-14- Mythos Pfa hlbauten von Gunter Schöbel Seit ihrer Entdeckung im W<strong>in</strong>ter 1853/54 <strong>in</strong> Meilen am Zürichsee <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz, als zum ersten Mal Ansammlungen von Scherben, Ste<strong>in</strong>beilen und schwarzen Pfählen als Wohnstätten aus grauer Vorzeit gedeutet wurden, fasz<strong>in</strong>ieren diese Überreste <strong>der</strong> „Pfahlbauten“ jung und alt. Die hervorragende Erhaltung von Funden unter Luftabschluss im Seesediment begründete schon bald ihren archäologischen Weltruf. Textilien, Holzgefäße, Pfahlbaubronzen, E<strong>in</strong>bäume, Schwerter, gefüllte Schmuckdosen, Reste von Auerochsen und mächtigen Holzhäusern, am Wasser von Palisaden umgeben, schufen Räume für Vorstellungswelten schon im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t, die nicht nur auf Weltausstellungen, son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong> prächtigen Ölgemälden, Festumzügen, Gedichten, K<strong>in</strong><strong>der</strong>büchern und Theaterstücken ihren gesellschaftlichen und künstlerischen Nie<strong>der</strong>- schlag fanden. „Was den Ägyptern die Pyramiden, das s<strong>in</strong>d den Schweizern und Süddeutschen ihre Pfahl- bauten“ – hieß es bald zu Recht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zunft <strong>der</strong> Ausgräber und <strong>Archäologie</strong>begeisterten. Pfahlbauer stehen daher bis heute neben den Höhlenbewohnern <strong>der</strong> Altste<strong>in</strong>zeit, den Nean<strong>der</strong>talern, den Kelten und Wik<strong>in</strong>gern ganz hoch im Kurs, wenn es um die Geschichte vor Christus <strong>in</strong> den frühen schriftlosen Kulturen bei uns im Norden Europas geht. Die über 150-jährige Erforschung dieser Siedlungen an den Seen und <strong>in</strong> den Mooren nördlich und südlich <strong>der</strong> Alpen hat <strong>in</strong>zwischen über 700 Siedlungsstellen aus Ste<strong>in</strong>- und Bronzezeit (4.000 – 850 v. Chr.) erbracht. Die Erklärung zum Unesco-Weltkulturerbe wird gegenwärtig vorbereitet. Ihre Funde lagern heute <strong>in</strong> allen großen Museen von London über Paris bis nach St. Petersburg. Selbst <strong>in</strong> Nordamerika gibt es <strong>in</strong> mehreren Museen davon zu sehen. Das „Pfahlbaufieber“ des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts, das sich <strong>in</strong> großflächigen „Schürfungen“ an den Seen und e<strong>in</strong>er überbordenden Sammelwut ausdrückte, bis ent- sprechende Schutzgesetze erlassen wurden, hat diese „Siedlungen auf Stelzen“ weltbe- rühmt gemacht. Der Mythos „Pfahlbauten“ lebt davon, dass je<strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal gerne e<strong>in</strong>en Tag <strong>in</strong> die Haut dieser Menschen am Wasser schlüpfen wollte und fernab <strong>der</strong> heutigen Zivilisation e<strong>in</strong> wenig Ste<strong>in</strong>zeitluft schnuppern und das freie Leben im verme<strong>in</strong>tlichen Paradies über den sanft gekräuselten Wellen o<strong>der</strong> im E<strong>in</strong>baum genießen möchte. Ob es allerd<strong>in</strong>gs wirklich immer so romantisch herg<strong>in</strong>g, darf nach dem Fund von „Ötzi“, <strong>der</strong> zeitgleich lebte und viele Blessuren erlitt, auch bezweifelt werden.
Le<strong>der</strong>beutel D i e k a n n t e n d o c h n u r. . . Wan<strong>der</strong>rucksack, Modell: oetzi ca. 3.300 v. Chr./ Rekonstruktion Fundort: Tisenj och, Oetztaler Alpen