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Wieviel Demokratie verträgt der Kapitalismus? - Linksjugend.['solid ...

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Venezuela:<br />

Sozialismus im<br />

21. Jahrhun<strong>der</strong>t?<br />

Seiten 10–12<br />

Kritische<br />

Wissenschaft<br />

verboten?<br />

Seiten 4–5<br />

Afghanistan:<br />

Bundeswehr raus<br />

Seiten 8–9<br />

Campus<br />

Zeitung des DIE LINKE.Sozialistisch–Demokratischer Studierendenverbands Nr. 3 / 2007 www.linke–sds.org<br />

<strong>Wieviel</strong> <strong>Demokratie</strong><br />

<strong>verträgt</strong> <strong>der</strong> <strong>Kapitalismus</strong>?<br />

Timo Voigt / ramdbild.de


Timo Voigt / ramdbild.de<br />

2 <strong>Demokratie</strong> & <strong>Kapitalismus</strong><br />

Polizeieinheiten im Einsatz gegen Demonstrierende während <strong>der</strong> G8-Proteste. Joachim Hirsch argumentiert,<br />

dass <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong>abbau mit <strong>der</strong> Entwicklung des <strong>Kapitalismus</strong> verbunden ist.<br />

<strong>Wieviel</strong> <strong>Demokratie</strong> <strong>verträgt</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Kapitalismus</strong>?<br />

Die Frage erscheint auf den ersten Blick<br />

etwas merkwürdig, gilt heute doch<br />

allgemein <strong>Kapitalismus</strong>, das heißt die<br />

so genannte „freie Marktwirtschaft“, als<br />

Grundlage und Voraussetzung für eine<br />

funktionierende <strong>Demokratie</strong>.<br />

So sind inzwischen Militärinterventionen<br />

an <strong>der</strong> Tagesordnung, die das eine mit dem<br />

an<strong>der</strong>en legitimieren. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />

gibt es diverse kapitalistische „Tigerstaaten“,<br />

die deshalb wirtschaftlich so erfolgreich<br />

sind, weil sie es mit <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> nicht<br />

so genau nehmen. Bei genauerem Hinsehen<br />

fällt die Antwort also etwas komplizierter<br />

aus als die offiziellen Bekundungen suggerieren<br />

möchten.<br />

Zwischen <strong>der</strong> Entstehung <strong>der</strong> bürgerlich-kapitalistischen<br />

Gesellschaft und <strong>der</strong> liberalen<br />

Repräsentativdemokratie besteht ein enger<br />

Zusammenhang. Erst mit <strong>der</strong> Auflösung<br />

feudaler Abhängigkeiten und ständischer<br />

Strukturen kam es zur Entwicklung von<br />

Markt- und Vertragsverhältnissen, die die<br />

materielle Grundlage <strong>der</strong> Vorstellung von<br />

allgemeiner Freiheit und Gleichheit bilden.<br />

Mit <strong>der</strong> Entstehung des <strong>Kapitalismus</strong> verbindet<br />

sich zugleich die Entwicklung des<br />

mo<strong>der</strong>nen Staates, das heißt einer räumlich<br />

abgegrenzten, von den ökonomischen<br />

Herrschaftsverhältnissen formell getrennten<br />

und über ein politisch definiertes<br />

„Volk“ herrschenden Zen tralgewalt. Diese<br />

stellt eine wesentliche Voraussetzung für<br />

unabhängige politische Öffentlichkeit, für<br />

Verantwortlichkeit und Kontrolle dar. Dies<br />

alles waren allerdings nur notwendige Bedingungen.<br />

In Wirklichkeit mussten verallgemeinerte<br />

politische Selbstbestimmungs-<br />

und Mitwirkungsrechte mühsam erkämpft<br />

werden, nicht zuletzt durch die Arbeiter- und<br />

Frauenbewegung. Strukturell bleiben sie<br />

durch die kapitalistischen Produktions- und<br />

Die ökonomisch Mächtigen<br />

müssen den Beherrschten demokratische<br />

Mitwirkungsrechte<br />

zugestehen, diese dürfen aber<br />

nicht dazu verwendet werden,<br />

die Produktions- und Eigentumsverhältnisse<br />

grundlegend in<br />

Frage zu stellen.<br />

Eigentumsverhältnisse in ihrer Reichweite<br />

beschränkt. Weil sich in <strong>der</strong> liberalkapitalistischen<br />

<strong>Demokratie</strong> ökonomischer Despotismus<br />

mit formeller politischer Freiheit und<br />

Gleichheit verbindet, wird sie durch einen<br />

Gegensatz gekennzeichnet, den Marx als<br />

„Wi<strong>der</strong>spruch <strong>der</strong> bürgerlichen Konstitution“<br />

bezeichnet hat. Er besteht darin, dass<br />

die ökonomisch Mächtigen den Beherrsch-<br />

ten demokratische Mitwirkungsrechte<br />

zugestehen müssen, diese aber nicht dazu<br />

verwendet werden dürfen, die Produktions-<br />

und Eigentumsverhältnisse grundlegend in<br />

Frage zu stellen. Dieser Wi<strong>der</strong>spruch prägt<br />

die politischen Prozesse und Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />

bis heute und er drückt sich in<br />

einschlägigen Verfassungsbestimmungen,<br />

etwa dem Schutz des Privateigentums, dem<br />

Repräsentationsprinzip, dem freien Mandat<br />

<strong>der</strong> Abgeordneten und an<strong>der</strong>em mehr aus.<br />

Der enge Zusammenhang von mo<strong>der</strong>nem<br />

Nationalstaat und liberaler <strong>Demokratie</strong><br />

hat zudem zur Folge, dass sich einigermaßen<br />

demokratische Verhältnisse nur<br />

auf einzelstaatlicher Ebene herausbilden<br />

konnten. Liberalkapitalistische <strong>Demokratie</strong><br />

hat deshalb nie umfassende Selbstbestimmung<br />

aller Menschen bedeutet, son<strong>der</strong>n<br />

beschränkte sich auf gewisse und streng<br />

geregelte Mitwirkungsrechte kleinerer und<br />

privilegierterer Teile <strong>der</strong> Weltbevölkerung.<br />

Der Wi<strong>der</strong>spruch <strong>der</strong> bürgerlichen Konstitution<br />

führt dazu, dass <strong>Demokratie</strong> selbst<br />

in ihrer liberalkapitalistisch beschränkten<br />

Form kein fertiger Zustand ist, son<strong>der</strong>n<br />

immer umkämpft bleibt. Inwieweit sich<br />

demokratische Ansätze durchsetzen können,<br />

hängt immer von gesellschaftlichen<br />

Kräfteverhältnissen ab. Was gerne und<br />

recht verharmlosend als „Globalisierung“<br />

bezeichnet wird, markiert eine historisch<br />

neue Etappe dieser Auseinan<strong>der</strong>setzungen.<br />

Um dies zu verstehen, ist ein kurzer Blick<br />

auf die Geschichte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

notwendig. Die revolutionären Bewegungen<br />

und die große Weltwirtschaftskrise<br />

<strong>der</strong> dreißiger Jahre mündeten in <strong>der</strong><br />

Durchsetzung eines neuen kapitalistischen<br />

Akkumulations- und Regulationsmodus,<br />

den man als „fordistisch“ bezeichnet. Zu<br />

seinen Kennzeichen gehört die Verbindung<br />

Inwieweit sich demokratische<br />

Ansätze durchsetzen können,<br />

hängt immer von gesellschaftlichen<br />

Kräfteverhältnissen ab.<br />

von tayloristischer Massenproduktion und<br />

Massenkonsum. In Folge <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzungen in <strong>der</strong> ersten<br />

Hälfte des Jahrhun<strong>der</strong>ts wurden allmählich<br />

die Gewerkschaften anerkannt und es entstand<br />

<strong>der</strong> Sozial- und Interventionsstaat. Die<br />

auf diesem Klassenkompromiss beruhende<br />

Regulationsweise trug gleichzeitig dazu bei,<br />

Massenproduktion und Massenkonsum in<br />

Einklang zu bringen und damit eine relativ<br />

stabile und prosperierende Phase des<br />

<strong>Kapitalismus</strong> zu begründen. Zum ersten<br />

Mal in seiner Geschichte wurde es möglich,<br />

stabile Kapitalprofite mit steigendem Mas-


seneinkommen zu verbinden. Entscheidend<br />

für diese Entwicklung war, dass die mit <strong>der</strong><br />

russischen Revolution eröffnete Systemkonkurrenz<br />

das Kapital dazu zwang, den<br />

Lohnabhängigen gewisse materielle und<br />

politische Zugeständnisse einzuräumen.<br />

„Der kurze Traum immerwähren<strong>der</strong> Prosperität“<br />

endete allerdings bereits in den<br />

Es ist bezeichnend, dass das<br />

erste neoliberale Experiment<br />

bereits 1973 mit dem von den<br />

USA unterstützten Militärputsch<br />

in Chile gestartet wurde.<br />

siebziger Jahren. Immer stärker kollidierten<br />

die Profitinteressen des Kapitals mit den<br />

sozialstaatlich institutionalisierten sozialen<br />

Kräfteverhältnissen. Das ökonomische<br />

Wachstum wurde schwächer, die Arbeitslosigkeit<br />

nahm zu und es kam zur zweiten<br />

Weltwirtschaftskrise des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts.<br />

Seit den siebziger Jahren ging das Kapital<br />

dazu über, den sozialstaatlichen Kompromiss<br />

<strong>der</strong> Nachkriegszeit aufzukündigen.<br />

Die neoliberale Globalisierung kann als<br />

ein strategischer Angriff auf die demokratischen<br />

und sozialen Errungenschaften<br />

betrachtet werden, die bis in die zweite<br />

Hälfte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts hinein durchgesetzt<br />

worden waren. Die entscheidenden<br />

Akteure waren das sich immer stärker<br />

internationalisierende Kapital und die<br />

neoliberalen Regierungen, die nach dem<br />

Scheitern <strong>der</strong> sozialdemokratischen Reformpolitik<br />

in wichtigen kapitalistischen<br />

Län<strong>der</strong>n an die Macht gekommen waren.<br />

Es ist im Übrigen bezeichnend, dass das<br />

erste neoliberale Experiment bereits in den<br />

siebziger Jahren mit dem von den USA unterstützten<br />

Militärputsch in Chile gestartet<br />

wurde. Hauptinstrumente dieser Strategie<br />

waren die weitgehende Deregulierung<br />

<strong>der</strong> Finanz- und Kapitalmärkte sowie eine<br />

umfassende Privatisierung <strong>der</strong> Wirtschaft.<br />

Dies erhöhte die Beweglichkeit des<br />

Kapitals über staatliche Grenzen hinweg,<br />

ermöglichte die Errichtung internationaler<br />

Produktionsnetzwerke und erschloss neue<br />

Investitions- und Profitmöglichkeiten. Die<br />

Staaten verzichteten dabei auf wesentliche<br />

wirtschafts- und sozialpolitische Handlungsmöglichkeiten<br />

und die Machtposition<br />

<strong>der</strong> international operierenden Unternehmen<br />

gegenüber den Staaten vergrößerte<br />

sich. Gesellschaftliche Entwicklungen<br />

unterliegen dadurch unmittelbarer den<br />

Kapitalbewegungen auf dem Weltmarkt,<br />

und die vom globalen Verwertungsprozess<br />

ausgehenden „Sachzwänge“ bestimmen –<br />

etwa in Form einer verschärften „Standortkonkurrenz“<br />

– die einzelstaatliche Politik<br />

nachhaltig. Mit dieser Entwicklung war<br />

eine „Internationalisierung des Staates“<br />

verbunden, das heißt die mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

formalisierte Verlagerung politischer<br />

Entscheidungen auf die internationale Ebene.<br />

Diese allerdings ist durch das Fehlen<br />

formell institutionalisierter demokratischer<br />

Strukturen gekennzeichnet. Politik hat sich<br />

sehr stark in undurchsichtige, staatlichprivate<br />

Verhandlungssysteme verlagert.<br />

Auf diese Weise ist ein „neoliberaler Konstitutionalismus“<br />

entstanden, ein globales<br />

politisches System, das die Garantie des<br />

Privateigentums und die Verfolgung<br />

kapitalistischer Profitinteressen demokratischer<br />

Einflussnahme praktisch entzieht.<br />

Die Folge ist, dass die liberale <strong>Demokratie</strong><br />

auf einzelstaatlicher Ebene zwar formell<br />

einigermaßen funktioniert, aber immer<br />

stärker leer läuft. Wesentliche politische<br />

Entscheidungen erfolgen zunehmend jenseits<br />

<strong>der</strong> demokratischen Institutionen.<br />

Diese Aushöhlung <strong>der</strong> liberalen <strong>Demokratie</strong><br />

erwies sich für das Kapital zunächst als<br />

durchaus erfolgreich. Weltweit verschob<br />

sich die Einkommensverteilung zu seinen<br />

Gunsten und die Profite haben eine enorme<br />

Höhe erreicht. Die Folge ist allerdings eine<br />

strukturelle Überakkumulationskrise, die<br />

dazu führt, dass immer größere Finanzmassen<br />

auf <strong>der</strong> Suche nach profitablen Anlagen<br />

über den Globus wan<strong>der</strong>n und das internationale<br />

Finanzsystem dadurch höchst instabil<br />

geworden ist. Auf längere Sicht schwerwiegen<strong>der</strong><br />

sind allerdings die politischen Folgen<br />

des <strong>Demokratie</strong>abbaus. Die kapitalistische<br />

Wirtschaft hat nämlich die Tendenz, ihre<br />

eigenen Natur- und Gesellschaftsgrundlagen<br />

zu zerstören. In <strong>der</strong> Geschichte waren es<br />

soziale Bewegungen – von <strong>der</strong> ArbeiterInnen-<br />

bis zur Ökologiebewegung – die dem<br />

entgegen wirken konnten. Die Schwächung<br />

<strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> engt den Spielraum für<br />

solche Bewegungen ein. Dadurch wird es<br />

nicht nur schwieriger, soziale Kompromisse<br />

durchzusetzen, son<strong>der</strong>n es nehmen auch<br />

die Möglichkeiten ab, die unterschiedlichen<br />

Kapitalinteressen so in Einklang zu bringen,<br />

dass eine längerfristige ökonomische und<br />

gesellschaftliche Stabilität gewährleistet<br />

bleibt.<br />

Mit an<strong>der</strong>en Worten: Entdemokratisierung<br />

mag für das Kapital zwar auf kurze Sicht<br />

profitabel sein, birgt aber in längerer Perspektive<br />

erhebliche ökonomische und gesellschaftliche<br />

Risiken. Die Neigung, darauf<br />

mit einem weiteren Ausbau des autoritären<br />

Staates zu reagieren, wie es <strong>der</strong>zeit <strong>der</strong> Fall<br />

ist, wird diese Probleme nur verschärfen.<br />

Auch dies ist ein Aspekt des „Wi<strong>der</strong>spruchs<br />

<strong>der</strong> bürgerlichen Konstitution“.<br />

Die Frage bleibt, wie darauf politisch reagiert<br />

Die Aushöhlung <strong>der</strong> liberalen<br />

<strong>Demokratie</strong> erwies sich für das<br />

Kapital zunächst als durchaus<br />

erfolgreich.<br />

werden könnte. Innerhalb <strong>der</strong> politischen<br />

Linken gibt es starke Bestrebungen, die<br />

Nationalstaaten wie<strong>der</strong> zu stärken und zu<br />

den fordistischen Formen <strong>der</strong> ökonomischen<br />

und sozialen Regulierung zurückzukehren.<br />

Abgesehen davon, dass die dafür notwendigen<br />

Bedingungen kaum mehr vorhanden<br />

sind, bleibt zu beachten, dass auch die<br />

liberale <strong>Demokratie</strong> fordistischen Typs von<br />

zweifelhafter Qualität ist. Auch sie war<br />

entscheidend vom Wi<strong>der</strong>spruch zwischen<br />

ökonomischer Despotie und politischer<br />

<strong>Demokratie</strong> geprägt und nicht zuletzt stellt<br />

die einzelstaatliche politische Organisationsform<br />

die Grundlage weltweiter sozialer Spaltungen,<br />

Ungleichheiten und Abhängigkeiten<br />

dar. Es käme also darauf an, die Grenzen<br />

<strong>der</strong> einzelstaatlichen Liberaldemokratie<br />

in mehrfacher Hinsicht zu überschreiten:<br />

durch die Entwicklung <strong>der</strong> politischen zur<br />

gesellschaftlichen <strong>Demokratie</strong> und durch die<br />

Stärkung grenzüberschreiten<strong>der</strong> politischsozialer<br />

Bewegungen. Dazu gibt es in den<br />

letzten Jahren wichtige Ansätze und es ist<br />

dabei immerhin gelungen, zumindest den demokratischen<br />

Druck auf die internationalen<br />

Institutionen und Verhandlungsnetzwerke<br />

zu erhöhen. Demokratische Politik hätte vor<br />

allem auf diesem Feld anzusetzen. �<br />

Joachim Hirsch ist emeritierter Professor<br />

<strong>der</strong> Universität Frankfurt. Zuletzt erschienen:<br />

Materialistische Staatstheorie (2005),<br />

VSA-Verlag, 17,80 Euro.<br />

Soziale Sicherheit statt<br />

Überwachungsstaat<br />

„Terrorbekämpfung“ gegen soziale Bewegungen<br />

Ständig werden wir mit neuen Vorschlägen<br />

zur Verschärfung <strong>der</strong> Gesetze zur<br />

„inneren Sicherheit“ konfrontiert.<br />

Mal sollen mit Hilfe von Bundestrojanern<br />

Online-Durchsuchungen von Computern<br />

ermöglicht werden. Dann sollen durch die<br />

geplante Vorratsdatenspeicherung alle<br />

Verbindungen über Telefon, Handy und Internet<br />

protokolliert werden. Der öffentliche<br />

Raum wird durch immer mehr Kameras<br />

überwacht. Biometrische Daten finden<br />

Eingang in unsere Ausweise. Begründet<br />

werden diese Vorstöße mit <strong>der</strong> Gefahr des<br />

Terrorismus.<br />

Die in letzter Zeit gehäufte Anwendung<br />

angeblicher Anti-Terror-Gesetze zur Überwachung<br />

und Einschüchterung von sozialen<br />

Bewegungen und sogar von kritischen<br />

WissenschaftlerInnen legt die Vermutung<br />

nahe, dass dahinter etwas an<strong>der</strong>es steht als<br />

nur die Angst vor Terror.<br />

Den eigentlichen Hintergrund des Ausbaus<br />

des Kontroll- und Überwachungsstaates<br />

bilden die sich verschärfenden sozialen<br />

Wi<strong>der</strong>sprüche. Immer mehr Menschen sind<br />

in Folge von Entlassungen, Lohnsenkungen<br />

und dem Abbau <strong>der</strong> sozialen Sicherungssysteme<br />

von Armut und Ausgrenzung bedroht<br />

o<strong>der</strong> bereits betroffen. Die soziale Stabilität<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft, die für das Funktionieren<br />

<strong>der</strong> kapitalistischen Ökonomie von zentraler<br />

Bedeutung ist, droht ins Wanken zu geraten.<br />

Das Potenzial für Proteste und Wi<strong>der</strong>stand<br />

gegen die kapitalistischen Zumutungen<br />

wächst. Dagegen will <strong>der</strong> Staat durch einen<br />

präventiven Ausbau seiner Repressionsorgane<br />

gewappnet sein. Abbau des Sozialstaa-<br />

Den eigentlichen Hintergrund<br />

des Ausbaus des Kontroll- und<br />

Überwachungsstaates bilden die<br />

sich verschärfenden sozialen<br />

Wi<strong>der</strong>sprüche.<br />

tes und Aufbau des Sicherheitsstaates sind<br />

daher zwei Seiten einer Medaille.<br />

Wie schnell Instrumente <strong>der</strong> „Terrorbekämpfung“<br />

zur Bekämpfung wi<strong>der</strong>ständiger<br />

Bewegungen verwendet werden, belegt <strong>der</strong><br />

inflationäre Einsatz des Paragrafen 129a<br />

(„Bildung einer terroristischen Vereinigung“)<br />

gegen linke Strukturen. Im Vorfeld des G8-<br />

Gipfels haben PolizistInnen die Wohnungen<br />

und politische Zentren aus dem Umfeld<br />

<strong>der</strong> globalisierungskritischen Bewegung<br />

durchsucht. Die umfassende Überwachung<br />

3<br />

und anschließende Einschüchterung linker<br />

AktivistInnen aus <strong>der</strong> Bewegung wurde mit<br />

diesem Paragrafen ermöglicht.<br />

Dass die staatlichen Repressionsmaß nahmen<br />

selbst vor kritischen WissenschaftlerInnen<br />

nicht halt machen, beweist <strong>der</strong> aktuelle Fall<br />

des Berliner Stadtsoziologen und ehemaligen<br />

Stipendiaten <strong>der</strong> Rosa-Luxemburg-Stiftung,<br />

Dr. Andrej H.<br />

Mit Hilfe einer abenteuerlichen Konstruktion<br />

wurde er mit <strong>der</strong> „militanten gruppe“<br />

(mg) in Verbindung gebracht, die seit 2001<br />

mit Brandanschlägen gegen Repressionsorgane<br />

und Konzerne und mit Diskussionsbei-<br />

Die staatlichen Repressionsmaßnahmen<br />

machen selbst vor<br />

kritischen WissenschaftlerInnen<br />

nicht halt.<br />

trägen in die Öffentlichkeit tritt. Andrej sei<br />

verdächtig, weil er sich in linken Kreisen<br />

bewege, mit einem <strong>der</strong> Beschuldigten<br />

bekannt war und zu dem Thema Gentrifizierung<br />

arbeite, welches in linken Debatten um<br />

die Umstrukturierung von Stadtteilen eine<br />

Rolle spielt und auf dass auch die mg in<br />

ihren Erklärungen Bezug nehme, so die Bundesanwaltschaft.<br />

Die Folge für Andrej: Eine<br />

Hausdurchsuchung und mehrere Wochen<br />

Untersuchungshaft, aus <strong>der</strong> er nur aufgrund<br />

internationalen Drucks <strong>der</strong> Wissenschaftsgemeinde<br />

entlassen wurde.<br />

Offensichtlich sollte hier eine Verbindung<br />

zwischen kritischer Wissenschaft und<br />

sozialen Kämpfen verhin<strong>der</strong>t werden. Diese<br />

Beispiele zeigen: Mit Hilfe des Paragrafen<br />

129a wird versucht, Unmut gegen die bestehenden<br />

Verhältnisse des <strong>Kapitalismus</strong> zu<br />

kontrollieren und zu unterdrücken.<br />

Von linker Seite muss <strong>der</strong> Zusammenhang<br />

zwischen immer schärferen Sicherheitsmaßnahmen<br />

und stärker werden<strong>der</strong> Ausbeutung<br />

unbedingt thematisiert werden. Fatal ist<br />

daher, dass sich DIE LINKE dort, wo sie an<br />

Regierungen beteiligt ist, an Verschärfungen<br />

von Polizeigesetzen beteiligt, wie vergangenes<br />

Jahr in Mecklenburg-Vorpommern und<br />

aktuell in Berlin geschehen. Notwendig<br />

ist vielmehr eine breite gesellschaftliche<br />

Protestbewegung gegen Kontrollstaat und<br />

Überwachungsgesellschaft. Einen ermutigenden<br />

Anfang dafür bildeten die 15.000<br />

DemonstrantInnen, die am 22.9. in Berlin<br />

gegen die Vorratsdatenspeicherung und den<br />

Paragrafen 129a auf die Straße gingen. �<br />

Flo Wilde<br />

Banksy


4 Hochschule<br />

Wie kritische Wissenschaft<br />

abgewickelt wird<br />

In Marburg und Berlin wird versucht, kritische Wissenschaft zu verdrängen – jetzt regt sich Wi<strong>der</strong>stand<br />

Mit dem neoliberalen Umbau <strong>der</strong> Hochschulen<br />

geht neben <strong>der</strong> Einführung von<br />

Studiengebühren auch eine Zurückdrängung<br />

kritischer Wissenschaft einher.<br />

In Zeiten, in denen Wettbewerb, Elite und<br />

Verwertbarkeit zu den entscheidenden Kriterien<br />

von Wissenschaft erhoben werden,<br />

ist <strong>der</strong> herrschenden Meinung nach für<br />

In Zeiten des neoliberalen<br />

Umbaus <strong>der</strong> Hochschulen ist<br />

für kritisches Denken kein<br />

Platz mehr.<br />

kritisches Denken kein Platz mehr, wie die<br />

jüngsten Auseinan<strong>der</strong>setzungen in Marburg<br />

und Berlin um die Berufung kritischer Intellektueller<br />

auf Lehrstühle zeigen.<br />

Lange Zeit wurde das Institut für Politikwissenschaft<br />

in <strong>der</strong> beschaulichen Universitätsstadt<br />

Marburg an <strong>der</strong> Lahn als „linke Ka<strong>der</strong>schmiede“<br />

tituliert. Gelehrt hatte dort <strong>der</strong><br />

„Partisanenprofessor im Lande <strong>der</strong> Mitläufer“<br />

Wolfgang Abendroth. Als bekennen<strong>der</strong><br />

Marxist verstand er sich als eingreifen<strong>der</strong><br />

Intellektueller und die politische Wissenschaft<br />

als Parteinahme in <strong>der</strong> politischen<br />

Praxis. Nach seiner Emeritierung wurden<br />

eine Reihe seiner Schüler berufen, auch weil<br />

die Studierenden nach 1968 unter dem Motto<br />

„Marx an die Uni“ für die Verankerung<br />

marxistischen Denkens gekämpft hatten.<br />

Seitdem wurde in regelmäßigen Abständen<br />

auf die „Marburger Schule“ eingedroschen,<br />

so for<strong>der</strong>te beispielsweise die CDU in den<br />

1970er Jahren im Hessischen Landtag die<br />

Auflösung des Instituts wegen einer angeblichen<br />

kommunistischen Unterwan<strong>der</strong>ung.<br />

Was <strong>der</strong> CDU damals nicht gelang, scheint<br />

nun von an<strong>der</strong>en erledigt zu werden. Der<br />

Lehrstuhl des letzten emeritierten Marburger<br />

Abendroth-Schülers Frank Deppe<br />

soll auf Wunsch des Uni-Präsidenten Nienhaus<br />

gestrichen werden. Damit wäre die<br />

Abendroth-Tradition in Marburg komplett<br />

abgewickelt. Schließlich wurden alle an<strong>der</strong>en<br />

Professuren, die sich dieser Tradition<br />

verpflichtet fühlten, in den letzten Jahren<br />

sukzessive umgewidmet o<strong>der</strong> gestrichen.<br />

Auch aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Universitätsleitung<br />

eigentlich ein nicht nachvollziehbarer<br />

Schritt; würde doch damit ein wesentli-<br />

Der „Partisanenprofessor“ Wolfgang Abendroth unterstützt Proteste <strong>der</strong> Studierenden.<br />

cher Teil des kritischen Profils am Institut<br />

geschliffen werden und Marburg in die<br />

politikwissenschaftliche Mittelmäßigkeit<br />

versinken. Der Lehrstuhl Deppe hatte sich<br />

in den letzten Jahren vor allem durch die kritische<br />

EU-Integrationsforschung profiliert,<br />

internationale Wissenschaftskooperationen<br />

geschaffen und dabei Arbeitszusammen-<br />

Was <strong>der</strong> CDU damals nicht gelang,<br />

scheint nun von an<strong>der</strong>en<br />

erledigt zu werden. Der Lehrstuhl<br />

des letzten emeritierten<br />

Marburger Abendroth-Schülers<br />

Frank Deppe soll auf Wunsch<br />

des Uni-Präsidenten Nienhaus<br />

gestrichen werden.<br />

hänge etabliert, die den studentischen und<br />

wissenschaftlichen Nachwuchs qualifizieren<br />

sollten. Beson<strong>der</strong>s absurd ist die Tatsache,<br />

dass eine Berufungskommission für die<br />

Professur Deppes mit Diether Plehwe schon<br />

eine adäquate Nachfolge ermittelt hatte.<br />

Dieser Vorschlag soll jetzt durch die Umwidmung<br />

in eine Juniorprofessur kassiert und<br />

eine Neuausschreibung forciert werden.<br />

Auch an <strong>der</strong> Freien Universität Berlin<br />

will man sich <strong>der</strong> kritischen Wissenschaft<br />

entledigen. An dem renommierten John F.<br />

Kennedy Institut für Nordamerikastudien<br />

wurde eine Juniorprofessur ausgeschrieben.<br />

Die Berufungskommission entschied sich<br />

für den promovierten Politologen und Historiker<br />

Albert Scharenberg. Der Fachbereichsrat<br />

und <strong>der</strong> Institutsrat haben die Berufung<br />

ihres Kollegen, <strong>der</strong> seit seiner Studienzeit an<br />

<strong>der</strong> FU ist und als Autor bei den „Blättern<br />

für deutsche und internationale Politik“<br />

mitarbeitet, mit eindeutigen Voten begrüßt.<br />

Doch <strong>der</strong> Präsident <strong>der</strong> FU, Dieter Lenzen,<br />

ignorierte die Entscheidung <strong>der</strong> Berufungskommission<br />

fast vier Monate lang, bis er diese<br />

im Mai diesen Jahres ablehnte und eine<br />

Neuausschreibung <strong>der</strong> Stelle empfahl. Er<br />

begründete dies mit Scharenbergs Alter (42<br />

Jahre) und seiner mangelnden Kompetenz,<br />

die für das durch die Exzellenzinitiative <strong>der</strong><br />

Bundesregierung geför<strong>der</strong>te Institut nicht<br />

ausreichend sei. Diese Argumentation lässt<br />

aus mehreren Gründen einen eindeutig politischen<br />

Hintergrund erkennen. Zum einen


ist Lenzen als „Managertyp“ bekannt und<br />

rühmt sich damit, die FU in die betriebswirtschaftlichste<br />

Uni Deutschlands umgeformt<br />

zu haben, zum an<strong>der</strong>en ist er Botschafter des<br />

neoliberalen Think Tanks „Initiative Neue<br />

Soziale Marktwirtschaft“. Die Vorwürfe,<br />

Scharenberg sei nicht kompetent genug, gelten<br />

unter seinen Kollegen als hanebüchen,<br />

Der alte Schlachtruf „Marx an<br />

die Uni“ hat sich fast ganz von<br />

selbst wie<strong>der</strong> auf die<br />

Tagesordnung gebracht.<br />

die Berufungskommission bezeichnete<br />

ihn als den besten <strong>der</strong> Kandidaten. Das<br />

Argument, Scharenberg sei zu alt, erweist<br />

sich auch als lächerlich, wenn man sich<br />

das Alter an<strong>der</strong>er JuniorprofessorInnen an<br />

<strong>der</strong> FU und <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en BewerberInnen für<br />

die Stelle anschaut, die teilweise noch älter<br />

sind. Überdies hat <strong>der</strong> Präsident nach dem<br />

Berliner Hochschulgesetz auch gar nicht<br />

das Recht, den Vorschlag <strong>der</strong> Berufungskommission<br />

zu beanstanden, seine Funktion<br />

ist lediglich, diesen an den Bildungssenator<br />

weiterzuleiten, <strong>der</strong> darüber entscheidet.<br />

Scharenberg befürchtet nun das Aus seiner<br />

wissenschaftlichen Laufbahn und sieht<br />

sich massiven Denunziationen ausgesetzt,<br />

die fast an die Kommunistenverfolgung in<br />

<strong>der</strong> McCarthy–Ära erinnern. So fragte man<br />

ihn laut Medienberichten, ob er Mitglied in<br />

einer kommunistischen Partei wäre – <strong>der</strong><br />

parteilose Scharenberg sitzt lediglich im<br />

Kuratorium <strong>der</strong> Rosa-Luxemburg-Stiftung.<br />

Von seinen Kollegen wird er als linksliberal<br />

beschrieben, doch ist dies <strong>der</strong> wirtschaftsnahen<br />

Unileitung wohl schon zu links. Lenzen<br />

äußert sich seitdem nicht mehr zu diesem<br />

Thema. Ausschweigen und Absitzen scheint<br />

die Devise in Berlin zu sein.<br />

Während dessen regt sich in Marburg Wi<strong>der</strong>stand.<br />

Eine Initiative von Studierenden und<br />

Mittelbau zur Rettung <strong>der</strong> kritischen Wissenschaft<br />

hat sich gegründet. Ein Aufruf gegen<br />

die Streichung <strong>der</strong> Deppe-Professur wurde<br />

von über 900 Menschen aus <strong>der</strong> Wissenschaft,<br />

den Gewerkschaften und <strong>der</strong> Politik<br />

In Marburg regt sich Wi<strong>der</strong>stand.<br />

Eine Initiative von<br />

Studierenden und Mittelbau zur<br />

Rettung <strong>der</strong> kritischen Wissenschaft<br />

hat sich gegründet.<br />

unterzeichnet, darunter so namhafte internationale<br />

Wissenschaftler wie Robert Cox, Peter<br />

Gowan, Antonio Negri und Leo Panitch. Ob<br />

<strong>der</strong> Unipräsident sich davon beeindrucken<br />

lässt, darf bisweilen bezweifelt werden. In<br />

jedem Fall ist es notwendig, nach den in den<br />

letzten Jahren vergleichsweise geräuschlos<br />

abgelaufenen Abwicklungen <strong>der</strong> kritischen<br />

Lehrstühle in die Offensive zu gehen. Denn<br />

<strong>der</strong> Kampf um die Verankerung einer kritischen<br />

Wissenschaft stellt auch die angesichts<br />

des dramatischen Umbaus so dringende Frage<br />

nach einer demokratisch strukturierten Hochschule,<br />

die gesellschaftliche Entwicklungen<br />

kritisch reflektiert und Alternativen jenseits<br />

<strong>der</strong> herrschenden Zustände zu entwickeln<br />

sucht. Der alte Schlachtruf „Marx an die Uni“<br />

hat sich somit fast ganz von selbst wie<strong>der</strong> auf<br />

die Tagesordnung gebracht.�<br />

Maximilian Jablonowski und<br />

Jan Schalauske sind aktiv in Die Linke.SDS<br />

Marburg.<br />

Marx an die Uni<br />

Es gibt heutzutage innerhalb <strong>der</strong><br />

Universitäten kaum noch kritische<br />

Wissenschaft, geschweige denn eine<br />

systematische Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />

marxistischer Theorie.<br />

Während 1974 allein an <strong>der</strong> FU 7.000 Studierende<br />

in die unterschiedlichsten Kapital–<br />

Lesekreise eingebunden waren, gibt es heute<br />

kaum noch solche Angebote. Gleichzeitig<br />

gibt es innerhalb <strong>der</strong> Studierendenschaft<br />

ein enormes Interesse an <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>entdeckung<br />

marxistischer Theorie. Das zeigen<br />

etwa <strong>der</strong> enorme Erfolg <strong>der</strong> „Einführung<br />

in die politische Ökonomie“ von Michael<br />

1974 waren allein an <strong>der</strong><br />

FU 7.000 Studierende in die<br />

unterschiedlichsten Kapital–<br />

Lesekreise eingebunden.<br />

Heinrich o<strong>der</strong> <strong>der</strong> gut besuchte Capitalism<br />

Reloaded-Kongresses. Außerdem gründen<br />

sich an vielen Hochschulen eigenständig<br />

Kapital-Lesekreise, und seit einiger Zeit<br />

entsteht eine regelrechte Organisierung von<br />

Lesekreisen, die sich selbst Kapitallesebewegung<br />

nennt. Dass ausgerechnet „Das Kapital“<br />

ein solches Interesse erfährt, ist kein Zufall.<br />

Es ist sowohl von seiner inhaltlichen Breite,<br />

als auch von seiner Methode weit über die<br />

Gemeinde <strong>der</strong> selbsterklärten Marxisten<br />

hinaus ein Bezugspunkt in <strong>der</strong> politischen<br />

wie wissenschaftlichen Diskussion. Da <strong>der</strong><br />

Wissenschaftsbetrieb selten Diskussion und<br />

Erarbeitung des „Kapitals“ anbietet, könnte<br />

die politische Linke hier eine entscheidende<br />

Funktion übernehmen.<br />

DIE LINKE.SDS diskutiert daher, zum<br />

Wintersemester 2007/2008 eine Kapitallesebewegung<br />

zu starten und diese mit <strong>der</strong><br />

nächsten Herbstakademie vorzubereiten.<br />

Überlegt wird, eine bundesweite Lesekreisvorbereitungskonferenz<br />

zu starten, zu <strong>der</strong><br />

bekannte Kapital–InterpretInnen eingeladen<br />

werden könnten, um sowohl die unterschiedlichen<br />

Interpretationstraditionen als<br />

auch die unterschiedlichen Fragestellungen<br />

und ihre aktuelle Relevanz anzuschneiden.<br />

Mit Hilfe eines gemeinsamen Leseplanes<br />

könnten wesentliche Themen des „Kapitals“<br />

vordiskutiert werden, und die Anwesenden<br />

werden so zu einer Art „Teamer“ für lokal<br />

stattfindende Lesekreise.<br />

Gleichzeitig ist die Diskussion von „Das Kapital“<br />

nicht einfach eine Debatte um irgendein<br />

beliebiges Werk. Ohne „Das Kapital“ ist<br />

eine Kritik <strong>der</strong> Ausbeutungsverhältnisse<br />

zwischen Klassen und Län<strong>der</strong>n, eine kritische<br />

Reflexion <strong>der</strong> ökologischen Grenzen<br />

des <strong>Kapitalismus</strong> und ein Verständnis <strong>der</strong><br />

Krisendynamik kapitalistischer Gesellschaften<br />

schwer denkbar. �<br />

Die Theorie AG des DIE LINKE.SDS wird die<br />

Idee einer Kapitallesebewegung weiter diskutieren.<br />

Kontakt: kolja.moeller@gmx.de<br />

Kritische Imperialismusforschung<br />

Elmar Altvater/<br />

Birgit Mahnkopf<br />

Konkurrenz für das Empire-<br />

Die Europäische Union<br />

in <strong>der</strong> globalisierten Welt<br />

2007 - ca. 300 S. - ca. � 24,90<br />

ISBN 978-3-89691-652-5<br />

Kritische Raum- und Geographieforschung<br />

Markus Wissen/Bernd Röttger/<br />

Susanne Heeg<br />

Politics of Scale<br />

Räume <strong>der</strong> Globalisierung<br />

und Perspektiven<br />

emanzipatorischer Politik<br />

2007 - ca. 300 S. - ca. � 27,90<br />

ISBN 978-3-89691-669-3<br />

(Raumproduktionen: Theorie und gesellschaftliche Praxis Band 3)<br />

Verlag WESTFÄLISCHES DAMPFBOOT<br />

Kritische Zeitschrift für Sozialwissenschaften<br />

PROKLA 148<br />

Verbetriebswirtschaftlichung<br />

2007 - 165 S. - � 12,00<br />

ISBN 978-3-89691-348-7<br />

Kritische Einstiege in die Gesellschaftstheorie<br />

(Einstiege Band 18)<br />

Ceren Türkmen<br />

Migration und Regulierung<br />

2007 - ca. 150 S. - ca. � 14,90<br />

ISBN 978-3-89691-684-6<br />

www.dampfboot-verlag.dee<br />

Hafenweg 26a/ D- 48155 Münster/ Tel.: 0251 3900480 / Fax: - 39004850/ info@dampfboot-verlag.de<br />

Georg Fülberth:<br />

Finis Germaniae - Deutsche Geschichte<br />

seit 1945; Hardcover; 318 S.; € 19,90<br />

Ein konzentrierter Überblick über<br />

die grundlegenden politischen und<br />

gesellschaftlichen Prozesse in den<br />

vier Besatzungszonen 1945-1949,<br />

in den beiden deutschen Staaten<br />

1949-1990 sowie in <strong>der</strong> um die DDR<br />

vergrößerten Bundesrepublik. Seine<br />

These: Die deutsche Geschichte hat<br />

aufgehört, Nationalgeschichte zu<br />

sein. Sie lebt fort als Regionalgeschichte<br />

des <strong>Kapitalismus</strong>.<br />

Wolfgang Pomrehn:<br />

Heiße Zeiten - Wie <strong>der</strong> Klimawandel gestoppt<br />

werden kann; Broschur; 236 S.; € 16,90<br />

Die Klimadebatte verfehlt bisher den<br />

entscheidenden Punkt: So schnell wie<br />

möglich den Umbau <strong>der</strong> Industriegesellschaft<br />

herbeizuführen. Damit geht<br />

es auch um die Kontrolle über die<br />

gesellschaftlichen Ressourcen. Wolfgang<br />

Pomrehn trägt die wichtigsten<br />

Fakten und Argumente zusammen.<br />

Er nimmt die Bedrohungsszenarien<br />

unter die Lupe, diskutiert Sackgassen<br />

und untersucht echte Alternativen.<br />

Werner Biermann/Arno Klönne:<br />

Agenda Bertelsmann - Ein Konzern<br />

stiftet Politik; Broschur; 140 S.; € 11,90<br />

Ob Privatisierung o<strong>der</strong> Studiengebühren,<br />

Hartz IV o<strong>der</strong> globale Militärintereinsätze:<br />

Die gesellschaftspolitische<br />

Agenda <strong>der</strong> Bundesrepublik wird von<br />

<strong>der</strong> Bertelsmann-Stiftung entworfen.<br />

Sie ist auf Profit nicht min<strong>der</strong> aus als<br />

auf gesellschaftliche Steuerung. Biermann/Klönne<br />

analysieren den ökonomisch-politischen<br />

Hintergrund und den<br />

Zielhorizont: Gesellschaft, geführt wie<br />

ein Unternehmen, postdemokratisch.<br />

P a p y R o s s a V e r l a g | Luxemburger Str. 202 | 50937 Köln | Tel. (02 21) 44 85 45<br />

mail@papyrossa.de | www.papyrossa.de


6 Hochschule<br />

Trotz Studiengebühren, steigen<strong>der</strong> Miete und Preiserhöhungen: Der BAföG–Höchstsatz bleibt seit Jahren unverän<strong>der</strong>t.<br />

699 Euro für alle<br />

Ohne BAföG-Ausweitung wird die soziale Auslese an den Hochschulen weiter zunehmen.<br />

Von Katharina Volk und Konstantin Ben<strong>der</strong>.<br />

Die Studierendenzahlen sinken, obwohl<br />

die Bundesregierung behauptet, diese<br />

auf 40 Prozent erhöhen zu wollen.<br />

Die Ergebnisse <strong>der</strong> 18. Sozialerhebung des<br />

Deutschen Studentenwerks (DSW) von 2006<br />

legen wie<strong>der</strong>holt die miserable Situation im<br />

Bildungssystem <strong>der</strong> BRD offen, insbeson<strong>der</strong>e<br />

an den Hochschulen. Die Studie belegt,<br />

was eigentlich schon alle wissen: die soziale<br />

Die neueste Sozialerhebung des<br />

Deutschen Studentenwerkes<br />

belegt erneut, was inzwischen<br />

alle wissen sollten: Bildung<br />

ist vom Geldbeutel <strong>der</strong> Eltern<br />

abhängig.<br />

Herkunft ist nach wie vor ausschlaggebend<br />

für den Erwerb eines Hochschulabschlusses.<br />

Nur noch 13 Prozent <strong>der</strong> Studierenden<br />

aus <strong>der</strong> sozialen Gruppe „niedrig“ waren<br />

2006 an <strong>der</strong> Hochschule immatrikuliert<br />

(1982 waren es 23 Prozent).<br />

Warum dagegen die Zahl aus <strong>der</strong> sozialen<br />

Herkunftsgruppe „hoch“ gestiegen ist, lässt<br />

sich erklären, wenn ein Blick auf die soziale<br />

Lage <strong>der</strong> immatrikulierten Studierenden<br />

geworfen wird. Im Durchschnitt haben Studierende<br />

im Monat 770 Euro zur Verfügung.<br />

Der BAföG-Höchstsatz liegt momentan bei<br />

585 Euro, wobei die Rechtssprechung an<br />

den Sozialgerichten von einem Bedarfssatz<br />

von 640 Euro ausgeht. Zudem gibt es einen<br />

deutlichen Unterschied zwischen den Bundeslän<strong>der</strong>n:<br />

In den neuen Län<strong>der</strong>n benötigen<br />

Studierende 608 Euro, in den alten Län<strong>der</strong>n<br />

718 Euro (bundesweiter Durchschnitt: 699<br />

Euro). Der BAföG-Höchstsatz erreicht nicht<br />

die Summe, die sie zum Leben benötigen.<br />

Eine von den Studierenden und ihren Eltern<br />

zu füllende Lücke bleibt bestehen.<br />

Die Ergebnisse <strong>der</strong> Sozialerhebung sind<br />

sozial- und bildungspolitisch alarmierend.<br />

Zumal an dieser Erhebung noch nicht die<br />

Folgen <strong>der</strong> Studiengebühren abzusehen<br />

sind. Es gibt kein Gesamtkonzept von Bund<br />

und Län<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n nur hilflose Versuche,<br />

die sozialen Disparitäten abzubauen.<br />

Die Län<strong>der</strong> handeln mit den entsprechenden<br />

Landesbanken Kredite aus, um Stu-<br />

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dierenden ein „angemessenes“ Darlehen<br />

anbieten zu können, an dessen Ende eine<br />

Verschuldung, je nach Rückzahlungsmodalität,<br />

von bis zu 90.000 Euro steht. Mit <strong>der</strong><br />

Erhöhung des BAföG-Bedarfssatzes um 5<br />

Prozent scheint die schwarz-rote Koalition<br />

sich nur ein Stück aus <strong>der</strong> Schusslinie bewegen<br />

zu wollen. In einer Pressemitteilung<br />

des BMBF von Juli 2007 heißt es dazu, „die<br />

Der BAföG-Höchstsatz liegt seit<br />

Jahren unverän<strong>der</strong>t bei 585<br />

Euro. Sozialgerichte gehen von<br />

einem Bedarf von 640 Euro aus.<br />

geplante Anhebung des BAföG ist ein gutes<br />

Signal“. Ein Signal – nicht mehr und nicht<br />

weniger. Es bedarf jedoch mehr als einer<br />

reinen Symbolpolitik. Die Bedarfssätze<br />

müssten, nachdem <strong>der</strong> Betrag sechs Jahre<br />

lang gleich geblieben ist, um mindestens 10<br />

Prozent angehoben werden. Dies würde jedoch<br />

lediglich eine Kompensation <strong>der</strong> von<br />

den Studierenden hinzunehmenden Kaufkraftverluste<br />

darstellen. Eine substanzielle<br />

Verbesserung wäre dies nicht. So bleibt<br />

die Regierung auch in diesem Punkt ihre<br />

Antwort schuldig, wie sie ihr Ziel, die Akademikerquote<br />

um 40 Prozent zu erhöhen,<br />

erreichen will. Auf eine Kleine Anfrage <strong>der</strong><br />

Fraktion DIE LINKE im Bundestag antwortet<br />

sie, <strong>der</strong> Hochschulpakt und die Reformen<br />

im Rahmen des Bologna–Prozesses werden<br />

es schon richten. Mit Plattitüden sind noch<br />

lange keine hinreichenden Konzepte für<br />

die Abschaffung <strong>der</strong> sozialen Selektion im<br />

Bildungssystem und auch keine einer verlässlichen<br />

Finanzierung entworfen.<br />

Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte<br />

über die Rolle, das Verständnis, die Zielsetzung<br />

und eben auch die Finanzierung<br />

von Bildung. Wir müssen die Dominanz <strong>der</strong><br />

kapitalistischen Verwertungsprozesse im<br />

hiesigen Bildungssystem aufzeigen und <strong>der</strong>en<br />

verheerende Folgen verdeutlichen. Der<br />

in Sonntagsreden richtig erkannte, jedoch<br />

in <strong>der</strong> täglichen Politik immer vernachlässigten<br />

Bedeutung von Bildung müssen in<br />

einem gemeinsamen Kraftakt dann auch<br />

die entsprechenden Taten folgen.�<br />

Katharina Volk und Konstantin Ben<strong>der</strong>


Regierung will Bildungswettbewerb<br />

verschärfen<br />

Die Große Koalition entsorgt das Hochschulrahmengesetz<br />

– und verstärkt damit die Kommerzialisierung.<br />

Das herrschende neoliberale Verständnis<br />

von Studium geht von Studierenden<br />

als Kundinnen und Kunden aus, die an<br />

den Hochschulen möglichst profitabel<br />

verwertbare Abschlüsse erhalten wollen<br />

und bereit sind, dafür zu bezahlen.<br />

Eben diesem Muster folgten in den letzten<br />

Jahren die Novellierungen <strong>der</strong> Hochschulgesetze<br />

in den Bundeslän<strong>der</strong>n. Sie waren<br />

stets gekennzeichnet durch einen Abbau<br />

demokratischer Steuerung; in den meisten<br />

Fällen war auch die Einführung allgemeiner<br />

Studiengebühren vorgesehen.<br />

Die Bundesregierung hat Mitte Mai einen<br />

Gesetzesentwurf zur Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes<br />

vorgelegt, mit dem sie<br />

diese Entwicklungen weiter vorantreiben<br />

will. In <strong>der</strong> Begründung wird ausgeführt,<br />

<strong>der</strong> Gesetzesentwurf sei „Ausdruck einer<br />

Politik für größere Selbständigkeit, mehr<br />

Gestaltungsspielraum und mehr Freiheit<br />

an den Hochschulen“. Verbunden sei<br />

damit „das politische Signal, vor allem an<br />

die Landeshochschulgesetzgeber, dass die<br />

Bundesregierung eine Politik für mehr Wettbewerb,<br />

weniger staatliche Detailsteuerung<br />

und mehr Autonomie für die Hochschulen<br />

unterstützen und voranbringen will.“<br />

Im Parlament hat die Bundesregierung alle<br />

Nachfragen und Kritik zurückgewiesen,<br />

dass mit dem Wegfall des Hochschulrahmengesetzes<br />

die letzten bundesweit<br />

einheitlichen Standards ohne Not geopfert<br />

würden, was allen voran zu Lasten von Vergleichbarkeit<br />

ginge. Auch hat sie sich nicht<br />

auf Nachfragen eingelassen, die betonten,<br />

dass durch einen verschärften Wettbewerb<br />

soziale Ungleichheit weiter ansteigen wird,<br />

strukturschwache Bundeslän<strong>der</strong> abgehängt<br />

und kritische Wissenschaften noch weiter<br />

ausbluten werden. Die „neoliberale Dienstleistungshochschule“<br />

ist für sie offensichtlich<br />

so selbstverständlich, dass kaum mehr<br />

Raum für ein kritisches Hinterfragen dieses<br />

Verständnisses bleibt.<br />

Umso wichtiger ist, dass die hochschulpolitische<br />

Linke in dieser Frage klar Position<br />

bezieht. An<strong>der</strong>s als bei den hochschulpolitischen<br />

Umstrukturierungen in den Bundeslän<strong>der</strong>n,<br />

die zwar nach gleichem Muster,<br />

aber nicht gleichzeitig ablaufen – was es<br />

schwierig macht, erfolgreich Wi<strong>der</strong>stand dagegen<br />

zu mobilisieren – kann die For<strong>der</strong>ung<br />

nach Beibehaltung des Hochschulrahmengesetzes<br />

bundesweit zum Thema gemacht<br />

werden.<br />

Ein entscheiden<strong>der</strong> Kristallisationspunkt<br />

muss in diesem Zusammenhang die For<strong>der</strong>ung<br />

nach demokratischen Hochschulen<br />

sein. Nur wenn Studierende sich gegen die<br />

Rolle als Kundinnen und Kunden an den<br />

Hochschulen wehren und Mitbestimmungsrechte<br />

einfor<strong>der</strong>n, können sie Einfluss auf<br />

die Ausgestaltung ihres Studiums nehmen,<br />

für offene Hochschulen eintreten und auf<br />

diese Weise für Hochschulen streiten, die<br />

nicht zur Legitimation <strong>der</strong> bestehenden<br />

Verhältnisse wirken, son<strong>der</strong>n Spielräume<br />

für Kritik und Alternativen bieten. �<br />

Nele Hirsch ist bildungspolitische Sprecherin<br />

<strong>der</strong> Linksfraktion.<br />

Alternativen zum Bildungsdumping<br />

DIE LINKE will Bildung endlich als Recht<br />

verstanden wissen. Daher soll sie als<br />

Gemeinschaftsaufgabe zwischen Bund<br />

und Län<strong>der</strong>n behandelt werden, wobei<br />

die Län<strong>der</strong> verpflichtet werden sollen,<br />

ausreichend Ressourcen zur Verfügung zu<br />

stellen. Es ist daher einerseits zu überlegen,<br />

wie bei <strong>der</strong> Ausbildungsplatzumlage eine<br />

Mindestausbildungsquote für die Län<strong>der</strong><br />

festzuschreiben. An<strong>der</strong>erseits sind die<br />

Bildungsausgaben zu fixieren, um ein so<br />

genanntes Trittbrettfahrerverhalten <strong>der</strong><br />

Län<strong>der</strong> zu unterbinden.<br />

Ausführlich sind Ideen und Anregungen<br />

zu einer besseren Bildungsfinanzierung<br />

dargelegt in: Klemens Himpele: Bildungsfinanzierung<br />

in Deutschland. Probleme und<br />

Lösungsansätze. Im Internet unter: www.<br />

bundestag.de/parlament/gremien/foe<strong>der</strong>alismus2/drucksachen/kdrs050.pdf<br />

.<br />

Gemeinsam gegen<br />

Prekarisierung<br />

Von <strong>der</strong> Bundesregierung kann die „Generation Praktikum“<br />

keine Unterstützung erwarten.<br />

Vor über einem Jahr kündigte Vize-<br />

Kanzler Müntefering an, dass er die<br />

Ausbeutung von Absolventinnen und<br />

Absolventen unter dem Vorwand eines<br />

Praktikums nicht länger akzeptieren<br />

werde und entsprechende Maßnahmen<br />

gegen diese Unternehmenspraxis auf<br />

den Weg bringen wolle.<br />

Dennoch wird das Problem seitdem von ihm<br />

selbst und von fast allen Parteien auf die<br />

lange Bank geschoben. Das zeigte sich auch<br />

in den letzten Plenardebatten im Bundestag:<br />

Grüne und FDP beklagten sich hier darüber,<br />

dass eine „Überbürokratisierung“ in dieser<br />

Frage nicht hilfreich sei; aus <strong>der</strong> Union hörte<br />

man, dass das Thema überwertet würde und<br />

die SPD sah das Problem durch die private<br />

Initiative „Fair company“ gepaart mit Appellen<br />

an die Unternehmensseite als gelöst<br />

an. Einzig die Fraktion DIE LINKE stellte die<br />

For<strong>der</strong>ung nach einer gesetzlichen Regelung<br />

auf, die Praktika eindeutig als Lernverhältnisse<br />

definiert und somit von Arbeitsverhältnissen<br />

abgrenzt. Im Herbst werden wir<br />

hierzu einen konkreten Gesetzesentwurf in<br />

den Bundestag einbringen.<br />

Wichtiger als solche parlamentarischen<br />

Schritte bleibt allerdings die außerparla-<br />

Für einen neuen Bildungspakt<br />

Deutschlands Bildungswesen ist sozial ungerecht.<br />

Wir brauchen:<br />

fl ächendeckende Ganztags schulen und Kitas,<br />

mehr Personal in Lehre, Forschung und Betreuung,<br />

mehr und bessere Ausbildungs- und Studienplätze.<br />

Deshalb streitet DIE LINKE für einen nationalen Bildungspakt<br />

von Bund und Län<strong>der</strong>n.<br />

Nähere Informationen unter: www.linksfraktion.de/bildung<br />

Mindestlohn–Kampagne. Breite Bündnisse gegen Prekarisierung sind notwendig.<br />

Wi<strong>der</strong>stand gegen die zunehmende<br />

Prekarisierung erfor<strong>der</strong>t<br />

gemeinsame Kämpfe.<br />

7<br />

mentarische Arbeit. Nur durch Druck von<br />

außen werden wir auch im Parlament ein<br />

Umdenken erzwingen können. Die Ausbeutung<br />

von Praktikantinnen und Praktikanten<br />

muss dabei als ein Teil <strong>der</strong> zunehmenden<br />

Prekarisierung verstanden werden, unter<br />

<strong>der</strong> längst nicht nur Hochschulabsolventinnen<br />

und –absolventen zu leiden haben.<br />

Prekarisierung betrifft uns alle. Indem<br />

gesetzliche Bestimmungen zum Schutz und<br />

zur Ausgestaltung im Arbeitsleben aufgehoben<br />

o<strong>der</strong> verwässert werden, können<br />

Beschäftigte, die in ihrem Arbeitsverhältnis<br />

die Absenkung von Standards, Löhnen o<strong>der</strong><br />

Rechten nicht akzeptieren, durch „billigere“<br />

LeiharbeiterInnen o<strong>der</strong> eben auch durch<br />

PraktikantInnen ersetzt werden.<br />

Wi<strong>der</strong>stand gegen die zunehmende Prekarisierung<br />

erfor<strong>der</strong>t gemeinsame Kämpfe.<br />

Das gilt auch beim Thema Praktika. Bei<br />

<strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung nach einer gesetzlichen<br />

Regelung in dieser Frage muss deshalb aus<br />

den Hochschulen heraus das Bündnis mit<br />

Gewerkschaften und sozialen Bewegungen<br />

gesucht werden. Gemeinsam gilt es<br />

darüber hinaus, für die Einführung eines<br />

gesetzlichen Mindestlohns, ein Verbot von<br />

Leiharbeit, die Abschaffung von Mini-Jobs,<br />

die Ausweitung des Kündigungsschutzes,<br />

eine radikale Arbeitszeitverkürzung bei<br />

vollem Lohnausgleich sowie die Stärkung<br />

gewerkschaftlicher Mitbestimmungsrechte<br />

und das Recht auf den politischen Streik zu<br />

kämpfen. � Nele Hirsch


LCpl. Justin M. Mason, U.S. Army<br />

www.danishdocumentary.com<br />

8 Afghanistankrieg 9<br />

„Wir wollen keine Besatzung“<br />

Die BBC nennt Malalai Joya die „bekannteste Frau Afghanistans“. In DIE LINKE.Campus spricht sie darüber, wie die ausländischen Truppen<br />

die Situation <strong>der</strong> afghanischen Frauen verschlimmern und warum es mit den Besatzern keine <strong>Demokratie</strong> geben kann.<br />

Malalai Joya wurde 2005 in das afghanische<br />

Parlament Loya Jirga gewählt. Nachdem<br />

sie dort 2003 in einer Rede kritisierte,<br />

dass Kriminelle und Drogenbosse in <strong>der</strong><br />

Regierung sitzen, wurden mindestens vier<br />

Mordanschläge auf sie verübt.<br />

Die Unterdrückung <strong>der</strong> Frauen durch die<br />

Taliban war einer <strong>der</strong> Gründe, mit denen<br />

die US-Regierung 2001 den Angriff auf<br />

Afghanistan erklärt hat. Wie sieht die Situation<br />

<strong>der</strong> Frauen heute aus?<br />

Man kann sagen, dass das Leben <strong>der</strong> afghanischen<br />

Frauen die Hölle ist. Unter den Taliban<br />

wurden sie unterdrückt, hatten kaum<br />

Rechte und durften keine Schulen besuchen.<br />

Jetzt sind außer den Taliban Vertreter<br />

<strong>der</strong> Nordallianz an <strong>der</strong> Macht. Diese Allianz<br />

besteht aus korrupten und kriminellen Warlords,<br />

die von <strong>der</strong> US­Regierung unterstützt<br />

werden. Sie und ihre Anhänger entführen<br />

und vergewaltigen syste matisch Frauen und<br />

Mädchen. Ich kann viele Beispiele nennen:<br />

Die elfjährige Sanobar wurde von einem<br />

Warlord entführt, vergewaltigt und für einen<br />

Hund eingetauscht, in <strong>der</strong> Provinz Badakhshan<br />

wurde eine Frau von elf bewaffneten<br />

Männern vergewaltigt, und es gibt auch Berichte<br />

über ein siebenjähriges Mädchen und<br />

eine 70jährige Großmutter, die vergewaltigt<br />

wurden. Die Liste kann man endlos fortset­<br />

zen. Insgesamt hat sich die Lage <strong>der</strong> Frauen<br />

seit 2001 verschlechtert.<br />

In <strong>der</strong> neuen afghanischen Verfassung<br />

sind Frauen und Männer gleichberechtigt.<br />

Ist davon nichts zu merken,<br />

etwa indem Mädchen zur Schule gehen<br />

können?<br />

Nein, das ist nur Kosmetik. Auch jetzt besucht<br />

nur eines von fünf Mädchen die<br />

Grundschule und eines von 20 eine höhere<br />

Schule. Viele müssen arbeiten, weil ihre Familien<br />

so arm sind. In den meisten Gebieten<br />

gibt es keine Elektrizität, keine Wasserversorgung,<br />

keine medizinische Versorgung<br />

und nicht genügend Nahrungsmittel, und<br />

50 Prozent <strong>der</strong> Bevölkerung sind arbeitslos.<br />

Die Armut führt zu großer Verzweiflung,<br />

und vor allem Frauen sind betroffen. Heute<br />

gibt es mehr Selbstmorde unter Frauen als<br />

jemals zuvor, und laut einer Studie sehen 65<br />

Prozent <strong>der</strong> 50.000 Witwen in Kabul Selbstmord<br />

als einzigen Ausweg aus ihrer Not.<br />

Viele Leute verkaufen ihre kleinen Töchter<br />

als Bräute, um überleben zu können. Die Regierung<br />

hat überhaupt kein Interesse daran,<br />

dass die Menschen eine Ausbildung bekommen,<br />

denn dann würden sie die Probleme<br />

im Land besser verstehen und demonstrieren<br />

gehen. Und Frauen, die bekannt sind<br />

Heute gibt es mehr Selbstmorde<br />

unter Frauen als jemals zuvor.<br />

und einen Job haben, schweben in Lebensgefahr.<br />

In den letzten Monaten sind viele aktive<br />

Frauen ermordet worden, wie etwa eine<br />

22jährige Journalistin, die nachts in ihrem<br />

Haus erschossen wurde.<br />

Hat die afghanische Regierung unter Präsident<br />

Karzai kein Interesse daran, dass<br />

sich die Situation <strong>der</strong> Menschen verbessert?<br />

Karzai ist eine Geisel <strong>der</strong> US­Regierung und<br />

<strong>der</strong> Fundamentalisten. Er wurde von ihnen<br />

ins Amt gebracht, von den Menschen wird<br />

er nicht unterstützt. Der US­Regierung geht<br />

es nicht darum, <strong>Demokratie</strong> und Frieden<br />

nach Afghanistan zu bringen, son<strong>der</strong>n ihre<br />

geopolitischen Ziele zu erreichen. Das Land<br />

ist nicht sicherer geworden, son<strong>der</strong>n wird<br />

von Tag zu Tag gefährlicher. Die Menschen<br />

sind müde geworden, weil sie seit Jahren<br />

nur Krieg und Unterdrückung erleben.<br />

Den Menschen ist egal, aus<br />

welchem Land die Soldaten<br />

kommen. Alle Alliierten verfolgen<br />

dieselbe Politik, die keinen<br />

Frieden nach Afghanistan<br />

bringt.<br />

Viele hatten 2001 die Hoffnung, dass die<br />

Situation nach dem Sturz <strong>der</strong> Taliban besser<br />

wird, aber sie sind sofort enttäuscht worden.<br />

Mittlerweile sind in Afghanistan zehnmal<br />

mehr Zivilisten getötet worden als bei den<br />

Anschlägen auf das World Trade Center.<br />

Wir haben auch keine <strong>Demokratie</strong>, denn die<br />

afghanische Regierung macht keine Politik<br />

für die Menschen. Die Abgeordneten <strong>der</strong><br />

Nordallianz haben eine Art Regierung innerhalb<br />

<strong>der</strong> Regierung, sie haben sehr viel<br />

Macht und können alles durchsetzen, auch<br />

wenn viele Abgeordnete dagegen sind. Die<br />

US­Regierung und die Alliierten könnten<br />

das än<strong>der</strong>n, indem sie die Warlords nicht<br />

mehr unterstützen, aber das wollen sie<br />

nicht. Wir haben viele bekannte Kriminelle<br />

an <strong>der</strong> Regierung, zum Beispiel General<br />

Dawood. Er ist im Innenministerium für<br />

Drogenkriminalität zuständig und selbst ein<br />

brutaler Warlord und Drogenschmuggler.<br />

Solange solche Leute im Parlament sitzen<br />

und von den Besatzern unterstützt werden,<br />

kann es keine unabhängige Politik und keinen<br />

Frieden geben.<br />

Neben <strong>der</strong> Operation Enduring Freedom<br />

sind auch Soldaten des NATO-Einsatzes<br />

ISAF in Afghanistan, <strong>der</strong> den Wie<strong>der</strong>aufbau<br />

unterstützen soll. Macht es für die<br />

Menschen einen Unterschied, aus welchem<br />

Land und in welcher Mission die<br />

Soldaten dort sind?<br />

Das Problem ist dasselbe: Die Menschen<br />

sehen, dass die Truppen ihnen nicht helfen,<br />

son<strong>der</strong>n dass <strong>der</strong> Krieg und das Töten<br />

immer weitergehen. Es ist ihnen egal, aus<br />

welchem Land die Soldaten kommen, weil<br />

alle Alliierten dieselbe Politik verfolgen, die<br />

keinen Frieden nach Afghanistan bringt.<br />

Deshalb hassen sie alle Truppen. Was wir<br />

in Afghanistan brauchen, ist kein Krieg,<br />

son<strong>der</strong>n eine helfende Hand. Die USA,<br />

Deutschland und an<strong>der</strong>e Län<strong>der</strong> geben Millionen<br />

von Dollar aus, aber nicht, um den<br />

Menschen zu helfen. Wir brauchen keine<br />

Waffen, son<strong>der</strong>n Wasser und Nahrungsmittel.<br />

Es gibt genügend freiheitsliebende und<br />

demokratische Menschen in Afghanistan,<br />

die sich engagieren, aber sie werden nicht<br />

unterstützt. Statt dessen unterstützen die<br />

Besatzer die Nordallianz, die die Lage noch<br />

schlimmer macht. �<br />

Das Gespräch führte Sarah Nagel. Mehr Informationen<br />

unter: www.malalaijoya.com<br />

Hintergrund<br />

In Afghanistan herrscht seit dreißig Jahren<br />

Krieg. Im Jahr 2001 nutzte die US-Regierung<br />

die Anschläge vom 11. September als Argument<br />

für einen Angriff und schickte im Oktober<br />

ihre Truppen nach Afghanistan.<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> Operation Enduring Freedom<br />

(OEF) sind 20.000 US-Soldaten in Afghanistan<br />

stationiert. Neben den Truppen<br />

<strong>der</strong> OEF, die den “Krieg gegen den Terror”<br />

führen, kämpfen auch fast 40.000 Soldaten<br />

<strong>der</strong> International Security Assistance<br />

Force (ISAF) in Afghanistan. Die deutsche<br />

Bundesregierung beteiligt sich maßgeblich<br />

an diesem NATO-Einsatz und schickte im<br />

Januar 2002 die ersten von insgesamt 3000<br />

Soldaten nach Afghanistan. Mittlerweile<br />

wurde das Mandat von ISAF über Kabul<br />

hinaus auf das gesamte Land ausgeweitet.<br />

Formal als „Aufbauhilfe“ deklariert, vermischt<br />

sich <strong>der</strong> ISAF-Einsatz immer mehr<br />

mit <strong>der</strong> OEF. So werden etwa die Truppen<br />

von demselben Oberkommandanten befehligt.<br />

Der deutsche Bundestag hat in diesem Jahr<br />

außerdem beschlossen, sechs Tornados einzusetzen,<br />

die die OEF bei <strong>der</strong> Aufklärung<br />

unterstützen. Im Oktober werden die Verlängerung<br />

<strong>der</strong> deutschen ISAF-Beteiligung<br />

und <strong>der</strong> Tornado-Einsatz im Bundestag erneut<br />

abgestimmt. Die Bundestagsfraktion<br />

<strong>der</strong> LINKEN ist die einzige, die die Einsätze<br />

ablehnt. Eine Untersuchung des britischen<br />

Guardian ergab, dass durch die Bombardierungen<br />

und <strong>der</strong>en Folgen 20.000 Menschen<br />

in Afghanistan ermordet wurden. �<br />

ISAF bringt keinen Frieden<br />

Claudia Haydt argumentiert, dass es <strong>der</strong> deutschen Bundesregierung in Afghanistan<br />

um geostrategische Ziele geht. Humanitäre Hilfe findet kaum statt.<br />

Die US-Regierung gilt als treibende Kraft<br />

hinter dem Einsatz in Afghanistan. Aus<br />

welchen Gründen beteiligt sich Deutschland<br />

am Krieg?<br />

Der erste, und aus meiner Sicht wichtigste<br />

Grund ist, dass sich die deutsche Regierung<br />

nach Ende des Kalten Kriegs als<br />

globaler Akteur profilieren will. Dazu gehört<br />

etwa auch <strong>der</strong> Versuch, einen Sitz im<br />

UN­Sicherheitsrat zu bekommen. Gerade<br />

zu Beginn des Einsatzes wurde das heiß<br />

diskutiert. Zwischen zeitlich geht es auch<br />

um die „Glaubwürdigkeit“ <strong>der</strong> NATO als<br />

global aktionsfähiges Bündnis. Zum an<strong>der</strong>en<br />

geht es aber um geopolitische Interessen.<br />

Die Bundesregierung will in dieser<br />

strategisch wichtigen Region präsent sein.<br />

Dabei geht es um Sicherung von Rohstoffen,<br />

um Pipelineverläufe und auch darum,<br />

dass Afghanistan geographisch genau zwischen<br />

rohstoffreichen Regionen und den<br />

aufstrebenden Weltmächten China und<br />

Indien liegt. Außerdem wurde das deutsche<br />

Engagement in Afghanistan 2003<br />

massiv ausgebaut, was als Kompensationshandlung<br />

dazu zu bewerten ist, dass sich<br />

Deutschland nicht am Krieg gegen den Irak<br />

beteiligt hat, weil es innenpolitisch nicht<br />

durchsetzbar war. Mittlerweile kommt die<br />

Angst <strong>der</strong> Regierung dazu zuzugeben, dass<br />

die Bundeswehr in Afghanistan versagt hat.<br />

Sogar ein militärpolitischer Berater aus <strong>der</strong><br />

deutschen Botschaft in Kabul hat in einer<br />

E­Mail an das Auswärtige Amt sehr drastisch<br />

formuliert, dass <strong>der</strong> Weg <strong>der</strong> militärischen<br />

Befriedung nicht klappt, und die Generäle<br />

lügen, wenn sie etwas an<strong>der</strong>es sagen.<br />

Immerhin ein Zehntel <strong>der</strong> Ausgaben für<br />

Afghanistan wird für den zivilen Wie<strong>der</strong>aufbau<br />

verwendet. Macht das für die Bevölkerung<br />

gar keinen Unterschied?<br />

Die Frage ist, was „ziviler Wie<strong>der</strong>aufbau“<br />

eigentlich bedeutet. Der Großteil <strong>der</strong> neun<br />

Milliarden Euro, die alle beteiligten Län<strong>der</strong><br />

dafür zahlen, wird etwa für den Aufbau von<br />

Polizei o<strong>der</strong> das nicht gerade progressive<br />

Justizsystem und verschiedene Ministerien<br />

ausgegeben, also für Politinfrastruktur,<br />

welche die Kooperation mit dem Westen<br />

för<strong>der</strong>t. Für Lebensmittelhilfe und Gesundheitsfürsorge<br />

wurde seit Beginn des Krieges<br />

insgesamt weniger als eine halbe Milliarde<br />

Euro ausgegeben, für militärische Zwecke<br />

80 Milliarden. Gleichzeitig wird durch die<br />

Bombardierungen vieles zerstört. Sogar den<br />

meisten Soldaten vor Ort fällt auf, dass für<br />

die Menschen zu wenig Geld da ist.<br />

In den Medien ist oft vom Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong><br />

Taliban gegen die Besatzer die Rede.<br />

Der Militäreinsatz stärkt die repressiven<br />

Elemente im Land, anstatt sie zu schwächen.<br />

Gerade bei jungen Menschen führen Armut<br />

und Perspektivlosigkeit dazu, dass sie wie<strong>der</strong><br />

verstärkt die Taliban unterstützen. Sie<br />

unterstützen weniger <strong>der</strong>en Ziele als den Wi<strong>der</strong>stand,<br />

dem von vielen Menschen Beifall<br />

geklatscht wird. „Taliban“ ist zudem nur ein<br />

Sammelbegriff, den die NATO in ihren offiziellen<br />

Pressestatements nach außen verwendet.<br />

In ihren internen Memoranden schreibt sie<br />

von „oppositionellen militanten Kräften“. Der<br />

Die Bundesregierung will in dieser<br />

strategisch wichtigen Region<br />

präsent sein.<br />

afghanische Wi<strong>der</strong>stand setzt sich neben den<br />

Taliban auch aus Kriminellen zusammen, die<br />

ihre Drogenanbauflächen und Vertriebswege<br />

sichern wollen, o<strong>der</strong> aus früheren Mujaheddin,<br />

die meinen, bei <strong>der</strong> Verteilung von Regierungsämtern<br />

zu kurz gekommen zu sein. Es<br />

gibt auch einen breiten, nicht organisierten<br />

Wi<strong>der</strong>stand von Menschen, die wütend auf<br />

die Besatzer sind, weil zum Beispiel ihre Angehörigen<br />

getötet wurden.<br />

Es ist wichtig, we<strong>der</strong> die Besatzung noch<br />

den Wi<strong>der</strong>stand zu verklären und die eingesetzten<br />

Mittel zu entschuldigen. Wenn<br />

wir die Dynamiken in Afghanistan verstehen<br />

wollen, müssen wir jedoch genau hinsehen.<br />

Der Wi<strong>der</strong>stand findet auch deswegen Unterstützung,<br />

weil er sich nicht in erster Linie<br />

gegen die Zivilbevölkerung richtet, son<strong>der</strong>n<br />

meist gegen die als arrogant empfundenen<br />

ausländischen Soldaten und Polizisten sowie<br />

gegen private Sicherheitsfirmen. Afghanische<br />

Soldaten und Polizisten werden ebenfalls zur<br />

Zielscheibe von Angriffen, da sie als Kollaborateure<br />

empfunden werden. Wenn Medien<br />

dies differenzierter berichten würden, dann<br />

würde es auch verständlich, warum mehr<br />

Sicherheitskräfte nicht mehr Sicherheit, son<strong>der</strong>n<br />

mehr Wi<strong>der</strong>stand auslösen.<br />

Kämen nach einem Abzug <strong>der</strong> Truppen<br />

wie<strong>der</strong> die Taliban an die Macht?<br />

Der zivile Aufbau und <strong>der</strong> demokratische<br />

und politische Kampf um Afghanistan sind<br />

unter <strong>der</strong> Besatzung gar nicht möglich. Natürlich<br />

hätten die Taliban nach einem Abzug<br />

erst einmal ein freieres Spielfeld. Allerdings<br />

stärkt die brutale Besatzung die Taliban und<br />

die skrupellose Drogenmafia wesentlich<br />

mehr, als ein Abzug dies tun würde. Nach<br />

einem Abzug wäre auch <strong>der</strong> Applaus für die<br />

Taliban zu Ende. Sicherlich wird auch und gerade<br />

nach einem Abzug des Militärs viel Hilfe<br />

aus dem Ausland notwendig sein. Aber es<br />

muss eine Hilfe sein, die rein zivil, solidarisch<br />

und kooperativ mit den Menschen agiert und<br />

sich nicht als Besatzung diskreditiert.<br />

Am 15. September haben in Berlin zehntausend<br />

Menschen gegen den Bundeswehreinsatz<br />

demonstriert.<br />

Ich halte die Proteste für extrem wichtig,<br />

weil sie die Politiker unter Druck setzen.<br />

Die Militärpolitik ist in eine Sackgasse geraten.<br />

Die vorgebliche Lösung für Probleme<br />

lautet immer häufiger: Wir brauchen mehr<br />

Militär, mehr Einsätze, mehr „Engagement“.<br />

All das erinnert rhetorisch an den Vietnamkrieg,<br />

<strong>der</strong> lange fortgeführt wurde, obwohl<br />

schon früh absehbar war, dass er nicht zu<br />

gewinnen ist. Auch in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n gibt<br />

es scharfe Diskussionen darum, ob <strong>der</strong> Einsatz<br />

weitergeführt werden soll, etwa in den<br />

Nie<strong>der</strong>landen und Kanada. Die Regierungen<br />

schauen genau darauf, was in an<strong>der</strong>en<br />

Län<strong>der</strong>n passiert. Der Abzug <strong>der</strong> Truppen<br />

eines Landes kann also einen Domino effekt<br />

auslösen. Die Friedensbewegung hat jetzt<br />

vor allem die Aufgabe, Aufklärungsarbeit<br />

zu leisten. Wenn wir hier keinen Druck<br />

machen, wird man sich in zehn Jahren wun<strong>der</strong>n,<br />

weshalb <strong>der</strong> afghanische Wi<strong>der</strong>stand<br />

in jedem Dorf stattfindet und humanitäre<br />

Hilfe überhaupt nicht mehr möglich ist,<br />

weil alle Helfer mit den Besatzern identifiziert<br />

werden. Ich denke, das Scheitern des<br />

Einsatzes war spätestens zwei, drei Jahre<br />

nach Beginn des Krieges absehbar. Und das<br />

müssen wir laut sagen. �<br />

Claudia Haydt ist Mitarbeiterin <strong>der</strong> Informationsstelle<br />

Militarisierung. Das Gespräch<br />

führte Sarah Nagel<br />

Für die afghanische Bevölkerung gibt es keinen Unterschied zwischen „friedlichem“ ISAF­Einsatz und <strong>der</strong> Operation Enduring Freedom.<br />

U.S. Army photo by Staff Sgt. Michael Bracken


Scribe215<br />

10 Venezuela<br />

Venezuela: Sozialismus im<br />

21. Jahrhun<strong>der</strong>t ?<br />

Eine an<strong>der</strong>e Welt ist möglich. Selbst große<br />

Getränkehersteller werben heute mit<br />

diesem Slogan.<br />

Was jedoch jenseits einer Öko-Limonade an<br />

Stelle des Neoliberalismus gesetzt werden<br />

kann, wie also diese an<strong>der</strong>e Welt aussehen<br />

soll, ist wesentlich umstrittener. Viele alte<br />

und neue Linke schöpfen ihre Hoffnung auf<br />

„Es ist unmöglich, im <strong>Kapitalismus</strong><br />

unsere Ziele zu erreichen.“<br />

Alternativen zum <strong>Kapitalismus</strong> aus dem bolivarianischen<br />

Prozess in Venezuela – dem<br />

so genannten „Sozialismus im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t“.<br />

Dieser Begriff wurde von Heinz Dieterich,<br />

einem Berater <strong>der</strong> venezolanischen<br />

Regierung, geprägt und von Präsident Chávez<br />

auf dem Weltsozialforum 2005 in Porto<br />

Alegre aufgenommen: „Es ist unmöglich,<br />

dass <strong>der</strong> <strong>Kapitalismus</strong> unsere Ziele erreichen<br />

kann, auch einen Mittelweg sucht man<br />

vergebens. Ich lade alle Venezolaner ein,<br />

gemeinsam auf diesem Pfad des Sozialismus<br />

des neuen Jahrhun<strong>der</strong>ts zu marschieren.“<br />

In <strong>der</strong> Tat konnten in Venezuela umfangreiche<br />

Erfahrungen mit dem sozialistischen Experiment<br />

gesammelt werden. Seit <strong>der</strong> Amtsübernahme<br />

durch Chávez im Jahre 1998<br />

hat <strong>der</strong> bolivarianische Entwicklungsansatz<br />

vielen Menschen das tägliche Leben erleichtert.<br />

Soziale Programme, die oft als Mobilisierungskampagnen,<br />

sogenannte Misiones,<br />

angelegt sind, ermöglichen den ärmsten<br />

Schichten Venezuelas Zugang zu Bildung<br />

und Gesundheit. Neue bolivarianische Universitäten<br />

entstehen im ganzen Land. Slum-<br />

bewohner können ihre Wohnflächen legalisieren,<br />

brachliegen<strong>der</strong> Großgrundbesitz<br />

kann enteignet und für die Landwirtschaft<br />

nutzbar gemacht werden. Die neue Verfassung<br />

garantiert ehemals marginalisierten<br />

Bevölkerungsgruppen eigene Rechte und<br />

ermöglicht auf kommunaler und betrieblicher<br />

Ebene umfangreiche Mitbestimmung.<br />

Nach Jahrzehnten <strong>der</strong> Korruption und Misswirtschaft<br />

fließen die Einnahmen aus <strong>der</strong><br />

Erdölproduktion – dem wichtigsten Wirtschaftszweig<br />

in Venezuela – wie<strong>der</strong> in die<br />

öffentliche Hand. Hinzu kommen Verstaatlichungen,<br />

beispielsweise <strong>der</strong> Stahlindustrie.<br />

Auf Antrag können stillgelegte Betriebe<br />

enteignet und einer Kooperation von Staat<br />

(51%) und Beschäftigten (49%) übertragen<br />

werden. Schätzungsweise 1200 stillgelegte<br />

Betriebe wurden besetzt und von den Beschäftigten<br />

übernommen.<br />

Hier stellt sich die Frage des Charakters <strong>der</strong><br />

Verstaatlichung. Bleibt sie ein formeller Akt,<br />

bei dem die Aktienmehrheit in Staatsbesitz<br />

übergeht o<strong>der</strong> ist sie <strong>der</strong> erste Schritt zur<br />

Vergesellschaftung? Gerade in <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit dem alten Sozialismus<br />

des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts wird dies akut, da<br />

die Produktionsmittel in den ehemaligen<br />

Län<strong>der</strong>n des real existierenden Sozialismus<br />

tatsächlich in staatlicher Hand waren. Das<br />

jedoch zog we<strong>der</strong> demokratische Kontrolle<br />

<strong>der</strong> Beschäftigten noch bedürfnisorientierte<br />

Planung im Interesse <strong>der</strong> Bevölkerung nach<br />

sich. Um wirklich die Macht in die eigenen<br />

Hände zu nehmen und die Produktion nach<br />

menschlichen Bedürfnissen zu organisieren,<br />

sind einzelne Betriebe unter Arbeiterkon-<br />

trolle nicht ausreichend. Noch immer müssen<br />

die besetzten Fabriken in Venezuela für<br />

den nationalen und internationalen Markt<br />

produzieren. Für die seit April 2005 besetzte<br />

Ventilfabrik Inveval bedeutet dies wie für<br />

viele an<strong>der</strong>e Betriebe große Schwierigkeiten,<br />

die Versorgung mit Rohstoffen und zu<br />

verarbeitenden Materialien zu garantieren.<br />

Auch innerhalb <strong>der</strong> venezolanischen<br />

<strong>Demokratie</strong> und im<br />

Staatsapparat entstehen mehr<br />

und mehr Konflikte um die Ausgestaltung<br />

des sozialistischen<br />

Prozesses.<br />

Es bleibt die alte Frage nach den Überlebensmöglichkeiten<br />

<strong>der</strong> besetzten Fabriken<br />

als sozialistische Inseln im Meer <strong>der</strong> kapitalistischen<br />

Umgebung.<br />

Auch innerhalb <strong>der</strong> venezolanischen <strong>Demokratie</strong><br />

und im Staatsapparat entstehen mehr<br />

und mehr Konflikte um die Ausgestaltung<br />

des sozialistischen Prozesses. Gelingen eine<br />

umfassende Transformation aller gesellschaftlichen<br />

Bereiche und eine Ausweitung<br />

<strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong>? Gerade innerhalb <strong>der</strong> staatlichen<br />

Institutionen gibt es immer noch Korruption,<br />

da die jahrzehntelange Tradition<br />

des Aneignens <strong>der</strong> Einkünfte aus <strong>der</strong> Erdölindustrie<br />

schwer zu brechen ist. Viele Beamte<br />

in <strong>der</strong> venezolanischen Bürokratie leiten<br />

die Erdöleinkünfte in die eigene Tasche und<br />

verschleppen die Enteignung von brachliegenden<br />

Flächen und stillgelegten Betrieben.<br />

Deswegen hat die Regierung eigene Koordinatoren<br />

außerhalb von Verwaltung und<br />

Ministerien ernannt, um die Sozialprogramme<br />

am bürokratischen Staatsapparat vorbei<br />

anzukurbeln.<br />

Offen gebremst, behin<strong>der</strong>t und bekämpft<br />

wird <strong>der</strong> Sozialismus des 21. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

von zwei Seiten: <strong>der</strong> bürgerlichen Opposition<br />

von innen sowie den USA von außen. Höhepunkte<br />

dieser antisozialistischen Bestrebungen<br />

waren <strong>der</strong> versuchte Putsch gegen<br />

den Präsidenten im April 2002 sowie <strong>der</strong><br />

Unternehmerstreik im folgenden Jahr. Allerdings<br />

erschweren eben auch hausgemachte<br />

Probleme die Vertiefung des sozialistischen<br />

Prozesses. Auch Befürworter des bolivarianischen<br />

Prozesses innerhalb des chavistischen<br />

Lagers scheuen davor zurück, weitere<br />

Teile von Wirtschaft und Gesellschaft <strong>der</strong><br />

demokratischen Kontrolle <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

zu unterstellen.<br />

Die bolivarianische Revolution ist noch ein<br />

Prozess mit offenem Ausgang – sie lebt von<br />

<strong>der</strong> Zusammenarbeit verschiedener Akteure,<br />

was nicht zuletzt den Präsidenten selbst radikalisiert<br />

hat. Die künftigen Knackpunkte<br />

liegen jedoch nicht nur im Präsidentenpalast:<br />

Die reale Kontrolle über die Produktion, die<br />

Verteilung <strong>der</strong> Öleinkünfte und die Ausweitung<br />

<strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> – hier wird die venezolanische<br />

Erfahrung zeigen, ob <strong>der</strong> Sozialismus<br />

im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t eine Zukunft hat. �<br />

Benjamin Stotz und Jens Fischer bereiten<br />

die Delegationsreise vor Ort in Venezuela<br />

vor. Ihre Analysen, Eindrücke und Erfahrungen<br />

dokumentieren sie in einem Blog:<br />

www.jens–fischer.eu


Elkrusty<br />

„Totalitarismus Light“?<br />

Der als „Despot“ (Handelsblatt) o<strong>der</strong><br />

„Diktator“ (taz) bezeichnete Präsident<br />

Venezuelas, Hugo Chávez führe den „Totalitarismo<br />

light“ (Welt) ein. Mit Mitteln<br />

wie <strong>der</strong> Einschränkung von Presse- und<br />

Meinungsfreiheit o<strong>der</strong> Verfassungsän<strong>der</strong>ungen<br />

sei er auf langfristige Sicherung<br />

seiner Herrschaft bedacht. Mehrere<br />

deutsche Medien sehen das Eigentumsrecht<br />

durch die Verstaatlichungen <strong>der</strong><br />

Regierung verletzt.<br />

Chávez wurde seit 1998 bereits siebenfach<br />

mit eindeutiger Mehrheit im Amt bestätigt.<br />

Die Regierung Chávez beför<strong>der</strong>t direkte<br />

<strong>Demokratie</strong>, das Sozialwesen und die Mitbestimmung<br />

in den Betrieben. Die For<strong>der</strong>ung<br />

nach Verstaatlichung kam von den 80 Prozent<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung, die als arm gilt. Die<br />

neoliberalen Entwicklungen – die Privatisierung<br />

von Bildung und Gesundheit, die<br />

IWF-Politik, die die Preise für Konsumgüter<br />

erhöhte – traf diese in beson<strong>der</strong>em Maße.<br />

Bei <strong>der</strong> Vielzahl geschlossener Betriebe und<br />

brachliegendem Land in Venezuela sehen<br />

sie die Enteignung von Betrieben und Ackerland<br />

<strong>der</strong> Großgrundbesitzer als gesellschaftliche<br />

Notwendigkeit.<br />

Die Mehrheit <strong>der</strong> Bevölkerung befürwortete<br />

die Umverteilungspolitik von Chávez in <strong>der</strong><br />

staatlichen Erdölgesellschaft, die bewirkt,<br />

dass die Erdölgewinne nicht mehr nur unter<br />

<strong>der</strong> Ober- und Mittelschicht verteilt werden.<br />

Deshalb versuchten Teile <strong>der</strong> Ober- und<br />

Mittelschicht im Jahr 2002, die Regierung<br />

Chávez wegzuputschen. Der einfachen Bevölkerung<br />

gelang es in dem Prozess <strong>der</strong><br />

bolivarianischen Revolution, den Putsch zu<br />

verhin<strong>der</strong>n. Heute fließen Teile <strong>der</strong> Erdölgewinne<br />

in die Sozial-, Bildungs- und Gesundheitspolitik.<br />

Kritik in den deutschen Medien gab es auch<br />

an <strong>der</strong> Nichtverlängerung <strong>der</strong> Lizenz eines<br />

privaten Sen<strong>der</strong>s. Im April 2007 lief die Lizenz<br />

des Fernsehsen<strong>der</strong>s RCTV über die Nutzung<br />

öffentlich-rechtlicher Sendefrequenzen<br />

aus. Eine Verlängerung <strong>der</strong> Sendelizenz von<br />

behördlicher Seite fand nicht statt. Demzufolge<br />

konnte <strong>der</strong> private Sen<strong>der</strong> nur noch auf<br />

seine Kabel- und Satellitenfrequenz o<strong>der</strong> Internetübertragung<br />

zurückgreifen. Dennoch<br />

nutzte die Firmenleitung von RCTV dies, um<br />

eine Kampagne für die Pressefreiheit und<br />

gegen die Regierung zu starten. Ein Verbot<br />

des Sen<strong>der</strong>s hatte nie stattgefunden. Das<br />

tatsächliche Verbrechen an <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong><br />

blieb unkommentiert: Die Putschisten von<br />

2002 bedankten sich damals öffentlich bei<br />

RCTV, den Militärputsch durch Berichtsverfälschung<br />

erst ermöglicht zu haben. Gleichzeitig<br />

schlossen die Putschisten den einzigen<br />

staatlichen Sen<strong>der</strong> „Kanal 8“ und setzten die<br />

von <strong>der</strong> Bevölkerung abgestimmte, bolivarianische<br />

Verfassung außer Kraft.<br />

Im Januar 2007 wurde ein Gesetz vom<br />

Parlament verabschiedet, dass dem Präsidenten<br />

eine partielle Legislativgewalt<br />

zuspricht. Dies war für viele Medien, die<br />

es mit „Ermächtigungsgesetz“ übersetzten,<br />

<strong>der</strong> endgültige Beweis für die Diktatur. Die<br />

Berliner Zeitung verglich Chávez mit Goebbels.<br />

Das Gesetz ist nichts Neues in <strong>der</strong> Ge-<br />

Die Putschisten von 2002 bedankten<br />

sich damals öffentlich<br />

bei RCTV, den Militärputsch<br />

durch Berichtsverfälschung erst<br />

ermöglicht zu haben.<br />

schichte Venezuelas, son<strong>der</strong>n seit 1961 das<br />

neunte Gesetz dieser Art; nie gab es deshalb<br />

in den deutschen Medien einen Aufschrei.<br />

Vom Präsidenten erlassene Dekrete können<br />

per Parlamentsbeschluss wi<strong>der</strong>rufen<br />

werden, dies scheint bedeutungslos zu sein.<br />

Chávez begründete diesen Schritt mit dem<br />

Wunsch bestimmte Reformen, wie die Verstaatlichungen<br />

schnell umzusetzen – an <strong>der</strong><br />

Schwerfälligkeit <strong>der</strong> Bürokratie und <strong>der</strong><br />

Korruption <strong>der</strong> eigenen, chavistischen Parlamentarier<br />

vorbei. Chávez kündigte zudem<br />

an, einige Artikel <strong>der</strong> 1999 abgestimmten<br />

Verfassung zu überarbeiten. Unter an<strong>der</strong>em<br />

soll die Legislaturperiode verlängert werden<br />

und die Begrenzung <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>wahl auf<br />

zwei Amtszeiten wegfallen – in Deutschland<br />

gibt es gar keine Beschränkung für die<br />

Wie<strong>der</strong>wahl von Kanzler o<strong>der</strong> Kanzlerin.<br />

Das Geschrei <strong>der</strong> deutschen Medien – „Alleinherrscher<br />

auf Lebenszeit“ – ist dennoch<br />

kaum zu ertragen.<br />

Diese Än<strong>der</strong>ungen mögen problematisch<br />

sein, jedoch hat die venezolanische Bevölkerung<br />

das letzte Wort bei <strong>der</strong> Verfassungsreform.<br />

Sie stimmt diese schließlich ab. Ganz<br />

im Gegensatz zur Europäischen Verfassung,<br />

bei <strong>der</strong>en Ausarbeitung jegliche Volksbeteiligung<br />

fehlte. Lediglich die Bevölkerung<br />

Frankreichs und <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande durften<br />

ihr „Nein“ abgeben.<br />

Venezuela ist durch den massiven Ausbau<br />

demokratischer und sozialer Rechte in <strong>der</strong><br />

bolivarianischen Revolution zum zweitstabilsten,<br />

lebenswertesten Land Lateinamerikas<br />

geworden. Der Bevölkerung werden<br />

unter dem Motto „Volksmacht“ immer mehr<br />

Mitbestimmungsrechte eingeräumt. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

auf kommunaler Ebene werden durch<br />

selbstverwaltete Kommunalräte, künftig<br />

auch durch Arbeiter- und Studierendenräte<br />

in den Betrieben und Universitäten diese in<br />

<strong>der</strong> bolivarianischen Verfassung manifestierten<br />

Rechte umgesetzt. Die Rhetorik <strong>der</strong> Regierung<br />

spielt dabei sicherlich auch eine Rolle:<br />

Denn die Regierung entscheidet durch die<br />

Gel<strong>der</strong>verteilung an die Kommunalen Räte<br />

maßgeblich über Initiativen. Diese sollen nun<br />

mehr Eigenständigkeit erhalten.<br />

Ein weiterer Kritikpunkt <strong>der</strong> Presse war die<br />

Gründung <strong>der</strong> Vereinten Sozialistischen Partei<br />

Venezuelas, PSUV, die sogenannte „Einheitspartei“.<br />

Viele Menschen sehen in <strong>der</strong><br />

PSUV die Möglichkeit, den bisherigen chavistischen<br />

Apparat durch eine Basis zu kontrollieren:<br />

5,6 Millionen Menschen trugen<br />

sich bereits in die Beitrittslisten <strong>der</strong> neuen<br />

PSUV ein. Am 25. August waren etwa 1,5<br />

Millionen bei <strong>der</strong> ersten Nationalversammlung<br />

<strong>der</strong> sozialistischen Basisgruppen in<br />

Caracas vertreten. Von diesen gibt es etwa<br />

18.000, die wie<strong>der</strong>um aus etwa 85 Personen<br />

bestehen. Es gibt Befürchtungen aus <strong>der</strong><br />

Kommunistischen Partei und aus den Gewerkschaften,<br />

die Partei könnte von denjenigen<br />

im chavistischen Lager dominiert werden,<br />

die zwar „milde Gaben an die Armen“,<br />

nicht aber die Selbstaktivität <strong>der</strong> einfachen<br />

Bevölkerung und die Vertiefung des revolutionären<br />

Prozesses wollen. Die Konflikte im<br />

chavistischen Lager über den Charakter des<br />

Prozesses nehmen zu. Der Grad <strong>der</strong> Selbstaktivität<br />

<strong>der</strong> einfachen Bevölkerung wird<br />

entscheidend sein für die Entwicklung <strong>der</strong><br />

Partei und <strong>der</strong> Formen <strong>der</strong> „Volksmacht“.<br />

Eine unkritische Akzeptanz <strong>der</strong> politischen<br />

Entscheidungen im Hinblick auf den revolutionären<br />

Prozess innerhalb Venezuelas ist<br />

gewiss nicht för<strong>der</strong>nd. Eine solidarisch-kritische<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung knüpft allerdings<br />

an an<strong>der</strong>en Punkten als die Mainstream-<br />

Berichterstattung in Deutschland an, die<br />

einfach nur unkritisch die Propaganda <strong>der</strong><br />

Medienbarone und Unternehmervereinigungen<br />

in Venezuela aufgreift. Krampfhaft und<br />

undifferenziert wird die Verbindung Sozialismus<br />

= undemokratisch gezogen. �<br />

Cimim Robati, Maxim Budnikow und Lucia<br />

Schnell sind aktiv in <strong>der</strong> AG Venezuela.<br />

Internationale Medien reduzieren ihre Berichterstattung auf die umstrittene Person des Hugo Chávez, statt über den facettenreichen<br />

Prozess zu informieren, <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Bevölkerung selbst getragen wird.<br />

Chronologie<br />

<strong>der</strong> Bewegung<br />

11<br />

1989 „Caracazo“: Die Frustration <strong>der</strong> armen<br />

Bevölkerung über die neoliberale Politik <strong>der</strong><br />

Regierung Pérez und die massive Inflation<br />

entlädt sich in einem spontanen Aufstand<br />

gegen vom Internationalen Währungsfonds<br />

diktierte Preiserhöhungen. Die Armee<br />

schlägt den Aufstand nie<strong>der</strong> und tötet zwischen<br />

3000 und 6000 Personen.<br />

1992 Versuchter Sturz <strong>der</strong> Regierung Pérez<br />

durch eine Revolte <strong>der</strong> „Jungen Offiziere“<br />

und linker Organisationen. Der Offizier Hugo<br />

Chávez wird zum Symbol des Wi<strong>der</strong>standes.<br />

1998 Wahl von Chávez zum Präsidenten mit<br />

56 % <strong>der</strong> Stimmen.<br />

1999 Verabschiedung <strong>der</strong> neuen Verfassung<br />

<strong>der</strong> bolivarianischen Republik mit weitreichenden<br />

sozialen und demokratischen Rechten<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung.<br />

11.–13. April 2002 Militärputsch mit Unterstützung<br />

<strong>der</strong> Medienkonzerne: Pedro<br />

Carmona, Präsident des Unternehmerverbandes,<br />

entmachtet das Parlament und setzt<br />

die Verfassung außer Kraft. Die einfache Bevölkerung<br />

strömt zu Hun<strong>der</strong>ttausenden auf<br />

die Straße und erreicht die Rückkehr von<br />

Chávez ins Amt.<br />

2003 Ein Boykott <strong>der</strong> Unternehmer und<br />

des Gewerkschaftsverbandes CTV gegen<br />

die Regierung Chávez wird von <strong>der</strong> armen<br />

Bevölkerung und den Beschäftigten zurückgeschlagen:<br />

Sie halten die Erdöl-Produktion<br />

und Lebensmittelversorgung am Laufen und<br />

besetzen Betriebe. Im Folgenden gründet<br />

sich ein neuer Gewerkschaftsdachverband,<br />

die UNT.<br />

2004 Weltsozialforum in Porto Alegre (Brasilien):<br />

Chávez erklärt den „Sozialismus des<br />

21. Jahrhun<strong>der</strong>ts“ zum gesellschaftlichen<br />

Ziel.<br />

2004 Hun<strong>der</strong>ttausende Aktivisten führen<br />

eine Kampagne gegen die von <strong>der</strong> Opposition<br />

angestrebte Amtsenthebung von Chávez.<br />

5 Mio Wahlberechtigte, 58,95 % stimmen für<br />

Chávez.<br />

2006 Auf dem Weltsozialforum in Caracas<br />

kommen zehntausende Aktivisten aus aller<br />

Welt und aus Venezuela unter dem Motto<br />

„Eine an<strong>der</strong>e Welt ist möglich“ zusammen.<br />

2007 Chávez wird zum wie<strong>der</strong>holten Mal im<br />

Amt bestätigt und setzt weitere Verstaatlichungen<br />

im Bereich des Erdöls, <strong>der</strong> Telekom<br />

und <strong>der</strong> Energieversorgung um. Eine neue<br />

Partei mit dem Namen PSUV, Partei <strong>der</strong> sozialistischen<br />

Einheit, soll gegründet werden:<br />

5,6 Millionen Mitglie<strong>der</strong>, 2,8 Mio Frauen und<br />

2,8 Mio Männer, schreiben sich ein. �<br />

DIE LINKE.SDS<br />

goes Venezuela<br />

Die gesellschaftliche Umgestaltung Venezuelas,<br />

das Konzept des „Sozialismus des<br />

21. Jahrhun<strong>der</strong>ts“ und <strong>der</strong> bolivarianische<br />

Reformprozess werden auch im Studierendenverband<br />

DIE LINKE.SDS diskutiert. Internationale<br />

Medien reduzieren sich in ihrer<br />

Berichterstattung auf die umstrittene Person<br />

des Hugo Chávez, statt über den facettereichen<br />

Prozess zu informieren, <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

selbst getragen wird. Deswegen<br />

soll eine dreiwöchige Delegationsreise von<br />

Studierenden von DIE LINKE.SDS dazu genutzt<br />

werden, sich vor Ort ein eigenes Bild<br />

<strong>der</strong> Situation zu verschaffen.<br />

Die Venezuela AG wird in den kommenden<br />

Wochen im Rahmen bundesweiter<br />

Veranstaltungen <strong>der</strong> einzelnen Hochschulgruppen<br />

dazu beitragen, u.a. die Ansätze<br />

zu Staatsorganisation und ökonomischer<br />

Selbstverwaltung, wie sie in Venezuela<br />

umgesetzt werden, kritisch zu hinterfragen.<br />

Theoretischen Hintergrund liefert dazu einführende<br />

und kontroverse Literatur, die in<br />

einem Rea<strong>der</strong> zusammengestellt wurde. Info<br />

und Bestellung: www.linke–sds.org �


supmarilore<br />

12 Venezuela<br />

Revolutionäre Hochschule<br />

Nach einer radikalen Bildungsreform können in Venezuela auch arme Menschen studieren<br />

„Bildung für alle“ hat sich die Bolivarianische<br />

Revolution auf die Fahnen und<br />

in die Verfassung geschrieben: von <strong>der</strong><br />

Kita bis zur Hochschule kostenlos vom<br />

Staat angeboten.<br />

Bis in die 1990er Jahre war das an<strong>der</strong>s. Der<br />

Staat schränkte seine Angebote immer weiter<br />

ein, überließ es den Schulen gar, Gebühren<br />

zu erheben. Immer mehr Kin<strong>der</strong> mussten<br />

die sechsjährige Grund schule abbrechen.<br />

Das Ergebnis waren knapp zehn Prozent<br />

Analphabetismus und eine Schulabbruchrate<br />

von etwa 80 Prozent. Die Mehrheit <strong>der</strong><br />

Bevölkerung erreichte die Hochschulreife<br />

nicht. Die staatlichen Hochschulen hatten zudem<br />

scharfe Eingangsprüfungen eingeführt,<br />

die fast nur Kin<strong>der</strong> mit Privatschulabschluss<br />

aus <strong>der</strong> Ober- und Mittelschicht schafften. So<br />

blieb 500.000 Personen mit Hochschulreife<br />

<strong>der</strong> Weg an die Uni versperrt.<br />

Venezuela hat viele Rohstoffe, etwa Öl und<br />

Gas. Statt die aus dem Verkauf <strong>der</strong> Rohstoffe<br />

erzielten Reichtümer wie bisher innerhalb<br />

<strong>der</strong> Elite des Landes zu verteilen, wird seit<br />

mehreren Jahren ein Großteil <strong>der</strong> Einnahmen<br />

in den Aufbau einer produktiven Wirtschaft,<br />

in soziale Sicherungssysteme sowie<br />

in die Bildung investiert. Ziel ist, Bildung,<br />

Gesundheit und staatliche Unternehmen<br />

nicht um <strong>der</strong> Wirtschaft willen zu för<strong>der</strong>n,<br />

son<strong>der</strong>n um die Bedürfnisse <strong>der</strong> Menschen<br />

zu befriedigen und insbeson<strong>der</strong>e die gemeinschaftlichen<br />

und kulturellen Leistungen<br />

weiterzuentwickeln.<br />

Die ersten Programme nach Verabschiedung<br />

<strong>der</strong> neuen Verfassung 1999 än<strong>der</strong>ten<br />

zunächst wenig an <strong>der</strong> Bildungsmisere;<br />

die staatliche, korrupte Bürokratie wusste<br />

einschneidende Reformen erfolgreich zu<br />

verhin<strong>der</strong>n. Um das Bildungssystem auszubauen,<br />

begann die Regierung ab 2003,<br />

mit den Erdölgel<strong>der</strong>n die großen sozialen<br />

Programme, die so genannten „Misiones“,<br />

parallel zur traditionellen Verwaltung<br />

einzuführen: Über 1,5 Millionen Menschen<br />

lernten mit kubanischer Unterstützung<br />

Lesen und Schreiben. Ein Großteil davon<br />

schließt heute, nach dem Besuch flächendecken<strong>der</strong><br />

und unbürokratisch eingerichteter<br />

Abendschulen, die Grundschule ab. Für<br />

Millionen BürgerInnen ohne Hochschulreife<br />

steht ein Programm zum Erwerb des Abiturs<br />

Seit 2005 ist Venezuela frei von<br />

Analphabetismus<br />

bereit, das bereits mehrere Hun<strong>der</strong>ttausend<br />

erfolgreich durchlaufen haben. 2005 wurde<br />

Venezuela von <strong>der</strong> UNESCO als „frei von<br />

Analphabetismus“ bezeichnet.<br />

Auf die gleiche Art entstand 2004 die Bolivarianische<br />

Universität (UBV), mit über<br />

250.000 Studierenden die größte des Landes.<br />

In jedem Landkreis wurden dazu Studienorte<br />

eingerichtet, damit die Studierenden nicht<br />

in eine <strong>der</strong> teuren Hochschulstädte ziehen<br />

müssen. Zugleich entstand eine Vielzahl<br />

neuer Studiengänge, die sich stärker an den<br />

praktischen Bedürfnissen <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

orientieren als an <strong>der</strong> traditionellen akademischen<br />

Laufbahn, so zum Beispiel Studiengänge<br />

für HausärztInnen, GrundschullehrerInnen,<br />

Umweltverwaltung, Sozialarbeit.<br />

Aber auch <strong>der</strong> Großteil <strong>der</strong> bestehenden<br />

staatlichen Hochschulen öffnete sich. Die<br />

ehemalige Elitehochschule des Militärs, UN-<br />

EFA, die überwiegend zivile Studiengänge<br />

anbot, hat die Zahl <strong>der</strong> Studierenden seit<br />

1999 etwa verzehnfacht, auf heute mehr als<br />

250.000. Neben sozialen kann man hier vor<br />

allem ingenieur- und naturwissenschaftliche<br />

Studiengänge studieren, die die UBV nicht<br />

anbietet. Zu diesem Zweck wurden die Kasernen<br />

und Militärgebäude im ganzen Land<br />

für zivile Studienzwecke geöffnet. Allein die<br />

elitären staatlichen „autonomen Hochschulen“<br />

haben ihre Zugänge kaum erweitert. Sie<br />

sind <strong>der</strong> Hort bürgerlicher Eliten wie auch<br />

überwiegend <strong>der</strong> Opposition geblieben.<br />

Mit <strong>der</strong> Eröffnung von 50 neuen Hochschulen<br />

bzw. universitären Instituten in den<br />

nächsten zwei Jahren wird die Bildungslücke<br />

quantitativ auch im natur- und ingenieurwissenschaftlichen<br />

Bereich geschlossen.<br />

Es stehen nun qualitative Verbesserungen<br />

an den Bildungseinrichtungen auf dem Programm.<br />

Sie werden einer radikalen Reform<br />

unterworfen, die zum Ziel hat, kritische,<br />

gesellschafts- und praxisorientierte Bildung<br />

zum Standard zu erheben und zugleich die<br />

Ausstattung <strong>der</strong> lange vernachlässigten<br />

(Hoch-)Schulen auf das Niveau des Nordens<br />

zu bringen. Statt wie bisher Lehrpläne vorzuschreiben,<br />

sollen die am Bildungsprozess<br />

Beteiligten die Lehrinhalte stärker an ihren<br />

regionalen Bedürfnissen und Gegebenheiten<br />

ausrichten. Technische und landwirtschaftliche<br />

Oberschulen werden gegründet,<br />

Schulen und Hochschulen sollen realitätsnäher<br />

ausbilden. Für das Studium heißt das<br />

beispielsweise, dass ab dem ersten Semester<br />

bis zur Hälfte <strong>der</strong> Zeit Projektarbeit ansteht.<br />

Die soziale Selektion während des Studiums<br />

ist dadurch erheblich zurückgegangen und<br />

es werden weniger praxisferne TheoretikerInnen<br />

ausgebildet.<br />

Der Bevölkerung werden immer mehr Mitbestimmungsrechte<br />

eingeräumt. So sollen nun<br />

auch Studierendenräte gegründet werden.<br />

Überall in Venezuela ist in den letzten Jahren<br />

zu spüren und zu sehen, wie Menschen, die<br />

sich bisher in politischer Apathie befunden<br />

haben, kritische kollektive Eigeninitiative<br />

entwickeln.<br />

Sehr spät hat dieses Feuer jetzt auch die<br />

Studierenden erfasst – ironischerweise im<br />

Simón Bolívar neben Che Guevara. Weiter oben steht: „Die Universität ist kein Privateigentum, son<strong>der</strong>n gehört <strong>der</strong> Bevölkerung.“<br />

Kontext <strong>der</strong> Proteste gegen die Nichtverlängerung<br />

<strong>der</strong> Sendelizenz für den Privatsen<strong>der</strong><br />

RCTV. Indem RCTV und an<strong>der</strong>e Privatsen<strong>der</strong><br />

Studierendenproteste an den Eliteunis gegen<br />

Chávez medial geradezu heraufbeschworen,<br />

kam Bewegung in die zahlenmäßig bedeutsamere,<br />

dem revolutionären Prozess positiv<br />

gesinnte Jugend. Zum ersten Mal seit Beginn<br />

<strong>der</strong> Bewegung werden in erheblichem<br />

Überall entwickeln bisher<br />

politisch passive Menschen<br />

kollektive Eigeninitiative<br />

Umfang Bildungsreformen und Selbstorganisation<br />

unter Studierenden ernsthaft und in<br />

breitem Maßstab diskutiert.<br />

Natürlich läuft auch in Venezuela nicht<br />

alles so geschliffen, wie <strong>der</strong> abstrakte Blick<br />

es vielleicht beschreibt. Korruption, Bürokratismus<br />

und Unfähigkeit <strong>der</strong> Verwaltung<br />

stellen große Probleme dar. Dennoch ist<br />

die Umorientierung vom Neoliberalismus<br />

zum Humanismus überall deutlich sichtbar.<br />

Und davon können nicht zuletzt auch wir<br />

lernen: Indem wir uns die Frage stellen, wozu<br />

Bildung dient, welches Menschenbild hinter<br />

unserer Wirtschaftsordnung, hinter unseren<br />

Studiengängen steckt. Indem wir uns fragen,<br />

was unser erlerntes Wissen eigentlich mit<br />

den konkreten Bedürfnissen <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

zu tun hat. Indem wir, die wir in einer<br />

Welt leben, die technisch alle wesentlichen<br />

Bedürfnisse <strong>der</strong> Menschen erfüllen kann,<br />

endlich wie<strong>der</strong> die Frage <strong>der</strong> Aufhebung <strong>der</strong><br />

Entfremdung sowie <strong>der</strong> Demokratisierung<br />

von Arbeit und Lernen stellen. �<br />

Heiner Fechner, ehemaliger AStA-Sprecher<br />

<strong>der</strong> Uni Trier und fzs-Vorstand, war 2007<br />

auf Studienreise in Venezuela


FREEPAL<br />

Banksy–Werk an den israelischen Sperranlagen. Über die Identität des britischen Street Art–Künstlers ist fast nichts bekannt.<br />

Banksy: Street Art zwischen<br />

Kritik und Markt<br />

Banksy ist vielleicht <strong>der</strong> bekannteste<br />

Street Art-Künstler – und einer <strong>der</strong> explizit<br />

politischsten.<br />

Die cartoonartigen Schablonen-Sprühereien,<br />

mit denen <strong>der</strong> britische Künstler London<br />

überzieht, finden sich mittlerweile auch in<br />

Chiapas, den von den Zapatistas kontrollierten<br />

Gebieten in Mexiko, o<strong>der</strong> in Palästina<br />

wie<strong>der</strong>. Mit einer Mischtechnik, bei <strong>der</strong> er<br />

Schablonen-Sprühereien mit freier Malerei<br />

und Landschaftstapen kombinierte, bearbeitete<br />

Banksy großflächig die israelischen<br />

Sperranlagen im Gaza-Streifen, die die besetzten<br />

Gebiete abtrennen. Banksys Bil<strong>der</strong><br />

zeigen Kin<strong>der</strong>, die ein Loch in die Mauer<br />

geschlagen haben, o<strong>der</strong> ein kleines Mädchen,<br />

das von Luftballons über die Mauer<br />

getragen wird. Die Mauer, so Banksy, lasse<br />

Palästina zum „größten Freiluft-Gefängnis<br />

<strong>der</strong> Welt“ werden – und „dem ultimativen<br />

Ferienziel für Graffiti-Künstler“. Banksys<br />

Interventionen gehen oftmals über Graffiti-<br />

Arbeiten hinaus. Im Disneyland in Florida<br />

kettete er eine Gummipuppe mit übergestreiftem<br />

Guantanamo-Overall neben eine<br />

Achterbahn, so dass die Besucher den Eindruck<br />

hatten, einen Guantanamo-Häftling<br />

neben <strong>der</strong> Achterbahn gesehen zu haben.<br />

Markenzeichen von Banksys Sprühereien<br />

sind neben kraftvoller grafischer Einfachheit<br />

sein Gespür für Satire. So sprühte er etwa<br />

schwer bewaffnete Polizei in Kampfmontur<br />

mit Smiley-Gesichtern, Kampfhubschrauber<br />

mit rosaroten Schleifen o<strong>der</strong> ein Portrait<br />

<strong>der</strong> Queen mit Affengesicht. Im Londoner<br />

Zoo sprühte er in <strong>der</strong> Nacht auf die Mauern<br />

des Pinguin-Geheges in zwei Meter großen<br />

Buchstaben: „We are bored of fish“ o<strong>der</strong><br />

im Elefanten-Gehege in einem an<strong>der</strong>en Zoo<br />

‘‘I want out. This place is too cold. Keeper<br />

smells. Boring, boring, boring.“<br />

„Wenn man in eine Kunstgalerie<br />

geht, ist man nur ein Tourist,<br />

<strong>der</strong> sich die Trophäen von<br />

ein paar Millionären ansieht.“<br />

An<strong>der</strong>e Interventionen von Banksy zielten<br />

auf die Kunstwelt selbst. So schmuggelte er<br />

seine Bil<strong>der</strong> in einige <strong>der</strong> bekanntesten Museen.<br />

Das Bild einer Billig-Tomatensuppendose<br />

im Warhol-Stil hing etwa sechs Tage<br />

im Museum of Mo<strong>der</strong>n Art in New York. Im<br />

Louvre brachte er eine Mona Lisa mit Smiley<br />

an. Banksys Aktionen stellen die etablierten<br />

Kunstinstitutionen in Frage: „Die Kunst, die<br />

wir sehen, wird nur von einer ausgewählten<br />

Min<strong>der</strong>heit gemacht,“ argumentiert Banksy.<br />

„Es ist eine kleine Gruppe, die Kunst schafft,<br />

för<strong>der</strong>t und erwirbt. Ein paar hun<strong>der</strong>t Leute<br />

entscheiden über ihren Erfolg. Wenn man in<br />

eine Kunstgalerie geht, ist man nur ein Tourist,<br />

<strong>der</strong> sich die Trophäen von ein paar Millionären<br />

ansieht.“ „Bushaltestellen,“ findet<br />

Banksy, „sind wesentlich interessantere und<br />

nützlichere Plätze für Kunst als Museen.“<br />

In einer Gesellschaft, in <strong>der</strong> <strong>der</strong> urbane Raum<br />

von kommerzieller Werbung geprägt ist und<br />

Kunst fast ausschließlich in teuren Galerien<br />

o<strong>der</strong> Museen stattfindet, stellt Street Art die<br />

Frage nach <strong>der</strong> Zugänglichkeit von Kunst<br />

und <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>aneignung <strong>der</strong> Straße. In<br />

dieser Hinsicht ist Street Art eng mit <strong>der</strong><br />

„Adbusting“-Bewegung verwandt, die kommerzielle<br />

Werbung subversiv verän<strong>der</strong>t.<br />

„The freedom of not being sold“ sprühte<br />

Banksy über eine von ihm weiß übermalte<br />

Plakatfläche und den Slogan „Another crap<br />

advert“ auf eine Brücke im East End. „Auf<br />

einem niedrigen Level ist Graffiti immer Dissens,“<br />

so Banksy, „aber Schablonen-Graffiti<br />

haben eine beson<strong>der</strong>e Geschichte. Mit ihnen<br />

fingen Revolutionen an und wurden Kriege<br />

Kultur 13<br />

gestoppt. Allein durch ihren Style sehen<br />

sie politisch aus.“ Nicht ohne Grund fällt<br />

das aufkommende Interesse an Street Art<br />

zusammen mit dem Entstehen <strong>der</strong> globalisierungskritischen<br />

Bewegung. Schablonen,<br />

leicht zu reproduzieren und von starker<br />

„Mit Graffiti fingen<br />

Revolutionen an und wurden<br />

Kriege gestoppt.“<br />

Symbolik, sind ein effektives Medium für<br />

politisches Graffiti. Die Metaphorik <strong>der</strong> heutigen<br />

Schablonen-Graffiti ist oft beeinflusst<br />

von den politischen Postern, die während<br />

<strong>der</strong> 68er–Bewegung in Frankreich entstanden<br />

sind. Mai ‘68 waren ganze Straßenzüge<br />

<strong>der</strong> Pariser Innenstadt mit Plakaten gepflastert,<br />

die kollektiv produziert worden waren.<br />

Die Arbeiten Banksys finden mittlerweile<br />

weit über die Szene hinaus Beachtung. Als<br />

neulich wie<strong>der</strong> ein Banksy-Graffiti von den<br />

Londoner Reinigungskräften entfernt wurde,<br />

berichteten empört die internationalen<br />

Medien. Der britische Observer warnte<br />

seine Leser, ein Banksy-Graffiti nicht zu<br />

entfernen. Das Graffiti steigere den Wert<br />

<strong>der</strong> Immobilien. In Bristol wurde ein mit<br />

einem Banksy-Graffíti besprühtes Haus von<br />

findigen Eigentümern auf dem Kunstmarkt<br />

verkauft – als Kunstwerk mit Haus und<br />

Mobiliar als Zugabe. In dem exklusiven<br />

Auktionshaus Sotheby’s erzielten Banksy-<br />

Werke schon über 100.000 Pfund. Angeblich<br />

sammeln zum Beispiel Brad Pitt und<br />

Angelina Jolie Werke von Banksy. Selbst<br />

die FAZ ist begeistert. Frank Schirrmacher,<br />

Mitherausgeber <strong>der</strong> konservativen Zeitung,<br />

kürte Banksy in einem 2-Seiten-Artikel zur<br />

Leitfigur eines „neuen Kapitels <strong>der</strong> Kunstgeschichte“.<br />

Tatsächlich ist Street Art mittlerweile auch<br />

eine neue hippe Sparte im Kunstmarkt<br />

geworden. Über den „großen Aufbruch <strong>der</strong><br />

Bil<strong>der</strong> von außen nach innen“ freut sich<br />

Schirrmacher in <strong>der</strong> FAZ. Weil er seine<br />

Werke in Galerien verkauft, gilt Banksy für<br />

Einige als Sell Out. In New York wurden<br />

gar Street Art-Graffiti, darunter auch Werke<br />

von Banksy, mit Farbbomben zerstört.<br />

Viele Künstler benutzten Street Art nur<br />

als Sprungbrett in die Galerien und für<br />

kommerzielle Auftragsarbeiten, so die Kritik.<br />

Mit Street Art versuchten die Künstler<br />

„Street Art“ ist mittlerweile<br />

Bestandteil <strong>der</strong> Marketing-Strategie<br />

multinationaler Konzerne.<br />

sich „Street Credibility“ zu verschaffen, um<br />

anschließend in exklusiven Galerien auszustellen<br />

o<strong>der</strong> lukrative Aufträge für Guerilla-<br />

Werbe-Kampagnen an Land zu ziehen. Denn<br />

Graffiti ist auch Bestandteil <strong>der</strong> Marketing-<br />

Strategie multinationaler Konzerne. Nicht<br />

zum ersten Mal wird so subkulturelle Kreativität<br />

durch den <strong>Kapitalismus</strong> vereinnahmt.<br />

Banksy scheint sich dieses Wi<strong>der</strong>spruchs<br />

durchaus bewusst: „Es ist faszinierend, wie<br />

<strong>der</strong> <strong>Kapitalismus</strong> selbst für seine Gegner einen<br />

Platz findet. Die Wi<strong>der</strong>stands-Industrie<br />

boomt <strong>der</strong>zeit.“ Banksy weiter: „Ich glaube<br />

nicht, dass es möglich ist, Kunst über die<br />

Armut in <strong>der</strong> Welt zu machen und sich dann<br />

die ganze Kohle in die Tasche zu stecken.<br />

Diese Ironie geht selbst mir zu weit.“ Trotz<br />

des Mechanismus <strong>der</strong> Vereinnahmung, <strong>der</strong><br />

auch vor Graffiti keinen Halt macht: Street<br />

Art deutet die Möglichkeit einer Kunst an,<br />

die integraler Bestandteil des Alltags ist –<br />

und für alle zugänglich. �<br />

Jonas Rest


14 DIE LINKE.SDS<br />

Mach mit bei DIE LINKE.SDS<br />

Gerade erst seit drei Monaten gibt es den Sozialistisch-Demokratischen Studierendenverband DIE LINKE.<br />

SDS. Bereits jetzt haben sich an über vierzig Hochschulen Gruppen gegründet. Hier berichten vier Studierende<br />

von den Aktivitäten vor Ort.<br />

Nein zum Krieg Freie Bildung<br />

Seit November 2006 engagiere ich mich<br />

in <strong>der</strong> Hochschulgruppe DIE LINKE.SDS<br />

Leipzig. Ich wollte längerfristig politisch<br />

aktiv werden und vor allem linke Politik in<br />

die Uni tragen.<br />

Im vergangenen Semester haben wir eine<br />

Vorlesungsreihe zu Marxismus und Neoliberalismus<br />

und einen Marx-Lesekreis auf<br />

die Beine gestellt. Beides stieß auf große<br />

Resonanz unter <strong>der</strong> Studierendenschaft<br />

und unsere Gruppe verdoppelte sich auf 15<br />

Aktive.<br />

Im Vorfeld <strong>der</strong> Demo gegen den Einsatz in<br />

Afghanistan am 15. September in Berlin<br />

haben wir versucht, vor Ort zu mobilisieren.<br />

Wir organisierten einen Bus, Informationsstände,<br />

eine Podiumsdiskussion, arbeiteten<br />

eng mit lokalen Friedensgruppen zusammen<br />

und veröffentlichten kleinere Artikel in<br />

lokalen Zeitungen, um den Afghanistankrieg<br />

in die Debatte zu bringen.<br />

Die Zeit <strong>der</strong> Mobilisierung gestaltete<br />

sich allerdings schwierig, da die meisten<br />

Studierenden in den Ferien waren. Das<br />

Bündnis gegen den Afghanistaneinsatz wird<br />

aber weiter arbeiten. Es ist zum Beispiel ein<br />

Afghanistankongress in Planung, an dem<br />

wir uns beteiligen wollen.<br />

Zudem sind wir mit <strong>der</strong> Vorbereitung <strong>der</strong><br />

DIE LINKE.SDS Delegiertenkonferenz im<br />

Dezember in Leipzig beschäftigt und planen<br />

eine Veranstaltung zum Thema „Hochschulen<br />

in Venezuela“. �<br />

Jana Werner studiert Sinologie in Leipzig<br />

Marx trifft Keynes<br />

Im Dezember 2005 trat die Hochschulgruppe<br />

Die Linke.[’solid] an <strong>der</strong> Universität zu Köln<br />

erstmals zu den Wahlen zum Studierendenparlament<br />

an und holte auf Anhieb drei von<br />

51 Sitzen. Dabei hatte sie sich erst etwa<br />

zwei Wochen zuvor gegründet, nachdem<br />

rund 30 Personen, unter ihnen viele Jusos,<br />

aus <strong>der</strong> SPD austraten. Daneben waren an<br />

<strong>der</strong> Gründung Sozialisten von [’solid] Köln,<br />

junge Menschen aus <strong>der</strong> WASG, <strong>der</strong> globalisierungskritischen<br />

Bewegung und ohne<br />

politische Vorgeschichte beteiligt.<br />

Analog zu <strong>der</strong> bunten Zusammensetzung<br />

verhält sich die breite inhaltliche Ausrichtung<br />

<strong>der</strong> Gruppe. So gründete sie gemeinsam<br />

mit an<strong>der</strong>en linken Hochschulgruppen<br />

die Initiative Neue Soziale Planwirtschaft,<br />

um <strong>der</strong> neoklassischen Vorherrschaft in <strong>der</strong><br />

Lehre an <strong>der</strong> Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen<br />

Fakultät Paroli zu bieten. In<br />

diesem Rahmen wurden Wissenschaftler<br />

vor allem aus dem Bereich <strong>der</strong> alternativen<br />

Wirtschaftspolitik eingeladen. Zum Beispiel<br />

referierte Prof. Gerd Bosbach über die Ursachen<br />

<strong>der</strong> Demografie-Problematik vor allem<br />

in <strong>der</strong> deutschen Lohnpolitik und Prof.<br />

Herbert Schui stellte das Memorandum<br />

2006 „Mehr Beschäftigung braucht eine<br />

an<strong>der</strong>e Verteilung“ vor.<br />

In verschiedenen Veranstaltungen wurde die<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Linkspartei in Deutschland<br />

diskutiert — bei einer Podiumsdiskussion<br />

zwischen Ulla Lötzer und Alexan<strong>der</strong> Recht<br />

und in ihrem europäischen Zusammenhang<br />

bei <strong>der</strong> Speakers’ Tour „Die neue Linke in<br />

Europa“. �<br />

Dominik Düber studiert Philosophie und<br />

Osteuropastudien in Köln.<br />

Das Jahr 2007 hat für die Universität<br />

Freiburg gleich zwei Jubiläen parat: 550<br />

Jahre alt und seit 30 Jahren ganz ohne<br />

Mitbestimmung <strong>der</strong> Studierenden. DIE<br />

LINKE.SDS protestierte gegen diese Feier<br />

zusammen mit an<strong>der</strong>en unter dem Motto<br />

„Sie feiern, wir zahlen“. Das Jubiläum steht<br />

exemplarisch für die Entwicklung, die die<br />

Freiburger Universität in den nächsten<br />

Jahren nehmen soll. Eine Demonstration<br />

<strong>der</strong> Studierenden und des Personalrats im<br />

Juli während des Uni-Jubiläums war ein<br />

wichtiger Anfang. Im Herbst jährt sich das<br />

Verbot einer verfassten Studierendenschaft,<br />

wie es in Baden-Württemberg und Bayern<br />

seit 1977 besteht. Verschiedene Aktionen<br />

stehen zu diesem Anlass in Aussicht.<br />

Studierende und Beschäftigte wollen dann<br />

zusammen die Frage stellen: Wessen Uni ist<br />

die Uni? � Barbara Fath studiert Ägyptologie<br />

in Freiburg<br />

.


Busse für alle<br />

In unserem Studierendenparlament waren<br />

nur die Jusos, Grüne, die Junge Union und<br />

die traditionell starke Liste (Neo-) Liberaler<br />

Campus vertreten. So sollte es in <strong>der</strong> Grenzstadt<br />

zu Polen, in <strong>der</strong> die Linkspartei Umfragewerte<br />

von bis zu 25 Prozent erreicht, nicht<br />

bleiben. Sechs Studentinnen und Studenten<br />

trafen sich am Anfang des Sommersemesters<br />

2007, um einen Neuanfang zu wagen. Wir<br />

begannen, die Gruppe auf dem Campus<br />

bekannt zu machen. Am erfolgreichsten war<br />

eine Veranstaltung gegen den G8-Gipfel mit<br />

dem Bundestagsabgeordneten <strong>der</strong> Linken,<br />

Wolfgang Gehrcke, in <strong>der</strong> Woche vor den<br />

Protesten in Heiligendamm. Rund 30 Studierende<br />

interessierten sich vor allem für<br />

die Hintergründe <strong>der</strong> Kriegspolitik <strong>der</strong> G8.<br />

Im StuPa-Wahlkampf for<strong>der</strong>ten wir „freie<br />

Bildung für alle“ und die konsequente Ablehnung<br />

von Studiengebühren. Wir erreichten<br />

23 Prozent <strong>der</strong> Stimmen und wurden damit<br />

zur drittstärksten Kraft im StuPa. Beson<strong>der</strong>s<br />

wichtig war vielen Studierenden unsere<br />

For<strong>der</strong>ung nach einer grenzüberschreitenden<br />

Buslinie nach Slubice (Polen), das direkt an<br />

Frankfurt grenzt.<br />

Obwohl es ein Unigebäude in Kooperation<br />

mit <strong>der</strong> Adam-Mickiewicz-Universität Poznan<br />

und ein Wohnheim in Slubice gibt, wurde<br />

bisher kein grenzüberschreiten<strong>der</strong> ÖPNV<br />

eingerichtet. Viele Pendler und Studierende<br />

müssen daher immer noch täglich die Grenze<br />

zu Fuß überqueren.<br />

Im AStA sind wir mit einem Referenten vertreten.<br />

Wir for<strong>der</strong>n eine öffentliche Buslinie<br />

für alle Bürger. Es bleibt noch viel zu tun,<br />

um seitens <strong>der</strong> Studierenden Druck auf die<br />

Verantwortlichen <strong>der</strong> Stadt auszuüben. �<br />

Robert Richter studiert Politikwissenschaft<br />

in Frankfurt/O<strong>der</strong>.<br />

Die Herbstakademie des Studierendenverbandes<br />

bildete den politischen Auftakt für<br />

das kommende Wintersemester. Während<br />

<strong>der</strong> letzten Septemberwoche trafen sich in<br />

<strong>der</strong> Nähe Bielefelds etwa 90 Studierende<br />

und kritische Wissenschaftler, um sich<br />

in Workshops und Diskussionen mit dem<br />

Thema <strong>Kapitalismus</strong> auseinan<strong>der</strong>zusetzen.<br />

Drei Tage lang diskutierten wir über<br />

Analyse, Kritik und linke Gegenstrategien<br />

im Zeitalter des Neoliberalismus. Der marxistische<br />

Marburger Politologe Frank Deppe<br />

und Heiner Flassbeck (Chef-Ökonom <strong>der</strong><br />

UNCTAD) machten den Anfang.<br />

Auf Einstiegsseminare über Revolutionstheorien,<br />

Imperialismus o<strong>der</strong> Kritik <strong>der</strong><br />

politischen Ökonomie folgten Workshops<br />

zu Geschlechterverhältnissen, Ökologie und<br />

gewerkschaftlichen Organizing–Modellen.<br />

Auch die bundesweiten Arbeitsgruppen des<br />

Verbandes trafen sich, um das weitere politische<br />

Vorgehen zu beratschlagen. So wird<br />

sich <strong>der</strong> LINKE.SDS – als ein Bestandteil<br />

Auch an deiner Hochschule – DIE LINKE.SDS<br />

AACHEN: FHTW Aachen Kontakt:<br />

Marco Hennigs. E-Mail: marco@<br />

marco-hennigs.de � AUGSBURG:<br />

Kontakt: www.linke–sds.org �<br />

BAMBERG: Kontakt: Arthur Murphy.<br />

E-Mail: sds–bamberg@gmx.de Telefon:<br />

0951/2096395 � BERLIN FU: SDS–<br />

DIE LINKE FU Kontakt: Georg Frankl.<br />

E-Mail: g.frankl@gmx.net Telefon:<br />

0177 600 27 25 � BERLIN HU: SDS.<br />

DIE LINKE HU Kontakt: Julia Dück.<br />

E-Mail: dielinke.hu@web.de Telefon:<br />

0176/239 32 884 � BERLIN TFH:<br />

Oregano und Pott Kontakt: Anja Gadow.<br />

E-Mail: anja.gadow@solid-web.de<br />

� BERLIN TU: LINKE.SDS TU Berlin<br />

Kontakt: Sebastian Koch. E-Mail:<br />

sebastian.koch@gmail.com Telefon:<br />

0176 / 60 89 45 43 Homepage: http://<br />

www.dielinke-tu.de/ � BIELEFELD:<br />

SDS Bielefeld Kontakt: Laura Dittmar.<br />

E-Mail: sdsbielefeld@yahoo.de �<br />

BOCHUM: LINKE.SDS RUB Kontakt:<br />

Sarah Nagel. E-Mail: sarah_nagel@<br />

gmx.de Telefon: 0176 63114249 �<br />

BONN: DIE LINKE.SDS Bonn Kontakt:<br />

Hauke Feickert. E-Mail: dielinke.<br />

hsg-bonn@gmx.de � BREMEN: SDS<br />

Bremen Kontakt: Felix Pithan. E-Mail:<br />

felix.pithan@gmx.net � DARMSTADT<br />

FH: SDS-HDA Kontakt: Frank Ritz. E-<br />

Mail: fr@nk-ritz.de Telefon: 0178 372<br />

44 45 � DARMSTADT TU: Linke.TU<br />

Kontakt: Pazhareh Heidari. E-Mail:<br />

pazhareh@gmx.de Telefon:0176-<br />

21917357 � DRESDEN: DIE LINKE<br />

HOCHSCHULGRUPPE Kontakt:<br />

Kristin Hofmann E-Mail: hsg-dresden@<br />

linksmail.de Telefon: 0174 345 49 37<br />

Homepage: www.linke-hsg-dresden.<br />

de � DUISBURG/ESSEN: Linke.<br />

SDS Duisburg/Essen Kontakt: Oliver<br />

Opitz. E-Mail: oliver.opitz@gmail.<br />

com Telefon: 0177 6304878 �<br />

ERFURT: ROT Erfurt/ DIE LINKE.SDS<br />

Kontakt: Robert Blättermann. E-Mail:<br />

Robert_Bl@web.de Telefon: 0162 951<br />

58 37 � FRANKFURT/MAIN: DIE<br />

LINKE.SDS Uni FfM Internet: http://<br />

dielinke.sds-ffm.de E-Mail: dielinke.<br />

sds@gmx.de Kontakt: Serdar Damar.<br />

(serdar.damar@yahoo.de Telefon:<br />

0179 682 37 00 Kai Kretzschmar<br />

(kaikre@gmx.de Telefon: 0177 719<br />

18 18 � FRANKFURT/ODER HSG:<br />

Die Hochschulen zum Tanzen bringen<br />

seiner hochschulpolitischen For<strong>der</strong>ungen<br />

– einer Kampagne zur Verbesserung <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong>betreuung an Universitäten widmen<br />

und hat hochschulpolitische For<strong>der</strong>ungen<br />

ausgearbeitet, zu denen in den nächsten<br />

Wochen Material erstellt wird. Im Frühjahr<br />

2008 veranstaltet <strong>der</strong> LINKE.SDS eine<br />

Delegationsreise nach Venezuela, um von<br />

den Entwicklungen des bolivarianischen<br />

Prozesses zu lernen. Während des Wintersemesters<br />

werden wir hierfür vorbereitende<br />

Seminare anbieten.<br />

Der Mai nächsten Jahres stellt ein historisches<br />

Jubiläum dar. Vierzig Jahre nach <strong>der</strong><br />

Studierendenrevolte von Rudi Dutschke und<br />

dem SDS wird <strong>der</strong> Studierendenverband<br />

einen 68er-Kongress ausrichten.<br />

Zum Wintersemester 2008/09 wollen wir<br />

Marx zurück an die Uni holen. Da kritische<br />

Wissenschaften immer weiter zurückgedrängt<br />

werden, bereiten wir eine „Kapital–<br />

Lesebewegung“ vor, während <strong>der</strong> sich die<br />

Hochschulgruppen mit Marx’ politischer<br />

Ökonomie beschäftigen. �<br />

DIE LINKE. Viadrina HSG Kontakt:<br />

Robert Richter. E-Mail: sushibob@<br />

web.de Telefon: 0163 98 71 205<br />

� FREIBURG: LINKE.SDS Freiburg<br />

Kontakt: Julia Maisenbacher.<br />

E-Mail: Julia.Maisenbacher@web.de<br />

Telefon: 0761/3846090 Homepage:<br />

http://sds.dielinke-freiburg.de �<br />

GIEßEN: Demokratische Linke Gießen<br />

(assoziiertes Mitglied) Kontakt:<br />

Antonia Capito. E-Mail: antonia.<br />

capito@gmx.de � GÖTTINGEN:<br />

LINKE.SDS Göttingen Kontakt: Julia<br />

Focks. E-Mail julia.focks@gmx.net<br />

� HALLE: Kontakt: Hendrik Lange.<br />

E-Mail: buero@hendriklange.de<br />

Telefon: 0345 470 16 78 � HAM-<br />

BURG: DIE LINKE.WASG Kontakt:<br />

Christoph Timann. E-Mail: timann@<br />

gmx.de Telefon: 0177 835 90 13 �<br />

HAMBURG: Liste Links Kontakt:<br />

Till Petersen. E-Mail: till_petersen@<br />

public.uni-hamburg.de Telefon: 040<br />

29 89 04 75 � HANNOVER: Linke.<br />

PDS Hochschulgruppe Hannover<br />

Kontakt: Markus Hintze. E-Mail:<br />

markus_hintze@gmx.de Homepage:<br />

www.pds-hsg-hannover.de �<br />

HANNOVER: SDS Hannover E-Mail:<br />

info@linke-sds-hannover.de Homepage:<br />

http://www.sds-hannover.<br />

de � HEIDELBERG Linke.SDS Heidelberg:<br />

Kontakt: Pablo Klinkisch.<br />

E-mail: pklinkisch@hotmail.com Tel:<br />

06221/6394946 � JENA: LINKE.<br />

SDS/ROT Jena Kontakt: Christian<br />

Götze. E-Mail: christians_adresse@<br />

web.de � KARLSRUHE: Kontakt:<br />

Daniel Bruns. E-Mail: karlsruhe@<br />

linke-hochschulgruppe.de Telefon:<br />

0721 35 48 577 � KASSEL: Linke.<br />

SDS Kassel Kontakt: Sebastian<br />

Zintel. E-Mail: elbandini@yahoo.de<br />

Telefon: 0176 246 714 20 � KÖLN:<br />

Linke.SDS Köln Kontakt: Simon<br />

Schuster. E-Mail: virtualsimon@<br />

gmx.de Homepage: http://www.dielinke.org/hsg-koeln/<br />

� KONSTANZ:<br />

Kontakt: Mirco Kolarczik. E-Mail:<br />

Mirco.Kolarczik@uni-konstanz.<br />

de � LEIPZIG: LINKE.SDS Leipzig<br />

E-Mail: linke-hsg-leipzig@gmx.net<br />

Homepage: www.linke-hsg-leipzig.<br />

de � MAINZ: LINKE.SDS Mainz<br />

Kontakt: Sebastian Buhl. E-Mail:<br />

email@buhli.de � MARBURG: SDS.<br />

DIE LINKE MARBURG Kontakt: Jan<br />

Schalauske. E-Mail: jan.schalauske@<br />

gmx.de Homepage: www.sds-marburg.<br />

de � MÜNCHEN Hochschule für<br />

Politik, TU, LMU, FH HSG: Linke.SDS<br />

München Kontakt: Max Steininger. E-<br />

Mail: maxsteininger@gmx.de Telefon:<br />

0172 900 69 80 � NÜRNBERG/<br />

ERLANGEN: Kontakt: Ramona Tax.<br />

E-Mail: ramona.tax@web.de Telefon:<br />

0175-4776527 � OSNABRÜCK<br />

Kontakt: Marius Hackenspiel. E-Mail:<br />

mariushackenspiel@gmx.de �<br />

OLDENBURG: LINKE.SDS Oldenburg<br />

Kontakt: Bahattin Aslan. E-Mail: bahattin_aslan@web.de<br />

� PLAUEN: FH<br />

Nordhessen Kontakt: Jan Windisch.<br />

E-Mail: jan.windisch@gmx.de Telefon:<br />

0174-7143649 � POTSDAM: LINKE.<br />

SDS Potsdam Kontakt: Frie<strong>der</strong>ike<br />

Von <strong>der</strong> Kapital–Lesebewegung zur Venezuela-Delegationsreise: DIE LINKE.SDS hat sich viel vorgenommen<br />

Benda. E-Mail: chemariafri@aol.com<br />

Homepage: http://www.linke-sds.<br />

org/potsdam � REGENSBURG: SDS<br />

Regensburg Kontakt: Michael Müller.<br />

E-Mail: michi1000@web.de Telefon:<br />

0176-24766269 � STUTTGART:<br />

Kontakt: Martin Horsch. E-Mail:<br />

stuttgart@linke-hochschulgruppe.<br />

de � TÜBINGEN: Solid.SDS Tübingen<br />

Kontakt: Fre<strong>der</strong>ico Elwing.<br />

E-Mail: info@solid-tuebingen.de<br />

http://solidsdstue.twoday.net/ �<br />

TRIER: FH Trier Uweltcampus.<br />

Kontakt: Tobias Spiess. E-Mail:<br />

projekt–links@web.de � WEDEL<br />

Kontakt: Sven Dehmlow. E-Mail:<br />

sven@solid-hamburg.de<br />

Kontakt zu den bundesweiten<br />

Arbeitsgruppen über die<br />

Website: www.linke–sds.org<br />

15<br />

Frank Deppe bei <strong>der</strong> Herbstakademie des Studierendenverbandes. Über 90 Studierende<br />

diskutierten über die Transformation des <strong>Kapitalismus</strong> und Gegenstrategien.<br />

Impressum: DIE LINKE.Campus. Zeitung des DIE<br />

LINKE.Sozialistisch–Demokratischen Studierendenverbands.<br />

Ausgabe Nr. 3/2007. Auflage: 150.000.<br />

Anschrift: DIE LINKE.Campus, Kleine Alexan<strong>der</strong>straße<br />

28, 10178 Berlin.<br />

Redaktion: Nele Haas, Kai Kretzschmar, Sarah Nagel,<br />

Jonas Rest, Jana Werner, Simon Zeise. Layout: Philipp<br />

Kufferath, Jonas Rest V.i.S.d.P.: Steffi Graf.<br />

Bestellungen an info@linkecampus.de<br />

Kontakt: info@linkecampus.de www.linke-sds.org


Sitzblockade: Aktive von DIE LINKE.SDS während des G8-Gipfels in Heiligendamm. Zwei Wochen zuvor gründeten Aktive aus 40 Hochschulgruppen den Studierendenverband.<br />

Gekommen, um zu bleiben<br />

Vierzig Jahre nach den Protesten <strong>der</strong> 68er kehrt <strong>der</strong> Studierendenverband SDS zurück an die Unis.<br />

Sophie Dieckmann erklärt, weshalb DIE LINKE.SDS erfolgreich sein kann.<br />

Es sieht nicht gut aus für die Proteste<br />

gegen Studiengebühren.<br />

Die Einführung <strong>der</strong> allgemeinen Studiengebühren<br />

konnte nicht verhin<strong>der</strong>t<br />

werden. Trotz Rektoratsbesetzungen,<br />

Autobahnblockaden, Demos und Streiks<br />

gibt es jetzt in Hamburg, Nie<strong>der</strong>sachsen,<br />

Bayern, Baden–Württemberg, Saarland,<br />

Hessen und Nordrhein–Westfalen Studiengebühren<br />

von 500 Euro pro Semester.<br />

Auch die letzte Hoffnung vieler Aktiver,<br />

<strong>der</strong> Gebührenboykott, endete an vielen<br />

Unis mit einer Nie<strong>der</strong>lage – zu wenige<br />

hatten sich beteiligt.<br />

Die Folgen <strong>der</strong> Gebühren sind deutlich<br />

spürbar. Das Statistische Bundesamt hat<br />

ermittelt, dass <strong>der</strong> Trend zu sinkenden<br />

Studienanfängerzahlen sich fortgesetzt<br />

hat: Im Wintersemester 2006/07 nahmen<br />

295.091 Anfänger ihr Studium auf. Im<br />

Wintersemester 2005/06 waren es noch<br />

299.954. Es sind beson<strong>der</strong>s die Kin<strong>der</strong><br />

aus Familien, <strong>der</strong>en Eltern nicht zu den<br />

Besserverdienenden gehören, die sich<br />

ein Studium nicht mehr leisten können.<br />

Schon jetzt ist die Quote <strong>der</strong> Arbeiterkin<strong>der</strong>,<br />

die ein Studium aufnehmen, eine <strong>der</strong><br />

niedrigsten in Europa.<br />

Durch die Einführung von Bachelor und<br />

Master wird das Schmalspurstudium etabliert<br />

und die Elitenbildung vorangetrieben.<br />

Während einige wenige, die es sich<br />

leisten können, zum Master zugelassen<br />

werden und auf eine Spitzenkarriere<br />

hoffen dürfen, muss sich die breite Masse<br />

mit einem mittelmäßigen Abschluss<br />

begnü gen und hat später geringere Chancen<br />

auf dem „Arbeitsmarkt“.<br />

Doch all diese Dinge konnten nur eingeführt<br />

werden, weil die Studierenden<br />

dem nichts entgegenzusetzen hatten. Nur<br />

vereinzelte, wenn auch heftige lokale Proteste,<br />

ungenügende Solidarität unter den<br />

Studierenden, mangelnde Aufklärung<br />

über die wahren Hintergründe <strong>der</strong> Refor-<br />

Der SDS erkämpfte in den 60er<br />

Jahren Rechte, die heute wie<strong>der</strong><br />

in Frage gestellt werden: kostenloses<br />

Studium, BAföG, linke<br />

Wissenschaftler an den Unis.<br />

men, <strong>der</strong> hohe Druck, das Studium in <strong>der</strong><br />

Regelstudienzeit zu beenden, die Angst<br />

vor Repressionen, mangelnde bundesweite<br />

Koordinierung – all dies sind Gründe<br />

für das vorläufige Scheitern <strong>der</strong> Proteste.<br />

Vielleicht war die Zeit reif für einen Neubeginn.<br />

In <strong>der</strong> Linkspartei.PDS gab es<br />

zwar etliche Hochschulgruppen, teilweise<br />

auch schon jahrelang. Aber es gab<br />

keine Struktur, die Wissen und Aktivitäten<br />

hätte bündeln können. Mit <strong>der</strong> Gründung<br />

<strong>der</strong> WASG hatten sich in einigen<br />

westdeutschen Bundeslän<strong>der</strong>n ebenfalls<br />

Hochschulgruppen gebildet, die nach <strong>der</strong><br />

Fusion <strong>der</strong> LINKEN einen gemeinsamen<br />

Studierendenverband gründeten.<br />

Am 5. Mai 2007, dem Geburtstag von<br />

Karl Marx, war es dann endlich soweit:<br />

Wir haben DIE LINKE.SDS in Frankfurt<br />

am Main aus <strong>der</strong> Taufe gehoben. Mit <strong>der</strong><br />

Verwendung des Namens SDS wurde an<br />

die Tradition des erfolgreichsten linken<br />

Studierendenverbandes in <strong>der</strong> deutschen<br />

Geschichte erinnert. Der SDS stand in<br />

den 60er Jahren für den Kampf um Rechte,<br />

die heute wie<strong>der</strong> in Frage gestellt<br />

werden: kostenloses Studium, BAföG,<br />

linke Wissenschaftler an den Unis. Das<br />

allein lohnt, sich intensiv mit SDS-Politik<br />

zu beschäftigen. Vierzig Jahre nach den<br />

Protesten von 1968 wurde durch die<br />

Verbindung mit dem Namen DIE LINKE<br />

deutlich gemacht, dass ein Studierendenverband<br />

heute neue Politikformen<br />

finden muss, um erfolgreich zu sein. Beispielsweise<br />

haben Studierende durch das<br />

Bachelorstudium viel weniger Zeit als<br />

früher, um sich nebenher mit Politik zu<br />

beschäftigen. Dem muss ein Studierendenverband<br />

Rechnung tragen. Doch auch<br />

das Bekenntnis zur neuen LINKEN drückt<br />

sich im Namen aus: Jetzt besteht zum ersten<br />

Mal die Möglichkeit, einen starken,<br />

erfolgreichen Studierendenverband links<br />

von <strong>der</strong> SPD zu gründen. Denn was den<br />

SDS schließlich zur Auflösung führte, darf<br />

sich nicht wie<strong>der</strong>holen: durch den Ausschluss<br />

aus <strong>der</strong> SPD fehlte dem SDS <strong>der</strong><br />

Bezug zum Rest <strong>der</strong> Bevölkerung – und<br />

kämpfte schließlich an ihr vorbei. 1970<br />

war die Krise <strong>der</strong> Organisation so groß,<br />

daß sich die Mitglie<strong>der</strong> zur Auflösung<br />

entschlossen. Für die SDSler von heute<br />

muss also klar sein: wenn sich die LINKE.<br />

SDS nur auf Belange von Studierenden<br />

bezieht und die Verbindung zu den Arbeitnehmern,<br />

Arbeitslosen, Rentnern und<br />

Azubis verliert, ist sie aller Voraussicht<br />

nach zum Scheitern verurteilt. Nur wenn<br />

alle solidarisch an einem Strang ziehen,<br />

kann <strong>der</strong> neoliberale Umbau <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

gestoppt werden.<br />

DIE LINKE.SDS hat sich viel vorgenommen.<br />

Der Studierendenverband soll<br />

40 Jahre nach den Protesten von<br />

1968 wurde durch die Verbindung<br />

mit dem Namen DIE LINKE<br />

deutlich gemacht, dass ein Studierendenverband<br />

heute neue<br />

Politikformen finden muss.<br />

gleichzeitig sowohl Debatten führen als<br />

auch in die Praxis eingreifen. Wir wollen<br />

über die Hintergründe <strong>der</strong> Einführung<br />

von Stu diengebühren diskutieren, etwas<br />

über Chávez in Venezuela lernen und<br />

uns mit <strong>der</strong> Politik des SDS auseinan<strong>der</strong><br />

setzen. Aber wir wollen auch gegen Studiengebühren<br />

und den Krieg in Afghanistan<br />

kämpfen und haben gegen die Politik<br />

<strong>der</strong> G8 demonstriert. Die Hauptarbeit<br />

muss dabei in den Hochschulgruppen<br />

und in den bundesweiten Arbeitsgruppen<br />

stattfinden. Die Hochschulgruppen machen<br />

den Verband aus und müssen ihn<br />

auch gestalten. �<br />

Sophie Dieckmann studiert Sinologie in<br />

Leipzig und ist im Bundesvorstand von<br />

DIE LINKE.SDS.<br />

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