf der Seite der Investoren<br />
wieder allgemeine Skepsis aufkommen<br />
sollte, könnte die Ankündigung<br />
der Regierung, strikte Maßnahmen<br />
konsequent durchzuführen,<br />
bei den Märkten auf Unglauben<br />
stoßen.<br />
Für die Verzögerungen gibt es<br />
allerdings einige wichtige Gründe:<br />
Richtigstellung<br />
Stellenangebot<br />
Die Schweizerische Botschaft in Budapest sucht per 1. Juni 2011 oder so rasch wie möglich eine/n :<br />
Dynamische/n Sachbearbeiter/in im administrativen Bereich<br />
Zu den abwechslungsreichen und selbständigen Aufgaben gehören:<br />
� Stellvertretung der Betriebsleiterin (Finanzen- und Sicherheitsfragen, Unterhalt der Immobilien, usw.)<br />
� Sekretariat des Geschäftsträgers der Botschaft mit eigenen administrativen Verantwortlichkeiten<br />
� Stellvertretung des Systemadministrators (Informatik)<br />
� Verwaltung der elektronischen Dateien der Botschaft<br />
� Hilfe in konsularischen Spezialfällen; Kontakte mit den ungarischen Behörden<br />
� Hilfe an durchreisende Schweizer<br />
Profil:<br />
Wir suchen eine Allrounderin oder einen Allrounder, selbständig, zuverlässig, offen, kundenorientiert, belastbar<br />
und kontaktfreudig. Sie haben eine rasche Auffassungsgabe und gute Arbeitsorganisation, sind teamorientiert<br />
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Sprachkenntnisse: Wir suchen eine Person deutscher Muttersprache mit perfekten Kenntnissen in<br />
Ungarisch. Gute Französisch- und Englischkenntnisse in Wort und Schrift sind eine wertvolle Bereicherung.<br />
Bewerbungen:<br />
Bitte senden Sie Ihr Bewerbungsdossier (inkl. Motivationsschreiben, Lebenslauf mit Foto, Referenzen usw.)<br />
bis 31. März 2011 an die Schweizer Botschaft :<br />
� per Mail : bud.vertretung@eda.admin.ch<br />
� oder per Post an : Schweizerische Botschaft, Stefánia út 107, 1143 Budapest<br />
<strong>Gas</strong>tkommentar zu den erwarteten Strukturreformen<br />
Risiken der Ungewissheit<br />
Den obigen Zeilen widersprechend sind nach<br />
<strong>einem</strong> Urteilspruch des Obersten Gerichts, den<br />
uns Herr Gábor Széles zur Verfügung gestellt<br />
hat, folgende Fakten wahr:<br />
In Vertretung des ungarischen Staates reichte<br />
die MNV Zrt. beim Hauptstädtischen Gericht<br />
gegen die MT-Liz und die Ikarus Holding eine<br />
Klage ein, welche die Zahlung einer Konventionalstrafe<br />
in Höhe von 199.613.335 Forint plus<br />
Zinsen zum Inhalt hatte. Der Prozess wurde<br />
durch die zum Interessenkreis von Herrn Gábor<br />
Széles zählenden Firmen, die Unternehmen MT-<br />
Liz und Ikarus Holding vollständig gewonnen,<br />
die von der MNV Zrt. eingereichte Klage wurde<br />
vom Gericht vollständig und rechtkräftig abgewiesen.<br />
Auf diesem Wege bitten sowohl unsere<br />
Redaktion als auch der Urheber des betreffenden<br />
Artikels, der Journalist Peter Bognar, Herrn Gábor<br />
Széles wegen der Veröffentlichung unwahrer<br />
Tatsachen um Entschuldigung.<br />
Die Behörden arbeiten immer noch<br />
an dem Paket, über <strong>das</strong> es weder<br />
innerhalb der Regierung noch in<br />
der parlamentarischen Mehrheit einen<br />
Konsens gibt. Das Wirtschaftsministerium<br />
unter der Leitung von<br />
György Matolcsy sucht noch immer<br />
nach einer geeigneten und politisch<br />
akzeptablen Wirtschaftspolitik, die<br />
gleichzeitig mit wenigen Einschnitten<br />
Geld spart. Allerdings sind die<br />
von der Regierung identifizierten<br />
Probleme dieselben wie vor Monaten<br />
und Jahren: Hohe Verschuldung<br />
und niedrige Erwerbsquote.<br />
Es scheint keine neue radikale Lösung<br />
für <strong>das</strong> Problem zu geben. Das<br />
heißt auch, <strong>das</strong>s ein Sturm der politischen<br />
Entrüstung nach der Veröffentlichung<br />
des Programms wohl<br />
unvermeidlich sein <strong>wird</strong>.<br />
Ministerpräsident Orbán verteidigte<br />
umgehend die Vergünstigungen<br />
der drei Millionen Rentner für<br />
die öffentlichen Verkehrsmittel. Offenbar<br />
aus Angst davor, an Popularität<br />
zu verlieren. Die einzige konkrete<br />
Maßnahme, die bis zum Ende<br />
der Vorwoche veröffentlicht wurde,<br />
ist die „Hamburger-Steuer“, eine<br />
Extrasteuer, die jenen Menschen,<br />
die ein schädliches Leben führen,<br />
aufgebürdet <strong>wird</strong>. Die Zurückhaltung<br />
der Regierung kommt nicht<br />
von ungefähr, denn eine große Zahl<br />
der Wähler <strong>wird</strong> die negativen Folgen<br />
der einschneidenden Maßnahmen<br />
zu spüren bekommen. Denn<br />
die Regierung will nicht nur die<br />
Anzahl der derzeit 800.000 Invalidenrentner<br />
bedeutend reduzieren,<br />
sondern auch die Sozialhilfe beschneiden.<br />
Insgesamt beläuft sich<br />
Zahl der Langzeitarbeitslosen auf<br />
etwa 300.000. Vor einigen Wochen<br />
wurde die Reduzierung von Medikamentenunterstützungangekündigt,<br />
was 100 Milliarden Forint im<br />
Jahr an Einsparungen bringt. Um<br />
<strong>das</strong> Defizit unter dem angestrebten<br />
Wirtschaftsminister Matolcsy.<br />
Niveau zu halten, erlegte sich die<br />
Regierung zudem noch die Anlage<br />
eines 250 Milliarden Forint starken<br />
Sicherheitspolsters auf. Während<br />
die spezifischen wirtschaftlichen<br />
Maßnahmen noch in Ausarbeitung<br />
sind, trägt die Arbeit an der neuen<br />
Verfassung dazu bei, die Anleger zu<br />
beruhigen. Tibor Navracsics, der<br />
stellvertretender Ministerpräsident<br />
ist, erklärte dazu, <strong>das</strong>s die neue<br />
Verfassung ähnlich wie <strong>das</strong> polnische<br />
Grundgesetz eine Obergrenze<br />
für die Staatsverschuldung in Höhe<br />
von 55 bis 60 Prozent setzen <strong>wird</strong>.<br />
Das Konjunkturpaket scheint<br />
höchst ungewiss, denn es gibt wei-<br />
tere Konfliktherde innerhalb der<br />
Regierung. In der Bildungspolitik<br />
etwa ist nur eine langsame Annäherung<br />
zwischen den ideologisch<br />
starrsinnigen christdemokratischen<br />
Politikern und den Pragmatiker des<br />
Fidesz zu beobachten. Der Juniorpartner<br />
KDNP könnte sich angesichts<br />
des Versuchs des Fidesz bei<br />
der Ausarbeitung der neuen Verfassung<br />
die Opposition mit einzubeziehen,<br />
übervorteilt fühlen. Dies bedeutet<br />
allerdings, <strong>das</strong>s bei Themen<br />
wie Abtreibung und christlich-demokratischen<br />
Werten Kompromisse<br />
eingegangen werden müssen. Es<br />
formiert sich weiterhin eine außerparlamentarische<br />
Opposition, die<br />
gegen die Auswirkungen der Steuersenkungen,<br />
die vor allem Besserbis<br />
Großverdiener begünstigen und<br />
Geringverdienern weniger lassen,<br />
kämpft. Verschiedene Organisationen<br />
kündigten bereits Aktionen gegen<br />
diese Steuer an. Gleichzeitig<br />
lässt die Gesundheitsreform auf sich<br />
warten, wobei die Geduld der Ärzte<br />
schwindet.<br />
Die Verzögerungen bei der Haushaltsreform<br />
bedeuten nicht, <strong>das</strong>s Orbán<br />
die harten, aber notwendigen<br />
Entscheidungen nicht treffen <strong>wird</strong>.<br />
Allerdings schafft die Atmosphäre<br />
von Unsicherheit einen Nährboden<br />
für Angst und Spekulationen. Dies<br />
könnte <strong>das</strong> Ansehen des Fidesz auf<br />
den Märkten und auf lange Sicht<br />
auch bei den Wählern mindern. Die<br />
Frage ist also nicht, was zu tun ist,<br />
sondern wann und wie. Bekanntlich<br />
steckt der Teufel im Detail.<br />
PÉTER KREKÓ
28. FEBRUAR - 6. MÄRZ 2011 • NR. 9 WIRTSCHAFT BUDAPESTER ZEITUNG 7<br />
Zwei-Milliarden-Rahmen-Vertrag zwischen NFÜ und PD-Konsortium<br />
Große Summe sorgt für große Fantasien<br />
Nachdem die Nationale Entwicklungsagentur<br />
(NFÜ) dem PD-Konsortium<br />
bereits am 11. Februar den<br />
Zuschlag erteilt hatte, die Behörde in<br />
den kommenden vier Jahren „technisch-fachlich<br />
und juristisch“ zu unterstützen,<br />
wurde letzte Woche mehrfach<br />
Kritik an diesem Vorgang laut.<br />
rößter Stein des Anstoßes ist<br />
Gden Kritikern die Tatsache, <strong>das</strong>s<br />
die Tenderunterlagen zwar noch drei<br />
Käufer gefunden hatten, ein gültiges<br />
Angebot letztlich aber nur vom genannten<br />
Konsortium abgegeben wurde.<br />
Rechtsanwalt Attila Dezsõ, vom<br />
dem <strong>das</strong> „D“ im Namen des siegreichen<br />
Konsortiums stammt, kann<br />
daran nichts Anstößiges finden. „Die<br />
Zahl der Firmen, die all die vom<br />
NFÜ verlangten Anforderungen erfüllen,<br />
ist halt sehr begrenzt. Ich<br />
könnte eigentlich nur noch eine weitere<br />
Firma nennen, die außer unserem<br />
Konsortium dazu in der Lage<br />
wäre.“<br />
Es geht nur um einen<br />
Rahmenvertrag<br />
Weiterhin war vielen Beobachtern<br />
die im Vertrag genannte, ungewöhnlich<br />
hohe Summe von zwei Milliarden<br />
Forint ein Grund für gewisse<br />
Spekulationen. Um die besondere<br />
Höhe der Vertragssumme noch besser<br />
veranschaulichen zu können,<br />
schaute sich die Internetzeitung<br />
Origo gleich einmal andere Beraterverträge<br />
der NFÜ an. Dabei fanden<br />
die Origo-Journalisten heraus, <strong>das</strong>s<br />
seit 2006 der höchstdotierte Beratervertrag<br />
ein vergleichsweise bescheidenes<br />
Volumen von 74 Millionen<br />
Forint hatte.<br />
Allerdings werde in den Medienberichten<br />
geflissentlich übergangen,<br />
<strong>das</strong>s es sich bei den fraglichen zwei<br />
Milliarden Forint jetzt lediglich um<br />
eine Rahmensumme handelt, bemerkt<br />
Dezsõ. „Auf Grund des Vertrags<br />
können wir praktisch nicht einen<br />
einzigen Forint von der NFÜ<br />
verlangen. Sollte es die Behörde etwa<br />
durch eine gute interne Arbeitsorganisation<br />
aus eigener Kraft schaffen,<br />
die Qualitätsprüfungen von Fördermittelanträgen<br />
und ähnliche Tätigkeiten<br />
alleine vorzunehmen, könnten<br />
wir sogar ganz leer ausgehen“, sagt<br />
der Rechtanwalt von der Kanzlei<br />
CHSH Dezsõ & Partners.<br />
Moderater Stundensatz<br />
von 16.000 Ft<br />
Der Auftrag beinhalte lediglich, <strong>das</strong>s<br />
sich die NFÜ-Mitarbeiter bei erschöpften<br />
eigenen Ressourcen oder fehlendem<br />
Knowhow zu <strong>einem</strong> für Branchenverhältnisse<br />
eher moderaten Stundensatz<br />
von 16.000 Ft an <strong>das</strong> Konsortium<br />
beziehungsweise die hinter ihm<br />
stehenden Kanzleien wenden können.<br />
Als Höchstgrenze des Gesamtvolumens<br />
wurde ausgehend von den bisherigen<br />
Erfahrungen ein Limit von zwei<br />
Milliarden Forint für den Vertragszeitraum<br />
von vier Jahren festgesetzt.<br />
Dass bei <strong>einem</strong> solchen Vertrag der<br />
maximale Rahmen des Auftragsvolumens<br />
beziffert werden müsse, sei lediglich<br />
einer rechtlichen Vorschrift geschuldet,<br />
erklärt Dezsõ, wobei er aus<br />
s<strong>einem</strong> Unbehagen über die provozierend<br />
hohe Zahl kein Hehl macht.<br />
„Hätten wir uns einfach auf einen festen<br />
Stundensatz geeinigt, dann hätte<br />
sich kein einziger Journalist für den<br />
Vertrag interessiert. Aber Vorschrift ist<br />
BZT / Jan Mainka<br />
Anwalt Attila Dezsõ: Arbeiten dieser Dimension sind auf dem Markt bekannt.<br />
nun einmal Vorschrift“, findet er sich<br />
mit dem Milliarden-Etikett des Vertrages<br />
ab, <strong>das</strong> ihm und seiner Kanzlei<br />
seit einigen Tagen eine ungewollte<br />
Medienpräsenz beschert.<br />
Zweifach falsche<br />
Datumsangabe<br />
Und schließlich ist da aber auch<br />
noch die Sache mit den Terminen.<br />
Laut teils übereinstimmender Presseberichte<br />
konnten pikanterweise angeblich<br />
nur zwischen dem 27. Dezember<br />
und 5. Januar Gebote abgegeben<br />
werden. Nach Aussage von<br />
Dezsõ sei jedoch keine der beiden<br />
Datumsangaben zutreffend. „Am 16.<br />
Dezember wurde die Ausschreibung<br />
bekanntgegeben. Abgabeschluss wäre<br />
nach der üblichen Vorgehensweise<br />
der 3. Januar gewesen. Da aber die<br />
Feiertage in <strong>das</strong> Intervall fielen, wurde<br />
die Abgabefrist von der Behörde auf<br />
den 13. Januar verschoben.“<br />
Der grobe Inhalt der Ausschreibung<br />
sei aber ohnehin bereits seit einer mit<br />
dem 30. August 2010 datierten Vorabmitteilung<br />
der Behörde bekannt gewesen,<br />
so Dezsõ, während er auf <strong>das</strong><br />
Datum des vor ihm liegenden Dokuments<br />
weist. „Seit diesem Zeitpunkt<br />
konnte sich also praktisch jede interessierte<br />
Kanzlei auf die Eröffnung des<br />
Tenders vorbereiten“, unterstreicht er.<br />
„Arbeiten dieser Dimension sind auf<br />
dem Markt ohnehin bekannt und werden<br />
von den Akteuren erwartet.“<br />
Ergo: Nicht in jedem Paket, auf<br />
<strong>das</strong> Journalisten geflissen <strong>das</strong> Etikett<br />
„korruptionsverdächtig“ heften,<br />
muss zwangsläufig auch wirklich<br />
Korruption drinstecken.<br />
JAN MAINKA<br />
KOMPAKT<br />
� Neuer Geschäftsführer bei BMW Ungarn.<br />
Mit Wirkung vom 1. April <strong>wird</strong> der Franzose<br />
Paul de Courtois die Geschäftsführung der<br />
BMW Magyarország Kft. übernehmen. Der bislang<br />
im Vertriebsraum Afrika/Karibik zuständige<br />
Manager folgt Henning Putzke, der seine berufliche<br />
Laufbahn nach fünf Jahren in Ungarn in<br />
Deutschland fortsetzen <strong>wird</strong>.<br />
� Wienerberger häuft Verluste an. Der österreichische<br />
Ziegelhersteller musste 2010 Verluste<br />
von 35 Mio. Euro hinnehmen, die sich neben<br />
den durch eine Umstrukturierung bereits<br />
2009 fabrizierten 260 Mio. Euro an Verlusten<br />
freilich bescheiden ausnehmen. Die Umsatzerlöse<br />
der Wienerberger-Gruppe sanken weiter<br />
um 4% auf 1,75 Mrd. Euro. Das lässt nichts Gutes<br />
für die ungarische Tochtergesellschaft erhoffen,<br />
die einst munter zahlreiche Konkurrenten<br />
schluckte und sogar ein neues Ziegelwerk in<br />
Ostungarn erbaute.<br />
� Anderthalb Millionen sehen digital fern.<br />
Bei den großen Anbietern nutzten am Jahresende<br />
bereits 870.000 Privathaushalte Sat-TV und<br />
560.000 Haushalte digitales Kabel- oder IPTV,<br />
steht im neuesten Bericht der Medienbehörde<br />
NMHH. Im Fernsehsegment behauptet UPC die<br />
Position als Marktführer mit <strong>einem</strong> Marktanteil<br />
von 29% vor DIGI mit 26% und T-Home mit 25%.<br />
� Hundert Millionen für Genesis. Die fünf<br />
großen Investorengruppen bei der Genesis<br />
Energy Nyrt. versäumten, eine im geschlossenen<br />
Kreis vorgenommene Anhebung des<br />
Grundkapitals in Hinsicht auf die daraus<br />
abgeleitete Pflicht einer Offertstellung anzumelden.<br />
Die Investitionen im Energiegeschäft tätigenden<br />
Offshore-Firmen steigerten ihre Geschäftsanteile<br />
auf 82%, ohne den restlichen Aktionären<br />
ein Angebot zu unterbreiten. Deshalb<br />
wurde ihnen jetzt eine Aufsichtsstrafe von insgesamt<br />
100 Mio. Forint aufgebrummt.<br />
� Baustoffhersteller trotzt Rezession. Die<br />
1997 gegründete Masterplast Zrt. erzielte im<br />
abgelaufenen Jahr mit 85,2 Mio. Euro nur geringfügig<br />
weniger Umsatzerlöse als zuvor, <strong>das</strong><br />
Vorsteuerergebnis sank derweil von 725.000<br />
Euro auf ein Drittel ab. Der durch den um ein<br />
Zehntel schrumpfenden einheimischen Baustoffmarkt<br />
ausgelösten Konsolidierung fielen<br />
zwei ausländische Tochtergesellschaften im Kosovo<br />
und in Montenegro zum Opfer. Masterplast<br />
bereitet sich seit 2008 auf den Gang an die Budapester<br />
Wertpapierbörse vor.
8 BUDAPESTER ZEITUNG REPORTAGE 28. FEBRUAR - 6. MÄRZ 2011 • NR. 9 9<br />
D er<br />
achtjährige Lacika stottert. Mit<br />
scheuem Stolz zeigt er <strong>das</strong> Bild,<br />
<strong>das</strong> er im Malunterricht gezeichnet<br />
hat. Es sei die Zeichentrickfigur „Son<br />
Goku“, stammelt er. Auf <strong>das</strong> Lob der Erwachsenen<br />
verzieht sich sein Mund zu<br />
<strong>einem</strong> breiten Lächeln.<br />
Lacika besucht die Grundschule im<br />
2000-Seelen-Ort Tiszabõ. Dieser liegt<br />
rund 120 Kilometer südöstlich von Budapest.<br />
Gefragt danach, was er werden<br />
wolle, muss Lacika nicht lange überlegen:<br />
„Polizist“. Kriszta, die junge, engagierte<br />
Schulpsychologin, erklärt später,<br />
<strong>das</strong>s der kleine Junge ohne männliche<br />
Familienangehörige aufwachsen müsse.<br />
„Sie sind alle im Gefängnis“, sagt sie.<br />
Gáborné Domán, eine kleine, resolut<br />
wirkende Mittfünfzigerin, ist die Schuldirektorin<br />
in Tiszabõ. Sie erklärt, <strong>das</strong>s die<br />
rund 350 Kinder an der Schule ausnahmslos<br />
Roma seien. Sie kämen bereits<br />
mit großen Defiziten in die Schule. Mit<br />
sechs Jahren könnten sich viele sprach-<br />
Eine der Ruinen in Tiszabõ.<br />
József Túró mit <strong>einem</strong> seiner sieben Kinder.<br />
Der Bürgermeister von Tiszabura: László Farkas.<br />
lich noch nicht richtig ausdrücken. „Wie<br />
soll man ihnen da <strong>das</strong> Lesen und Schreiben<br />
beibringen?“<br />
Viele der Schüler könnten dieses Handikap<br />
bis zum Schulabgang – im Idealfall<br />
im Alter von 14 Jahren – nicht ausmerzen,<br />
erklärt Schulpsychologin Kriszta. In<br />
einer weiterführenden Schule hätten es<br />
die meisten daher sehr schwer. „Viele geben<br />
schon nach ein bis zwei Monaten<br />
auf.“ Ihre spätere Arbeitslosigkeit sei also<br />
vorprogrammiert.<br />
Laut Kriszta gibt es auch immer wieder<br />
Schülerinnen, die mit vierzehn, fünfzehn<br />
Jahren schwanger werden. Um <strong>das</strong> Kindergeld<br />
beziehen zu können, sagt sie.<br />
Oder sie würden einfach nicht verhüten.<br />
Prostitution in diesem Alter sei auch keine<br />
Seltenheit. „Wir haben ein vierzehnjähriges<br />
Mädchen an der Schule, <strong>das</strong><br />
schon mit zwölf Jahren auf den Strich<br />
ging“, erzählt sie. Das Mädchen sei jetzt<br />
schwanger.<br />
Schuldirektorin Domán ergreift wieder<br />
<strong>Wenn</strong> <strong>einem</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>das</strong> <strong>Gas</strong> <strong>abgedreht</strong> <strong>wird</strong><br />
<strong>das</strong> Wort. Sie meint, <strong>das</strong>s die Schüler keinerlei<br />
Respekt vor fremdem Eigentum<br />
hätten. Sie „zerschlagen Fenster, klauen<br />
Wasserhähne, zerstören neue Möbel und<br />
beschmieren die frisch gestrichenen weißen<br />
Wände“. <strong>Wenn</strong> man nach dem Grund<br />
frage, heißt es nur, „weil es cool ist“.<br />
Prügeleien stünden auch auf der Tagesordnung.<br />
Allein in den letzten drei Tagen<br />
habe es ein gebrochenes Jochbein<br />
und einen Armbruch gegeben, sagt die<br />
Direktorin. Psychologin Kriszta fügt erklärend<br />
hinzu, <strong>das</strong>s die Schlägereien vor<br />
allem der tiefen Unzufriedenheit der<br />
Schüler geschuldet seien. „Das triste Leben<br />
frustriert die Kinder, <strong>das</strong> entlädt sich<br />
oft in Gewalt.“<br />
Kein Ausweg<br />
in Sicht<br />
Eine ältere Lehrerin gesellt sich hinzu.<br />
Von den vielen Lehrjahren sichtlich ermattet,<br />
erzählt sie, <strong>das</strong>s ihre Schüler oft<br />
im ordinären Tonfall mit ihr sprechen<br />
würden. „Ich ignoriere sie dann, und sage<br />
ihnen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Klassenzimmer eine<br />
‚Insel des Friedens’ ist, wo so nicht miteinander<br />
geredet <strong>wird</strong>“. Im Unterricht<br />
funktioniere <strong>das</strong> ganz gut. Doch in den<br />
Pausen würden sich die Schüler schlagartig<br />
wieder zu „wilden Tieren“ verwandeln.<br />
„An dieser Schule muss man als<br />
Lehrer jeden Tag neu anfangen, <strong>das</strong> ist<br />
unglaublich anstrengend“, sagt sie geknickt.<br />
Ob es denn einen Ausweg gebe? „Lernen,<br />
lernen, lernen. Es gibt kein besseres<br />
Rezept“, da sind sich die Lehrerin und die<br />
Schuldirektorin einig. Doch welche<br />
Berufswünsche haben die älteren Kinder<br />
eigentlich? Die elfjährige Ildikó will Frisörin<br />
werden, so wie viele andere Schülerinnen<br />
auch. Die vierzehnjährige Zsuzsanna<br />
möchte ebenfalls in <strong>einem</strong> Friseurgeschäft<br />
arbeiten. „Oder ich heirate Ernõ.“<br />
„Ich werde nichts“, sagt der zehnjährige<br />
Béla. Demgegenüber hat der zwei<br />
Jahre ältere András bereits konkrete Vorstellungen:<br />
„Polizist wäre toll, dann sperre<br />
ich nämlich die Leute ein, die klauen.“<br />
„Und was klauen sie?“, fragt die Lehrerin.<br />
„Na Holz im Wald“, lautet seine Antwort.<br />
„Und du klaust kein Holz im Wald,<br />
András?“ „Doch. Deshalb werde ich mich<br />
selbst einsperren.“ Seine Worte sorgen im<br />
Klassenzimmer für Gelächter.<br />
Auf die Frage, ob die Schüler Hunger<br />
leiden müssten, erzählt Schulpsychologin<br />
Kriszta von <strong>einem</strong> neunjährigen<br />
Mädchen, <strong>das</strong>s kürzlich „mit Bauchschmerzen“<br />
zu ihr gekommen sei. Sie habe<br />
ihr Tee mit viel Zucker gegeben. „Das<br />
hat fürs erste die Magenschmerzen gelindert.“<br />
Danach hätten sie zusammen mit<br />
Puppen gespielt. Das Mädchen sei dabei<br />
<strong>das</strong> „Hühnchen“ gewesen – <strong>das</strong> Hühnchen,<br />
<strong>das</strong> „keine Körner bekommt“.<br />
Der Geographieunterricht an der<br />
Schule findet mit Hilfe von Computern<br />
statt. Milde lächelnd erzählt der etwa<br />
fünfzigjährige Lehrer, <strong>das</strong>s der Großteil<br />
der Kinder weder gut lesen noch schreiben<br />
könne. Deshalb versuche er ihnen<br />
den Lehrstoff „visuell“ über <strong>das</strong> Internet<br />
zu vermitteln, etwa mit Google Maps.<br />
„Sie können sich dann zum Beispiel <strong>das</strong><br />
Schachbrettmuster einer amerikanischen<br />
Stadt besser vorstellen. Würde ich ihnen<br />
dieses Phänomen erklären, würden sie<br />
Tiszabõ und Tiszabura gelten als die zwei ärmsten Gemeinden Ungarns.<br />
In beiden Ortschaften herrschen immense Arbeitslosigkeit und bittere<br />
Armut. Ein Reportageteam der BUDAPESTER ZEITUNG machte<br />
sich ein Bild von den Zuständen in den zwei Orten.<br />
es nicht verstehen.“ In jeder Unterrichtsstunde<br />
gebe er den Kindern auch nur eine<br />
Aufgabe. „Mehr kann ich ihnen nicht<br />
zumuten.“<br />
Haben sie die Aufgabe gelöst, dürfen<br />
die Schüler im Internet surfen oder sich<br />
Computerspielen hingeben. Zwei Mädchen<br />
in reiferem Alter sehen sich gebannt<br />
Bilder von pubertären Buben an, die im<br />
Internet mit nacktem Oberkörper posieren.<br />
An <strong>einem</strong> anderen Gerät ist ein<br />
Schüler ganz darin vertieft, Autorennen<br />
zu fahren. Selbst einen Computer zu besitzen<br />
ist in Tiszabõ, wo viele Familien<br />
nicht einmal eine Toilette im Haus haben<br />
und den Strom von der Stromleitung abzapfen,<br />
fast undenkbar.<br />
Auf dem trostlosen Schulhof rutschen<br />
einige Schüler zum Spaß auf den zugefrorenen<br />
Pfützen umher. Kaum ein Kind<br />
ist der Jahreszeit entsprechend gekleidet.<br />
Die meisten tragen Turnschuhe und Jogginghosen.<br />
Handschuhe, Mützen oder<br />
Schals, geschweige denn warme Winterjacken<br />
sind nur wenige zu sehen. Früher<br />
gab es viele Bäume auf dem Schulhof.<br />
Heute zeigen Baumstümpfe gen Himmel.<br />
Auf den heruntergekommenen Zustand<br />
der Schule angesprochen, erzählt<br />
Direktorin Domán, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Gesundheitsamt<br />
(ÁNTSZ) sogar schon mit ihrer<br />
Schließung gedroht habe. „Sie ist unhygienisch<br />
und für die Kinder zum Teil lebensgefährlich“,<br />
so Domán. In der Schule<br />
werde nicht geputzt. Es sei einfach<br />
kein Geld dafür da. Die fehlende Reinigung<br />
springt vor allem in den Toiletten<br />
ins Auge: Die weißen Fliesen sind braun<br />
verschmiert. Vom Matsch des Schulhofs?<br />
Offenbar <strong>wird</strong> auch wenig gelüftet. Im<br />
ganzen Gebäude riecht es nach abgestandener<br />
Luft und Schweiß.<br />
In ihrer Hilflosigkeit ist Schuldirektorin<br />
Domán besonders auf die Regierenden<br />
wütend: „Statt den Mund vollzunehmen,<br />
sollten die Politiker vorbeikommen und<br />
endlich Taten sprechen lassen. Schulen<br />
wie diese hier, sind eine Schande für dieses<br />
Land.“<br />
„Bis zum Hals<br />
in Schulden“<br />
Auf der Fahrt von der Schule zum Bürgermeisteramt<br />
sind auf der Straße viele<br />
streunende Hunde zu sehen. Etliche<br />
Häuser sind unbewohnt. Durch Fensterhöhlen<br />
sieht man in ihr entkerntes Inneres.<br />
Aus den Hausruinen wurde sichtlich<br />
alles Verwertbare geplündert. Mauerreste<br />
deuten an, wo früher einmal ein Gartenzaun<br />
war.<br />
Das Bürgermeisteramt steht dem Ort<br />
an Tristesse in nichts nach. Kalter Zigarettenrauch<br />
erfüllt <strong>das</strong> gedrungene Gebäude.<br />
Rasch <strong>wird</strong> klar, warum es hier so<br />
stickig ist: Im Büro von Bürgermeister<br />
Barnabás Farkas hängt der Rauch in dik-<br />
VON PETER BOGNAR, KONSTANZE FAßBINDER, INES GRUBER UND LISA WEIL<br />
ken Schwaden. Ein paar verstaubte und<br />
vergilbte Plastikorchideen stehen auf den<br />
Schränken hinter dem Schreibtisch. Farkas<br />
sitzt in gebeugter Haltung da. Auf<br />
dem dunklen Anzug, den er trägt, sind<br />
seine Haarschuppen besonders gut sichtbar.<br />
Er nuschelt.<br />
„Tiszabõ steckt bis zum Hals in Schulden“.<br />
Der Stromversorger, sagt er, werde<br />
wegen unbeglichener Rechnungen den<br />
Strom im März voraussichtlich abdrehen.<br />
„Es ist nicht mein Fehler“, beeilt sich der<br />
Bürgermeister zu beteuern. Es gebe<br />
nichts mehr, woran in der Gemeinde<br />
noch gespart werden könne. Mangels<br />
Geld sei von ihm auch schon die Putzfrau<br />
entlassen worden. „Jetzt putzt der<br />
Notar <strong>das</strong> Bürgermeisteramt und auch<br />
ich helfe ab und zu mit.“ Er habe der Regierung<br />
bereits mehrere Briefe geschrieben<br />
und darum gebeten, dem Ort finanziell<br />
unter die Arme zu greifen. Doch sei<br />
sein Anliegen jedes Mal auf taube Ohren<br />
gestoßen, schildert er.<br />
Ob es in Tiszabõ Arbeit gebe? Farkas<br />
schüttelt den Kopf: „Hier sind alle arbeitslos.“<br />
„Früher“, sagt er, „früher war<br />
Tiszabõ eine blühende Ortschaft. Jeder<br />
Haushalt hatte Kühe, Schweine und<br />
Hühner.“ Doch dann sei die große Flut<br />
gekommen. 2002 sei die Theiß, die am<br />
<strong>Dorf</strong> entlang fließt über die Ufer getreten.<br />
„Die Zerstörungen der Überschwemmung<br />
waren groß.“ Seither befinde sich<br />
Tiszabõ im Niedergang. „Viele Ungarn<br />
sind wegen der aussichtslosen Lage weg<br />
gegangen. Heute leben praktisch nur<br />
noch Zigeuner hier“, erklärt Farkas, der<br />
selbst Roma ist.<br />
Die Hiergebliebenen hätten nicht einmal<br />
mehr Geld zum Heizen. „Sie gehen<br />
in die umliegenden Wälder, um illegal<br />
Holz zu fällen.“ Farkas kommt auch auf<br />
die vielen leerstehenden Häuser zu sprechen,<br />
die in Tiszabõ oft bis auf die<br />
Grundmauern abgetragen wurden. „Um<br />
Eisen und andere Baumaterialien verkaufen<br />
zu können, vergreifen sich die<br />
mittellosen Einwohner einfach an den<br />
leeren Gebäuden.“ Die Situation im Ort<br />
sei bereits so dramatisch, <strong>das</strong>s die Einwohner<br />
in ihren eigenen Häusern Fliesen<br />
und sanitäre Anlagen abmontieren,<br />
um an Geld zu kommen.<br />
Was die Menschen ohne Arbeit den<br />
ganzen Tag so machen? „Sie vermehren<br />
sich“, antwortet der Bürgermeister trocken.<br />
Er erklärt: „<strong>Wenn</strong> jemand keine Arbeit<br />
hat und den ganzen Tag zu Hause<br />
ist, was soll er denn mit seiner Frau sonst<br />
tun? Er hat Zeit, und er ist vor allem ausgeruht.“<br />
Illegale Rohdungen<br />
der Wälder<br />
Die Fahrt in die rund zwanzig Kilometer<br />
entfernte Ortschaft Tiszabura führt<br />
entlang der Theiß über einen Damm.<br />
Diese Strecke sei besser als die von<br />
Schlaglöchern übersäte Landstraße, heißt<br />
es in Tiszabõ. Auf dem schmalen Grat<br />
des Damms ist es rutschig. Alles andere<br />
als Schritttempo wäre waghalsig.<br />
Während der Fahrt heulen immer wieder<br />
Motorsägen auf und man hört <strong>das</strong><br />
Brechen von Holz. Auf dem Damm verkehren<br />
trotz eisiger Temperaturen auch<br />
Radfahrer. Äxte und Sägen sind auf die<br />
Gepäckträger der Räder gezurrt. An <strong>einem</strong><br />
Waldrand seitlich des Dammes<br />
packen Männer Baumstämme und Äste<br />
auf einen Autoanhänger. Sogar am helllichten<br />
Tag <strong>wird</strong> hier illegal abgeholzt.<br />
Von <strong>einem</strong> ehemaligen Baumbestand daneben<br />
sind nur noch Stümpfe übrig, die<br />
aus der silbrig glänzenden Eisfläche ragen.<br />
Der Bürgermeister von Tiszabura,<br />
László Farkas, ist leger gekleidet. Trotz<br />
des Wusts an Problemen strahlt er Unbekümmertheit<br />
aus. In s<strong>einem</strong> Büro fallen<br />
zwei Wandkarten besonders auf. Auf der<br />
einen ist „Großungarn“, auf der anderen<br />
<strong>das</strong> Land in seiner heutigen Größe abgebildet.<br />
Einige welke Zimmerpflanzen im<br />
Büro haben wohl lange kein Wasser<br />
mehr bekommen.<br />
Seit zehn Jahren steht Farkas an der<br />
Spitze von Tiszabura. Mit 23 Jahre wurde<br />
er zum ersten Mal zum Bürgermeister gewählt.<br />
„Was will dieser Rotzbub?“, hätten<br />
die Skeptiker damals gefragt. Heute sagt<br />
Farkas selbstbewusst, <strong>das</strong>s er außer sich<br />
niemand anderen im Ort kenne, der den<br />
Problemen gewachsen wäre.<br />
Auch Tiszabura steckt heillos in Schulden.<br />
Die Gründe für diese Malaise ortet<br />
Farkas in der verfehlten Politik der einstigen<br />
Regierung unter Péter Medgyessy<br />
(2002-2004). Medgyessy und seine linksliberale<br />
Regierung erhöhten nach ihrem<br />
Wahlsieg im Jahr 2002 die Löhne der öffentlich<br />
Bediensteten um 50 Prozent.<br />
„Schön und gut“, sagt Farkas, „nur <strong>das</strong>s<br />
es keine Deckung für diese Lohnerhöhungen<br />
gab.“ Der Bürgermeister erzählt,<br />
<strong>das</strong>s sich die Ortschaft gezwungen sah,<br />
Kredite aufzunehmen, um die abrupt gestiegenen<br />
Lohnkosten der <strong>Dorf</strong>bediensteten<br />
bezahlen zu können.<br />
Heute belaufen sich die Schulden von<br />
Tiszabura auf rund 100 Millionen Forint.<br />
„Alles unbezahlte Rechnungen“, erklärt<br />
Farkas. 15 Millionen allein machen die nicht<br />
beglichenen <strong>Gas</strong>rechnungen aus. Als<br />
Konsequenz habe der örtliche Energieversorger<br />
im Dezember kurzerhand den<br />
<strong>Gas</strong>hahn zugedreht. Ohne <strong>Gas</strong> gibt es keine<br />
Heizung, und ohne Heizung kann unter<br />
anderem die Schule nicht betrieben<br />
werden. „Das war ein Schlag ins Gesicht.“<br />
Der Schulunterricht findet derzeit notgedrungen<br />
im Sitzungssaal des Bürgermeisteramtes,<br />
im verwahrlosten Kulturhaus<br />
und <strong>einem</strong> gemeinnützigen Gebäude<br />
der Ortschaft statt – wegen des Platzmangels<br />
in Vormittags- und Nachmittagsschichten.<br />
Wann der Schulbetrieb im<br />
Schulgebäude wieder aufgenommen<br />
werden kann? „<strong>Wenn</strong> <strong>das</strong> <strong>Gas</strong> aufgedreht<br />
<strong>wird</strong>“, sagt der Bürgermeister lapidar.<br />
Und fügt mit <strong>einem</strong> schalkhaften Lächeln<br />
hinzu: „In Auschwitz haben wir uns darüber<br />
nicht so gefreut.“<br />
In diesem Jahr, sei wegen Geldmangels<br />
auch ein Programm für die Vergabe<br />
von gemeinnütziger Arbeit eingestellt<br />
worden. Während im Vorjahr noch rund<br />
600 Menschen in Tiszabura Arbeit und<br />
ein bescheidenes Einkommen gegeben<br />
wurde, verrichten heute nur noch drei<br />
Personen gemeinnützige Tätigkeiten.<br />
Das bedeutet auch, <strong>das</strong>s viele nicht<br />
einmal mehr die monatliche Sozialhilfe<br />
in Höhe von 28.500 Forint erhalten. Der<br />
Grund: Diese ist an Arbeit gekoppelt. Für<br />
den Erhalt muss man mindestens zwei<br />
Monate im Jahr gearbeitet haben. Und<br />
Arbeit gibt es weit und breit kaum. Vor<br />
der Wende habe es in der Umgebung<br />
noch eine Tabakfabrik, eine Zuckerfabrik,<br />
ein Geflügelverarbeitungsunternehmen<br />
und Bauindustrie gegeben. „Alle haben<br />
dicht gemacht“, so Farkas. Obendrein<br />
seien auch die funktionierenden<br />
Kolchosen zerschlagen worden, wodurch<br />
ebenfalls viele Menschen arbeitslos<br />
wurden.<br />
„<strong>Wenn</strong> bei vielen nun auch noch die<br />
Sozialhilfe wegfällt, habe ich die Sorge,<br />
<strong>das</strong>s in Tiszabura nicht nur die Kriminalität<br />
weiter ansteigt, sondern <strong>das</strong>s Menschen<br />
auch hungern müssen“, sagt Farkas.<br />
Der Bürgermeister erzählt, <strong>das</strong>s viele<br />
Bewohner des Ortes auf eigene Faust in<br />
die nahe gelegenen Wälder jagen gingen.<br />
„Vor kurzem ist jemand mit <strong>einem</strong><br />
Wildschwein zurückgekehrt.“<br />
Ob es Polizisten im Ort gebe? „Auf<br />
dem Papier gibt es drei, ich habe bisher<br />
aber nur einen getroffen“, sagt der Bürgermeister.<br />
Und der habe sich auch nur<br />
blicken lassen, weil er für seine Frau<br />
nach Arbeit gesucht habe. „Weil wir die<br />
Leute nicht mehr bezahlen können, gibt<br />
es im Ort auch keine Bürgerwehr mehr“,<br />
sagt Farkas. Und dann gebe es auch noch<br />
<strong>das</strong> Problem der streunenden Hunde.<br />
Die hungrigen Tiere rotten sich zu Rudeln<br />
zusammen und gehen in der Umgebung<br />
von Tiszabura auf Jagd, so der Bürgermeister.<br />
Er warnt davor, gewisse Gegenden<br />
in der Gemeinde bei Dunkelheit<br />
aufzusuchen. „Sie sind sehr angriffslustig.“<br />
„Was kann man<br />
hier schon machen?“<br />
Hinter dem geisterhaft leer stehenden<br />
Schulgebäude ist <strong>das</strong> Kulturhaus zu finden.<br />
Das Gebäude ist klein, die Fenstergitter<br />
sind verrostet. Im Inneren bröckelt<br />
der Putz. Drinnen ist es aber warm. Über<br />
der Bühne des kleinen Festsaals prangt<br />
noch die Weihnachtsdekoration. Außerdem<br />
hängen rosafarbene Luftballons und<br />
Papiergirlanden von der Decke. „Gleiche<br />
Chancen gegen Brustkrebs“ steht in großen<br />
Lettern an der Wand. In der Mitte des<br />
Raumes hängt eine kleine Diskokugel<br />
mit blinden Spiegeln.<br />
Hinter provisorischen Pappwänden<br />
wurde hier notdürftig ein Unterrichtsraum<br />
eingerichtet. In den restlichen<br />
„Klassenzimmern“, die in fensterlosen,<br />
muffigen Räumen beherbergt sind, stehen<br />
die Stühle schon auf den Tischen. Es<br />
ist später Nachmittag. Zwei Frauen mittleren<br />
Alters sind gerade dabei, <strong>das</strong> Gebäude<br />
zu reinigen. Eine der beiden ist eine<br />
Roma.<br />
Die Frauen gehören zu jenen drei Personen,<br />
die im Ort noch gemeinnützige<br />
Arbeit leisten. Für sechs Stunden pro Tag<br />
erhalten sie einen Lohn in Höhe von monatlich<br />
45.000, für vier Stunden kriegt<br />
man 31.000 Forint. Die Roma klagt über<br />
ihren immergleichen Alltag: „Was kann<br />
man in diesem Kaff schon machen?“ Einmal<br />
im Jahr, sagt sie, gehe die ganze Familie<br />
in den Nachbarort Pizza essen. Das<br />
sei der einzige Lichtblick in ihrem eintönigen<br />
Leben. Die andere Frau erzählt,<br />
<strong>das</strong>s sie bisher nur einmal in Budapest<br />
gewesen sei – vor 28 Jahren zur Hochzeitsreise<br />
mit ihrem Mann. Budapest ist<br />
rund 100 Kilometer von Tiszabura entfernt.<br />
Wie <strong>das</strong> Zusammenleben von Ungarn<br />
und Roma in Tiszabura funktioniere?<br />
„Eigentlich gut“, meinen beide. „Konflikte<br />
gibt es nicht. <strong>Wenn</strong>, dann nur deshalb,<br />
weil die Zigeuner klauen. Die beklauen<br />
sich aber auch untereinander“, sagt die<br />
Roma. Die andere Frau ergänzt: „Deshalb<br />
finde ich, <strong>das</strong>s wir in Tiszabura kein ethnisches,<br />
sondern ein soziales Problem<br />
haben.“ Ihre Kollegin nickt zustimmend.<br />
3000 Einwohner –<br />
1 Arzt<br />
Allgemeinarzt Balázs Horváth ist jung<br />
und sportlich. Er trägt einen Dreitagebart.<br />
Sein schulterlanges Haar hat er zu <strong>einem</strong><br />
Zopf gebunden. Horváth ist der einzige<br />
Arzt, der in Tiszabura geblieben ist. Der<br />
Kinder- und der Zahnarzt haben die Ortschaft<br />
wegen der misslichen Situation vor<br />
wenigen Monaten fluchtartig verlassen.<br />
Deshalb ist Horváth heute für rund 3.000<br />
Einwohner zuständig, in denen die<br />
Mehrheit Roma sind.<br />
„Die gesundheitliche Situation hier im<br />
<strong>Dorf</strong> ist weitaus schlechter als die des nationalen<br />
Durchschnitts“, so Horváth. Die<br />
häufigsten Krankheiten seien Mangelerkrankungen,<br />
Rheuma, Asthma und Herz-<br />
Gefäß-Erkrankungen. Außerdem gebe es<br />
viele Fälle von Schwangerschaften bei<br />
Minderjährigen. „Dabei hält die Gemeindeschwester<br />
regelmäßig Vorträge – unaufgeklärt<br />
sind die Jugendlichen also<br />
nicht. Wir verteilen umsonst Kondome,<br />
und auch die Dreimonats-Verhütungs-<br />
spritze kostet wenig. Aber wenn Jugendliche<br />
verliebt sind, ist ihnen alles egal –<br />
und die Jungs mögen Kondome eben<br />
nicht so gern“, erklärt der Arzt.<br />
Trotz der bitteren Armut in Tiszabura<br />
sei im Winter noch niemand mit Erfrierungswunden<br />
oder Frostbeulen zu ihm<br />
gekommen. Probleme resultieren eher<br />
aus dem Gegenteil. Die meisten Familien<br />
heizen mit Holz aus den umliegenden<br />
Wäldern. „Um die Wärme in der Wohnung<br />
zu halten, lüften sie jedoch kaum.<br />
Dadurch werden ständig Schadstoffe eingeatmet,<br />
die sich in der Lunge absetzen“,<br />
erklärt Horváth. Das Ergebnis sei ein<br />
überdurchschnittlich hohes Vorkommen<br />
von chronischem Asthma, vor allem bei<br />
Kindern. Atemwegerkrankungen sind<br />
bei Kindern aber auch deshalb so häufig,<br />
weil viele Mütter ihre Säuglinge mit<br />
Kuhmilch füttern, so der Arzt.<br />
Ein anderes großes Problem seien<br />
Fehlernährung und der enorme Vitaminmangel.<br />
„Viele meiner Patienten essen<br />
kaum Obst oder Gemüse. Die Menschen<br />
hier verzehren vor allem Weißbrot<br />
und Schweinefleisch, <strong>das</strong> in Massen jedoch<br />
entzündungserregend wirken<br />
kann“, sagt Horváth. Viele würden sich<br />
auch mit Chips, Cola und Süßigkeiten<br />
vollstopfen, wenn sie ihre Löhne oder<br />
Sozialgelder bekämen, weiß der Arzt.<br />
Ihre Kinder seien den Roma „heilig“.<br />
Sei ein Roma-Kind ernsthaft krank,<br />
nähmen sie trotz Mittellosigkeit auch<br />
große Unkosten in Kauf. „<strong>Wenn</strong> es<br />
nicht anders geht, nehmen sie einen<br />
Kredit auf, um Medikamente oder die<br />
Fahrtkosten ins Krankenhaus bezahlen<br />
zu können.“ Horváth meint damit keine<br />
Bankkredite, sondern Kredite von<br />
Privatpersonen mit „Wucherzinsen“. In<br />
vielen Fällen könnten die horrenden<br />
Rückzahlungen von den Schuldnern<br />
aber nicht geleistet werden. „Im Ort<br />
wurden deshalb auch schon Häuser in<br />
Brand gesteckt“, weiß er zu berichten.<br />
„Kakerlaken hinter<br />
den Wänden“<br />
József Turó wirkt auf den ersten Blick<br />
jungenhaft. Bei genauerem Hinsehen<br />
Eine Grundschulklasse in Tiszabõ. Familie Túró in ihrem Zuhause. Der Bürgermeister von Tiszabõ: Barnabás Farkas.<br />
sieht der Roma aber müde und abgearbeitet<br />
aus. Tiefe Falten umgeben seine<br />
grünen Augen. Mit seiner jetzigen Frau<br />
hat er sieben Kinder, vier von ihr, drei<br />
von ihm.<br />
Grinsend und bisweilen Grimassen<br />
schneidend, sehen die hübsch gekleideten<br />
Kinder ihrer Mutter dabei zu, wie sie<br />
in der Küche „sovány“ zubereitet. „Sovány“<br />
bedeutet mager. Es ist ein billiger Ersatz<br />
für Brot, <strong>das</strong> für viele Familien in Tiszabura<br />
zu teuer ist. „Aus Wasser, Backpulver<br />
und Hefe knete ich einen Teig und frittiere<br />
ihn dann in heißem Öl“, erklärt sie.<br />
Seit fünf Jahren ist József arbeitslos.<br />
Zuvor habe er jahrelang als Maurer für<br />
ein Bauunternehmen gearbeitet. Bis zu<br />
370 Stunden im Monat. József will unbedingt<br />
wieder arbeiten. „Um den Kindern<br />
eine ordentliche Ausbildung geben<br />
zu können“, sagt er. Derzeit betrage<br />
<strong>das</strong> Familienbudget rund 150.000<br />
Forint im Monat. Es setze sich vor allem<br />
aus der Familienbeihilfe zusammen.<br />
„Viel zu wenig, um meiner Familie ein<br />
anständiges Leben bieten zu können“,<br />
sagt József.<br />
In ihrem Haus bewohnen József und<br />
seine Familie drei Zimmer. Weil es zu<br />
wenige Betten gibt, schlafen jeweils<br />
zwei Kinder auf einer Liegestatt. Im<br />
Wohnzimmer prangt eine Tapete mit<br />
Efeu-Muster, darunter verdeckt eine<br />
Holzvertäfelung die Wand. Immer wieder<br />
krabbeln hinter der Vertäfelung käferartige<br />
Getiere hervor. Etwa Spinnen?<br />
„Nein, nein, <strong>das</strong> sind Kakerlaken“, erklärt<br />
die älteste Tochter Ildikó.<br />
Auch die Küche ist nur beim ersten<br />
Hinsehen adrett. Nach einer Weile fällt<br />
auf, <strong>das</strong>s der Wasserhahn an der Küchenspüle<br />
aus <strong>einem</strong> großen grauen<br />
Loch in der Wand hervorragt. Hinter der<br />
großen Küchentheke wiederum hören<br />
die Bodenfliesen einfach auf und es<br />
schaut <strong>das</strong> nackte Erdreich hervor.<br />
Die vierzehnjährige Ildikó drückt sich<br />
selbstsicher und gewählt aus. Sie hat<br />
feste Pläne. So wolle sie eine Handelsschule<br />
besuchen, mit Englisch und Französisch<br />
als Wahlsprachen. József hofft:<br />
„Diese Schule <strong>wird</strong> für meine Tochter<br />
vielleicht ein Ausweg aus der Armutsfalle<br />
sein.“<br />
Trotz des schlechten Zustands <strong>wird</strong> auch dieses Haus bewohnt.
10 BUDAPESTER ZEITUNG DESIGN 28. FEBRUAR - 6. MÄRZ 2011 • NR. 9<br />
Klar und minimalistisch – so sind<br />
die Designs des Labels „Nubu“,<br />
<strong>das</strong> Judit Garam und ihr Bruder<br />
Peter vor annähernd drei Jahren<br />
gemeinsam gründeten. Feine Stoffe,<br />
gute Verarbeitung, schlichte<br />
und doch ausgefallene Schnitte<br />
kennzeichnen ihre Kleider. Dazu<br />
gehören Shirts, Kostüme, Anzüge,<br />
Jeans und Accessoires wie zum<br />
Beispiel Taschen. Zeitgleich mit<br />
der Gründung ihres Labels eröffneten<br />
die Geschwister den Mono<br />
Fashion Shop, wo sie „Nubu“<br />
auch vertreiben. Im Laden dominieren<br />
die Farben Schwarz, Anthrazit<br />
und weitere Grautöne, Mauve<br />
und Nuancen von Karamell bis<br />
Weiß. Präsentation und ausgewählte<br />
Accessoires machen <strong>das</strong><br />
Sortiment zu etwas Besonderem.<br />
Auch aufgrund der Preise: Mono<br />
ist <strong>das</strong> beste Beispiel dafür, <strong>das</strong>s<br />
qualitativ hochwertige und ausgefallene<br />
Designerkleidung nicht<br />
teuer sein muss – die meisten Teile<br />
kosten nicht mehr, als man in einer<br />
großen internationalen Modekette<br />
dafür zahlen würde. Wir sprachen<br />
mit der Designerin Judit Garam.<br />
� Wie würden Sie Ihr Label charakterisieren?<br />
Minimalistisch, clean, pur. Wir<br />
kreieren einen urbanen Stil, der alltagstauglich<br />
und gleichzeitig alternativ<br />
ist. Für normale Frauen im<br />
Berufsleben. Wir produzieren in<br />
kleiner Auflage, von jedem Stück<br />
gibt es nur ein paar Exemplare.<br />
Das macht unsere Kleidung zu etwas<br />
Besonderem, auch, weil jedes<br />
Teil von nur einer Person per<br />
Hand angefertigt <strong>wird</strong>.<br />
� Welche Zielgruppe sprechen Sie<br />
damit an?<br />
Hm, <strong>das</strong> ist schwierig. Ich würde<br />
sagen, jüngere Leute mögen unsere<br />
Sachen, vor allem die älteren<br />
kaufen sie dann. Allgemein vielleicht<br />
die 18- bis 40-Jährigen. Wir<br />
haben Kleidung in den Größen S<br />
bis XL im Laden. Die Kunden<br />
können aber auch andere Größen<br />
bestellen.<br />
� Woher holen Sie sich Ihre Inspiration?<br />
Ich kann nicht sagen, <strong>das</strong>s ich von<br />
bestimmten Designern beeinflusst<br />
werde oder mich an ihnen orientiere.<br />
Meine Ideen kommen aus m<strong>einem</strong><br />
Inneren. Aber natürlich orientiere<br />
ich mich bei meinen Designs<br />
schon an Trends.<br />
BZT / Aaron Taylor<br />
� Wie kam es dazu, <strong>das</strong>s Sie anfingen,<br />
Mode zu machen?<br />
Ich war einfach schon immer daran<br />
interessiert, bereits als kleines<br />
Mädchen von zehn Jahren. Es war<br />
deshalb früh klar, <strong>das</strong>s ich etwas<br />
mit Kleidung und Mode machen<br />
würde. Zu diesem Zeitpunkt gab<br />
es jedoch noch keine gute Schule<br />
in Ungarn, <strong>das</strong> kam erst in den<br />
letzten Jahren. So habe ich einfach<br />
selbst herumprobiert, <strong>das</strong> Leben<br />
war mein Lehrer. Ich bin<br />
Autodidakt.<br />
� Wann gründeten Sie Ihr eigenes<br />
Label?<br />
Vor zehn Jahren gründeten wir<br />
„Miju“. Vor knapp drei Jahren kamen<br />
dann unser Laden, der Mono<br />
Fashion Shop, und die Marke<br />
„Nubu“ hinzu.<br />
� Gibt es neben „Nubu“ noch andere<br />
Marken im Mono Fashion Shop?<br />
Designer aus Ungarn – Teil 3<br />
Judit Garam und ihr Label Nubu<br />
Puristisch und elegant<br />
Autodidaktin Judit Garam in ihrem Mono Fashion Shop.<br />
Neben unseren beiden eigenen Labeln<br />
haben wir hier Kollektionen<br />
anderer, hauptsächlich ungarischer<br />
Designer. Den Anfang machten<br />
sechs große ungarische Marken.<br />
Inzwischen sind es mehr. Jeden<br />
Monat präsentieren wir im Laden<br />
die Kollektion eines <strong>Gas</strong>t-Designer<br />
aus Ungarn oder dem Ausland.<br />
Mit diesem Programm helfen wir<br />
jungen und talentierten Designern,<br />
Fuß zu fassen und auf sich aufmerksam<br />
zu machen. Darunter<br />
sind auch die Arbeiten von Designstudenten<br />
und Absolventen<br />
der <strong>Universität</strong>. So geben wir dem<br />
kreativen Nachwuchs eine Chance.<br />
Normalerweise bleiben die Kollektionen<br />
einen Monat lang im Laden.<br />
Danach entschieden wir, ob<br />
wir sie weiter vertreiben oder<br />
nicht. Eigentlich lehnen wir niemanden<br />
ab, der zu uns kommt und<br />
ausstellen möchte. Außer, die<br />
Kreationen sind beispielsweise zu<br />
farbenfroh, <strong>das</strong> würde dann nicht<br />
in unser Shop-Konzept passen.<br />
Momentan führen wir die Marken<br />
„Nubu“, „Anh Tuan“, „Nanushka“,<br />
„Use“, „Feher Design", „Artista“,<br />
„Miju“, „Nos“, „Bálint Sára“,<br />
„Konsánszky Dóra“, „Souffle"<br />
und „Nubu Baby“, daneben noch<br />
einige Schmucklinien. Alle Marken<br />
besitzen einen für ihren jeweiligen<br />
Designer typischen Stil.<br />
� Inzwischen gibt es ihr Label<br />
„Nubu“ auch in Wien und Berlin zu<br />
kaufen. Planen Sie weitere internationale<br />
Standorte?<br />
Wir sind auf alle Fälle offen für internationale<br />
Kooperationen. Wir möchten<br />
auch gerne an Fashion Weeks teilnehmen,<br />
vor zwei Jahren waren wir<br />
zum Beispiel auf der Winter-Fashion-<br />
Week in New York und Los Angeles<br />
vertreten. Hier in Budapest organisieren<br />
wir mit Mono Fashion unsere<br />
eigenen Modenschauen.<br />
� Was dürfen wir von Ihrer aktuellen<br />
Frühlingskollektion erwarten?<br />
Sie ist frisch und hell, <strong>das</strong> tut gut<br />
nach dem dusteren Winter. Wir haben<br />
neue Designs und Schnitte.<br />
Geometrie spielt eine große Rolle.<br />
Darunter sind Stücke mit Malereien,<br />
jedes davon ist ein absolutes<br />
Unikat. Wir sind gerade dabei, sie<br />
ZUR PERSON<br />
nach und nach mit der gesamten<br />
neuen Kollektion ins Sortiment<br />
des Ladens zu nehmen.<br />
KONSTANZE FAßBINDER<br />
„Nubu“ erhältlich<br />
im Mono Fashion Shop<br />
V. Kossuth Lajos utca 20<br />
Telefon: +36 1 317 7789<br />
Mobil: +36 20 772 5273<br />
Email: info@monofashion.hu,<br />
www.monofashion.hu<br />
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag<br />
10 bis 20 Uhr, Samstag 10 bis 18<br />
Uhr, Sonntag geschlossen.<br />
JUDIT GARAM stammt aus Budapest. Seit zehn Jahren führt sie <strong>das</strong><br />
Label „Miju“, vor drei Jahren gründete sie mit ihrem Bruder Peter<br />
den Mono Fashion Shop und ihr gemeinsames Label „Nubu“. Zum<br />
Mono Shop gehört außerdem die Mono Gallery für Zeitgenössische<br />
Kunst in der Várfok utca 1 in Buda, die Garams Mann führt. Hier<br />
<strong>wird</strong> <strong>das</strong> Konzept von Mono auf Kunst übertragen: Präsentiert werden<br />
die Arbeiten junger, ungarischer Künstler. Mehr Infos auf<br />
www.monogaleria.hu/hu/galeria.html.
28. FEBRUAR - 6. MÄRZ 2011 • NR. 9 VERANSTALTUNGEN BUDAPESTER ZEITUNG 11<br />
Kunstausstellung auf dem Kulturschiff A38<br />
Kurios, aber großartig<br />
Weniger erotisch, dafür umso humorvoller setzt<br />
Andrej Tóth Szenen des Pariser Varietés „Crazy<br />
Horse“ in seinen Malereien um. Da werden<br />
Tänzerinnen Hühnerköpfe aufgesetzt und dicke<br />
Waden verpasst – <strong>das</strong> alles jedoch auf eine bemerkenswert<br />
liebevolle Art und Weise. Das<br />
Kulturschiff A38 zeigt Tóths Werke noch bis zum<br />
19. März im neuen Ausstellungsraum.<br />
as „Crazy Horse“ in Paris wurde 1951 eröff-<br />
Dnet und ist heute eines der berühmtesten<br />
Varietés neben dem „Moulin Rouge“. Die Frauen<br />
dort tanzen in luftigem Gewand, mit Perücken<br />
und schwingenden Federboas. Grazile Damen und<br />
erotische Momente sucht man in Andrej Tóths<br />
Malereien jedoch vergebens. Die Betonung seiner<br />
Ausstellung „Crazy Horse“ liegt auf „crazy“: So<br />
zeigt der 1978 in Kaposvár geborene Künstler eine<br />
Reihe identischer, dickwadiger Frauenbeine auf<br />
s<strong>einem</strong> Bild „Huit Femmes“, zu Deutsch „Acht<br />
Frauen“. Die Beine gehören zu „Baby Light“,<br />
„Daisy Blu“, „Diva Novita“ und fünf weiteren kreativ<br />
benannten Tänzerinnen, die übrigens tatsächlich<br />
im Pariser Varieté zu sehen sind. Doch womöglich<br />
wären die in Wahrheit sportlich-schlanken<br />
Frauen nicht begeistert über ihre Abbildungen.<br />
Persönlicher Blickwinkel im Mittelpunkt<br />
Dabei ist es gerade diese Art der Darstellung,<br />
die Tóths Kunst so interessant macht. Um <strong>das</strong><br />
„Schöne“ und „Erotische“ geht es ihm nicht. Vielmehr<br />
spielt er mit diesen Begriffen und dem, was<br />
heutzutage darunter verstanden <strong>wird</strong>. Den Zeige-<br />
Der als genial geltende amerikanische<br />
Schlagzeuger Brain Blade steht<br />
am 6. März mit fünf befreundeten<br />
Künstlern, einer Gitarre und selbstkomponierten<br />
Liedern vor dem Publikum<br />
im Palast der Künste.<br />
rian Blade, US-amerikanischer<br />
BJazzschlagzeuger und Komponist,<br />
gehört zu jener Kategorie von<br />
Musikern, von denen man sagt, <strong>das</strong>s<br />
sie erfunden werden müssten, würden<br />
Dita von Teese wie Tóth sie sieht.<br />
finger erhebt Tóth bei s<strong>einem</strong> Spiel jedoch nicht.<br />
Liebevoll und mit Humor zeigt er dem Betrachter<br />
<strong>das</strong>, was man neben dem Gewöhnlichen noch auf<br />
der Bühne des „Crazy Horse“ sehen kann.<br />
Brian Blade im Palast der Künste<br />
Jazzschlagzeuger mit Gitarre<br />
Wagt sich auf neues Terrain: Brain Blade mit Gitarre.<br />
sie nicht bereits existieren. Er begann<br />
seine Karriere in New Orleans und arbeitete<br />
seitdem mit unterschiedlichen<br />
Künstler und Stars der Jazzwelt wie<br />
Kenny Garett, Joshua Redman und<br />
Brad Mehldau und Weltmusikgrößen<br />
wie Norah Jones, Bill Frisell, Seal und<br />
sogar Bob Dylan zusammen. Außerdem<br />
ist er ständiges Mitglied des<br />
Wayne Shorter Quartetts und arbeitete<br />
bei mehreren Alben mit, die einen<br />
Grammy gewonnen haben.<br />
Jetzt wagt Blade sich auf ganz<br />
neue Wege: Er tritt in Budapest mit<br />
seiner Band Fellowship und <strong>einem</strong><br />
neuem Musikinstrument auf: der<br />
Gitarre. Mit ihr trägt er Stücke seiner<br />
sehr intimen Platte „Mama<br />
Rosa“ vor. Und beweist damit, <strong>das</strong>s<br />
Drummer keine Lärmverursacher,<br />
sondern sehr wohl Musiker sind, die<br />
auch Ahnung von Musik haben und<br />
mehr tun als nur den Rhythmus angeben.<br />
So hat Blade bei „Mama<br />
Rose“ nicht nur alle Lieder selbst<br />
komponiert, sondern übernimmt<br />
auch den Part des Sängers, Gitarristen,<br />
Pianisten und manchmal auch<br />
Bassisten.<br />
Schlagzeug fristet<br />
Schatten<strong>das</strong>ein<br />
Das Album trägt den Namen seiner<br />
Großmutter, seine Lieder erwecken<br />
die Geschichte einer ganzen<br />
Familie zum Leben. Mit den Texten<br />
erzählt Blade den Zuhörern etwas<br />
von seiner ganz persönlichen Welt,<br />
berichtet über Liebe, Akzeptanz,<br />
Lebenserfahrungen und anderen<br />
Menschen aus s<strong>einem</strong> Leben. Und<br />
dies alles mit unglaublich viel Gefühl.<br />
Im Vordergrund steht dabei<br />
sein melodischer, sanfter Gesang; <strong>das</strong><br />
Schlagzeug fristet fast ein Schatten<strong>das</strong>ein.<br />
Unterstützung hatte Blade<br />
bei dem Album von Greg Leisz,<br />
Jon Cowherd, Chris Thomas und<br />
dem begnadetem Jazz-Gitarristen<br />
Kurt Rosenwinkel. Stilistisch geht<br />
„Mama Rosa“ in Richtung Folk, mit<br />
einer Mischung aus Pop- und auch<br />
Für den in Budapest lebenden Tóth sind Konzeptausstellungen<br />
nicht ungewöhnlich. Bereits<br />
2009 gab es in seiner Ausstellung „Dolce Vita<br />
Bed & Breakfast“ Szenen aus dem gleichnamigen<br />
sizilianischen Hotel zu sehen, so zum Beispiel eine<br />
beleibte, nackte, Melonen essende Frau und<br />
ein homosexuelles Paar, <strong>das</strong> sich im Restaurant<br />
heimlich mit den Füßen streichelt. Tóth zeigt<br />
gern <strong>das</strong>, was er auch wirklich vor sich sieht – nur<br />
eben aus s<strong>einem</strong> persönlichen Blickwinkel. Dabei<br />
nutzt er eine naive Maltechnik, die neben der verzerrten<br />
Darstellung als wesentliches Humorelement<br />
fungiert. Auch die Beschriftung seiner<br />
Werke nutzt Tóth, um Pointen zu setzen. Sogar<br />
künstlerische Paraphrasen lassen sich erkennen.<br />
So setzt der Künstler „Gabrielle d’Estrées und einer<br />
ihrer Schwestern“ Hühnerköpfe auf und<br />
nennt die Brustwarzenzwickerin „Madame Marika“,<br />
während sich die Gezwickte als „Frau Aichelburg“<br />
entpuppt. Kurios, aber großartig. An der<br />
Plakatartigkeit von Tóths Werken lässt sich außerdem<br />
sein eigentliches Handwerk erkennen: Der<br />
Künstler studierte Garfikdesign an der Moholy-<br />
Nagy <strong>Universität</strong>. Von 2008 bis 2010 erhielt er<br />
zudem den Preis „Kulturelles Plakat des Jahres“<br />
und im Vorjahr den „Goldenen Reißnagel“, die<br />
Auszeichnung des Verbandes ungarischer Grafikstudios.<br />
Auch die Kooperation mit dem A38 hat<br />
in Tóths grafischer Arbeit seinen Ursprung, denn<br />
er war es, der <strong>das</strong> visuelle Konzept des Kulturschiffes<br />
entwarf. Sowohl die Webseite als auch<br />
unzählige Veranstaltungsplakate stammen aus seiner<br />
kreativen Feder.<br />
LISA WEIL<br />
ANDREJ TÓTH – „CRAZY HORSE“<br />
Kulturschiff A38, Petõfi Brücke Budaer Seite<br />
www.a38.hu<br />
Ausstellung bis zum 19. März<br />
Anmeldung unter Telefon +36.1.464.3940<br />
Jazz-Elementen. Ein wirklich erstaunliches<br />
Album eines Schlagzeugers,<br />
der überzeugend und aufrichtig<br />
daherkommt.<br />
Kein geborener<br />
Sänger<br />
Für eingefleischte Jazz-Fans<br />
könnten Album und Konzert etwas<br />
zu „mittig“ ausgerichtet sein, denn<br />
Blade verzichtet auf seine spektakulären,<br />
farbigen, mit mehr Höhen<br />
und Tiefen daherkommenden Jazzimprovisationen.<br />
Die Stimme des<br />
Drummers bleibt die ganze Zeit im<br />
gleichen mittleren Bereich; man<br />
merkt ihm eben an, <strong>das</strong>s er kein<br />
Sänger ist. Aber es ist vom Künstler<br />
anscheinend gar nicht gewollt, die<br />
Stärken des Jazz, Improvisation,<br />
Duelle verschiedener Instrumente,<br />
Themenvariationen und überlange<br />
atmosphärische Instrumentalpassagen<br />
in den kurzen Pop-Songs<br />
unterzubringen. Die ruhigen, stillen<br />
Lieder sind eher spartanisch,<br />
knapp instrumentiert und an eingängigen<br />
Themata ausgerichtet,<br />
nur selten gibt es Abstecher des<br />
Pianos oder der Gitarre in den Jazz-<br />
Bereich.<br />
Trotzdem, oder genau deswegen<br />
ist die Platte sehr gut gelungen. Wer<br />
Bob Dylan oder Jack Johnson zu seinen<br />
Favoriten zählt, <strong>wird</strong> große<br />
Freude an dem Konzert haben.<br />
Die Eintrittskarten kosten zwischen<br />
1.800 und 5.900 Forint.<br />
INES GRUBER<br />
PALAST DER KÜNSTE,<br />
6. März, 19.30 Uhr<br />
IX. Komor Marcell utca 1<br />
www.mupa.hu<br />
Kultur &<br />
Bildung<br />
GOETHE-INSTITUT<br />
IX. Ráday utca 58<br />
Tel.: +36 1 374 4070<br />
E-Mail: info@budapest.goethe.org<br />
www.goethe.de/budapest<br />
Leiterin: Dr. Gabriele Gauler<br />
2. März, 18 Uhr: Der Filmklub des Goethe-Instituts<br />
zeigt den Polizeithriller „Im Angesicht des Verbrechens“<br />
(Folge 5 und 6) in deutscher, russischer<br />
und jiddischer Sprache mit deutschen Untertiteln.<br />
Ab 4. März: Buchausstellung mit dem Titel „Ein<br />
Fall für Literatur“. Gezeigt werden Bücher und Porträts<br />
von sechzehn originellen und zeitgenössischen<br />
Krimiautoren aus Deutschland und Österreich.<br />
Öffnungszeiten der Bibliothek des Goethe-Instituts:<br />
dienstags bis donnerstags 14 bis 19 Uhr, freitags<br />
11 bis 17 Uhr, samstags 10 bis 14 Uhr.<br />
ÖSTERREICHISCHES KULTURFORUM<br />
VI. Benczúr utca 16,<br />
Tel.: +36 1 413 3590,<br />
E-Mail: budapest-kf@bmeia.gv.at,<br />
www.okfbudapest.hu,<br />
Leiterin: Dr. Elisabeth Kornfeind<br />
1. und 2. März: Konferenz zum Thema „Erhaltung<br />
des architektonischen Erbes. Gesellschaft im<br />
Wandel – Denkmalschutz im Wandel?“ im Kongresssaal<br />
des Instituts für Gesellschaftsforschung der<br />
Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Interessenten<br />
können sich unter szima@office.mta.hu<br />
registrieren.<br />
Bis 19. März: Das Kulturforum zeigt in der Knoll<br />
Galéria am Liszt Ferenc Platz die Ausstellung „R.D.“.<br />
Die Zeichnungen und Gemälde thematisieren die<br />
68er Bewegung und ihre Wirkung auf Ungarn.<br />
ANDRÁSSY UNIVERSITÄT<br />
VIII. Pollack Mihály tér 3<br />
Tel: +36 1 266 3101, -4408<br />
30 525 50 43<br />
Fax: +36 1 266 3099<br />
www.andrassyuni.hu<br />
Rektor: Prof. Dr. András Masát<br />
2. März, 19 Uhr: Die Fakultät für Mitteleuropäische<br />
Studien der <strong>Andrássy</strong> <strong>Universität</strong> Budapest<br />
und <strong>das</strong> Österreichische Kulturforum lädt ein<br />
zum Vortrag von Univ. Prof. Dr. Dr. Oliver<br />
Rathkolb (<strong>Universität</strong> Wien) zum Thema „Bruno<br />
Kreisky und seine Zeit“.<br />
KONRAD-ADENAUER-STIFTUNG<br />
I. Batthyány utca 49<br />
Tel: +36 1 487 5010<br />
E-Mail: adenauer@adenauer.hu,<br />
www.adenauer.hu<br />
Leiter: Hans Kaiser<br />
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG<br />
V. Fõvám tér 2-3,<br />
Tel: +36 1 461 6011,<br />
E-Mail:<br />
anita.horvath@fesbp.hu<br />
www.fesbp.hu<br />
Leiter: Heinz Albert Huthmacher<br />
DEUTSCHSPRACHIGE KIRCHEN<br />
RÖMISCH-KATHOLISCHE GEMEINDE<br />
I. Fõ utca 43, Tel./Fax: 213 7508<br />
Pfarrer: noch nicht benannt<br />
Gottesdienste: jeden Sonn- und Feiertag um 10<br />
Uhr in der Szent Ferenc Sebei Kirche (Nähe<br />
Batthyány tér).<br />
EVANGELISCH-REFORMIERTE<br />
GEMEINDE<br />
V. Alkotmány utca 15, Tel./Fax: 311 2369<br />
Pfarrer: Zoltán Balog<br />
Gottesdienste: sonntags 10 Uhr, (Eingang um die<br />
Ecke in der Hold utca).<br />
EVANGELISCH-LUTHERISCHE<br />
GEMEINDE<br />
I. Logodi utca 5-7, Tel./Fax: 212 8979<br />
Pfarrer: Johannes Erlbruch<br />
Gottesdienste: sonntags 10 Uhr in der Kapelle<br />
Táncsics Mihály utca 28
12 BUDAPESTER ZEITUNG VERANSTALTUNGEN 28. FEBRUAR - 6. MÄRZ 2011 • NR. 9<br />
Kunst zum selber machen<br />
Eine Handwerks- und Kreativausstellung mit Markt findet am Wochenende des 5. und 6. März in<br />
der Petõfi Halle statt. Über 100 Aussteller zeigen ihre Handarbeiten, der Markt bietet Möglichkeiten<br />
zum Kauf von Grundmaterialien. Den ganzen Tag über gibt es Programme für Groß und Klein<br />
mit Vorstellungen und Work-Shops. Die Besucher können Körbe flechten, Kerzen gießen, Papier<br />
pressen, aber auch Seiden- und Glasmalerei ausprobieren. Der Eintritt kostet für Familien 1.200,<br />
für Kinder und Rentner 400 und für Erwachsene 600 Forint.<br />
Petõfi Csarnok<br />
5. bis 6. März<br />
Geöffnet: 10 bis 18 Uhr<br />
Zichy Mihály út 14<br />
www.pecsa.hu<br />
MONTAG, DEN 28. FEBRUAR<br />
Tanz,Theater und klassische Musik<br />
TÁRSASKÖR ÓBUDA, 19 UHR: Nándor Götz (Saxofon) und<br />
seine Studenten, <strong>das</strong> Weiner Saxofonensemble und<br />
Saito Misako (Klavier) spielen Rossini – „Barbier von<br />
Sevilla“.<br />
III. Kiskorona utca 7, www.obudaitarsaskor.hu<br />
PALAST DER KÜNSTE – NATIONALE KONZERTHALLE BÉLA BARTÓK,<br />
19.30 UHR: Organist Xaver Varnus spielt Werke von<br />
Mozart. Zweites von zwei Konzerten.<br />
IX. Komor Marcell utca 1, www.mupa.hu<br />
HUBAY MUSIKSAAL (HOTEL VIKTORIA), 19.30 UHR: Pál Éder,<br />
Ágnes Beke (Violine), Ágota Temesváry (Viola), Eszter<br />
Baráti (Cello) und Géza Bánhegyi (Klarinette): „Schubert<br />
– Quartettsatz in C-Moll“, Mozart – „Klarinettenquintett<br />
in A-Dur“ und Schubert „Streichquartett in D-<br />
Moll ‚Der Tod und <strong>das</strong> Mädchen'“.<br />
I. Bem rakpart 11, www.hubayzeneterem.hu<br />
Ausgehen<br />
PALAST DER KÜNSTE – FESTIVALTHEATER, 20 UHR: Haitischer<br />
Sänger David Mettelus „Ti Coca“ und seine Band<br />
Wanga-Nègès.<br />
IX. Komor Marcell utca 1, www.mupa.hu<br />
OLD MAN'S MUSIC PUB, 21 UHR: Ferenczi György und<br />
Rackajam (Blues).<br />
VII. Akácfa utca 13, www.oldmans.hu<br />
INSTANT, 21.30 UHR: Egy Kiss Erzsi Zene, gefolgt von<br />
Various Tilos DJ Selection um 23 Uhr.<br />
VI. Nagymezõ utca 38, www.instant.co.hu<br />
DIENSTAG,1.MÄRZ<br />
Tanz,Theater und klassische Musik<br />
HÁLÓ, 19 UHR: Eszter Krulik, Angéla Bálint (Violine),<br />
Péter Tornyai (Viola) und Balázs Kántor (Cello) spielen<br />
Werke von Bartók.<br />
V. Ferenciek tere 7-3, www.halo.hu<br />
UNGARISCHE STAATSOPER, 19 UHR: Donizetti – „Don<br />
Pasquale“.<br />
VI. <strong>Andrássy</strong> út 22, www.opera.hu<br />
PALAST DER KÜNSTE – NATIONALE KONZERTHALLE BÉLA BARTÓK,<br />
19.30 UHR:Das MÁV Sinfonieorchester mit Zoltán Gyöngyössy<br />
(Flöte): Iván Madarász – „Flötenkonzert Nr.2“<br />
und Mahler – „Sinfonie Nr.5“, Leitung: Gergely Kesselyák.<br />
IX. Komor Marcell utca 1, www.mupa.hu<br />
Ausgehen<br />
NATIONALES TANZTHEATER, 19 UHR: Kompagnie Éva Duda –<br />
„Faun“ (ab 16 Jahre).<br />
I. Színház utca 1-3, www.nemzetitancszinhaz.hu<br />
PALAST DER KÜNSTE, 19 UHR: Mikis Theodorakis – „Zorba –<br />
Ballett in zwei Akten“, Choreografie: Gábor Keveházi.<br />
IX. Komor Marcell utca 1, www.mupa.hu<br />
SZIMPLA KERT, 21 UHR: Lounge Night DJ Set.<br />
VII. Kazinczy utca 14, www.szimpla.hu<br />
MITTWOCH, DEN 2. MÄRZ<br />
Tanz,Theater und klassische Musik<br />
UNGARISCHE STAATSOPER, 19 UHR: „Die Kamarazovs – Ballettaufführung<br />
zur Musik von Rachmaninow, Mogyest<br />
Mussorgsky, Wagner und russischer Zigeunermusik“,<br />
Choreografie: Boris Eifman.<br />
VI. <strong>Andrássy</strong> út 22, www.opera.hu<br />
PALAST DER KÜNSTE – NATIONALE KONZERTHALLE BÉLA BARTÓK,<br />
19.30 UHR: Franz Liszt Kammerorchester mit Gautier<br />
Capucon (Cello): Schostakowitsch – „Kammersinfonie“,<br />
Tschaikowsky – „Rokoko-Variationen“ und Tschaikowsky<br />
– „Serenade für Streicher in C-Dur“.<br />
IX. Komor Marcell utca 1, www.mupa.hu<br />
Ausgehen<br />
NATIONALES TANZTHEATER, 19 UHR: ExperiDance – Kompagnie<br />
Román Sándor: „Essence“.<br />
I. Színház utca 1-3, www.nemzetitancszinhaz.hu<br />
KULTURSCHIFF A38, 20 UHR: Zigeunerband Róbert Farkas:<br />
„Budapest Bár“ – Ungarische Chansons der 30er und<br />
40er Jahre.<br />
XI. Budaer Seite der Petõfi-Brücke, www.a38.hu<br />
SZIMPLA CAFÉ, 21 UHR: Jazzpianist Dezsõ Oláh.<br />
VII. Kertész utca 48, www.szimpla.hu<br />
DONNERSTAG, DEN 3. MÄRZ<br />
Tanz,Theater und klassische Musik<br />
UNGARISCHES RADIO – MARMORSAAL, 18 UHR: Duo The Egri<br />
& Pertis (Mónika Egri und Attila Pertis (Klavier)) spielen<br />
Werke von Liszt.<br />
VIII. Pollack M tér 8, www.mr3.hu<br />
UNGARISCHE STAATSOPER, 19 UHR: „Die Kamarazovs – Ballettaufführung<br />
zur Musik von Rachmaninow, Mogyest<br />
Mussorgsky, Wagner und russischer Zigeunermusik“,<br />
Choreografie: Boris Eifman.<br />
VI. <strong>Andrássy</strong> út 22, www.opera.hu<br />
PALAST DER KÜNSTE – NATIONALE KONZERTHALLE BÉLA<br />
BARTÓK, 19.30 UHR: Ungarisches National-Philharmonieorchester<br />
mit Kristóf Baráti (Violine): Liadov – „Nenie“,<br />
Glazunov – „Violinkonzert in A-Moll“ und Scriabin –<br />
„Sinfonie Nr. 3 in C-Moll“, Leitung: Alexandr Vedernikov.<br />
IX. Komor Marcell utca 1, www.mupa.hu<br />
Ausgehen<br />
NATIONALES TANZTHEATER, 10.30 UND 15 UHR: Kompagnie<br />
Yvette Bozsik – „Peter und der Wolf“.<br />
I. Színház utca 1-3, www.nemzetitancszinhaz.hu<br />
BUDAPEST JAZZ CLUB, 21 UHR: Panchan – Release-<br />
Konzert des Albums Édenkelet.<br />
VIII. Múzeum utca 7, www.bjc.hu<br />
FREITAG, DEN 4. MÄRZ<br />
Tanz,Theater und klassische Musik<br />
BÉLA BARTÓK GEDENKHAUS, 18 UHR: Márta Ábrahám (Violine),<br />
Péter Bársony (Viola) und Ditta Rohmann (Cello)<br />
spielen Streichertrios von Beethoven.<br />
II. Csalán utca 29, www.bartokmuseum.hu<br />
UNGARISCHE STAATSOPER, 19 UHR: Puccini – „La Bohéme“.<br />
VI. <strong>Andrássy</strong> út 22, www.opera.hu<br />
TÁRSASKÖR ÓBUDA, 19 UHR: Franz Liszt Kammerorchester<br />
spielt ein Konzert für die Renovierung der Orgel der<br />
Sárospataker Basilika: Tschaikowsky – „Streichserenade<br />
in C-Dur“, Schostakowitsch – „Kammersinfonie“<br />
und Liszt – „Ungarische Rhapsodie Nr. 2“, transkribiert<br />
von Wolf.<br />
III. Kiskorona utca 7, www.obudaitarsaskor.hu<br />
PALAST DER KÜNSTE – NATIONALE KONZERTHALLE BÉLA BAR-<br />
TÓK, 19.30 UHR: Pannon Philharmonieorchester Pécs<br />
mit Ildikó Komlósi (Gesang): Webern – „Passacaglia<br />
Nr.1“, Mahler – „Kindertotenlieder“ und Dohnányi –<br />
„Sinfonie Nr. 2 in E-Dur“, Leitung: Tibor Bogányi.<br />
IX. Komor Marcell utca 1, www.mupa.hu<br />
UNGARISCHES NATIONALMUSEUM, 19.30 UHR: Sinfonieorchester<br />
des Ungarischen Radios: Prokofiev – „Klassische<br />
Sinfonie“, Wagner – „Siegfried-Idyll“ und Bartók – „Suite<br />
Nr. 2“, Leitung: Stephen D'Agostino.<br />
VIII. Múzeum körút 14-16, www.hnm.hu<br />
Ausgehen<br />
NATIONALES TANZTHEATER, 19 UHR: Zentraleuropäisches<br />
Tanztheater – „Carnival“.<br />
I. Színház utca 1-3, www.nemzetitancszinhaz.hu<br />
Erster<br />
Geburtstag<br />
Die Band mit dem ungewöhnlichen Namen Bin-<br />
Jip feiert am 4. März mit der tschechischen<br />
Gruppe Lesní zver ihr einjähriges Jubiläum. Hinter<br />
dem ausgefallenen, original koreanischen Namen<br />
Bin-Jip verstecken sich vier außergewöhnliche<br />
ungarische Musiker: Veronika Harcsa,<br />
Zsolt Kaltenecker, Bálint Gyémánt und András<br />
Józsa. Die Künstler produzieren und schreiben<br />
ihre Triphop, Elekro und Nu-Jazz Musik gemeinsam.<br />
Die tschechische Gruppe Lesní zver (freie<br />
Übersetzung: Tiere des Waldes) ist ein Jazz-Trio<br />
aus Prag, was gerne improvisiert und auch programmierte<br />
Effekte benutzt. Der Eintritt kostet<br />
im Vorverkauf 1.700, am Tag des Konzertes<br />
2.200 Forint.<br />
Kulturschiff A38<br />
4. März, 21 Uhr<br />
XI. Budaer Seite der Petõfi-Brücke<br />
www.a38.hu<br />
PALAST DER KÜNSTE – FESTIVALTHEATER, 19 UHR: Honvéd<br />
Tanztheater – „Dózsa – Tanzchronik über die Taten von<br />
György Dózsa“.<br />
IX. Komor Marcell utca 1, www.mupa.hu<br />
KULTURSCHIFF A38, 20 UHR: Einjähriges Jubiläum der<br />
Jazz/Electronic-Band Bin-Jip, unterstützt von Lesni Zver.<br />
XI. Budaer Seite der Petõfi-Brücke, www.a38.hu<br />
GALERIE KOGART: Ausstellung der Werke, die 2010 von<br />
der Gábor Kovács Kunststiftung gekauft wurden, bis 27.<br />
März 2011, montags bis freitags 10 bis 18 Uhr.<br />
VI. <strong>Andrássy</strong> út 112, www.kogart.hu<br />
SAMSTAG, DEN 5. MÄRZ<br />
Tanz,Theater und klassische Musik<br />
FRANZ LISZT MUSIKAKADEMIE, 11 UHR: Ksenia Nosikova<br />
(Klavier) spielt Werke von Clara Schumann, Schumann<br />
und Meyerbeer-Liszt.<br />
VI. Vörösmarty Mihály utca 35<br />
www.lisztmuseum.hu<br />
PALAST DER KÜNSTE – NATIONALE KONZERTHALLE BÉLA BARTÓK,<br />
19.30 UHR: Budapest Konzert mit Miklós Perényi (Cello):<br />
Nikolai Rimsky – „Russische Ostern“, Schostakowitsch<br />
– „Cellokonzert Nr. 2“ und Tschaikowsky – „Sinfonie Nr.<br />
5 in E-Moll“, Leitung: András Keller.<br />
IX. Komor Marcell utca 1, www.mupa.hu<br />
UNGARISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN – GROßER SAAL,<br />
19.30 UHR: Katalin Szutrély, Péter Bárány, László Kálmán,<br />
Dávid Csizmár (Gesang), Purcell Chor und Orfeo<br />
Orchester: Bach – „Was willst du dich betrüben: Kantate“,<br />
Leitung: György Vashegyi.<br />
V. Roosevelt tér 9, www.mta.hu<br />
Ausgehen<br />
NATIONALES TANZTHEATER, 19 UHR: Kompagnie Dezsõ Fitos<br />
– „Die schwarze Mühle“.<br />
I. Színház utca 1-3, www.nemzetitancszinhaz.hu<br />
TÁRSASKÖR ÓBUDA, 19 UHR: Róbert Rátonyi Kr. (Klavier),<br />
Gyula Csepregi (Saxofon), Ferenc Gayer (Kontrabass)<br />
und György Jeszenszky (Percussion) spielen Jazz-<br />
Adaptionen berühmter Lieder von Rezsõ Seress und<br />
weiteren ungarischen Komponisten der 1920er und<br />
1930er Jahre.<br />
III. Kiskorona utca 7, www.obudaitarsaskor.hu<br />
KULTURSCHIFF A38, 20 UHR: Steve Lukather Band.<br />
XI. Budaer Seite der Petõfi-Brücke, www.a38.hu<br />
KONGRESSZENTRUM BUDAPEST, 20 UHR: Album-Releasekonzert<br />
von Ghymes, zu <strong>Gas</strong>t: Kati Wolf.<br />
XII. Budapest Jagelló út 1-3,<br />
SONNTAG, DEN 6. MÄRZ<br />
Tanz,Theater und klassische Musik<br />
BÉLA BARTÓK GEDENKHAUS, 11 UHR: Mária Kovalszki, Bálint<br />
Zsoldos (Klavier), Gábor Devich (Klarinette), Anita Miskolczi,<br />
Gergely Devich (Cello) und ihre Studenten Júlia<br />
Pusker (Violine), Balázs Dolfin (Cello) und Krisztina Kocsis<br />
(Klavier) spielen Auszüge von Werken von Händel,<br />
Brahms, Debussy, Sibelius, Kodály, Bartók und<br />
Piazzolla.<br />
II. Csalán utca 29, www.bartokmuseum.hu<br />
FRANZ LISZT MUSIKAKADEMIE, 16 UHR: Renáta Darázs, Ildikó<br />
Gaál (Gesang), Gábor Galavics (Klarinette), Angéla<br />
Bálint (Violine), János Kéry, Dalma Lendvai, Sándor Leschák,<br />
Gábor Monostori, László Stachó (Klavier) und<br />
THReNSeMBle – Gruppe für Zeitgenössische Musik<br />
spielen Werke von Grieg, Kókai, De Falla, Beethoven,<br />
Kodály, Máté Szigeti und Bartók, Leitung: Balázs Horváth.<br />
VI. Vörösmarty Mihály utca 35<br />
www.lisztmuseum.hu<br />
UNGARISCHE STAATSOPER, 19 UHR: Puccini – „La Bohéme“.<br />
VI. <strong>Andrássy</strong> út 22, www.opera.hu<br />
FRANZ LISZT MUSIKAKADEMIE, 19 UHR: Quartett Kelemen<br />
spielt Werke von Haydn, Ligeti und Mendelssohn.<br />
VI. Vörösmarty Mihály utca 35<br />
www.lisztmuseum.hu<br />
Ausgehen<br />
NATIONALES TANZTHEATER, 10.30 UND 15 UHR: Honvéd<br />
Tanztheater: „Schlafende Schönheit“; der Aufführung<br />
folgen Kostümwettbewerb und Tanzworkshop.<br />
I. Színház utca 1-3, www.nemzetitancszinhaz.hu<br />
PALAST DER KÜNSTE – FESTIVALTHEATER, 19 UHR: Volksensemble<br />
des Ungarischen Staates – „Dreamtime“.<br />
IX. Komor Marcell utca 1, www.mupa.hu<br />
PALAST DER KÜNSTE – NATIONALE KONZERTHALLE BÉLA BARTÓK,<br />
19.30 UHR: Jazz-Schlagzeuger Brian Blade: „Mama<br />
Rosa“.<br />
IX. Komor Marcell utca 1, www.mupa.hu
28. FEBRUAR - 6. MÄRZ 2011 • NR. 9 BUDAPEST BUDAPESTER ZEITUNG 13<br />
chon im Grußwort des verhin-<br />
Sderten Oberbürgermeisters István<br />
Tarlós unterstrich sein Vertreter<br />
István György die Vielfältigkeit und<br />
Vielschichtigkeit der Donaustrategie.<br />
Diese spiegelte sich auch in der<br />
Liste der Vortragenden wider. So<br />
nahmen neben Vertretern verschiedener<br />
Ministerien, Wissenschaftlern<br />
und Vertretern der Wirtschaft auch<br />
geistliche Würdenträger an der<br />
Diskussion teil. Eine der Chancen<br />
der Donaustrategie sei es, so<br />
György, bessere Kooperationen entlang<br />
der Donau zu ermöglichen.<br />
Dies sei mehr als ein makroökonomisches<br />
Konzept. Vielmehr müsse<br />
die Zukunft Budapests mit Blick auf<br />
seine Position zwischen den anderen<br />
Anrainerstaaten gemeinsam mit<br />
diesen geplant und verwirklicht<br />
werden.<br />
Eigene Strategie<br />
der Anrainerstaaten<br />
Eine der zu beantwortenden Fragen<br />
griff Hans Kaiser, Leiter der<br />
Budapester Vertretung der Konrad-<br />
Adenauer-Stiftung, bereits in seiner<br />
Begrüßung auf. Er betonte die<br />
Wichtigkeit einer eigenen Strategie<br />
für die Anrainerstaaten der Donau.<br />
Weiterhin hob er die Besonderheit<br />
Neue Konzepte zu altehrwürdigen Traditionen<br />
Die Donau als eigene Region � BKV kauft ein. Die Budapester<br />
Rege Diskussion über die Zukunft der Donauregion.<br />
„Die Möglichkeiten Budapests innerhalb der Donau-Strategie – werteorientierte<br />
Stadtentwicklung“ lautete der programmatische Titel einer<br />
ganztägigen Konferenz, zu der letzten Donnerstag die Konrad-Adenauer-<br />
Stiftung, die Ungarische Paneuropäische Union und die Stadt Budapest in<br />
die Räumlichkeiten des FUGA Architektur-Instituts eingeladen hatte.<br />
der angestrebten Donaustrategie<br />
hervor. So sagte er, <strong>das</strong>s nicht nur<br />
wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt<br />
werden, sondern auch kulturelle<br />
Belange Beachtung finden sollten.<br />
Der Vorteil des angestrebten<br />
Konzepts läge darin, den kleinen<br />
Anrainerstaaten durch ihren Zusammenschluss<br />
die Möglichkeit zu<br />
geben, ihrer Stimme mehr Gewicht<br />
zu verleihen. Vor allem die Rolle<br />
Budapests innerhalb der Donauregion<br />
wurde von verschiedensten<br />
Blickwinkeln aus beleuchtet. So sei<br />
es zum Beispiel wichtig zu klären,<br />
welche Möglichkeiten sich für<br />
Budapest durch seine Lage an der<br />
Donau ergäben und wie vorhandene<br />
Ressourcen noch effizienter genutzt<br />
werden könnten.<br />
Althergebrachte Werte<br />
schützen<br />
Natürlich wurde auf der Konferenz<br />
auch viel davon gesprochen,<br />
was es noch alles an Möglichkeiten<br />
gäbe und welche Ideen verwirklicht<br />
werden könnten. Bei letzterem blieben<br />
viele Referenten allerdings eher<br />
an der Oberfläche. So auch etwa der<br />
<strong>Universität</strong>sdozent und Fachmann<br />
für kanonisches Recht Lóránd Újházi,<br />
der <strong>das</strong> Augenmerk der Zuhö-<br />
Teilnehmer: Hans Kaiser, Loránd Újházi, Ellen Bos und János Mónus.<br />
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rerschaft auf ein eher wenig beachtetes<br />
Problem lenkte: Kirchen, die<br />
für ihren eigentlichen Zweck, den<br />
Gottesdienst, nicht mehr genutzt<br />
würden. Der Dozent der theologischen<br />
Sapienta Hochschule sprach<br />
sich dafür aus, die identitätsstiftende<br />
Wirkung der Kirchen in der<br />
durchgehend christlich geprägten<br />
Donauregion nicht zu unterschätzen.<br />
Die Gemeinschaft der Anrainerstaaten<br />
sei auch hier gefordert,<br />
althergebrachte Werte zu schützen.<br />
Wie diese Werte zu schützen seien,<br />
führte er jedoch nicht weiter aus.<br />
Donauregion als<br />
Weltkulturerbe<br />
Der Vertreter des Ministeriums für<br />
Nationale Ressourcen, Kornél Kováts<br />
betonte den unbedingten Willen der<br />
Regierung, die Donaustrategie zu <strong>einem</strong><br />
erfolgreichen Abschluss zu bringen.<br />
Insbesondere müssten trotz aller<br />
supranationalen Bestrebungen innerhalb<br />
der EU die Interessen der einzelnen<br />
Staaten gewahrt bleiben. Der ungarische<br />
Vorsitz des EU-Rates böte<br />
nun die Gelegenheit, diesen Wunsch<br />
mit Nachdruck voranzutreiben.<br />
Den Plänen der Regierung nach<br />
soll Ungarn und insbesondere Budapest<br />
als Teil der Donauregion in<br />
die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes<br />
aufgenommen werden. Dies<br />
sei als Teil der Donaustrategie elementar<br />
und <strong>wird</strong> durch die Regierung,<br />
so Kováts, momentan intensiv<br />
vorbereitet. Weitere Punkte, die<br />
im Rahmen der Strategie verwirklicht<br />
werden sollen, sind zum Beispiel<br />
über nationale Grenzen hinweg<br />
führende Wanderwege und ein<br />
sogenannter Ring des Kulturerbes.<br />
Die geforderten Kriterien der UN-<br />
ESCO nach Schutz, Erhaltung und<br />
Präsentation sollen verstärkt in Angriff<br />
genommen werden.<br />
ELISABETH KATALIN GRABOW<br />
KOMPAKT<br />
Verkehrsbetriebe (BKV) haben der<br />
am 6. Februar in Kraft getretenen Verordnung<br />
der Hauptstadt genüge<br />
getan und Rauchverbotsschilder an<br />
den 5000 Haltestellen angebracht.<br />
Die 40x10 cm großen Klebezettel<br />
samt Tafel haben die BKV insgesamt<br />
34 Mio. Ft. gekostet. Ihren Zweck erfüllen<br />
sie jedoch nicht: Sie zogen<br />
schon ab dem ersten Tag Blasen und<br />
lösen sich bereits ab. Die Verkehrsbetriebe<br />
haben sich bereits an den<br />
Hersteller Gravoform Kereskedelmi<br />
és Szolgáltató Kft. gewandt, der die<br />
Tafeln auf Garantie auswechselt. Am<br />
8. März endet die Übergangsfrist:<br />
Dann können die Ordnungskräfte<br />
rauchende Wartende an den Haltestellen<br />
zur Kasse bitten.<br />
� Nationalmuseum kostet nichts.<br />
Wegen der großen Nachfrage wurde<br />
die Ausstellung über <strong>das</strong> Leben von<br />
István Széchenyi im Nationalmuseum<br />
bis zum 15. März verlängert.<br />
Sie wurde am vergangenen Oktober<br />
eröffnet und kann mit den ständigen<br />
Sammlungen am Nationalfeiertag<br />
kostenlos besichtigt werden.<br />
� Tarlós will tauschen. Der Oberbürgermeister<br />
István Tarlós erklärte<br />
am vergangenen Dienstag im HírTV,<br />
<strong>das</strong>s die Budapester Verkehrsbetriebe<br />
(BKV) zwei Immobilien beim<br />
Staat eintauschen und dafür 19 Mrd.<br />
Ft. erhalten könnten. Dieses Geld<br />
würde für die Finanzierung in diesem<br />
Jahr ausreichen, ab kommendem<br />
Jahr müsste der Staat dann in die<br />
Schuldenbewältigung mit einsteigen.<br />
Die Stadt würde für <strong>das</strong> Geld die<br />
Grundstücke hinter der Kunsthalle<br />
und dem Operettentheater dem Staat<br />
überlassen. Auch die Übergabe des<br />
Trafó ist geplant.<br />
� KDNP ist stolz. Die Christdemokratische<br />
Volkspartei (KDNP) ist der<br />
Meinung Budapest solle stolz auf<br />
seine Polizei sein. Diese hatte vorvergangene<br />
Woche der Gay Pride<br />
Parade Steine in den Weg gelegt. Die<br />
Partei begrüßte die Entscheidung<br />
und erklärte, <strong>das</strong>s die Polizei damit<br />
den Frieden der Hauptstadt beschützt<br />
und die Verhältnismäßigkeit<br />
bei der Kollision zweier Freiheitsrechte<br />
gefunden habe.<br />
� Gödöllõer <strong>Universität</strong> zeigt an.<br />
Die Gödöllõer Szent István <strong>Universität</strong><br />
hat vergangenen Freitag Anzeige<br />
gegen Unbekannt erhoben, da sie in<br />
den Besitz von Dokumenten gekommen<br />
ist. Diese belegen, <strong>das</strong>s die die<br />
Duna-menti Regionális Vízmû Zrt.<br />
(Wasserwerke) nachweislich schon<br />
seit Monaten von der Verschmutzung<br />
ihres Trinkwassers wussten und<br />
nichts dagegen unternommen haben.<br />
Das Problem sind die hohen Werte<br />
von Nitrat und Atrazin im Wasser, die<br />
<strong>das</strong> ganze Gelände der <strong>Universität</strong><br />
betreffen. Der Direktor der Wasserwerke,<br />
Csaba Vogel teilte mit, <strong>das</strong>s<br />
sie selbst diese Stoffe nicht benutzen,<br />
also die Verseuchung von Unbekannten<br />
verursacht worden sein muss.
14 BUDAPESTER ZEITUNG BUDAPEST 28. FEBRUAR - 6. MÄRZ 2011 • NR. 9<br />
UMZUG<br />
ÜBERSETZUNG<br />
KLEINANZEIGEN<br />
Schlemmer-Donnerstag<br />
Essen zum halben Preis<br />
Eine alte ungarische Tradition wurde wieder belebt: Essen bis zum Umfallen im Kheiron.<br />
Am ersten Donnerstag nach Aschermittwoch,<br />
am 10. März findet ungarnweit in bestimmten<br />
Restaurants der „Torkos Csütörtök“<br />
statt, der zum schlemmen und genießen<br />
verführt.<br />
er „Torkos Csütörtök“ (Schlemmer-<br />
DDonnerstag) gehört zu einer alten ungarischen<br />
Volkstradition und fand in der<br />
Vergangenheit immer am ersten Donnerstag<br />
nach Aschermittwoch, in der Fastenzeit statt.<br />
An diesem Tag konnte, trotz der vierzigtägigen<br />
Fastenzeit, Fleisch verzehrt werden, es<br />
gab sogar verschiedene Regionen in Ungarn,<br />
wo <strong>das</strong> Schlemmen bis zum Umfallen zur<br />
Pflicht gehörte. Grund dafür <strong>wird</strong> die Angst<br />
vor dem Verkommen der Essensreste aus der<br />
Faschingszeit gewesen sein, die an diesem Tag<br />
dann restlos vernichtet wurden.<br />
Diese alte Tradition hat die Ungarische<br />
Tourismus Zrt. (Magyar Turizmus Zrt.) zum<br />
ersten Mal 2006 wieder aufleben lassen.<br />
Damals nahmen etwa 500 Restaurants in<br />
ganz Ungarn an der Aktion teil. Sie alle gaben<br />
50 Prozent Erlass auf <strong>das</strong> gesamte Angebot<br />
ihrer Speise- und Getränkekarten. Die Aktion<br />
fand großen Anklang, die Gäste genossen es,<br />
mal etwas Neues zu probieren und die <strong>Gas</strong>tronomen<br />
freuten sich über mögliche neue<br />
Stammkunden und die gestiegenen Einnahmen.<br />
Wegen des großen Erfolges wurde der<br />
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GESUNDHEIT<br />
„Torkos Csütörtök“ in den folgenden Jahren<br />
regelmäßig wiederholt und gewann immer<br />
mehr begeisterte Anhänger auf beiden Seiten:<br />
Im vergangenen Jahr schlemmte die Rekordzahl<br />
von über 230.000 Essern in über 1.300<br />
gastronomischen Einrichtungen.<br />
Testen können die Neugierigen nicht nur<br />
Restaurants, Cafés und Pubs des niedrigeren<br />
Preissektors, wie verschiedene MacDonalds<br />
und T.G.I. Friday´s in Budapest, <strong>das</strong> A38<br />
Schiff und <strong>das</strong> Tacos Locos, sondern auch einige<br />
bekanntere traditionelle Restaurants wie<br />
<strong>das</strong> Anonymus, Kheiron, Gerbeaud und Chez<br />
Daniel. Die Restaurants sind flächendeckend<br />
im Land verteilt und <strong>das</strong> Angebot geht von<br />
traditionellen ungarischen, über französische,<br />
italienische, und spanische, bis zu Speisen aus<br />
der japanischen Kochkultur.<br />
Der „Torkos Csütörtök“ gibt den Genießern<br />
die Möglichkeit, mal eine etwas andere, ganz<br />
neue Küche auszuprobieren und ein Drittel<br />
der Restaurants verlängert die Aktion vom<br />
Donnerstag auf <strong>das</strong> gesamte Wochenende.<br />
Wegen der großen Beliebtheit ist es allerdings<br />
besser schon vorab einen Tisch zu reservieren.<br />
Ein Blick auf die Webseite lohnt sich, denn<br />
die Anmeldung der Restaurants zu der Aktion<br />
läuft noch immer.<br />
Weiter Informationen zu den teilnehmenden<br />
Restaurants, unter www.menjunkenni.hu.<br />
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REIFEN<br />
BZT / Aaron Taylor
28. FEBRUAR - 6. MÄRZ 2011 • NR. 9 GASTRONOMIE BUDAPESTER ZEITUNG 15<br />
Im selben Gebäudekomplex wie <strong>das</strong><br />
Corinthia Hotel Budapest, entlang<br />
des Großen Rings, bietet <strong>das</strong> Bock<br />
Bisztró feines Essen in stilvoller, aber<br />
entspannter Umgebung. Anzusiedeln<br />
ist es zwischen offener Bar und<br />
Restaurant. Vor Kurzem hat es sein<br />
Angebot durch ungarisch und asiatisch<br />
beeinflusstes Frühstück erweitert.<br />
Der Hauptfokus bleibt jedoch<br />
auf der ungarischen Küche, die<br />
in Form der bescheidenen, aber nahrhaften<br />
Hurkas (Blutwürste) oder<br />
Grieben, die derzeit auf der Speisekarte<br />
stehen, selten anzutreffen ist in<br />
Budapests High-End-Restaurants.<br />
ie gastronomische Tradition<br />
DUngarns ist nicht gerade berühmt<br />
dafür, vegetarierfreundlich zu<br />
sein. Eine Tatsache, die bei schneller<br />
Durchsicht der Speisekarte und der<br />
Spezialitätentafel im Bock Bisztró bestätigt<br />
<strong>wird</strong>. Dennoch werden auch<br />
Variationen von Muscheln, Süß- und<br />
Meerwasser-Fischen angeboten. Die<br />
Weinkarte – ausschließlich auf Ungarisch<br />
– ist ausgezeichnet, der Service<br />
höflich und aufmerksam.<br />
PREISE<br />
Vorspeisen und Suppen:......950-3.700 HUF<br />
Vorspeisen: ................3.400-6.700 HUF<br />
Dessert:........................350-1.100 HUF<br />
Wein (Flasche): ..........3.700-21.000 HUF<br />
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Bock Bisztró am Erzsébet körút<br />
Gehobene bäuerliche Küche<br />
Die zu Beginn gereichten Häppchen<br />
von kräftigem selbstgebackenen<br />
Brot mit Kräuter-Schweinefett, geschnittenen<br />
rohen Zwiebeln und grünem<br />
Pfeffer verraten die Wurzeln der<br />
Inspiration des Bisztrós: Das geho-<br />
bene bäuerliche Leben. Bereits die<br />
Vorspeisen zeigen die Vielseitigkeit<br />
von Bocks Küche: Die geräucherte<br />
Forelle mit Gemüse, geräuchertem<br />
Paprika und ungarischer Stör-Ei-Sauce<br />
ist fest, zart und lecker. Rindercarpaccio<br />
– gewickelt in einer dünnen<br />
Roulade mit Gänseleber – ist extrem<br />
weich und krümelig in der Textur<br />
und <strong>wird</strong> nur mit <strong>einem</strong> Hauch von<br />
Salz unterstützt. Mit leichtem Salat<br />
und Käsespänen ist es sehr köstlich.<br />
Die begleitende Gänseleber, gekrönt<br />
V. Zoltán u. 16<br />
(am Szabadság tér)<br />
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mit Sushi-Ingwer, Räucheraal und<br />
Wasabi-Sauce, ist zwar phantasievoll,<br />
aber vielleicht etwas zu komplex und<br />
mächtig für den delikaten Geschmack<br />
des Carpaccios. Von der<br />
Spezialitätentafel ist der Hummer-<br />
Capuccino mit <strong>einem</strong> Ceviche aus<br />
Langostino ein faszinierendes Konzept,<br />
Kaffee zuzubereiten; auch der<br />
cremige Fleischeintopf mit Steinpil-<br />
Alles, was Sie schon immer über<br />
die Ungarische Küche wissen wollten.<br />
Dazu kommen Sie in den Genuss unserer allabendlichen Unterhaltung<br />
mit einer landesbekannten Zigeunerband, die weltbekannte<br />
Zigeunermusik sowie Evergreens internationaler Künstler spielt.<br />
Bringen Sie diese Anzeige bei Ihrem Besuch mit! Wir laden Sie ein zu <strong>einem</strong><br />
Glas Pálinka des Hauses (4cl Ungarischer Schnaps) nach dem Essen.<br />
Táncsics Mihály u. 25, 1014 Budapest (Burgviertel)<br />
Reservation: +36 1 212 8565, +36 1 212 9891, kiralyrest@t-online.hu, www.kiralyrestaurant.hu<br />
zen und Sellerie bietet eine wirklich<br />
leckere Kombination unterschiedlicher<br />
Geschmacksrichtungen und<br />
Texturen.<br />
Bei den Hauptgerichten ist <strong>das</strong><br />
Zanderfilet auf Bulgur-Weizengrütze<br />
ein schönes, festes, gut gekochtes<br />
und fein gewürztes Fischgericht. Die<br />
fein säuberlich präsentierte Ochsenbacke<br />
in Sauce mit Knödel, leicht gerösteten<br />
Zwiebeln, Knoblauch und<br />
Knochenmark ist wegen des Fleisches,<br />
<strong>das</strong> gut gekocht und zart ist,<br />
ziemlich mächtig. Die Knödel sind<br />
leider ein wenig trocken geraten und<br />
eine Gemüsebeilage hätte <strong>das</strong> Gericht<br />
etwas leichter gemacht.<br />
Vielleicht ist der honigbeträufelte<br />
Quarkkuchen mit Dill nicht die naheliegendste<br />
Dessertwahl nach <strong>einem</strong><br />
solch reichhaltigen Essen. Jedoch<br />
bringt der Dill eine erfrischende Note.<br />
Die Basis aus Croquembouche bestehend<br />
aus Nüssen und zerbröseltem<br />
Kuchenteig ist knackig und schmackhaft,<br />
und gleicht den kompakten<br />
Charakter des Käseteils aus.<br />
BÉNÉDICTE WILLIAMS
16 BUDAPESTER ZEITUNG PANORAMA 28. FEBRUAR - 6. MÄRZ 2011 • NR. 9<br />
KOMPAKT<br />
� 400 Kältetote. Das Ungarische Soziale<br />
Forum gab bekannt, <strong>das</strong>s während der kalten<br />
Jahreszeit von September 2010 bis vergangenen<br />
Dienstag 105 Menschen in ihren ungeheizten<br />
Wohnungen, 68 unter freiem Himmel<br />
und die restlichen 227 durch Unterkühlungen<br />
im Krankenhaus starben. Durch die angekündigte<br />
anhaltende Kältewelle kann mit noch<br />
mehr Opfern gerechnet werden.<br />
� Bistum hatte Schwarzgeld. Die Untersuchungen<br />
im Pécser Bischoffsbezirk weiten<br />
sich aus. Wie vergangenen Mittwoch bekannt<br />
wurde, hatte der ehemalige Finanzverwalter<br />
Gyula Wolf auch eine Schwarzgeldkasse,<br />
worüber jedoch keine Unterlagen existieren.<br />
Die Summe der Schulden wächst ständig:<br />
Inzwischen reden die Verantwortlichen von<br />
200 Mrd. Ft., die nicht an die Kirchengemeinden<br />
ausgezahlt wurden. Sein Nachfolger<br />
hat die Geistlichen Anfang Februar gebeten,<br />
eine komplette Aufstellung der Ausstände zu<br />
erstellen, um einen Überblick zu bekommen.<br />
� Geburtenrate auf dem Tiefpunkt. Das<br />
Statistische Zentralamt gab am vergangenen<br />
Mittwoch bekannt, <strong>das</strong>s im Jahr 2010 90.350<br />
Kinder auf die Welt gekommen sind. Damit<br />
wurde ein neuer Tiefpunkt in der Statistik erreicht,<br />
denn die Geburtenrate sank im Vergleich<br />
zum vorvergangenen Jahr um 6.3%. Die<br />
Sterberate ist dabei gleich geblieben. So ist die<br />
Einwohnerzahl Ungarns 2010 um 40.100 gesunken.<br />
Die Zahl der Einwanderer wirkt dem<br />
zwar ein wenig entgegen, trotzdem ist die<br />
Bevölkerungszahl damit um 28.000 Köpfe gesunken.<br />
� Verteidigungsministerium zufrieden.<br />
Am vergangen Freitag wurde bekannt, <strong>das</strong>s<br />
<strong>das</strong> Ungarische Verteidigungsministerium sehr<br />
zufrieden mit den Helmen der Bundeswehr ist.<br />
Diese hatte sie für die Missionen in Afghanistan<br />
zur Verfügung gestellt. Nach eingehender<br />
Prüfung hätte sich herausgestellt, <strong>das</strong>s die<br />
deutschen Helme die Besten seien und alle an<br />
sie gestellten Erwartungen erfüllen würden.<br />
Dazu komme noch die ausgezeichnete<br />
deutsche Qualität und Herstellergarantie, erklärte<br />
der Sprecher des Ministeriums.<br />
� Entlassung wegen Beschwerde. Eine<br />
Arbeiterin beschwerte sich vergangenen Donnerstag<br />
per SMS in der Radiosendung Class<br />
FM Morning Show über ihren Arbeitgeber, der<br />
sie und ihre Kollegen in einer Szigetvárer<br />
Schuhfabrik bei 6°C arbeiten ließ. Kurz darauf<br />
wurde sie deswegen fristlos gekündigt. Die<br />
Arbeitsschutz Hauptaufsichtsbehörde des Komitat<br />
Baranya hat sich inzwischen eingeschaltet<br />
und untersucht den Fall. Nach den Arbeitsgesetzen<br />
muss der Arbeitgeber für wenigsten<br />
12-14°C am Arbeitsplatz sorgen. Auch der<br />
Bürgermeister von Szigetvár hat der Frau<br />
seine Unterstützung zugesichert.<br />
Der namhafte ungarische Regisseur<br />
Béla Tarr sorgte am Rande des 61.<br />
Berliner Filmfestivals „Berlinale“<br />
für einen Eklat. Nachdem Tarr für<br />
seinen Film „The Turin Horse“ den<br />
Großen Preis der Jury und den FI-<br />
PRESCI-Preis erhalten hatte,<br />
machte er in <strong>einem</strong> Interview mit<br />
dem Berliner Tagesspiegel s<strong>einem</strong><br />
Unmut über die rechtskonservative<br />
Regierung von Viktor Orbán Luft.<br />
uf die Frage, wie sich <strong>das</strong> kultu-<br />
Arelle Klima in Ungarn verändert<br />
habe, sagte Tarr: „Bei uns passiert<br />
gerade, was man in Deutschland<br />
“Kulturkampf“ nennt.<br />
Staatliche Förderzusage<br />
„Klopapier“<br />
Die Regierung hasst die Intellektuellen,<br />
weil sie liberal und oppositionell<br />
sind, sie beschimpft uns als<br />
Vaterlandsverräter.“ Gefragt danach,<br />
ob er als Filmemacher konkret behindert<br />
werde, antwortete der Regisseur:<br />
„Die Regierung hat jede Unterstützung<br />
für uns gestoppt. Die<br />
Hälfte der Produzenten ist schon<br />
pleite, Kinos schließen, auch drei<br />
meiner eigenen Produktionsprojekte<br />
liegen auf Eis. (…) Aber die von<br />
staatlicher Seite unterschriebene<br />
Förderzusage ist jetzt bloß noch<br />
Historiker Hans Mommsen referierte an der <strong>Andrássy</strong> <strong>Universität</strong><br />
Kritik am Auswärtigen Amt erneuert<br />
Nahm bei seiner Rede kein Blatt vor den Mund: Hans Mommsen.<br />
Rund 150 Gäste versammelten sich im Spiegelsaal<br />
der <strong>Andrássy</strong> <strong>Universität</strong>, um einen Vortrag<br />
des Historikers Hans Mommsen zu hören.<br />
Mommsen besuchte die <strong>Universität</strong> zum ersten<br />
Mal, wobei er zum Thema „Die Auseinandersetzung<br />
mit der nationalsozialistischen Vergangenheit<br />
in der Bundesrepublik Deutschland. Last<br />
und Verpflichtung“ referierte. Die Veranstaltung,<br />
welche von Donau-Institut und Konrad-<br />
Adenauer-Stiftung organisiert wurde, sollte auch<br />
für die ungarische Bevölkerung eine Hilfe sein,<br />
die postkommunistische Vergangenheit aufzuarbeiten.<br />
ichtlich erfreut zeigte sich Ellen Bos, Leiterin<br />
Sder Professur für Politikwissenschaft an der<br />
<strong>Andrássy</strong> <strong>Universität</strong>, über den Besuch von Hans<br />
Mommsen: „Es ist ein schon lange geplantes<br />
Vorhaben gewesen, <strong>das</strong> nach Jahren nun endlich<br />
geklappt hat.“ Sie lobte die ehrliche und schonungslose<br />
Aufarbeitung der Vergangenheit in<br />
Deutschland und wies zugleich auf die Bedeutung<br />
für Ungarn hin. „Im Rahmen der Donau-<br />
Ungarischer Filmemacher kritisiert die Regierung scharf<br />
Béla Tarr: „Die Regierung hasst<br />
die Intellektuellen“<br />
Klopapier.“ Die Frage schließlich, ob<br />
er mit dem Gedanken spiele, ganz<br />
ins Ausland zu gehen, beantwortete<br />
Tarr folgendermaßen: „Ich bin Ungar.<br />
Diese Regierung ändert gerade<br />
die Verfassung und stellt sich auf 20<br />
Jahre Amtszeit ein. Aber sie muss<br />
weg. Nicht ich.“<br />
Schaden für<br />
Filmlandschaft<br />
In Ungarn sorgte <strong>das</strong> Tagesspiegel-<br />
Interview Tarrs für Empörungsstürme,<br />
zumal im Regierungslager. Der<br />
Chef des staatlichen Filmverleihs<br />
Mokép, Balász Gulyás, richtete sogar<br />
einen offenen Brief an den Regisseur.<br />
Er schreibt darin wie folgt: „Statt uns<br />
selbstvergessen über diesen Preis zu<br />
freuen und stolz darauf zu sein, sind<br />
wir dazu gezwungen, die leichtfertigen<br />
Äußerungen zu analysieren, die<br />
der Regisseur siegestrunken getätigt<br />
hat.“ Gulyás unterstellte Tarr, <strong>das</strong>s<br />
<strong>das</strong> Interview „schlicht und einfach<br />
Unwahrheiten“ beinhalte. Es schade<br />
deshalb nicht nur Tarr selbst, sondern<br />
der gesamten ungarischen Filmindustrie.<br />
Der ungarische Filmproduzentenverband<br />
wiederum rief Tarr<br />
dazu auf, er solle „auf allen internationalen<br />
Foren“ klarstellen, <strong>das</strong>s er<br />
„ausschließlich seine Privatmeinung<br />
gesagt“ habe. Dies sei umso bedauer-<br />
strategie steht eine Aufarbeitung der Geschichte<br />
hier noch aus.“<br />
„Es ist eine Legende,<br />
<strong>das</strong>s die Bevölkerung damals neutral war“<br />
Hans Mommsen stellte in seiner 60-minütigen<br />
Ansprache gleich zu Beginn fest, <strong>das</strong>s es für ihn<br />
selbst ein Wagnis sei, bloß eine Stunde über dieses<br />
Thema zu referieren. Doch die Anspannung<br />
hatte er nach einer kurzen Anlaufphase abgelegt.<br />
Beginnend bei der Orientierungsphase in der<br />
Nachkriegszeit, in der die Deutschen ein neues<br />
Nationalgefühl entwickelt hätten, erklärte<br />
Mommsen die verschiedenen Dimensionen der<br />
Aufarbeitung. Er wies darauf hin, <strong>das</strong>s die deutsche<br />
Bevölkerung sich eine Zeitlang als passives<br />
Mitglied der nationalsozialistischen Vergangenheit<br />
angesehen habe. Mommsen erläuterte, <strong>das</strong>s<br />
die Schuld auf die Repräsentanten der Nazi-Zeit<br />
projiziert worden sei. „Es ist eine Legende, <strong>das</strong>s<br />
die Bevölkerung damals neutral gewesen sei“, so<br />
der 80-jährige. Er verwies hierbei auf den Adolf<br />
licher, als Tarr vom ungarischen Staat<br />
„bedeutende Unterstützung zur Verwirklichung<br />
seiner Filme“ erhalten habe.<br />
„Erfolg des Films“<br />
beschmutzt<br />
Als Reaktion auf die heftige Kritik,<br />
sagte Tarr gegenüber der Nachrichtenagentur<br />
MTI, er sehe sich<br />
gezwungen, sich von dem Interview<br />
zu distanzieren. Dessen Stil sei<br />
nicht sein Stil: „Ich pflege auf diese<br />
Art weder zu kämpfen noch zu diskutieren<br />
oder zu argumentieren. Ich<br />
halte es für sehr erniedrigend, <strong>das</strong>s<br />
dies alles die Aufnahme und den Erfolg<br />
des Films beschmutzt und ihn<br />
auf <strong>das</strong> Niveau der Tagespolitik heruntersetzt.“<br />
Tagesspiegel-Journalist<br />
Jan Schulz-Ojala, der <strong>das</strong> Interview<br />
mit Tarr geführt hatte, sagte im<br />
Namen seines Blattes gegenüber<br />
der BUDAPESTER ZEITUNG, <strong>das</strong>s<br />
„wir keinen Anlass haben, uns von<br />
der Aufzeichnung zu distanzieren“.<br />
Tarr gilt als einer der bedeutendsten<br />
zeitgenössischen ungarischen<br />
Regisseure. Filme wie Satanstango<br />
und Werckmeister Harmonien sind<br />
schon jetzt Klassiker. Die Drehbücher<br />
zu den meisten Tarr-Filmen<br />
schrieb der namhafte Schriftsteller<br />
László Krasznahorkai.<br />
PETER BOGNAR<br />
BZT / Aaron Taylor<br />
Eichmann-Prozess, der mit der Forderung einher<br />
ging, einen Schlussstrich zu ziehen. Ab jenem<br />
Zeitpunkt sollten keine Straftäter mehr verfolgt<br />
werden.<br />
Historikerstreit<br />
1986<br />
Als einen Meilenstein bei der Aufarbeitung der<br />
Nazi-Vergangenheit, definierte Mommsen den<br />
Historikerstreit 1986, als Ernst Nolte den Nationalsozialismus<br />
als Gegenreaktion zum Bolschewismus<br />
bezeichnet hatte. In Anbetracht dieser<br />
unmöglichen Gleichsetzung nahmen Institutionen<br />
<strong>das</strong> Thema auf und <strong>das</strong> Interesse war wieder<br />
geweckt. Was folgte, war eine umfangreiche Aufklärung<br />
an den Schulen. „Dabei ist es immer<br />
wichtig zu erklären, nicht zu verurteilen“, fügte<br />
der in Marburg geborene Mommsen hinzu.<br />
Kritik am<br />
Auswärtigen Amt<br />
Gegen Ende seines Vortrages hob Mommsen,<br />
dessen Urgroßvater Theodor 1902 der erste<br />
deutsche Literaturnobelpreisträger war, den<br />
Zeigefinger: „Die moralisierende Interpretation<br />
dieser Zeit durch die Medien ist ein Rückfall in<br />
die 50er Jahre.“ Dabei kritisierte er die Fokussierung<br />
auf Hitler. Auch erneuerte er seine Kritik<br />
am Auswärtigen Amt und an dessen in Auftrag<br />
gegebenem Buch „Das Amt und die Vergangenheit“:<br />
„Es ist ein Versuch, Geschichte auszulöschen.<br />
Ein Rückschlag in der Aufarbeitung der<br />
NS-Zeit“. Dabei verwies er auf die ausschließliche<br />
Untersuchung des Holocausts in der Zeit<br />
zwischen 1933 bis 1945 in dem Buch. Zudem sei<br />
Vorsicht geboten, <strong>das</strong>s sich die Regierung nicht<br />
zu sehr einmische. Dies betreffe vor allem auch<br />
den Drittmitteleinfluss. „Anscheinend hat die<br />
neue Generation der Historiker vergessen, was<br />
die Generation vor ihnen gemacht hat.“ Dieser<br />
Seitenhieb richtete sich gegen die Verfasser des<br />
Buches, die es unterließen, die vorangegangenen<br />
Studien in ihrer Arbeit zu erwähnen. Dass nun<br />
wieder bei null angefangen werde, erklärte sich<br />
Mommsen damit, <strong>das</strong>s die staatliche Finanzierung<br />
ja irgendwie gerechtfertigt werden müsse.<br />
Am Ende seines Vortrags hatte der Historiker<br />
noch einen Rat parat: „Regierungsnahe Institutionen<br />
beauftragen gezielt Historiker. Ich würde<br />
diese Initiative besser der freien Forschung überlassen“.<br />
DOMINIK KRANZER<br />
Distanziert sich von seinen Aussagen: Béla Tarr.