Erster Periodischer Sicherheitsbericht Teil 3 (PDF, 2 MB
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354 Staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren PSB<br />
Wie „erfolgreich“ die Staatsanwaltschaft mit diesen Anträgen war, das heißt in welchem Maße hierdurch<br />
tatsächlich die Verurteilung aufgrund eines summarischen Verfahrens erfolgte, konnte bis vor kurzem<br />
anhand der Strafrechtspflegestatistiken nicht festgestellt werden, weil nicht erhoben wurde, ob den Anträgen<br />
entsprochen und die Strafbefehle auch rechtskräftig wurden. Erst durch eine Sondererhebung, die seit<br />
einigen Jahren in Baden-Württemberg und in Nordrhein-Westfalen im Rahmen der StVStat durchgeführt<br />
wird, sind – beschränkt auf diese beiden Länder – die Größenordnungen erkennbar. 1102 Danach ist im allgemeinen<br />
Strafrecht die Verurteilung durch Strafbefehl, gegen den also kein Einspruch eingelegt worden<br />
ist, die Regel, nicht die Ausnahme. 1998 beruhten in Baden-Württemberg hierauf knapp drei Viertel (72 %)<br />
aller Verurteilungen, in Nordrhein-Westfalen knapp zwei Drittel (62 %). Die Verurteilung zu Geldstrafe<br />
erfolgt inzwischen zu rund 80 % durch Strafbefehl. Es bedürfte eingehenderer Forschung, um festzustellen,<br />
wie ökonomisch dieses Verfahren in einer Gesamtbilanz ist. Einige Untersuchungsergebnisse lassen<br />
darauf schließen, dass aufgrund von Informations- und Kommunikationsproblemen, insbesondere über<br />
die Einkommenshöhe, ein nicht unerheblicher <strong>Teil</strong> der Verurteilungen zu Ersatzfreiheitsstrafen und damit<br />
in den teuren Strafvollzug führen. 1103<br />
Seit dem Rechtspflege-Entlastungsgesetz von 1993 darf gegen einen verteidigten Angeschuldigten auch<br />
eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr durch Strafbefehl verhängt werden<br />
(§ 407 Abs. 2 StPO). Von den absoluten Zahlen her gesehen waren es 1998 in Baden-Württemberg 830<br />
und in Nordrhein-Westfalen 438 Personen, die ohne mündliche Hauptverhandlung zu einer zur Bewährung<br />
ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt worden sind. Statistisch ist nicht erkennbar, bei wie vielen<br />
hiervon wegen Nicht-Bewährung die Aussetzung widerrufen wurde mit der Folge der Vollstreckung der<br />
Freiheitsstrafe – ohne vorherige mündliche Hauptverhandlung.<br />
Da aus den anderen Ländern keine statistischen Informationen verfügbar sind, ist unbekannt, ob diese<br />
Daten zur Verurteilung durch Strafbefehl verallgemeinerungsfähig sind. Zumindest für Baden-Württemberg<br />
und Nordrhein-Westfalen steht indes nunmehr fest, dass eine Verurteilung aufgrund mündlicher Verhandlung<br />
vor dem erkennenden Gericht die Ausnahme, die Verurteilung aufgrund eines Strafbefehls<br />
dagegen die Regel ist. Der Grundsatz, dass eine Kriminalstrafe nur aufgrund mündlicher Verhandlung<br />
verhängt werden darf, gilt danach faktisch nur noch für die Freiheitsstrafe.<br />
Bedeutungszuwachs des Ermittlungsverfahrens und der Staatsanwaltschaft<br />
Insgesamt ergibt die Längsschnittanalyse, dass das Ermittlungsverfahren und die Erledigungsentscheidung<br />
der Staatsanwaltschaft zunehmend an Bedeutung gewonnen haben. Die Staatsanwaltschaft hat die<br />
ihr vom Gesetzgeber eingeräumten rechtlichen Möglichkeiten der Verfahrenseinstellung und der Erledigung<br />
im Strafbefehlsverfahren in hohem und weiterhin steigendem Maße genutzt. Sie hat dadurch nicht<br />
nur ihre Selektions-, sondern auch ihre – in sozialwissenschaftlicher Betrachtung – Sanktionskompetenz<br />
beträchtlich ausgedehnt. Sowohl bei der Einstellung unter Auflagen als auch beim Strafbefehlsantrag tritt<br />
an die Stelle richterlicher Strafzumessung faktisch die staatsanwaltliche Sanktionsfestlegung. Soweit –<br />
1102 Vgl. HEINZ, W., 1999b, S. 176 ff. Die Ergebnisse für 1998 beruhen auf einer vom Institut für Rechtstatsachenforschung<br />
der Universität Konstanz, Forschungsgruppe Kriminologie und strafrechtliche Rechtstatsachenforschung, durchgeführten<br />
Sonderauswertung.<br />
1103 „Einerseits erlebt der Angeschuldigte keine mündliche Verhandlung über die Folgen seiner Straftat(en), sondern erfährt nur<br />
auf schriftlichem Wege von den Rechtsfolgen, wobei offen bleibt, inwieweit er das Schriftstück überhaupt versteht. Andererseits<br />
gewinnt der Strafrichter keinen unmittelbaren Eindruck von dem sozialen Hintergrund des Beschuldigten; die richterliche<br />
Entscheidung über die Tagessatzhöhe beruht entweder auf den Erkenntnissen aus den polizeilichen Ermittlungen<br />
oder auf Schätzungen. Nach Janssens Untersuchung zur Geldstrafenvollstreckung scheitert die Zahlung der Geldstrafe<br />
umso eher, je weniger valide Informationen zur finanziellen Situation der Beschuldigten nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens<br />
vorhanden waren. Wird die Geldstrafenvollstreckung mit Ersatzfreiheitsstrafe beendet, so waren besonders häufig<br />
Informationsdefizite über die finanzielle Situation des Verurteilten festzustellen“ (DOLDE, G., 1999, S. 586).