Hohenzollerische Heimat - Hohenzollerischer Geschichtsverein

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32 H O H E N Z O L L E E I S C H E H E I M A T Jahrgang 19Ü4 Die Pfarrer von Schlatt Ueber das Ende der ehemaligen Pfarrei Schlatt bei Hechingen berichtete J. Riegger im „Zollerländle" 1926 Nr. 1, S. 4. Nur wenige Pfarrer sind von dort bekannt: 1.) Lukas Boll, zahlt am 5. Oktober 1443 acht Gulden als Erstfrüchte an den Bischof bei Erlangung der Pfarrei. 2.) Johannes Riederer zahlt am 16. Januar 1461 ebensoviel. Er starb im Jahr 1488, wo allerdings Joh. Mederer steht (wohl ein Versehen). 3.) Sebastian Zunfft 1488—1520, wo er tot war (hat am 21. 7. 1488 als Erstfrüchte 6 fl gezahlt). 4.) Laurentius Rieper oder R i e b e r, wurde am 23. März 1520 zum Pfarrer proklamiert und am 28. Mai des gleichen Jahres investiert; 8 fl. 5.) Schon 1521 zahlte ein Johannes N. 16 fl als Erstfrüchte. 6.) Johannes Nopp, 1530 bis? 7.) Bartholomäus Frie, 1533—1542 und vielleicht länger. Er zahlte 1534 als Erstfrüchte 8 fl. In den Jahren 1540 und 1541 bekam er je 1 Jahr Absenzerlaubnis. Um 1545 wurde die Pfarrei, wohl auf Betreiben des Zollergrafen Jos Nikiaus, nicht mehr besetzt, sondern Jungingen angegliedert. Die Kuratiegründung erfolgte am 1. Mai 1947. Erster Kurat wurde Josef Traub aus Inneringen bis 11. November 1947. Es folgte Leopold Krautheimer von Konstanz, bisher Vikar an St. Johann in Freiburg, der dann 1951 vom bisherigen Pfarrer von Bisingen abgelöst wurde; Stephan Krall von Hippetsweiler. Ad multos annos! Joh. A. Kraus. Heimatfreunde! Habt Ihr schon daran gedacht, die letzten Kriegsereignisse in jedem einzelnen Ort genau aufzuzeichnen? Was wäre das für eine Geschichtsquelle für die Nachfahren! Geradezu vorbildlich hat es Rektor Peter Heinzelmann in der Festschrift für das Musikfest zu Stetten u. Holst. (19. Juli 1953) getan. Ueberhaupt ist diese 96 Seiten starke Festschrift ein Markstein in der Geschichte Stettens, ein schönes Beispiel der Gemeinschaftsarbeit der Söhne dieses Dorfes über die Gegenwart und Vergangenheit ihres Heimatortes. Nur sei ergänzend angemerkt, daß der Spruch: ,,D' Schweda sind komma, hand älls mitgenomme .." nicht von Stetten stammt, sondern schon 1823 von Gustav Schwab in seinem Buch „Neckarseite der Schwäb. Alb S. 161 aus dem Neidlinger Tal berichtet wird, demnach weit verbreitet war. Krs. Der Leib des hl. Aurelius, der in der Reformationszeit von Herzog Ulrich von Württemberg aus dem altberühmten Kloster Hirsau weggenommen und später an den Grafen Wilhelm Werner von Zimmern geschenkt worden und in der Kapelle des Schlosses Herrenzimmern aufgestellt war, kam um 1594 durch die Erbtochter Gräfin Sibylla nach Hechingen. Sie war beim Aussterben ihres Stammes mit dem Hechinger Grafen Eitelfriedrich von Zollern verheiratet. Später schenkte Fürst Wilhelm von Hohenzollern- Hechingen die kostbaren Reliquien dem Kloster Zwiefalten, wohin sie am 1. April 1690 feierlich überführt wurden. Das Kloster ließ dafür dem Fürsten eine Schuld von 4000 Gulden nach. (Bernh. Schurr, Das alte und neue Münster zu Zwiefalten, 1910, S. 112). Kr. BESTELL-SCHEIN zum Bezug der „Hohenzollerischen Heimat" Ich/wir bestelle(n) ab sofort zum laufenden Bezug durch die Post Stück „Hohenzollerische Heimat", Verlagspostamt Gammertingen, zum halbjährigen Bezugspreis von 60 Pfennig. Vor- und Zuname Genaue Anschrift Dieser Bestellschein ist bei Neubestellung bezw. Nachbestellungen der nächsten Poststelle aufzugeben. Um deutliche Schrift wird gebeten. Huntare, Hundertschaft, Centena erfuhr durch Hans Jänichen eine neue Deutung in „Beiträge zur Landeskunde hgg. vom statist. Landesamt für Württemberg-Hohenzollern Nr. 1 (1951) S. 97 ff." Bekanntlich hieß das Gebiet um Hechingen einst Hattenhuntare, das um Münsingen Munigeshuntare. Während man bisher bei Hundertschaft an 100 Bauernhöfe oder 100 waffenfähige Alemannen denken wollte, was Prof. Dannenhauser völlig ablehnte, versteht Jänichen unter „hunta" (Hundertschaft, centena) eine fränkische Besatzung, die an verschiedenen militärisch wichtigen Punkten des Alemannenlandes eingesetzt war. Die Huntari oder Führer derselben seien Organe der königlich fränkischen Verwaltung gewesen, deren Bezeichnung von ehemals römischen, dann im Frankenreich übernommenen Zentenaren herzuleiten sei. Die Hattenhuntare um Hechingen wäre somit der Amtsbezirk eines Huntari namens Hatto, später seine durch Rodung ausgebaute Grundherrschaft oder ein kleiner Gau, der noch länger seinen Namen fortleben ließ. Neben dieser militärischen Besetzung des Alemannenlandes dürfte schwerlich auch eine zivile Verwaltung von den Franken eingerichtet worden sein. Die Stammesherzöge werden also in ihren Bereichen weitgehend autonom geblieben sein. Theod. Mayer berichtet darüber in seiner Abhandlung über die Frühzeit der Diözese Konstanz in Beziehung zu St. Gallen in der „Schweizerischen Zeitschrift für Geschichte" 2. Jahrg. 1952, S. 473—524. Krs. Hausierhandel im Killertal. Am 31. Oktober 1790 berichtete der Trochtelfinger Dekan Joh. Fid. Sev. Engelhart anläßlich einer Eingabe nach Konstanz wegen Anweisung eines Vikars für die Pfarrei Hausen im Killertal: „Die Gemeinde Killer gibt vor, ehemalen einen eigenen Pfarrer gehabt zu haben, und scheint auch ihr Vorgehen nicht ohne Grund zu seyn, weil an den Sonntägen alternative (abwechselnd) der pfarrliche Gottesdienst in Killer samt allen Frauen- (d. h. Muttergottesfesten) und Aposteltagen gehalten werden muß. Starzein hat niemals das ganze Jahr hindurch einen Gottesdienst, als an dem Fest S. Johannis Bapt., welcher der Patron ihrer Kapelle ist. Diese drei Gemeinden (Hausen, Starzein, Killer) zählen beiläufig 14 bis 1500 Personen, sind voneinander in ebener Lage eine ringe halbe Stunde entfernt. Der Drittel dieser Gemeinden ohne Unterschied des Geschlechts, ledig und verheirateten Standes, wandern ins Ausland, Frankreich, Elsaß, am Rhein, Turgau und Schweiz auf dem Handel das Jahr durch herum, kommen ein- oder zweimal im Jahr nachher nach Haus und nach einem Aufenthalt von einem Monat ungefähr reisen sie wieder fort. Daß solche Leute, die im Land umwandern, und nur vielleicht auf Gewinn denken, schlechten Unterricht in der Religion haben und böse Sitten nach Hause bringen mögen, läßt sich vermuten . . . ." In dieser Hinsicht dürfte wohl ein Vikarius perpetuus von Nutzen sein ... (Stehende Ordinariats-Registratur, Freiburg; Hausen i. Kill.) Heimatliteratur Die Stadt Ebingen erhielt ein wertvolles Heimatbuch in der „Chronik des Bleichers Johannes Jerg 1771 — 1825 ", die Josef Halm im Auftrag des Bürgermeisteramts im Verlag Herrn. Daniel-Balingen 1953 herausgab. Auf 210 engbedruckten Seiten sind Begebenheiten aus der Stadt und Geschehnisse des ganzen Kreisgebiets und weit darüber hinaus in alter Schreibart aufgezeichnet: Wirtschaft, Militärwesen, Sittengeschichte, Wetterverhältnisse usw. Auch Hohenzollern ist vertreten, doch muß man sich erst einlesen. Preis 3 DM; Buchhandlung Glock-Ebingen. Kr. Von MarieTheres Bauristim Verlag Oertel u. Spörer in Reutlingen ein Burladinger Kinderbüechle erschienen. Das schmucke Bändchen bringt auf 48 Seiten heitere und besinnliche Gedichte in Burladinger Mundart, „daß d' Kinder d' Hoimetsproch it vergesset". Möge das Büchlein mit seinen Kinderzeichnungen seinen Zweck erreichen und in Hohenzollern weite Verbreitung finden! Die Gemeinde Bisingen-Steinhofen erhielt auf Weihnachten ein hübsches Heimatbuch, das Hptl. i. R. Knaus mit einigen Helfern schuf, hgg. vom Heimatverein, 181 S. und 16 Tafeln, Druck Pretzel-Hechingen. In 25 Kapiteln ist die Geschichte und Gegenwart der Industriegemeinde eingefangen. Besonders reizend erscheint die Geschichte der Dörfer und der Herren von Bisingen und deren Wappen von Studr. H. Faßbender-Hechingen. (S. 44 unten ist strtt Schenk „T r u c hs e ß Baldabertus" zu setzen). Krs.

Hohenzollerische Heimat Vierteljahresblätter für Schule und Haus Herausgegeben vom Verein für Geschichte, in Verbindung mit Schriftleitung: Josef Wiest, Gammertingen Preis halbjährlich 0.60 DM Kultur- und Landeskunde in Hohenzollern der hohenz. Lehrerschaft Druck: Buchdruckerei S. Acker, Gammertingen Postverlagsort Gammertingen Nummer 3 Gammertingen, Juli 1954 I 4. Jahrgang I. Teil Hermann der Lahme Ein Erinnerungsblatt zu seinem 900. Todestag am 24. September 1954 Am 24. September des Jahres 1054 schloß in dem damals hochberühmten Benediktinerkloster auf der Insel Reichenau im Biodensee ein Mönch seine Augen zum ewigen Schlummer, der schon von seinen Zeitgenossen als ein Weltwunder betrachtet wurde. Es war Hermann der Lahme, durch seine Frömmigkeit ebenso ausgezeichnet wie durch sein Wissen und Können. Hermann oder Herimann, wie der Name damals lautete, kam als verkrüppeltes Kind zur Welt und wurde deshalb Contractu s, d. h. der Zusammengewachsene genannt. Er konnte sich ohne fremde Hilfe kaum von der Stelle bewegen, seine Hände waren verkrümmt und seine Zunge schwer. Trotzdem hat dieser Mann als vorzüglicher Lehrer gewirkt, haben seine krummen Finger unsterbliche Werke geschrieben und wissenschaftliche Instrumente konstruiert, hat seine schwere Zunge Gebete gestammelt und Lieder gesungen, die heute noch von manchem bedrängten Herzen gesprochen und gesungen werden. Hermann ist am 18. Juli 1013 zu Altshausen im heutigen württembergischen Landkreis Saulgau geboren. Er entstammt dem alten, schwäbischen Grafengeschleciite der Herren von Altshausen, den Gaugrafen des Eritgaues, die später die Grafschaft Veringen an der Laudiert in Hohenzollern erwarben und sich um 1134 erstmals Grafen von Veringen nannten, deren Wappen, drei Hirschstangen, einige Jahre später durch Verheiratung von Württemberg übernommen wurde. Der unermüdliche lonenzollerische Geschichts- und Heimatforscher Lehrer Sebastian Locher (1825—1889) hat die Geschichte des einst so berühmten Geschlechtes in Regestenform in den „Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde ifl Hohenzollern" (2. DIS 5. Jg., 1868—1871) dargestellt, aus der wir ersehen, daß der letzte Graf von Veringen im Jahre 1415 in Saulgau gestorben ist. Bei Locher finden wir auch die von Hermann selbst in seine „Weltchronik" eingetragene Notiz, daß er am 18. Juli 1013 als der Sohn des Grafen Wolfrad und seiner Gemahlin Hiltrud das Licht der Welt erblickte, und daß er noch 14 Geschwister hatte. Weiterhin entnehmen wir Locher die Angabe, die aus der Fortsetzung von Hermanns Weltchronik stammt, daß Hermann am 24. September 1054 starb und in seiner Heimat Altshausen seine Ruhestätte fand. Am 24. September dieses Jahres sind also 900 Jahre verflossen, seitdem dieser fromme und geiehrte Mann dieses „Tal der Tränen" verlassen hat. Das Schwabenland kann stolz auf ihn sein und darf es nir-ht versäumen, seiner an diesem Tage in Verehrung, Treue und Dankbarkeit zu gedenken. Schon am 15. September 1020, also im Alter von sieben Jahren, wurde dieses gebrechliche Kind, aas außergewöhnliche Geistesanlagen zeigte, den „Wissenschaften übergeben", d. h. in die Klosterschule gebracht, wo der verkrüppelte Knabe in allen Wissenschaften, die dortmals auf solchen Schulen gelehrt wurden, erstaunliche Fortschritte machte, sich nicht nur die lateinische, griechische und hebräische Sprache aneignete, sondern auch mit einer Willenskraft ohnegleichen und mit einem kaum bezähmbaren Wissenshunger auf allen Gebieten derartige gründliche Kenntnisse aneignete, daß aus dem lerneifrigen SchuLer allen z _ißeren Hemmungen zum Trotz ein erfolgreicher Lehrer und weiser Mei- Von Michael Walter ster wurde, dessen Ruhm weit in die Welt hinaus drang und manchen wissensdurstigen Jüngling anlockte. Die Weltchronik, die Hermann anlegte, ist schon erwähnt worden. Sie gehört zu den besten und zuverlässigsten Arbeiten auf diesem Gebiete; denn sie ist auf einer gründlichen Kenntnis und kritischen Benützung aller vorhandenen Quellen aufgebaut. Seine astronomischen Arbeiten setzten seine Zeitgenossen schon deshalb in ein berechtigtes Staunen, weil er seine tiefschürfenden Darlegungen durch kunstvolle, von seinen verkrüppelten Fingern hergestellte Apparate zu erläutern verstand. Auf dem Gebiete der Musik hat er ebenfalls wertvolle Untersuchungen hinterlassen, die von späteren Kennern immer wieder erwähnt und anerkannt werden. Er selbst hat Gesänge und Gebete verfaßt, die heute noch zum Lobe Gottes und zur Verehrung der Gottesmutter gesungen und gebetet werden, und die Zeugnis geben von seiner tiefen, inneren Frömmigkeit. Allen voran steht das „Salve Regina", das uns ihn all. n schon unvergeßlich macht und ihm ewigen Ruhm sichert. Es ist so ganz aus dem Herzen eines Menschen entsprungen, das die Leiden in diesem „Tale der Tränen" aus innerster Seele miterlebte. Dabei ist das Wesen und die Aufgabe der „Mutter der Barmherzigkeit", daß sie unsere Fürsprecherin, unsere Advokatin sei, so schön, sc* klar uno ergreifend zum Ausdruck gebracht, wie dies kaum nocn überzeugender geschehen kann. Auch das „Alma Redemptoris Mater" wird Hermann dem Lahmen zugeschrieben. Wer diesen frommen Mann, diesen sinnigen Grübler ind gründlichen Forscher mit seinem vom Leiden gequälten Körper in der stillen Klosterzelle für einen weitfremden, vergrämten Menschen halt, der ist sehr erstaunt und überrascht, v/enn er dessen Gedicht über den * Wettstreit zwischen dem Schafe und dem Flachse („De conflictu ovis et lini") über die Bedeutung von Wolle und Leinwand liest, in w "chem jedes in anschaulichster Weise die Vorzuge seines Produktes preist. Es ist schon bezweifelt worden, ob diese lebensfrischen und lebensnahen Verse hinter Klostermauern entstanden sein können. Wie sehr Hermann als Lehrer die lernbegierige Jugend seiner Zeit anzog, dafür bietet uns die Lebensbeschreibung von Bischof Benno II. von Osnabrück (1022—1088), dieses gewiegten Diplomaten und hervorragenden Baumeisters ein schönes Beispiel. Der Biograph von Benn • schreibt: „Zum Jüngling herangewachsen, drängte es ihn (Benno), Hermann den Lahmen aufzusuchen, der zu jener Zeit als gefeierter Lehrer in den freien Wissenschaften galt, und von dem auch jetzt (um 1095) noch hervorragende Werke überliefert sind. Von ihm empfing er, wie er selbst bekannte, vielfache Anregung und pflegte von ihm viel Rühmliches zu erzählen." Wenn Benno später als Kircnen- und Burgenbaumeister viel Ruhm erntete, so dürften die Gründl gen dazu von seinem Lehrer Hermann auf der Reichenau gelegt worden sein Mancher, der schon voller Bewunderung vor unseren herrlichen mittelalterlichen Domen und Munstern stand, hat sich die Frage vorgelegt, wie warf " 1 solche Bauten in jenen Zeiten möglich, in denen es noch keine Hochschulen gab, auf denen Baukunst gelehrt wurde, und auch jene Bauschulen noch nicht existierten, in denen der Schüler unmittelbar vom Mei-

<strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong><br />

Vierteljahresblätter für Schule und Haus<br />

Herausgegeben vom Verein für Geschichte,<br />

in Verbindung mit<br />

Schriftleitung:<br />

Josef Wiest, Gammertingen<br />

Preis halbjährlich 0.60 DM<br />

Kultur- und Landeskunde in Hohenzollern<br />

der hohenz. Lehrerschaft<br />

Druck:<br />

Buchdruckerei S. Acker, Gammertingen<br />

Postverlagsort Gammertingen<br />

Nummer 3 Gammertingen, Juli 1954 I 4. Jahrgang<br />

I. Teil Hermann der Lahme<br />

Ein Erinnerungsblatt zu seinem 900. Todestag am 24. September 1954<br />

Am 24. September des Jahres 1054 schloß in dem damals<br />

hochberühmten Benediktinerkloster auf der Insel Reichenau<br />

im Biodensee ein Mönch seine Augen zum ewigen Schlummer,<br />

der schon von seinen Zeitgenossen als ein Weltwunder<br />

betrachtet wurde. Es war Hermann der Lahme, durch seine<br />

Frömmigkeit ebenso ausgezeichnet wie durch sein Wissen<br />

und Können. Hermann oder Herimann, wie der Name damals<br />

lautete, kam als verkrüppeltes Kind zur Welt und<br />

wurde deshalb Contractu s, d. h. der Zusammengewachsene<br />

genannt. Er konnte sich ohne fremde Hilfe kaum von<br />

der Stelle bewegen, seine Hände waren verkrümmt und<br />

seine Zunge schwer. Trotzdem hat dieser Mann als vorzüglicher<br />

Lehrer gewirkt, haben seine krummen Finger unsterbliche<br />

Werke geschrieben und wissenschaftliche Instrumente<br />

konstruiert, hat seine schwere Zunge Gebete gestammelt und<br />

Lieder gesungen, die heute noch von manchem bedrängten<br />

Herzen gesprochen und gesungen werden.<br />

Hermann ist am 18. Juli 1013 zu Altshausen im heutigen<br />

württembergischen Landkreis Saulgau geboren. Er entstammt<br />

dem alten, schwäbischen Grafengeschleciite der Herren<br />

von Altshausen, den Gaugrafen des Eritgaues, die später<br />

die Grafschaft Veringen an der Laudiert in Hohenzollern erwarben<br />

und sich um 1134 erstmals Grafen von Veringen<br />

nannten, deren Wappen, drei Hirschstangen, einige Jahre<br />

später durch Verheiratung von Württemberg übernommen<br />

wurde. Der unermüdliche lonenzollerische Geschichts- und<br />

<strong>Heimat</strong>forscher Lehrer Sebastian Locher (1825—1889) hat die<br />

Geschichte des einst so berühmten Geschlechtes in Regestenform<br />

in den „Mitteilungen des Vereins für Geschichte und<br />

Altertumskunde ifl Hohenzollern" (2. DIS 5. Jg., 1868—1871)<br />

dargestellt, aus der wir ersehen, daß der letzte Graf von<br />

Veringen im Jahre 1415 in Saulgau gestorben ist. Bei Locher<br />

finden wir auch die von Hermann selbst in seine „Weltchronik"<br />

eingetragene Notiz, daß er am 18. Juli 1013 als der<br />

Sohn des Grafen Wolfrad und seiner Gemahlin Hiltrud das<br />

Licht der Welt erblickte, und daß er noch 14 Geschwister<br />

hatte. Weiterhin entnehmen wir Locher die Angabe, die aus<br />

der Fortsetzung von Hermanns Weltchronik stammt, daß<br />

Hermann am 24. September 1054 starb und in seiner <strong>Heimat</strong><br />

Altshausen seine Ruhestätte fand. Am 24. September dieses<br />

Jahres sind also 900 Jahre verflossen, seitdem dieser fromme<br />

und geiehrte Mann dieses „Tal der Tränen" verlassen hat.<br />

Das Schwabenland kann stolz auf ihn sein<br />

und darf es nir-ht versäumen, seiner an diesem<br />

Tage in Verehrung, Treue und Dankbarkeit<br />

zu gedenken.<br />

Schon am 15. September 1020, also im Alter von sieben<br />

Jahren, wurde dieses gebrechliche Kind, aas außergewöhnliche<br />

Geistesanlagen zeigte, den „Wissenschaften übergeben",<br />

d. h. in die Klosterschule gebracht, wo der verkrüppelte<br />

Knabe in allen Wissenschaften, die dortmals auf solchen<br />

Schulen gelehrt wurden, erstaunliche Fortschritte machte,<br />

sich nicht nur die lateinische, griechische und hebräische<br />

Sprache aneignete, sondern auch mit einer Willenskraft ohnegleichen<br />

und mit einem kaum bezähmbaren Wissenshunger<br />

auf allen Gebieten derartige gründliche Kenntnisse aneignete,<br />

daß aus dem lerneifrigen SchuLer allen z _ißeren Hemmungen<br />

zum Trotz ein erfolgreicher Lehrer und weiser Mei-<br />

Von Michael Walter<br />

ster wurde, dessen Ruhm weit in die Welt hinaus drang und<br />

manchen wissensdurstigen Jüngling anlockte.<br />

Die Weltchronik, die Hermann anlegte, ist schon erwähnt<br />

worden. Sie gehört zu den besten und zuverlässigsten<br />

Arbeiten auf diesem Gebiete; denn sie ist auf einer gründlichen<br />

Kenntnis und kritischen Benützung aller vorhandenen<br />

Quellen aufgebaut. Seine astronomischen Arbeiten setzten<br />

seine Zeitgenossen schon deshalb in ein berechtigtes Staunen,<br />

weil er seine tiefschürfenden Darlegungen durch kunstvolle,<br />

von seinen verkrüppelten Fingern hergestellte Apparate<br />

zu erläutern verstand. Auf dem Gebiete der Musik hat<br />

er ebenfalls wertvolle Untersuchungen hinterlassen, die von<br />

späteren Kennern immer wieder erwähnt und anerkannt<br />

werden. Er selbst hat Gesänge und Gebete verfaßt, die heute<br />

noch zum Lobe Gottes und zur Verehrung der Gottesmutter<br />

gesungen und gebetet werden, und die Zeugnis geben von<br />

seiner tiefen, inneren Frömmigkeit. Allen voran steht das<br />

„Salve Regina", das uns ihn all. n schon unvergeßlich<br />

macht und ihm ewigen Ruhm sichert. Es ist so ganz aus dem<br />

Herzen eines Menschen entsprungen, das die Leiden in diesem<br />

„Tale der Tränen" aus innerster Seele miterlebte. Dabei<br />

ist das Wesen und die Aufgabe der „Mutter der Barmherzigkeit",<br />

daß sie unsere Fürsprecherin, unsere Advokatin<br />

sei, so schön, sc* klar uno ergreifend zum Ausdruck gebracht,<br />

wie dies kaum nocn überzeugender geschehen kann. Auch<br />

das „Alma Redemptoris Mater" wird Hermann dem Lahmen<br />

zugeschrieben.<br />

Wer diesen frommen Mann, diesen sinnigen Grübler ind<br />

gründlichen Forscher mit seinem vom Leiden gequälten Körper<br />

in der stillen Klosterzelle für einen weitfremden, vergrämten<br />

Menschen halt, der ist sehr erstaunt und überrascht,<br />

v/enn er dessen Gedicht über den * Wettstreit zwischen dem<br />

Schafe und dem Flachse („De conflictu ovis et lini") über<br />

die Bedeutung von Wolle und Leinwand liest, in w "chem<br />

jedes in anschaulichster Weise die Vorzuge seines Produktes<br />

preist. Es ist schon bezweifelt worden, ob diese lebensfrischen<br />

und lebensnahen Verse hinter Klostermauern entstanden<br />

sein können.<br />

Wie sehr Hermann als Lehrer die lernbegierige Jugend<br />

seiner Zeit anzog, dafür bietet uns die Lebensbeschreibung<br />

von Bischof Benno II. von Osnabrück (1022—1088), dieses<br />

gewiegten Diplomaten und hervorragenden Baumeisters ein<br />

schönes Beispiel. Der Biograph von Benn • schreibt: „Zum<br />

Jüngling herangewachsen, drängte es ihn (Benno), Hermann<br />

den Lahmen aufzusuchen, der zu jener Zeit als gefeierter<br />

Lehrer in den freien Wissenschaften galt, und von dem auch<br />

jetzt (um 1095) noch hervorragende Werke überliefert sind.<br />

Von ihm empfing er, wie er selbst bekannte, vielfache Anregung<br />

und pflegte von ihm viel Rühmliches zu erzählen."<br />

Wenn Benno später als Kircnen- und Burgenbaumeister viel<br />

Ruhm erntete, so dürften die Gründl gen dazu von seinem<br />

Lehrer Hermann auf der Reichenau gelegt worden sein Mancher,<br />

der schon voller Bewunderung vor unseren herrlichen<br />

mittelalterlichen Domen und Munstern stand, hat sich die<br />

Frage vorgelegt, wie warf " 1 solche Bauten in jenen Zeiten<br />

möglich, in denen es noch keine Hochschulen gab, auf denen<br />

Baukunst gelehrt wurde, und auch jene Bauschulen noch<br />

nicht existierten, in denen der Schüler unmittelbar vom Mei-

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