Schellings Denken der Freiheit - KOBRA - Universität Kassel
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Paul Ziche<br />
zu belegen ist. Dieses Konzept, das auch als Lehnübersetzung von „Anthropologie“<br />
verstanden werden könnte, erbt nicht nur die Vieldimensionalitäten<br />
und daraus resultierenden Vieldeutigkeiten in <strong>der</strong> Natur des Menschen,<br />
son<strong>der</strong>n auch die Gefährdung durch solche Vieldeutigkeiten, transferiert in<br />
einen Diskurs über das Verhältnis von Wissenschaftsformen. Es kann zum<br />
einen eine Wissenschaft bezeichnen, die den Menschen zum Gegenstand hat<br />
(wie „Naturwissenschaft“ eine Wissenschaft von Dingen <strong>der</strong> Natur ist), zum<br />
an<strong>der</strong>en aber kann es eine Wissenschaft meinen, die wesentliche Eigenschaften<br />
mit dem Menschen teilt, beispielsweise dessen kognitive Beschränkungen<br />
spiegelt. Dies kann dann <strong>der</strong> Fall sein, wenn es für eine Wissenschaft<br />
wesentlich ist, daß sie eben von Menschen betrieben wird, aber auch, wenn<br />
Wissenschaft grundsätzlich von einer Thematisierung des Menschen ausgehen<br />
muß. Eine „menschliche Wissenschaft“ ist bereits deshalb mehrdeutig,<br />
weil <strong>der</strong> Mensch an <strong>der</strong> Subjekt- und an <strong>der</strong> Objektstelle von Wissenschaft<br />
vorkommen kann. Schelling operiert mit <strong>der</strong>artigen Doppeldeutigkeiten, zwar<br />
nicht für den Begriff „menschliche“, aber für die „göttliche Wissenschaft“,<br />
jedenfalls in seiner Wie<strong>der</strong>gabe von Positionen <strong>der</strong> Kommentatoren <strong>der</strong><br />
Upanishaden: „göttliche Wissenschaft, Wissenschaft von Gott – Theosophie“<br />
(SW II,2,469). 4<br />
Eine Formulierung wie „menschliche Wissenschaft“ besitzt nur dann ein<br />
diskriminierendes Potential, wenn man bereit ist, innerhalb des Bereichs <strong>der</strong><br />
Wissenschaften Unterscheidungen zu treffen. Das ist jedoch keineswegs<br />
selbstverständlich; wenn man – mit den Idealisten – annimmt, daß Wissenschaft<br />
im strengen Sinne immer mit Unbedingtheit und absoluter Gewißheit<br />
verbunden ist, liegt die Annahme einer einzigen, absoluten Wissenschaft<br />
nahe. Man kann dann über abstufende Relationen in einem System <strong>der</strong> Wissenschaften<br />
nachdenken, wodurch auch eine spezifisch menschliche Wissenschaft<br />
ihren Platz erhalten würde. Denkbar ist aber auch, die spezifische<br />
conditio humana, die Doppelgesichtigkeit des Menschen, direkt in den Wissenschaftsbegriff<br />
überhaupt einzuschreiben. Bei Schelling finden sich hierzu<br />
verschiedene Ansätze, <strong>der</strong>en Kompatibilität zunächst fraglich ist. For<strong>der</strong>t er,<br />
beispielsweise in <strong>der</strong> Darstellung meines Systems <strong>der</strong> Philosophie von 1801,<br />
sogar vom Subjekt noch zu abstrahieren, um zur absoluten Grundlage des<br />
Wissens zu gelangen, so formuliert er im Würzburger System, unter zunächst<br />
ganz ähnlichen identitätsphilosophischen Annahmen, die Umrisse einer ganz<br />
4 <strong>Schellings</strong> Werke werden mit <strong>der</strong> Sigle SW zitiert nach <strong>der</strong> Ausgabe <strong>der</strong> Sämmtlichen<br />
Werke, hg. v. K. F. A. Schelling, Stuttgart/Augsburg 1865ff., unter Angabe von Reihe,<br />
Band und Seite, Verweise auf Kant folgen <strong>der</strong> Akademie-Ausgabe (AA) bzw. <strong>der</strong> üblichen<br />
A/B-Zählung <strong>der</strong> Kritik <strong>der</strong> reinen Vernunft.