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Ayla am Pass von Bechtersbohl - Klettgau-Historia

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Wolf Pabst<br />

<strong>Ayla</strong> <strong>am</strong> <strong>Pass</strong> <strong>von</strong> <strong>Bechtersbohl</strong><br />

Vision oder Realität ?<br />

Zwischen dem Rheintal und dem <strong>Klettgau</strong> erstreckt sich ein langgezogener Gebirgszug,<br />

der sogenannte kleine Randen. Das Gebirge weist an seinem westlichen Ende<br />

einen mehr als 175 Meter tiefen Abbruch, eine sogenannte Schichtstufe auf. Der höher<br />

gelegene Teil des Bergrückens entstand einst aus einem Korallenriff des Jur<strong>am</strong>eeres.<br />

Auf dem Hochplateau des kegelförmigen Hanges liegt die Küssaburg.<br />

Abb. 1: Landschaft mit Küssaburg<br />

Die Ortschaft <strong>Bechtersbohl</strong>, ein Ortsteil der Gemeinde Küssaberg, befindet sich <strong>am</strong><br />

Fuße des Burgberges auf der unteren der beiden Schichtstufen. Diese untere Stufe<br />

gehört geologisch betrachtet zur Formation des Braunen Jura.<br />

Abb. 2: Geologischer Schnitt


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Das Dorf liegt dort an der tiefsten Stelle des ges<strong>am</strong>ten Gebirgszuges in einer breiten,<br />

muldenartigen Senke, einem sogenannten Sattel. Durch diesen Geländeeinschnitt<br />

führte vermutlich schon seit alten Zeiten ein Völkerweg. Nach steilem Anstieg erreicht<br />

die aus dem Rheintal kommende Straße die inmitten des Dorfes zwischen Kirche<br />

und Gasthaus Hirschen gelegene <strong>Pass</strong>höhe. Am Dorfausgang Richtung <strong>Klettgau</strong><br />

geht <strong>von</strong> der heutigen Landesstraße L 162 linkerhand ein steiler Hohlweg ab, bei<br />

dem es sich um die Teilstrecke einer römischen Fernstraße handelt. Diese einst bedeutende<br />

Straße verband d<strong>am</strong>als Rom mit Hüfingen, mit Rottweil und dem Mittleren<br />

Neckarland. Auch auf der Rheintalseite verläuft die heutige Landesstraße auf weite<br />

Strecken auf der Trasse der ehemaligen Römerstraße.<br />

Bei einer Geländebegehung in <strong>Bechtersbohl</strong> fiel dem Verfasser <strong>am</strong> Dorfrand Richtung<br />

<strong>Klettgau</strong> ein quer zum <strong>Pass</strong>, also rechtwinklig zur Landesstraße verlaufender<br />

deutlicher Geländeabsatz auf. Er vermutete, dass es sich hierbei um die Überreste<br />

einer sehr alten Befestigungsanlage handeln könnte, Überreste einer Anlage, die<br />

einst zur Sicherung des <strong>Pass</strong>es errichtet worden war. Der Autor trug diese Hypothese<br />

dem d<strong>am</strong>als zuständigen Vertreter des Landes<strong>am</strong>tes für Denkmalpflege vor, der<br />

die Vermutung, dass hier eventuell ein Sperrwerk bestanden habe, als „Papperlapapp<br />

und dummes Zeugs“ abqualifizierte.<br />

Abb. 3: Sperrwerk<br />

Der Verfasser ließ sich durch diese negative Beurteilung nicht entmutigen und veröffentlichte<br />

zunächst in einer Schrift des Küssaberger Museumsvereins, dann in der<br />

Tageszeitung „Südkurier“ vom 27. Mai 1992 den Artikel „<strong>Ayla</strong> <strong>am</strong> <strong>Pass</strong> <strong>von</strong> <strong>Bechtersbohl</strong>“.<br />

Gewissheit über die wahre Herkunft der Wälle hätte nur eine Grabung oder


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ein bei günstiger Witterung aufgenommenes Luftbild erbringen können. D<strong>am</strong>als wie<br />

heute fehlte und fehlt hierfür das Geld. Den Gedanken eines Sperrwerkes <strong>am</strong> <strong>Pass</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>Bechtersbohl</strong> griff in den vielen Jahren, die seitdem vergangen sind, niemand<br />

mehr auf. Dass der <strong>Pass</strong> zur Zeit der Römer <strong>von</strong> hoher strategischer Bedeutung war,<br />

steht außer Zweifel. Man kann die Frage, ob ein Sperrwerk <strong>am</strong> <strong>Pass</strong> möglicherweise<br />

doch vorhanden war auch <strong>von</strong> einem anderen Blickwinkel aus angehen. Man kann<br />

sich die Frage stellen: „Wie hätte ich d<strong>am</strong>als, wenn ich Kommandant im Römischen<br />

Kastell <strong>von</strong> Dangstetten gewesen wäre, den <strong>Pass</strong> <strong>am</strong> besten gesichert?“ Man kommt<br />

dann zwangsläufig zu dem Schluss, dass ein Sperrwerk auf der <strong>Pass</strong>höhe die<br />

zweckmäßigste Lösung zur Sicherung des wichtigen Überganges gewesen wäre.<br />

Nachfolgend wird der Artikel über den <strong>Pass</strong> <strong>von</strong> <strong>Bechtersbohl</strong> genau so fröhlich und<br />

unbefangen wie d<strong>am</strong>als, aber mit kleinen sachlichen Korrekturen und Ergänzungen<br />

sowie mit neuen Bildern wiedergegeben. Der Verfasser verwendete 1992 als erster<br />

die Bezeichnung „<strong>Pass</strong> <strong>von</strong> <strong>Bechtersbohl</strong>“. Lesen Sie nun mit viel Freude den nachfolgenden<br />

Text.


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<strong>Ayla</strong> <strong>am</strong> <strong>Pass</strong> <strong>von</strong> <strong>Bechtersbohl</strong><br />

Abb. 4: <strong>Ayla</strong><br />

<strong>Ayla</strong> ist die Heldin einer mehrbändigen Romanreihe der <strong>am</strong>erikanischen Schriftstellerin<br />

Jean M. Auel. <strong>Ayla</strong> lebt vor 30.000 Jahren während der d<strong>am</strong>aligen Eiszeit. Sie<br />

zieht mit ihrem Freund Jondalar vom Schwarzen Meer nach Burgund im heutigen<br />

Frankreich. Als geschickte Jägerin und große Medizinfrau meistert sie alle Gefahren.<br />

Sie zähmt Pferde, besitzt bereits einen Hund und lässt sich <strong>von</strong> Jondalar mit Hingabe<br />

lieben. <strong>Ayla</strong> ist jung, schön und attraktiv und endlich schwanger. Der Leser fiebert:<br />

Junge oder Mädchen? Wird Jondalar noch rechtzeitig den Kinderwagen erfinden?<br />

Abb. 5: Jondalars Kinderwagen


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<strong>Bechtersbohl</strong>, ein Ortsteil <strong>von</strong> Küssaberg, liegt nahe der Schweizer Grenze auf halbem<br />

Wege zwischen Bad Säckingen und Schaffhausen. Hier überquert der <strong>Pass</strong> <strong>von</strong><br />

<strong>Bechtersbohl</strong> nach etwas mehr als hundert Meter hohem Anstieg einen kleinen Gebirgszug,<br />

der das Hochrheintal vom benachbarten <strong>Klettgau</strong> trennt. 175 Meter über<br />

der <strong>Pass</strong>höhe erhebt sich die imposante Ruine der Küssaburg. Man war bisher der<br />

Ansicht, diese Bergfeste habe bis zu ihrer Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg den<br />

<strong>Pass</strong> beherrscht. Ob <strong>von</strong> der Burg aus tatsächlich der <strong>Pass</strong> bewacht wurde, sei dahin<br />

gestellt. Seit kurzem wird vermutet, dass die Burg in erster Linie Sitz eines Obervogtes<br />

war und erst nach dem Bauernkrieg <strong>von</strong> 1525 zum Schutze der Grafen <strong>von</strong> Sulz<br />

umfassend verstärkt wurde. Die Anlage diente demnach vorrangig ihren Besitzern als<br />

sicheres Domizil und weniger der Überwachung des <strong>Pass</strong>es. Auch die Berichte, die<br />

Burgbesatzung hätte 1634 die Burg aufgrund eines Fehlarmes selbst in Brand gesetzt,<br />

muss heute skeptisch hinterfragt werden. D<strong>am</strong>als, so wird berichtet, erwartete<br />

man die Schweden, die vergeblich versucht hatten die Stadt Überlingen einzunehmen<br />

und nun das weitere Umland <strong>von</strong> Schaffhausen brandschatzten. Die Burg hatte<br />

zu wenig Lebensmittel, zu wenig Munition, zu wenige waffentaugliche Männer und<br />

vermutlich zu wenig Vorrat an Wasser. Kurz nachdem in der Ferne ein brennendes<br />

Dorf gesichtet worden war, brannte auch die Burg. Angeblich gerieten die zu Verteidigung<br />

der Festung befohlenen Männer in Panik und setzten selbst die Burg in<br />

Brand. Ob es wirklich so war, wird man nie erfahren. Seit diesem Großbrand steht<br />

die Burg als Ruine auf ihrer eins<strong>am</strong>en Höhe. Interessanterweise wird auch <strong>von</strong> anderen<br />

Burgen erzählt, sie seien <strong>von</strong> den eigenen Wachmannschaften in Brand gesteckt<br />

worden. Daher kann man die Geschichte „<strong>von</strong> den treulosen Verteidigern, die selbst<br />

ihre Burg anzündeten“ nur mit Vorbehalt weitererzählen.<br />

Abb. 6: Ruine Küssaburg <strong>von</strong> Osten


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Ursprünglich gehörte die Küssaburg dem Hochstift Konstanz. Burgherr war also der<br />

Bischof <strong>von</strong> Konstanz. Man darf annehmen, dass die in den Annalen erwähnten Herren<br />

<strong>von</strong> Küssenberg die Burg vom Bischof als Lehen erhielten.<br />

Über die Küssenberger weiß man bis zum heutigen Tage recht wenig. Als diese keine<br />

männlichen Nachkommen mehr hatten, k<strong>am</strong> die Burg an die Grafen <strong>von</strong> Sulz.<br />

Auch über deren Zeit findet man keine zus<strong>am</strong>menhängende Geschichtsschreibung.<br />

Nur wenig ist über das Leben auf der Burg überliefert. Über den <strong>Pass</strong> <strong>von</strong> <strong>Bechtersbohl</strong><br />

selbst gibt es keine Kunde, keine Münzfunde, keine Ausgrabungen, keine<br />

schriftlichen Unterlagen. Nur spärliche Tonscherben und undatierte Fund<strong>am</strong>entreste<br />

wurden gefunden. Allerdings weiß man, dass über den <strong>Pass</strong> seit der Mitte des ersten<br />

Jahrhunderts nach Christus eine der wichtigsten römischen Fernstraße Süddeutschlands<br />

führte. Von Rom kommend überquerte sie den Julierpass, führte dann über<br />

Chur und Zürich durchs Schweizer Mittelland, <strong>von</strong> Windisch bei Brugg ins Tal der<br />

Aare und <strong>von</strong> dort aus über einen ersten <strong>Pass</strong> zwischen Zurzacherberg und Acheberg<br />

hindurch nach dem heutigen Bad Zurzach, das d<strong>am</strong>als Tenedo hieß. Zwischen<br />

Bad Zurzach und Rheinheim bestand d<strong>am</strong>als eine mächtige römische Brücke. Sie<br />

war auf der Zurzacher Seite durch ein starkes Doppelkastell gesichert. Auf der<br />

Rheinheimer Seite bewachte ein nahezu quadratischer Festungsturm mit etwa 40<br />

Metern Seitenlänge den Zugang zur Brücke. Möglicherweise standen auf dem flachen<br />

Dach des Turms zwei Steinschleudern. Es gibt Berichte über die römische Moselbrücke<br />

<strong>von</strong> Trier, die zum Schutze der Brücke einen vorgelagerten Brückenturm<br />

mit Steinschleudern besaß. Die Rheinheimer Befestigung und der Flussübergang<br />

<strong>von</strong> Trier habe große Ähnlichkeit miteinander.<br />

Abb. 7: Römische Wurfmaschine Abb. 8: Lösen des Spannseils


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Abb. 9: Rheinbrücke Rheinheim und Kastelle<br />

Nach Überquerung des Flusses führte die Straße hinauf auf den <strong>Pass</strong> und wieder<br />

hinab in den <strong>Klettgau</strong>. Man erreichte, wenn man der Straße weiter folgte, Rottweil,<br />

das Donautal und den Mittleren Neckarraum oder auch das Nagoldtal und das Kinzigtal.<br />

Rheinübergang und Fernstraße sind auf der berühmten Peutingerkarte verzeichnet.<br />

Als Vorlage für diese Karte diente eine römische Straßenkarte aus dem<br />

vierten Jahrhundert nach Christus. Etwa neun Kilometer westlich des <strong>Pass</strong>es <strong>von</strong><br />

<strong>Bechtersbohl</strong> gibt es eine breite Niederung, in der die Flüsse Rhein, Aare, Wutach<br />

und Schlücht zus<strong>am</strong>men treffen. Durch diese Flussniederung führen heute die wichtigsten<br />

Straßenverbindungen in den <strong>Klettgau</strong> und ins Wutachtal. Warum bevorzugten<br />

also die Römer den beschwerlichen Weg über den <strong>Pass</strong> <strong>von</strong> <strong>Bechtersbohl</strong>?<br />

Man darf annehmen, dass zur Zeit der Römer die Flussniederung bei Waldshut ein<br />

riesiges sumpfiges Flussdelta bildete, das häufig überschwemmt wurde. Durch das<br />

Schwemmland der Flüsse führten vermutlich nur wenige verborgene Fußpfade. Die<br />

Gefahr, in der sumpfigen Aue in einen Hinterhalt zu geraten, war groß und eine Fortführung<br />

der Straße durch das <strong>von</strong> vielen Nebenarmen durchzogene untere Wutachtal<br />

wäre sowohl bautechnisch als auch was die Sicherheit der Straßenbenutzer betrifft<br />

ein riskante Lösung gewesen. Die d<strong>am</strong>aligen Straßenbauer gingen auf Nummer<br />

sicher und entschieden sich für eine Trassenführung über den <strong>Pass</strong> <strong>von</strong> <strong>Bechtersbohl</strong>.


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Abb. 10: Zus<strong>am</strong>menfluss <strong>von</strong> Aare und Rhein<br />

Ohne Zweifel führte schon in vorrömischer Zeit ein uralter Völkerweg über den Geländeeinschnitt<br />

bei <strong>Bechtersbohl</strong>, und so frage ich mich, ob auch <strong>Ayla</strong> einst den <strong>Pass</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>Bechtersbohl</strong> überquerte.<br />

Im kleinen Museumsverein <strong>von</strong> Küssaberg diskutierten wir des öfteren, ob man Geschichte<br />

nur anhand <strong>von</strong> Urkunden und Ausgrabungsergebnissen vermitteln darf,<br />

oder ob es im Zeitalter der Akten und Fakten noch erlaubt sei Phantasie zu haben.<br />

Als kleiner Bub las ich viele geschichtliche Romane. Dank meines lebhaften Vorstellungsvermögens<br />

war ich mit Weinlands Rul<strong>am</strong>an auf Löwenjagd und lauschte vor<br />

dem Eingang der Tulkahöhle den Erzählungen der alten Parre. Ich war dabei, als die<br />

Schwäbische Alb <strong>von</strong> den Kelten erobert wurde.


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Abb. 11: Rul<strong>am</strong>an auf Löwenjagd<br />

Mit Viktor <strong>von</strong> Scheffels Mönch Ekkehardt erlebte ich den Hunneneinfall <strong>am</strong> Bodensee,<br />

verteidigte mit Robert F. Tapsells Romanheld Bardija die Grenzfestung Sered<br />

gegen die Tugaren und hörte die Ungarn vor der Kirchenburg heulen, wenn unser<br />

strenger pietistischer Pfarrer „Ein feste Burg ist unser Gott“ anstimmte. Bis heute habe<br />

ich mir diese Begeisterung für erlebte Geschichte bewahrt: An keinem Ort in Süddeutschland<br />

verdichtet sich nach meiner Meinung die Geschichte so sehr wie <strong>am</strong><br />

<strong>Pass</strong> <strong>von</strong> <strong>Bechtersbohl</strong>. Eine alte Überlieferung berichtet, dass 112 vor Christus die<br />

Kimbern und Teutonen auf dem Weg nach Süden durch unsere Gegend gekommen<br />

seien. Schon taucht aus dem Nebel eine verwilderte schwer bewaffnete Kriegerschar<br />

auf, gefolgt <strong>von</strong> plumpen Ochsenkarren mit Scheibenrädern, die sich mühs<strong>am</strong> durch<br />

den Hohlweg zum <strong>Pass</strong> quälen.<br />

Abb. 12: Ochsenkarren und Reiter


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Frauen und Kinder gehen auf der Steilstrecke zu Fuß neben den Wagen. Die Fremdlinge<br />

plündern die grob gezimmerten, strohgedeckten Holzhäuser auf der <strong>Pass</strong>höhe.<br />

Deren Bewohner sind längst entsetzt auf die Anhöhen geflohen. Schon schreibt man<br />

das Jahr 15 v.Chr. Der römische Feldherr Tiberius, Adoptivsohn des Kaisers Augustus,<br />

hat gerade mit seinen Truppen die heutige Schweiz erobert. Die dritte Kohorte<br />

der 19. Legion überquert bei Rheinheim den Rhein und errichtet unterhalb <strong>von</strong><br />

Dangstetten ein Legionslager. Das Lager befindet sich auf einer eiszeitlichen Hochterrasse<br />

in strategisch günstiger Position. Schon lange vorher kannten die römischen<br />

Eindringlinge die Örtlichkeit aus Berichten reisender Händler, und sie kannten insbesondere<br />

den Weg über den <strong>Pass</strong>. Sechstausend Legionäre, darunter dunkelhäutige<br />

Bogenschützen aus Nubien, das im Niltal südlich <strong>von</strong> Ässuan liegt, besetzten das<br />

Rheintal und den <strong>Pass</strong>. Unter den Soldaten befand sich auch ein hoher Offizier n<strong>am</strong>ens<br />

Varus, der kurz darauf in die Gegend des heutigen Lyon abkommandiert wurde,<br />

um dort für „Ordnung“ zu sorgen. Bei der Abreise verliert er einen Gepäckanhänger<br />

aus Blei, der zweitausend Jahre später gefunden und <strong>von</strong> der Wissenschaft entziffert<br />

wird.<br />

Abb. 13: Gepäckanhänger des Varus, aus Blei<br />

Nur wenig Phantasie braucht es, um sich die Befestigungsanlagen <strong>am</strong> <strong>Pass</strong> vorzustellen:<br />

Ein etwa drei Meter hoher Erdwall, der gegen den <strong>Klettgau</strong> einen vorgelagerten<br />

Spitzgraben besitzt und auf seiner Krone eine hölzerne Brustwehr, eine sogenannte<br />

Palisade trägt, beherrscht die <strong>Pass</strong>höhe. Das Sperrwerk hat eine schmale,<br />

aus schweren Stämmen gezimmerte Tordurchfahrt. Am westlichen Ende, wo das<br />

Gelände flacher wird, verstärkt ein Wachturm die Befestigung. Auf der dem Rheintal<br />

zugewandten Seite liegen die Ställe für Pferde und Zugtiere.<br />

Abb. 14: Nubier mit Kuh


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Abb. 15: Römischer Pferdeschuh aus dem Museum Küssaberg<br />

Auch verschiedene Mannschaftsunterkünfte und an der Stelle der heutigen Martinskirche<br />

vielleicht ein steinernes Kommandanturgebäude mit einem kleinen Heiligtum<br />

sind vorhanden. Eine offene Schmiede und eine kleine Schänke ergänzen das Bild.<br />

Dunkle, kraushaarige Kinderchen spielen im Schmutz.<br />

Abb. 16: Spielende Kinder<br />

Auch ein Laufbrunnen mit Trog zum Tränken der Tiere ist schon da. Barfüßige Frauen<br />

schöpfen dort Wasser und tauschen den neuesten Klatsch aus.<br />

Abb. 17: Wasserkrug aus Ton mit Rollsiegelmustern


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Abb. 18: Frauen <strong>am</strong> Brunnen<br />

Auf der Palisade patrouilliert ein Posten. Viele Jahre sieht man nun <strong>am</strong> <strong>Pass</strong> marschierende<br />

Truppen, fremde Kaufleute und einheimische Händler, römische Meldereiter,<br />

Reise- und Frachtwagen aus allen Gegenden des Römischen Imperiums.<br />

Die Alemanneneinfälle des Jahres 233 n. Chr. gehen vorüber. Etwa fünfzig Jahre<br />

später, um 284 n. Chr. muss die römische Grenze bis zum Rhein zurückgenommen<br />

werden. Das Kastell auf der Rheinheimer Seite wird eilig verstärkt. Man baut selbst<br />

Grabsteine in die Mauern der Kastellanlage ein. Einer dieser Grabsteine wird siebzehnhundert<br />

Jahre später bei Ausgrabungsarbeiten im Pfarrgarten gefunden. Eine<br />

Brücke mit den zugehörigen Kastellen beiderseits des Rheines ist noch bis zum Ende<br />

des vierten Jahrhunderts vorhanden und in römischer Hand. Jedoch gibt es keine<br />

Kunde mehr über das Geschehen <strong>am</strong> <strong>Pass</strong>.


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Abb. 19: Römische Marschkolonne<br />

Die Zeit schreitet fort. Inzwischen schreibt man das Jahr 450 nach Christus. Ein hunnischer<br />

Spähtrupp auf struppigen Pferden taucht überraschend <strong>am</strong> <strong>Pass</strong> auf. Die<br />

Angreifer tragen konische Helme mit Nackenschutz aus Leder. Aus Leder ist auch<br />

ihre Rüstung, die aus dicken, schindelförmig übereinander genähten Platten besteht.<br />

Das strähnige Haar und der weit über die Mundwinkel herabhängende Schnurrbart<br />

verleihen ihnen ein verwegenes Aussehen. Sie schießen eine Salve <strong>von</strong> kurzen Pfeilen<br />

ab und überwinden nach kurzem K<strong>am</strong>pf die <strong>am</strong> <strong>Pass</strong> postierten Wachmannschaften.<br />

Eines Tages wird man vielleicht beim Pflügen eine fremdartige Pfeilspitze finden....<br />

Abb. 20: Pfeilspitze<br />

Wie auf einem Bilderfries ziehen nun vor meinem Auge die vielen Wanderer vorbei,<br />

die nun während der folgenden Jahrhunderte den <strong>Pass</strong> <strong>von</strong> <strong>Bechtersbohl</strong> überqueren:<br />

fränkische Krieger hoch zu Ross mit Wurflanze, Schild und Streitaxt bewaffnet,<br />

irische Missionare, Baumeister, Vögte, Äbte, Ritter und Könige, schwer beladene<br />

Saumtiere, leibeigene Bauern, die beim Bau der Küssaburg fronen müssen, Wein-


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händler, umherziehende Gaukler, waffenklirrende Kreuzritter unterwegs zum S<strong>am</strong>melplatz<br />

in Venedig, Kaufleute auf dem Wege zur Zurzacher Messe, die schon 1362<br />

erwähnt ist. Es folgt „die Blüte der süddeutschen Ritterschaft“ die wohl ebenfalls über<br />

den <strong>Pass</strong> k<strong>am</strong> um sich bei Aarau zu s<strong>am</strong>meln. Man will den aufsässigen Eidgenossen<br />

eine Lektion erteilen. Die Strafexpedition gegen die entschlossenen Freiheitskämpfer<br />

geht jedoch kräftig daneben. Viele der stolzen Ritter werden <strong>am</strong> 13. Juli<br />

1386 in der Schlacht bei Sempach erschlagen.<br />

Am <strong>Pass</strong> entsteht im Laufe der Zeit ein kleines Dorf. Die Bewohner leben <strong>von</strong> Landwirtschaft,<br />

Weinbau und vom Verkauf ihrer Erzeugnisse an die Fuhrleute, die mit ihren<br />

Frachtwagen den <strong>Pass</strong> befahren. Die <strong>Bechtersbohl</strong>er stellen den Vorspann und<br />

liefern Getränke, Lebensmittel und Futter für die Zugtiere. Die alte Römerbrücke ist<br />

längst zerstört. Eine etwas einfachere, durch das Bistum Konstanz errichtete Holzbrücke<br />

führt seit etwa 1275 über den Rhein. Die alte Römerstraße ist nach wie vor<br />

die wichtigste Verkehrsverbindung aus dem Aaretal in den <strong>Klettgau</strong>. Auf der Zurzacher<br />

Seite gibt es den schon erwähnten Übergang zwischen Zurzacherberg und Acheberg.<br />

Diese <strong>Pass</strong>age ist sogar 22 Meter höher als der <strong>Pass</strong> <strong>von</strong> <strong>Bechtersbohl</strong><br />

aber längst nicht so bekannt wie dieser. Hierfür nenne ich zwei Gründe: zum einen<br />

gab es <strong>am</strong> „Zurziberg“ kein Dorf und keinen laufenden Brunnen zu Versorgung der<br />

Zugtiere. Zum anderen war der <strong>Pass</strong> zwischen Aare- und Rheintal strategisch gesehen<br />

nicht so exponiert wie der <strong>Pass</strong> <strong>von</strong> <strong>Bechtersbohl</strong>. Er war gegen Eindringlinge<br />

aus dem Norden durch den vorgelagerten Rhein geschützt. Ich glaube daher nicht,<br />

dass sich auf der oberhalb <strong>von</strong> Bad Zurzach gelegenen Höhe jemals eine Wehranlage<br />

zum Schutze des dortigen Überweges befand.<br />

Auch die Rheinbrücke des Hochstiftes Konstanz findet dann ihr Ende. Das Jahr ihrer<br />

Zerstörung ist nicht überliefert. Man weiß auch nicht, wodurch sie verloren ging, ob<br />

durch Feuer, durch Hochwasser, durch Kriegshandlungen oder wegen mangelhafter<br />

Unterhaltung. Eine Fähre besorgt danach den Flussübergang. Im Jahre 1499, im sogenannten<br />

Schwabenkrieg, suchen Schweizer Landsknechte die Gegend heim, machen<br />

den <strong>Pass</strong> unsicher und nehmen die Küssaburg ein.<br />

Abb. 21: Spanische Helme, aus dem 16. und 17. Jhd.


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Abb. 22: Zwei Schweizer Landsknechte<br />

Der Krieg gegen die Schweizer Eidgenossenschaft, <strong>von</strong> Kaiser Friedrich III leichtfertig<br />

vom Zaun gebrochen, geht verloren. Der Kaiser, der aus der Niederlage seines<br />

Großvaters Leopold III in der Schlacht bei Sempach nichts gelernt hat, kann die<br />

Schweiz nicht mehr zurück ins Reich zwingen. Die d<strong>am</strong>aligen Heere ernähren sich<br />

aus den Ländern, durch die sie marschieren. Den regulären Truppen folgt Gesindel<br />

aus aller Herren Länder. So ist es auch hier wieder die Bevölkerung, die durch Plünderung,<br />

Gewalt und Nötigung der Frauen zu leiden hat. Wenige Jahre später beginnt,<br />

als ob immer Frieden gewesen wäre, die Zeit der großen Wallfahrten. Der südliche<br />

Pilgerweg nach Santiago de Compostela führt über den <strong>Pass</strong> und den nahen Rheinübergang.


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Abb. 23: Pilger <strong>am</strong> <strong>Pass</strong><br />

Doch es bricht der Bauernkrieg <strong>von</strong> 1525 aus. Die Küssaburg wird erneut belagert,<br />

dieses Mal durch die rebellierenden Bauern, sie kann aber <strong>von</strong> den Aufständischen<br />

nicht eingenommen werden. Einige in den Küssaberger Ortsteilen erhalten gebliebenen<br />

gotischen Steinhäuser st<strong>am</strong>men aus der Zeit unmittelbar nach dem Bauernkrieg.<br />

Im Jahre 1611 kommt die Pest über den <strong>Pass</strong>. Sie ereilt, wie Grabstein und Kirchenbücher<br />

vermelden, auch den Klosterschreiber Dornhan, der seine F<strong>am</strong>ilie im Stich<br />

lässt, um vor der Seuche zu fliehen. 1634, im Dreißigjährigen Krieg, stehen die<br />

Schweden <strong>am</strong> <strong>Pass</strong>. Sie plündern das Dorf <strong>Bechtersbohl</strong> und brennen es nieder.<br />

1670 wird die heutige Martinskirche erbaut. Sehr wahrscheinlich hatte sie eine Vorgängerkirche,<br />

denn die dem heiligen Martin geweihten Kirchen zählen zu den ältesten<br />

Gotteshäusern im Lande. Im Spätmittelalter verliert der <strong>Pass</strong>übergang zunehmend<br />

an Bedeutung, andere, bequemere Straßenverbindungen werden erschlossen.<br />

Aus der mächtigen römischen Fernstraße ist inzwischen ein vergessenes Landsträßchen<br />

geworden. Im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert sieht das Dörfchen<br />

<strong>Bechtersbohl</strong> dennoch zahlreiche ungebetene Gäste, darunter Landstreicher, Steuereinnehmer<br />

und immer wieder habsburgische Kriegswerber. Auch marodierende<br />

Truppen des napoleonischen Heeres unter General Ney ziehen auf dem Marsch<br />

nach Elchingen und Austerlitz über den <strong>Pass</strong>. Heute ist der Übergang asphaltiert. In<br />

den letzten Jahren nahm der Verkehr ständig zu, denn Hunderte <strong>von</strong> Grenzgängern<br />

benutzen den <strong>Pass</strong> als kürzeste Verbindung zu ihren Arbeitsplätzen in der Schweiz.<br />

Sie kommen oft <strong>von</strong> weit her, die Gegend ist für sie nur Durchgangsstation. Ihre<br />

Fahrweise ist aggressiv und teilweise auch rücksichtslos. Wer die Straße überqueren<br />

muss, lebt gefährlich.<br />

Wanderer kommst du nach <strong>Bechtersbohl</strong>, so wirst du hier weder Denkmäler noch<br />

Triumphbögen finden. Die Geschichte des <strong>Pass</strong>es <strong>von</strong> <strong>Bechtersbohl</strong> ist vergessen,<br />

zugebaut, asphaltiert und mit Verbundstein zugedeckelt. Wo einst vielleicht der römische<br />

Wachturm stand, breitete sich viele Jahre der hässliche Lagerplatz einer örtlichen<br />

Baufirma aus. Auf der Rheintalseite dominiert ein riesiges Firmengebäude, das<br />

direkt an der Straße steht, das Ortsbild. Hat man die höchste Stelle des Überganges<br />

passiert, so zwängt sich die heutige Straße Richtung <strong>Klettgau</strong> durch eine Engstelle<br />

zwischen zwei Häusern. Dort befand sich vielleicht in früherer Zeit die Durchfahrt des<br />

römischen Sperrwerkes. Wenige <strong>Bechtersbohl</strong>er kennen die Bedeutung ihres Dörfchens,<br />

obwohl hier die Geschichte allgegenwärtig ist. Ebenso wenig widmen die Zurzacher<br />

ihrem <strong>Pass</strong> und seiner Vergangenheit die Aufmerks<strong>am</strong>keit die er eigentlich


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verdient hätte. Der Zurzacher Übergang hat bisher nicht einmal einen eigenen N<strong>am</strong>en.<br />

Doch zurück nach <strong>Bechtersbohl</strong>: Einst sah ich hier unter einem verwachsenen Kastanienbaum<br />

zwei junge Männer an ihrem rostigen Manta herumklopfen – dunkelhäutig<br />

und kraushaarig war der eine, der andere hatte langes strähnges Haar. Sein weit<br />

über die Mundwinkel herabhängender Schnurrbart gab ihm ein verwegenes Aussehen...<br />

War es hier, an dieser Stelle, wo der Araberhengst des Kaisers Friedrich II <strong>von</strong> Hohenstaufen<br />

sein Hufeisen verlor? Ich weiß es nicht. So bleibt es alleine der Phantasie<br />

überlassen, zu ergründen, ob <strong>Ayla</strong> einst in <strong>Bechtersbohl</strong> war.<br />

Abb. 24: Kaiser Friedrich II hoch zu Pferd


Verwendete Unterlagen:<br />

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Landeskarte der Schweiz, Nr. 1050, Blatt Zurzach, Ausgabe 1976<br />

Maßstab 1:25000 (4cm = 1 km)<br />

Schweizer Bundes<strong>am</strong>t für Landestopographie, 3084 Wabern.<br />

Faltprospekt „Historische Wege über den Achenberg“, 2009<br />

Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft „Via Regio Aare - Rhein“<br />

(in der Karte heißt der Berg Acheberg, im Prospekt Achenberg)<br />

Verwendet wurde das Wissen zur Geschichte der Region, das ich mir für meine Veröffentlichung<br />

„Steinbildwerke in Küssaberg“ (1985) erarbeitet und das ich immer wieder<br />

hinterfragt und aktualisiert hatte. Die einzelnen Buchtitel sind dort aufgeführt. Aus<br />

Platzgründen werden sie nicht nochmals wiederholt.<br />

Das Buch „Schweizerschlachten“ <strong>von</strong> Hans Rudolf Kurz, Francke Verlag, Bern 1962,<br />

das ich mehrfach zu Rate zog, vermittelt eine umfassende, weitgehend positive Beurteilung<br />

der Schweizer Freiheitskriege. (1315 – 1798). Schweizer Männer jeglichen<br />

Alters verdingten sich in dieser Zeit auch als Söldner an fremde Kriegsherren. Sie<br />

liebten das Kriegshandwerk: Angriff, K<strong>am</strong>pf, Gewalt und Plünderung, sie waren also<br />

nicht nur die treuen, biederen Söhne und Vaterlandsverteidiger als die man sie heute<br />

so gerne darstellen möchte.<br />

In einem Artikel zur Geschichte der Küssaburg, der in Kürze erscheinen soll, werde<br />

ich mich mit den Grafen <strong>von</strong> Sulz, ihrem sehr gestörten Verhältnis zu ihren Untertanen<br />

und mit der Wasserversorgung der Burg befassen.<br />

Wolf Pabst

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