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Hohenzollerische Heimat - Hohenzollerischer Geschichtsverein

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Jahrgang 1954 H O H E N Z O I , L E R I S C H E H E I M A T 23<br />

Altes und Neues Testament in Haigerloch<br />

Was die Wieskirche für Oberbayern und die Klosterkirche<br />

von Ottobeuren für das Bayrisch-Schwäbische Grenzland<br />

und das Gotteshaus Zwiefalten für das Württembergische<br />

Donautal bedeutet, das ist für uns in Hohenzollern St. Anna<br />

in Haigerloch; jedesmal ist es barocke Kunstgestaltung im<br />

Kulminationspunkt. Schwellende Kaskaden von Motiven und<br />

Bewegungen und Farben fallen vibrierend auf Geist und<br />

Auge wie Frühlingsmusi! und frisches Blättergrün. — Wir<br />

bleiben bei St. Anna und versuchen, uns einzubohren in die<br />

Ideen und Inspirationen, welche die schaffenden Künstler zu<br />

ihrem fürstlichen Wunderwerk der Farben und Formen<br />

drängten, die alle Mittel ihrer Kunst so spielend und virtuos<br />

handhabten, als schüttelten sie alles gleichsam nur aus dem<br />

Aermel. Aber nicht dem Hochaltar gilt unser Interesse, wo<br />

das alte Gnadenbild aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts<br />

wie in einem säulengeschmückten Gehäuse thront, sondern<br />

„zwei weiblichen Figuren (Holz, weiß gelackt) stehend auf<br />

bogigen Türdurchlässen, die das „Alte und das Neue Testament"<br />

symbolisieren. (Die Kunstdenkmäler Hohenzollerns<br />

Band I. S. 131.) Die Personifikationen des Alten und Neuen<br />

Testaments sind in der Kunstgeschichte auch eingeführt unter<br />

den Namen: „Synagoge und Kirche". Viele Jahrhunderte<br />

hindurch ist man nicht müde geworden, diese beiden Gestalten<br />

wiederzugeben, bald in Verbindung mit dem Kreuzbild<br />

oder der Weltgerichtsdarstellung, bald auch selbständig<br />

als Portal-, Kirchen- und Buchschmuck.<br />

Wie kam eigentlich die Kunst dazu, die Kirche unter<br />

der Gestalt einer Frau darzustellen? Im Hohenliede Salomons<br />

mit seiner Brautmystik sieht eine ganze Reihe von Bibelerklärern<br />

eine Verherrlichung des Verhältnisses Christi zu seiner<br />

Braut: der Kirche, vorgebildet; außerdem spricht St.<br />

Paulus mehrmals von einem geheimnisvollen Ehebund zwischen<br />

der Kirche und Christus und nennt sie „Christi Braut".<br />

Diesen Paulinischen Gedanken haben die alten Schriftsteller<br />

weiter verfolgt in seinem Gehalte: und die Kunst hat ihn<br />

aufgegriffen, nachdem die kirchenfeindlichen Staatsfesseln<br />

unter Konstantin gefallen waren. Im „Hirt des Hermas" (geschrieben<br />

um 150 n. Chr.) erscheint die Kirche im ersten Gesicht<br />

als alte Frau und mahnt zur Buße, und dann im vierten<br />

Gesicht als „Jungfrau, wie sie aus dem Brautgemach kam,<br />

ganz in Weiß gekleidet". Und in den folgenden Väterschriften<br />

kehrt oftmals und stets unverändert das Motiv wieder: „Die<br />

Kirche als Frau", besonders bei Melito von Sardes, Augustinus<br />

und Albertus Magnus. Dieses literarischen Bildes hat<br />

sich die christliche Kunst schon frühzeitig angenommen und<br />

hat im Fortschritt der Zeit dieses Bild mehr und mehr entwickelt<br />

und mit allerlei Beigaben bereichert. Die Kirche<br />

Foto-Weber Haigerloch<br />

(„Synagoge und Kirche")<br />

wird dargestellt als vornehme Frau, königlich gekleidet und<br />

geschmückt, und trägt als Zeichen ihrer Würde Krone und<br />

Nimbus, die Siegesfahne und den Kreuzstab in der Hand,<br />

oft auch einen Kelch oder ein Buch.<br />

Auch für die Schaffung des Synagogenbildes („Altes<br />

Testament) haben die frühchristlichen Schriftsteller die<br />

Grundzüge gezeichnet und dargetan, wie die alte Heilsordnung<br />

aufgehoben sei und die Verstocktheit der Juden und<br />

die Abkehr ihres Geistes von Christus herausgestellt werden<br />

müsse. Sie stützten sich dabei auf zahlreiche Bibelverse. In<br />

den Klageliedern heißt es: „Gefallen ist die Krone von unserem<br />

Haupte, wehe uns, weil wir gefehlt haben; darob ist<br />

schwach geworden unser Herz, darum ist verdunkelt unser<br />

Auige." So ist es leicht zu erklären, wie die Synagogengestalt<br />

im Gegensatz zur frischentwickelten Jugendschönheit der<br />

Kirche als alte, mit Runzeln versehene Frau wiedergegeben<br />

wird, oftmals mit einer Binde vor den Augen, um die Erlösungstat<br />

Christi und den Anbruch einer neuen Zeit nicht<br />

sghen zu müssen; mit traurigem Gesicht, mit gesenktem<br />

Haupte; die Krane der einstigen Würde entfällt ihr oder<br />

liegt schon am Boden. Während der Scepterstab der Kirche<br />

oftmals in einem Kreuze endigt, geht die Bannerspitze der<br />

Synagoge in einer Lanze aus, deren Schaft gebrochen ist.<br />

In zahlreichen Fällen hält sie die Gesetzestafeln in der<br />

Hand, manchmal auch einen Kelch, doch mit der Schale<br />

nach unten.<br />

Schon frühe treten die beiden Symbolgestalten in den<br />

christlichen Bilderschatz ein. Zeugnis dafür sind 2 Mosaikbilder<br />

mit Unterschrift in der römischen Kirche St. Sabina<br />

(um 430) und ein reich illustrierter Drogo-Sakramentar (um<br />

850). Vom zwölften Jahrhundert an gehören sie zum notwendigen<br />

Figurenbestand in Glasfenstern und Portalausstattungen<br />

französischer und deutscher Dome. Sie stehen im<br />

ersten Jahrtausend friedlich beieinander, da altes und neues<br />

Testament zusammengehören. Um die Wende des Jahrtausends<br />

tritt ein großer Umschwung ein in der Behandlung<br />

der Juden; ihre eigentliche Leidenszeit beginnt mit den<br />

Kreuzzügen, wo man den Tod Christi an ihnen rächen wollte<br />

und eine feindselige Einstellung gegen sie den Anfang nahm<br />

in Schrift und Wort und Tat. Das färbte sich auch ab in<br />

der Kunst, die alle Mittel anwendet, um die Gestalt der<br />

Kirche immer mehr zu verherrlichen, und die Synagoge<br />

mehr und mehr herabzudrücken und verächtlich zu machen,<br />

bis sie schließlich an dem Punkt angelangt ist, wo die Kirche<br />

triumphierend und siegend über ihrer unterlegenen Gegnerin<br />

dasteht. Im Anfang des 16. Jahrhunderts verschwinden<br />

die beiden Gestalten im Kunstleben der Kirche, um<br />

später vereinzelt und in veränderter Form wieder zu erstehen.<br />

Ein Beispiel dafür haben wir in St. Anna in Haigerloch.<br />

II.<br />

In diesem fürstlichen Prunktempel auf den seitlichen Torbogen<br />

des Hochaltars präsentiert sich: auf der Epistelseite in<br />

Lebensgröße die Gestalt des Neuen Testamentes (die Kirche)<br />

und auf der Evangelienseite das symbolisierte Alte Testament<br />

(die Synagoge), beide einst geschaffen von dem Haigerlocher<br />

Bildhauer Joh. Georg Weggenmann. Doch verbietet<br />

schon ein flüchtiger Blick, beide Bildwerke ein und derselben<br />

Hand zuzueignen. Das Rätsel wird gelöst durch eine Angabe<br />

im Hodlerwerk über das Oberamt Haigerloch: „Die<br />

Statue auf der Evangelienseite ist im Anfang des 20. Jahrhunderts<br />

heruntergestürzt und zerfallen. Die an ihre Stelle<br />

getretene Figur stammt aus der kirchlichen Kunstwerkstätte<br />

Marmon in Sigmaringen". (S. 532.) Wie die Zollerheiligen der<br />

Nebenaltäre, St. Meinrad und Fidelis, in kühnem Wettbewerb<br />

mit den geschnitzten Engelkindern in reinstem Blütenweiß<br />

aufleuchten und milde kontrastieren mit Stuckmarmor<br />

und Gold der Umgebung und den wasserhellen Fenstern,<br />

so schimmern auch die Symbolgestalten zu beiden Seiten<br />

des Hochaltars mit den schwellenden Engelkörperchen im<br />

Halbschatten in blendendem Weiß, im Schlaglicht aber zart<br />

getönt wie Elfenbein. Verhaltenes und wohldiszipliniertes<br />

Siegesbewußtsein strahlt die schlanke E k k 1 e s i a (Kirche,<br />

Neues Testament) aus. Ein Symbol nur ist sie, darum trägt<br />

ihr nach oben gewandtes Angesicht keine persönlichen Charakterzüge.<br />

Der zurückgeschlagene Mantel läßt sichtbar werden,<br />

wie die Gewandfalten in gleichlaufenden Bahnen und<br />

Röhren bodenwärts fließen und wie durch den betonten<br />

Vertikalismus die Spannung des inneren Lebens gesteigert<br />

wird. Um den Hals ist die Stola gelegt mit ihren kreuzgeschmückten<br />

Enden, die nur getragen werden darf bei priesterlicher<br />

Gnadenspendung und Segensvermittlung. Dadurch<br />

wird die Kirche dokumentiert als Hüterin und legitimierte

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