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Schellings Denken der Freiheit - KOBRA - Universität Kassel

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Paul Ziche<br />

„Menschliche Wissenschaft“<br />

<strong>Freiheit</strong> als anthropologische Bestimmung im Übergang von Natur zu Mensch 1<br />

I. Die „natura anceps“ als anthropologischer Topos<br />

und wissenschaftssystematisches Problem<br />

Daß <strong>der</strong> Mensch ein doppelseitiges Wesen ist, daß er eine „natura anceps“ als<br />

Geist- und als Körperwesen besitzt, ist die Grundüberzeugung hinter <strong>der</strong><br />

Wissenschaft vom Menschen, <strong>der</strong> Anthropologie, im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t. Diese<br />

Überzeugung kann nicht besser illustriert werden als durch das janusköpfige<br />

Doppelemblem, mit dem Ernst Platner seine Anthropologie für Aerzte und<br />

Weltweise von 1772, 2 dediziert den Ärzten und den Weltweisen als den beiden<br />

Wissenschaftlergruppen, denen die beiden Seiten <strong>der</strong> menschlichen Doppelnatur<br />

anvertraut sind, bildlich eröffnet: Hippokrates und Platon, in zwei medaillonartigen<br />

Reliefs, jeweils mit Namensnennung, sind einan<strong>der</strong> auf einer<br />

Art von Sockel zugewandt und sehen sich direkt in die Augen. Das Motto<br />

von <strong>Schellings</strong> Jahrbüchern <strong>der</strong> Medicin als Wissenschaft, ein Hippokrates-<br />

Zitat des Inhalts, daß <strong>der</strong> Arzt und <strong>der</strong> Philosoph gleicherweise gottgleich<br />

seien (ΙΑΤΡΟΣ ΦΙΛΟΣΟΦΟΣ ΙΣΟΘΕΟΣ) greift genau diesen Topos auf.<br />

Platners Emblem und <strong>Schellings</strong> Motto kombinieren nicht einfach Geist und<br />

Körper als zwei Seiten, Schichten o<strong>der</strong> Aspekte am Menschen, son<strong>der</strong>n<br />

verweisen das Geist-Körper- (o<strong>der</strong> Leib-Seele-)Problem an einen Dialog <strong>der</strong><br />

Experten aus den jeweiligen Wissenschaften.<br />

„Anceps“ heißt nicht nur „vieldeutig“, es kann auch „gefährlich“ bedeuten.<br />

3 Überträgt man diese Situierung des Menschen auf Wissenschaftskonzepte,<br />

gelangt man zum Konzept einer „menschlichen Wissenschaft“, das im<br />

18. Jahrhun<strong>der</strong>t und insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Nach-Kantischen Debatte vielfach<br />

1 Dieser Beitrag macht Gebrauch von Ergebnissen zweier Forschungsprojekte: einem<br />

Forschungsstipendium <strong>der</strong> Fritz-Thyssen-Stiftung zu „<strong>Schellings</strong> Beitrag zum Reduktionismusproblem“,<br />

und des Teilprojekts E1 im Son<strong>der</strong>forschungsbereich 482, „Ereignis<br />

Weimar-Jena. Kultur um 1800“ <strong>der</strong> Deutschen Forschungsgemeinschaft. Beiden<br />

Institutionen sei für ihre Unterstützung herzlich gedankt.<br />

2 Ernst Platner: Anthropologie für Aerzte und Weltweise. Erster Theil. Leipzig 1772.<br />

3 Der Thesaurus linguae latinae gibt sub voce „anceps“ u. a. folgende Paraphrase an: „dubius<br />

in malam partem“.

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